Kurzfassung - Welthunger-Index 2015

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2015 – – –

Synopse

Welthunger-Index

AR YE

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S

Hunger und bewaffnete Konflikte

IFPRI

IFPRI issue brief Oktober 2015

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Der Welthunger-Index (WHI) 2015 ist der zehnte in einer Reihe jährlicher Berichte, in denen die Hungersituation weltweit, nach Regionen und auf Länderebene mithilfe eines multidimensionalen Ansatzes dargestellt wird. Er zeigt, dass weltweit seit dem Jahr 2000 Fortschritte bei der Bekämpfung von Hunger erzielt wurden, dass aber angesichts noch immer „ernster“ oder „sehr ernster“ Hungerwerte in 52 Ländern nach wie vor viel zu tun bleibt. Das Thema des vorliegenden Berichts lautet „Hunger und bewaffnete Konflikte“. Konflikt und Hunger stehen in enger Beziehung. Tatsächlich bilden bewaffnete Konflikte die Hauptursache andauernden schweren Hungers; in Ländern mit mangelnder Ernährungssicherheit herrscht häufig Krieg oder ist kürzlich ein Krieg beendet worden. Obwohl bewaffnete Konflikte und Hunger oft Hand in Hand gehen, hat die Vergangenheit gezeigt, dass Hunger nicht zwangsläufig auf Konflikte folgen muss.

Der Welthunger-Index Im vorliegenden Bericht wurden die WHI-Werte unter Anwendung einer neuen, verbesserten Formel errechnet: Untergewicht bei Kindern wurde durch die beiden Indikatoren Auszehrung und Wachstumsverzögerung bei Kindern ersetzt. Außerdem werden alle Einzelindikatoren standardisiert, damit ihr jeweiliger Beitrag zum Gesamtindex und zu Veränderungen bei WHI-Werten im Verlauf der Zeit ausgeglichen werden kann. Diese Modifikationen berücksichtigen aktuelle Tendenzen in der Bemessung des Ernährungszustands und der Indexberechnung. Der WHI 2015 fasst vier Indikatoren zu einem Index zusammen: XX

XX

XX

den prozentualen Anteil der Unterernährten an der Bevölkerung,

XX

den prozentualen Anteil der Kinder, die sterben, bevor sie fünf Jahre alt sind.

Die zugrunde liegenden Daten stammen von der Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), UNICEF, der Weltbank, den Demographic and Health Surveys (DHS), der United Nations Inter-agency Group for Child Mortality und aus Schätzungen des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (IFPRI). Der WHI 2015 wurde für 117 Länder ermittelt, für die entsprechende Informationen verfügbar sind, und bildet Daten und Projektionen von 2010 bis 2016 ab.

Der WHI stuft die Länder gemäß einer 100-Punkte-Skala ein, auf der 0 (kein Hunger) der beste und 100 der schlechteste Wert ist, wobei keiner dieser Extremwerte in der Praxis je erreicht wird. Werte unter 10,0 bedeuten „wenig“ Hunger, Werte von 10,0 bis 19,9 indizieren „mäßigen“ Hunger, Werte den prozentualen Anteil der Kinder unter fünf Jahren, von 20,0 bis 34,9 zeigen „ernsten“ und von 35,0 bis 49,9 deren Wachstum Verzögerungen aufweist (engl. „stun- „sehr ernsten“ Hunger an, und Werte ab 50,0 weisen auf eine ted“) (zu geringe Körpergröße im Verhältnis zum Alter, ein „gravierende“ Hungersituation hin (Abb. 1). Hinweis auf chronische Unterernährung), den prozentualen Anteil der Kinder unter fünf Jahren, die ausgezehrt (engl. „wasted“) sind (zu niedriges Gewicht im Verhältnis zur Körpergröße, ein Hinweis auf akute Unterernährung),

Abbildung 1  Anzahl der Länder nach Schweregrad

WHI-Schweregrad-Skala ≤ 9,9 wenig 42 Länder 0

10,0–19,9 mäßig 23 Länder 10

20,0–34,9 ernst 44 Länder 20

35,0–49,9 sehr ernst 8 Länder 35

50,0 ≤ gravierend 50

Anmerkung: Im WHI 2015 wurde die Hungersituation in keinem Land als „gravierend“ eingeschätzt. Bedauerlicherweise liegen für einige Länder, die in den vergangenen Jahren in diese Kategorie fielen, keine aktualisierten Daten vor, darunter Burundi, die Komoren und Eritrea.

