Archäologie in Deutschland 3/19 Leseprobe

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03 2019 Juni – Juli

Die Alamannen von Lauchheim

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DAS GRÄBERFELD VON STOLPE

IUPPITER DOLICHENUS – AUS ASIEN AN DEN RHEIN

EXOTISCH ODER BRITISCH?

Auf den Spuren der letzten slawischen Stammesgemeinschaften in Norddeutschland

Ein orientalischer Lokalgott aus Nordsyrien und die germanischen Provinzen

Neues über die Wagengräber aus den eisenzeitlichen Nekropolen der Arras-Kultur

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INHALT AiD 3 | 2019

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Lauchheim ist mit 1305 Gräbern der größte alamannische Friedhof Baden-Württembergs. Über 30 000 Funde wurden geborgen, gleichzeitig die zugehörige Siedlung ausgegraben und auf einer Fläche von über 10 ha etwa 20 000 Pfosten dokumentiert. Doch jetzt, nach Grabung und Restaurierung, fängt die Arbeit erst richtig an!

THEMA 20 Die Alamannen von Lauchheim 24

Ein Schatz für die Frühmittelalterforschung

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Baum, Bett und Boden – die Toten

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Dynamik einer bäuerlichen Siedlung

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Was die Knochen sagen: Arthrose, Lepra, Gewalt

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Neue Methoden zur Restaurierung großer Fundmengen

Iuppiter Dolichenus, eine lokale orientalische Gottheit aus Doliche in der Provinz Syria, wurde im gesamten Römischen Reich verehrt. Wie konnte es dazu kommen? Ausgrabungen am Ursprung des Kults in der Stadt Doliche liefern exemplarische Antworten zu Entstehung und Ausbreitung religiöser Vorstellungen.

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Aus den Höhlen der verkarsteten Schwäbischen Alb stammen 40 000 Jahre alte Kunstwerke – die ältesten Plastiken der Menschheit. Seit Juli 2018 ist die Wiege der Kunst Weltkulturerbe. Mitten darin der Archäopark Vogelherd: Im Park werden Leben und Kunstschaffen am Ende der letzten Eiszeit anschaulich – gleichzeitig ein idealer Ausgangspunkt zur Erkundung der berühmten Welterbehöhlen im Lonetal.

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INHALT

Am Vorabend der Christianisierung beherrschten slawische Stämme Nordostdeutschland. Das Gräberfeld von Stolpe in der Uckermark gewährt einen tiefen Einblick, wie die Slawen zäh ihre Kultur, ihre Unabhängigkeit und den alten Glauben gegen die christlichen Nachbarn verteidigten.

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40 Aus dem eisenzeitlichen Britannien kennen wir vor AnkunQ der Römer kaum Grabfunde. Mit einer Ausnahme: die Arras-Kultur des 4. bis 2. Jh. v. Chr. in Nordengland mit Wagengräbern und reichen Beigaben ähnlich wie im keltischen Europa. An diese Funde knüpQ sich die typische britische Frage: Welche Beziehungen bestanden zum Kontinent?

Das Moesgaard Museum südlich von Aarhus auf Jütland in Dänemark wurde 1970 in einem Gutsgebäude eingerichtet. Herausragende Exponate sind die Moorleiche des Grauballemannes und der Hortfund aus dem Illerup Ådal mit Unmengen germanischer Waffen. Seit 2014 wird die Ausstellung in einem spektakulären Neubau inszeniert.

Bei Zülpich im Rheinland wurde ein Sarkophag des 3. Jh. n. Chr. geborgen, darin eine junge Frau von etwa 25 bis 30 Jahren mit Beigaben, die offensichtlich der Schönheitspflege dienten. Das Grab stammt vom kleinen Friedhof eines Gutshofs: privilegierte römische Bürger vor den Toren Kölns.

Editorial

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Im Blickpunkt

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Forschung Slawische Elite

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Weltweit Wie Iuppiter Dolichenus das Römische Reich eroberte

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Thema: Die Alamannen von Lauchheim Europa

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Im Land der Parisi: neue Forschungen zur Arras-Kultur

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Dänische Vorzeit in neuem Gewand Report

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Junge Frau im Sarkophag

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Aktuelles aus der Landesarchäologie

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Archäopark VogelSEHENS herd: Forschen – WERT Entdecken – Erleben

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Museum Ulm: Die Kammer des Löwenmenschen

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Wissenswert

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Autoren dieses HeQes

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Impressum

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Bücher und Medien

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Ausstellungen

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Bildnachweis

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Rätsel

Bei inhaltlichen Fragen erreichen Sie die Redaktion unter: redaktion@aid-magazin.de

