Brückenbau 1-2/2019

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www.maurer.eu

Ausgabe 1/2 . 2019

19. Symposium BrĂźckenbau in Leipzig

www.verlagsgruppewiederspahn.de

ISSN 1867-643X


© Terex Cranes 2019. Terex, Demag und Above, Ahead, Always sind Marken in Eigentum oder Lizenz der Terex Corporation bzw. ihrer Tochtergesellschaften.

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EDITORIAL Zum neunzehnten Symposium Leipzig

Erinnerung an (elementare) Erkenntnismöglichkeiten von Michael Wiederspahn

Dipl.-Ing. Michael Wiederspahn

»Definitionen sind Kunstwerke. Am meisten bewundere ich die des Glases: ›Glas ist eine unterkühlte Flüssigkeit extrem hoher Zähigkeit bei praktisch unendlich kleiner Fließgeschwindigkeit.‹ (Gustav Tammann, 1903) Man sieht gleich, worauf es bei einer Definition ankommt: Sie muss sich so weit wie irgend möglich von der Tautologie entfernt halten. Sie zieht Vorstellungen heran, durch deren Grenzwerte sie bestimmt, was die Erscheinung nicht beschreibt. Wer vor einer Schaufensterscheibe steht, wird zu deren Beschreibung am wenigsten an ›Flüssigkeit‹ und ›Fließgeschwindigkeit‹ denken. (...) Man darf Definitionen vergessen. Eine einzige sollte man nicht vergessen, obwohl in ihr das Vergessen essentiell ist. Sie stammt von einem der vielen französischen Ministerpräsidenten, einem, dem Vergessen unrecht täte: von Édouard Herriot. Er hinterließ, ›Bildung‹ sei das, ›was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat.‹ Man ist, bevor man bewundert, schon dankbar, dass man vergessen darf. Ja, dazu ins Recht gesetzt wird. (...) Man muss sich an vieles erinnern können, um die Lizenz zu erwerben, alles vergessen zu dürfen. Denn das Vergessen, das hier gemeint wird, ist nichts anderes als die homogene Unbestimmtheit der Erinnerung.«

Es gibt Schriftsteller, Philosophen, Literatur-, Kunst- und (viele) andere Wissenschaftler, deren Werke nicht nur einmal gelesen werden wollen oder eben sollten, da in ihnen immer wieder neue Aspekte und Ideen, überraschende Assoziationen und Wendungen zu entdecken sind, die den eigenen Horizont zu erweitern, einem also zusätzliche und stets genauso geistreiche wie gehaltvolle Erkenntnisse zu gewinnen helfen. Zu jenen Denkern, deren Ab- und Behandlungen, Ein- und Auslassungen sicherlich zur Re-, ja sogar zu einer Dritt-, Viert- oder Fünftlektüre aufrufen oder einladen, gehört, zumindest nach Meinung des Autors dieser Zeilen, Hans Blumenberg, bedarf es doch keiner übermäßig großen Phantasie, sondern lediglich eines (ausgeprägteren) Sprachverständnisses, um seine längeren und bisweilen auch eher kurzen Texte würdigen, sie als einen nahezu unerschöpflich anmutenden Fundus an Anregungen und Perspektiven, als eine anscheinend nie versiegende Quelle der Inspiration und insofern der An- und Ausdeutungen, Argumente und Interpretationen, Be-, Hin- und Querverweise wertschätzen zu können. Was hat das (alles) freilich mit einer Zeitschrift namens »Brückenbau«, ergo mit einem Heft zu tun, das als Tagungsband mit sämtlichen Vorträgen des 19. Symposiums Brückenbau in Leipzig aufwartet und zudem diverse Rubriken umfasst, wie zum Beispiel »Produkte und Projekte«? Die Antwort ist im Prinzip relativ simpel und erschließt sich bereits bei eingehender(er) Betrachtung des einleitenden Zitats, das selbstredend von Hans Blumenberg stammt, und zwar aus seinem Buch »Begriffe in Geschichten« oder, ein bisschen exakter, aus »Bildung ist, was übrigbleibt« und damit einer Erörterung in der von ihm als Projektsammlung konzipierten Veröffentlichung von 1998: Auf der Intention basierend, dass (vermeintlich) wichtige oder wenigstens häufiger gebrauchte Ausdrücke, Bezeichnungen

und Vokabeln per se hinterfragt und hinsichtlich der Sinnhaftigkeit ihrer Verwendung detailliert überprüft werden müssen, dient sie letztlich der präzisen Be- und Durchleuchtung einzelner Benennungen wie deren möglicher oder tatsächlicher Konnotationen – mit dem Ziel, den Blick für das Wesentliche einer Aussage, einer Erklärung oder lediglich Etikettierung zu schärfen. Und hier rundet sich nun der Kreis, denn der »Brückenbau« erfüllt de facto ähnlich hohe Anforderungen, indem in und mit ihm ausnahmslos solche Entwurfsresultate thematisiert werden, die in puncto Qualität auf Dauer überzeugen. Das heißt, anstatt sich (irgendwelchen) modischen Irrungen und Wirrungen zu widmen, deren glänzende Oberflächen die Urteilsfähigkeit oft und gerne einzutrüben pflegen, ergründen und veranschaulichen die nachfolgenden Seiten den Kern einer Brückenstruktur wie Brückenkonstruktion – und sorgen derart für Orientierung, knüpfen aber zugleich an (wahrlich) elementare Kriterien der Planung wie Realisierung an: eine gerade in Zeiten des Umbruchs und der augenfällig unbe- oder -eingeschränkten Fortschrittsgläubigkeit unverzichtbare Erinnerung, deren adäquate Einlösung indessen die Bereitschaft zum kontinuierlichen Lernen bedingt oder, in den Worten Hans Blumenbergs: »Sollte man diesem schlichten Sachverhalt noch etwas Hochgestochenes aufsetzen, so läge bereit: ›Bildung ist kein Arsenal, Bildung ist ein Horizont.‹« Dem bleibt zweifelsohne kaum etwas hinzuzufügen – außer vielleicht der (kleinen) Empfehlung zum aufmerksamen Studium jener Dokumentationen und Beschreibungen, die substantielle Erkenntnismöglichkeiten eröffnen und (deshalb) nachstehend zu finden sind.

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I N H A LT

Editorial 3

Erinnerung an (elementare) Erkenntnismöglichkeiten Michael Wiederspahn

Brückenbauwerke 6

Entwicklung von Bauweisen im Brückenbau Victor Schmitt, Anton Braun, Thomas Lechner, Günter Seidl

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Ersatzneubau der Talbrücke Rothof Bernd Endres, Manfred Becker

26

Abbruch der Talbrücke Heidingsfeld Tobias Bäumler, Tobias Schmidt

46

Ausbau der A 1 zwischen Köln-Niehl und Leverkusen-West Nicole Ritterbusch

52

Mangfallbrücke Rosenheim Hans Grassl, Jacqueline Donner

62

Die neuen Eurocodes Martin Muncke

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Instandsetzung des Sitterviadukts Robert Wagner

74

Bahnhof Køge Nord in Dänemark Steen Savery Trojaborg

78

Zweite Hinterrheinbrücke in Reichenau Steen Savery Trojaborg, Monika Schenk, Andreas Galmarini, Ian Firth

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Colne Valley Viaduct als Referenzentwurf Martin Knight, Héctor Beade Pereda, Bartlomiej Halaczek

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Bogibeel Bridge in Indien Jens Schülke

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I N H A LT

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Modernisierung und Erneuerung der Eisenbahnbrücken Jens Müller

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Lärmschutzanlagen an der A 7 in Hamburg Gregor Gebert

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Längsversteifte Beulfelder unter biaxialen Spannungen Martin Mensinger, Joseph Ndogmo, Nadine Maier

120

Neckartalbrücke Horb Holger Haug, Christoph Maulhardt

126

Neckarbrücke Benningen Holger Haug, Marc Schumm

134

Ersatzneubau Schiersteiner Rheinbrücke der A 643 Harald Mank, Alwin Dieter

144

Brücke über die Salzach bei Kaprun Günter Seidl, Wolfgang Mariacher, Jürgen Schmidt

154

Die Legobrücke Markus Gabler, Abdalla Fakhouri, Katrin Baumann

160

Offensive Holzbrückenbau Arnim Seidel, Frank Miebach

166

Produkte und Projekte

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Software und IT

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Nachrichten und Termine

177

Branchenregister

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Impressum

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SYMPOSIUM Rückblick und Ausblick

Entwicklung von Bauweisen im Brückenbau von Victor Schmitt, Anton Braun, Thomas Lechner, Günter Seidl

In vielen Ländern mit hochbelasteter Verkehrsinfrastruktur ist Bauen mit vorgefertigten Modulen anerkannter Stand der Technik und wird stetig eingesetzt. In der Regel sind es Überbauten mit einem einzelligen Stahlbetonhohlkasten, die, in Segmente aufgeteilt, vor Ort meist im Freivorbau zusammengefügt und mit externen Spanngliedern zusammengespannt werden. Modulbauweisen im Verbundbau sind die Ausnahme, bieten aber gegenüber dem Spannbeton in der Herstellung, beim Transport und der Montage erhebliche Vorteile, da die Fahrbahnsegmente auf die Längsträger einfach aufgelegt werden können. Mit der vorgestellten VSM®-Bauweise können robuste Überbauten von Ein- und Mehrfeldbauwerken in kürzester Bauzeit mit geringster Verkehrsbehinderung wirtschaftlich realisiert werden.

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Überbaumodule für die TGV-Strecke Tours–Bordeaux in Frankreich © www.lisea.fr

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Dichter täglicher Verkehr auf der A 8 © SSF Ingenieure AG/Florian Schreiber

1 Einleitung 1.1 Bedarfsermittlung Das hochausgelastete Straßennetz in Deutschland (Bild 1) benötigt Entwürfe für Brücken, die in kurzer Bauzeit bei minimaler Beeinträchtigung der Umwelt und des Verkehrs fertiggestellt werden können. Unabdingliche Voraussetzung für die Bauweise ist, dass gutgestaltete, dauerhafte Bauwerke wirtschaftlich ausgeführt werden, die mit niedrigem Aufwand zu unterhalten sind. Ein Lösungsansatz sind die Vorfertigung der Bauteile und ihr Zusammenfügen vor Ort.

In den meisten Ländern mit hochbelasteter Verkehrsinfrastruktur ist Bauen mit vorgefertigten Modulen anerkannter Stand der Technik, der in der Praxis umgesetzt wird: In Frankreich wurde die 340 km lange TGV-Strecke Tours–Bordeaux innerhalb von 38 Monaten realisiert, bei der 500 Ingenieurbauwerke, darunter 24 Talbrücken, in dieser kurzen Bauzeit zu erstellen waren. Für die acht größten Talbrücken wurden über 1.000 Überbausegmente in einer zentral gelegenen Feldfabrik gefertigt, zur Baustelle transportiert, im Freivorbau montiert und zusammengespannt (Bilder 2 und 3).


SYMPOSIUM In China wird gegenwärtig in der Stadt Zhengzhou der vierte Autobahnring mit 100 km Länge und 100 km Zu- und Abfahrten erstellt, der im Jahr 2020 nach zwei Jahren Bauzeit dem Verkehr übergeben werden soll. Der Großteil des geplanten Ringes ist eine Hochstraße. Alle Brücken werden in Modulbauweise errichtet, um die kurze Bauzeit einhalten zu können. Dafür sind insgesamt über 50.000 Brückensegmente zu fertigen, anzuliefern, zu montieren und zusammenzuspannen (Bild 4). Die Produktion der Überbaumodule erfolgt in acht neuerrichteten Feldfabriken, die am Tag bis zu 200 Segmente produzieren können. 1.2 Istzustand in Deutschland Die Öffentlichkeit als Inhaber und Nutzer der Verkehrsinfrastruktur erwartet mit Recht gutgestaltete, dauerhafte Bauwerke, die in kurzer Bauzeit bei minimaler Beeinträchtigung der Umwelt und des Verkehrs erstellt werden. Die zuständigen Bauherren können mit der Gestaltung der Bauwerke und der Qualität überzeugen, die öffentliche Resonanz ist positiv. Dagegen könnte nach Meinung der Nutzer das Bauen von Ingenieurbauwerken im Bestand schneller und mit geringerer Beeinträchtigung des Verkehrs vonstattengehen. Die Aufgabe, den Bauprozess zu beschleunigen und mehr Rücksicht auf die Verkehrsteilnehmer zu nehmen, muss sich der Bauherr verinnerlichen und den Mut aufbringen, zum Erreichen dieser Ziele neue Wege zu gehen.

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Viaduc de Claix: Montage eines Segmentes im Freivorbau © www.lisea.fr

Der Einsatz von Fertigteilen ist in Deutschland durch die ZTV-ING bis ins Detail geregelt und weitgehend beschränkt. Internationale Entwicklungen von Modulbauweisen vermochten sich im Brückenbau praktisch nicht durchzusetzen. Die Fortschritte der Betontechnologie ermöglichen es, inzwischen Überbaumodule mit dichtem Gefüge in Hochleistungsbeton herzustellen, die auch ohne Schutz durch eine Abdichtung eine hohe Lebensdauer erwarten lassen. Solche Bauteile lassen sich gesichert nur industriell in Fertigteilwerken wirtschaftlich herstellen und dann vor Ort zusammenfügen. 1.3 Rückblick In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich Bauweisen in Spannbeton auf Lehrgerüst, im Taktschiebeverfahren und auf Vorschubrüstungen durch und sind in Deutschland bis heute Vorzugsbauweisen, weil sie sich bewährt haben. Stahlverbundüberbauten mit Nutzung von Schalwagen zum Betonieren der Ortbetonplatte ersetzten reine Stahlüberbauten mit orthotroper Platte und deckten damit einen Nischenmarkt ab.

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Seit den 1970er Jahren erreichten vor allem Spannbeton-Fertigteilbauweisen bei kleinen Brücken bis 35 m über hochfrequentierten Verkehrswegen erhebliche Marktanteile, die sie bis heute international halten. In Bayern setzte man erfolgreich auf Einfeldträger mit Federplatten über den Stützen. Diese Variante hat den Vorteil, dass der unterführte Verkehr nur minimal behindert wird und der Rückbau einfach zu realisieren ist. Von Nachteil ist, dass viele Lager zu unterhalten sind. Prof. Josef Scheidler, einst Leiter des Sachgebietes Tunnel- und Brückenbau in der damaligen Obersten Baubehörde, hat diese Bauweise durch Annahme von Nebenangeboten gefördert. Nach seinem Ausscheiden wurde sie in Bayern nicht mehr angewendet, obwohl sie sich bewährt hatte.

Vierter Autobahnring Zhengzhou: Vorfertigung von Segmenten © Gernot Komar

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SYMPOSIUM

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Entwicklung der Verbund-Fertigteil-Bauweisen: VFT®, VFT-WIB®, VTR® (v.l.n.r.) © SSF Ingenieure AG

Mittelpfeiler bei Überführungen über die Autobahnen dürfte es eigentlich nur noch in Sonderfällen geben, bedingen sie doch bei Erneuerung und im Unterhalt Inselbaustellen mit hoher Verkehrsbeeinträchtigung. Will man auf Mittelpfeiler verzichten, sind bei sechsstreifigen Autobahnen Fertigteillängen von deutlich über 36 m notwendig. Spannbetonträger werden bei solchen Längen in der Regel zu schwer. SSF Ingenieure haben vor 20 Jahren die sogenannte VFT®-Bauweise mit Nebenangeboten auf den Markt gebracht (Bild 5) [3]. Förderer durch Anerkennung von Nebenangeboten in VFT®Bauweise waren Einzelpersonen: Dr. Thiemann vom Brandenburgischen Autobahnamt, Gundolf Denzer mit seinen Kollegen bei der DEGES und Prof. Jürgen Weber in der Obersten Baubehörde in Bayern. Heute hat sich die Bauweise europaweit durchgesetzt, inzwischen gibt es über 1.000 Brücken dieses Typs. Als Weiterentwicklung haben wir die sogenannte VFT-WIB®-Bauweise mit höherer Steifigkeit auf den Markt gebracht (Bild 6). Dabei werden halbierte Walzträger über Verbunddübel mit einem Betonsteg verbunden: eine wirtschaftliche Alternative zu den WIB-Überbauten der europäischen Bahnen, da sie den Baustahlbedarf um 40 % senkt und die Bauzeit deutlich reduziert.

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Nach unserer Wahrnehmung wird es immer schwieriger, neue Bauweisen durchzusetzen. Es sprengt den zeitlichen Rahmen der Baugenehmigungs- und Ausführungsphase, die erforderlichen Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) und gegebenenfalls unternehmensinterne Genehmigungen (UIG) der DB zu erwirken. Zum Start der Bauweise haben wir uns ein Projekt der Gemeinde Pöcking am Starnberger See ausgesucht und mit Unterstützung durch Prof. Hans Pfisterer, dem damaligen Sachgebietsleiter für Tunnel und Brückenbau in der Obersten Baubehörde Bayerns, die Errichtung der ersten VFT-WIB®-Brücke durchgesetzt. [4] Der Bürgermeister der Gemeinde war, abgesichert durch Fachgutachten, bereit, in einem engen Zeitrahmen eine Zustimmung im Einzelfall zu gewähren. SSF Ingenieure haben sich in einer Vielzahl von Forschungsprojekten an der Entwicklung der Verbunddübelleisten beteiligt. Als Ergebnis dieser umfangreichen Forschungstätigkeiten verschiedenster Institutionen gibt es heute eine allgemeine Bauartgenehmigung für Stahlverbundträger mit Verbunddübelleisten [1]. Die Bauweise hat gegenüber Spannbetonträgern den Vorteil, dass die Träger gestoßen werden können. So werden Trägerlängen bis 60 m möglich, die sich in zwei Teilen anliefern lassen. Bei Mehrfeldbrücken in einem solchen Stützweitenbereich sind zweistegige Plattenbalken wirtschaftlicher. Dieses Marktsegment der Verbundbrücken deckt die SSF mit der VTR®-Bauweise ab, bei der zwei dicht geschweißte Stahlhohlkästen und Stahlbetonquerträger einen Trägerrost bilden, auf den die Fahrbahnsegmente aufgelegt werden (Bild 7) [5]. Die Bauweise konnte sich in Polen und Rumänien durchsetzen und ist besonders für breite Überbauten geeignet, da die Querträger im Spannbett günstig vorgespannt werden können.