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Rangfolgen und Trends Die Anzahl hungernder Menschen in der Welt bleibt unerträglich hoch. Etwa 795 Millionen Menschen sind unterernährt, jedes vierte Kind ist von Wachstumsverzögerungen betroffen, und neun Prozent aller Kinder leiden unter Auszehrung.

Aus Mangel an aktuellen Daten zur Unterernährung fehlen im vorliegenden Bericht die WHI-Werte mehrerer Länder, die in der Ausgabe von 2014 noch sehr hohe („sehr ernste“ oder „gravierende“) Werte aufwiesen, darunter Burundi, Eritrea, die Komoren, der Sudan und der Südsudan.1 Die Demokratische Republik Kongo erzielte im WHI-Bericht des Jahres 2011 den höchsten Indexwert; seitdem ist es jedoch wegen fehlender Daten nicht mehr möglich gewesen, einen Wert für das Land zu berechnen. Die Hungerwerte dieser Länder sind wegen der nicht verfügbaren Daten nicht quantifizierbar, geben aber weiter Anlass zu großer Besorgnis und dürfen keineswegs aus dem Fokus geraten.

Dennoch zeigt der WHI gewisse Fortschritte bei der Bekämpfung von Hunger (Abb. 2). Im Vergleich zum WHI 2000 ist der diesjährige Index von 29,9 auf 21,7 Punkte und damit um 27 Prozent gefallen. Diese globalen Durchschnittswerte verschleiern jedoch dramatische Unterschiede zwischen einzelnen Regionen und Ländern. Afrika südlich der Sahara und Südasien haben mit 32,2 und 29,4 Punkten die höchsten WHI-Werte; damit ist die Hungersituation in diesen beiden Regionen als „ernst“ einzustufen. Im Gegensatz dazu bewegen sich die WHI-Werte für Ost- und Südostasien, den Nahen Osten und Nordafrika, Lateinamerika und die Karibik sowie Osteuropa und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zwischen 13,2 und 8,0 Punkten und spiegeln damit „mäßigen“ oder „wenig“ Hunger wider.

Von den zehn Ländern, die den größten prozentualen Rückgang der WHI-Werte für 2015 erreichten, liegen drei in Südamerika (Brasilien, Peru und Venezuela) und eines in Asien (Mongolei). Vier der Länder sind frühere Sowjetrepubliken (Aserbaidschan, Kirgisistan, Lettland und Ukraine) und zwei frühere Teilrepubliken Jugoslawiens (Bosnien-Herzegowina und Kroatien). In jedem dieser Länder fielen die WHI-Werte seit der Erhebung aus dem Jahr 2000 erheblich – um 53 bis 71 Prozent.

Anzeichen für Fortschritte Ein Vergleich der WHI-Werte der Jahre 2000 und 2015 zeigt, dass 17 Länder ihre Werte um 50 Prozent oder mehr senken und damit bemerkenswerte Fortschritte erreichen konnten. In 68 Ländern wurden ebenfalls beträchtliche Verbesserungen erreicht, ihre Werte fielen um 25,0 bis 49,9 Prozent; und in 28 Ländern ging der WHI-Wert um 25,0 Prozent oder weniger zurück. Trotz dieser Erfolge leiden 52 Länder noch immer unter „ernsten“ oder „sehr ernsten“ Hungerwerten.