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THEMA Die Alamannen von Lauchheim Als +0/. in Lauchheim Gräber zum Vorschein kamen, ahnte niemand, wie wichtig der Platz für die Frühmittelalterforschung werden sollte: Nach Abschluss der Grabungen im Jahr ,**- hatten Archäologen nicht nur eines der größten Reihengräberfelder Südwestdeutschlands untersucht, sondern auch eine dazu gehörende Siedlung freigelegt. Viele hochkarätige Funde wurden geborgen, zudem waren Objekte aus organischem Material erhalten. Aber wie sollte man die enormen Fundmassen bewältigen, um sie der Forschung zugänglich zu machen?


Von Jonathan Scheschkewitz

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ntersuchungen auf frühmittelalterlichen Gräberfeldern sind fester Bestandteil der archäologischen Denkmalpflege. Immer wieder erfordern Bauvorhaben Rettungsgrabungen, die zu einem beständigen Anwachsen des merowingerzeitlichen Fundmaterials führen. Auswertung und wissenschaVliche Vorlage der Gräberfelder gestalten sich jedoch meist wesentlich schwieriger als die Ausgrabung vor Ort – nicht selten liegen weit über 30 Jahre zwischen Grabung und Publikation. Voraussetzung für eine wissenschaVliche Bearbeitung ist die Restaurierung des Fundmaterials. Dies zeitnah vorzunehmen war und ist bei der personellen und finanziellen Ausstattung der Denkmalpflege undenkbar, und so konzentriert man sich notgedrungen häufig auf einige herausragende Funde, die im Museum präsentiert werden. Die Ausgrabungen in Lauchheim sind hierfür ein Paradebeispiel. Lauchheim ist mit knapp 5000 Einwohnern die kleinste

Stadt im Ostalbkreis. Der erstmals 1248 schriVlich bezeugte Ort liegt im Tal der Jagst vor dem Albtrauf, dem steil abfallenden Nordrand der Schwäbischen Alb. Nach Osten führt beim Gromberg ein Pass ins Nördlinger Ries. Diese natürliche Verbindung diente zumindest seit der Römerzeit als Verkehrsweg. Das frühmittelalterliche Gräberfeld wurde bei Bauar-

Baumsarg im zusätzlich mit Holz verschalten Grab 974: Stellenweise herrschten in den Tonschichten hervorragende Erhaltungsbedingungen für organische Materialien.

Neue Methoden bei der Restaurierung: Die originale Oberfläche von Eisenobjekten wurde nur in Ausschnitten freipräpariert. Der Rest inklusive anhaftender organischer Spuren bleibt erhalten.

Linke Seite: Unser Titelbild zeigt eine Rekonstruktion des alamannischen Dorfes bei Lauchheim in der Flur »Mittelhofen«.

beiten für ein neues Gewerbegebiet ungefähr 1300 m westlich des historischen Ortskerns unterhalb der Kapfenburg entdeckt. Lebensaufgabe für die Denkmalpfleger Zu Beginn der Ausgrabungen im Jahr 1986 war den beteiligten Archäologen noch nicht bewusst, welche Herausforderungen auf sie zukamen. Die Untersuchungen sollten 20 Jahre ihres Berufslebens prägen. Dabei war es ein Glücksfall, dass sowohl die wissenschaVliche Leitung mit Ingo Stork als auch die technische mit Horst-Peter Ott und Eugen Stauß während der gesamten Ausgrabung in denselben Händen lag. Als 1996 die Arbeiten auf dem Gräberfeld abgeschlossen werden konnten, waren 1305 Gräber untersucht, die vom 5. bis in das 7. Jh. reichten. Parallel zu den auf dem Friedhof laufenden Untersuchungen begannen 1989 Grabungen auf der 200 m talwärts gelegenen Niederterrasse der Jagst in der Flur »Mittelhofen«. Diese wurde wegen einer geplanten Umgehung der B 29 notwendig und dauerte bis zum Jahr 2005. Dabei wurde eine früh- bis hochmittelalterliche Siedlung erfasst. Hinzu kamen kleine, zum Teil hervorragend ausgestattete Grabgruppen bei einzelnen Höfen, sogenannte Hofgrablegen. Die Gräber sind nicht nur zum Teil sehr reich mit Beigaben ausgestattet, sie waren zudem im Gegensatz zu vielen anderen Reihengräbern nur zu einem geringen Grad beraubt. Hinzu kommen das umfangreiche, gut erhaltene Skelettmaterial und die teils hervorragenden Erhaltungsbedingungen für organische MateAiD 3 | 2019