Allen vorgenannten Bauweisen ist gemeinsam, dass vor Ort noch geschalt, bewehrt und betoniert werden muss – mit Auswirkungen auf Kosten und Bauzeit. Die eingangs erwähnte Modulbauweise, bei der der gesamte Brückenquerschnitt vorgefertigt wird, erübrigt derartige Arbeiten. Die Herstellung von Großbrücken mit Spannbetonhohlkästen im Freivorbau, wie in den beiden oben genannten Projekten, ist internationaler und bewährter Standard. Modulbauweisen im Stahlverbundbau sind bisher die Ausnahme, dabei sind sie einfach zu realisieren und auch bei kleineren Bauwerken wirtschaftlich einsetzbar. 2 Aktuelle Entwicklungen 2.1 Direkt befahrene und austauschbare Fahrbahn Die Firmengruppe Max Bögl aus Neumarkt hat in Zusammenarbeit mit SSF Ingenieure eine neue Modulbauweise für Brücken entwickelt und bisher in zwei Pilotprojekten realisiert. Ziel ist hier der Einsatz von Fahrbahnsegmenten, die unter optimalen Bedingungen vorgefertigt und wegen ihrer sehr dichten Betonmatrix direkt ohne Abdichtung und Asphalt befahren werden können. Die Segmente liegen ohne Schubverbund auf den Hauptträgern auf und beteiligen sich nicht an der Längstragwirkung. Die Entwicklung dieser Bauweise wurde durch Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und Prof. Karl Goj, dem bisherigen Leiter des Referates Brücken und Tunnelbau im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, unterstützt. Die beiden realisierten Pilotprojekte wurden in Bayern errichtet und von Prof. Karl Goj maßgeblich gefördert. Prof. Karl Goj ist zum Jahresende 2018 in den Ruhestand gegangen. Wir bedanken uns sehr bei ihm für die allzeit kollegiale und konstruktive Unterstützung bei der Durchsetzung innovativer Ideen.


SYMPOSIUM

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Längsschnitt der Brücke Greißelbach in der Oberpfalz © SSF Ingenieure AG

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Querschnitt der Brücke Greißelbach © SSF Ingenieure AG

Die beiden bisher ausgeführten Pilotprojekte in Greißelbach [6] (Bilder 8 und 9) und Mühlhausen (Bilder 10–12) zeigen eine hervorragende Qualität der Fahrbahnsegmente und bestätigen, dass die Ziele, die man in diese Bauweise setzt, erreicht wurden: – Die Fahrbahnsegmente können industriell wirtschaftlich in hoher Qualität hergestellt werden. – Die Vorfertigung der Module ermöglicht eine extrem kurze Bauzeit und eine sehr geringe Verkehrsbeeinträchtigung. – Die Errichtung des Überbaus ist weitgehend vom Wetter unabhängig. – Die Möglichkeit, Fahrbahnsegmente auszutauschen, macht den Überbau anpassungsfähig. – Die Anforderungen an den Unterhalt werden minimiert.

Die wichtigste Erkenntnis aus den beiden Pilotprojekten ist, dass Spannbetonsegmente mit einer extrem dichten Betonmatrix wirtschaftlich gefertigt werden können. Derartige Segmente lassen zudem eine hohe Lebensdauer erwarten, da eine Korrosion der Bewehrung durch Karbonatisierung und Chloride fast vollständig ausgeschlossen ist. Wenn gezeigt werden kann, dass bei solchen industriell gefertigten Segmenten über die Lebensdauer einer Brücke keine Schäden an Bewehrung und Betonmatrix auftreten, ist eine Austauschbarkeit der Fahrbahnplatte nicht notwendig.

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SYMPOSIUM

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Ansicht und Längsschnitt der Brücke Mühlhausen © SSF Ingenieure AG

12 Querschnitt der Brücke Mühlhausen © SSF Ingenieure AG

13 Bauhöhe der Brücke Greißelbach in Feldmitte © SSF Ingenieure AG

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Aufbauend auf den Pilotprojekten regen wir an, bei Einfeld- ebenso wie bei Mehrfeldbrücken nicht auf den Schubverbund zwischen Hauptträgern und Fahrbahnplatte zu verzichten, sondern die Fahrbahnsegmente an der Längstragwirkung zu beteiligen. Bei der Brücke Greißelbach würde sich die Bauhöhe des Längsträgers von 1,00 m auf 1,44 m um 44 % erhöhen und die Steifigkeit des Querschnittes um das Dreifache ansteigen (Bild 13). Auf Abdichtung und Belag im Fahrbahnbereich sollte erst dann verzichtet werden, wenn eine breite Akzeptanz aus den positiven Erfahrungen der Pilotprojekte vorausgesetzt werden kann.


SYMPOSIUM

14 Querschnitt der Brücke PS 13 © Aus [2]

Wir glauben, einen guten Ansatz für eine neue Modulbauweise im Verbundbau gefunden zu haben, und stützen uns dabei auch auf Erfahrungen, die in Frankreich bei einem bereits vor 20 Jahren errichteten Pilotprojekt gesammelt wurden: Vorgespannte Segmente im Verbund mit den Hauptträgern wurden bereits bei der Brücke PS 13 eingesetzt [2]. Das Bauwerk überführt die Departementstraße zwischen Villefranche-sur-Cher und Theillay über die Autobahn A 85 mit zwei Feldern à 17,70 m und 19,80 m Spannweite. Die Fahrbahnsegmente aus Hochleistungsbeton sind im Mittel 22 cm dick und wurden im Match-Cast-Verfahren realisiert. Sie wurden auf Elastomerbänder, die auf die Stahlhauptträger aufgeklebt sind, aufgelegt, untereinander verklebt und anschließend mit 14 Spanngliedern im nachträglichen Verbund längs vorgespannt (Bild 14). Die Verbundwir-

15 Verbundfuge bei PS 13 © Aus [2]

kung zwischen Stahl und Beton wurde über Kopfbolzendübel hergestellt, die nach dem Vorspannen durch runde Öffnungen in der Fahrbahnplatte auf die Stahlhauptträger aufgeschossen und anschließend mit Mörtel vergossen werden (Bild 15). Mit dieser späten Verbundwirkung wird die Fahrbahnplatte vorgedrückt, ohne dass die Vorspannung in die Hauptträger abfließt. Die Platte bleibt über ihre Lebensdauer ungerissen. Dies bestätigt der heutige Zustand der Fahrbahnplatte nach 20 Jahren unter Verkehr.

3 VSM®-Bauweise 3.1 Übersicht Der Begriff Modularität steht für die Aufteilung eines Ganzen in Teile. Der Überbau einer Stahlverbundbrücke wird in Längsträger aus Stahl und in Fahrbahnsegmente über die Brückenbreite aus Spannbeton aufgeteilt. Beide Module werden in Werken gefertigt und abgenommen, zur Baustelle geliefert, bei Bedarf vor Ort zwischengelagert, montiert und miteinander verbunden. Bild 16 zeigt den Querschnitt der Brücke Greißelbach als Alternative in Verbund-SegmentModul-(VSM®-)Bauweise.

16 Alternative: Brücke Greißelbach in VSM®-Bauweise © SSF Ingenieure AG

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SYMPOSIUM

17 Verbundfuge bei der VSM®-Bauweise © SSF Ingenieure AG

3.2 Stahlhohlkästen als Längsträger Je nach Breite des Überbauquerschnittes werden ein oder zwei einzellige Stahlhohlkästen als Längsträger vorgesehen, auf die nach der Montage Fahrbahn-Vollsegmente in voller Brückenbreite aus Spannbeton aufgereiht verlegt und über Kontaktfugen zusammengespannt werden. Der Verbund zwischen den Stahlträgern und den Fahrbahnsegmenten erfolgt mit Stahlbügeln aus den Fahrbahnsegmenten und auf den Stahllängsträgern angeschweißten Verbunddübelleisten in einer horizontalen Verbundfuge, die von der Fahrbahnfläche aus mit selbstverdichtendem Beton verfüllt wird (Bilder 17 und 18). Auf den Stahllängsträger sind zur Herstellung der planmäßigen Gradiente für jedes Fahrbahnsegment höhenjustierbare Schrauben angeschweißt, auf denen die einzelnen Fahrbahnsegmente gereiht aufgelegt und anschließend zusammengespannt werden können. Die Stahlhohlkästen sollen eine Mindestbreite von 1,20 m und eine Konstruktionshöhe von mehr als 1/30 der Stützweite aufweisen. Die Länge der Module ergibt sich aus den jeweiligen Transportbedingungen, wobei lange Module die Anzahl der notwendigen Stöße und Schweißarbeiten auf der Baustelle verringern.

18 Verbundfuge mit Bock und Justierschraube © SSF Ingenieure AG

Die Montage der Stahlträger kann mit Kränen oder nach Vormontage auf einem Montageplatz über einem Einschub erfolgen. Die Lasten aus der Fahrbahnplatte tragen sich allein über die Stahllängsträger ab. Bei großen Stützweiten ist es womöglich von Vorteil, auf den Hohlkästen eine Betondruckplatte zu ergänzen, damit die Lasten aus der Fahrbahnplatte über einen Verbundquerschnitt abgetragen werden: Durch den Betonobergurt wird die Schwerachse des Querschnittes nach oben gezogen, so dass Beulsteifen im Stahlkasten vermieden oder ihre Anzahl reduziert werden können. Die Stege der Hohlkästen ragen über den Stahl hinaus und dienen als Schalung für die Verbundfuge.

3.3 Fahrbahnsegmente Die Fahrbahnplatte aus Beton mit der Güte C 50/60 wird in Segmente mit einer Regelbreite von 2,66 m aufgeteilt. Die Segmente mit einer Mindestdicke von 35 cm werden im Werk mit hoher Passgenauigkeit, zum Beispiel im Kontaktverfahren (Match-Cast-Methode), gefertigt, bei dem eine Seite eines bereits fertiggestellten Teils als Schalung für das daran anzuschließende dient. Die Exaktheit der Querschnittsfläche ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Segmente aneinandergereiht verlegen und mit Spanngliedern zusammenspannen lassen, um über Kontakt Druckkräfte zu übertragen. Die Fahrbahnsegmente tragen die Lasten in Querrichtung auf die Längsträger ab. Sie werden in Längsrichtung des Segmentes im Spannbett vorgespannt. Die Spannlitzen sind im sofortigen Verbund und liegen in zwei Ebenen in einem Mindestabstand untereinander von 40 mm (Bild 19).

19 Verzahnung und Vorspannung der Segmente im Projekt Greißelbach © SSF Ingenieure AG

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SYMPOSIUM Die Vorspannung unterbindet die Dekompression der Segmente. Zusätzlich wird in den Fahrbahnsegmenten eine Stahlbetonbewehrung zur Verteilung etwaig auftretender Risse bei Versagen einzelner Spannlitzen angeordnet. Diese Robustheitsbewehrung wird durch die Abdeckung des Rissmoments für den Grenzfall einer vollständig ausgefallenen Vorspannwirkung unter Ausnutzung der Fließgrenze des Betonstahls bemessen. In Brückenlängsrichtung sind die Fahrbahnsegmente durch eine Verzahnung gekoppelt. Eine solche »Verdübelung« stellt die Ebenflächigkeit der Fahrbahnsegmente untereinander sicher und wirkt als Gelenk. Sie wird durch die Längsvorspannung für alle Lastfälle überdrückt, so dass es zu keinen unplanmäßigen Pressungen und damit zu Abplatzungen kommt. Dabei befinden sich der Querkraftdübel und die Längsspannglieder in der Nulllinie der Segmente. Die Längsspannglieder ohne Verbund werden von der Kammer des Widerlagers aus angespannt und lassen sich zu jeder Zeit ohne Störung des überführten Verkehrs nachspannen, auswechseln und wieder anspannen (Bild 20). Dadurch kann die Längsrichtung der Fahrbahn ständig kontrolliert unter Druck gehalten werden. 3.4 Mehrfeldrige Bauwerke und Montage Die Fahrbahnplatte wird über alle Segmente von beiden Widerlagern aus mit Spanngliedern ohne Verbund vorgespannt. Erst nach dem Aufbringen der Vorspannung erfolgt der Verbund zwischen der Betonfahrbahnplatte und den Längsträgern durch den Verguss der Verbundfuge. Durch diese späte Verbundwirkung wird die Fahrbahnplatte vorgedrückt, ohne dass die Vorspannung in die Hauptträger abfließt. Für Zugspannungen über den Stützen sind in erster Linie nur die veränderlichen Einwirkungen relevant, da sich das Eigengewicht über die Stahlhohlkasten abträgt. Bei der Brücke in Greißelbach ist über die Längsspannglieder eine Druckspannung in der Fahrbahnplatte von ca. 3 MPa vorhanden.

20 Anspannstelle der Spannglieder im Widerlager © SSF Ingenieure AG

Bei Durchlaufträgern überlappen die Spannglieder im Stützbereich und werden dort an der Unterseite der Fahrbahnsegmente angespannt. Reicht bei größeren Stützweiten eines Durchlaufträgers die Vorspannung aus den durchgehenden Spanngliedern nicht für das Überdrücken der Zugspannung über den Zwischenauflagern aus, können zusätzliche Spannglieder im Stützenbereich angeordnet werden, die ebenfalls von der Unterseite der Fahrbahnplatte anzuspannen sind. Die Montage der Längsträger erfolgt mit einem Kran oder nach der Vormontage auf einem Montageplatz durch Einschieben hinter einem Widerlager. Nach Ab-

schluss der Montage werden die Auflagerpunkte für die Segmente auf den Stahlhohlkästen so justiert, dass sich nach dem Verlegen der Fahrbahnsegmente die planmäßige Gradiente ergibt. Nach Justierung aller Auflagerpunkte werden, vom niedrigeren Widerlager ausgehend, dann die Segmente aufgelegt und miteinander zusammengespannt. Das Verlegen der Segmente erfolgt idealerweise über Kranmontage (Bild 21). Nach der Montage aller Segmente wird die endgültige Längsvorspannung aufgebracht und die Verbundfuge verfüllt.

21 Verlegen der Segmente am Beispiel der Brücke Greißelbach © SSF Ingenieure AG

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SYMPOSIUM 3.5 Verbund: Fahrbahnsegmente mit Längsträgern Der Verbund zwischen den Fahrbahnsegmenten und den Stahllängsträgern erfolgt in einer Verbundfuge aus Beton. Auf den Stahlkästen aufgeschweißte Verbunddübelleisten, die in die Schubbügel aus den Segmenten eingreifen, übertragen die Schubkräfte. Die Querzugkräfte aus den Verbunddübeln werden von den horizontalen Schenkeln der Schubbügel aufgenommen. Das Verfüllen der Verbundfuge mit selbstverdichtendem Beton erfolgt pro Segment über vier runde Einfüll- und Entlüftungsrohre. 3.6 Beispiele für geplante VSM®-Querschnitte Für schmale Überführungen von Wirtschaftswegen reicht ein Längsträger als Hohlkasten in der Brückenachse (Bild 22). Auf Abdichtung und Fahrbahnbelag kann bei geringer Streusalzbelastung verzichtet werden. Der Hauptträger hat ein Verlegegewicht von 60 t bei einer Stützweite von 48,00 m, die Segmente wiegen 19 t. Ein anderer Querschnitt für eine größere Stützweite und eine breitere Brücke lässt sich Bild 23 entnehmen. Dieser Querschnitt hat auf Wunsch des Bauherrn einige Merkmale, die in Deutschland nicht üblich sind. Nach französischem Vorbild erfolgt die Entwässerung des Überbaus über offene Rinnen, die auf den Fahrbahnsegmenten aufgelegt werden können. Abdichtung und Belag werden bis zum Kappenkopf geführt und die Betongleitwände auf den Belag aufgesetzt. Das Verlegegewicht der Längsträger liegt bei 70 t, das der Fahrbahnsegmente bei 35 t.

23 VSM®-Querschnitt einer Nationalstraße in Rumänien © SSF Ingenieure AG

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22 VSM®-Querschnitt einer Feldwegbrücke in Rumänien © SSF Ingenieure AG

3.7 Vorteile der Bauweise Die VSM®-Bauweise macht Sinn, wenn Bauwerke in kürzester Bauzeit errichtet und wieder dem Verkehr übergeben werden sollen. Weitere Vorteile: – Die industrielle Serienfertigung der Fahrbahnsegmente ist wirtschaftlich. – Weitestgehender Entfall der »handwerklichen« Arbeiten vor Ort. – Serielles bzw. automatisiertes Verlegen der Bewehrung. – Entfall wesentlicher Bewehrungsleistungen auf der Baustelle. – Rissefreiheit der Segmente durch Vorspannung in Haupttragrichtung.

– Rissefreiheit der Brückenlängsrichtung durch externe Vorspannung. – Überprüfung der Längsspannglieder ist unter Verkehr möglich. – Kurze Bauzeiten durch hohe Vorfertigung. – Geringe Beeinträchtigung des Verkehrs. – Weitgehende Unabhängigkeit vom Wetter beim Bauen. – Niedrige Transport- und Montagegewichte. – Einfache und sichere Herstellung der planmäßigen Gradiente. – Wirtschaftliche Gestehungskosten. – Niedrige Unterhaltskosten.


SYMPOSIUM

4 Zusammenfassung Die dynamische Entwicklung neuer Bauweisen im Brückenbau, wie sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland stattgefunden hat, ist in den letzten beiden Jahrzehnten nur noch begrenzt zu beobachten. Die SSF Ingenieure AG arbeitet jedoch stetig weiter daran, neue Bauverfahren wie die seit 20 Jahren auf dem Markt befindliche VFT®-Bauweise und auch die VFT-WIB®-Bauweise zu etablieren. Eine vielversprechende Weiterentwicklung der Pilotprojekte mit direktbefahrener Fahrbahnplatte stellt aus unserer Sicht die in diesem Beitrag vorgestellte VSM®-Bauweise dar, die in einem ersten Schritt zunächst noch mit Abdichtung und Belag konzipiert wird. Sobald sich durch die positiven Erfahrungen mit direkt befahrenen Segmenten eine breite Akzeptanz solcher Fahrbahnsegmente einstellt, kann

auch bei der VSM®-Bauweise vollständig auf Abdichtung und Belag verzichtet werden. In diesem zweiten Entwicklungsschritt kommen die Vorteile der modularen VSM®-Bauweise mit extrem dichten, industriell gefertigten Fahrbahnsegmenten dann vollständig zur Geltung. Wir hoffen, dass wir mit Unterstützung der Bauherren in Deutschland in absehbarer Zeit ein entsprechendes Pilotprojekt realisieren dürfen. Autoren: Dipl.-Ing. Victor Schmitt Aufsichtsrat Dipl.-Ing. Anton Braun Vorstand Dr.-Ing. Thomas Lechner Leiter Entwicklung SSF Ingenieure AG, München Prof. Dr. Günter Seidl Fachhochschule Potsdam

Literatur [1] Allgemeine Bauartgenehmigung Z-26.4-56: Stahlverbundträger mit Verbunddübelleisten in Klothoiden- und Puzzleform. Deutsches Institut für Bautechnik, Berlin, 14.05.2018. [2] Barbaux, S.; Baryla, J.-M.; Chenallier, F.; Petitjean, J.; Piquet A.: PS Mixte en BHP à connexion différée. Le PS 13 sur A85. Bulletin de liaison diffusé par le Centre des Techniques d‘Ouvrages d‘Art du Service d‘Études Techniques des Routes et Autoroutes, No 36, Paris, Dezember 2000. [3] Doss, W. et al.: VFT-Bauweise. Entwicklung von Verbundfertigteilträgern im Brückenbau; in: Betonund Stahlbetonbau, 96. Jg., 2001, H. 4, S. 171–180. [4] Schmitt, V. et al.: Verbundbrücke Pöcking. Innovative VFT-Träger mit Betondübeln; in: Stahlbau, 73. Jg., 2004, H. 6, S. 387–393. [5] Schmitt, V.; Luft, N.; Petzek, E.: Muresviadukt in Simeria, Rumänien; in: Brückenbau, 5. Jg., 2013, H. 1/2, S. 13–17. [6] Seidl, G. et al.: Segmentbrücke Greißelbach als Stahlverbundbrücke ohne Abdichtung und Asphalt; in: Stahlbau, 85. Jg., 2016, H. 2, S. 126–136.

