WBGU Hauptgutachten: Welt im Wandel: Menschheitserbe Meer

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Synthese: Die blaue Revolution

6.1 Die Meere als gemeinsames Erbe der Menschheit Globale Kollektivgüter, wie beispielsweise die Atmosphäre und den Meeresboden unterhalb der Hohen See, betrachtet der WBGU als „Gemeinsames Erbe der Menschheit“. Als völkerrechtliches Prinzip beinhaltet dies, dass globale Kollektivgüter allen Menschen ­gehören und zugänglich bleiben müssen. In der internationalen Umweltpolitik wird das Prinzip dahingehend in die Zukunft interpretiert, dass die natürlichen Ressourcen der Erde erhalten werden sollen, damit diese auch von künftigen Generationen genutzt werden können. Daraus ergibt sich ein System geteilter Souveränitätsrechte zwischen Staaten, basierend auf einem globalen, an Nachhaltigkeitszielen ausgerichteten Ordnungsrahmen. Die Erhaltung und Bewirtschaftung des Menschheitserbes erfordert Sachwalter, ein ausschließlich friedlichen Zwecken dienendes Schutz- und Nutzungsregime sowie Teilungsregeln, mit denen Vorteile und Kosten des Regimes gerecht verteilt werden (Kap. 7). Die Meere sind in weiten Teilen und für viele ­Nutzungen offen zugänglich, so dass vielfach immer noch die Folgen der „Tragik der Allmende“ (Hardin, 1968) zu beobachten sind. Und selbst in den Fällen, wo Regelungen gelten, werden die Meeresnutzer und Verursacher von Schäden nicht ausreichend zum langfristigen Schutz der Meere und ihrer Ökosystemleistungen angehalten. Den Schutz der Meere als „Erbe der Menschheit“ haben sich viele auf die Fahnen geschrieben. ­Exemplarisch zu nennen ist das weitsichtige und inhaltlich radikale Engagement von Elisabeth Mann Borgese und Arvid Pardo für ein neues Seerechtsübereinkommen in den 1970er Jahren (Mann Borgese, 1975; Pils und Kühn, 2012). Unter allen globalen öffentlichen Gütern ist das Meer aufgrund seiner starken symbolischen Bedeutung wohl dasjenige, das am meisten im öffentlichen Bewusstsein verankert ist und für schutzwürdig erachtet wird. Dennoch sind die Verschmutzung

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der Meere, die Zerstörung der ozeanischen Umwelt, die Überfischung und die rücksichtslose Nutzung mariner Ressourcen nicht gestoppt worden.

6.2 Expansion in die Meere Nachdem die Menschheit die Meere in früheren Jahrhunderten als einen Hort von Unsicherheit, Chaos und Bedrohung angesehen und gemieden hat, haben moderne Navigation und Technologie den Eindruck erweckt, man könne sie sich bis auf gewisse Restrisiken untertan machen. Die gigantische Ölpest nach der Explosion der Ölbohrplattform „Deepwater ­Horizon“ im Jahr 2010, der durch einen Tsunami ausgelöste multiple Super-GAU des Kernkraftwerks Fukushima im Jahr 2011, die gewaltige Flutkatastrophe an den asiatischen Küsten 2004 oder Hurrikane wie „Katrina“ (2005) und „Sandy“ (2012), die Metropolen wie New Orleans und New York zum Erliegen brachten, lassen die Meere wieder als Quelle und Ort von Katastrophen erscheinen, ganz abgesehen von der schleichenden Bedrohung durch den Meeresspiegelanstieg in Folge des Klimawandels (WBGU, 2006). So darf nicht die ungebremste Expansion in die Meere, wie man sie bei der Überfischung erlebt hat und wie sie sich auch bei der Aquakultur fortsetzt, die Devise sein; vielmehr soll, wie die exemplarischen Anwendungsfelder in diesem Gutachten zeigen, ein nachhaltiger Umgang mit der Allmende Meer auch für künftige Generationen die politischen Gestaltungs- und Nutzungskonzepte auszeichnen. Dazu gehört der Respekt vor den systemischen Interdependenzen der Meeresnutzung, gerade auch im Zusammenhang mit der Landnutzung. Im Vergleich zur Atmosphäre, zu großen Teilen der Biosphäre und zur Landfläche haben sich die Meere langsamer verändert, aber das scheint nicht so zu bleiben. Die Eingriffe des Menschen in kritische Funktionen des Planeten schlagen sich zunehmend in bedeutsamen Wandlungen in den Meeren nieder (Kap. 1). An

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