WBGU Hauptgutachten: Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation

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Handlungsempfehlungen

7.1 Herausforderung Transformation zur ­Klimaverträglichkeit Eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zur Klimaverträglichkeit ist nach Ansicht des WBGU dringend notwendig, um die sich verschärfende Umwelt- und Entwicklungskrise zu überwinden und die Lebensgrundlagen und Zukunftschancen der Menschheit zu erhalten. Die Vermeidung des anthropogenen Klimawandels ist in den letzten Jahren in der Mitte des gesellschaftlichen Diskurses angekommen. Es gibt einen globalen politischen Konsens darüber, dass die Erderwärmung auf höchstens 2  °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden muss, wenn gefährliche, irreversible und kaum beherrschbare Risiken für Natur und Gesellschaft vermieden werden sollen (Kap. 1.1.1; WBGU, 2009b). Dafür ist eine drastische Reduktion der Treibhausgasemissionen unverzichtbar. Die im Zeitraum 2011–2050 kumulierten CO2‑Emissionen aus fossilen Quellen dürfen 750 Gt CO2 nicht überschreiten (Kasten 1.1-1). Dieses globale CO2Budget wäre bereits in rund 25 Jahren erschöpft, wenn die Emissionen auf dem aktuellen Niveau eingefroren würden. Es ist also ein schnelles, transformatives Gegensteuern notwendig. Die Dekarbonisierung der Energiesysteme (Kap. 4.6; Kasten 7.3‑1) ist das Kernstück der Transformation. Ohne eine Umsteuerung der rasanten Urbanisierung auf klimaverträgliche Entwicklungspfade (Kap. 7.3.6) kann die Transformation nicht gelingen. Auch die Minderung der Treibhausgasemissionen aus der Landnutzung einschließlich eines Stopp der Entwaldung (Kap. 7.3.7) ist unverzichtbar. Bereits seit geraumer Zeit befindet sich das auf fossilen Energieträgern beruhende ökonomische ­ ­System international im Umbruch. Dieser Strukturwandel wird vom WBGU als Beginn einer „Großen Transformation“ zur nachhaltigen Gesellschaft verstanden (Kap. 3). Das Ausmaß des vor uns liegenden Übergangs ist kaum zu überschätzen und wird zu Recht als große Menschheitsherausforderung bezeichnet. Er ist hin-

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sichtlich der Eingriffstiefe vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: der Neolithischen Revolution, also der Erfindung und Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht, sowie der Industriellen Revolution, die den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft beschreibt. Anders als diese beiden historischen Übergänge muss die Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft innerhalb der planetarischen Leitplanken der Nachhaltigkeit ­(Kasten 1‑1) und wesentlich schneller verlaufen. Sie ist zudem keineswegs ein Automatismus, sondern muss aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht vorangetrieben werden, wenn sie in dem engen Zeitfenster gelingen soll, das zur Verfügung steht. Dies ist historisch einzigartig, denn die großen Transformationen der Vergangenheit waren Ergebnisse allmählichen evolutionären Wandels. Langzeitstudien zeigen, dass sich immer mehr Menschen weltweit einen solchen Wandel in Richtung Zukunftsfähigkeit wünschen (Kap. 2). Überdies verdeutlicht das atomare Desaster in Fukushima, dass schnelle Wege in eine klimaverträgliche Zukunft ohne Kernenergie beschritten werden sollten. Das Ziel ist formuliert und der Zeitdruck hoch, aber aufgrund unzureichender nationaler und internationaler politischer Anstrengungen ist die große Herausforderung dieser Transformation ungelöst. Die Weichenstellungen dafür müssen im Verlauf dieses Jahrzehnts gelingen, damit bis 2050 die Treibhausgasemissionen weltweit auf ein Minimum reduziert und gefährliche Klimaänderungen noch vermieden werden können. Der Zeitfaktor ist also von herausragender Bedeutung: Je später gehandelt wird und je größer die kumulierten Treibhausgasemissionen werden, desto schwieriger wird es, gefährliche Klimaänderungen zu vermeiden. Es ist jetzt eine vordringliche politische Aufgabe, die Blockade einer solchen Transformation zu beenden und den Übergang zu beschleunigen. Dies erfordert nach Ansicht des WBGU die Schaffung eines nachhaltigen Ordnungsrahmens, der dafür sorgt, dass Wohlstand, Demokratie und Sicherheit mit Blick auf die natürlichen Grenzen des Erdsystems gestaltet werden. Insbesondere müssen Entwicklungspfade beschritten wer-

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