WBGU Hauptgutachten: Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte

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Kopenhagen: eine am Menschen orientierte ­Pionierin nachhaltiger Stadtplanung   5.4

zahlreiche Berührungs- und Überschneidungspunkte (Kasten 5.3-2); diese können weiter ausgebaut werden. Zudem hat Kairo durch die seit Jahrzehnten bestehende nationale und internationale Forschung die Möglichkeit, Potenziale zu erkennen und zu nutzen – vorausgesetzt, der öffentliche Sektor schließt sich an. Der öffentliche Sektor ist in Kairo zwar derzeit in seinen Kapazitäten limitiert, besitzt aber durchaus das Potenzial, bei „richtiger Zielsetzung“ solche Prozesse positiv zu verstärken. Bestenfalls kann dieses in einem „urbanen Gesellschaftsvertrag“ (Kap. 8.5) für Kairo ausgehandelt und umgesetzt werden (erste Ansätze zeigten sich z.  B. mit dem Egyptian Urban Forum; Kap. 5.3.2.4). Allerdings sind diese Entwicklungen derzeit durch sich verschärfende Teilhabedefizite massiv gefährdet. Sofern es gelingt, die Teilhabe der Bevölkerung stark auszubauen und die existierenden Ansätze progressiver Stadtentwicklungsstrategien weiterzuentwickeln, könnte auch in Kairo die Transformation zur Nachhaltigkeit gelingen. Dabei sind auch in Kairo Reversibilität und Anpassungsfähigkeit als Prinzipien der Stadtentwicklung (Kap. 4.2–4.4) einzubeziehen, damit auf dem Weg zur Transformation negative Pfadabhängigkeiten vermieden werden können.

5.4 Kopenhagen: eine am Menschen orientierte ­Pionierin nachhaltiger Stadtplanung Im Jahr 2015 gehörte Dänemark das dritte Mal in Folge zu den bestplatzierten Ländern im World Happiness Report (Helliwell und Sachs, 2015). Die Hauptstadt Kopenhagen, die in Umfragen häufig als lebenswerteste Stadt der Welt gewählt wird (z.  B. Award der Zeitschrift Monocle 2014), hat dieses Ergebnis vermutlich befördert. Wenn im europäischen Raum gute Beispiele für eine am Menschen orientierte, nachhaltige Stadtplanung gesucht werden, so werden häufig Kopenhagens innovative Verkehrs- und Raumplanungsstrategien genannt. Auch der WBGU sieht Kopenhagen in vielerlei Hinsicht als Vorreiter und Orientierungsbeispiel. Kopenhagen weist Merkmale einer typischen (west-) europäischen Metropole auf, die sich seit vielen Jahrhunderten entwickelt hat, nach wie vor wächst und sich durch eine starke Governance auszeichnet. Daher eignet sich diese Stadt, um Transformationspfade aufzuzeigen, von denen andere Städte mit ähnlichen Grundmustern und ‑voraussetzungen lernen können. Kopenhagen ist ein Beispiel für reife Städte in Industrieländern, die vor der Herausforderung stehen, nicht nachhaltige Pfadabhängigkeiten zu durchbrechen, ihre Auswirkungen auf den Klimawandel zu begrenzen und sich – wie im Beispiel Kopenhagen als Küstenstadt –

an mögliche Folgen des Klimawandels anzupassen. Kopenhagen hat sich dazu ambitionierte Ziele gesetzt, wie das Erreichen von Klimaneutralität bis zum Jahr 2025 als weltweit erste Stadt (Kap. 5.4.2). In Kopenhagen sind gute Voraussetzungen für eine Transformation zur Nachhaltigkeit erkennbar: So setzt sich die Stadt lokale Ziele (z.   B. Förderung nachhaltiger Mobilität, Inklusionsziele, Förderung von Diversität) und Ziele im Sinne eines Beitrags zur globalen Transformation (z.  B. CO2-Reduktionsziele, Engagement in Städtenetzwerken, Abkehr von städtischen Investitionen in fossile Energieträger). Darüber hinaus ist Kopenhagen ein Beispiel für gute Governance einer „starken Regierung“, für die die Beteiligung und Befähigung der Bürger eine wichtige Rolle spielt. Bottom-up-Aktivitäten werden in Kopenhagen häufig toleriert, zum Teil sogar aktiv von der Stadtverwaltung gefördert. Zugleich kann am Beispiel Kopenhagens verdeutlicht werden, dass ein hohes ökologisches Ambitionsniveau zu Zielkonflikten führt. Trotz hoher Ambitionen und guter Ansätze bestehen weiterhin Herausforderungen im Hinblick auf den vom WBGU vorgeschlagenen normativen Kompass und die Große Transformation, die auch Rückschläge und nicht intendierte Nebenfolgen mit sich bringen können.

5.4.1 Von der Wikingersiedlung zur Metropolregion Die einstige Wikingersiedlung Kopenhagen, heute räumlich auf den Inseln Seeland und Amager gelegen, ist seit dem 13. Jahrhundert die Hauptstadt Dänemarks (Statistics Denmark, 2015). Kopenhagen wird heute in räumliche Einheiten wie „Metropolregion“, „Hauptstadtregion“ und „Hauptstadt“ abgegrenzt. Die Metropolregion umfasst die Städte Kopenhagen und Frederiksberg sowie fünf weitere ehemalige Verwaltungseinheiten (OECD, 2009). Sie hatte im Jahr 2009 2,4 Mio. % der dänischen Gesamtbevölkerung Einwohner, 44   (OECD, 2009). Aus der national-administrativen Perspektive ist die Metropolregion allerdings keine Verwaltungseinheit. Die Hauptstadtregion, in der 1,77 Mio. Menschen leben (Citypopulation, 2015), umfasst mit Kopenhagen 29 Kommunen. Am 1. Januar 2014 hatte die Stadt Kopenhagen 728.243 Einwohner auf einer Fläche von 179,3 km². Dies entspricht einer Bevölkerungsdichte von mehr als 4.000 Personen pro km² (Statistics Denmark, 2014: Tabelle 399). Im Jahr 2009 verfügte Kopenhagen über die besten Universitäten des Landes (OECD, 2009). Die Metropolregion ist durch eine dienstleistungsorientierte Wirtschaft (z.  B. High-Tech-Firmen) geprägt (OECD, 2009).

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