Entwicklung von Bauweisen im Brückenbau VFT-Bauweise

VFT-WIB-Bauweise

© Firmengruppe Max Bögl/Reinhard Mederer

VTR-Bauweise

Modulbauweisen

ssf-ing.de

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SYMPOSIUM Planung und Ausführung

Ersatzneubau der Talbrücke Rothof von Bernd Endres, Manfred Becker

Die im Zuge der Bundesautobahn A 7 südöstlich der Anschlussstelle Würzburg-Estenfeld liegende Talbrücke Rothof wird bis Ende 2020 durch einen Neubau ersetzt. Das Bestandsbauwerk wurde 1965 fertiggestellt und besteht als achtfeldrige Brücke aus einem Teilbauwerk mit einer Gesamtstützweite von 410 m. Der einzellige Überbau wurde als Stahlverbundquerschnitt mit Stahlhauptträgern und einer längs- wie quervorgespannten Fahrbahnplatte ausgebildet. Ihre Vorspannung erfolgte mit spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstählen, bei der Stahlkonstruktion werden zudem die rechnerischen Spannungs- und Beulnachweise für das Ziellastniveau LM 1 nicht eingehalten. Die Brücke überführt die A 7 über Gleise der DBStrecken Würzburg–Schweinfurt und Würzburg–Nürnberg sowie über eine Gemeindeverbindungsstraße, Wirtschaftswege und den Talraum des Landleitenbachs. Als Ersatzneubau ist eine achtfeldrige und 410 m lange Spannbetonbrücke mit Einzelstützweiten bis 60 m geplant, deren Herstellung im Taktschiebeverfahren ohne Hilfsstützen erfolgt. Die bestehende Autobahntrassierung wird im Wesentlichen beibehalten, so dass zur Aufrechterhaltung des Verkehrs aufgrund des einzelligen Bestandsbauwerks eine Errichtung in Seitenlage mit anschließendem Querverschub erforderlich wird. Die neue Brücke wird im Hinblick auf einen späteren Ausbau der A 7 bereits mit sechs Fahrstreifen konzipiert.

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Lage im Straßennetz © Autobahndirektion Nordbayern

1 Lage und Verkehrsbelastung Die A 7 ist mit 962,20 km die längste deutsche Bundesautobahn und die zweitlängste durchgehende nationale Autobahn Europas. Sie führt als NordSüd-Achse von der dänischen Grenze durch Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Hessen, wechselt mehrfach zwischen Bayern und BadenWürttemberg und endet an der österreichischen Grenze bei Füssen. Östlich von Würzburg fahren zwischen der Anschlussstelle (AS) WürzburgEstenfeld und dem Autobahnkreuz (AK) Biebelried ca. 40.000 Kfz/d, davon ca. 9.000 Lkw/d. Vor dem Hintergrund weiter steigender Verkehrszahlen wird der Ersatzneubau der Talbrücke Rothof auf einen sechsstreifigen Querschnitt mit Seitenstreifen ausgerichtet. Der sechsstreifige Ausbau der Autobahn im Abschnitt zwischen dem AK SchweinfurtWerneck und dem AK Biebelried ist im geltenden Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen im »Weiteren Bedarf« mit Planungsrecht enthalten.

2 Straßenplanung Für die neue Talbrücke Rothof wird die bestehende Autobahntrassierung im Wesentlichen übernommen. Im Bauwerksbereich folgt die Autobahnachse im Grundriss einem Radius von 3.000 m. Die Gradiente verläuft im Brückenbereich im Bestand wie im Neubau in einer Wanne mit einem Ausrundungshalbmesser von 25.000 m. Die maximale Längsneigung auf der neuen Brücke beträgt 1,50 %. Zur Vermeidung von abflussschwachen Zonen auf der Brücke wurden Gradientenanpassungen im Vorfeld untersucht, allerdings aus wirtschaftlichen Gründen nicht weiter vertieft. Aufgrund der Trassierung stellt die Entwässerung der Brückentafel eine besondere Herausforderung dar. Die Brückenplaner mussten daher auf die unliebsame Ausbildung einer Pendelrinne auf dem Bauwerk zurückgreifen, um eine bestmögliche Entwässerung zu erreichen.


SYMPOSIUM

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Bestandsbauwerk und Ersatzneubau Die 410 m lange Bestandsbrücke wurde bis 1965 als einteilige Stahlverbundstruktur über acht Felder mit bis zu 60 m Stützweite errichtet und nach dem damaligen Stand der Technik nach DIN 1072 auf Brückenklasse 60 bemessen. Die Konstruktionshöhe verläuft parabelförmig und variiert zwischen 3,40 m und ca. 5 m. Die Fahrbahnplatte liegt auf den beiden Stahlhauptträgern und den Querträgern auf und ist über Dübel mit den Stahlobergurten verbunden. Sie ist in Längsund Querrichtung vorgespannt: Zur Vorspannung der vergleichsweise dünnen Fahrbahnplatte wurde spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl verwendet. Der Brückenüberbau lagert auf Rollenlagern mit Längsfesthaltung in Brückenmitte. Die Stahlkonstruktion wurde im Freivorbau mit Hilfsstützen und Vorbaugerät hergestellt, die Montagestöße wurden genietet. Die Besonderheit liegt in der Einleitung der Vorspannung in die Fahrbahnplatte durch Teilabsenken. Das Vorspannen der Fahrbahnplatte durch Absenken wurde nicht, wie damals üblich, durch Absenken über die Gesamtlänge der Brücke erreicht, sondern durch Absenken von Einzelabschnitten, die durch Montagegelenke miteinander verbunden waren. Dadurch konnte die maximale Stapelhöhe von ca. 5 m auf 0,50 m deutlich reduziert werden. Aufgrund ihres schlechten Bauwerkszustands und ihrer statisch-konstruktiven Defizite muss die Talbrücke Rothof durch einen Neubau ersetzt werden: Im Rahmen der Nachrechnung hat sich gezeigt, dass sich das angestrebte Ziellastniveau LM 1 nicht erreichen lässt. Bei der Stahlkonstruktion ergeben sich deutliche rechnerische Spannungsüberschreitungen.

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Bestandsbrücke im Jahr 2016 ©Hajo Dietz/Nürnberg Luftbild

Die Beulnachweise für die Einzelfelder der Stegbleche der Hauptträger können aufgrund der hohen Ausnutzung bzw. der vorhandenen Überschreitungen der zulässigen Längsspannungen an vielen Stellen nicht eingehalten werden. Weiterhin weist die Spannbetonfahrbahnplatte rechnerische Defizite hinsichtlich ihrer Querkrafttragfähigkeit auf. Aufgrund der bestehenden Blechdickenabstufung an den Hauptträgern sind kaum Systemreserven vorhanden, zudem werden die vorhandenen Beulsteifen den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Im Rahmen der Bauwerkshauptprüfungen wurden zahlreiche Schäden festgestellt, dokumentiert in der Zustandsnote 3,0. Aufgrund der Gesamtheit der Defizite ist eine Grundinstandsetzung des Bestandsbauwerks wirtschaftlich und technisch nicht machbar. Die Stahlkonstruktion müsste an einer Vielzahl von Stellen verstärkt werden, was sich vor allem bei genieteten Lamellenkonstruktionen äußerst aufwendig gestaltet. Darüber hinaus entsteht bei dieser Art von Konstruktion bei einem geplanten Fahrbahnplattenaustausch eine besondere Pro-

blematik: Durch die Quer- und Längsvorspannung, die eingeprägte Vorspannung durch überhöhtes Herstellen und nachträgliches Ablassen des Überbaus sowie durch das Langzeitverhalten des Betons liegen in der Fahrbahnplatte rechnerisch kaum beherrschbare Spannungszustände vor. Bei einem bereichsweisen Rückbau und Ersatz der Platte ist es deshalb ausgeschlossen, dass sich die ursprünglichen Spannungs- und Verformungszustände wieder einstellen. Aufgrund des schlechten Bauwerkszustands, der Ergebnisse der Nachrechnung und Materialuntersuchung wurden zur Erhaltung bzw. Verlängerung der Lebensdauer des Bauwerks ab dem Jahr 2011 Kompensationsmaßnahmen eingeleitet und realisiert: – Verlegung der Fahrspuren, so dass der Lkw-Verkehr weitestgehend über die Längsträger abgewickelt wird. – Überholverbot für Lkws mit gleichzeitiger Verengung der Überholspur. – Instandsetzung der Längsentwässerung. – Durchführen von Sonderprüfungen.

Querschnitt des Bestandsbauwerks © Autobahndirektion Nordbayern

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SYMPOSIUM 4 Variantenuntersuchung Im Rahmen der Vorplanung wurden verschiedene Überbauvarianten und Herstellungsverfahren untersucht: – Spannbetonhohlkasten, Stützweiten bis 60 m, Taktschiebeverfahren, – zweistegiger Spannbetonplattenbalken, Stützweiten bis 40 m, Herstellung auf Vorschubrüstung oder Traggerüst, – Stahlverbundhohlkasten, Stützweiten bis 70 m, Einschub, – Stahlverbundhohlkasten, Stützweiten bis 85 m, Einschub. Zur Ausführung kommt nun ein Spannbetonhohlkasten, der im Taktschiebeverfahren bis 60 m Stützweite ohne Hilfsstützen über dem Tal und über die kreuzenden Bahnstrecken verschoben werden kann. Die gewählte Konstruktion ist auch für den notwendigen Querverschub gut geeignet. 5 Entwurfsplanung Die Überbauten werden in Ortbetonbauweise ausgeführt und im Taktschiebeverfahren hergestellt. In Längsrichtung werden sie sowohl intern mit nachträglichem Verbund als auch extern vorgespannt, in Querrichtung sind sie schlaff bewehrt.

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Neubau in Draufsicht und Längsschnitt © Autobahndirektion Nordbayern

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Visualisierung der neuen Talbrücke Rothof © Leonhardt, Andrä und Partner AG

Bei Einzelstützweiten in Brückenachse von 35,00 m, 50,00 m, 4 x 60,00 m, 50,00 m und 35,00 m ergibt sich eine Gesamtlänge zwischen den Endauflagern von 410,00 m. Die Hohlkästen weisen über die gesamte Brückenlänge eine konstante Querschnittshöhe von 3,70 m auf. Aus der gewählten Konstruktionshöhe resultiert ein robustes Schlankheitsverhältnis h/l ≤ 1/16.

Die Breite der Bodenplatte des Hohlkastens beträgt 8,00 m. Die Kragarmlängen sind mit 3,55 m an den Außen- bzw. 3,20 m an den Mittelkappen vorgesehen, am Anschnitt sind die Kragarme 55 cm dick. Die Fahrbahnplatte hat in Überbaumitte eine Dicke von 35 cm, beide Überbauten werden in Spannbeton der Festigkeitsklasse C 45/55 hergestellt. Als Betonstahl kommt B 500B zur Anwendung, die Vorspannung erfolgt mit Spannstahl 1660/1860 (intern) und 1570/1770 (extern).


SYMPOSIUM

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Regelquerschnitt des Neubaus © Autobahndirektion Nordbayern

Der Überbau liegt durchgehend auf Kalottenlagern mit Längsfesthaltung in drei Pfeilerachsen in Brückenmitte auf. An beiden Widerlagern werden geräuscharme, mehrprofilige und wasserdichte Fahrbahnübergänge eingebaut. Die massiven Pfeiler haben einen veränderlichen Querschnitt mit einer Neigung von 40:1 in Längs- und 25:1 in Querrichtung. Der Pfeilerkopf mit 6,30 m Höhe weitet sich nach oben auf und bietet ausreichend Platz für die Lager und die Anordnung der Pressen vor und hinter dem Lagersockel bei ihrem Tausch. Die Querschnittsausbildung der Pfeiler ergibt sich aus zwei Stielen mit veränderlichen Rechteckquerschnitten. Die Oberflächen der Pfeilerköpfe und Pfeilerschäfte werden analog jenen der Widerlager in Sichtbetonqualität mit sägerauer Brettstruktur hergestellt, für die Spiegelflächen der Pfeiler wird eine gehobelte Brettschalung mit horizontalem Schalungsverlauf ebenfalls in Sichtbetonqualität vorgesehen. Die Widerlager und Pfeiler der neuen Brücke werden mittels bis zu 20 m langer Großbohrpfähle mit einem Durchmesser von 1,50 m tief gegründet. Die bestehende Autobahntrassierung wird im Wesentlichen übernommen, so dass zur Aufrechterhaltung des Verkehrs aufgrund des einzelligen Bestandsbauwerks eine Errichtung in Seitenlage mit anschließendem Querverschub erforderlich wird. Als Bauzeit sind vier Jahre vorgesehen. Die Gesamtkosten für den Neubau und den Abbruch der Talbrücke Rothof betragen ca. 40 Mio. € und werden von der Bundesrepublik Deutschland getragen.

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Ausbildung eines Pfeilers © Autobahndirektion Nordbayern

6 Bauausführung 6.1 Bauphasen Die Errichtung der neuen Talbrücke Rothof gliedert sich im Wesentlichen in zwei Hauptbauabschnitte. Im ersten Abschnitt wird die Bauwerkshälfte in Fahrtrichtung Fulda in östlich versetzter Lage auf provisorischen Unterbauten neben der bestehenden Brücke hergestellt. Die Herstellung erfolgt im Taktschiebeverfahren ohne zusätzliche Hilfspfeiler zwischen den Pfeilerachsen, der Taktkeller befindet sich hinter dem Widerlager Fulda in Achse 10. Danach

wird eine 4+0-Verkehrsführung eingerichtet und der Verkehr auf den neuen Überbau in Seitenlage umgeleitet. Anschließend wird die Bestandsbrücke abgebrochen. Im zweiten Bauabschnitt wird die Bauwerkshälfte in Fahrtrichtung Würzburg in endgültiger Lage ebenfalls im Taktschiebeverfahren erstellt. In jenem Bauabschnitt werden auch die endgültigen Unterbauten für die Fahrtrichtung Fulda errichtet.

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SYMPOSIUM

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Behelfsunterbauten und Verschubbahn für den Querverschub © Autobahndirektion Nordbayern

Nach Fertigstellung dieser Bauwerkshälfte wird der 4+0-Verkehr auf den neuen Überbau umgeschwenkt und jener der Fahrtrichtung Fulda in seine Endlage querverschoben. Nach den erforderlichen Ergänzungsarbeiten wie Einbau der Lager und Übergangskonstruktionen, Hinterfüllung, Entwässerung etc. kann der Verkehr planmäßig auf der neuen Brücke geführt werden. Die Herstellung der Beckenanlage erfolgt nach dem Querverschub und dem Abbruch der Behelfspfeiler.

Bei beiden Widerlagern wird für die Baugrubenerstellung ein verankerter Verbau zur bestehenden Trasse angeordnet, der beim zweiten Bauabschnitt umgeankert

6.2 Behelfsunterbauten Die Stützweiten der Pfeiler und Widerlager entsprechen jenen des endgültigen Bauwerks. Die Pfeiler haben einen rechteckigen Hohlquerschnitt und werden in Abschnitten von 5 m mit Kletterschalung hergestellt, ihre Gründung erfolgt über Fundamente und Bohrpfähle mit 150 mm Durchmesser bis in den tragfähigen Baugrund. Das Widerlager wird als »Sparwiderlager« ausgeführt und ebenfalls über Bohrpfähle gegründet.

10 Herstellung der Hilfspfeiler in Seitenlage © Porr Deutschland GmbH

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wird. Nach dem Querverschub des ersten Überbaus werden die Behelfseinrichtungen bis 1 m unter Geländeoberkante abgebrochen.


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SYMPOSIUM

6.3 Herstellung der Überbauten Die Überbauherstellung erfolgt im Taktschiebeverfahren, wobei der Taktkeller hinter dem Widerlager Fulda, und zwar sowohl in der Behelfslage als auch in der Endlage, angeordnet wird. Der Taktkeller beginnt 25 m hinter dem Widerlager, hat eine Schal- und Betonierstation mit einer Länge von 30 m und weitere 30 m Länge für die Bewehrungsvorfertigung von Bodenplatte und Stegen. Die in diesem Bereich erforderlichen Spannglieder werden ebenfalls vormontiert angeliefert und im Zuge der Bewehrungsvorfertigung eingebaut. Der eingesetzte Stahlvorbauschnabel hat eine Länge von 36 m und eine Spurbreite von 7,20 m in der Verschubachse. Die Hubreibeanlage vom Typ AH 317 befindet sich auf dem Widerlager. Pro Woche wird ein Takt mit einer Länge von 23–30 m realisiert, wobei jeden Montagvormittag der neuhergestellte Überbauabschnitt vorgeschoben wird. Der Überbau besteht aus insgesamt 15 Takten, so dass er letztlich in vier Monaten zu errichten ist. Der Ablauf des Taktschiebens im Wochentakt gestaltet sich folgendermaßen: – Montag: Aufbringen der Längsvorspannung, Verschub, Fertigstellung der Schalung, Einziehen des Bewehrungskorbs, Schalarbeiten an Bodenplatte und Steginnenschalung.

12 Vorfertigung von Bewehrung, Taktkeller und Überbau © Porr Deutschland GmbH

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11 Vorbauschnabel zur Überbauerstellung © Porr Deutschland GmbH

– Dienstag: Schalarbeiten an Bodenplatte und inneren Stegen, Betonage der Bodenplatte und Stege, Ausschalen der Steginnenschalung, Aufhängen der Konsolen für den Deckentisch und Herausziehen des Deckentischs aus dem vorherigen Abschnitt. – Mittwoch: Ausschalen der Stege, Aufhängen der Deckentischkonsolen, Herausziehen des Deckentischs, Bewehren der Fahrbahnplatte, begleitende Spanngliedverlegung, Schalen der Koppelfuge.

– Donnerstag: Bewehren der Fahrbahnplatte, begleitende Spanngliedverlegung, Schalen der Koppelfuge, Restarbeiten an der Fahrbahnplatte, Vorbereiten der Betonage. – Freitag: Betonage und Glätten der Fahrbahnplatte, Umlegen der Spannglieder. – Samstag: Ausschalen der Koppelstellen, Säubern der Schalung, Reinigung des Überbaus, Vorbereitung für Vorspannarbeiten, Schalen der Stützquerträger bzw. Lisenen in Bewehrungsvorfertigung. – Montag bis Samstag: Bewehren des jeweils nächsten Trogquerschnitts einschließlich Stützquerträger und Umlenklisenen in der Bewehrungsvorfertigung mit Spanngliedverlegung in der Bodenplatte. Bei Taktlängen bis 30 m, Überbauabmessungen von 3,70 m Konstruktionshöhe und einer Fahrbahnplattenbreite von 17,55 m und den zu verarbeiteten Mengen wie 450 m³ C 45/50, 100 t Bewehrung und 14–16 Stück Spanngliedern ist die Taktherstellung im Wochentakt nur im Zweischichtbetrieb zu gewährleisten. In einem Zeitraum von vier weiteren Monaten wird der Überbau mit Lagern, Übergangskonstruktionen, externer Vorspannung, Kappen, Geländer, Schutzeinrichtungen und Fahrbahnbelag vervollständigt.


