WBGU Hauptgutachten: Welt im Wandel: Menschheitserbe Meer

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Governance anthropogener Meeresnutzung

In diesem Kapitel wird untersucht, ob die bestehende Governance der Meere den Herausforderungen des Anthropozäns gewachsen ist. Bereits seit dem 17. Jahrhundert hat sich ein Ordnungsrahmen für den Umgang mit den Meeren herausgebildet. Gleichzeitig konnte das Spannungsverhältnis zwischen dem „mare ­liberum“ – das Meer gehört allen – und dem „mare clausum“ – das Meer gehört den Küstenstaaten – bis heute nicht aufgelöst werden. Trotz zahlreicher völkerrechtlicher Abkommen und freiwilliger Verpflichtungen werden die Meere immer noch massiv überfischt, verschmutzt und zunehmend als letzte große Ressourcenquelle der Erde ausgebeutet (Kap. 1). Es ist daher zu vermuten, dass das bestehende globale GovernanceRegime nicht ausreichend problemadäquat ausgestaltet ist. Auf dieser Analyse aufbauend entwickelt der WBGU Vorschläge zur Weiterentwicklung der MeeresGovernance, um global den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Meere zu gewährleisten.

3.1 Spezifika der Meere Zur Bewertung der bestehenden globalen und regionalen Governance der Meere sowie zur Entwicklung einer zukunftsweisenden Meeres-Governance werden auf der Grundlage politik- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse Prüfsteine formuliert (Kap. 3.1.4). Anhand dieser Kriterien wird zunächst die aktuelle globale und regionale Governance analysiert und bewertet (Kap. 3.2 bis 3.7). In Kapitel 7 werden dann auf dieser Basis Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung einer den ­Herausforderungen des Anthropozäns gerecht werdenden künftigen Meeres-Governance gegeben. Für den Umgang mit den Meeren sind drei Aspekte von besonderer Bedeutung (Kap. 1.4). Es geht dabei um (1) Meere als Teil des Erdsystems (Kap. 3.1.1), (2) Unsicherheiten in Bezug auf die zukünftige Entwicklung (Kap. 3.1.2) sowie (3) um Meere als globales ­Kollektivgut (Kap. 3.1.3).

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3.1.1 Meere als Teil des Erdsystems Die Meere und Meeresökosysteme als Teil des Erdsystems erbringen für den Menschen lebensnotwendige Leistungen. Gleichzeitig sind Menschen ­integraler Bestandteil der Ökosysteme und greifen durch ihre Nutzungen in die Dynamik der Ökosysteme ein. Sowohl die Verschmutzung der Meere durch Schadstoffeinträge als auch die Übernutzung einzelner biologischer Ressourcen (wie etwa Fischarten) können marine Ökosysteme irreversibel schädigen. Die komplexen systemischen Interaktionen und Rückkopplungen folgen zudem nicht der Logik nationalstaatlicher Grenzen; sie sind in vielen Fällen grenzüberschreitend und – wie die Weltmeere selbst – global verknüpft (Costanza et al., 1999; ­Posner und Sykes, 2010). Hinzu kommen die Land/Meer-Interaktion (z.  B. die Einleitung von an Land produzierten Abfällen und Schadstoffen über die Flüsse ins Meer) sowie die Interaktion von Atmosphäre und Meer (z.  B. die Versauerung der Meere). Deshalb hält der WBGU es für notwendig, systemisch zu denken und nicht nur den ökosystemaren Ansatz (Kap. 1.4.2.1) aufzugreifen, sondern darüber hinaus zu gehen (Kap. 7.1.2). Bislang ist die Meeres-Governance durch einen sektoralen Ansatz entsprechend der jeweiligen Nutzung (Kap. 1.1) geprägt. Die Anwendung des systemischen Ansatzes soll eine Zusammenschau der Interaktionen natürlicher und sozialer Systeme ermöglichen (Kap. 1.4, 2). Damit soll sichergestellt werden, dass geplante Eingriffe nicht nur auf ihre Effekte innerhalb der Meeresökosysteme geprüft werden, sondern dass auch darüber hinausgehende systemische Zusammenhänge Berücksichtigung finden. Eine solche Zusammenschau ist erforderlich, um den Umgang mit den Meeren problem­adäquat gestalten zu können. Der systemische Ansatz stellt somit ein erstes zentrales Kriterium für die ­Analyse und Bewertung der bestehenden Governance der Meere dar (Kap. 3.1.4).

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