Programmheft »Hänsel & Gretel«

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ENGELBERT HUMPERDINCK

HANSEL & GRETEL


INHALT

S.

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DIE HANDLUNG S.

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH S.

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WIE DURCH NEUSCHNEE IM GESPRÄCH MIT CHRISTIAN THIELEMANN S.

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DURCH EIN WUNDERTOR IN DIE GESCHICHTE IM GESPRÄCH MIT ADRIAN NOBLE S.

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EINE MAGISCHE WELT IM GESPRÄCH MIT ANTHONY WARD S.

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GEDANKEN ÜBER TONMALEREI ENGELBERT HUMPERDINCK S.

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»EIN MEISTERWERK ALLERERSTEN RANGES« WALTER DOBNER S.

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SCHRIFTLICHE DOKUMENTE ZUR ENTSTEHUNG S.

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VON ERFOLG ZU ERFOLG ANDREAS LÁNG

S.

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APROPOS LEBKUCHEN PAULUS HOCHGATTERER S.

48

KEINESFALLS NUR VOLKSLIEDER S.

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BRIEFWECHSEL S.

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EINE WOCHE WIEN S.

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HÄNSEL UND GRETEL AN DER WIENER STAATSOPER ANDREAS LÁNG S.

60

HÄNSEL UND GRETEL ANNO DAZUMAL HUBERT DEUTSCH S.

63

HEXEN, HEISSE FEGER RONALD POHL S.

68

HOKUS POKUS CHRISTA LUDWIG S.

72

SONDERFALL: MÄRCHENOPER PETER DUSEK S.

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IMPRESSUM


» KNUSPER, KNUSPER, KNÄUSCHEN, WER KNUSPERT MIR AM HÄUSCHEN? « KNUSPERHEXE, 3. Bild


ENGELBERT HUMPERDINCK

HANSEL & GRETEL MÄRCHENOPER in drei Bildern Text ADELHEID WETTE

ORCHESTERBESETZUNG 1 Piccoloflöte / 2 Flöten 2 Oboen / 1 Englischhorn 2 Klarinetten / 1 Bassklarinette 2 Fagotte 4 Hörner / 2 Trompeten 3 Posaunen / 1 Basstuba Schlagwerk / Donnermaschine Glöckchen / 1 Harfe Violine 1 / Violine 2 Viola / Violoncello Kontrabass BÜHNENMUSIK 1 Kuckucks-Instrument

AUTOGRAPH

Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/Main URAUFFÜHRUNG 23. DEZEMBER 1893 Hoftheater Weimar WIENER ERSTAUFFÜHRUNG 18. DEZEMBER 1894 Wiener Hofoper SPIELDAUER

2 H 15 MIN

INKL. 1 PAUSE




DIE HANDLUNG London, Weihnachten um 1890. Eine viktorianische Familie versammelt sich im Wohnzimmer gemütlich um den Christbaum. Der Vater überrascht alle mit einem geheimnisvollen, neuartigen Gerät, einer Laterna magica, die allerlei unbekannte und wunderbare Bilder an die Wand projiziert und zugleich die Tür zu einer fremden, märchenhaften Welt öffnet …

1. BILD Statt die ihnen aufgetragenen Arbeiten zu verrichten, vertreiben sich die von Hunger geplagten Geschwister Hänsel und Gretel in der heimatlichen armseligen Hütte singend und tanzend die Zeit. Sehnsüchtig erwarten sie den Abend und damit die Rückkehr der Eltern, denn diesmal soll es endlich wieder einmal vor dem Schlafengehen etwas zu essen geben: Aus der Milch, die eine Nachbarin als Geschenk vorbeigebracht hat, wird die Mutter, so die Hoffnung der beiden Kinder, einen Reisbrei kochen. Als aber die Mutter schließlich tatsächlich heimkommt, kippt die Stimmung schlagartig. Vor lauter Zorn darüber, dass Hänsel und Gretel, anstatt Besen zu binden und Strümpfe zu stricken, den Tag miteinander spielend verbracht haben, eilt sie auf die Kinder zu, um sie zu verprügeln. Dabei stößt sie irrtümlich den Topf mit der Milch vom Tisch. Hänsels Gekicher über ihr Ungeschick, die Scherben am Boden und die vergossene Milch lassen die Mutter den Kopf verlieren – sie treibt die Kinder zum Erdbeerpflücken in den angrenzenden Wald hinaus. Allein zurückgeblieben, klagt sie über die Armut und den Hunger ihrer Familie und schläft müde ein. Geweckt wird sie von ihrem fröhlichen, etwas angetrunkenen Mann, der ausnahmsweise seine gesamte Ware verkaufen konnte und aus dem Erlös einen großen Vorrat an unterschiedlichsten Lebensmitteln erworben hat. Doch die Freude währt nur sehr kurz – bestürzt darüber, dass seine Kinder allein hinausgeschickt wurden, erzählt er seiner Frau von der menschenfressenden Knusperhexe am Ilsenstein, einer besonders dunklen und verrufenen Stelle im Wald. Voller Sorge stürzen die Eltern aus der Hütte, um Hänsel und Gretel noch vor Einbruch der Dunkelheit zu finden und heimzubringen.

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DIE HANDLUNG

2. BILD Während Hänsel Erdbeeren sammelt und den mitgebrachten Korb bis zum Rand anfüllt, windet Gretel einen Kranz. Glücklich darüber, diesmal den mütterlichen Auftrag erfüllt zu haben, verlieren sie sich in allerhand Spielen und vergessen, rechtzeitig nach Hause zu gehen. Zu allem Überfluss essen die beiden, ohne es zu merken, nach und nach alle gesammelten Erdbeeren auf. Als Hänsel und Gretel entsetzt neue suchen wollen, merken sie voller Angst, dass sie sich im abendlichen Dunkel des Waldes verlaufen haben. Da erscheint das gute Sandmännchen und streut ihnen Sand in die Augen. Eng umschlungen schlafen Hänsel und Gretel nach dem Abendgebet ein. In einem schönen Traum, in dem 14 Engel vorüberschweben, erhalten sie eine beruhigende Ahnung von Tod und neuem Leben.

3. BILD Am nächsten Morgen werden Hänsel und Gretel vom Taumännchen geweckt und entdecken das Knusperhäuschen der Hexe. Als Hänsel ein Stückchen vom Knusperhäuschen abbricht, ertönt von innen die Stimme der Hexe. Da jedoch weiter nichts Bedrohliches geschieht, beginnen die Kinder am Häuschen zu naschen, solange, bis die Hexe herauskommt. Zwar gibt sie sich anfangs freundlich, doch wird bald ihr wahres Gesicht offenbar: Sie bannt Hänsel und Gretel durch einen Zauber und sperrt Hänsel in einen Käfig, um ihn zu mästen. In übersprudelnder Vorfreude auf das Verspeisen der Kinder besteigt die Hexe ihren Besen und fliegt auf ihm sitzend in größter Ekstase einige Zeit durch die Lüfte. Nach ihrem Hexenritt versucht sie Gretel zu überreden, in den Backofen zu schauen. Ihr Vorhaben, das ahnungslose Mädchen in den Backofen zu stoßen und zu einem Lebkuchen zu backen, misslingt, da sich Gretel, von ihrem Bruder gewarnt, dumm stellt und die Hexe bittet, ihr zu zeigen, auf welche Weise sie in den Backofen zu schauen habe. Ungeduldig geht die Hexe auf Gretels Vorschlag ein und beugt sich weit in den Backofen hinein. In diesem Moment wird sie von Hänsel

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DIE HANDLUNG

und Gretel hineingestoßen und muss elendiglich zugrunde gehen. Kaum ist die Hexe tot, werden die zahlreichen Lebkuchenmännchen, die rund um das Knusperhäuschen gestanden sind, zu lebenden Kindern. Sie alle waren einst in die Fänge der Hexe geraten und im Backofen zu Lebkuchen verwandelt worden. Doch nun ist der Zauber gebrochen. Hänsel und Gretel streicheln die Kinder und lösen mithilfe des Zauberstabes den letzten Bann: Jubelnd umtanzen die dankbaren Kinder ihre beiden Retter. Wenig später treffen die Eltern von Hänsel und Gretel, die die ganze Nacht nach ihren Kindern gesucht hatten, auf die glückliche Schar. Dankbar und voller Freude singt man gemeinsam: »Wenn die Not aufs Höchste steigt, Gott der Herr sich gnädig zu uns neigt!«

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ILEANA TONCA als GRETEL DANIELA SINDRAM als HÄNSEL


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UBER DIESES PROGRAMM BUCH Ursprünglich hatte Engelbert Humperdinck (1854-1921) zum 34. Geburtstag seines Schwagers ja nur ein kleines Hänsel und Gretel-Märchenspiel geschaffen. Doch diese zunächst lediglich vier Stücke für ein bis zwei Kinderstimmen auf Texte seiner Schwester hatten den Komponisten auf den Geschmack gebracht: In mehreren Anläufen und trotz mancher Selbstzweifel und gesundheitlicher Beeinträchtigungen schuf er im Zeitraum von 1890 bis 1893 die durchkomponierte, dreiaktige Oper Hänsel und Gretel, die ihm einen dauerhaften und prominenten Platz in der Musikgeschichte bescherte. Die Entstehungsgeschichte dieses Meisterwerks skizziert Walter Dobner ab S. 26. Die erfolgreiche Uraufführung am 23. Dezember 1893 in Weimar leitete Richard Strauss, der das Werk später auch an der Wiener Staatsoper des Öfteren dirigieren sollte. Innerhalb eines Jahres spielten rund 50 Bühnen die neue Oper nach, spätestens 1905 war mit der Erstaufführung an der New Yorker Metro-

politan Opera auch der internationale Durchbruch geschafft. Andreas Láng zeigt ab Seite 40 auf, wie schnell Hänsel und Gretel zum internationalen Erfolgsstück wurde. Christian Thielemann, der 2015 die Hänsel und Gretel-Premiere an der Wiener Staatsoper leitete, bringt in einem Interview ab S. 10 Humperdincks Musik in Beziehung zu Richard Strauss und Richard Wagner und umreißt die Herausforderungen der komplexen Partitur. Regisseur Adrian Noble und der Bühnen- und Kostümbildner Anthony Ward beschreiben in Gesprächen ihre Zugänge zum Werk (Seite 16 bzw. 21). Paulus Hochgatterer wirft ab Seite 42 einen klugen wie analytischen Blick auf Märchen und die Hänsel und Gretel-Übersetzung in die Opernform, Ronald Pohl widmet sich in seinem Essay ab Seite 63 dem Thema Hexen. Mit dem Sujet der Märchenoper setzt sich Peter Dusek ab Seite 72 auseinander, die Aufführungsgeschichte im Haus am Ring erzählt Andreas Láng ab Seite 56.

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G U S TAV M A H L E R a n A R N OL D B E R L I N E R , 1 8 9 4

»HANSEL UND GRETEL VON HUMPERDINCK IST EIN MEISTERWERK, UND IST MIR EINE LIEBE BEREICHERUNG DER DRAMATISCHEN LITERATUR.«


OLIVER LÁNG IM GESPRÄCH MIT CHRISTIAN THIELEMANN

WIE DURCH NEUSCHNEE ol

Als Kopist der Parsifal-Partitur und musikalischer Assistent Wagners bei der Uraufführung dieses Werkes hat Humperd i nck d ie I n nen sicht der ­Wagner’schen Arbeit via Parsifal kennengelernt. Merkt man das an H ­ änsel und Gretel? ct In Anklängen. Deutlich stärker höre ich die Meistersinger, die durch das ganze Stück geistern. Und interessanterweise stellen sich dieselben Probleme bei Hänsel und Gretel wie bei den Meistersingern, und zwar: Das Orchester wirkt gerne zu stark. Dabei ist die Oper nicht zu dick instrumentiert, es muss nur sehr schlank musiziert werden. Das ist bei Parsifal nicht der Fall. Egal, ob man Parsifal in einem normalen Opernhaus oder in Bayreuth bringt, zu laut ist er selten. – Da hat Wagner für Singstimme und Orchester ideal komponiert, bei anderen Werken muss man ja furchtbar mit der Dynamik aufpassen. Und Hänsel und Gretel braucht, wie Meistersinger, eine Leichtigkeit und auch den bissigen Humor, eine Lockerheit. Man darf ja nicht vergessen: Es bleibt, bei allem, was auch passiert, doch ein Märchen. Und dem heißt es Rechnung zu tragen.

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Es finden sich aber auch Verwandtschaften zu Brahms. Verbindet Humper­dinck die Welten Brahms-Wagner? ct Ich würde sagen, der Wagner-Einfluss ist stärker. ol Inwieweit merkt man an der Partitur, dass Humperdinck selbst ein guter Dirigent war? ct Zunächst einmal ist die Oper für einen Dirigenten sehr anspruchsvoll durch die vielen Tempoverzögerungen und die feinen Übergänge, die man dort machen muss; aber wie das Stück gewoben ist: da merkt man, dass Humperdinck sehr viel davon verstanden hat. In diesem Zusammenhang darf man ja nicht vergessen, dass Richard Strauss der Uraufführungsdirigent gewesen ist, einer, der genau gewusst hat, an welchen Stellen er sparen muss und wo er etwas mehr geben kann. ol Das bedeutet, dass man Hänsel und Gretel auch aus dem Strauss-Blickwinkel dirigieren kann? ct Absolut! Neben den Meistersingern ist bei Hänsel und Gretel eine Herangehensweise wie an Strauss die richtige. ol Das bedeutet? ct Dass man sich nicht von jedem

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WIE DURCH NEUSCHNEE

Forte und Fortissimo wegtragen lassen darf. Es muss immer gezügelt sein, aber trotzdem schön und üppig gespielt werden. Eine Gratwanderung zwischen Freude, großem Klang und feiner Klinge. ol Drei Aussagen von Richard Strauss zu dieser Oper: Erstens sprach er in Bezug auf das Werk von »echt deutsch«. Ist Hänsel und Gretel »echt deutsch«? In welcher Hinsicht ist das gemeint? ct Hänsel und Gretel spielt nun einmal in Deutschland, es ist ein deutsches Märchen. So wird Strauss es gemeint haben. Außerhalb Deutschlands wissen ja die wenigsten Leute, wo der Ilsenstein liegt. ol Und musikalisch? ct Da wird der Stil angesprochen. Dieser geht ja zu einem großen Teil auf Mendelssohn Bartholdy zurück. Und wenn Sie so wollen ist in der Gesanglichkeit der Oper auch ein Stück Schubert drinnen, eine volksliedhafte Gesanglichkeit. Geradezu Schubertliedartig. ol Diese einfachen, liedhaften Momente: Belassen Sie diese ganz einfach oder nehmen Sie eine gewisse Überhöhung vor? ct Es ist eher umgekehrt, das ganze Stück darf nicht zu groß werden! Man muss ja eigentlich die ganze Oper volksliedhaft betrachten und sie mit einer gewissen Einfachheit – obwohl: einfach ist das Stück natürlich nicht – gestalten; mit einer Art einfachen Attitüde, einer lockeren Erzählweise. Und die gewichtigen Stellen kommen schon raus, da muss man nichts dazugeben … Wie vorhin gesagt: Immer darauf schauen, dass es nicht zu laut und zu dick wird – schon allein der Sänger wegen.