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THEMA Die Alamannen von Lauchheim

rialien wie Holz und Textilien: zusammengenommen ein ungewöhnliches Potenzial für wissenschaVliche Untersuchungen. Um dieser außergewöhnlichen Fundstelle gerecht zu werden, wurde von Beginn an ein hoher Dokumentationsstandard eingehalten. So hat man etwa 350 Befunde im Block geborgen, um komplexe Strukturen erst einmal unversehrt zu retten und später unter Laborbedingungen in der Werkstatt des Landesamtes zu untersuchen. Mit der archäologischen Untersuchung des Gräberfeldes sowie der Siedlung wurde ein Quellenbestand geschaffen, der eine bislang einzigartige Basis für die Frühmittelalterforschung in Südwestdeutschland darstellt. Insgesamt wurden auf dem Gräberfeld über 30 000 Funde geborgen und in der Siedlung etwa 20 000 Pfosten auf einer Fläche von über 10 ha dokumentiert. Enorme Fundmassen – neue Methoden Zwar war das wissenschaVliche Potenzial der Entdeckungen in Lauchheim immer über jeden Zweifel erhaben. Die Massen an Funden und Befunden stellten aber 22

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Erdrückende Fundmassen: Aus den Gräbern wurden allein über 100 Langschwerter bzw. Spathen geborgen.

Am korrodierten Eisen des Gürtelbeschlags aus Grab 370 hat sich Gewebe aus Textilfasern erhalten.

auch ein Problem dar. Die Bearbeitung der Siedlung erschien im Rahmen einer Dissertation noch möglich. Eine größere Hürde lag im Restaurierungsaufwand für die Grabbeigaben. So hatte die Strategie der Blockbergungen letztlich eine Verlagerung der Ausgrabung von der Grabungsfläche in die Restaurierungswerkstatt zur Folge. Mit herkömmlichen Methoden hätte die Bearbeitung einen sehr hohen Aufwand an Zeit und Personal bedeutet. Gleichzeitig hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, welches wissenschaVliche Potenzial in den häufig erhaltenen organischen Resten liegt, deren Analyse den Zeitaufwand für die Restaurierung eines Funds noch einmal deutlich steigert. Dies ließ sich nicht mehr neben dem normalen Betriebsablauf in den Werkstätten bewältigen. Die Erprobung einer »virtuellen« Freilegung mithilfe eines Computertomografen im Rahmen einer von der Deutschen ForschungsgemeinschaV geförderten Pilotstudie des Landesamtes für Denkmalpflege und der Universität Freiburg eröffnete jedoch neue Möglichkeiten. Die neue Methode ließ eine zeitnahe Vorlage


dokumentiert. Dies hatte einen hohen Stellenwert, da aufgrund der besonderen Erhaltungsbedingungen neue Ergebnisse zur Kleidung und zur Textilarchäologie im weiteren Sinne zu erwarten waren. Die anschließende Restaurierung umfasste in den überwiegenden Fällen aus Zeitgründen nur eine Teilfreilegung, die es erlaubte, die notwendigen Merkmale für die anschließende wissenschaVliche Beschreibung vollständig zu erfassen. Danach

Neue Methoden enthüllen Details, die den Archäologen bisher meist verborgen blieben: Der Computertomograf erfasst Schweißmuster auf den Schwertklingen (Grab 500).

Im Computertomograf können die Objekte in Blockbergungen dreidimensional aus allen Blickwinkeln visualisert werden: Oben Tascheninhalt aus Grab 799, unten zwei Orakelstäbe mit eingeritzem Kreuz. Was wie ein Foto wirkt, beruht einzig auf den digitalen Daten der Computertomografie.