SYMPOSIUM

13 Baustelle im Sommer 2018: Taktschieben in Seitenlage © Hajo Dietz/Nürnberg Luftbild

14 15 Baustelle im Herbst 2018: Ausbau der Brücke in Seitenlage © Hajo Dietz/Nürnberg Luftbild

6.4 Endgültige Unterbauten Die Gründung der Pfeiler und Widerlager erfolgt einheitlich über Fundamente auf Großbohrpfählen mit 1,50 m Durchmesser, wobei wegen der anstehenden Böden die Verrohrung bis zum Pfahlfuß niedergebracht werden muss. Die Widerlager werden als kastenförmige, begehbare Hohlkörper errichtet, die entsprechend der Richtzeichnung (RiZ) Zug 4 und Zug 6 über einen Einstieg an der Vorderseite verfügen. Sie erhalten zudem einen Wartungsgang und einen Besichtigungssteg. Die massiven Pfeiler mit veränderlichem Querschnitt werden in 5-m-Abschnitten mittels Kletterschalung hergestellt. 16 Vierspurige Verkehrsführung auf neuem Überbau in Ersatzlage © Porr Deutschland GmbH

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SYMPOSIUM

6.5 Abbruch des Bestandsbauwerkes Beim Bestandsbauwerk handelt es sich um eine Stahlverbundbrücke aus den 1960er Jahren. Die Fahrbahnplatte liegt kontinuierlich auf den beiden Stahlhauptträgern und den Querträgern im Abstand ca. 2,00 m auf, ist über Dübel mit dem Stahlobergurt verbunden und in Längswie Querrichtung vorgespannt. Die Stahlkonstruktion wurde mit Hilfsstützen in drei Abschnittslängen, bezogen auf die Brückenlänge, unter Verwendung von Gelenken hergestellt. Die Umlagerung der Zug- und Druckspannungen im Tragwerk wurde durch Ausnutzung der Gelenke, das Heben und Senken der Hilfsstützen nach Betonage der Fahrbahnplatte und den Verschluss der Gelenke erzielt. Der Rückbau des Überbaus erfolgt, beginnend am Widerlager Fulda, abschnittsweise über die gesamte Brückenlänge bis zum Widerlager Würzburg. Hierzu werden als vorbereitende Maßnahmen der Fahrbahnbelag einschließlich Dichtungsschicht und Mittelkappe zurückgebaut. Zur Aufrechterhaltung der Tragfähigkeit des abzubrechendes Bauwerks wird pro Feld eine Hilfsstütze angeordnet, die je nach Abbruchzustand kraftgesteuert ist. Weiterhin verbleibt ein Druckglied auf den Längsträgern zur temporären Konservierung des Verbundbauquerschnittes sowie zum kontrollierten Abbau der Druckspannungen. Dazu wird die Fahrbahnplatte mittels Betonschneidens jeweils beidseitig neben den Längsträgern in Abschnitten durchtrennt.

19 Übersicht Phasen 7–12 des Rückbaus © Porr Deutschland GmbH

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17 18 Detailpläne: Traverse, Windverbände und Längsträgersteifen © Porr Deutschland GmbH

Danach beginnen das Abstemmen der Kragarme und der Fahrbahnplatte. Das 50 cm breite Betondruckglied über den Längshauptträgern bleibt beim Rückbau der Fahrbahnplatte erhalten. Damit durch den Stemmbagger keine lokale Belastung auftritt, werden Baggermatratzen zur Lastverteilung angeordnet. Im Bahnbereich wird die Fahrbahnplatte nur durch

Trennen bzw. Schneiden in Segmente geteilt und dann mit einem Kran herausgehoben sowie abtransportiert. Weiterhin wird zum Schutz des Bahnbereiches ein entsprechendes Gerüst montiert, für dessen Aufbau ebenso wie für den Aushub der geschnittenen Teile aus sicherheitstechnischen Gründen eine Sperrpause im Zugverkehr eingeplant ist.


SYMPOSIUM Die verbliebene Stahlkonstruktion wird mit den vorhandenen Längsträgern, dem Druckglied und den noch existierenden Queraussteifungen in Abschnitten von 10 m Länge sukzessive mit dem Rückbau der Fahrbahnplatte vom restlichen Stahlverbund getrennt und mittels Autokran ausgehoben. Nach Beendigung dieser Arbeiten erfolgt im Nachlauf der mechanische Abbruch der Unterbauten. 6.6 Querverschub des ersten Überbaus Nachdem die endgültigen Unterbauten mit dem zweiten Überbau in Endlage errichtet wurden, erfolgt die Verkehrsumlegung von der Seitenlage auf den zweiten Überbau (4+0). Die Behelfspfeiler stehen in der Achse parallel zu den Pfeilern der Endlage. Dazwischen wird als Tragkonstruktion für die Verschubbahn ein Stahlbetonbalken hergestellt. Die Verschubbahn kommt in allen Pfeiler- und Widerlagerachsen zum Einsatz. Das Verschubpaket ist kraftgesteuert und wird zwischen den beiden Lagern in jeder Achse angeordnet. Die in der Ersatzlage eingebauten endgültigen Lager und Übergangskonstruktionen müssen für den Querverschub vorbereitet werden. Die Übergangskonstruktionen werden am Behelfswiderlager gelöst, mit einer Tragkonstruktion gesichert und verbleiben am Überbau. Ähnlich ist es bei den Lagern, deren Unter- und Oberteil in der vorgefundenen Stellung miteinander verschraubt, und gleichzeitig von der unteren einbetonierten Lagerplatte gelöst werden. Danach wird an allen sieben Achsen eine Zugvorrichtung angebracht. Der Verschub erfolgt synchron, kraftgesteuert und wird mit Monitoring überwacht und gesteuert. Das Gesamtgewicht des zu verschiebenden Überbaus beträgt ca. 17.000 t. Nach dem Verschub in die Endlage werden die Lager auf den Endpfeilern gemäß Versetzplan eingebaut und vergossen. Gleiches geschieht mit den Übergangskonstruktionen, die in die neuen Kammerwände einbinden. Nach Realisierung der Anschlüsse, der endgültigen Fahrbahnmarkierung und der Verkehrssicherheitseinrichtungen wird der Verkehr auf die beiden neuen Überbauten verlegt.

7 Zahlen und Fakten Gründung auf Großbohrpfählen mit D = 1,50 m: – Anzahl: 224 Stück – Länge: 4.055 m Überbau mit 410 m Länge, 15 Takte à 23–30 m, Mengen: – ca. 12.500 m³ Beton – ca. 2.700 t Bewehrung – ca. 450 t Spannstahl zentrisch – ca. 100 t Spannstahl extern Sieben Pfeilerachsen mit Höhen bis 28 m Behelfslage Widerlager, Hohlpfeiler und Pfahlkopfplatten: – Bewehrung 395 t – Beton 2.610 m³ – 112 Pfähle mit D = 1,50 m – 1.000 lfdm Pfähle Endlage Widerlager, Vollpfeiler und Pfahlkopfplatten: – Bewehrung 910 t – Beton 6.220 m³ Provisorische Dammschüttung zur Herstellung in Ersatzlage – Volumen: ca. 30.000 m³ Autoren: Ltd. Baudirektor Dipl.-Ing. (Univ.) Bernd Endres Autobahndirektion Nordbayern, Nürnberg Dipl.-Ing. Manfred Becker, Niederlassungsleiter Porr Deutschland GmbH Zweigniederlassung Berlin

Bauherr Bundesrepublik Deutschland Auftragsverwaltung Autobahndirektion Nordbayern, Nürnberg Entwurfsplanung Leonhardt, Andrä und Partner, Beratende Ingenieure VBI AG, Nürnberg Ausführungsplanung Stähler + Knoppik Ingenieurgesellschaft mbH, Neu-Isenburg Prüfingenieur Dr.-Ing. Andreas Jähring, München Bauleitung und Bauüberwachung Prof. Dr.-Ing. H. Bechert + Partner, Ingenieurbüro für Bauwesen, Schleiz-Gräfenwarth Ausführung Porr Deutschland GmbH, Berlin

6.7 Abbruch der Behelfsunterbauten Nach dem Querverschub erfolgt der mechanische Abbruch bzw. Rückbau der Behelfsunterbauten mit anschließender Rekultivierung des Baufeldes.

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SYMPOSIUM Konzept und Ausführung

Abbruch der Talbrücke Heidingsfeld von Tobias Bäumler, Tobias Schmidt

Die Bundesautobahn A 3 ist Europastraße und Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Sie verbindet die Beneluxstaaten mit Südeuropa und innerhalb Deutschlands Bayern mit den Zentren am Rhein. Sie zählt damit zu den bedeutendsten Strecken im Netz der Bundesautobahnen. Seit ihrer durchgehenden Fertigstellung zwischen Aschaffenburg und Nürnberg Mitte der 1960er Jahre hat der Verkehr sich bis heute etwa verdreifacht. Im Bereich um Würzburg fahren derzeit über 78.000 Kfz/d, davon ca. 17.000 Lkw/d. Der bisherige Trend wird sich in Form von weiter steigendem Personen- und Schwerverkehr fortsetzen. So wird die tägliche Gesamtverkehrsbelastung auf bis zu 100.000 Kfz/d steigen, davon über 20.000 Lkw/d. Nur mit einem sechsstreifigen Ausbau kann diese Verkehrsmenge heute und zukünftig sicher und staufrei bewältigt werden. Der sechsstreifige Ausbau der Bundesautobahn A 3 im Stadtgebiet von Würzburg und damit zwischen der Anschlussstelle Würzburg-Heidingsfeld und der Mainbrücke Randersacker sieht vor, die Trasse bis zu 12 m abzusenken und auf einer Länge von 570 m in einen Tunnel zu verlegen. Im Anschluss an den neuen Katzenbergtunnel muss auch die alte Talbrücke Heidingsfeld abgebrochen und neu errichtet werden. Der Abbruch dieser schlanken, materialoptimierten Stahlverbundbrücke, die über eine Bahnstrecke, über Stadtstraßen und eine Stadtbahn führt, stellt für Bauherrn, beteiligte Planer und Firmen eine ganz besondere Herausforderung dar.

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1 Ausbauabschnitt der A 3 Im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen ist der sechsstreifige Ausbau von der Anschlussstelle (AS) Aschaffenburg bis zum Autobahnkreuz (AK) Biebelried als vordringlicher Bedarf ausgewiesen. Mit dem sechsstreifigen Ausbau wird eine leistungsfähige und den heutigen Anforderungen gerechte Verkehrsverbindung geschaffen.

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Lage im Netz © Autobahndirektion Nordbayern

Ausbau im Stadtgebiet Würzburg © Autobahndirektion Nordbayern

Der Ausbau der 94 km langen Gesamtstrecke soll bis Herbst 2021 verkehrsbereit fertiggestellt sein. Mit 76 km sind bereits 81 % fertig ausgebaut, 18 km im Spessart und bei Würzburg noch in Bau. Mit dem Autobahnausbau werden insgesamt zehn Großbrücken ertüchtigt, eine davon ist die derzeit in Realisierung befindliche Talbrücke Heidingsfeld.


SYMPOSIUM

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Talbrücke Heidingsfeld im Jahr 1965, Blick in Richtung Frankfurt am Main © Willi Dürrnagel

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Bestandsplanung: Längsschnitt Teil 1 © Autobahndirektion Nordbayern

2 Bestandsbrücke 2.1 Konstruktion Die bestehende Talbrücke Heidingsfeld, eine zweistegige Stahlverbundplattenbalkenkonstruktion mit stählernen Vollwandhauptträgern im Abstand von 23,00 m, deren Hauptträger eine Höhe zwischen 5,00 m und 6,00 m haben, und einer Spannbetonfahrbahnplatte, spannt mit neun Feldern über insgesamt 664,40 m. Die Einzelstützweiten betragen 64,40 m, 6 x 80 m, 64 m und 56 m.

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Bestandsbauwerk im Jahr 2014, Blick in Richtung Nürnberg © Autobahndirektion Nordbayern

Bestandsplanung: Längsschnitt Teil 2 © Autobahndirektion Nordbayern

Bestandsplanung: Querschnitt in Feld- und Stützbereich © Autobahndirektion Nordbayern

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SYMPOSIUM

Zusätzlich befinden sich in den Stützbereichen des Durchlaufträgers Fachwerkquerträger, die zur Stabilisierung der druckbeanspruchten Untergurte der Hauptträger dienen. Der Verbund zwischen den Stahlbau- und den Betonbauteilen der Fahrbahnplatte wird durch Blockdübel und aufgeschweißte Stahlschlaufen sichergestellt. In den Drittelspunkten der Fahrbahnplatte zwischen den Stegen sind zwei lastverteilende Fachwerkslängsträger. In Brückenlängsrichtung wird die Fahrbahnplatte in einem Abstand von 2,00 m über Querträger aus geschweißten I-Profilen mit einer Höhe von ca. 1,00 m unterstützt. Diese Querträger bilden zusammen mit den Vertikalsteifen der Vollwandhauptträger die Querrahmen des Brückenquerschnitts. Die Vorspannung der Fahrbahn in Querrichtung konzentriert sich auf den Bereich über den Hauptträgern. Nur über den Pfeilern wurde die Quervorspannung über die gesamte Brückenbreite geführt. In den Stützbereichen ist zusätzlich eine Vorspannung in Längsrichtung vorhanden, die sich jeweils ca. 10 m in die angrenzenden Felder hinein erstreckt. Der Festpunkt der Brücke liegt in Achse IV. Für die Lagerung auf den Pfeilerachsen kamen Stelzenlager zur Ausführung, die, mit Ausnahme der Achse IV, über den Drehpunkt am Fußpunkt Längenänderungen des Überbaus aufnehmen können. Auf den Widerlagern wurden Rollenlager mit seitlicher Zahnradführung eingesetzt, in Querrichtung sind die Stelzenund Rollenlager konstruktionsbedingt fest. Der Überbau der Brücke lagert auf zwei flachgegründeten Widerlagerachsen in Achse 0 und IX sowie auf 8 Pfeilern in den Achsen I–VIII, die zum Teil mit Rammpfählen tiefgegründet wurden (Achse IV–VII). Die begehbaren Widerlager stellen eine aufgelöste Konstruktion aus ausgesteiften Längs- und Querscheiben dar. Eine Pfeilerachse wird in Querrichtung aus zwei Pfeilerstielen, je Hauptträger ein Stiel, gebildet, die im Kopfbereich durch einen vorgespannten Querträger miteinander verbunden sind. Stiele und Querträger sind begehbare Hohlquerschnitte.

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Bestandsplanung: lastverteilende Längsträger © Autobahndirektion Nordbayern

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Brückenunterseite im Jahr 2016 © Ed. Züblin AG

2.2 Bau der Bestandsbrücke Neben dem Rückbau ist auch die eigentliche Bauweise interessant und soll nachfolgend kurz erläutert werden. Zunächst erfolgte die Herstellung der Widerlager, Pfeiler und Hilfsstützen, die in jedem Feld als Zwischenunterstützung für die Montage des Überbaus dienten.

10 Herstellung der Unterbauten in Achsen VI–IX © Willi Dürrnagel

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Pfeiler und monolithische Hilfspfeiler wurden im Gleitbauverfahren errichtet, im Bahnfeld, Feld 3 zwischen den Achsen II und III, und den Randfeldern kamen Stahlhilfsstützen zum Einsatz.


SYMPOSIUM

11 Stahlbaumontage im Bahnfeld zwischen Achse II und III © Autobahndirektion Nordbayern

Im Anschluss an die Herstellung der Unterbauten erfolgte die schussweise Montage der Stahlkonstruktion (Schusslängen: im Feld ca. 18,00 m, Stütze ca. 14,00 m) sowie des temporären Montage- und Windverbandes, beginnend am Widerlager Frankfurt (Achse 0) in Richtung Nürnberg mit einem oben auf dem Stahlbau fahrenden Derrickkran. Da die Hilfsstützen nur in Feldmitte angeordnet waren, lässt sich die Stahlbaumontage als Mischung aus Freivorbau und Herstellung mit Hilfsunterstützung bezeichnen. Die Besonderheit der Herstellung lag in einer bauzeitlich planmäßigen überhöhten Lagerung bis zu ca. 2,10 m über den Pfeilern in Brückenmitte bei einer gleichzeitigen planmäßigen Unterhöhung an den Widerlagerachsen von ca. 1,10 m und der sich daran anschließenden weiteren Herstellfolge: – Betonage der Feldbereiche 1–6 zwischen den Viertelspunkten, – Ausbau der Hilfsstützen in den Feldern 1, 2 und 3, – Betonieren des Stützbereiches I und des Feldbereiches 7, – Ausbau der Hilfsstützen 4, 5 und 6, – Betonieren des Stützbereichs III und der Feldbereiche 8 und 9, – Ausbau der Hilfsstützen 7, 8 und 9, – Betonage der Stützbereiche V und VII, – Betonage der Stützbereiche II, IV, VI und VIII, – Aufbringen der Längsvorspannung in den Stützbereichen und Ausbau des Montage- und Windverbandes sowie – Absenken des Überbaus über den Pfeilerachsen um bis 2,80 m (Achse IV, Festpunkt) bei gleichzeitigem Anheben des Überbaus über den Widerlagerachsen um bis 1,50 m.

Die Brücke wurde somit im Sinne der Materialoptimierung nochmals quasi in sich vorgespannt und damit ihre Tragfähigkeit erhöht. Im Anschluss an das Ab- und Aufstapeln und das Einlagern erfolgten das Aufbringen der Ausbaulasten und die Fertigstellung. 2.3 Weitere Besonderheiten Die Hauptlängsträger wurden auf etwa halber Höhe auf kompletter Brückenlänge mittels verbliebener Schraublasche für die Montage gestoßen und anschließend verschweißt. Als Stützquerträger über den Pfeilerachsen wurde mittig nur eine Fachwerkscheibe als Querfachwerk angeordnet. Die horizontalen und vertikalen Steifen bzw. Beulsteifen wurden lediglich auf der Hauptträgerinnenseite mit einem Längsabstand von ca. 2,00 m, entsprechend

dem Querträgerabstand, angeordnet und in vertikaler Richtung strikt nach Beanspruchung mit Abständen zwischen 0,45 m und 0,95 m und Versätzen zwischen den Einzelfeldern gestaffelt. Die Hauptträger wurden als Doppel-TSchweißprofil ausgebildet. Die Stegblechdicken belaufen sich im Feld auf 10 mm bei gleichzeitigen Träger- bzw. Steghöhen bis ca. 6 m. Zusätzlich wurden die Hauptträger mit bis zu fünf zusätzlichen Untergurtlamellen zuzüglich weiterer Stoßlaschen verstärkt. Im Stützbereich erhöht sich die Stegblechdicke von 10 mm über 12 mm und 14 mm auf 16 mm. Außerdem wurden zwei 20 mm dicke Untergurtlamellen zuzüglich weiterer Stoßlaschen angeordnet. Die Untergurtlamellen im Feld- und Stützbereich sind untereinander längs und quer verschweißt und im Stoßbereich zusätzlich verschraubt.