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Strauss Nummer zwei: »Verteufelt schwer – das Hänselchen«. ct Mein lieber Schwan! Es ist wirklich verteufelt schwer, wenn man es richtig gut spielen will! Aber so es von einem erstklassigen Orchester gebracht wird – was da an Großartigem herauskommen kann! Diese Feinheiten, die Lust am ganz leichten Kitsch, am kleinen G ­ lissando der Geigen. ol Hugo Wolf hat in Hänsel und Gretel an manchen Stellen eine Operettenhaftigkeit diagnostiziert. Lag er damit richtig? ct Absolut. Ich finde, das ist ein Kompliment! Denn Operette ist überhaupt das Schwerste! Weil man dosieren muss: Wenn man zu viel macht, ist es Kitsch und schrecklich, wenn man nichts macht, ist es verfehlt. Diese Mitte muss man genau treffen. Und ein Dirigent, der die Operette gut beherrscht, ist für praktisch alles gewappnet. Der hat zum Beispiel bei Puccini kein großes Problem mehr. ol Ein letztes Mal Strauss: Er sprach von der Kunst in der Behandlung des Orchesters. ct Zweifelsohne. Humperdinck charakterisiert sehr stark, Wagnerisch-leitmotivartig, wenn Sie so wollen. Er hat verblüffende Effekte geschaffen, wahnsinnig gut fürs Orchester geschrieben. Strauss hat, denke ich, einfach bewundert, dass jemand für ein Orchester so schön und rund komponieren kann. Ja, das glaube ich schon, dass er das gemocht hat! ol Hat der Komponist Strauss sich später daran bedient? ct Na klar! Er hat als Theaterkapellmeister – wie Mahler übrigens – von allen guten Leuten gierig aufgesogen. Natürlich! Sonst wäre er ja dumm gewesen. Auch Wagner hat ja Meyerbeer gekannt

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IM GESPRÄCH MIT CHRISTIAN THIELEMANN

und manches übernommen, wie auch von Schumann und Weber. Das haben alle so gehandhabt. ol Zur vorhin angesprochenen Leitmotivik: Ist diese mit Wagner zu vergleichen? Der Abendsegen zum Beispiel zieht sich durch das ganze Werk. ct Alle haben da von Wagner gelernt, auch Humperdinck. Nur hat es Humperdinck nicht mit derselben Konsequenz durchgezogen wie Wagner. Der Abendsegen ist eine sehr schön erfundene Melodie, und da hat sich Humperdinck selbst gefreut und gedacht, die kann man gut im ganzen Stück verteilen. Das ist clever, und Ähnliches hat Wagner im Parsifal ja auch gemacht. Humperdinck war ein Kind seiner Zeit. ol In der Fachliteratur werden gerne Humperdincks musikalische Naturschilderungen hervorgehoben. Doch auch da ist eine starke Beeinflussung durch Wagner zu merken? ct Es gibt eine Stelle in Hänsel und Gretel, bevor das »Kuckuck« kommt, die ist fast das Waldweben. Sogar fast dieselbe Harmonie, glaube ich, die Passagen sind beinahe deckungsgleich. Andererseits ist es dann doch etwas ganz anderes, eigenes, und nicht abgeschrieben. Das ist faszinierend. ol Gibt es einen Aspekt, in dem Humperdinck Wagner überwunden hat? ct Überwunden hat er ihn nicht. Aber er hat das Volksliedhafte hineingebracht, das ist etwas, das Wagner nicht hatte. Er hat es volkstümlicher gemacht. Und gerade deswegen ist das Stück auch so berühmt, eines der bekanntesten Werke der Weltliteratur. ol Warum ist Humperdinck das aber nie wieder gelungen, wenn

er doch Einfälle hatte, handwerklich so gut war? ct Denken Sie an Cavalleria und Pagliacci. Da fragt man sich ja auch, warum die beiden nie wieder so etwas geschafft haben. Es gibt manchmal solche Geniestreiche. Mich würde interessieren, ob Humperdinck das geahnt hat, dass er so ein Meisterwerk schafft. ol Wie weit ist die Oper Kindern zumutbar? ct Zumuten … Ich finde, dass die meisten Märchen von einer solchen ausgesuchten Grausamkeit sind, dass es einen schaudert. Denken Sie nur: Da wird eine alte Frau in den Ofen geschmissen – und was sie zuvor getan hat! Noch schlimmer sind ja Bechsteinund Hauff-Märchen; aber als Kind habe ich diese Geschichten als nicht so schockierend empfunden, sondern hatte das Gefühl: So sind Märchen eben nun mal. Hier ist es Humperdinck hoch anzurechnen, dass er das entschärft hat. Die Hexe in der Oper mag zwar grausam sein, aber sie ist kein groteskes Monster. ol Und in musikalischer Hinsicht? ct Musikalisch ist Hänsel und Gretel natürlich nicht das einfachste! Aber ich zum Beispiel wurde von meinen Eltern schon als Kind auf den romantischen Orchesterklang eingeschworen. Wenn die Ouvertüre so richtig losgeht, da denke ich mir: Mein Gott, so muss ein Orchester klingen! Nichts gegen andere Orchesterklänge – aber so wurde ich in meiner Jugend geprägt. ol Hänsel und Gretel ist ja – mehr oder weniger – das musikdramatische Erstlingswerk Humperdincks. Merkt man das an dem Werk? In dem Sinne, dass er sich schön langsam warmgeschrieben hat und es unterschiedliche Schichten in der Oper gibt?

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WIE DURCH NEUSCHNEE

ct Überhaupt nicht! Es ist ein Geniestreich. Mir ist es schleierhaft, wie einer, der keine eigene Erfahrung im Schreiben von Musiktheaterwerken hat, sowas gleichsam aus dem Stand machen kann. Das ist eben Begabung. ol Inwieweit wurde der Humperdinck’sche Stil fortgeführt? ct In einer gewissen Weise bei Richard Strauss. Es gibt schon diese Linie, Rheingold, Meistersinger, Siegfried 1. Akt, Humperdinck, und wenn man das fortführt, landet man letzten Endes beim Rosenkavalier, bei der Schweigsamen Frau. Auch Strauss hatte seine wunderbar einfachen, unschuldigen Melodien, im Schluss vom Heldenleben oder in der Alpensymphonie, natürlich auch in der Schlussszene der Schweigsamen Frau. ol Ist dieses Einfache besonders schwierig? ct Es ist schwierig, weil Musiker, die begeistert sind ein wenig dazu neigen, groß zu spielen. Gerade, weil es so schön ist und so genussvoll, überliest man, dass in den Noten eigentlich

Piano steht. Hier muss man bremsen. Ähnlich wie bei Strauss. Der hat ja auch die größten Klopper geschrieben und der Dirigent muss darauf achten, dass in der Frau ohne Schatten die Sänger nicht schon ganz am Anfang überfordert werden. Die besten Strauss-Dirigenten waren immer jene, die unter der Forte/ Fortissimo-Grenze geblieben sind. Man muss wissen, an welcher S ­ telle man mehr geben darf. Sonst geht es schlecht aus. ol Im Haus am Ring ist Hänsel und Gretel nach 1945 noch nie als Vorstellung gespielt worden. Und auch große Teile des heutigen Orchesters haben die Oper nie gespielt. Wie ist das für Sie als Dirigent? ct Wunderbar! Alle sind angetan und freuen sich darüber, dass das Stück endlich kommt. Es ist ja fast wie etwas Neues hier. Ein Gefühl, als ob man durch Neuschnee ginge … Dieses Interview fand 2015 statt.

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Folgende Seiten: SZENENBILD




ANDREAS LÁNG IM GESPRÄCH MIT ADRIAN NOBLE

DURCH EIN WUNDERTOR IN DIE GESCHICHTE al

Wenn die ersten Töne der Ouvertüre erklingen und sich der Vorhang hebt, was sieht man dann: den Beginn eines Märchens? an Ich habe mir beim Kreieren der Inszenierung immer einen wesentlichen Aspekt vor Augen gehalten: Humperdincks Hänsel und Gretel ist für viele Kinder die erste Oper im Leben, ja, gelegentlich sogar die erste Erfahrung mit einem richtigen, lebendigen Theater überhaupt – und dieser erste Eindruck, den sie gewinnen, muss nicht, aber kann die weitere Beziehung der Betreffenden zu diesem herrlichen Metier beeinflussen. Eine Hänsel und Gretel-Vorstellung kann, anders formuliert, mit als Einladung zu einer lebenslangen Liebe zum Theater und zur Beschäftigung mit Theater respektive Musiktheater verstanden werden. Ich wollte also einen Weg finden, die Kinder abzuholen und auf emotionalatmosphärisch wundersame Weise in die Geschichte hineinzuführen. Wenn sich also der Vorhang zu den Klängen des Vorspiels hebt, sieht man auf der Bühne zunächst eine viktorianische

Familie um 1890, gemütlich versammelt im Wohnzimmer: Mutter, Vater, Großmutter und vier Kinder. Es ist Weihnachtszeit und rund um den großen Christbaum liegen Geschenke. Der Vater hat für die Kleinen zusätzlich eine ganz spezielle Überraschung vorbereitet – eine Laterna magica. Mit diesem Projektionsgerät konnte man damals unbekannte, paradiesische, farbenprächtige und wunderbar scheinende Landschaften projizieren. Anhand dieser Projektionen öffnet sich schließlich auch das Tor zum Märchen von Hänsel und Gretel. al Die Geschichte wird dann erzählt wie üblich? an Die Geschichte wird dann wie üblich erzählt, aber ich wollte sie mit einem Wunder einleiten, und die Bilder einer Laterna magica verbreiteten zu der damaligen Zeit genau dieses Gefühl des Wunders, des Staunens vor einem Wunder. Die einzelnen Bühnenbilder werden in dieser Produktion daher auch durchgehend eine kreisförmige Umrahmung aufweisen, gewissermaßen motivisch die Projektionsränder der Laterna.

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DURCH EIN WUNDERTOR IN DIE GESCHICHTE

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Es gibt also auch den Ofen, in dem die Hexe verbrannt wird? an Ja, selbstverständlich. Es gibt den Ofen, einen großen Käfig, in dem Hänsel eingesperrt wird und es gibt natürlich auch das Knusperhäuschen. Aber unser Knusperhäuschen, von dem die Kinder ein Stückchen abbeißen, bevor die Hexe auftaucht, ist keines, das man betreten kann. Es gleicht vielmehr einem sehr großen Kuchen, das die Form eines Knusperhauses aufweist – dieser verführerische Riesenkuchen ist die Falle der Hexe, mit der sie die Kinder ködert. Wenn aber dann andererseits die Hexe zum ersten Mal ihr »Knusper, knusper, knäuschen« singt, erblickt man zunächst im dunklen Bühnenhintergrund nur ein gewaltiges, mehrere Meter großes Auge, das Hexenauge. Wir haben also ein bisschen mit den Perspektiven gespielt. al Ist die Hexe in dieser Produktion eine widerliche Figur oder nur eine g ­ efährliche alte Dame? an Sie wird von Sekunde zu Sekunde widerwärtiger. Muss sie ja auch – denn von wem reden wir hier: Sie ist eine Mörderin, eine Killerin, eine Serienmörderin, allerdings eine, die sich verführerisch geben will, nicht umsonst ist auch ihre Musik stellenweise verführerisch. Aber sie soll durchaus Angst einflößen. Ich finde die Musik vor dem Hexenritt in Kombination mit der Hexenrittmusik aus psychologischer Sicht sehr spannend: Bevor sich die Hexe auf ihren Besen schwingt, wirft sie Holz aufs Feuer und das Feuer wird heißer und größer und die Hexe immer exaltierter, bis sie am Höhepunkt, einer Katharsis gleich, den Besen ergreift, aufsteigt und über den Wolken hin- und herjagt. Für das Danach war von ihrer Seite her das Ermorden eines Kindes ge-

plant. Das hat etwas Ritusartiges – für Kriminalisten dürfte dieses sich selbst emotional in Fahrt bringen, sich einen Kick verpassen, bevor es zum Killen geht, nichts Unbekanntes sein. Humperdinck hat das auf einzigartige Weise wunderbar in Musik gefasst. Überhaupt bietet die Partitur unendliche Inspirationsdetails für den Regisseur: So werden einerseits Archetypen zitiert – etwa der betrunkene Vater – andererseits sind genau diese Archtypen, aber auch archetypischen Szenen, musikalisch mit enormen Details aufgeladen, die wir sichtbar machen wollten. al Sie sprachen am ersten Probentag beim Konzeptionsgespräch davon, dass der Wald als solcher in England mit einer ganz anderen symbolischen Bedeutung aufgeladen ist als in deutschsprachigen Ländern. an Nun, der Wald als Ort ist, meines Erachtens nach, sehr zentral in den deutschen Märchen und Sagen, insbesondere der dunkle, undurchdringliche und gefährliche Wald, der von allerlei Kreaturen bevölkert wird und in dem man verloren gehen kann. Nicht umsonst hat der Wald bei Richard Wagner und natürlich hier bei Humperdinck in Hänsel und Gretel eine so wichtige Funktion. In meiner Heimat, also in England, verbreitet der Wald per se keine Schrecken, er ist auch nicht so wichtig. In der englischen Literatur nimmt vielmehr der Garten eine vergleichbar wichtige Position ein, schon bei Shakespeare kommt in vielen Stücken ein Garten als Symbol, als Ort, als Metapher vor. al Zurück zu Ihrer Inszenierung: Warum wählten Sie als Rahmenhandlung gerade die viktorianische Zeit?

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IM GESPRÄCH MIT ADRIAN NOBLE

an Für mich könnte die Familie des Vorspiels durchaus zur Verwandtschaft des Komponisten Humperdinck gehören. Ich entschied mich bewusst für jene Zeit, in der diese Oper entstanden ist. Das hat auf die eigentliche Handlung zwar keinerlei Auswirkungen, verdeutlicht aber einige Zusammenhänge. Schon unser Blick auf die Mutter wird dadurch ein anderer – sie ist nicht böse, sie ist keine schlechte Mutter, nur, weil sie die Kinder anschreit und in den Wald hinausjagt: Das Libretto spricht von Hunger, vor allem im ersten Akt, vom wirklichen Hunger, den wir in der heutigen westlichen Welt nicht mehr kennen. Die Kinder haben nichts zu essen, seit Tagen nicht und ihr höchstes Vergnügen ist ein Krug Milch, und dass diese Milch unabsichtlich verschüttet wird, kommt einer furchtbaren Katastrophe gleich. Humperdinck wusste, auch wenn es ihn und seine Familie nicht betraf, wovon er sprach, denn zu seiner Zeit war genau diese Not, dieses Elend in ganz Europa omnipräsent. Knapp bevor ich nach Wien zu den Proben kam, habe ich meinen Sohn zur Universität geführt und dort in der Nähe ein altes, ehemaliges Bleibergwerk besichtigt. In diesem Bergwerk haben im 19. Jahrhundert Kinder gearbeitet, den ganzen Tag über und sie haben barfuß gearbeitet! Vor dem Hintergrund dieser Furchtbarkeiten müssen wir die Mutter in dieser Oper sehen, die ob der Armut, ob des Hungers ihrer Kinder verzweifelt und daher durchaus auch die Nerven verliert. Wer diese Mutter verurteilt, tut dies in einem bequemen Fauteuil des 21. Jahrhunderts sitzend und die Hände auf die Armlehnen aufstützend. al Gibt es in dieser Produktion verschiedene Botschaften für Kinder und für Erwachsene?

an Nein, nicht wirklich. Zum einen möchte ich, dass die Erwachsenen die Geschichte ein wenig auch mit den Augen der Kinder sehen und die Musik mit den Ohren der Kinder hören. Zum anderen: Wenn wir spielende Kinder beobachten, so zeigt sich, dass sie oft Spiele erfinden, die sie selbst erschrecken. Warum? Weil sie auf diese Weise unbewusst das Erwachsensein und die Probleme des Erwachsenseins üben. In diversen Variationen gibt es überall auf der Welt das Spiel vom bösen Wolf, der das Kind verfolgt. Bei diesem Spiel können die Kleinen zwar das Gefühl des Erschreckens, der Angst erfahren, wissen sich aber letztendlich in Sicherheit. Gruselig-schön könnte man das Empfinden umschreiben, das hier angestrebt wird. Und etwas Ähnliches passiert beim Anhören von Märchen und beim Erleben einer Oper wie Hänsel und Gretel. Vergessen wir nicht, dass viele der Grimm-Märchen Furcht einjagen, Gewalt beinhalten, gruselige Charaktere aufweisen. In Hänsel und Gretel werden Kinder ermordet und zu Lebkuchen verarbeitet und auch die beiden Protagonisten schrammen nur knapp an der Vernichtung vorbei. Aber am Ende erwachen alle wieder zum Leben, und das ist sehr wesentlich, denn damit wird eine sehr alte, letztendlich beruhigende Idee durchdekliniert: Die Reise vom Leben über den Tod zur Auferstehung oder Wiedergeburt. Der Traum, die Pantomime der 14 Engel am Ende des zweiten Aktes von Hänsel und Gretel, symbolisiert für mich folgerichtig den Traum vom Tod, der, im Gegensatz zur Hexe, keinen Schrecken verbreitet und zeigt, dass es letztlich eine Grundsicherheit gibt. Um also auf die Frage zurückzukommen: Die Botschaft von Leben, Tod, erneutes Leben