Brasilien konnte seinen WHI-Wert seit 2000 um etwa zwei Drittel reduzieren. Dieser beeindruckende Fortschritt wurde zum Teil durch das Regierungsprogramm „Fome Zero“ (Null Hunger) erreicht. Ein Bestandteil dieses Projekts war „Bolsa Família“, ein groß angelegtes Bargeldtransferprogramm, das unter ande-

1

I m WHI-Bericht 2014 konnte lediglich ein Gesamt-WHI-Wert für den früheren Sudan als Einheit errechnet werden.

Abbildung 2  G esamtwert des WHI für Entwicklungsländer und nach Regionen für 1990, 1995, 2000 und 2015 mit Beiträgen der einzelnen Indikatoren

8,0

13,7

10,9

19,0

17,0

15,1

10,2

8,3

10

14,1

11,5

15,9

14,6

18,5

18,7 13,2

20,6

20

18,1

28,6

29,4

26,8

37,6

38,2

47,7 43

39,8

47,4

32,2

29,9

35,4

Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren Verbreitung von Auszehrung bei Kindern Verbreitung von Wachstumsverzögerung bei Kindern Anteil der Unterernährten

21,7

30

27,9

WHI-Wert

40

33,6

50

44,6

47,3

60

0 '90 '95 '00 '05 '15

'90 '95 '00 '05 '15

'90 '95 '00 '05 '15

'90 '95 '00 '05 '15

'90 '95 '00 '05 '15

'90 '95 '00 '05 '15

'90 '95 '00 '05 '15

Welt

Afrika südlich der Sahara

Südasien

Ost- & Südostasien

Naher Osten & Nordafrika

Osteuropa & Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

Lateinamerika & Karibik

Anmerkung: Datenquellen s. Anhang A zum Welthunger-Index 2015.

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Welthunger-Index 2015 nach Schweregrad Schweden Schweden Finnland Finnland Norwegen Norwegen Estland Estland Lettland Dänemark Lettland Litauen GroßDänemark Litauen Großbritannien Irland britannienNied. Irland Nied. Deutschland Polen Polen Bel.Deutschland Tschechien Bel. Lux. Tschechien Slowakei Lux. Österr. Slowakei SchweizÖsterr. Ungarn Slow.Ungarn Kroa. Schweiz Frankreich Slow. Kroa. Frankreich Italien Bosn./ Serb. Bosn./ Serb. Italien Herz. Herz. Mont. Spanien Mont. Maze. Spanien Maze. Albanien Albanien Portugal Portugal Griechenland Griechenland

Island Island

Grönland Grönland Kanada Kanada

Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten von Amerika von Amerika

Marokko Marokko Algerien Algerien Mexiko Mexiko

Guatemala Guatemala El Salvador El Salvador

Dominikanische Republik Haiti Dominikanische Republik Haiti

Nicaragua Nicaragua Panama Panama Costa Rica Costa Rica

Trinidad und Tobago Trinidad und Tobago Guyana Venezuela Guyana Suriname Venezuela Suriname Französisch-Guayana Kolumbien Französisch-Guayana Kolumbien

Ecuador Ecuador

Brasilien Brasilien

Peru Peru Bolivien Bolivien

Chile Chile

Mauretanien Mauretanien

Niger Mali Niger Mali Senegal Tschad Senegal Tschad Gambia Gambia Burkina Faso Guinea-Bissau Burkina Faso Guinea-Bissau Guinea Benin Guinea Ghana BeninNigeria Nigeria Sierra Leone Côte Ghana ZentralSierra Leone Togo Côte Zentralafrikan. d'Ivoire Togo Liberia d'Ivoire afrikan. Republik Liberia Kamerun Republik Kamerun Äquatorialguinea Kongo, Äquatorialguinea Kongo, Rep. Gabun Rep. Gabun

Angola Angola

Namibia Namibia

Paraguay Paraguay

Uruguay Uruguay Argentinien Argentinien

Gravierend 50,0 < Sehr ernst 35,0–49,9 Ernst 20,0–34,9 Mäßig 10,0–19,9 Wenig < 9,9 Keine Angaben Industrieland

