WBGU Hauptgutachten: Welt im Wandel: Menschheitserbe Meer

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Nahrung aus dem Meer

Fischerei ist eine der ältesten Nutzungsformen der Meere; Fische und Meeresfrüchte spielen bis heute in der Ernährung und ­Proteinversorgung vieler Menschen eine wichtige Rolle. Die Aquakultur, also Fischzucht an Land oder im Küstenbereich, hat ebenfalls eine jahrtausendealte Tradition und liefert heute fast die Hälfte der Fischprodukte für den menschlichen Konsum. Beide Wirtschaftszweige haben teils erhebliche schädliche Auswirkungen auf die Meeresökosysteme. In diesem Kapitel wird untersucht, wie eine veränderte Governance dazu beitragen kann, Fischerei und Aquakultur ­künftig nachhaltig zu gestalten, so dass sie einen Beitrag zur Transformation zur Nachhaltigkeit leisten können. Dazu werden nicht nur die Fischerei (Kap. 4.1) und Aquakultur (Kap. 4.2) betrachtet, sondern es werden auch ihre gegenseitigen Wechselwirkungen untersucht (Kap. 4.3). So ist die marine Aquakultur für ihre wichtigsten Zuchtmethoden auf Produkte aus der Meeresfischerei angewiesen und verstärkt daher indirekt den Druck auf die Meeresökosysteme. Schließlich werden im Kontext globaler Umweltveränderungen die systemischen Wirkungen auf Fischerei und Aquakultur untersucht, die in Zukunft für beide Sektoren an Bedeutung gewinnen werden (Kap. 4.4). Dabei geht es um anthropogene Wirkungen auf die Meere aus anderen Wirtschaftszweigen, die durch die Emissionen von Treibhausgasen und CO2 zu Klimawandel und Ozeanversauerung und durch die Einträge anderer Schadstoffe zu Eutrophierung, sauerstofffreien Zonen und Verschmutzungen der Meeresökosysteme führen. Bei Fischerei und Aquakultur geht es nicht nur um den Fang bzw. die Produktion von Fischen, sondern im weiteren Sinn auch um andere Meerestiere (Meeresfrüchte: z.  B. Krebstiere, Muscheln, Schnecken, Tintenfische) sowie in der Aquakultur auch um Algen. Wale werden hier nicht behandelt, denn sie spielen seit dem Moratorium der Internationalen Walfangkommission aus dem Jahr 1986 kaum noch eine Rolle für die Ernährung. Sowohl Fischerei als auch Aquakultur sollten immer im Kontext anderer Nutzungen (z.  B. Energiegewinnung, Tourismus, Naturschutz) gesehen werden.

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4.1 Marine Fischerei 4.1.1 Zustand und Trends der Fischerei Die Meeresfischerei ist, global gesehen, in einem besorgniserregenden Zustand (Froese et al., 2012; ­Beddington et al., 2007; FAO, 2012b:  13; Maribus, 2013). Es gibt einen breiten wissenschaftlichen und politischen Konsens, dass die globalen Grenzen der Nutzung erreicht oder sogar bereits überschritten sind, so dass dringender Handlungsbedarf besteht, um die Fischbestände zu erhalten oder wieder aufzubauen (WSSD, 2002:  §30a; Worm et al., 2009; Mora et al., 2009; FAO, 2010b; Costello et al., 2012b). Nur wenige Länder sind inzwischen auf einem guten Weg zu einem nachhaltigen Management ihrer Fischbestände. Die EU bewegt sich mittlerweile langsam in Richtung Nachhaltigkeit (Kap. 7.4.1.7). Die Meeresfischerei erlebte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen gewaltigen Aufschwung (FAO, 2011a). Die Anlandungen sind von 16,8 Mio. t pro Jahr (1950) bis auf 86,4 Mio. t pro Jahr (1996) gestiegen; seither stagnieren die Fänge bei etwa 80 Mio. t pro Jahr, mit leicht fallender Tendenz (Abb. 4.1‑1; FAO, 2012b:  11). Die Stagnation der Erträge bedeutet jedoch keineswegs, dass ein stabiler, nachhaltiger Zustand erreicht ist, in dem sich Bestände und Fischereidruck im Gleichgewicht halten. Vielmehr erfordert der gleiche Ertrag an Fisch einen höheren globalen Fischereiaufwand, der sich seit den 1950er Jahren um 54  % gesteigert hat (Anticamara et al., 2011). Die leichter erreichbaren natürlichen Bestände werden durch die Befischung zunehmend reduziert. Die Kompensation erfolgt dadurch, dass die Fischerei auf andere Bestände ausweicht (serial depletion; ­Srini­vasan et al., 2012). Die Grenzen des technisch Möglichen in der Fischerei werden durch weiterentwickelte Methoden zum Auffinden und Fangen von Fischen immer weiter verschoben

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