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DURCH EIN WUNDERTOR IN DIE GESCHICHTE

gilt, auf unterschiedliche Weise zwar, aber gleichermaßen für Kinder wie für Erwachsene. al Fanden Gedanken von Sigmund Freud oder Bruno Bettelheim Eingang in die Produktion? an Nein, nicht direkt. Sicherlich helfen uns Freud, Bettelheim und andere Märchen zu verstehen, aber wir müssen das nicht aufdringlich in der Inszenierung durchbuchstabieren, das wäre zu viel des Guten. Freud ist ohnehin in der Luft, die wir atmen – er hat ja zu jener Zeit hier in Wien gearbeitet, als Humperdinck die Musik zu Hänsel und Gretel schrieb. al Warum weiß der Vater so viel von der Hexe und die Mutter offenbar so wenig? Der Vater muss diesbezüglich richtiggehend Aufklärungsarbeit leisten. an Da kommen zwei Gedanken zusammen: Erstens ist sie im Gegensatz zu ihrem Mann nicht regelmäßig in diversen Wirtshäusern, wo der jüngste Tratsch, die neuesten mysteriösen Vorkommnisse besprochen werden. Zweitens weiß sie zwar grundsätzlich einiges über die Hexe und über das Gebiet im Wald, wo sie haust – sie nennt den Ilsenstein ja explizit, aber in ihrem Wutanfall denkt sie nicht viel nach, vor allem nicht an Konsequenzen und sagt zu den Kindern sinngemäß so etwas wie: »Geht zur Hölle, mir ist egal, wohin ihr geht, geht von mir aus zur Hölle!« Und die Kinder gehen zur Hölle. Das hat sie natürlich in Wahrheit nicht so gemeint und bedauert es auch furchtbar, wie man später an ihrer Angst um die Kinder sieht. al Kommen wir jetzt zu den Protagonisten: Hänsel und Gretel, was sind das für Kinder? an Humperdinck und die Librettistin haben Kinder sehr genau beobachtet

und hier porträtiert. Die burschikose Gretel ist ein bisschen älter als Hänsel und dementsprechend gelegentlich mütterlich zu ihrem Bruder, der freche Hänsel möchte – als Bub – tapfer scheinen, was er in Wahrheit nicht ist. Wie alle Geschwister streiten und kämpfen sie miteinander, taucht aber eine dritte gegnerische Partei auf, stehen sie zusammen gegen den äußeren Feind. al Sie haben selbst Kinder, gibt es etwas, das Sie von ihnen gelernt haben, etwas das Sie hier in der Produktion verwenden konnten? an Absolut – ich habe zu Hause auch eine ähnliche Konstellation: ein Mädchen und einen Buben, das Mädchen etwas älter – ich bin ein glücklicher Mensch. Und selbstverständlich habe ich das gesamte Verhalten der beiden und das ihrer Freunde absorbiert – ich habe hierbei übrigens viel Politik gesehen … al Was wird geschehen, wenn die Geschichte von Hänsel und Gretel zu Ende ist? an Wenn man durch all diese Erfahrungen und Gefahren durchgeht, ist man nicht derselbe wie vorher, nicht wahr? Die Kinder sind ein bisschen älter, ein bisschen weiser geworden und ich glaube, dass vielleicht auch die Eltern sich gewandelt haben. Jeder erhält eine zweite Chance – und das ist etwas Wunderbares. Dieses Interview fand 2015 statt.

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ANDREAS LÁNG IM GESPRÄCH MIT A N T HON Y WA R D

EINE MAGISCHE WELT al

Wenn Sie Bühnenbilder oder Kostüme ent­werfen, hören Sie sich die­Musik an, um sich inspirieren zu lassen? Oder lesen Sie das Libretto? Wie beginnen Sie? aw Ohne jeden Zweifel kommt definitiv alles von der Musik her. Wissen Sie, ich habe mir beispielsweise die Musik von Hänsel und Gretel unzählige Male angehört und sie ist Herz und Seele für meine Arbeit an dieser Produktion gewesen – ohne sie hätte ich ja gar nicht beginnen können. al Wie gehen Sie konkret vor? Sie hören sich die Musik an … und dann? aw Im aktuellen Fall ... um ehrlich zu sein ... ich kannte das Stück schon. Vor vielen, vielen Jahren lernte ich es kennen und war deshalb mit dieser Oper vertraut, auch wenn ich natürlich viele Details schon vergessen hatte. Wie gehe ich vor? Nun, ich lasse die Musik im Hintergrund spielen, vielleicht während ich an anderen Projekten arbeite. Und dann wird man klarerweise nach und nach hineingezogen. Schließlich zwingen einen Abgabetermine, dass man sich immer konkreter mit dem Werk befasst ... und nach und nach beginnt die Sache Gestalt anzunehmen. SZENENBILD

al

Hatten Sie zu Beginn nur eine grundlegende Idee oder gab es mehrere gangbare Interpretationen? aw Ich würde sagen, dass ich anfangs überhaupt keine Ideen hatte. Bei diesem Werk kann man die Psychologie, die Welt von Freud einarbeiten, aber Adrian Noble wollte, dass wir direkter, kindlicher an die Sache herangehen. Deshalb musste ich einen Stil finden, der dieser kindlichen und veranschaulichenden Erzählform entspricht. al Der Regisseur macht also einen Vorschlag und Sie sorgen für die bild­liche Umsetzung? aw Nein, wir arbeiten sehr intensiv zusammen und versuchen gemeinsam, die Geschichte bildhaft zu erzählen und sie zugleich mit Sinn zu erfüllen. Nichtsdestotrotz würde ich meinen, dass die Seele des Ganzen eindeutig Adrian Noble war. Er ist übrigens keiner, der zum ersten Gespräch kommt und sagt, »oh, es muss so und so sein, ich habe diese Idee und so mache ich das jetzt«. al Entwickeln Sie die Dinge emotional oder streng logisch? aw Das ist eine wirklich schwierige Frage, denn eigentlich hätte ich es bejaht, dass meine Arbeit gefühlsmäßig gesteuert wird, aber ich glaube, dass es

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I M G E S P R ÄC H M I T A N T HON Y WA R D

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EINE MAGISCHE WELT

doch auch strategisch-logisch abläuft. In der sogenannten Pantomime zum Beispiel, die wir die Traumsequenz oder den Traum nennen, merkt man als Ausstatter, wie sehr man emotional von dieser wunderbaren Musik ergriffen wird, und entsprechend will man es dann auch auf der Bühne sehen. Andererseits ist die Logistik nicht zu umgehen, man muss recht praktisch an die Dinge herangehen, um sie von A nach B zu bringen und sie danach irgendwo im Raum unterbringen. Also: Emotion und Strategie liegen immer im Kampf miteinander. al Beginnen Sie zuerst mit dem Bühnenbild und entwerfen danach erst die Kostüme? aw Ja, ich fange immer mit der Bühnenausstattung an, denn das Bühnenbild gibt immer die Welt vor, in der man die Akteure einkleiden kann. al War das viktorianische Zimmer eine Idee, die Sie von Anfang an verfolgten? aw Die Ouvertüre soll den Zuschauer in die Geschichte hineinführen. Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht mehr genau erinnern, wie die ganze Sache mit der Familie entstanden ist. Adrian war sehr begeistert von einer Szene in Fanny und Alexander, mit einer Laterna magica und einem Geist. Das inspirierte uns, die Geschichte mit der Laterna magica für Hänsel und Gretel aufzugreifen. Die Kinder sind entzückt vom Vater und seiner Laterna magica, dann werden sie mit ihr allein gelassen, und sie beginnt sich zu verselbständigen. Plötzlich sind die Kinder in einer Welt wie Narnia und werden schließlich in die Geschichte von Hänsel und Gretel hineingezogen. al Gab es während der Arbeiten an Hänsel und Gretel Änderungen an den Kostümentwürfen oder MARIA NAZAROVA als SANDMÄNNCHEN MARGARET PLUMMER als HÄNSEL

dem Konzept für das Bühnenbild, oder blieb das Konzept vom Anfang bis zum Ende gleich? aw Obwohl das Konzeptmodell, das ich mitbrachte, ungefähr der Idee entspricht, die wir jetzt hier haben, so gibt es doch beträchtliche Unterschiede: Ich wollte ursprünglich große Bäume, die wir hin- und hergeschoben hätten, aber nach und nach ergab sich das endgültige Bild. al Wenn Sie ein Bühnenbild erarbeiten, denken Sie dann auch an die B ­ eleuchtung? aw Wir haben das Modell mit LEDLeuchten ausgestattet, um einige Fotos machen zu können, aber ich hätte nie daran gedacht, dem Lichtdesigner Jean Kalman etwas vorzuschreiben. al Wenn Sie ein Bühnenbild erschaffen, möchten Sie dem Publikum damit etwas sagen? Sollte das Publikum etwas fühlen, wenn es Ihr Bühnenbild sieht? aw Ja, definitiv. Wenn man versucht, eine Art magische Welt zu erschaffen, hat man wirklich den Eindruck, dass die Leute hineingezogen und geradezu davon inspiriert werden. Ich habe im Theater erlebt, dass wundervolle Welten und wunderbare Geschichten erschaffen werden und dabei eine fantastische Verbindung mit dem Publikum entsteht. Deshalb arbeiten wir ja auch im Theater, um diese Verbindung zu erzeugen. al Eine letzte Frage: Kommt es vor, dass Sie gleichzeitig an verschiedenen Produktionen arbeiten? aw Ja, und sie können sich auch in verschiedenen Ausführungsphasen befinden. Während hier unsere Inszenierung läuft, fangen wir gerade etwas anderes an. Es gibt oft Überschneidungen. Dieses Interview fand 2015 statt.

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ENGELBERT HUMPERDINCK

GEDANKEN UBER TON- MALEREI Das Wesen der Tonmalerei besteht in einer Darstellung von Naturvorgängen und -zuständen (einschließlich des Menschenlebens) nach Maßgabe der in der Musik geltenden Stilgesetze. – Einerseits durch mehr oder minder getreue Nachahmung der den betr. Vorgängen eigentümlichen lautlichen Äußerungen, anderseits durch Association von Ideen, die speculativ oder auch spontan sein kann. Im ersten Falle folgt der Componist seiner eigenen Beobachtung (Sturm, Wind, Wellen, Donner etc.) oder auch einer gewissen stillschweigenden Übereinkunft, die sich in der Geschichte unserer Kunst, namentlich in der Oper allmählich festgesetzt hat (Waldempfindung mit Hörnern, Idylle etc.), der zweite Fall tritt bei der Schilderung ein, die sich nicht auf direkte Gehörwahrnehmungen beziehen, sondern auf gewisse Anregungen unseres Gemütslebens durch andersartige Erscheinungen (z.B. des Gesichts oder des Gefühls), wobei also eine Übertragung einer Wahrnehmung auf die andere, der äußeren auf die innere (Gemütsleben) stattfindet ­(Beispiel: Blitz in der Pastoral-Symphonie, Spiegel im Siegfried).

Gedanken über Tonmalerei, 1880

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ILEANA TONCA als GRETEL



WA LT E R D OB N E R

»EIN MEISTERWERK ALLERERSTEN RANGES« ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE VON HÄNSEL UND GRETEL »Gerne werden wir Ihr Märchenspiel Hänsel und Gretel als Weihnachtsgabe aufführen«, teilte am 12. November 1892 der Generalintendant des Großherzoglichen Theaters in Weimar, Hans von Bronsart, dem Komponisten Engelbert Humperdinck mit. Bereits tags darauf bespricht dieser mit Hofkapellmeister Eduard Lassen und zwei Sängerinnen, darunter Pauline de Ahna, der späteren Gattin von Richard Strauss, Details der Produktion. Richard Strauss ist es schließlich, der Humperdincks Oper am 23. Dezember 1893 in Weimar uraufführt. Knapp zwei Monate, nachdem er erstmals Gelegenheit gehabt hatte, Einsicht in die neue Partitur zu nehmen. Begonnen hat die Entstehungsgeschichte von Humperdincks Märchenspiel in drei Bildern je nach Sichtweise 1888, jedenfalls aber 1890. Wie man ihrer Selbstbiographie entnehmen kann, »ersann« Humperdincks mit einem Arzt in Frankfurt verheiratete Schwester Adelheid Wette zur Unterhaltung ihrer Kinder »manches Spiel, ernst und heiter, und auf diese Weise entstanden dann auch kleine Märchenspiele in Reimen, zu denen der gefällige Onkel

Engelbert gerne einige Melodien spendete«. Die erste dieser Arbeiten war das kleine Märchenspiel Schneewittchen, für das Humperdinck im Dezember 1888 einige Lieder vertonte. Erste Ideen für ein Hänsel und Gretel-Sujet gibt es zwei Jahre später. Im kleinen Taschenkalender von Adelheid Wette findet sich neben einer Reihe von Kochrezepten die Notiz: »Hänsel und Gretel. Erster Entwurf« mit einigen Versen. Konkreter zeichnen sich ihre Ideen in einem Brief an ihren Bruder vom April 1890 ab. Darin umreißt sie das Sujet schon ziemlich deutlich: »Hänsel und Grethel sind allein zu Hause, sie sind hungrig bei der Arbeit (Körbe flicken) u. da Grethelchen verdrießlich ist, schlägt Hänsel vor, zur Kurzweil das Tanzliedchen zu singen. Grethel ists recht, u. während sie noch recht am Tollen sind (bei dem letzten lustigen Lalala), tritt die Mutter ein, zankend und sie aus dem Häuschen treibend u.s.w. – das Uebrige kannst Du selbst lesen, sobald ich es Dir geschickt habe.« Abschließend wartet sie auch noch mit Ratschlägen zur musikalischen Gestaltung auf: »Nun sei lieb, Bruderherz, u. mach mir so etwas recht

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»EIN MEISTERWERK ALLERERSTEN R ANGES«

Hübsches, Volkstümliches; es ist mein wohlgelungenstes Werkchen und so recht mein Lieblingskindchen.« Anlass für dieses Stück war der 34. Geburtstag von Adelheids Gatten Hermann. Ihn wollte sie mit einem Märchenspiel überraschen, in dem die beiden ältesten Kinder, die 8jährige Isolde und die 7jährige Gudrun, die Hauptrollen spielen sollten. Humperdinck macht sich schon am Tag, nachdem er den Brief erhalten hatte, an die Vertonung der Texte seiner Schwester. Schließlich werden es vier Stücke für eine beziehungsweise zwei Kinderstimmen, die er Adelheid mit der Bemerkung »mit ›wendender Post‹ beinahe schicke ich dir die gewünschte Musik und hoffe, dass sie nicht weniger dein Wohlgefallen errege, als mir deine Verse« zusendet: ein »Tanzduett« (das spätere »Brüderchen, komm tanz mit mir«), »Echolied«, »Schlummerlied« und »Kikeriki«. Am 20. Mai 1890 ist das Liederspiel Hänsel und Gretel im Hause Wette in Köln erstmals zu hören. Humperdinck ist nicht dabei. Er gratuliert seinem Schwager telegraphisch zum Geburtstag.