Libyen Libyen

Westsahara Westsahara

Kuba Kuba Jamaika BelizeJamaika Belize Honduras Honduras

Tunesien Tunesien


Russische Föderation Russische Föderation

Weißrussland Weißrussland Ukraine Ukraine Mold. Mold. Rumänien Rumänien Bulgarien Bulgarien

Georgien Georgien Armenien Aserb. Armenien Aserb. Türkei Türkei

Zypern Syrien Zypern Syrien Libanon Irak Libanon Irak Israel Israel Jordanien Jordanien

Sudan Sudan

SüdSüdsudan sudan

Sambia Sambia

Usbekistan Usbekistan

Eritrea Eritrea

Iran Iran

Jemen Jemen

Pakistan Pakistan

China China

Nepal Nepal Indien Indien

Japan Japan

Bhutan Bhutan Bangladesch Bangladesch Myanmar Myanmar Laos Laos

Oman Oman

Thailand Thailand Kambodscha Kambodscha Vietnam Vietnam Sri Lanka Sri Lanka

Uganda Uganda Kenia Kenia Ruanda Ruanda Burundi Burundi Tansania Tansania

Sim- Mosambik Sim- Mosambik babwe babwe Botswana Botswana

Südkorea Südkorea

Afghanistan Afghanistan

Dschibuti Dschibuti Somalia Äthiopien Somalia Äthiopien

Malawi Malawi

Nordkorea Nordkorea

Kirgisistan Kirgisistan Turkmenistan Tadschikistan Turkmenistan Tadschikistan

Kuwait Kuwait Bahrain Bahrain Katar Saudi-Arabien Katar Saudi-Arabien V.A.E. V.A.E.

Ägypten Ägypten

Kongo, Kongo, Demo. Demo. Rep. Rep.

Mongolei Mongolei

Kasachstan Kasachstan

Philippinen Philippinen

Brunei Brunei Malaysia Malaysia Indonesien Indonesien

PapuaPapuaNeuguinea Neuguinea

Timor-Leste Timor-Leste

Komoren Komoren

Mauritius Mauritius Madagaskar Madagaskar

Swasiland SüdSwasiland Südafrika afrikaLesotho Lesotho

Australien Australien

Anmerkung: Die Daten und Projektionen über den Anteil der Unterernährten gelten für die Jahre 2014–2016; Daten zur Auszehrung bei Kindern stammen aus dem letzten Jahr im Zeitraum 2010–2014, für das Daten vorliegen; Daten zur Wachstumsverzögerung bei Kindern stammen aus dem letzten Jahr im Zeitraum 2010–2014, für das Daten vorliegen; und Daten zur Kindersterblichkeit aus dem Jahr 2013. Für Länder, aus denen keine Daten verfügbar waren, und für einige Länder mit sehr geringen Bevölkerungszahlen wurden keine WHI-Werte berechnet. Derzeit wird kein Land in die Kategorie „gravierend“ eingestuft. Bedauerlicherweise aber fehlen Daten für Burundi, Eri­trea und die Komoren, die in den letzten beiden WHI-Berichten in dieser Kategorie aufgeführt waren. Die in dieser Karte abgebildeten Grenzen und Ländernamen sowie die auf den Karten verwendeten Länderbezeichnungen stellen keine offizielle Stellungnahme oder Zustimmung vonseiten des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (IFPRI), der Welthungerhilfe oder Concern Worldwide dar. Empfohlene Zitierweise: „Abbildung 2.4: Welthunger-Index 2015 nach Schweregrad“, Landkarte im Welthunger-Index 2015: Hunger und bewaffnete Konflikte von K. von Grebmer, J. Bernstein, A. de Waal, N. Prasai, S. Yin und Y. Yohannes. 2015. Bonn, Washington, D.C. und Dublin: Welthungerhilfe, Internationales Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik und Concern Worldwide.