12 Herstellung der Fahrbahnplatte, Stützbereiche IV und VI noch nicht betoniert © Autobahndirektion Nordbayern

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13 Schadensbild bei Untergurt und Vertikalsteifen © Autobahndirektion Nordbayern

2.4 Schäden am Bestandsbauwerk Aufgrund der hohen Schwerverkehrsbelastung und seinerzeit statisch nicht richtig berücksichtigter Lastfälle, wie zum Beispiel Temperatureinwirkung, weist das Bauwerk erhebliche Schäden an tragenden Bauteilen auf. Betroffen sind vor allem die Haupt- und Querträgerstege sowie die Stegaussteifungen. Infolge der vorhandenen Schäden wurde die Brücke statisch untersucht mit dem Ergebnis, dass die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit nur für die Brückenklasse 60 möglich sind. Die Standsicherheit des Bauwerks war aufgrund der Schäden an den Schweißstößen der

14 Rückbaukonzept der Ausschreibung © Autobahndirektion Nordbayern

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Untergurtlamellen der Vollwandhauptträger und der Risse in den Schweißnähten des Anschlusses der Vertikalsteifen an die Hauptträger jedoch nur noch für eine Restnutzungsdauer von wenigen Jahren gewährleistet. Bis zur Fertigstellung des erforderlichen Ersatzneubaus waren daher einschneidende verkehrliche Kompensationsmaßnahmen, wie die Sperrung der Seitenstreifen, die Anordnung eines Überholverbots für Lkws sowie strenge Auflagen für Schwertransporte, erforderlich. Darüber hinaus wurden jährliche Sonderprüfungen durchgeführt. Seit der Freigabe der neugebauten Richtungsfahrbahn Frankfurt im März 2018 ist die alte Talbrücke Heidingsfeld nicht mehr unter Verkehr und damit bereit für den Abbruch. 3 Abbruch der Bestandsbrücke 3.1 Konzept der Ausschreibung Die Ausschreibung des Abbruchs der Bestandsbrücke sah vor, nach dem Abfräsen der Asphaltdeck- und Schutzschicht und nach dem Abtragen der Abdichtung den Überbau jeweils feldweise zunächst durch Abbrechen der Fahrbahnplatte auf kompletter Länge zu leichtern.

Da der Abbruch zum einen Voraussetzung für den Neubau der zweiten Richtungsfahrbahn ist und zum anderen die Topographie des Bahnfeldes und somit die Andienung des Feldes von unten als schwierig gelten, war vorgesehen, zwei obenfahrende Schutzgerüste einzusetzen, die nach dem Rückbau der Fahrbahnplatte im Feld II–III mit dem Abbruch der Stahlkonstruktion oberhalb der Bahn nach dem Prinzip des umgedrehten Freivorbaus (Trennschnitt in Feldmitte, segmentweiser paralleler Rückbau der Stahlkonstruktion von Feldmitte jeweils in Richtung der Pfeiler II und III) beginnen sollten. Nach Abbruch des Bahnfeldes war geplant, mit dem ersten Schutzgerüst die Platte von Achse II in Richtung Achse 0 zu leichtern und anschließend die Stahlkonstruktion des Feldes I–II mittels Litzentechnik abzulassen. Der Rückbau des Feldes 0–I war durch segmentweises Demontieren unter Einbezug von Hilfsstützen vorgesehen. Das zweite Schutzgerüst sollte nach Rückbau des Bahnfeldes zum Abbruch der Platte von Achse III in Richtung Achse IX dienen. Parallel dazu war der Aufbau von Hilfsstützen in den Feldern VII–VIII


SYMPOSIUM und VIII–IX, der Heuchelhofstraße, geplant. Für den Abbruch der geleichterten Stahlkonstruktion war vorgesehen, die Konstruktion ungefähr in Mitte des Feldes VI–VII zu trennen, anschließend das halbe Feld VI–VII mit Litzentechnik abzusenken und danach den Abbruch wiederum in zwei getrennten Rückbaurichtungen weiter fortzusetzen. Mittels Litzentechnik sollte feldweise, beginnend mit Feld V–VI, der Stahlüberbau in Richtung des Brückenfestpunktes auf Achse IV, jedoch entgegen der Montagerichtung der neuen zweiten Richtungsfahrbahn abgelassen werden. Durch Herausziehen der geleichterten Feldbereiche VI–IX einschließlich des verbliebenen Kragarmes des halben Feldes VI–VII und das segmentweise Abtrennen in einem Taktkeller hinter dem Widerlager in Achse IX sollte der restliche Teil des Stahlüberbaus abgebrochen werden. Der Rückbau der Pfeiler Achse II und III sollte jeweils mittels Fallrichtungssprengung erfolgen, wobei geplant war, dass der Pfeiler in Achse II in Richtung des Feldes I–II und der Pfeiler in Achse III entgegengesetzt in Richtung des Feldes III–IV kippt, um die Bahnanlagen weitestgehend zu schützen. Für die Pfeiler der Achsen V, VI und VII sowie die Hilfsstütze im Feld VII–VIII sollte ein Sprengabbruch oberhalb von 35 m über Gelände erfolgen. Der Abbruch der

Pfeilerschäfte bis 35 m Höhe über Gelände sowie der Komplettabbruch der Pfeilerachsen I, IV und VIII waren mit Abbruchzangen und Longfrontbaggern vorgesehen. Die Beseitigung der Unterbauten sollten der Teilabbruch des Widerlagers in Achse 0 bis auf die Taktkellerhöhe für die Montage des Stahlhohlkastens der neuen Richtungsfahrbahn Nürnberg sowie der Komplettabbruch des Widerlagers Achse IX abschließen. 3.2 Alternatives Rückbaukonzept Das mit der Ausführungsplanung im eigenen Hause betraute Technische Büro Konstruktiver Ingenieurbau der Zentralen Technik der Ed. Züblin AG entwickelte zusammen mit dem Bereich Brückenbau Süd-Ost im Zuge der Erstellung der Abbruchplanung ein alternatives Abbruchkonzept, das auf der grundlegenden Idee basierte, die Fahrbahnplatte und damit die benötigte aussteifende und stabilisierende Scheibenwirkung nicht zu entfernen, sondern zu belassen. Erste Berechnungen bestätigten die Umsetzbarkeit; die Felder stellten sich im maßgebenden Zustand des Herausschneidens aus der Durchlaufträgerkette und ihrer Umwandlung in ein Einfeldträgersystem als ausreichend tragfähig heraus. Gleiches galt auch für die verbliebenen Durchlaufträgerfelder.

Spannungs- und Stabilitätsnachweise konnten am globalen System ohne zusätzliche Maßnahmen, zum Beispiel Einbau von Untergurtlamellen in Feldmitte etc., erbracht werden. Die mit dem Verbleib der Fahrbahnplatte einhergehende Laststeigerung für die Litzentechnik von ca. 1.500 kN je Hauptträgerende auf ca. 5.500 kN erforderte eine Verlagerung des Anschlagpunktes vom Obergurtbereich auf eine Jochträgerkonstruktion unter dem Untergurt der Hauptträger. Für die Lasteinleitung wurden zusätzliche Steifenbleche angeordnet. Um das Bahnfeld zwischen den Achsen II und III und die daran anhängenden Feldbereiche 0–II vom kritischen Weg für die Herstellung der neuen Richtungsfahrbahn zu entkoppeln, wurde für den Abbruch des Feldes auch ein alternatives, zugleich schnelleres und einfacheres Konzept unter Berücksichtigung der Topographie und der Belange der Bahn gesucht. Aus dem Absenken der Nachbarfelder mit Litzenhebern und den seitens der Bahn signalisierten längeren möglichen Sperrpausen entwickelte sich die Idee, das Bahnfeld ebenfalls mittels Litzenhebern abzusenken.

15 Überlagerung von Bestand und Neubau © Autobahndirektion Nordbayern

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SYMPOSIUM Durch die Anordnung mehrerer Hilfsstützenachsen sowie von Steckträgern in den mittig in der Böschung stehenden Pfeilerstielen in Achse II Süd und Achse III Nord sowie von Fundamenten an den übrigen Stielen ergab sich ein schlüssiges Konzept zur Auflagerung des abgesenkten Feldes. Der Achsabstand der Hilfsunterstützungen wurde dabei einerseits aus dem freizuhaltenden Lichtraumprofil der Bahn und andererseits unter der Maßgabe einer später möglichen weiteren Demontage mit Mobilkrantechnik entwickelt. Da weitergehende Fragestellungen und Berechnungen zu den Lasteinleitungen der Auflagerkräfte in die Hauptträger, der Horizontalkraftabtrag und die Stabilisierung der Untergurte über den Hilfsstützen in Brückenquerrichtung, aber auch der Technologie zur Herstellung der erforderlichen Tiefgründung der Hilfsstützen auf beengten Platzverhältnissen am und im Hang durch Einsatz von Schreitbaggern mit Bohraufsatz geklärt werden konnten, stand somit das Konzept zum Absenken des Bahnfeldes mittels Litzentechnik. Zur Gewährleistung eines schnellen weiteren Baufortschritts, losgelöst vom möglichen tatsächlichen Zeitpunkt des Komplettabbruchs des abgesenkten Bahnfeldes, wurde das Ausklinken des Bahnfeldes im Bereich des Pfeilerstieles in Achse II Nord bzw. im Bereich der neuen Achse 30 Süd vorgesehen. Durch die Anordnung der Pfeilerstiele in den Achsen II und III – und das mit einem Stiel mittig in der Böschung, mit dem jeweils zweiten Stiel auf der Oberkante der Böschung stehend – war die Anpassung der Abbruchtechnologie für die Pfeiler auf segmentweises Schneiden und Auskranen erforderlich, da sich die vorgesehene Fallrichtungssprengung nicht mit der erforderlichen Sicherheit gegenüber der Bahn hätte durchführen lassen. Um die Abbrucharbeiten in Richtung des neuen Taktkellers für die Stahlbaumontage hinter Achse 0 (alt) bzw. Achse 10 Süd (neu) zeitlich weiter zu verkürzen, sah das Konzept nach dem Absenken des Feldes I–II mit Litzentechnik zudem das Umziehen des Pfeilers in Achse I zum Niederlegen des Feldes 0–I vor dem Bestandswiderlager Achse 0 vor. Der Abbruch der Felder in Richtung Widerlager in Achse IX wurde für die Achsbereiche III–VIII mittels Litzentechnik und für das Endfeld VIII–IX über der Heuchelhofstraße mittels Hilfsstütze und segmentweisen Auskranens vorgesehen.

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16 Geländesituation im Bahnfeld © Ed. Züblin AG

3.3 Aufgaben für Planung und Ausführung Nach eingehender Prüfung der übergebenen Unterlagen zum alternativen Abbruchkonzept durch die Autobahndirektion Nord konnte ab Mitte März 2018 in der Zentralen Technik der Ed. Züblin AG mit der Erstellung der zugehörigen Ausführungsplanung begonnen werden. Um die Prüfung der Unterlagen auch hinsichtlich der Belange der Bahn zu erweitern, entschloss sich die Autobahndirektion zu Beginn der Planungen, in Ergänzung zum zuständigen Prüfer Prof. Dr.-Ing. Robert Hertle die Unterlagen

gleich parallel durch den EBA-Prüfer Prof. Dr.-Ing. Geißler auf die Belange Bahn prüfen zu lassen. Dieser nicht alltägliche Schritt bedeutete zwar für Planer, ZTVIng-Koordinator, Bauherrn und Baustelle eine anfängliche Mehrfachbelastung aus der gleichzeitigen doppelten Koordination und Abstimmung: Hier vorweggegriffen, hat sich dies jedoch im Ergebnis durch die entsprechend reduzierte Gesamtprüfzeit und die Vorlage von bereits komplett geprüften Unterlagen bei der Bahn ausgezahlt. Ein weiterer, positiver

17 Konzept mit Hilfsstützenstellung im Bahnfeld © Quelle: Ed. Züblin AG

18 Hilfsstützenstellung mit Ausklinkung des Überbaus © Ed. Züblin AG


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19 Hilfsstützenstellung im Bahnfeld mit Entfall von Achse P5–P6 © Ed. Züblin AG

Nebeneffekt lag darin, dass durch die Doppelprüfung und die differenzierte Fokussierung bei der Bearbeitung die Redundanz im System und damit die Sicherheit bei etwaigen Störungen bzw. Unwägbarkeiten bei der Bauausführung erhöht werden konnten. Die technische Bearbeitung des Rückbaus der Talbrücke Heidingsfeld gliedert sich in folgende thematische Schwerpunkte: – Bewertung der Vorschädigungen der Bestandsbrücke, – Freischneiden und Absenken des Bahnfeldes, – Rückbau des abgesenkten Bahnfeldes, – Absenken der Nachbarfelder I–II und II–III, – Umziehen des Feldes 0–I, – Rückbau der Feldbereiche IV–VIII und – Rückbau des Feldes über der Heuchelhofstraße (VIII–IX). 3.4 Bewertung der Vorschädigungen Anhand der übergebenen umfangreichen Bauwerksdokumentation ergaben sich im Wesentlichen die nachfolgend aufgeführten Hauptschäden samt entsprechenden Häufungen: – defekte Brückenentwässerung bzw. defekte Teilbereiche einschließlich der damit zusammenhängenden Folgeschäden wie Korrosion von Bau- und Betonstahl im Bereich von Brückenabläufen etc., – unterschrittene Betondeckungen in Verbindung mit lokalen Betonabplatzungen infolge Korrosion des Bewehrungsstahls, – Korrosion der Stahlkonstruktion im Bereich der Untergurte,

– Risse in den Schweißnähten der Längsstöße der Untergurtlamellen und – Risse in den Schweißnähten der Beulsteifen und Stegverstärkungen. In Abstimmung mit den Prüfern wurden die Schäden hinsichtlich der Einflüsse auf die Nachweisführung anhand des ebenfalls vorliegenden Schadensplans bewertet. Als relevant für eine erforderliche Detailbetrachtung im Zuge der statischen Nachweisführungen wurden nur die Risse in den Längsstößen der Untergurtlamellen bestimmt, die gehäuft im Bereich einer geänderten Beanspruchung innerhalb eines Bauteils, zum Beispiel Wechsel von Druck- auf Zugzone etc., lagen oder die gehäuft bei wenigen Lamellenzulagen auftraten. Im Endergebnis ließen sich in allen Fällen aufgrund der geringen Beanspruchungen im Abbruchzustand die Nachweise führen. 3.5 Freischneiden und Absenken 3.5.1 Hauptaspekte Der erste wesentliche Schwerpunkt der Bearbeitung lag im Freischneiden und Absenken des Bahnfeldes mit nachfolgenden Hauptaspekten: – Hilfsstützenstellung, Lage der Hilfsunterstützungen, – Ausbildung der Steckträger und der Hilfsfundamente, – Plattenöffnungen und Traggerüste zum Einbau der Stahlbauverstärkungen, – Lasteinleitungspunkte der Hilfsstützen, – Stabilisierung der Untergurte im Bereich der Hilfsstützen,

– Lasteinleitung an den Hauptträgerenden durch die Jochträger mittels Litzentechnik und Hilfsunterstützungen, – Stabilisierungsverbände an den Hauptträgerenden, – Litzentechnik, – Pfeilerkopfertüchtigungen, – Arbeitsanweisung zum Absenken im Bahnfeld, – Ausklinken des Bahnfeldes zur Schaffung der Baufreiheit für den Neubau in Achse 30 Süd, – Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit und – Abweichungen im Bestand. 3.5.2 Hilfsstützstellungen und Hilfsunterstützungen Im Ergebnis offener und konstruktiver Abstimmungen mit den verschiedenen Fachbereichen der Bahn, die über das Büro Railing als von der Autobahndirektion Nordbayern beauftragten Bauüberwacher Bahn zuverlässig und zielführend koordiniert wurden, wurde entschieden, infolge zu großer Nähe zu einem Oberleitungsmasten mit frei hängender Speiseleitung auf eine Hilfsstützenachse zu verzichten. Die sich daraus ergebenden Lastumlagerungen konnten durch das System, bezogen auf die Spannungen, jedoch zuverlässig abgetragen werden, für die in Feldmitte stehende Hilfsstützachsen P3–P4 ergaben sich entsprechend größere Stützenlasten.

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SYMPOSIUM Als Elemente für die erforderliche Tiefgründung der Hilfsstützen wurden Mikropfähle vom Typ Ischebeck Titan 73/53 und 73/35 eingesetzt, da sie sich durch entsprechende Anbaugeräte mittels der im Bahnfeld erforderlichen Schreitbagger herstellen ließen. In Abstimmung mit den Prüfingenieuren wurde die Mikropfahlgründung durch Anordnung von zusätzlichen Schrägpfählen und die zusätzliche konstruktive Ausbildung als Zugpfähle auch für außerplanmäßige Exzentrizitäten bis zu 20 cm verstärkt. Je Hilfsstütze und Pfahlkopfplatte wurden 14 Pfähle mit Pfahllängen zwischen 9,50 m und 13,00 m angeordnet. Die planmäßige Abtragung der Windlasten auf das abgesenkte Bahnfeld erfolgt durch eine Verklammerung des abgesenkten Feldes auf Höhe der Fahrbahnplattenoberkante in den Pfeilerstielen der Achsen II und III Süd. Um eine schnellstmögliche Bauausführung für die Hilfsstützen zu gewährleisten, wurden für die bis 13,50 m hohen Stützen Schachtringe als verlorene Schalung und analog zur Bohrpfahlbewehrung vorgefertigte Bewehrungskörbe geplant. Dadurch war die Baustelle in der Lage, je Arbeitstag und Hilfsstütze einen Betonierabschnitt und die höchste Stütze in insgesamt vier Arbeitstagen zu realisieren. 3.5.3 Steckträger und der Hilfsfundamente Die Auflagerung des abgesenkten Bahnfeldes im Bereich der Bestandspfeilerachsen sollte für die mittig in der Böschung stehenden Pfeilerstiele über Steckträgerkonstruktionen und für die auf der Böschung befindlichen Stiele über flachgegründete Einzelfundamente erfolgen. Neben der Vermeidung von zeit- und kostenaufwendigen Arbeiten zur Andienung dieser Pfeiler ergab sich der Einsatz der Steckträger auch aus den unterschiedlichen Geländeverläufen an den Stielen einer Bestandsachse. Da im Zuge der Detailnachweise keine ausreichende Zugkraftübertragung im Schnittbereich zwischen Pfeilerstiel und Fundament nachgewiesen werden konnte, mussten die Steckträger über die Bestandsachse verlängert und hinter den Pfeilerstielen in Zugpfählen, die ebenfalls als Mikropfähle hergestellt wurden, zurückgespannt werden, um die Zugkräfte zu überdrücken.