»EIN CASSENSTÜCK ERSTEN RANGES« Das Sujet hat ihn längst gefangen genommen. Nicht nur, dass er es wenig später mit seinen Eltern und mit Adelheid bespricht, ist davon schon die Rede im Rahmen eines Zusammentreffens mit Cosima Wagner und deren Kindern Siegfried und Daniela. Während eines Tagesausfluges Anfang Mai 1890 nach Kronberg im Taunus erzählt Cosima, dass sie kürzlich bei einer Aufführung vom Märchen der Gebrüder Grimm gewesen war, ein Thema, das bisher in die Musik noch nicht Eingang gefunden

habe. Stärker als dieser Hinweis von Cosima Wagner erweist sich das Drängen von Humperdincks Schwager Hermann Wette, dieses quasi familiäre Liederspiel zu erweitern. Bereits im Juni 1890 drängt er Humperdinck, die Arbeiten dafür unverzüglich im Herbst zu beginnen, »damit das Stück womöglich noch im Winter herauskommt und ein ›Cassenstück ersten Ranges‹ muß es werden, anders thue ich’s nicht«, legt er die Erwartungshaltung hoch. Humperdinck nimmt sich dies zu Herzen, seine Schwester und sein Schwager schicken ihm neue Texte. Auch Humperdincks Vater Gustav Ferdinand Humperdinck, zuletzt Direktor am Lehrerinnen-Seminar in Xanten, steuert eine Szene für das Stück bei, die übrigens mit der endgültigen Opernfassung ziemlich ident ist, nämlich der dritten Szene des ersten Aktes. Ob sich Humperdincks Mühe gelohnt hat? Nachdem er die bis dahin fertigen Teile des Singspiels im September 1890 bei den Wettes in Köln vor geladenen Gästen erstmals präsentiert hatte, resümiert er enttäuscht in seinem Taschenkalender: »Bei Wettes Hänsel und Gretel durchprobirt ca. 1 Stunde. Langweilige Stimmung.« An das Aufgeben denkt der Komponist, der gerade dabei ist, eine Tätigkeit als Opernkritiker der renommierten Frankfurter Zeitung und als Lehrer am Hoch’schen Konservatorium zu beginnen, nicht. Im Gegenteil. Er erzählt Dr. Ludwig Strecker, dem Leiter des angesehenen Schott-Verlags, von seinem Vorhaben, das bei diesem begeisterte Zustimmung findet. Strecker wolle »gern den Text vervielfältigen«, berichtet Humperdinck von diesem Gespräch beglückt seiner Schwester und seinem Schwager, der immer mehr zu seinem

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WA LT E R D OB N E R

engsten Mitstreiter an diesem Projekt wird. So sehr, dass Adelheid nur mehr peripher in den Fortgang eingebunden ist. Das relativiert die Sicht, wonach Humperdinck die Idee zur Oper Hänsel und Gretel seiner Schwester Adelheid verdankt. Hermann Wette ist es auch, der Humperdinck im November 1890 aus einer kleinen Depression herausholt und ihn ausdrücklich bittet, sein künstlerisches Talent nicht zu unterschätzen. Zuvor hatte Humperdinck seiner Verlobten Hedwig Taxer geklagt: »Mit Hänsel und Gretel will’s noch immer nicht recht voran; es scheint, dass hier nicht die richtige Luft dafür ist.« Schuld an dieser Stimmung war, dass der Text immer noch nicht vollständig vorlag, aber auch, dass er nicht, wie erwartet, Komposition am Konservatorium unterrichten konnte. Jedenfalls ist dieses Tief rasch überwunden, denn zur Verlobung am Weihnachtstag 1890 kann der Komponist seiner Hedwig das Particell des Singspiels Hänsel und Gretel schenken.

»EIN KLEINER EINAKTER« Mittlerweile ist Humperdinck überzeugt, mit Hänsel und Gretel eine große Oper vorzulegen. So schreibt er am 16. Jänner 1891 an den Münchner Hofkapellmeister Hermann Levi: »Der ›kleine Einakter‹ wird bald fertig sein und hoffentlich die Bühnen überschwemmen. Sie meinen, daß Ihr großes Haus nicht dazu geeignet wäre? Na, da es sich um Märchenzauber handelt, so kommen einige Evolutionen und dgl. mit großem Orchester (natürlich kein Nibelungenorchester!) darin vor, die m. E. in einem größeren Hause am Platz wären. So lange es noch nicht fertig ist,

spreche ich nicht gerne davon. Doch würde es mir später große Freude machen, wenn Sie es gelegentlich kennen lernen wollten«, übt sich Humperdinck in klug vorausschauender Diplomatie. Mit Erfolg, wie die Aufführungsgeschichte von Hänsel und Gretel zeigt: Mottl dirigiert am 30. Dezember 1893, damit sieben Tage nach der Uraufführung in Weimar, die Münchner Erstaufführung dieses Welterfolgs. Noch ist es nicht soweit. Im Jänner 1891 ist Humperdinck mit der Instrumentation des Singspiels beschäftigt. Kaum hat er sich an die Arbeit gemacht, kommen ihm Zweifel, ob er es bei der Ausarbeitung des »Flickwerks«, wie er es nennt, belassen oder nicht doch der Versuchung widerstehen soll, »das Stück ganz durchzukomponiren«, wie er am 18. Jänner 1891 seinem Schwager und am 22. Jänner 1891 seiner Verlobten mitteilt. Wenig später lässt Humperdinck Hermann Wette die durchkomponierte Kinderszene zukommen. Er antwortet postwendend: »Lieber Engelbert! Mein Rat in Betreff Hänsel und Gretel ist dieser: das ganze Stück durchcomponiren!« Humperdinck und Wette arbeiten, wie ihr Briefwechsel dokumentiert, intensiv zusammen, um zu einer endgültigen Version der Oper zu kommen. Auch Adelheid, die in einem Brief ihren Bruder als »Lieber Hänsel« anspricht, liefert Vorschläge und schickt Textkopien. Wenig Anklang findet das Opernprojekt bei Cosima Wagner. Wenigstens vorerst. Humperdincks extra für die Wagners erstellte Version des Knusperwalzers für Klavier zu vier Händen bleibt unaufgeführt. Das Textbuch der Oper ist verschollen, ehe es am Vierwaldstätter See aufgefunden wird. Dann reagiert Cosima prompt,

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»EIN MEISTERWERK ALLERERSTEN R ANGES«

lobt in einem Brief an den lieben Freund Humperdinck das Libretto als »dichterisch sehr hübsch«. Sie sei überzeugt, »dass es Ihnen Gelegenheit z u an mut h igsten Tonbi ldungen gegeben hat«. Ideen für szenische Änderungen kommen jedoch zu spät, denn längst ist die Komposition bis zum 3. Bild gediehen. Plötzlich hat Humperdinck Schwierigkeiten mit ein »paar Übergängen, die mir nie nach Wunsch gelingen wollen. Wenn ich etwas Neues gefunden habe, das mir gefällt, so passt es nicht zu den anderen, und wenn ich dieses ändern will, so gibt es erst recht ein Durcheinander.« Solange das nicht gelöst ist, kann er mit der Instrumentierung nicht beginnen. Auch der Erfolg von Pietro Mascagnis neuer Oper L’amico Fritz beschäftigt ihn. Ob daraus eine Konkurrenz für Hänsel und Gretel erwachsen könnte, selbst, wenn es sich bei diesem Mascagni nur um einen Einakter, damit um kein abendfüllendes Stück handelt? Viel Zeit, darüber zu sinnieren, bleibt nicht, er will die Oper vor seiner Hochzeit fertig haben. Im Dezember setzt er mit der Komposition der Ouvertüre den Schlussstrich. Noch bevor er sie niedergeschrieben hat, informiert er einen Freund, den Musikschriftsteller Oskar Mertz, dass er sie nach dem Muster von Wagners Meistersinger-Ouvertüre gestalten werde. Kaum hat er sie zu Papier gebracht, stellt er dieses Entree Hermann Wette als »ein ziemlich ausgedehntes Musikstück« vor, »eine Art symphonischer Prolog, den man ›Kinderleben‹ betiteln könnte. Er beginnt mit dem Schutzengelchoral, von Hörnern vorgetragen, geht dann über in das ›Hokus pokus‹, welches wiederum der Melodie ›Die Englein haben’s uns im Träume gesagt‹ weichen muss, wo-

ran sich nun lustig ›Die Hexerei ist nun vorbei‹ in fröhlichem E-Dur anschließt. Dann klingt wieder der Choral hinein, der sich nun mit der Melodie ›Die Englein haben etc‹ organisch verbindet und mit dem triumphirenden ›Die HokusPokus-Hexerei ist nun vorbei‹ glanzvoll in C-Dur abschließt.« Zu Weihnachten 1891, ein Jahr nachdem er seiner Verlobten das Particell des Singspiels geschenkt hat, kann er sie nun auch mit dem Particell der Oper überraschen.

»VERHÄLTNISMÄSSIG RECHT GUT GEGANGEN« Schicksalhaft beginnt für Humperdinck das Jahr 1892: Eine ihn fortan verfolgende Schwerhörigkeit des rechten Ohrs wird diagnostiziert. Das beeinträchtigt anfangs seine Arbeit an der Instrumentation der Oper, die schließlich, nur von der Hochzeit am 19. Mai unterbrochen, zügig voranschreitet. Selbst bei der anschließenden Reise nach Bayreuth, wo das junge Ehepaar Proben und Aufführungen von Parsifal, Tristan und Isolde und Tannhäuser besucht, worüber Humperdinck in der Frankfurter Zeitung berichtet, widmet er sich der Partitur. Noch ist ihre Reinschrift nicht beendet, da schickt er bereits ein Textbuch seiner neuen Oper an den Oberregisseur des Weimarer Theaters, Fritz Brandt. »Es gefällt mir in jeder Beziehung und ich werde es unserem Generalintendanten, dem Herrn Bronsart von Schellendorf, der über neu aufzuführende Werke in letzter Instanz zu bestimmen hat, wärmstens empfehlen«, lautet dessen erfreuliches Urteil über diese Novität. Der Brief datiert vom 20. August. Zwei Monate später – die Abschrift der Partitur sollte den Komponisten noch bis zum 17. September 1893 beschäftigen –

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»EIN MEISTERWERK ALLERERSTEN R ANGES«

erhält Humperdinck Bronsarts Zusage, Hänsel und Gretel als »Weihnachtsgabe« aufzuführen. »Die gestrige erste Aufführung des Hänsel u. Gr ist nach einer recht schlechten Hauptprobe verhältnismäßig recht gut gegangen und hat allgemein sehr gefallen«, berichtet Richard Strauss dem dabei nicht anwesenden Komponisten über die Uraufführung. Am 11. Jänner 1894 langen die ersten Tantiemen ein: 27 Mark und 2 Pfennig, wie Humperdinck seinem Schwager

Hermann Wette in einem Brief berichtet. Darin macht er sich Sorgen, ob er die Ausgaben der Reisen durch die Einnahmen der Oper hereinbringen werde. Eine unnötige Überlegung, wie sich bald herausstellt, denn Hänsel und Gretel wird bereits im ersten Jahr an fast fünfzig deutschen Bühnen gespielt. Spätestens seit der Erstaufführung an der New Yorker Metropolitan Opera 1905 zählt Engelbert Humperdincks Meisterwerk zu den großen Welterfolgen der Oper.

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MARIAM BATTISTELLI als GRETEL


BRIEFWECHSEL

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SCHRIFT- LICHE DOKUMENTE ZUR ENT- STEHUNG ENGELBERT HUMPERDINCK, TAGEBUCHNOTIZ

1879

Die aufgeregten Sinne zauberten später mich Träumenden in eine herrliche Waldgegend, deren Schönheit eigentümlicher Weise jedoch weniger vom Auge als vom Ohre empfunden zu werden schien. Gemäß meinem merkwürdigen Hange zur Verquickung von Musik und (Landschafts)malerei glaubte ich den Wald wie ein großes Orchester klingen zu hören. Herrliche Streichquartettharmonien winkten mir Buchen und Tannen zu, untermischt mit dem flöten- und fagottartigen Gemurmel der Waldbäche, den langgezogenen Posaunenklängen eines nahen Wasserfalles und den sanften Trompeten- und Hornstößen der durchs Laub fallenden Sonnenstrahlen.

ENGELBERT HUMPERDINCK, TAGEBUCHNOTIZ Notiz zur Singspielfassung Spaziergang auf den Venusberg. Adelheid und die Kinder oben. böser Traum: (Schein)Totenerweckung.

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SCHRIFTLICHE DOKUMENTE ZUR ENTSTEHUNG

ENGELBERT HUMPERDINCK AN ADELHEID UND HERMANN WETTE 25. September 1890 Auf einem Spaziergange habe ich gestern auch die Ouvertüre entworfen, die sich den übrigen Musikstücken würdig anreihen soll. Die darin ausgedrückte Prolog-Idee wird durch eine gelungene kontrapunktische Verbindung des Engelliedes mit einem bekannten Kinderliedchen (»Wir haben eine Braut«) symbolisiert.

ADELHEID WETTE AN ENGELBERT HUMPERDINCK

23. Oktober 1890

Jetzt sind Wochen vergangen und nichts habe ich mehr von Hänsel und Gretel vernommen, nicht einmal einen Kuckucks- oder Hahnenschrei. Die Kinder werden doch wohl bei ihrer Irrfahrt nicht gar im tiefen Walde stecken geblieben sein oder sich etwa in Süßigkeiten übernommen haben? Vielleicht wäre es gut, ihnen einen Steckbrief nachzusenden, etwa so: »Zwei Kinder, auf den Namen Hänsel und Gretel hörend, im Walde verlorengegangen; gut entwickelt, fast zur Reife vollendet; besondere Merkmale: möchten gerne ein gutes Leben führen, haben aber nichts.« – Ja, ja wir sind alle Herren von Habenichts. – Gib Du uns nun den Ritterschlag und adle uns zu Herren Habeviel oder von Glücksstern. Es ist doch wirklich eine ganz unleidliche Sache, dass man stets mit so schweren Sorgen zu kämpfen hat. Ich möchte so gerne wieder was Neues schaffen, allein die schweren Sorgen drücken mir Geist und Gemüt darnieder. Ich weiß gar nicht, wie wir aus dieser schlimmen Geldklemme herauskommen sollen, wenn nicht bald ein Glückszufall eintritt und dieser liegt jetzt in Deiner Hand. Lieber, bester Engelbert, hilf’ uns jetzt doch mit Deiner schönen Gabe aus aller Not! Ich übertreibe wirklich nichts, die Sache ist an sich schlimm genug. Und Dir selbst ist ja auch damit geholfen, Deinem Glücke steht dann ja nichts mehr im Wege. Hast Du noch viel Arbeit? Wie geht’s eigentlich mit der Hexenballade? Ist der Übergang dazu bereits fertig? Und der Schluss des Stückchens, ist der eigentlich fertig? Ich weiß jetzt so wenig

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SCHRIFTLICHE DOKUMENTE ZUR ENTSTEHUNG

davon – wenn Hermann etwas fertiggemacht hat, so schickt er’s schnell fort. Wenn ich noch irgendwas dabei helfen kann, so soll’s gerne gescheh’n. Hoffentlich kommt das Stück doch diesen Winter noch zur Aufführung! Hast du Frau Wagner auch Hänsel und Gretel vorgestellt? Was sagt sie denn dazu?

HERMANN WETTE AN ENGELBERT HUMPERDINCK

1. Februar 1891

Die »Coupirung« der ersten Strophe des Volkliedes… »drum kann er den Gänslein auch machen kein --- Schuh« ist ebenso sinn- als zwecklos; auch würde sie den Witz völlig zerstören, welchen Hänsel mit dem Abbrechen in der zweiten Strophe macht: der Junge kommt doch nur zu dieser galgenhumoristischen »Coupirung« dadurch, dass er fühlt, etwas anderes als der Floh beißt ihn wirklich, nämlich der Hunger.

ENGELBERT HUMPERDINCK AN ADELHEID WETTE

6. Juli 1891

Es fehlt noch an einer rechten Einführung der Hexe. Ich dachte sie mir so: bei »komm knuspern wir« sind die beiden vorsichtig herangeschlichen und Hänsel bricht ein kleines Stück ab. In demselben Augenblicke ertönt die Stimme aus dem Innern und Hänsel lässt das Stück zu Boden fallen, fasst sich aber und antwortet: »Der Wind« etc. Er hebt das Stück wieder auf und findet, dass es sehr lecker ist, gibt auch Gretel, die ihn begehrlich ansieht, ein Bröckchen davon mit (»Da hast du auch was«! Vgl. Adam und Eva!). Etwas beherzter bricht er wieder ein Stück ab und macht diesmal ein großes Loch in die Wand, gleichzeitig ertönt wieder die Stimme, wodurch sich Hänsel jedoch nicht aus der Fassung bringen lässt. Während die beiden unter Scherzreden das zweite größere Stück zum Teil verzehren, zum Teil im Wämschen unterbringen, kommt die Hexe heran etc. etc. Auf diese Weise ist es natürlich, dass dem Hänsel als dem Hauptübeltäter die Schlinge umge-

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SCHRIFTLICHE DOKUMENTE ZUR ENTSTEHUNG

worfen wird. Versuche es einmal auf diese Weise zu dialogisieren, aber kurz gehalten, da bei dem Walzer vorher genug Worte gemacht wurden.

ENGELBERT HUMPERDINCK AN HEDWIG TAXER ÜBER DAS VORSPIEL 9. Dezember 1891 Die Musik behandelt ein Stück Kinderleben, welches, hoffe ich, gut geraten ist. Es ist gleichsam eine musikalische Illustration zu einem Gemälde, welches darstellt, wie spielende Kinder von einem Schutzengel vor einem nahen Abgrund behütet werden. Es beginnt mit der Weise der Engel, die dann in »Hokus pokus Holderbusch« übergeht, woran sich die Melodie »Die Englein haben’s uns im Traum gesagt« anschließt, worauf das Lied »Die H ­ exerei ist nun vorbei« in jubelnder Vereinigung mit dem Choral der 14 Engel angestimmt wird. Das Ganze hat eine teils ätherisch-zarte, teils knabenhaftfrische Klangfarbe und ist wohl ziemlich eigenartig. Ich glaube sogar, es wird gefallen.