Neuseeland Neuseeland


rem durch die Förderung besserer Ernährung zum Rückgang der Kindersterblichkeit in Brasilien führte. Das Land erreichte das Millenniums-Entwicklungsziel, die Halbierung von Armut und Hunger, bereits 2009 – mehrere Jahre vor Ablauf der Frist im Jahr 2015. Und doch stellen schlechte Ernährung, Übergewicht und Fettleibigkeit weiterhin große Herausforderungen dar. Auch in der Mongolei fiel der WHI-Wert um 56 Prozent. Zwischen 2000 und 2015 erlebte das Land ein stetiges Wirtschaftswachstum, mit Ausnahme eines kurzen Rückgangs während der Weltwirtschaftskrise von 2008. Das wirtschaftliche Wachstum – vor allem durch gestiegene Einnahmen aus dem Bergbau – verlief parallel zur Umsetzung sozialer Wohlfahrts­ programme – darunter eine umfassende, landesweit wirksame Politik zur Bekämpfung der Unterernährung (UNICEF 2009). Im Zeitraum zwischen 2000 und 2015 sanken Armuts- und Hungerwerte ebenso wie die Werte sämtlicher WHI-Einzel­ indikatoren. Trotzdem herrschen vor allem in den ländlichen Gebieten der Mongolei noch Armut und Unterernährung, insbesondere bei Hirten und ihren Familien. Ruanda, Angola und Äthiopien konnten seit dem Jahr 2000 die größten absoluten Rückgänge der Hungerwerte verzeichnen, mit Reduzierungen um 25 bis 28 Punkte. Trotz dieser Fortschritte sind die Hungerwerte dort indes immer noch „ernst“. Unter den Ländern, für die Daten vorlagen, wiesen Ruanda, Angola und Äthiopien im Jahr 2000 sogar die höchsten WHI-Werte auf (58,5/58,3/58,6). Das erklärt, weshalb ihre Werte noch immer hoch sind (30,3/32,6/33,9). Diese Länder erholen sich nur langsam von einer langen Bürgerkriegsphase, und obwohl man ihre Hungerwerte nicht direkt den früheren bewaffneten Kon-

flikten zuschreiben kann, haben diese doch zweifellos zu den Problemen beigetragen. In Ruanda hatten Armut und Hunger nach dem tödlichen Bürgerkrieg (1990–1993), der im Genozid von 1994 gipfelte, ihre Höchstwerte erreicht. Die ruandische Regierung entwickelte gezielt Strategien zur Steigerung eines inklusiven Wirtschaftswachstums, und das Land konnte bei rückläufiger Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung steigende BIP-Werte verzeichnen, vor allem seit 2005–2006 (UNDP 2015). Die Kindersterblichkeitsrate war bis 2013 auf 5,2 Prozent gefallen, und die Verbreitung der Auszehrung bei Kindern betrug laut einer Umfrage von 2011 3,0 Prozent, was darauf hinweist, dass die akute Unter­ ernährung nachlässt. Wachstumsverzögerung bei Kindern ist allerdings mit 44,3 Prozent nach wie vor weitverbreitet.

Schlechte Nachrichten Acht Länder haben noch immer „sehr ernste“ Hungerwerte zu beklagen; die Mehrzahl liegt in Afrika südlich der Sahara, Ausnahmen sind Afghanistan, Haiti und Timor-Leste. Die drei Länder mit den schlechtesten WHI-Werten sind in diesem Jahr die Zentralafrikanische Republik, der Tschad und Sambia (siehe Karte). Die Zentralafrikanische Republik wurde seit ihrer Unabhängigkeit von Frankreich von Instabilität, Diktaturen und wiederholten Staatsstreichen heimgesucht. In jüngster Zeit, seit Anfang 2013, haben Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppierungen zu erheblichen Opferzahlen und zur Binnenvertreibung von beinahe 20 Prozent der Bevölkerung geführt (Arieff 2014).

Abbildung 3  E ntwicklungen der Länder seit 2000

Prozentuale Reduzierung des WHI-Wertes seit 2000

60

50

Kambodscha Myanmar Benin Togo

Ruanda Angola Äthiopien

Laos Malawi

40

Nepal

30

Burkina Faso Niger Guinea Liberia Mosambik Mali Afghanistan Tansania Mauretanien Botswana Uganda Kongo, Rep. Guinea-Bissau Dschibuti Bangladesch Lesotho Nordkorea Tadschikistan Guatemala Simbabwe Indien Gambia

Philippinen

Kamerun Senegal Kenia

20

Nigeria

Jemen, Rep.

