WBGU Hauptgutachten: Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation

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Technische und wirtschaftliche Machbarkeit

Nur etwa die Hälfte der Menschheit hat von der Industrialisierung profitiert, die in den vergangenen ­200 Jahren große wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Fortschritte ermöglicht hat. Voraus­setzung dieser Fortschritte war die Erschließung neuer Energiequellen und Diversifizierung der Endnutzung sowie die Substitution tierischer und menschlicher Muskelkraft durch mechanische Energie (Landes, 1969). In den vergangenen beiden Jahrhunderten wurden dazu, sowie zur Licht- und Wärmeerzeugung, überwiegend fossile Energieträger verwendet. Dadurch wurden insgesamt mehr als 1.300 Gt CO2 in die Atmosphäre freigesetzt sowie Ökosystemgrenzen erreicht ­(Rockström et al., 2009a). Neben dem Energiesektor, der derzeit rund zwei Drittel der Emissionen langlebiger Treibhausgase verursacht, trägt die Landnutzung über CO2-Emissionen aus der nach wie vor stattfindenden Entwaldung sowie Emissionen von Methan (CH4) und dem wesentlich langlebigeren Lachgas (N2O) aus der Landwirtschaft etwa ein Viertel zu den globalen Treibhausgasemissionen bei. Die landnutzungsbedingten Emissionen treten räumlich weit verteilt auf, fluktuieren stark und sind eng mit naturräumlichen Stoffkreisläufen (z.  B. Bodenbiologie) verbunden. Verbesserungen der Landnutzungspraktiken wie z.  B. ein Stopp der Entwaldung, eine Reduktion der Überdüngung von Ackerflächen oder besser gesteuerte Bewässerungsmethoden würden deutliche Reduktionen dieser Emissionen ermöglichen. Die institutionelle Komplexität in den betreffenden Sektoren, die große Zahl an Akteuren sowie die weltweit noch rasch steigende Nachfrage nach Agrarprodukten erweisen sich dabei allerdings als erschwerende Begleitumstände (Kap. 4.3.4.1). Grundsätzliche Änderungen der technologischen Entwicklungspfade aller Länder sind notwendig, um der bisher ausgeschlossenen Bevölkerungshälfte elementare Entwicklungsziele wie Zugang zu Nah­ rungsmitteln, sauberem Wasser, Gesundheitsversorgung oder Armutsbekämpfung zu ermöglichen, ohne dabei die planetarischen Leitplanken zu verletzen. Der WBGU ist überzeugt, dass diese Ziele vereinbar

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sind, wenn mit politischem Willen und Entschlossenheit gehandelt wird. Zentrale Elemente einer Transformation zu einer nachhaltigen und klimaverträglichen Gesellschaft sind die umfassende Dekarbonisierung des Energiesystems sowie erhebliche Verbesserungen der Energieeffizienz, insbesondere im Endnutzungsbereich. Eine grundlegende Transformation der gegenwärtigen Energie- und Landnutzungssysteme geschieht keineswegs von selbst. Der WBGU hält jedoch die entschlossene Realisierung eines klimaverträglichen Entwicklungspfads für möglich. Diese ist mit großem Begleitnutzen verbunden, der bereits für sich allein genommen die erforderlichen Anstrengungen für die skizzierte Transformation rechtfertigt. Dazu gehören u.   a. die Ermöglichung wirtschaftlicher Entwicklung durch universellen Zugang zu sicheren und modernen Energieträgern, Verbesserungen der langfristigen Versorgungssicherheit und eine Entschärfung internationaler Konflikte um Energieressourcen, positive Beschäftigungseffekte in strukturschwachen Räumen und die Reduktion zahlreicher negativer Umweltwirkungen der bestehenden Systeme (Kap. 4.1). Zum Aufbau der für die Transformation erforderlichen Technologie und Infrastruktur werden hohe Investitionen sowie die Entwicklung neuer Finanzierungskonzepte und Geschäftsmodelle für Energiedienstleistungen notwendig sein. In einer langfristigen Perspektive werden diese Anfangsinvestitionen jedoch mehr als kompensiert, u.  a. durch reduzierte Brennstoffkosten, geringere Sicherheitsausgaben, weniger Umweltschäden sowie vermiedene Anpassungs- und Folgekosten des Klimawandels (Kap. 4.5).

4.1 Ressourcen, Energiepotenziale und Emissionen Der WBGU beginnt seine Analyse zur Machbarkeit der Transformation mit einer Übersicht von Elementen, die für ein transformiertes, klimaverträgliches Energie-, Wirtschafts- und Landnutzungssystem von besonderer Bedeutung sind. Neben den Potenzialen und

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