20 Herstellung der Mikropfähle © Ed. Züblin AG

21 Errichtung der Hilfsstützen © Ed. Züblin AG

22 Prinzipskizze der Steckträger © Ed. Züblin AG

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23 Plattenöffnungen im Bahnfeld © Ed. Züblin AG

Die Abmessungen der flachgegründeten Einzelfundamente vor den Pfeilerstielen in den Achsen II Nord und III Süd resultierten aus den zulässigen Bodenpressungen und den unterschiedlichen abzutragenden Lasten infolge angepasster Unterstützungs- bzw. Hilfsstützenachsen. 3.5.4 Plattenöffnungen und Traggerüste Bei sämtlichen Betrachtungen, Konstruktionen und Nachweisführungen am Bestandsüberbau war stets zu beachten, dass die erforderlichen Stahlbauverstärkungen ausschließlich von der vorhandenen Fahrbahnplatte aus durch Ausschnitte und eingehängte Trag- und Schutzgerüste eingebracht werden konnten. Die Ausschnitte waren dabei in Größe und Anzahl zu beschränken, um eine ausreichende Druckzone für das Ausschneiden des Feldes aus dem Durchlaufträgersystem und das Umwandeln in ein Einfeldträgersystem zu belassen. Da sich durch die Bahnanlagen und die damit mögliche Anordnung der Hilfsunterstützungen die erforderlichen Plattenöffnungen zwangsläufig auch in Feldmitte ergaben, waren für das Freischneiden und Absenken entsprechende Detailnachweise zu führen. Die Druckkräfte in der Platte konnten für diesen Zustand rechnerisch zu einem großen Anteil auf den verbliebenen Restquerschnitt umgelenkt werden, so dass für das Umlagern in das Einfeldträgersystem die Öffnungen nur noch durch Drucksteifen zu verstärken bzw. auszusteifen waren.

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24 Trag-, Arbeits- und Schutzgerüst © Ed. Züblin AG

Die benötigten Trag- und Arbeitsgerüste wurden zur Sicherstellung einer größtmöglichen Reduktion der Arbeiten über den Bahnanlagen als auf der Platte vorzumontierende und im Ganzen einzuhebende Türme geplant, die nach dem Einhängen lediglich miteinander unter der Platte verbunden und für die erforderlichen Arbeitsbreiten ergänzt werden müssen. 3.5.5 Lasteinleitungspunkte der Hilfsstützen Für die Auflagerung des Bahnfeldes auf den Hilfsunterstützungen wurden an allen Achsen Elastomerlager vom Typ B vorgesehen. Die zugehörigen Lasteinleitungspunkte in die Hauptträger über den Hilfsstützen wurden mittels Steifenblechen geplant und zur Erhöhung der Robustheit planmäßig von Untergurt bis Obergurt geführt. Durch die erforderliche Reduktion der Hilfsstützenachsen und die damit einhergehende Laststeigerung waren zusätzliche, sehr detaillierte und zeitaufwendige Betrachtungen und Abstimmungen mit den Prüfern zum Thema Beulen notwendig, in deren Ergebnis die erforderlichen horizontalen Beulsteifen auf die Hilfsstützenachse P3–P4 begrenzt werden konnten, jedoch zweilagig auszuführen waren.

Um etwaige, gegenläufige Lagerschiefstellungen etc. zu korrigieren, wurden Pressenansatzpunkte und die zugehörigen Steifen vorgesehen. In Teilbereichen war die Anordnung von Futterblechen zum Ausgleich der Abstufung im Bereich der Untergurtlamellen erforderlich. 3.5.6 Stabilisierung der Untergurte Die Diagonalen zur Aussteifung und Stabilisierung der Untergurte im Bereich der Hilfsstützenauflagerung wurden im Rahmen der Ausführungsplanung dahingehend modifiziert, dass sie so einfach wie möglich und unter Ausnutzung des Hebelprinzips von der Plattenoberseite eingehoben und montiert werden konnten. 3.5.7 Lasteinleitung an Hauptträgerenden Analog zu den Lasteinleitungspunkten über den Hilfsstützen wurden die erforderlichen Steifen für die Jochträger der Litzentechnik und die Auflagerung auf den Steckträgern und Einzelfundamenten geplant und ausgeführt.


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26 Absenken des Bahnfeldes: Verstärkungen über Hilfsstützen © Ed. Züblin AG

25 Lasteinleitungspunkte der Hilfsstützen © Ed. Züblin AG

3.5.8 Stabilisierung der Hauptträgerenden Ein Ergebnis der Doppelprüfung und der Redundanzerhöhung war die Anordnung eines Stabilisierungsverbandes an den Hauptträgerenden, um deren etwaigem, unplanmäßigem Ausknicken beim Umhängen in die Litzentechnik und dem sich anschließenden Absenken bereits konstruktiv entgegenzuwirken. Für diese Stabilisierungsverbände kamen übergreifende Zugstäbe zur Ausführung. 27 Druckstab zur Untergurtstabilisierung © Ed. Züblin AG

28 Stabilisierungsverband an den Hauptträgerenden © Ed. Züblin AG

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29 30 Litzentechnik: Längs- und Querschnitt © Ed. Züblin AG

3.5.9 Litzentechnik Die Planung der Litzentechnik erfolgte federführend durch das Ingenieurbüro Walter Hauf im Auftrag der Max Wild GmbH, die von der Ed. Züblin AG mit den eigentlichen Abbrucharbeiten beauftragt worden war. Infolge der Anhänge- und Absenklasten von 550 t je Hauptträgerende bzw. Anhängepunkt wurden je Anhängepunkt vier verstärkte Litzenträger HEB 1000 mit zwei 300-t-Litzenhebern auf der Anhängeseite und einem 200-t-Litzenheber auf der Rückhängeseite nach dem Waagebalkenprinzip angeordnet. Die Abhängung wurde dabei im Abstand von ca.

31 Litzentechnik nach Montage © Ed. Züblin AG

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32 Anschlagpunkt am Hauptträgerende © Ed. Züblin AG


SYMPOSIUM 2,50 m unter Berücksichtigung des sich nach oben verjüngenden Pfeilerquerschnittes und der Lage der Querträger des Überbaus realisiert, die Rückhängung hat einen entsprechenden Achsabstand von ca. 9,20 m. Wie bereits erwähnt, war wegen der höheren Anschlag- und Absenklasten das Anschlagen über einen quer unter den Hauptregeln angeordneten Joch- bzw. Traversenträger erforderlich. Die Rückhängung konnte über Augbleche im Steg der Hauptträger unter den Obergurten verankert werden. 3.5.10 Pfeilerkopfertüchtigungen Um die Pfeiler mit den zwischenzeitlich bekannten Defiziten im Bereich der Zugkraftübertragung aus den Stielen in die Fundamente nicht zu überlasten, aber auch um auf weitere Verstärkungen und Ertüchtigungen zu verzichten, wurde das zuvor abgesenkte Feld auf einer Länge von 30 m als Gegengewicht für das nächste den Nachweisführungen zugrunde gelegt und der Pfeiler dadurch nahezu zentrisch belastet.

33 Ablaufprinzip beim Absenken der Überbaufelder © Autobahndirektion Nordbayern

Zur Aufnahme und gesicherten Abtragung der Kräfte aus den Litzenträgern waren entsprechende lokale Verstärkungen im Bereich der Pfeilerköpfe erforderlich. Die hier dargestellten Druckstücke und konstruktiven Zugverankerungen in den Pfeilerkopf werden erst für den Zustand

des Absenkens des Nachbarfeldes erforderlich. Für das Herausschneiden oder Abschneiden eine Feldes bzw. eines temporären Endfeldes aus dem Durchlaufträgersystem besitzt der Überbau eine ausreichende Tragfähigkeit.

34 35 Verstärkung des Überbaus über Pfeilern © Ed. Züblin AG

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36 Neubau im Bereich der Bahnfeldausklinkung © Ed. Züblin AG

3.5.11 Arbeitsanweisung: Ablassen Bahnfeld Parallel zur Erstellung der statischen Berechnungen und der zugehörigen Ausführungspläne wurde unter Einbezug aller Beteiligten frühzeitig mit der Erstellung einer Arbeitsanweisung begonnen, die alle einzuhaltenden Schritte und deren Reihenfolge zur Verstärkung und Ertüchtigung der Bestandsbrücke im Vorfeld des Freischneidens sowie die danach folgenden Einzelschritte im Zusammenhang mit dem Freischneiden und Umhängen in die Litzentechnik sowie dem sich anschließenden Absenken und Aufsetzen aufführt. Kernpunkt der Arbeitsanweisung war die Vorgabe der schrittweisen Lasterhöhung in den Litzenhebern im Zusammenhang mit dem kontrollierten, schrittweisen Brennschneiden der Hauptträger. Darüber hinaus beinhaltet die Arbeitsanweisung die notwendigen Zwischenkontrollen und eine eindeutige Verhaltensweise bei festgestellten Abweichungen. 3.5.12 Ausklinken des Bahnfeldes Die in der Konzeptphase vorgesehene Ausklinkung des Bahnfeldes zur Schaffung der erforderlichen schnellen Baufreiheit für die Achse 30 Süd der neuen Richtungsfahrbahn Nürnberg ließ sich problemlos realisieren.

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3.5.13 Erhöhung der Sicherheit Um die Sicherheit der Bauausführung zu erhöhen, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen. Eine bestand darin, die Berechnungsannahmen zu den Eigengewichten bzw. zur Masse zu überprüfen. Dazu wurde über die Plattenausschnitte zum Einbau der erforderlichen Verstärkungen ein detailliertes geometrisches Aufmaß zur Plattendicke erstellt und die vorhandene Wichte der Platte über die gewonnenen Bohrkerne in einem Baustoffprüflabor ermittelt. Im Ergebnis ließ sich eine sehr gute Übereinstimmung zwischen den charakteristischen Rechenwerten und dem Bestand feststellen. Eine weitere Maßnahme war, alle Steifenbleche und weiteren Stahlbauverstärkungen mit ausreichender Sicherheit und einheitlich nur für den Maximalwert zu dimensionieren, um bei womöglich auftretenden Korrektur- und Anpassungsmaßnahmen infolge des Bestandes flexibel bleiben zu können, ohne umfangreiche Neuberechnungen und Materialbeschaffungen abwarten zu müssen. Exemplarisch wird noch auf den Einsatz der Bohrkernfänger verwiesen. Um das Abstürzen und Durchfallen der Bohrkerne sicher zu vermeiden, werden die späteren Kerne vor Bohrbeginn durch Gewindedübel und Schraubverbindungen mit dem Kernbohrgerät verbunden. Unter Einsatz dieser Fangkonstruktion konnten die Kernbohrarbeiten oberhalb der Bahnanlagen auch im Schutze natürlicher Zugpausen erfolgen.

3.5.14 Abweichungen im Bestand Im Zuge des planmäßigen Einbaus der Stahlbauverstärkungen ergaben sich auch unplanmäßige Situationen. So wurden, um nur die wesentlichen Punkte zu nennen, nachfolgende Abweichungen von den Bestandunterlagen festgestellt: – vorhandene Steifen dort, wo nach Plan keine Steifen eingezeichnet waren, bzw. die vorhandenen Steifen waren in ihrer Lage deutlich verschoben eingebaut, – Öffnungen in den Stegblechen, die auf den Plänen nicht verzeichnet waren, und – Unebenheiten im Hauptträgersteg über die Bauhöhe. Aber auch der Baugrund barg gerade im Bahnfeld immer wieder Überraschungen, zum Beispiel durch das Antreffen von Fundamenten, die vermutlich im Zusammenhang mit dem damaligen Brückenneubau standen. Da sich jedoch die Verstärkungsmaßnahmen infolge des alternativen Rückbaukonzeptes auf wenige und oft wiederkehrende Stellen beschränkten, ließ sich vor allem die bauzeitliche Auswirkung aus den Bestandsabweichungen insgesamt eingrenzen. Zum anderen konnte aufgrund der zuvor geschilderten Vereinheitlichung und der ausreichenden Vordimensionierung der Verstärkungsbauteile nach Abstimmung mit den Prüfern in der Regel innerhalb von ein bis zwei Tagen an der betroffenen Stelle weitergearbeitet werden.


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37 Absenken von Feld I–II © Ed. Züblin AG

3.6 Rückbau des abgesenkten Bahnfeldes Durch die im Zuge der Planungen bewusst vorgenommene Trennung in Freischneiden, Absenken und Auflagern einerseits und Komplettabbruch des abgesenkten Feldes andererseits konnte ein ausreichend großes Zeitfenster zur Suche und Abstimmung möglicher Sperrungen und Betriebsruhen mit der Bahn für den Komplettabbruch geschaffen werden. Im Schatten einer größeren baulichen Maßnahme der Bahn selbst, bei der der auf der Strecke befindliche Güterverkehr unterbrochen und der Personenverkehr auf zwei Zugfahrten je Stunde zwischen 5 Uhr und 22 Uhr reduziert ist, kann unter Nutzung der natürlichen Zugpausen und der nächtlichen Betriebsruhen der Abbruch des abgesenkten Feldes unter Ausnutzung der durch die Hilfsunterstützungen stark verkürzten Spannweiten durch segmentweises Schneiden und Auskranen mittels Raupenkran über die Achse III erfolgen. Die erforderliche technische Bearbeitung fokussierte sich dabei auf die Abtragung der horizontalen und vertikalen Beanspruchungen der Restquerschnitte aus den einzelnen Zwischenbauzuständen.

38 Abbruch eines abgesenkten Felds © Ed. Züblin AG

3.7 Absenken der Nachbarfelder Die zuvor beschriebenen Schritte ließen sich nahezu identisch auf die Planungen zum Schneiden und Absenken der beiden Nachbarfelder I–II und III–IV mit den nachfolgenden Vereinfachungen übertragen: Durch den in den Nachbarfeldern wesentlich günstigeren Geländeverlauf konnten sie weitestgehend auf Erdkörper bzw. auf den Baugrund abgesetzt werden. Die Anzahl der Hilfsstützen reduzierte sich auf eine im Feld I–II für den südlichen Hauptträger und ebenso die Auflagerung auf Steckträger auf ein Hauptträ-

gerende je Feld. Während in Achse II Süd noch ein zusätzlicher Steckträger oberhalb der Steckträgerebene für das Bahnfeld angeordnet werden musste, konnte in Achse III Nord der zur Rückspannung in den Baugrund verlängerte Steckträger des Bahnfeldes genutzt werden. Ähnlich zu den erforderlichen statischkonstruktiven Betrachtungen zum Ausklinken des Bahnfeldes waren für das Feld I–II infolge des einseitigen Aufsetzens auf die Hilfsstütze und den Steckträger Detailnachweise für den segmentweisen Rückbau des Feldes erforderlich.

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SYMPOSIUM 3.8 Umziehen des Feldes 0–I Um eine zeitliche Optimierung der Abbrucharbeiten sicherzustellen, auf Stahlbauverstärkungen weitestgehend zu verzichten und die Arbeiten generell zu vereinfachen, bot es sich an, das Feld 0–I als verbliebenes letztes Überbaufeld vor dem Widerlager in Achse 0 durch Umziehen des Pfeilers Achse I im Ganzen niederzulegen, da die Fallhöhe des Feldes relativ gering ist und die für die Bohrpfahlarbeiten an der neuen Widerlagerachse 10 Süd erforderliche Schüttung der Damm- und Bohrebene zunächst als Fallbett genutzt werden konnte. Die für das Umziehen des Feldes notwendigen Planungen mit den Schwerpunkten des gezieltes Vorschwächens des Pfeilers Achse I unter Beibehaltung einer ausreichenden Resttragfähigkeit und Einbau eines Rollenlagers einschließlich der zugehörigen Abrollebene wurden durch Dr.-Ing. Rainer Melzer erbracht. 3.9 Rückbau der Feldbereiche IV–VIII Für das Abbrechen der Feldbereiche in den Achse IV–VIII wurde ebenfalls das Absenken mit Litzentechnik vorgesehen. Infolge des einerseits schräg zur Brücke einfallenden Geländes im Bereich der Achsen IV–VI und der Hangsituation im Feld VII–VIII andererseits waren Dammschüttungen bis 10 m zum Absetzen der abgesenkten Felder, eine mit 120er Bohrpfählen tiefgegründete Hilfsstützenachse im Feld VII–VIII und eine Bestandsfundamentertüchtigung an der Achse VIII zu Auflagerungen des abgesenkten Überbaus zu berücksichtigen.

39 Niederlegen von Feld 0–I © Ed. Züblin AG

40 Vorschwächen von Pfeiler I © Ed. Züblin AG

Aus den Defiziten der Zugkraftübertragung am Pfeilerfuß und der Höhenlage von ca. 21,50 m über Gelände resultierend, wurde auf eine Auflagerung der Hauptträgerenden des Feldes VII–VIII auf Steckträgern in der Pfeilerachse VII verzichtet und stattdessen das Feld im abgesenkten Zustand als einseitig über der Hilfsstützenachse auskragender Einfeldträger auf zwei Stützen nachgewiesen. Da sich die Teilsprengungen der Pfeiler gemäß Amtsentwurf aus erschütterungstechnischen und bauzeitlichen Gründen

41 Absenkprinzip für Feld VII–VIII © Ed. Züblin AG

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SYMPOSIUM als nicht oder nur mit erheblichen Mehraufwendungen umsetzbar darstellten, wurde, ausgehend von einem Vorschlag der Max Wild GmbH, das Umziehen der Pfeiler geplant. Um die Erschütterung beim Aufprall des Pfeilers auf die zulässigen Werte begrenzen zu können, wurden die auf den Absetzdämmen liegenden Überbaufelder planerisch in die erforderlichen Fallbetten »integriert« und mit einer weiteren Schüttung auf der Platte versehen. Der Abbruch der Pfeiler in Achse VII, der Hilfsstützenachse im Feld VII–VIII und des Pfeilers in Achse VIII erfolgen nach Rückbau des Endfeldes über der Heuchelhofstraße durch eine gleichzeitige Sprengung. Das abgesenkte, auf der Hilfsstützenachse aufliegende Feld VII–VIII wirkt dabei gleichsam erschütterungsmindernd als Fallbett. 3.10 Rückbau von Feld VIII–IX Neben dem Bahnfeld stellte der Rückbau des Feldes über der Heuchelhofstraße für alle Beteiligten eine weitere besondere Herausforderung dar, einerseits den Umständen geschuldet, dass es als nun alleinstehendes ehemaliges Endfeld einer Durchlaufträgerkette zur Demontage der Litzentechnik im Bereich der Achse VIII mit schwerer Autokrantechnik befahrbar bleiben muss und andererseits die Heuchelhofstraße mit möglichst wenigen und schnellen Rückbauschritten zur Vermeidung längerer Verkehrssperrungen zurückzubauen ist. Da die Heuchelhofstraße eine der wenigen und zudem die zentrale Verbindungsachse zwischen Würzburg und dem Stadtteil Heuchelhof ist, sind von ihrem Abbruch die Straßenverbindung mit je zwei Streifen je Fahrtrichtung, die zweigleisige Straßenbahnlinie und ein Geh-

43 Feld IV–V nach Absenkung © Ed. Züblin AG

42 Rückbauprinzip: Heuchelhofstraße © Ed. Züblin AG

und Radweg betroffen. Entsprechend umfangreich und detailliert gestaltete sich der Koordinierungsprozess mit der Stadt Würzburg, der Würzburger Straßenbahn, der Polizei und den Rettungsdiensten zu den möglichen Sperrungen, bauzeitlichen Umleitungen und den daraus resultierenden möglichen Bauzuständen und -abläufen. Das aktuell in der Endabstimmung befindliche Konzept sieht vor, die Straßenverbindung für die Dauer der jeweiligen Abbrucharbeiten großräumig über die B 19 umzuleiten, den Rettungsdiensten die Zu- und Abfahrten durch das Baufeld zu ermöglichen und den Straßenbahnverkehr weitgehend aufrechtzuerhalten, so dass Arbeiten im Bereich der Straßenbahn nur in den nächtlichen Betriebsruhen oder im Schutze von Wochenendsperrungen mit Schienenersatzverkehr erfolgen können.