Sambia

Madagaskar

Côte d'Ivoire Swasiland

Indonesien Irak

10

Sierra Leone

Haiti Tschad

Pakistan

Zentralafrikanische Republik

Sri Lanka

0 15

Namibia

20

25

30

35

40

45

50

Welthunger-Index-Wert 2015 Anmerkung: Hier werden diejenigen Länder aufgeführt, deren WHI-Wert 2015 bei oder über 20 liegt und damit entweder eine „ernste“ oder „sehr ernste“ Hungersituation widerspiegelt. Die Abbildung zeigt die Länder, für die ausreichend Daten zur Errechnung von WHI-Werten vorlagen. Es ist möglich, dass andere Länder mit schlechter Hungersituation wegen fehlender Daten nicht erscheinen.

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Bewaffnete Konflikte und die Herausforderung Hunger Wenn heutzutage Hungersnöte oder akuter Hunger auftreten, sind zumeist bewaffnete Konflikte die Ursache: Sie zerstören Lebensgrundlagen und Nahrungssysteme, zwingen Menschen zur Flucht und hinterlassen diejenigen, die bleiben, in der Unsicherheit, wann sie wieder etwas zu essen bekommen. Dennoch gibt die genaue Betrachtung der Entwicklungen Anlass zu Optimismus.

Abbildung 4  W ELTWEITE OPFERZAHLEN GROSSER HUNGERSNÖTE, 1870er–2010ER

Zahl der Todesopfer (in Millionen)

30

Das Ende der schlimmsten Hungersnöte Eine historische, aber kaum bekannte Errungenschaft der letzten 50 Jahre ist das augenscheinliche Ende „katastrophaler Hungersnöte“ mit mehr als einer Million Todesopfern. Im 20. Jahrhundert starben in nahezu jedem Jahrzehnt Millionen Menschen an Hunger. In fünf (nicht aufeinanderfolgenden) Jahrzehnten starben jeweils mehr als 15 Millionen Menschen. Und bis vor Kurzem kamen große Hungersnöte – mit mehr als 100.000 Opfern – noch häufig vor. Die Opferzahl der Hungersnöte seit Beginn des 21. Jahrhunderts liegt bei knapp 600.000 (Abb. 4) und ist nach wie vor beunruhigend, aber historisch gemessen niedrig. Die Hungersnöte des 19. und 20. Jahrhunderts gingen auf die imperialen Expansionen der Zeit zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg zurück, auf totalitäre Systeme, deren Herrscher in Kriegszeiten Hunger als Waffe einsetzten, oder auf kommunistische Planwirtschaft. Seit Hungersnöte in Europa nicht mehr vorkommen und auch aus Asien größtenteils verschwunden sind, haben sie erheblich an Bedrohlichkeit verloren.

Positive Entwicklungen Das Ende des Kalten Krieges, die Einführung internationaler Menschenrechtsstandards und die Globalisierung sind einige der Schlüsselfaktoren, die Hungersnöten ein für alle Mal ein Ende setzen könnten. Beispiellose weltweite Prosperität und Vernetzung, die Durchsetzung internationaler Interessen bei innerstaatlichen Menschenrechtsverletzungen sowie eine größere Verbreitung von Informationen machen es immer weniger wahrscheinlich, dass Menschen in aller Stille verhungern, weil ihre Regierungen oder die internationale Gemeinschaft nicht wissen, was geschieht. Die Hungersnöte unserer Zeit sind „komplexe humanitäre Notsituationen“, die zumeist durch bewaffnete Konflikte verursacht und durch Naturkatastrophen oder die internationale Politik noch verschärft werden (Keen 2008). An diesen „neuen Kriegen“ (Kaldor 1999) sind nicht nur nationale Armeen und Rebellen beteiligt, sondern auch paramilitärische Verbände, ethnische Milizen, kriminelle Banden, Söldner und internationale Streitkräfte. Die meisten neuen Kriege sind Bürgerkriege, die zunehmend über Landesgrenzen hinweg Lebensgrundlagen