ENGELBERT HUMPERDINCK AN HERMANN WETTE

16. Dezember 1891

Vergangenen Sonntag habe ich nun die Ouvertüre niedergeschrieben, die ein ziemlich ausgedehntes Musikstück geworden ist, eine Art symphonischer Prolog, den man ein »Kinderleben« betiteln könnte. Er beginnt mit dem Schutzengelchoral, von Hörnern vorgetragen, geht dann über in das »Hokus pokus«, welches wiederum der Melodie »Die Englein haben’s uns im Träume gesagt« weichen muss, woran sich nun lustig »Die Hexerei ist nun vorbei« in fröhlichem E-Dur anschließt. Dann klingt wieder der Choral hinein, der sich nun mit der Melodie »Die Engel habens etc.« organisch verbindet mit dem triumphierenden »Die Hokus-Pokus-Hexerei ist nun vorbei« glanzvoll in CDur abschließt. Es geht etwas lärmend darin zu, aber »sunt pueri pueri, pueri puerilia tracant« (Sind Kinder Kinder, stellen Kinder Kindisches an) und für die derbe Knabenstimme passt eben nur die Trompete.

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SCHRIFTLICHE DOKUMENTE ZUR ENTSTEHUNG

GERTRUD HUMPERDINCK AN ENGELBERT HUMPERDINCK

16. März 1893

Für Hänsel und Gretel prophezeit man großen Erfolg. Das wäre mir sehr angenehm, denn ich fange auch bereits an wie schon längst Hermann und Adelheid von »Goldregen« und dgl. zu träumen und denke auch schon an eine zweistöckige Villa mit Gärtchen etc.

ENGELBERT HUMPERDINCK AN HERMANN WETTE

7. August 1893

Frau Cosima Wagner »entzückt« über Hänsel und Gretel, hat gestern Abend höchst eigenfüßig den Knusperwalzer getanzt.

ENGELBERT HUMPERDINCK AN HERMANN LEVI ÜBER DIE HEXE 18. September 1893 Wie gefällt Dir die Frau »Rosina«? Ich glaube, dass es eine schwierige, aber auch dankbare Partie ist, sie muss sehr komisch und dabei mit einem gewissen Pathos gegeben werden. Stimmlage ist ungefähr die der Ortrud, der »Mime« ins Weibliche übersetzt.

ENGELBERT HUMPERDINCK AN HERMANN LEVI

13. November 1893

Die Ouvertüre wird nun auch bald fertig, und ich bin begierig, wie sie Dir gefallen wird. Kinder und Engel führen darin das Wort, die Hexe pausiert. Motto = Rebus (Aufzeichnung des Abendsegens in der Stimmführung von Gretel) – Auflösung: Wenn die Not aufs Höchste steigt, Gott der Herr die Hand uns reicht. Zu den Proben komme ich Anfang Dezember mit meiner Frau!

BOAZ DANIEL als VATER BESENBINDER

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SCHRIFTLICHE DOKUMENTE ZUR ENTSTEHUNG

ENGELBERT HUMPERDINCK AN ADELHEID WETTE

12. Dezember 1893

Ein Trost ist mir geblieben, die Aufführung wird gut, und außerdem habe ich heute Morgen das Glück gehabt einer Orchesterprobe beizuwohnen, die mir gegeben hat, was ich seit langer Zeit brauchte: einen großen inneren Erfolg. Mir ist zumute, wie Moses, da er das gelobte Land von Ferne sah: ich bin noch wie berauscht von dem, was ich hörte: die jugendfrische Ouvertüre, das trauliche Kinderglück, die von Humor strotzende Szene der Eltern, von der Hermann törichterweise meinte, sie sei unwirksam, das grauliche Waldweben, die verklärte Engelmusik, die sirenenhaft-zauberischen Klänge des Knusperhäuschens, der tolle Hexenritt, der einem in die Beine fährt, der herrliche Knusperwalzer und die übermütige Schlussszene; wer könnte das wieder vergessen! Zweierlei klingt aus jedem Takt entgegen: Jugend und Heiterkeit, wie man sie bei Mozart und in den Meistersingern und – sonst nirgends findet.

ENGELBERT HUMPERDINCK AN DEN DIREKTOR DER WIENER HOFOPER WILHELM JAHN 7. Dezember 1894 Die Traumpantomime bitte nicht zu prunkvoll, sondern mehr traumhaft-poetisch auszustatten, bei der bläuliche Mondscheinbelichtung mit weißen Sternbildern eine märchenhafte Stimmung hervorrufen würde. Gelbe Himmelstrahlen würde ich vollständig ausschließen. Die Himmelsleiter am besten transparent (blauer Schierling mit Glühlämpchen), mit zarten Wölkchen umgeben. Keine Heiligen, Bischöfe und Päpste, sondern nur die vierzehn Engel (die beiden Schutzengel können evtl. Schwert und Schild tragen.) Später, beim großen Crescendo können andere Engel auf der Treppe hinzukommen, die den Choral in F-Dur (Blechinstrumente) mit Musikinstrumenten begleiten.

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MARGARET PLUMMER als HÄNSEL CHEN REISS als GRETEL


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ANDREAS LÁNG

VON ERFOLG ZU ERFOLG Es gibt nicht sehr viele Opernwerke in der Musikgeschichte, die, gleichsam vom Start weg, eine derartige Erfolgsbilanz aufweisen können wie H ­ umperdincks Hänsel und Gretel – sowohl in puncto Popularität als auch in finanzieller Hinsicht. Hatten zunächst namhafte Dirigenten um die Erlaubnis gerungen, die Uraufführung leiten zu dürfen – unter anderen Hermann Levi, Felix Mottl, Ludwig Rottenberg und Richard Strauss –, so schienen kurz darauf zahlreiche Operndirektoren förmlich miteinander zu wetteifern, wer von ihnen das Stück als Erster herausbringen könnte. Der tosende Beifall der Uraufführung in Weimar (23. Dezember 1893) war gewissermaßen noch gar nicht verklungen, als man Hänsel und Gretel bereits am Münchner Nationaltheater (30. Dezember 1893) beziehungsweise in Karlsruhe (5. Jänner 1894) erleben konnte. Und in diesem Sinne ging es weiter – nahezu im Wochentakt folgte eine Bühne nach der anderen, ohne dass der Triumph abebbte – im Gegenteil. Der damalige 1. Kapellmeister der Stadttheater Hamburg, Gustav Mahler, brachte die Novität in seinem Haus mit großem Enthusiasmus ebenso heraus wie Felix von Weingartner in Berlin (der Berliner Premiere wohnte sogar der deutsche Kaiser Wilhelm II. bei und spendete dem Komponisten persönlich Lob). Nach einem Jahr h ­ atten rund 50 Bühnen im damaligen Deutschland das Stück nachgespielt. Außerhalb von Humperdincks Heimatland sah es aber um keinen Deut anders aus: Hermannstadt im damals österreichisch-ungarischen Siebenbürgen (heute das rumänische Sibiu) durfte sich glücklich schätzen, den »Außerdeutschen« Aufführungsreigen anzuführen (13. September 1894), es folgten unter anderem Basel (16. November 1894), die quasi-österrei-

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VON ERFOLG ZU ERFOLG

chische Erstaufführung in Graz (11. Dezember), die Wiener Hofoper (18. Dezember 1894), Zürich (21. Dezember), ein paar Tage drauf konnte das englische Publikum am Daly’s Theatre Bekanntschaft mit ­Hänsel und Gretel schließen (26. Dezember 1894), am 1. Jänner 1895 jenes von Prag, wenig später fand die US-amerikanische Erstaufführung statt. Den endgültigen internationalen und zugleich dauerhaften Durchbruch brachte schließlich eine überaus gelungene Produktion an der New Yorker Metropolitan Opera im Beisein Humperdincks (25. November 1905). Die überaus gewaltige Popularität von Hänsel und Gretel wird darüber hinaus einerseits durch die innerhalb kürzester Zeit entstandenen großen Zahl an Übersetzungen des Librettos dokumentiert und andererseits durch die Bedeutung, die diese Oper in der Übertragungsgeschichte einnimmt: Am 9. Jänner 1923 wurde Hänsel und Gretel als weltweit zweite komplette Oper (nach der Zauberflöte) via Radio live aus dem Royal Opera House Covent Garden in Tausende Londoner Haushalte gesendet, am 25. Dezember 1931 konnten die New Yorker das Werk als erste Gesamtoper im Rahmen der Metropolitan Opera Radio broadcast live miterleben und am 23. Dezember 1943 als erste Fernsehübertragung einer vollständigen Opernaufführung.

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PAU LUS HOCHGAT T ER ER

APROPOS LEBKUCHEN Märchen haben es in sich. Wie Wetterbäume scheinen sie immer schon da gewesen zu sein und blicken zugleich auf die Welt wie fünfjährige Kinder. Die wesentliche Erfahrung, die diejenigen zwangsläufig machen, die den Versuch unternehmen, Märchen zu deuten oder zu erklären, ist jene von Irrtum und Insuffizienz. Der rein mythologische Zugang wird relativiert durch sozialgeschichtliche Argumente, die rein pädagogische Perspektive wird widerlegt durch die literaturwissenschaftliche Sicht und der Psychoanalytiker, der sich soeben enthusiastisch der sexualmetaphorischen Bedeutung von Märchenfröschen gewidmet hat, trifft unter Garantie auf einen Zoologen, der ihm davon erzählt, wie es sich im 16. Jahrhundert am Niederrhein mit den realen Amphibien verhalten hat. Auf den Punkt gebracht: Märchen sind immer stärker als ihre Exegese. Das ist ein wenig ärgerlich für die Ex­egeten, schön freilich für alle anderen. Geschichten, die sich einer gültigen Deutung widersetzen, widersetzen sich der Weglegung. Geschichten, die Rätsel enthalten oder selbst Rätsel darstellen, neigen deutlich weniger dazu, in A ­ rchiven oder Bibliotheken zu verschwinden als andere. Märchen in ­ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Vieldeutigkeit, ihrem Changieren zwischen bürgerlichem Biedersinn, grellbunter Grausamkeit und phantasmatischem Zauber sind vor allem Rätsel. Daher erzählt man sie immer noch.

Einer der häufigsten Irrtümer im Umgang mit Märchen ist übrigens die Annahme, dass Kinder sie notwendigerweise mögen. (Ob Kinder Märchen brauchen, ist eine andere Frage. Michael Maar hat in seiner wunderbaren kleinen Schrift Hexengewisper dem bekannten und durch den Psychoanalytiker Bruno Bettelheim zum Buchtitel gewordenen Postulat Kinder brauchen Märchen die Frage entgegengehalten: Brauchen Kinder Bettelheim? Ich glaube, nicht.) Die meisten Kinder mögen viel lieber Comics als M ­ ärchen, sie mögen Instagram und WhatsApp oder äußerstenfalls Harry Potter. Sie sagen das auch. Fragt man hingegen Erwachsene, neigen dieselben zur Behauptung, sie hätten als Kind selbstverständlich Märchen gemocht; meistens sind sie sogar in der Lage, ihr Lieblingsmärchen von damals zu nennen. Ich denke, diese Verschiebung der Dinge in der Rückschau hat ebenfalls mit der enigmatischen Grundstruktur von Märchen zu tun. Dinge, die Rätsel enthalten oder selbst Rätsel darstellen, erzählt man nicht nur über Jahrhunderte hinweg, sie bleiben als unerledigte Universalien, als winzige Glutkerne in einem vorhanden, egal, ob man sie als Kind gemocht hat oder nicht. Märchen beschäftigen einen, auch wenn man sich nicht von Anfang an mit ihnen beschäftigt hat. Stellt man den Menschen die Frage nach dem Lieblingsmärchen, wird übrigens am häufigsten Hänsel und G ­ retel genannt. Womit wir bei unserem eigentlichen Thema wären.

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APROPOS LEBKUCHEN

Betrachtet man Engelbert Humperdincks Bearbeitung des Hänsel und Gretel-Stoffes bzw. vor allem das Libretto seiner Schwester Adelheid Wette und ihres Mannes Hermann, steht man in Kenntnis der Version der Brüder Grimm aus ihren Kinder- und Hausmärchen zwar vor keinem Rätsel von oben genannter Dimension, immerhin jedoch vor ein paar Fragen. Womit hat es etwa der Vater der Kinder verdient, dass man ihm seinen durchaus ehrenwerten Beruf eines Holzhackers aberkennt und ihn zum Besenbinder macht? Hat das mit der größeren Wahrscheinlichkeit eines konjunkturell bedingten Einkommensschubes in dieser Branche zu tun oder mit der Absicht der Autoren, damit die unbewusste Ambivalenz in seiner Haltung gegenüber Hexen zu illustrieren? Oder verdankt sich die Umschulung des Mannes gar einem eher wenig subtilen sexualmetaphorischen Kalkül?! Wozu ist der Besen des Binders schließlich gut? »Der Besen, der Besen, – was macht man damit? Es reiten drauf die Hexen!« Warum werden zwar Hunger und Mangel als dynamisches Grundelement der Geschichte belassen, aber dann doch durch den Milchkrug, der da herumsteht und zur Imagination von Reisbrei auffordert, deutlich relativiert – wenig später endgültig durch Speck, Butter, Würste und Kaffee, die der Vater in seinem Rucksack nach Hause bringt? »Hunger ist der beste Koch.« Na ja. Wenn Peter, Hänsels und Gretels Vater das singt, hat der Koch eindeutig größeres metaphorisches Gewicht als der Hunger. Im Wald futtern die Kinder wenig später den Korb mit den Erdbeeren leer, den sie zuvor randvoll gemacht haben. Von bloß trockenem Brot wie

in der Grimm’schen Version ist längst keine Rede mehr. Und woher kommen plötzlich diese magischen Figuren, das Sand- und das Taumännchen? Im Märchen gab es sie noch nicht. Engel waren auch keine da, nicht zwei, nicht drei und schon gar nicht vierzehn. Im Märchen werden Hänsel und Gretel zwar auch von einem Vertreter der Spezies der flügeltragenden Wesen zum Haus der Hexe geleitet, allerdings handelt es sich dabei eindeutig um einen Vogel und nicht um einen transzendenten Himmelsbewohner. In auffälliger Weise verzichtet das Libretto der Oper auf die uns allen bekannte Doppelschleife der Kinder durch den Wald, auf die im Sinn einer enger werdenden Spirale Spannung versprechende Episode mit den Kieselsteinen und Brotbröckchen. Stattdessen muss Brüderchen mit Schwesterchen tanzen, obwohl es dramaturgisch wenig Sinn ergibt und der Knabe sich nach Kräften zur Wehr setzt: »Mit kleinen Mädchen tanz ich nicht, das ist mir viel zu dumm.« Wozu der Einschub? Nur um ein bekanntes Volkslied unterzubringen? Weshalb stattet man die OpernHexe mit Zaubersprüchen aus, die die Hexe der Brüder Grimm noch nicht gebraucht hat, und weshalb wird das ­Hexenhaus am Ende ganz und gar zur Lebkuchenbackstube, in der unter Er­ lösungsklängen eine Massenauferstehung begangen wird? Märchen haben es in sich. Dort waren wir schon. Märchen überdauern nicht nur, weil sie Rätsel in sich bergen, sondern vor allem auch, weil sie schwer erträgliche, kaum aussprechbare, tausendfach verborgene und tabuisierte Dinge vermitteln, manchmal verschlungen und symbolisch überformt, vielfach jedoch gerade und unverblümt.