konnten die Objekte erst fotografiert und dann konserviert werden. Unsichtbares sichtbar machen Dreh- und Angelpunkt im Umgang mit den Blockbergungen war die Untersuchung mithilfe eines Computertomografen. Die Messdaten erlauben eine dreidimensionale Erfassung der Funde im Block und damit die exakte Dokumentation ihrer Lage und weit reichende Interpretationen zur Art und Weise, wie die Beigaben ins Grab gelangten. Da die Messungen auch organische Reste erfassen, konnte auf eine ungleich zeit- und personalintensivere manuelle Freilegung der Objekte verzichtet werden. Darüber hinaus bleiben die Blockbergungen weiterhin als wissenschaVliches Reservoir für die ZukunV erhalten: Sie können jederzeit erneut untersucht werden. Bei einzeln bearbeiteten Objekten wie den über 100 Spathen aus dem Gräberfeld ermöglichen die Messungen, den inneren Aufbau zu erfassen. Dadurch ergeben sich beispielsweise bei den Klingen Hinweise auf die Herstellung, die mit einfachen Röntgenaufnahmen nicht möglich wären. Nach Grabung und Restaurierung: Die Arbeit fängt erst richtig an Nach Abschluss des Projekts sind nun die kompletten Grabinventare erfasst. Dabei kam so manche Überraschung und manch interessanter Einblick in das Leben der BestattungsgemeinschaV zutage. Als ein kleines Beispiel mögen die visualisierten Daten einer Blockbergung aus Grab 799 dienen, die den Tascheninhalt eines Mannes zeigen. Neben einem Messer, einer Ahle, einer kleinen Bronzeschnalle, einem Feuerstahl und einem Silexabschlag befanden sich darin unter anderem zwei kleine 5,5 cm lange Bronzestäbe, von denen einer an den Enden mit einem Kreuz markiert war. Diese Stäbe werden üblicherweise als Los- oder Orakelstäbe interpretiert, die einem Ratsuchenden vermutlich bei wichtigen Entscheidungen helfen sollten. Das Projektende bildet also im Grunde erst den Startschuss für die Forschung! Das große Reihengräberfeld sowie die Siedlung mit den Hofgrablegen liefern die Basis für eine Vielzahl von Fragestellungen, dem mit einem Folgeprojekt seit 2018 Rechnung getragen wird.

Einzigartige Funde. Reiche Geschichte. Lassen Sie sich begeistern. Ausstellung, hochkarätige Sonderausstellungen, persönliche Führungen und unser aktives Programm „lebendiges museum“ laden Sie ein, unsere Vorfahren kennenzulernen.

Alamannenmuseum Ellwangen Haller Straße 9 | 73479 Ellwangen Telefon +49 7961 | 96 97 47 www.alamannenmuseum-ellwangen .de

Alamannen Alamannen Museum Museum Ellwangen Ellwangen

Gestaltung: Christina Faber

des Gräberfeldes realisierbar erscheinen. So konnte nach Abschluss der Studie 2008 zum einen die Umsetzbarkeit des Verfahrens, zum anderen die damit verbundene deutliche Zeitersparnis gegenüber einer herkömmlichen Restaurierung bestätigt werden. Daraus entwickelte man ein Konzept, bei dem Archäologen und Restauratoren in enger Zusammenarbeit neue Wege beschritten, um die Fundmassen zu bewältigen. Von 2009 bis 2016 haben die Deutsche ForschungsgemeinschaV und das Land Baden-Württemberg das »Lauchheim-Projekt« intensiv gefördert. Dabei wurden neben der Computertomografie auch zeitsparende Restaurierungsmethoden erprobt, um die wissenschaVliche Vorlage zu beschleunigen. Um innerhalb des straffen Zeitplans alle Objekte bearbeiten zu können, waren feste Arbeitsabläufe vorgeschrieben. So wurden bei der Fundaufnahme der nicht restaurierten Einzelobjekte zunächst die noch erhaltenen organischen Materialien

Alamannenmuseum Ellwangen Seit 2001 gibt es das Alamannenmuseum. Die Ausstellung zeigt Funde des 3. bis 8. Jh. n. Chr. aus ganz Süddeutschland, doch im Mittelpunkt stehen Funde aus dem nur wenige Kilometer jagstaufwärts gelegenen Lauchheim. Das Museum wurde im 1593 errichteten Gebäude der »Nikolauspflege« in der Haller Straße eingerichtet, einem der ältesten noch erhaltenen Armen- und Siechenhäuser Südwestdeutschlands. Nähere Infos auf der Website der Stadt: www.ellwangen.de unter »Museen«

Literatur Ingo Stork, Friedhof und Dorf, Herrenhof und Adelsgrab. Der einmalige Befund Lauchheim, in: Die Alamannen (Stuttgart 1997) 290–310. Ingo Stork, Friedhof und Dorf – der exemplarische Fall Lauchheim. A. Gut (Hrsg.), Die Alamannen auf der Ostalb. Frühe Siedler zwischen Lauchheim und Niederstotzingen. Archäologische Informationen aus BadenWürttemberg 60 (Stuttgart 2010) 92–105. Zahlreiche Beiträge seit Beginn der Grabungen im Jahrbuch Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg, zuletzt ebd. 2005, 174– 177. Zu Restaurierung und DFG-Projekten nach Abschluss der Grabungen ebd. 2012, 62–67.

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