25 20 15 10 5

18

70 18 er 80 18 er 90 19 er 00 19 er 10 19 er 20 19 er 30 19 er 40 19 er 50 19 er 60 19 er 70 19 er 80 19 er 90 20 er 00 20 er 10 er

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Anmerkung: Bei jeder großen Hungersnot starben mehr als 100.000 Menschen. Quelle: World Peace Foundation (2015).

und Nahrungssysteme zerstören und die Menschen zur Flucht zwingen. Sie sind, was Gewaltausübung und Hungerfolgen angeht, weniger tödlich als die alten Kriege (Human Security Report 2013), doch erscheinen sie oft unlösbar und zeichnen sich durch andauernde, scheinbar willkürlich ausgeübte Gewalt aus, vor der niemand sicher ist.

Zukünftige Herausforderungen Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts fanden keine katastrophalen Hungersnöte mehr statt. Was aber muss unternommen werden, um sämtliche Formen von Hunger und Unterernährung bis 2030 zu beseitigen? Ein kritischer Faktor werden stärkere Mechanismen zur Vorbeugung und Lösung von Konflikten sein. Sowohl die Anzahl als auch die tödlichen Auswirkungen von Kriegen scheinen zurückzugehen, und die langfristigen Trends hinsichtlich der bewaffneten Konflikte sind vielversprechend (Human Security Report 2013). Die Herausforderungen unserer Zeit – zum Beispiel im Jemen, Südsudan und in Syrien – sind jedoch erheblich. Wirtschaftliche Entwicklung, bessere Ernährungsstrategien, Konfliktlösung und internationale humanitäre Anstrengungen werden weiterhin eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Hunger und Unterernährung spielen. Die erzielten Erfolge werden jedoch verpuffen, wenn es nicht gelingt, die Verbreitung und Dauer bewaffneter Konflikte einzudämmen oder sie sogar endgültig zu beenden und damit den Bedürfnissen und Rechten der sichtbaren und unsichtbaren Opfer nachzukommen.

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Internationales Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik

Deutsche Welthungerhilfe e. V.

Concern Worldwide

2033 K Street, NW Washington, DC 20006-1002, USA Tel. +1 202-862-5600 Fax +1 202-467-4439 www.ifpri.org

Friedrich-Ebert-Straße 1 53173 Bonn Tel. +49 228-2288-0 Fax +49 228-2288-333 www.welthungerhilfe.de Member of Alliance2015

52-55 Lower Camden Street Dublin 2, Irland Tel. +353 1-417-7700 Fax +353 1-475-7362 www.concern.net Member of Alliance2015

IFPRI: Klaus von Grebmer, Jill Bernstein,

Die auf der Karte abgebildeten Grenzen und Länderbezeichnungen stellen keine offizielle Stel-

Nilam Prasai, Sandra Yin, Yisehac Yohannes

lungnahme oder Zustimmung vonseiten des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährungs-

World Peace Foundation/Tufts University: Alex de Waal

und Entwicklungspolitik (IFPRI), der Welthungerhilfe oder Concern Worldwide dar.

Concern Worldwide: Olive Towey

Bildnachweis: Panos/S. Torfinn, 2003.

Welthungerhilfe: Andrea Sonntag, Larissa Neubauer

Copyright © 2015 International Food Policy Research Institute, Welthungerhilfe, Concern Worldwide. Alle Rechte vorbehalten. Kontaktieren Sie uns für eine Erlaubnis zum Nachdruck unter info@welthungerhilfe.de. ISBN: 978-0-89629-877-4

Dieser Bericht wurde von externen Experten

Für die gesamte Quelle siehe den vollständigen Bericht: www.welthungerhilfe.de/

begutachtet (Peer-Review).

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