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PAU LUS HOCHGAT T ER ER

Ein entscheidender Aspekt der Geschichte des Geschwisterpaares Hänsel und Gretel in der Version der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen scheint auch für das Geschwisterpaar Adelheid Wette und Engelbert Humperdinck schwer erträglich gewesen zu sein. Die psychopathische Grausamkeit der Märchen-Mutter, die nachhaltig bereit ist, das Leben ihrer Kinder den eigenen Bedürfnissen zu opfern, wird in der Oper umgeformt zu einer psychischen Verfassung, die zwar auch nicht völlig frei ist von Aggression, im Wesentlichen jedoch einer depressiven Erschöpfung entspricht. Zumindest heute würden wir das so sehen. »Müde bin ich, müde zum Sterben.« Eine Mutter, die infolge des fortgesetzten Kampfes ums tägliche Auskommen aufgrund der Unzuverlässigkeit ihres Ehemannes und vielleicht auch wegen seiner Affinität zum Kümmelschnaps am Ende so müde ist, dass sie sterben möchte, hält man – als Rezipient wie auch als Librettist – eindeutig leichter aus als eine Mutter, der es gar nicht schnell genug gehen kann, ihre Kinder in den Tod zu schicken. Man versteht das, auf der einen Seite, und bräuchte sich zur Untermauerung nicht einmal vor Augen zu führen, dass zwischen dem ersten Erscheinen der Grimm’schen Märchensammlung und der Uraufführung von Humperdincks Oper die gesamte Deutsche Romantik mit ihrer Tendenz zur Mutteridealisierung liegt; auf der anderen Seite muss einem klar sein, dass der Wandel des Persönlichkeitsprofils der Mutter von der Kindsmörderin hin zur bloß Verzweifelten die gesamte Geschichte entscheidend umformt. Vor allem das Funktionsprofil der Hexe verändert sich gravierend. Als Projektionsfigur der Schreckens- und

Rachephantasien der Kinder ist sie sinnlos geworden. In Ermangelung einer bösen Mutter ist die Opernhexe zwar nach wie vor auf der Suche nach fetten Kindern, die sie fressen kann, mehr noch allerdings auf der Suche nach einer plausiblen psychologischen Existenzberechtigung. Am ehesten gewährt ihr dieselbe Peter, der Vater, am Schluss des ersten Aktes. Angesichts der Erzählung seiner Frau, sie habe die Kinder aus Zorn über den zerbrochenen Milchtopf zum Beerensammeln in den Wald geschickt, in Richtung Ilsenstein, erfasst ihn das Grauen: »Weißt du nicht, dass die Böse dort wohnt?« Auf der Bühne führt er uns die Hexe nicht nur bildhaft vor Augen, samt Knusperhaus und Lebkuchenkindern, sondern antizipiert in Wahrheit auch den Rest der Geschichte. Der aus der Realitätsnähe des Grimm’schen Märchens auf eine magische Ebene gerückte Hexenabschnitt der Erzählung erscheint in der Oper somit in erster Linie als Angstvision des Vaters. Dass diese Lesart nicht ganz unzulässig ist, zeigt sich schließlich im Schlussbild der Geschichte, wenn sich der Vater mit der Hexe konfrontiert. Sie ist – wie am Ende der erfolgreichen Verhaltenstherapie einer Angststörung – bloß aus Lebkuchen! Apropos bloß Lebkuchen: Eine Geschichte, die durch Abschaffung der bösen Mutter auf den Kindesmord verzichtet, lässt den echten Tod offenbar gleich ganz bleiben. Die Hexenverbrennung wird im Sinn des erwähnten Wechsels von der Realitätsnähe auf eine magische Ebene durch die Lebkuchenmetamorphose ersetzt. Das ist nicht nur schonender für die Psyche des Betrachters, sondern insofern schlüssig, als für die beiden Kinder die psychische

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APROPOS LEBKUCHEN

Notwendigkeit der Identifikation mit der Aggressorin, also der Mutter, wegfällt. Somit bleibt Hänsel und Gretel das Tötungsdelikt samt möglicherweise lebenslangen Schuldgefühlen erspart. Das gönnt man ihnen. Eins freilich darf man ein wenig schade finden. Dadurch, dass bei Gertrud, der Opernmutter, nicht nur die Inkaufnahme des Todes der Kinder fehlt, sondern auch die dahinter stehende narzisstische Gier, haben Hänsel und Gretel kein identifikationsbedingtes Motiv, die Hinterlassenschaft der Hexe

zu plündern. Also keine Perlen und Edelsteine wie im Märchen. Vielleicht macht der Vater bald wieder ein gutes Geschäft. Was man geneigt ist zu verstehen, ist das Fehlen jener weißen Ente in ­der Opernhandlung, die am Schluss des Grimm’schen Märchens die beiden K ­ inder über einen großen Teich zurück nach Hause trägt. Engelbert Humperdinck war ab 1880 persönlicher Assistent von Richard Wagner. Den ­Lohengrin hat er wahrscheinlich schon davor gekannt.

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Folgende Seiten: KS ADRIAN ERÖD als VATER BESENBINDER JANINA BAECHLE als MUTTER




KEINES- FALLS NUR VOLKS- LIEDER Nicht nur heutige Hörer laufen beim Anhören von Humperdincks Hänsel und Gretel Gefahr, die Partitur dieser Oper als eine Ansammlung zahlreicher Kinder- und Volkslieder und den Komponisten lediglich als eine Art Arrangeur derselben anzusehen. Schon Eduard Hanslick und manche seiner Zeitgenossen vertraten irrtümlicher Weise diese These. Wie falsch diese Ansicht ist, hat Humperdincks Sohn in der Biographie seines Vaters ausführlich dargelegt, und der betreffende Abschnitt dieses Buches soll an dieser Stelle ausschnittsweise wiedergegeben werden: »Wir haben uns noch mit einem Großen aus dem Gebiet der Musikwissenschaft zu beschäftigen, dem 1919 verstorbenen Hugo Riemann. Es kann nicht unwidersprochen bleiben, dass er mit seiner verständnislosen ­Einschätzung die Meinung hervorruft, als beruhe der Erfolg der Oper ­Hänsel und Gretel lediglich auf einer ›Reihe reizender, besonders in Westfalen allbekannter Kinderlieder‹, denen der Komponist eine ›schmucke Fassung‹ gegeben habe. Dieses sonderbare Urteil, offensichtlich ohne ernstere Prü-

fung, erschien in mehreren Auflagen des vielgelesenen Musiklexikons und blieb nicht ohne Einfluss. Dabei hatte schon 1895 Richard Batka festgestellt, dass nur ›zwei‹ nichteigene Kindervolkslieder, jedoch verfeinert, in der Oper enthalten sind (das Suse, liebe Suse und das Hagebuttenlied). Dem sei noch hinzugefügt, dass, melodisch benutzt, zwei kurze Zitate im ersten und dritten Bild aufklingen: einmal bei der Erzählung des Besenbinders von der Kirmes hinterm Herrenwald, wofür Humperdinck als fröhliche Reminiszenz seiner Jugend einige Takte des auch heute noch in Siegburg zu hörenden Fähndelschwingerliedes verwandte, und das andere Mal das dreifache Erklingen der zweitaktigen Weise: Schwesterlein, hüt dich fein. (Übrigens auch von Brahms in seinem Schwesterlein, Schwesterlein, wann geh’n wir nach Haus? gebraucht.) Dagegen sind der oft fälschlich als Volkslied bezeichnete Abendsegen und das Tanzduett Brüderchen, komm tanz’ mit mir nur als Texte dem Volksgut entnommen, während die Musik hierzu Originalkomposition ist. Von den anderen inzwischen volkstümlich gewor-

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K EI N E SFA L L S N U R VOL K SL I EDER

denen Liedern der Oper ganz zu schweigen. Es ist nun wirklich absurd, wollte man behaupten, der Welterfolg von ­Hänsel und Gretel rühre von den beiden ›besonders in Westfalen bekannten‹ ­K inderliedern her, wie es ebenso abwegig wäre, ihn nur auf die Beliebtheit des Märchenstoffes zurückzuführen. Wieviel beliebte Märchen und Kinder-

lieder sind seitdem nicht schon auf den Musikbühnen verwendet worden. Weder die Lieder noch das Märchen sind in vielen Ländern des Auslands, wo das Werk Triumphe erlebte und heute noch gegeben wird, populär, ja nicht einmal bekannt. So auch in Japan und Indonesien, wo das Werk in der dort heimischen Sprache ­gegeben wird.«

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BRIEF- WECHSEL RICHARD STRAUSS AN ENGELBERT HUMPERDINCK

1. November 1893

Mein lieber Freund! Soeben habe ich die Partitur Deines Hänsel und Gretel durchgelesen und setze mich gleich hin, um zu versuchen, Dir zu schildern, in welch hohem Grade mich Dein Werk entzückt hat. Wahrlich, es ist ein Meisterwerk erster Güte, zu dessen glücklicher Vollendung ich Dir meinen innigsten Glückwunsch und meine vollste Bewunderung zu Füßen lege; das ist wieder seit langer Zeit etwas, was mir imponiert hat. Welch’ herzerfrischender Humor, welch köstlich naive Melodik, welch Kunst und Freiheit in der Behandlung des Orchesters, welche Vollendung in der Gestaltung des Ganzen, welch’ blühende Erfindung, welch prachtvolle Polyphonie – und alles originell, neu und so echt deutsch! Mein lieber Freund, Du bist ein großer Meister, der den lieben Deutschen ein Werk beschert, das sie kaum verdienen, trotzdem aber hoffentlich recht bald in seiner ganzen Bedeutung zu würdigen wissen werden. Na und wenn nicht, so hab’ einstweilen von einem treuen Freund und Gesinnungsgenossen innigsten Dank für die Freude, die Du ihm bereitet hast. Ich denke, Hänsel und Gretel soll hier an Weihnachten herauskommen, ich bitt mir aber dringend aus, dass Du darauf bestehst, dass ich es dirigiere – der alte Simpel Lassen soll da nicht dran! Es ist verteufelt schwer – das Hänselchen!

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BRIEFWECHSEL

ENGELBERT HUMPERDINCK AN RICHARD STRAUSS

1. November 1893

Deine liebenswürdigen Zeilen über Hänsel und Gretel haben mich sehr glücklich gemacht. – Ein solches Lob aus einem solchen Munde, das war mehr, als ich erwarten durfte. Dein Brief ist für mich der schönste Lohn meiner Arbeit, er ist aber auch zugleich ein neuer Beweis, daß Du nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein großer Mensch bist. Jetzt freue ich mich doppelt auf die Aufführung in Weimar. Unter Deiner Leitung (die ich mir selbstverständlich ausbitten werde) muss das Stück ja die Wirkung haben, die ich mir davon versprochen habe.

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EINE WOCHE WIEN Einen der schönsten Erfolge feierte Hänsel und Gretel am 18. Dezember 1894 bei der Wiener Erstaufführung an der Hofoper (heutige Wiener Staatsoper). Wie bei vielen anderen wichtigen Premieren seiner Werke war Engelbert Humperdinck auch in der Donaumetropole anwesend, um die Aufnahme »seines Kindes« persönlich miterleben zu können – er wohnte übrigens im Hotel Sacher. Im Folgenden sind seine Tagebucheintragungen dieser Zeit wiedergegeben. Sie zeigen, dass er die Woche, die er hier in Wien verbrachte, durchaus auch nutzte, um Freundschaften mit Kollegen zu pflegen.

15.12.1894

Ankunft in Wien mit Frau.

16.12.1894

Sonntagabend Besuch von Hugo Wolf.

17.12.1894

Morgens Café Scheidt. Mit Wolf im Opernhaus. Generalprobe. Von Jahn dem Orchester vorgestellt. Publikum kühl. Abends: Mit Wolf zum Spaten, dann mit Eckstein zum » ­ Gartenbaurestaurant« Wiener Musikhalle. Zuletzt Improvisator mit Gedicht auf Hänsel und Gretel.

18.12.1894

Nachmittags Wolf zu Hause. 7 Uhr Opernhaus. Loge Nr. 11. Ballett Die Willis, darauf zum 1. Mal Hänsel und Gretel. Nach II. und III. Bild enthusiastische Hervorrufe (18?), später mit Wolf, Eckstein, Kamer, Singers beim Spaten bis 1 Uhr.

19.12. 1894 Mit Hedwig bei Johannes Brahms (BöcklinSammlung).

ENGELBERT HUMPERDINCK-KARIKATUR von OLAF GULBRANSSON

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EINE WOCHE WIEN

20.12. 1894 Besuch bei Hans Richter im Opernhaus. Mit Hedwig im Roten Igel, Brahms und das böhmische Quartett dort. Mit Brahms in der Stephanskirche und im Café. 7 Uhr Hofburgtheater Sommernachtstraum. 21.12. 1894 Mittags mit Brahms im Roten Igel. Auf der Straße Bekanntschaft mit Hanslick. Abends Hänsel und Gretel mit Wolf. ­Kaiser zugegen. 11 Uhr mit Wolf im Roten Igel. 22.12. 1894 Mittags mit Wolf beim Spaten. Abends 8 Uhr Abfahrt vom Westbahnhof über Passau nach Nürnberg.

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KS ADRIAN ERÖD als VATER BESENBINDER


KOPFZEILE

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ANDREAS LÁNG

HANSEL UND GRETEL AN DER WIENER STAATSOPER Der Siegeszug, den Humperdincks Hänsel und Gretel gleich nach der von Richard Strauss dirigierten erfolgreichen deutschen Weltpremiere antrat, erreichte innerhalb eines Jahres auch die Donaumetropole, genauer die Wiener Hofoper: Direktor Wilhelm Jahn leitete die weihnachtliche Premiere am 18. Dezember 1894 persönlich. Damit hatte das Werk also hierzulande ebenfalls von Anbeginn an Chefsachen-Charakter – und schöpfte in puncto Besetzung so richtig aus dem Vollen. So sang etwa Marie Renard, die gefeierte Charlotte der Werther-Uraufführung, den Hänsel und Paula Mark, die Mahler-Biograf Richard Specht als »stärkste und wahrhafteste Begabung« des Ensembles pries, die Gretel. Die kleineren Rollen waren ähnlich hochkarätig: Die beiden bedeutenden Koloratursopranistinnen Irene Abendroth und Marie Lehmann verkörperten das Sandmännchen re-

spektive die Hexe, die verdienten Ensemblesänger Josef Ritter und Luise Kaulich das Besenbinder-Paar. Eduard Hanslick ließ es sich demzufolge nicht nehmen, das Werk und die Premiere in der Neuen Freien Presse in einem sechsspaltigen Artikel (beginnend auf der Titelseite der Zeitung) ausführlich zu besprechen. Ausnahmsweise euphorisch übrigens – zumindest, was die Aufführung selbst betraf. So begann er seine Kritik mit »Das Geschwisterpaar Hänsel und Gretel hat gestern in Wien vollständig gesiegt, wie früher schon in den vornehmsten Musikstädten Deutschlands«, und endete mit »Voran sind Frl. Renard und Frl. Mark zu nennen, die sich in ihren schwierigen Rollen wieder als Talente allerersten Ranges bewährt haben. Kein Lob ist zu groß für den Geist, mit dem sie ihre Aufgabe erfasst, und für die reizenden Details, womit sie dieselbe verschwenderisch ausge-

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HÄNSEL UND GRETEL AN DER WIENER STAATSOPER

schmückt haben. Welche besser sei, die Renard oder die Mark? Ich glaube alle beide. Mit einer vortrefflichen … Leistung gesellt sich ihnen Fräulein Lehmann als Hexe zu … Dazu das virtuose Hofopern-Orchester und die blendende Ausstattung Anton Brioschis – was konnte da noch fehlen zu einem vollständigen Erfolg?« (Das Werk selbst kam bei Hanslick weniger gut weg – was bei einem Komponisten in der Wagner-Nachfolge, wie Humperdinck es nun einmal war, kaum verwundert.) Wie sehr Humperdinck »sein Kind« als Ganzes am Herzen lag und wie sehr der Komponist Musik und Inszenierung als ein zusammengehörendes Ganzes verstand, zeigt sich in einem Brief, den er Wilhelm Jahn noch vor der Wiener Premiere geschrieben hatte, in dem er einige Hinweise in Bezug auf das Bühnenbild gab – so sollte beispielsweise die Traumpantomime nicht zu prunkvoll, sondern mehr traumhaft-poetisch ausgestattet werden. In der Biographie über seinen Vater beschreibt Wolfram Humperdinck den großen Erfolg der Wiener Erstaufführung (an diesem Abend wurde neben Hänsel und Gretel auch das Ballett Giselle gespielt) ziemlich ausführlich und weist auf einen weiteren wichtigen Komponistenkollegen hin, dem die neue Oper offensichtlich gut gefiel: »Auch Johannes Brahms war einer der Zuhörer, dem das Werk starken Eindruck machte. Am nächsten Morgen suchte er Humperdinck im Hotel Sacher auf und hinterließ, da er ihn nicht antraf, seine Karte mit warmen Dankesworten. Als Humperdinck den Besuch erwiderte, bekannte ihm Brahms seine tiefe Freude über die Schöpfung.« So gegensätzlich Gustav Mahler und Felix von Weingartner, die beiden

Nachfolger Wilhelm Jahns auf dem Direktionssessel, auch waren, in der hohen Wertschätzung von Hänsel und Gretel waren sie einer Meinung – dementsprechend oft war das Werk bis 1910 jahraus, jahrein angesetzt: nicht weniger als 144 Mal. Nach einer zwölfjährigen Pause wurde dann in der Direktion von Richard Strauss, einem weiteren gewichtigen Protegé dieses Stückes, an der erfolgreichen Wiener Aufführungsgeschichte weitergeschrieben: Ab 1922 konnte man Humperdincks Märchenoper in der Neuinszenierung von Woldemar Runge und in den Bühnenbildern von Robert Kautsky bewundern – und selbstverständlich stand Strauss bei der Premiere und einigen Folgevorstellungen selbst am Pult – wie gesagt: Chefsache. Julius Korngold lobte in seiner Presse-Kritik, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Hanslick, zwar das Werk, doch ließ er – als Gegner der Strauss’schen Direktion – hinsichtlich der Aufführung die eine oder andere Spitze aufblitzen. »Frau Schumann und Fräulein Anday [als Hänsel und Gretel] schienen es nicht nötig zu haben, von der bösen Hexe künstlich aufgefüttert zu werden …«, lautete beispielsweise eine Randbemerkung, oder: »Hänsel wie Gretel machen ihre Sache ganz artig, soweit man sich nicht unvorsichtig Gedanken an vergangene Glanzdarstellungen überließ.« Immerhin pries er Marie Gutheil-Schoders Hexe (»Die Künstlerin singt und agiert mit und ohne Besen mit Virtuosität und Humor«) und ließ die restliche Besetzung leben. Das Lob, das er dem Dirigat zukommen ließ – sofern es überhaupt eines war –, quoll geradezu über vor Zwischentönen (»Im Orchester betätigte sich Richard Strauss seiner Vorliebe für das Anmutige, Naive, für das Mozartische …«).