4 Stand der Arbeiten 4.1 Abbruchmaßnahme Bis Anfang des Jahres 2019 wurde folgender Arbeitsstand erreicht: – Bahnfeld auf Hilfsstützen abgesenkt, – Felder 0–I, I–II, III–IV komplett abgebrochen, – Felder IV–V und V–VI abgesenkt sowie – Teilabbruch WL Achse 0 fertiggestellt. Bis Mitte Februar 2019 soll das Absenken der Felder VI–VII und VII–VIII durchgeführt werden, der Komplettabbruch des abgesenkten Bahnfeldes ist für Ende Februar 2019 terminiert. Nach dem Umziehen des Pfeilers in Achse VI und der Freigabe der Stuttgarter Straße für den öffentlichen Straßenverkehr besteht dann ab Ende März 2019 Baufreiheit für den Rückbau der Heuchelhofstraße. Die Pfeilersprengungen in Achse VII und VIII werden voraussichtlich im Mai bzw. Juni 2019 erfolgen können, so dass die Abbrucharbeiten im Juni bzw. Juli 2019 beendet sein werden.

44 Bahnfeld vor Komplettabbruch © Ed. Züblin AG

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45 Blick vom Taktkeller in Richtung Nürnberg © Ed. Züblin AG

4.2 Neubau der Richtungsfahrbahn Nürnberg Der Taktkeller hinter dem Widerlager in Achse 10 konnte noch im Oktober 2018 mit den Stahlbauschüssen des ersten Verschubtakts belegt werden. Das Widerlager in Achse 10 und die Pfeiler in Achse 20 werden bis Ende Januar 2019 fertiggestellt werden. Die Pfeilerachse 30 folgt bis Anfang Februar 2019, so dass der erste Verschub planmäßig Ende Februar 2019 erfolgen wird. Die Gesamtfertigstellung ist für Ende 2020 vorgesehen. 46 Stahlbauarbeiten im Taktkeller © Ed. Züblin AG

47 Querträgermontage im Taktkeller © Ed. Züblin AG

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SYMPOSIUM

5 Fazit Der Abbruch einer großen Talbrücke, die die unterschiedlichsten Verkehrswege, zudem in großer Höhe und bei schwieriger Geländesituation überspannt, ist eine verantwortsvolle Aufgabe für alle Projektbeteiligten und bedingt einen nicht zu unterschätzenden Planungsaufwand, der dem eines Brückenneubaus in vielen Bereichen mindestens ebenbürtig ist. Ein erfolgreicher Brückenabbruch bedeutet aber auch gelebte Teamarbeit, da trotz sorgfältigster Planungen und Abstimmungen nicht alle Unwägbarkeiten erkannt oder im Vorfeld bedacht werden können. Dass der Abbruch der Talbrücke Heidingsfeld bis dato erfolgreich umgesetzt wurde, ist ein Beweis der Teamarbeit und des Engagements aller Beteiligten! Autoren: Baudirektor Dipl.- Ing. (Univ.) Tobias Bäumler Autobahndirektion Nordbayern, Nürnberg Dipl.-Ing. (Univ.) Tobias Schmidt Direktion Brückenbau Bereich Brückenbau Süd-Ost Ed. Züblin AG, Dresden

48 Stahlbaumontage im Mittellängsverbau © Ed. Züblin AG

Bauherr Bundesrepublik Deutschland Auftragsverwaltung Autobahndirektion Nordbayern, Dienststelle Nürnberg (Planung) Autobahndirektion Nordbayern, Dienststelle Würzburg (Bauausführung und Bauüberwachung) Planung Ed. Züblin AG, Dresden (Abbruch) Ingenieurbüro Walter Hauf, Gundelfingen (Litzentechnik) Planungsbüro für Bauwerksabbruch Dr.-Ing. Rainer Melzer, Dresden (Sprengabbruch, Pfeilerumzug) Prüfingenieure Prof. Dr.-Ing. Robert Hertle, Gräfelfing Prof. Dr.-Ing Karsten Geißler, Berlin

Bauausführung Ed. Züblin AG, Bereich Brückenbau Süd-Ost, Dresden Donges Steeltec GmbH, Darmstadt Max Wild GmbH, Berkheim Dritte DB Netz AG, Produktionsdurchführung Würzburg Railing. GmbH, Hohenbrunn Stadt Würzburg Würzburger Straßenbahn GmbH

Platz schaffen ist Wild. Industrieabbruch | Hausabbruch | Brückenabbruch

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SYMPOSIUM Errichtung der Rheinbrücke Leverkusen und anderer Ingenieurbauwerke

Ausbau der A 1 zwischen Köln-Niehl und Leverkusen-West von Nicole Ritterbusch

Die Gesamtmaßnahme umfasst den Ausbau der Autobahn BAB 1 mit dem Neubau der Rheinbrücke Leverkusen und schließt den Umbau des Autobahnkreuzes Leverkusen-West sowie die Anpassung der Anschlussstelle Köln-Niehl ein. Der Ausbauabschnitt der BAB 1 hat eine Länge von 4,55 km. Aufgrund von erheblichen Schäden an der vorhandenen Rheinbrücke ist zeitnah ein Ersatzneubau zwingend erforderlich. Der Landesbetrieb Straßenbau NRW ist als Teil der Landesverwaltung für die Umsetzung im Rahmen der Auftragsverwaltung verantwortlich, Träger der Baumaßnahme ist die Bundesrepublik Deutschland. Nachstehend wird über dieses Vorhaben genauer berichtet. 1 Darstellung des Vorhabens Die BAB 1 ist eine Verkehrsachse von europäischer Bedeutung, im Planungsraum ist sie Teil des Transeuropäischen Straßennetzes TEN. Der Streckenabschnitt wird aufgrund der für 2030 prognostizierten Verkehrsstärken zukunftsfähig auf acht durchgängige Fahrstreifen ausgebaut. Die Maßnahme ist im Bundesverkehrswegeplan 2030 als laufendes, fest disponiertes Projekt vorgesehen. Zwischen der Anschlussstelle Köln-Niehl (AS K-Niehl) und dem Autobahnkreuz Leverkusen-West (AK Lev-West) werden neben den vier Hauptfahrstreifen je Fahrtrichtung durchgängige Verflechtungsstreifen angeordnet. Für die beiden Hauptbauwerke ergeben sich somit Breiten von über 34 m.

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Übersichtslageplan aus dem Feststellungsentwurf © Landesbetrieb Straßenbau NRW

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Das Gesamtprojekt ist geprägt durch eine große Anzahl von Brückenbauwerken. Neben der Rheinquerung müssen acht weitere Brücken neu errichtet werden. Allein im AK Lev-West sind fünf Bauwerke im Zuge der einzelnen Verbindungsrampen zu ersetzen, da diese spannungsrisskorrosionsgefährdet sind. Natürlich werden alle Bauwerke an die veränderte Trasse der BAB 1 angepasst. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang díe Hochstraße A im Zuge der A 1 im AK Lev-West als Stahlverbundbrücke und die Brücke über die Stadtbahnstrecke der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) im linksrheinischen Köln-Merkenich zu nennen. Zudem muss das Kreuzungsbauwerk in der AS K-Niehl unter Aufrechterhaltung des Verkehrs ersetzt werden. Die Querschnittsgestaltung erfolgt entsprechend den verkehrstechnischen Erfordernissen. Die Linienführung der BAB 1 und die Grundform der Knotenpunkte orientieren sich weitgehend am Bestand. Mit dem Ausbau ist rechtsrheinisch auf dem Gebiet der Stadt Leverkusen ein Eingriff in die gesicherte Altablagerung Dhünnaue verbunden. Hier sind besondere Sicherungsmaßnahmen erforderlich. Wesentliches Ziel der Planung war die Minimierung der Eingriffe in dieses Sicherungssystem.

Bestand und Neubau der Rheinbrücke Leverkusen Die am 5. Juli 1965 für den Verkehr freigegebene Leverkusener Rheinbrücke weist schwerwiegende Bauwerksschäden auf. Mit zwei Fahrstreifen plus Standstreifen pro Fahrtrichtung war sie in den 1960er Jahren ein zukunftsweisendes Stück Infrastruktur. Einst konzipiert für 40.000 Kfz/d, hat die Brücke zuletzt mit über 120.000 Kfz/d, darunter 15.000 Lkws, ihre Belastungsgrenzen erreicht. Aufgrund der steigenden Verkehrsbelastung erfolgte schon 1986 eine Umnutzung der Standstreifen zum jeweils dritten Fahrstreifen pro Fahrtrichtung. Konsequenz war, dass der Schwerverkehr auf der Brücke, statisch ungünstig, nach außen verlagert wurde. Zudem hat sich im Lauf der Jahre das zulässige Gesamtgewicht eines Lkws von 24 t auf derzeit 44 t erhöht. Weiterhin sind bekanntlich auch die Anzahl und das Gewicht der genehmigungspflichtigen Schwertransporte im Laufe der Jahre deutlich gestiegen. Diese Faktoren haben dazu geführt, dass sich die Anforderungen an das vorhandene Bauwerk und die damit einhergehenden dynamischen Belastungen gravierend erhöht haben.


SYMPOSIUM

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Bestandsbauwerk: Leverkusener Rheinbrücke © Landesbetrieb Straßenbau NRW

Schon 2007 wurde der Bauwerkszustand nach DIN 1076 mit Note 3 bewertet. Ende November 2012 musste die Brücke drei Monate lang für Fahrzeuge über 3,50 t gesperrt werden, weil im Rahmen der Hauptprüfung Risse am Haupttragwerk festgestellt wurden. Anders als bei den Rissen, die schon seit 2007 kontinuierlich repariert wurden, war damit eine gravierende Schadensstufe erreicht, die zum sofortigen Handeln zwang. Nach der Entdeckung der Schäden war zunächst unklar, ob sie an dem hochbelasteten Brückenbauwerk überhaupt reparabel sein würden. Es wurden dann rasch die schwerwiegendsten behoben und an fünf ausgewählten Stellen »Monitorsysteme« angebracht, die kleinste Veränderungen des Bauwerkes erfassen können. Darüber hinaus befindet sich das Bauwerk unter permanenter Beobachtung durch Brückenfachleute. Seit Mai 2013 stehen auf der Rheinbrücke Leverkusen wieder sechs Fahrstreifen zur Verfügung. Das Tempo bleibt auf 60 km/h begrenzt, für Fahrzeuge mit mehr als 3,50 t zulässigem Gesamtgewicht gilt ein Fahrverbot. Zur Sicherung des Durchfahrtsverbotes ist seit Februar 2014 auf der Rheinbrücke pro Fahrtrichtung eine stationäre Geschwindigkeitskontrolleinrichtung in Betrieb, und seit September 2016 sind sogar Mess- und Kontrollstellen mit Schrankenanlagen auf den Zufahrtsstrecken installiert.

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Wegen der Gewichtsbeschränkungen ist eine durchgehende Befahrbarkeit der BAB 1 für schwere Fahrzeuge nicht mehr gegeben, Umwege und Verkehrsverlagerungen sind die Folge. Zudem ist die Lebensdauer des vorhandenen Bauwerkes begrenzt. Eine konkrete Vorhersage, wie lange es den schon eingeschränkten Verkehr noch aufnehmen kann, vermag auch das zusätzlich eingesetzte Expertengremium, Vertreter von Stahlbaulehrstühlen, Materialprüfanstalten, schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalten sowie Statiker und Beratende Ingenieure umfassend, nicht zu prognostizieren. Seine Lebensdauer ist absehbar, lediglich über den genauen Zeitpunkt besteht Unklarheit. Die Befahrbarkeit von Schwerverkehr ist somit auf Dauer auszuschließen! 3

Der Zeitplan: Planung des Ersatzneubaus Mit der Erteilung des Planungsauftrages durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Dezember 2012 an den Landesbetrieb Straßenbau NRW wurden viele vorbereitende Maßnahmen gleichzeitig gestartet. Zuständig für das Projekt ist die Regionalniederlassung Rhein-Berg, Außenstelle Köln, Projektgruppe Kölner Autobahnring. Diese Gruppe aus Mitarbeitern, die aus den Fachabteilungen dafür abgeordnet sind, übernahm bereits das Anstoßen jener Maßnahmen und wickelt heute alle das Projekt betreffenden Aufgaben und Verträge ab.

Risswachstum in der Seilkammer des Bestandsüberbaus © Landesbetrieb Straßenbau NRW

Zu den ersten Schritten zählten unter anderem die Ausschreibung der Planungsleistung für das gesamte Projekt durch einen Teilnahmewettbewerb, die Vermessung des Planungsraums, die Kartierung der für den Artenschutz notwendigen Daten, die Erstellung von Verkehrsgutachten, die ersten Baugrunderkundungen, insbesondere in der Altablagerung Dhünnaue, sowie die Ermittlung und Einbeziehung betroffener Dritter. Auf Basis des schlechten Zustandes der Rheinbrücke wurde ein Zeitplan aufgestellt. Das vorrangige Ziel: Bis Ende 2020 soll der erste Überbau der Rheinbrücke Leverkusen unter Verkehr genommen werden – und auch von Lkws genutzt werden können! Dieser sehr ambitionierte Zeitplan wurde bisher in allen Phasen eingehalten. Unter Hochdruck konnten die folgenden Planungsschritte abgearbeitet werden: Auftragserteilung an ein Planungsbüro im Oktober 2013, Beantragung des Baurechtes durch Einreichen des Planfeststellungsentwurfes im Oktober 2015, Beschluss der Planfeststellungsbehörde nur ein Jahr später. Zum Ende der Klagefrist im Januar 2017 waren drei Klagen eingegangen.

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Projektzeitplan ab Beschluss der Planfeststellungsbehörde im Herbst 2016 © Landesbetrieb Straßenbau NRW

Das Projekt war eines der ersten, für welches das im Bundesfernstraßengesetz mit § 17e verankerte, verkürzte Klageverfahren bei besonders dringlichem Bedarf bzw. zur Beseitigung schwerwiegender Verkehrsengpässe angewandt wurde, so dass die Klagen direkt in erster und somit letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig vorgelegt und dort verhandelt wurden. Trotz der anhängigen Klagen genehmigte das BVerwG im Frühjahr 2017 vorbereitende Maßnahmen sowie die parallele Erarbeitung der Ausschreibungen und deren Veröffentlichung unter Vorbehalt. Ende September 2017 fand die mündliche Verhandlung vor dem BVerwG statt, die Urteilsverkündung am 11. Oktober 2017 brachte das erhoffte Ergebnis: Die Klagen wurden abgewiesen, und es besteht Baurecht! Erste Bauverträge wurden daraufhin bereits Ende Oktober 2017 vergeben. 4

Randbedingungen der Planung und Ermittlung der Vorzugsvariante Viele Randbedingungen unterscheiden sich wohl kaum von denen anderer Projekte: Der Ausbau erfolgt zukunftsweisend entsprechend der Bundesverkehrswegeplan-Prognose 2030. Auch dass ein neues Teilbauwerk neben der vorhandenen Brücke errichtet wird, damit das bestehende Bauwerk bis zur Inbetriebnahme der neuen Rheinquerung den Verkehr aufnehmen kann, ist heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Andere Randbedingungen aber machen dieses Projekt zu einem besonderen. So führt der kurze Abstand zwischen dem AK Lev-West und der AS K-Niehl (ca. 1,50 km), zwischen denen sich die Rheinquerung befindet, zu vermehrten Fahr-

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streifenwechseln, Beschleunigungs- und Verzögerungsvorgängen, welche sich nachteilig auf den Verkehrsablauf auswirken. Die Ein- und Ausfahrsituation zu den Anschlussstellen AK Lev-West und AS K-Niehl wurden verkehrssicher gemäß den Regeln der Technik gestaltet. Daraus ergeben sich auf der Strombrücke je Fahrtrichtung sechs Spuren nebst Standstreifen und zusätzlichem Rad- und Gehweg. Die Gesamtbreite eines Teilbauwerks im Bereich der Strombrücke misst somit 34,15 m zwischen den Geländern. Der Vorteil: Sowohl während des Rückbaus der Bestandsbrücke und der Bauzeit des zweiten Teilbauwerkes als auch für spätere Instandsetzungsmaßnahmen, zum Beispiel an den Seilen der Brücke, steht genügend Platz zur Verfügung, um eine 6+0-Verkehrsführung auf einer der Brücken einzurichten. Die Auswirkungen auf die Umwelt wurden durch begleitende Fachgutachten geprüft. So ist hinsichtlich der Verletzung der Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG ein artenschutzrechtlicher Fachbeitrag erarbeitet worden, der zu dem Ergebnis gekommen ist, dass bei einer größeren Anzahl von Vogelarten der Verbotstatbestand erfüllt sein kann: gegebenenfalls signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko für 77 Zugvogelarten. Dies wurde in der Variantenauswahl der gewählten Brückenform berücksichtigt. Auch der Eingriff in und die Auswirkungen auf die Überschwemmungs- und Wasserschutzgebiete sowie den Landschaftsschutz wurden bewertet. Hier ist neben den Flächen am Rhein insbesondere der Flusslauf der Dhünn als Schutzgebiet zu nennen. Selbstverständlich spielt der Rhein selbst ebenfalls eine Rolle, beeinflussen seine Pegelstände doch den späteren Bauablauf. Für die wichtige

Wasserstraße dürfen keine Beeinträchtigungen entstehen, worauf im Weiteren noch eingegangen wird. Und nicht zuletzt sollte der Eingriff in das gesicherte System der Altablagerung Dhünnaue minimiert werden. Sowohl die bestehende BAB 1 als auch der zukünftige Ausbaubereich liegen innerhalb jener Altablagerung. Dabei handelt es sich um eine ehemalige Deponie, die bereits Anfang des letzten Jahrhunderts Abfälle der chemischen Industrie aufgenommen hat und bis in die 1960er Jahre vor allem von den Bayer-Werken genutzt wurde. In ihr lagern unterschiedlichste Abfälle – von völlig unbelastetem Bodenaushub und einfachem Bauschutt über Klärschlamm bis hin zu Produktionsabfällen aus der chemischen Industrie. Durch die dringend notwendige Erweiterung der Rheinbrücke muss in die Abdichtung der Altablagerung an verschiedenen Stellen flächig oder punktuell eingegriffen werden, denn nur so können die Fahrbahnen ausgebaut und die zukünftigen Brückenpfeiler sicher im Boden verankert werden. Es müssen ca. 88.000 m³ belastetes Deponat ausgehoben und anschließend sicher entsorgt werden. Im Vergleich zur Gesamtaushubmenge entspricht dies etwa einem Drittel. Ein Großteil der aufzunehmenden Abfälle ist ungefährlich. Es sind aber ebenso Materialien zu entsorgen, die Lösemittel, chlororganische Verbindungen oder teerige Bestandteilen enthalten. Deshalb sind für die Arbeiten umfassende Sicherheitsmaßnahmen geplant, damit keine Schadstoffe von der Baustelle nach außen dringen.