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HÄNSEL UND GRETEL AN DER WIENER STAATSOPER

Das Wichtigste war jedoch, dass dem Publikum Stück, Produktion und Interpreten im Allgemeinen ausnehmend gut gefielen, was zu einer 22jährigen Laufzeit der Inszenierung führte (wobei die ehemalige Hexe Marie Gutheil-Schoder zwischen 1930 und 1933 für die Spielleitung, also gewissermaßen für Änderungen, Adaptierungen und szenische Oberhoheit in der Regie verantwortlich zeichnete). Dass die 69. Vorstellung dieser Produktion am 30. März 1944 für mehr als 70 Jahre zugleich die letzte Aufführung von Hänsel und Gretel im Haus am Ring sein sollte, hätten damals viele im Publikum (und auch in der Direktion) wohl für undenkbar gehalten. Immerhin setzte man Hänsel

ANDREA CARROLL als GRETEL

und Gretel bereits 1945 im Ausweichquartier Volksoperngebäude wieder auf den Spielplan und zeigte die populäre Märchenoper regelmäßig bis 1954. Doch dann setzte ein Paradigmenwechsel ein: Hänsel und Gretel haftete hierzulande mit einem Mal der ausschließliche Geruch der Kinderoper an und so wollte der Sprung zurück an die Wiener Staatsoper vorerst nicht mehr gelingen. Wer in Wien gute bis hervorragende Hänsel und Gretel-Aufführungen erleben wollte, konnte dies für lange Zeit vornehmlich an der Wiener Volksoper tun. Diese Lücke im Spielplan des Ersten Wiener Opernhauses wurde mit der Premiere der aktuellen Produktion am 19. November 2015 schließlich geschlossen.

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HUBERT DEUTSCH

HANSEL UND GRETEL ANNO DAZUMAL Meine Erinnerungen an Hänsel und Gretel in der Wiener Staatsoper ­d atieren zurück in das Jahr 1939. Auch damals wurde diese wunderbare Märchenoper um die Weihnachtszeit herum angesetzt – übrigens nicht als abendfüllendes Stück, sondern gekoppelt mit dem populären Wiener Ballett­ Die Puppenfee. Das genaue Datum war der 25. Dezember 1939. Die Inszenierung lief bereits seit 1922 und war nach der Erstaufführung der Oper im Haus am Ring die erste Neuinszenierung, die für die ­Premiere von niemand Geringerem als vom Uraufführungsdirigenten Richard Strauss einstudiert worden war. »Meine« Aufführung wurde allerdings »nur« von Anton Paulik geleitet, dessen Karriere als Operettendirigent bereits begonnen hatte. Er war ein glänzender Kapellmeister. Den Hänsel sang Dora Komarek, eine entzückende Soubrette (mit späterer Filmstar-Karriere unter dem Namen Dora Komar) – eine für diese Mezzopartie allerdings ungewöhnliche Besetzung; als Gretel hörte ich Elisabeth Rutgers, mit kleiner, aber angenehmer Stimme. Die Hexe vom Dienst in diesen Jahren war die Spiel-Altistin Olga Levko-Antosch, und Viktor Madin, der Besenbinder-Vater, galt damals schon als Urgestein des Hauses – seit seinem Engagement-Antritt 1909 hatte er diese Partie immer wieder gesungen. Die Dekorationen waren realistisch: Es gab die Stube, den Wald, das Hexenhaus und eine Schar von Engeln mit großen Flügeln – alles war also sehr romantisch. Einige Jahre später, am 26. Dezember 1943, besuchte ich wieder eine Aufführung dieses Werkes. Diese Vorstellung war für Stehplatzler der 4. Galerie (heute Galerie) – da war die Akustik am besten – gewiss ein »Muss«, denn Martha Rohs, der bezaubernde Octavian und Cheru-

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HÄNSEL UND GRETEL ANNO DAZUMAL

bino dieser Zeit, sang zum ersten Mal den Hänsel und war auch in dieser Partie stimm- und rollendeckend. Die Gretel war wieder die Rutgers und die Levko-Antosch abermals die Hexe, den Besenbinder verkörperte hingegen ein gewisser Erich Kunz … Ab den 30er Jahren wurde die Hexe immer wieder auch vom jeweiligen B ­ uffo-Tenor des Ensembles gesungen. Der erste war Erich Zimmermann am 25. Dezember 1932, ihm folgte William Wernigk und schließlich sogar der Bassbariton Karl Dönch. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hänsel und Gretel bereits am 21. September 1945 im Volksoperngebäude, der, neben dem Theater an der Wien, zweiten Spielstätte der zerstörten Wiener Staatsoper, auf den Spielplan gesetzt. Selbstverständlich besuchte ich diese Premiere. Und als bald darauf meine Lieblingssängerin, die langjährige Hochdramatische des Hauses, Anny Konetzni, die Partie der Mutter übernahm, war klar, dass ich weitere Male zu dieser köstlichen Oper pilgerte!

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RONALD POHL

HEXEN, HEISSE FEGER VON NUTZEN UND NACHTEIL DES BESENS FÜR DAS GESCHICHTLICHE LEBEN Es ist keine Kleinigkeit, ein paar Zweige dürren Reisigs so miteinander zu vereinen, dass sie einen fegefreudigen, dabei auch formschönen Besen bilden. In Sachen effektiver Kehrgeräte herrschte bereits in den Kindertagen der Menschheitsgeschichte unzweifelhafter Bedarf. Ein flüchtiger Blick in das mesopotamische Zweistromland, und es besteht kein Zweifel: Kultur folgte – dort, wie auch anderswo – auf Kultur; jede neue weckte, kaum dass sie die Liddeckel gehoben, schüchterne, aber doch wohl berechtigte Hoffnungen auf ein langes Leben. Dauer meint im Lichte alter Transzendenzvorstellungen kein besonders originelles Management von Zeit. Was da leibt und lebt, soll zufolge seiner sinnreichen Einrichtung bloß solange währen, dass es, in welchem Grade der Vermittlung auch immer, sich mit der Ewigkeit in ein Benehmen setzen lasse, oder doch wenigstens mit einer gut gegründeten Vorstellung von ihr. Andernfalls sei das alles nichts wert, oder doch nicht mehr, als dass es zugrunde gehe. Noch ehe so der gute Hausvater die Gedanken zu Kindern und Kindeskindern MICHAELA SCHUSTER als HEXE

hinüberschweifen lässt, sollte er sich des Stieles seines guten, alten Besens versichern. Denn da liegt immer etwas vor seinen Füßen, dessen bedrohlicher Übermacht er sich nicht anders als kehrend erwehren kann. Möge ihm bei dieser segensreichen Fron auch ein volkstümliches Lied von den Lippen plätschern. Es weht, wie uns der talmudische Marxist Walter Benjamin gelehrt hat, ein recht steifer Wind vom Paradiese her. Um ihn als Sturm zu identifizieren, muss man nicht unbedingt der Engel der Geschichte sein, der die Flügel ausspannt und sein prekäres Gleichgewicht hält. Die Pointe des »Angelus-Novus«-Bildes, dessen Motiv Benjamin bekanntlich bei Paul Klee entlehnt hat, liegt in der schieren Leugnung des Umstandes, ein Wind, der sich in den Gefilden Adams und Evas bedeutsam erhoben hat, könne mehr ausrichten, als um seiner selbst willen Staub aufzuwirbeln. Wir erinnern uns deutlich: Benjamin sagt, der Engel fliege mit dem Rücken voran in die Zukunft. Vor sich sehe er »eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.« Was nun,

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RONALD POHL

als der Wind selbst, hindert den guten Engel daran, herabzusteigen, um die Borsten eines soliden Besens gegen die Trümmer, die vor seiner Nase liegen, in Anschlag zu bringen? Wer oder was hindert uns Abendländer überhaupt daran, für die Beseitigung von Überresten aufzukommen, die uns, zufolge einer theologischen Nachlässigkeit unseres Denkens, nichts angehen sollen? Es scheint, als ob in dem Engel der Geschichte die böse Hexe bereits aufgehoben wäre. In ihm wäre sie zur kaum glaublichen Gänze überwunden. Es handelte sich rein der Logik nach um die alte Hexe Hegels. Als grimassierende Zauberin verschrien, mit dem Teufel und seinen Dämonen im Bunde, vertritt sie die Sache der Vernunft umso getreulicher, als sie den Stiel des Besens mit einer Salbe einzureiben pflegt, ehe sie sich auf ihm tollkühn in die Lüfte schwingt. Es liegt ein Gedanke an Abschüssigkeit darin, der einen unbedingt und spontan für das so anhaltend übel beleumundete Hexenwesen einnimmt. »Über den Begriff der Geschichte« nachzudenken, heißt, mit dem Besen zu philosophieren. Hierin irrte eben auch Nietzsche, und zwar fundamental. Der Basler Professor meinte durchaus, er müsse Vernunftkritik mit dem Hammer betreiben. Es ist ihm darum nicht gelungen, das Zimmer der deutschen idealistischen Philosophie besenrein an allfällige Nachmieter zu übergeben. Wir erinnern uns: Martin Heidegger, der Denker des Eigentlichen aus dem Schwarzwald, mag als der ungewöhnlichste aller Besenschwinger gelten. Um zur »Lichtung« des Daseins zu gelangen, versicherte er sich freilich zur rechten Zeit der Benützung von »Holzwegen«. Man kann also sagen, Heidegger hätte ein ganzes Sortiment

von Besenstielen benutzt, um es vor sich auf den Boden zu legen und somit festes Land zu gewinnen. Damit wäre auch das Rechte (der Besen) in der Richte gewesen (die Richtung, in die die Besenstiele allenfalls zu zeigen gehabt hätten). Auch hier gilt: Wer für Durchlüftung sorgt, der nimmt billigend in Kauf, dass etwas Kehricht anfällt. Wer den beseitigen soll, versteht sich im Lichte einer vieltausendjährigen Ethik nicht von selbst. Gemeint ist die Übertragung von Schadensfällen, für deren Haftung keineswegs gesorgt ist. Es sei denn, man spekuliert auf den jüngsten Tag. In diesem müsste man das gleichsam göttlich beglaubigte Modell der Mieterversammlung wiedererkennen. Es läge am Haus- und Schöpfungsbesitzer, uns Menschen als Mieter der gebrechlich eingerichteten Welt mit der Endlichkeit unserer irdischen Wohnverhältnisse auszusöhnen. Er hätte uns lediglich auf neue Verträge, diesmal jedoch mit unbefristeter Laufzeit, einzuschwören. Den Schmutz haben garantiert immer die anderen. Man selbst erfreut sich der guten Nachrede und genießt sie im Vorhinein. Man meint, um der eigenen Verdienste willen den Besen keineswegs selbst in die Hand nehmen zu müssen. Immer seltener tritt das Kehrgerät in Aktion. Man zeigt es nur vor, in blinder Nachahmung von Praktiken der Gewalt, deren sich die Inquisition und deren Büttel einst am wirkungsvollsten bedienten. Letztere reckten die Foltergeräte in die Höhe, um die Preisgabe einer Wahrheit zu erzwingen, die sie selbst umso weniger glaubten, als sie über ihr Zustandekommen besser Bescheid wussten als die gottesfürchtigen, eher der Reinheit ihres Glaubens zugewandten unter ihren Zeitgenossen. Die Eulenflüge der Minerva mögen Aus-

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HEXEN, HEISSE FEGER

druck eines Vernunftgebrauchs sein, der sich selbst vornehmlich als dämmerungsaktiv versteht. Es schwingt darin das Wissen mit, man habe nun auch nichts Besseres weiterzugeben als eben den Mist, den andere, auch nicht Klügere, als man selbst ist, verbrochen haben. Kultur, auf solche Art verstanden, hält sich am Prinzip der Vorgängigkeit famos schadlos. Sie erlaubt scholastische Rechenoperationen sonder Zahl, die ihrer Anlage nach allesamt in das Ende aller Zeiten einmünden. Versteht man jetzt, warum nicht erst im europäischen Hochmittelalter die »Hexen« bekriegt wurden, weil man hinter ihrem unkontrollierbaren Wirken einen Anschlag, gerichtet auf den göttlichen Heilsplan, verborgen wähnte? Hexen und ihre Machenschaften sind beide Ausdruck einer Pragmatik, die sich an das Naheliegende hält. Indem Hexen beim Beelzebuben um Rat einkommen, schlagen sie den Vertröstungen auf die Zeit danach, auf ein gutes Ende jenseits aller Erdzeitalter, elegant ein Schnippchen. Solche zauberkundige Frauen handeln augenblicksnah. Sie haben lediglich das Register gewechselt: Sie schlagen einfach in einem anderen Buch nach als ihre theologischen Widersacher. Letztere halten Lehrstühle besetzt. So, durch bloße Besitznahme, wollen sie von der Richtigkeit ihrer (ihnen angeblich wie allen Christenmenschen geoffenbarten) Anschauungen Zeugnis ablegen. Hexen verhalten sich demgegenüber mobil. Sie gleichen virtuosen Vespafahrerinnen auf den belebten Kreuzungen Italiens. Wo es für andere kein Durchkommen gibt, da schlüpft die Dämonin, die »strega«, auf ihrem Besen, ihrem Stock, ihrer rittlings untergeschobenen Ofengabel durch das untröstliche Gewühle

und lukriert den so entstandenen Überhang an Zeit. Nachstellungen gegenüber verhält sich eine solche Vettel verständnislos. Die Androhung der peinlichen Marter durch die Häscher der Kirche versetzt sie nicht um ihrer Schrecken willen in Angst und Panik. Nein, die Foltermeister arbeiten an der wahrhaften Sendung der Hexe, gleichsam an ihrem innersten Wesen vorbei. Als Inhaberin des Besens, den sie wie selbstverständlich in Gebrauch hält, personifiziert die runzelige Alte das schlechte Gewissen all derer, denen die irdische Zeit durch die Finger rinnt. Die Aussicht auf das ewige Leben findet im Wirken der Hexe, die weit davon entfernt ist, bloß die Bosheit zu befördern, keine wie immer geartete Bestätigung. Was sie gibt, schmeckt süß. Um ihr rätselhaftes Dasein herum errichtet sie spektakuläre Lebkuchenhäuser. Dass in ihrer Bäckerei nun ausgerechnet die Sache des Fleischverzehrs befördert wird, mögen der rüstigen Alten im vielleicht berühmtesten Märchen der Gebrüder Grimm Heuchler eilfertig zum Vorwurf machen. Wir behaupten, die Dame mit der unansehnlichen Warze auf der Nase hat besser begriffen, was in einer auf Arbeitsteiligkeit erpichten Gesellschaft (mit allerdings lebensbedrohlichen Engpässen in der Brot- und Fleischversorgung!) nottut. Verdient diese Frau – ihr Besen scheint als Fluggerät durch die erzwungene Sesshaftigkeit vorderhand nutzlos geworden – nicht mehr Liebe, mehr Fürsorge und echte Anteilnahme als Hänsels und Gretels ruchlose Eltern? Ganz zu schweigen von der Hexe fein entwickeltem Sinn für erotische Fingerzeige und neckische Rollenspiele? Es kann freilich nicht Sache dieser wenigen Zeilen sein, die Ehre einer be-

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HEXEN, HEISSE FEGER

stimmten Hexe zu retten, um im selben Aufwasch den ganzen übrigen Menschenschlag dem Verdammungsurteile verstockter Bigotter zu überantworten. Vom hexischen Wirken wurde in unser knochentrockenes Weltzeitalter herübergerettet, was die technischen Möglichkeiten hergegeben haben. Die Rede ist nun endgültig, und im finalen Sinne, vom vermaledeiten Besen. Anstatt ihn als Symbol, als Menetekel zu lesen, um darüber auf seinen Gebrauchswert nicht zu vergessen, hat man ihn heute irgendwelchen Zauberlehrlingen unter das Gesäß geschoben – bebrillten

Mond- und Käsegesichtern, die sich der alten Hexenweisheiten auf nur noch kursorische Weise bedienen. Vergessen ist die beredsam rätselhafte Schönheit der Macbeth-Hexen, die es erzwingen, dass sich ein ganzer Wald in Bewegung setzt, nur damit ein allerdings beispiellos tapferer Usurpator und Blutsäufer endlich in den Staub sinken mag. Aus dem Wald von Birnam in Shakespeares Stück ließen sich gewiss Unmengen von Besenholz gewinnen. Doch wozu noch fegen in enthexter Zeit – um wen oder was fortzuwischen, und zu welchem Ende?

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MONIKA BOHINEC als HEXE


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CHRISTA LUDWIG

HOKUS POKUS In den wirklich grimmigen Märchen der Gebrüder Grimm ist die Hexe böse, alt, hässlich, mit Warze auf der Nase, bucklig, mit schwarzer Katze und schwarzem Vogel auf der Schulter. Aber … könnte es nicht auch anders sein? Zum Beispiel: Es gab einmal eine junge Frau, der der Kinderwunsch versagt blieb. Voller Frustration erschuf sie sich einen Wald, ihre »heile Welt«, lebte in einem kleinen Häuschen von süßen Lebkuchen, tötete Kinder, backte sie und war so umgeben von Kindern, allerdings nur aus Lebkuchen, aber eben doch von Kindern, die sie sich so sehnlichst gewünscht hatte. Möglich? Warum nicht? Aber »Hexen« sind wirklich oft hübsch und jung, könnten sie sonst Männer verzaubern? Und wenn wir uns zum Beispiel unsere eigene Unzulänglichkeit nicht eingestehen wollen und dies oder jenes nicht fertig bringen, sagen wir gerne: Das ist ja wie verhext. Es muss schließlich ein anderer schuld sein! Menschen möchten im Allgemeinen so gerne glauben, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als das, was wir realistisch erfassen können. Die Grenze zwischen Realität und Esoterik wollen wir erforschen, und da sind es eben Geister, Dämonen, Hexen, Elfen, die diese »Grenze« bevölkern. Nicht nur im Mittelalter – auch heute leben okkulte Kräfte weiter im Schamanismus. Und wir in unserer modernen, ach so aufgeklärten Welt lieben die Gedanken an das Bermudadreieck oder an Ufos und schätzen Bücher und Filme von Harry Potter. Auch die Kunst hat sich dieser Geisterwelt bedient, wie zum Beispiel Goya in der Malerei oder Goethe durch Mephisto, dem Zauberlehrling und dem Hexen-Einmaleins, das bis heute noch nicht wirklich gedeutet wurde. Und sind nicht unsere Idole und politischen Demagogen auch Zauberer? Es ist übrigens noch

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HOKUS POKUS

gar nicht lange her, dass die letzte »Hexe« verbrannt wurde … 1807! Hüten wir uns also an etwas zu glauben, weil wir so gern etwas Überreales erfahren möchten. Man muss diesem Aberglauben nur nahe kommen, dann löst es sich in Luft auf, alles war nur Spuk! In Hänsel und Gretel wird die Hexe von den beiden Kindern im Ofen verbrannt, die Opfer wurden somit zu Tätern. Aber solche Dinge passieren im heutigen Leben natürlich nicht, eben nur im Märchen, oder? Ich jedenfalls bin traurig, dass ich die Hexe in Hänsel und Gretel nie auf der Bühne gesungen, sondern »nur« eingespielt habe, denn ich wäre so gern auf dem Besen durch die Luft geflogen …

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Folgende Seiten: SZENENBILD




PETER DUSEK

SONDERFALL: MARCHEN- OPER Woraus ist der Stoff, aus dem Opernpartituren gespeist werden? Im Regelfall liefert die Weltliteratur die Basis – die Kameliendame für La traviata, Puschkin für Eugen Onegin, Shakespeare für Macbeth oder Otello. Dann kommt die »Rumpelkammer Geschichte«: Heinrich VIII., Caesar und Kleopatra, Attila und Karl V. – sie alle bevölkern nicht nur Geschichtsbücher, sondern auch Opernlibretti. Und dann gibt es – eher als Rarität denn als Normalfall – den Typus »Märchenoper«. Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck fällt einem dazu sofort ein. Aber auch Cenerentola, die italienische Schwester vom Aschenputtel der Brüder Grimm, die fröhlich-mystische Zauberflöte von Mozart und Schikaneder gehörten in diese Kategorie ebenso wie Turandot oder die Königskinder. Die Zahl der einschlägigen Werke steigt jedoch sofort an, wenn man den Begriff »Volkssagen« dazurechnet. Da gehört Lohengrin und der Ring des Nibelungen ebenso dazu wie der Freischütz oder Faust, Tannhäuser und Pelléas et Mélisande. Doch was unterscheidet eine Märchenoper von der Welt der Sagen? Die Antwort haben die Brüder Grimm gegeben, deren Märchensammlung so beliebte Stoffe wie Rotkäppchen, Schneewittchen oder den Froschkönig festgehalten hat. Diese Brüder, die als Gründer der modernen Germanistik

gelten, haben in Berlin zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben ihrem reichen Gelehrtenleben vor allem Märchen und Sagen gesammelt. Und deshalb den Unterschied definiert. Sowohl Märchen wie Sagen haben mit der mündlichen Tradition zu tun, mit der Weitergabe von zum Teil fantastischen Inhalten mit teilweise ethischem Charakter. Und nur die Sagen beziehen sich zudem auf einen historischen Kern – Beispiel Nibelungen-Lied. Tiere verwandeln sich in Menschen hier wie dort, die Sprache der Vögel wird plötzlich verstanden, es gibt Riesen und Zwerge – sowohl im Märchen wie in der Sage. Und der Teufel agiert als Mephisto. Also bleiben wir beim »erweiterten« Begriff Märchenoper – und beziehen die Sagen mit ein. Dann gehört immerhin rund ein Fünftel aller in Wien seit 1869 gespielten Werke in die Kategorie »Märchenoper« und Lohengrin wird zum Paradebeispiel. Aber wo sind die Renner unter den Märchen, die es auch zu Film- und Theaterehren bringen? Es gibt mehr, als man kennt. Oder haben Sie gewusst, dass Engelbert Humperdinck Opern sowohl zu Schneewittchen wie zu Dornröschen komponiert hat? Zwei Jahre noch vor Hänsel und Gretel – Uraufführung 1890 – bzw. zwölf Jahre später. Gespielt wird weder das eine noch das andere. Und fragt man nach Bühnenversionen von Schneewittchen

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und Dornröschen, bekommt man im ersten Fall den Disney-Film und im zweiten Fall das Ballett von Tschaikowski zur Antwort. Doch gehen wir ins Detail. Die erfolgreichen Märchenopern mildern die oft drastische Brutalität der Märchen. Beginnen wir mit der Oper Cenerentola von Gioachino Rossini und Jacopo Ferretti (Uraufführung 25. Jänner 1817 in Rom). Die Textvorlage war nicht die Fassung, die wir als Aschenputtel kennen. Es fehlt die böse Stiefmutter, es gibt keine Tauben (»Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen«) und die blutige Story mit dem nicht passenden Schuh. Der Hauptunterschied liegt aber in der »Liebesprobe« – Cenerentola liebt den Prinzen bereits in der Maske des Kammerdieners und am Ende verzeiht sie sogar ihren bösen Stiefschwestern. In der Grimm-Version hacken die Tauben den beiden die Augen aus. Aber was soll’s? Die Musik von Cenerentola gehört zum Besten, das Rossini geschaffen hat. Ähnlich ist es bei Turandot, dem Hit von Giacomo Puccini sowie Giuseppe Adami und Renato Simoni (Uraufführung 26. April 1926 an der Mailänder Scala): Es gab bereits mehrere Opernfassungen des chinesischen Märchens über die grausame Prinzessin Turandot, als sich der Komponist der Bohème oder Tosca auf die Suche nach einem neuen Opernstoff begab. Bekannt wurde das Stück übrigens durch Friedrich Schiller, der 1802 eine erfolgreiche Theaterfassung herausgebracht hatte. In der Folge gab es mehrere Vertonungen – unter anderen durch Carl Maria von Weber (1809). Puccini ließ sich davon nicht irritieren, als er sich im März 1920 mit dem Librettisten Adami und dem Dramaturgen Simoni in einem Restaurant

zu einem »Arbeitsessen« traf. Die drei Herren einigten sich bei dieser Gelegenheit darauf, die Rolle der warmherzigen Sklavin Liù zur Inhaltsvorlage hinzuzufügen. Und bis heute begeistern nicht nur die Rätsel von Turandot oder der »Schlager aller Schlager« das »Nessun dorma«, sondern auch die chancenlose Liebe von Liù. Manchmal setzen sich zwei Versionen des Märchenstoffes durch – etwa bei der Undine-Sage, die von Albert Lortzing (Uraufführung 21. April 1845 in Magdeburg) komponiert wurde, aber auch von Antonín Dvořák (Uraufführung 31. März 1901 in Prag). Die Grundhandlung ist jeweils gleich. Nixen haben angeblich keine Seelen und der Versuch, diese Schranken zu überwinden, endet zumeist tödlich. Diese Botschaft wird bei Lortzing von Rittern und Fischersleuten, von der intriganten Berthalda und von Jägern vermittelt. Bei Dvořák ist der Prinz ebenfalls ein Tenor. Aber die Rolle des Wassermannes ist aufgewertet, es fehlt aber nicht die Gegenspielerin, die fremde Fürstin und eine Hexe Ježibaba. Insgesamt hat sich die Dvořák-Rusalka im internationalen Opernbetrieb durchgesetzt, und die Melancholie des Mondliedes von Rusalka und die Klage des Wassermannes gehören zum Besten, das die Gattung Oper bieten kann. Das Paradebeispiel für Sagen mit märchenhaften Elementen ist wohl Richard Wagners Lohengrin ( Uraufführung 28. August 1850 in Weimar). Die literarische Vorlage fand Wagner im letzten Kapitel des mittelalterlichen Vers-Epos Parzival. Der Sohn des Gralskönigs Parzival – Lohengrin – wird zum »Richter« einer Anklage von Telramund gegen Elsa von Brabant. Ein Gottesurteil bringt die Entscheidung – Lohen-

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grin verkündet ein Frageverbot (»Nie sollst Du mich befragen …«). Und Elsa scheitert daran. Das Gift des Misstrauens wird vor allem von Ortrud, der Frau von Telramund, geschürt. Zuletzt kehrt Lohengrin schon in der Brautnacht zum Gral zurück. Und ein Schwan seiner Begleitung verwandelt sich in den verschollenen Knaben Gottfried ... Was hat Wagner gegenüber der Vorlage verändert? Er stellt die geheimnisvolle Ortrud in den Mittelpunkt des Geschehens. Sie vertritt den alten, »heidnischen« Glauben, sie vertritt eine Art Naturreligion und macht den Lohengrin zu einem psychologischen Märchen, in dem die Macho-Allüre des Titelhelden zumindest hinterfragt wird. Zuletzt noch zu zwei »Märchenopern«, die beide in Wien aus der Taufe gehoben wurden. Sie gehören zu der Kategorie »Kunstmärchen«, die vom Librettisten aus mehreren Quellen gespeist werden: Es handelt sich dabei um Mozarts Zauberflöte (Uraufführung am 30. September 1790 im Wiener FreihausTheater) und um die Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Mozarts letzte Oper gilt als komplexes, vielschichtiges Werk, in dem die volkstümliche Figur des Vogelhändlers Papageno (und seiner Papagena) in starkem Kontrast zur Freimaurer-Atmosphäre der Priester steht. Und die Königin der Nacht verkörpert spätbarocke Pracht, während die Drei Damen von liebevoll zu hexenhaft mutieren. Sucht man die Quellen, die Emanuel Schikaneder benutzte, dann versteht man diese Komplexität. Er ließ sich von Christoph Martin Wielands Sammlung Dschinnistan inspirieren. Insbesondere von der Erzählung Lulu oder die Zauberflöte. Schikaneder hat aber offensichtlich auch aus Wielands Oberon und aus dem KS CLEMENS UNTERREINER als VATER BESENBINDER

Roman Sethos des Abbé Jean Terasson sowie aus Geblers Thamos-Drama Inspiration erhalten. Und so ist es auch erklärlich, dass Kurt Pahlen in seinem Opernlexikon (München 1983) eine doppelte Inhaltsangabe verfasst: »Diese seltsamste aller Opern kann auf zweifache Art erklärt werden: entweder als einfaches Spiel mit phantasieentsprungenen Gestalten, naiv in seiner Mischung von ernst und heiter, volkstümlich, exotisch. Oder aber ein philosophisches Werk, dessen äußerst tiefsinniger Sinn absichtlich verschleiert ist.« Diese Definition passt in jedem Fall auch auf die zweite Märchenoper, die in Wien erstmals gegeben wurde: Die Frau ohne Schatten (Uraufführung 1919 Wiener Staatsoper). Parallel zur erfolgreichen Entstehung des Rosenkavalier begaben sich Strauss und Hofmannsthal auf die Suche nach einem Opernstoff. Im »Traumland der südöstlichen Inseln« – also im Umfeld der Erzählungen aus Tausend und Eine Nacht – wurden sie fündig. Und ein symbolträchtiges Märchen begann Konturen anzunehmen. Hugo von Hofmannsthal hat sich später erinnert: »In einem alten Notizbuch finde ich die folgende Eintragung des ersten Einfalls unter 26. Februar 1911: Die Frau ohne Schatten, ein phantastisches Schauspiel. Die Kaiserin, einer Fee Tochter, ist kinderlos. Man verschafft ihr das fremde Kind. Schließlich gibt sie es der rechten Mutter zurück!« In dieser ersten Uridee fehlten sowohl Barak und die Färberfrau – an ihrer Stelle agierten noch Arlekin und Smeraldine. Aber aus dem ersten Einfall wurde eine Oper, die heute als gleichwertig zu Salome, Elektra oder Rosenkavalier gilt. Und sogar die Kritik an der symbolischen Überfrachtung nahm der Text-Dichter Hofmannsthal vorweg:

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»Ich freue mich unsäglich aufs Hören. Die gewissen Schwierigkeiten mit dem Stoff, stupide Versuche zu deuten und herumzurätseln, wo alles einfach Bild und Märchen ist, auf das alles bin ich

gefasst. Das geht vorüber, und was bleiben soll, bleibt.« (Hofmannsthal an Strauss am 18. September 1919). Man sollte sich beim Umgang mit Opernmärchen und Sagen an dieses Motto halten.

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SEBASTIAN HOLECEK als VATER BESENBINDER


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IMPRESSUM ENGELBERT HUMPERDINCK

HÄNSEL UND GRETEL SPIELZEIT 2023/24 PREMIERE DER PRODUKTION AM 19. NOVEMBER 2015 Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ Musikdirektor PHILIPPE JORDAN Kaufmännische Geschäftsführerin DR. PETRA BOHUSLAV Redaktion SERGIO MORABITO, ANDREAS LÁNG, OLIVER LÁNG Gestaltung & Konzept EXEX Layout & Satz ROBERT KAINZMAYER Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUKTIONS GMBH, BAD VÖSLAU TEXTNACHWEISE: Alle Texte – außer jene von Humperdinck und Strauss – wurden dem Premierenprogrammheft 2015 entnommen. LEKTORAT Martina Paul. BILDNACHWEISE Coverbild: Aleksandr Zubkov / GettyImages | Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin. Alle Szenenbilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH. Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

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