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Visualisierung der gewählten Brückenform © V-Kon.media GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

Der Anteil des organischen Abfalls ist in der Altablagerung vergleichsweise gering. Da die ehemalige Deponie jedoch sehr inhomogen ist, wurde für die Gründung der Brückenpfeiler der Rampenbauwerke und der rechtsrheinischen Widerlager der Strombrücken eine Tiefgründung unterhalb der Altablagerung auf der tragfähigen Rheinterrasse gewählt. Für jene Tiefgründung muss wiederum in die Altablagerung eingegriffen und Deponat entsorgt werden. Dieses Vorgehen war einer der zentralen Bestandteile der Einwendungen und der Klagen gegen den Bau der Maßnahme. Sämtliche Kritikpunkte und Bedenken ließen sich aber in der Gerichtsverhandlung durch das planfestgestellte Sicherungskonzept mit den umfangreichen Emissionsschutzmaßnahmen ausräumen. Die aus allen Randbedingungen ermittelte Vorzugsvariante der Linienführung erfüllt die genannten Aspekte am besten, und zwar insbesondere hinsichtlich des zu minimierenden Eingriffs in die Altablagerung Dhünnaue und der Vorgabe, den Verkehr während aller Bauphasen aufrechtzuerhalten. Zur Ermittlung der geeignetsten Brückenform wurden im Zuge der Planung vier Varianten erarbeitet. Auf Basis der oben genannten Randbedingungen wurde eine Bewertungsmatrix erstellt und auf deren Grundlage die Brückenform ausgewählt. Es kommt die Variante 1a »Schrägseilbrücke mit A-Pylonen« zur Ausführung. Die Ingenieurbauwerke im Planungsabschnitt Im Planungsabschnitt befinden sich neben der Rheinquerung acht weitere Brückenbauwerke, die wegen des Ausbaus der Bundesautobahn bzw. aus Gründen ihrer Schadhaftigkeit ersetzt werden müssen.

Im linksrheinischen Abschnitt wird die BAB 1 in Richtung Norden verbreitert. Hier wurde ein Baumischlos vergeben, zu dem neben dem Straßenbau das Überführungsbauwerk in der AS K-Niehl als zweifeldrige Stahlverbundstruktur mit zwei Teilbauwerken und auch eine dreifeldrige Unterführung einer Straßenbahnlinie gehören, die ebenfalls in zwei Teilbauwerken als Walzträger-in-Beton(WIB-)Konstruktion auszuführen ist. Dieser Abschnitt befindet sich bereits in der Umsetzung. Im rechtsrheinischen Bereich verschwenkt die Verbreiterung der BAB 1 nach Süden. Hier gibt es zwei Bauabschnitte: Der erste Abschnitt umfasst parallel zur Errichtung des ersten Überbaus der Rheinquerung den Abbruch und Neubau eines Rampenbauwerks (K 33/34) im AK Lev-West sowie den Straßenbau.

Das neue Rampenbauwerk ist eine Stahlverbundkonstruktion mit einer Länge von ca. 445 m. In puncto Straßenbau erfolgt zudem der größte Eingriff in die Altablagerung Dhünnaue mit allen dafür vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen. Auch dieser Abschnitt befindet sich derzeit in der Umsetzung. Der verbleibende rechtsrheinische Ausbauabschnitt beinhaltet die Rampenbauwerke K 31 (Länge: 445 m) und K 32 (Länge: 742 m) sowie die Hochstraße A. Alle Brücken werden ebenfalls in Stahlverbundbauweise realisiert. Die Hochstraße A wird, ähnlich wie die Rheinquerung selbst, mit zwei getrennten Überbauten errichtet. Der erste Überbau mit 432 m Länge wird neben dem Bestand hergestellt, danach erfolgen dessen Rückbau und die Errichtung des zweiten Überbaus mit einer Länge von 377 m an der Stelle des bisherigen Bestandsbauwerkes. Im Nachgang zum Ausbau der BAB 1 wird dann das Bauwerk K 36 durch eine Stahlverbundbrücke mit drei Feldern und einer Länge von 146 m ersetzt. Alle Lärmschutzwände sowie die Fahrzeugrückhaltesysteme wurden bzw. werden in gesonderten Fachlosen ausgeschrieben. Gleichfalls werden insgesamt fünf Beckenanlagen, die das Oberflächenwasser der Fahrbahnen aufnehmen sollen, jeweils gesondert ausgeschrieben und gebaut. Zwei der fünf Beckenanlagen sind bereits fertiggestellt, zwei befinden sich im Bau, die fünfte wird noch veröffentlicht.

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Lage der rechtsrheinischen Bauwerke © Ingenieurbüro Grassl GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

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Übersicht: Rheinbrücke im Bauwerksentwurf © Ingenieurbüro Grassl GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

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Entwurf und Ausschreibung der Rheinquerung Die zukünftige Rheinquerung besteht aus jeweils einem Brückenzug je Fahrtrichtung, wobei sich jeder von ihnen in eine Vorlandbrücke als Spannbetonbauwerk im linksrheinischen Rheinvorland und eine Strombrücke als seilverspanntes Bauwerk in Stahlverbund- bzw. Stahlbauweise aufgliedert. Die zwei parallelen Schrägseilbrücken erfüllen in optimaler Weise die wirtschaftlichen, bauzeitlichen und bautechnischen Anforderungen. Die Vorlandbrücken haben jeweils sechs Felder und eine Gesamtlänge von 377 m. Die Überbauten sind in Spannbetonbauweise mit je zwei Hohlkästen konstruiert. Beide Vorlandbrücken stehen bis auf das westliche Widerlager komplett im Überschwemmungsgebiet des Rheins. Die ca. 689 m lange Strombrücke weist außenliegende Stahlhohlkästen mit den außen angeordneten Seilkonsolen zur Aufnahme der jeweils acht vollverschlossenen Seile (vier à 164 mm Durchmesser und vier à 120 mm Durchmesser) auf.

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Im Bereich der drei Felder des Rheinvorlandes wird die Brücke in Stahlverbundbauweise, im Stromabschnitt mit einer Spannweite von 280 m in Stahl mit orthotroper Fahrbahnplatte ausgeführt. Die Fuge zwischen Strom- und Vorlandbrücke liegt am Trennpfeiler in Achse 80. Die Rheinbrücken verfügen über jeweils 13 Felder, ihre Gesamtlänge beträgt 1.068,50 m. Im Zuge der Entwurfserarbeitung ergaben sich Randbedingungen, die hier nur stichpunktartig angesprochen werden, da sie einen eigenen Beitrag darstellen würden. Die radargerechte Konstruktion für die Schifffahrt sei in dem Zusammenhang genauso erwähnt wie die Verankerung von Fahrzeugrückhaltesystemen auf der Stahlbrücke. Gleiches gilt für die zu erwartenden Mitnahmesetzungen aus dem Herstellen der Gründungskörper eines Brückenbauwerkes neben einer vorhandenen Brücke. Zum Schutz vor aggressiven Stoffen oder Wässern aus der Altablagerung wurden verschiedene Untersuchungen für die Gründung durchgeführt. Die Pfähle werden entsprechend den Ergebnissen innerhalb des Deponats mit PEHD-Rohren ummantelt, wie es im Deponiebau üblich ist. Kampfmitteluntersuchungen sind in jedem Bauvorhaben ein Thema. Alleine dafür wurden im Vorfeld sämtliche Details betrachtet, wodurch sich viele hilfreiche Erkenntnisse in der Planungsphase gewinnen ließen. Hoch- und Niedrigwasserrisiken sind bei Brücken über den Rhein wichtige zu beachtende Rahmenbedingungen der

Prinzip der Bohrpfahlummantelung © Ingenieurbüro Grassl GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

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Planung. Die Minimierung des Risikos gegen Hochwasser durch ständig vorzuhaltende Zuwegungen im Rheinvorland auf Höhe der Hochwassermarke I (Einschränkung der Schifffahrt auf dem Rhein) ist nur auf Basis genauer hydraulischer Untersuchungen, insbesondere die Auswirkungen auf die Rheinsohle umfassend, zu gewährleisten. Darüber hinaus war eine Randbedingung, dass die Schifffahrt auf Deutschlands meistbefahrener Schifffahrtsstraße immer aufrechterhalten bleiben muss. Ihre Vollsperrung wurde von Beginn der Planung an durch die Wasserschifffahrtsverwaltung abgelehnt. Alle Montage- und Demontageplanungen dürfen eine maximale Einschränkung der Wasserstraße von 50 m (dortige Gesamtbreite: 150 m) ausweisen. Um im rechtsrheinischen Bereich den die Rheinbrücke unterquerenden Abschnitt der BAB 59 ebenfalls so wenig wie möglich einzuschränken, wird dieses Feld des Stahlverbundüberbaus längs verschoben. Sehr wichtig war auch die Aufrechterhaltung der Radverkehrsverbindung über den Rhein, die, parallel zum Straßenverkehr, jeweils über die Bestandsbrücke sichergestellt ist. Nicht uninteressant bei der Größenordnung der Brücke ist zudem der Rückbau des maroden Bestandsbauwerks. Das Demontagekonzept sieht vor, dass in etwa so demontiert wird, wie damals ihre Herstellung erfolgte. Aufgrund ihres bautechnischen Zustands wurde dafür eine geprüfte Statik erarbeitet. Das Ergebnis zeigt, dass Verstärkungen gegen Beulstabilität vor dem Rückbau eingebracht werden müssen. Das Interesse an der Bestandskonstruktion ist groß: Immer mehr Stahlbrücken aus der Bauzeit weisen heute ähnliche Probleme wie die Rheinbrücke Leverkusen auf. An den demontierten Stahlteilen sollen daher Untersuchungen zur Schweißbarkeit von Altstahl und zu anderen Möglichkeiten der Verstärkung unter der Federführung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) erfolgen.


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Besonderheiten aus Sicht des Bauherrn Dieses Großprojekt mit seinem besonderen Status und seinen außergewöhnlichen Randbedingungen ist kein alltägliches Geschäft. Es lassen sich einige Highlights nennen, die man nicht so oft in seiner beruflichen Laufbahn erleben darf: Zum einen der Erörterungstermin im Juli 2016, der durch die Bezirksregierung Köln als Anhörungsbehörde in der Stadthalle Köln-Mülheim durchgeführt wurde. Die Erörterung fand, unterteilt in Einzelthemen der Einwendungen der Bürger und der Träger öffentlicher Belange, an insgesamt fünf Tagen täglich von 8 bis 20 Uhr statt. Dann die mündliche Verhandlung beim 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig am 26. und 27. September 2017. Im Vorfeld dazu fanden eine umfangreiche Vorbereitung sowie im Anschluss daran die Verhandlung selbst mit einer Vielzahl an Fachberatern und Planern statt. Die Urteilsverkündung erfolgte am 11. Oktober 2017. Die Klagen wurden abgewiesen (BVerwG 9 A 14.16 und BVerwG 9 A 17.16), so dass gebaut werden durfte.

Weitere Besonderheiten sind folgende Randbedingungen: Das Planungsgebiet ist geprägt durch große Industrieanlagen beiderseits des Rheins, wodurch sich eine Vielzahl an Versorgungsleitungen dort befindet. Die Leitungsverlegung, im Kleinen wie im Großen, sowie der Schutz der Leitungen kosten nicht nur viel Zeit und Geld, sondern erschweren auch die baulogistische Abwicklung. Schützenswerte Tiere und Pflanzen befinden sich ebenfalls in diesem Planungsraum und wurden sowohl bei der Planung als auch bei der Ausschreibung und der jetzt stattfindenden Baudurchführung berücksichtigt. Zahlreiche Einwände der Bürger und Initiativen mussten beantwortet werden, Akteneinsichten gewährt, Bürgerinformationsveranstaltungen durchgeführt und Vereinbarungen mit Dritten, wie zum Beispiel Versorgungsunternehmen, getroffen werden. Die Grunderwerbsthemen nehmen gleichfalls viel Raum ein. Außerdem gilt es Lärm- und Erschütterungsmessungen, begleitend zum Bau, durchzuführen und vielfältige Anfragen aus der Bürgerschaft und der Politik zu beantworten.

Es mussten etliche Fachthemen durch externe Dienstleister und Ingenieurbüros bearbeitet werden. So sind im Zuge des Projektes zahlreiche Verfahren gemäß der Vergabeverordnung für öffentliche Aufträge (VgV) nach EU-Richtlinie durchgeführt worden. Abschließend ist zu sagen, dass alle am Projekt Beteiligten in einer kurzen Zeit sehr viel geleistet haben. Nur mit außerordentlichem und persönlichem Engagement konnte der bisherige Terminplan eingehalten und nur so kann das Ziel erreicht werden, die Verkehrsfreigabe des ersten Teilbauwerks der Rheinquerung bis Ende 2020 zu schaffen! Autorin: Dipl.-Ing. Nicole Ritterbusch Landesbetrieb Straßenbau NRW, Köln Bauherr Bundesrepublik Deutschland Auftragsverwaltung Landesbetrieb Straßenbau NRW, Regionalniederlassung Rhein-Berg, Außenstelle Köln, Projektgruppe Kölner Autobahnring Bauwerksentwurf Ingenieurbüro Grassl GmbH

Bundesautobahn A1 | AS Köln-Niehl - AK Leverkusen-West 8-streifiger Ausbau inkl. Ersatzneubau der Rheinbrücke Leverkusen

Gesamtplanung Verkehrsanlagen, Ingenieurbauwerke, Baugestalterische Beratung, Geotechnik, Deponie, Emissionsschutz, Kampfmittelfreiheit, Lärmschutz, Luftschadstoffe, Aerodynamik, Hydraulik, Baulogistik und SiGeKo

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SYMPOSIUM Eine seilverspannte Brücke im Seeton

Mangfallbrücke Rosenheim von Hans Grassl, Jacqueline Donner

Die Westtangente Rosenheim schließt die Lücke zwischen der bestehenden B 15 nördlich von Rosenheim und der A 8. Dieser Lückenschluss erfordert unter anderem die Querung des dichtbebauten Gewerbegebiets Aicherpark, der Mangfall und des Mangfallkanals. Der durch sehr mächtige Beckenablagerungen, sogenannte Seetone, Tone, Schluffe und Seesande umfassend, gekennzeichnete Rosenheimer Baugrund stellt aufgrund seiner Setzungsanfälligkeit eine wesentliche Randbedingung für die Neubaumaßnahme dar. Die neue Mangfallbrücke erfüllt mit ihrem weichen seilverspannten System die durch den setzungsempfindlichen Baugrund gestellten Anforderungen bestmöglich und fügt sich als schlankes und transparentes Bauwerk mit Zurückhaltung in das landschaftliche und städtebauliche Umfeld ein.

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1 Hintergrund der Maßnahme Die Bundesstraße B 15, Westtangente Rosenheim, stellt eine tangentiale Verbindung zwischen der Bundesautobahn A 8 und der bestehenden B 15 nördlich von Rosenheim dar. Sie beginnt ca. 2 km westlich des Inntaldreiecks an der BAB A 8 und schließt mit einer neuen Anschlussstelle an die Autobahn an. Sie verläuft in Richtung Norden zwischen den Orten Schlipfham und Westerndorf und überquert die St 2078 westlich des Rosenheimer Ortsteiles Schwaig. Anschließend überquert die Westtangente Rosenheim die Mangfall, den Mangfallkanal, das Gewerbegebiet Aicherpark an der Stadtgrenze zwischen Rosenheim und Kolbermoor, die Bahnlinie Holzkirchen–Rosenheim und den Stillerbach mit einer ca. 650 m langen Brücke, »Hochstraße über den Aicherpark« genannt, und durchfährt nördlich davon Waldgebiete, Felder, das Inntal, kreuzt zwei Bahnlinien und schließt nördlich von Pfaffenhofen wieder an die bestehende, bereits ausgebaute B 15 an. Die Verkehrsbelastung auf der B 15 wird im Prognosehorizont 2030 bei voller Verkehrswirksamkeit der Westtangente Rosenheim im Bauwerksbereich südlich der Anschlussstelle Aicherpark mit 19.600 Kfz/d und nördlich der Anschlussstelle mit 20.200 Kfz/d veranschlagt.

Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ergibt sich unabhängig von der letztlich gewählten Entwurfsvariante für das Gesamtbauwerk (Bau-km 3+807.50– 4+476.00) eine »Trennung« in zwei Teilbauwerke. In der Abwägung stellte sich für Teilbauwerk 1 (Bau-km 3+807.50– 4+000.00) ein schlanker Stahlverbundüberbau als Durchlaufträger in Kombination mit einer relativ flach geneigten Überspannung und niedrigen Pylonen als bevorzugte Variante heraus. Für Teilbauwerk 2 (Bau-km 4+000.00–4+476.00) mündete der Abwägungsprozess ebenfalls in einen Stahlverbundüberbau, hier als mehrfeldrige, durchlaufende Deckbrücke ausgebildet. Der Übergang zwischen den beiden Teilbauwerken erfolgt bei Bau-km 4+000 mittels eines Trennpfeilers. Gegenstand des vorliegenden Tagungsbeitrags ist das seilverspannte Teilbauwerk 1 zur Querung der Mangfall und des Mangfallkanals und damit die Mangfallbrücke südlich des Gewerbegebietes Aicherpark westlich von Rosenheim mit einer Gesamtspannweite von 192,50 m. Die beengten Verhältnisse im Gewerbegebiet des Aicherparkes und die Flussläufe bilden die Hauptzwangspunkte der Bauwerksplanung. Insgesamt ist hier auf die besonderen örtlichen Verhältnisse

Visualisierung der Gesamtmaßnahme mit beiden Teilbauwerken: Brücke über Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal sowie Brücke über Aicherpark und Deutsche Bahn © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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hinzuweisen: Die Mangfallbrücke quert ein Gewässer erster Ordnung, einen parallel dazu verlaufenden Kanal und Teile des Gewerbegebiets. Eine große Herausforderung stellt dabei unter anderem die Errichtung des nördlichen Brückenteils im Gewerbegebiet dar, da hier das Bauwerk unter beengten Verhältnissen auf Betriebsgrundstücken unter Aufrechterhaltung der Produktion und Logistik realisiert werden muss. Die Gradiente im Brückenbereich ist einer möglichen Trassierung der B 15 Westtangente in diesem Bereich geschuldet. Die Zwänge aus den örtlichen Gegebenheiten und Auflagen aus dem Planfeststellungsverfahren bedingen die gewählte Trassierung. Eine Optimierung der Trassierungselemente bezüglich des Brückenbaus wurde angestrebt, soweit dies aufgrund der Rahmenbedingungen machbar war. Die Längsneigung der Mangfallbrücke zwischen den Widerlagern beträgt 0,80 %, die Querneigung variiert mit einem Querneigungswechsel auf der Brücke zwischen -3,15 % und 4 %. Von Süden kommend, nähert sich die Gradiente der Mangfallbrücke mit einem Radius R = 800 m und geht mit einer Klothoide A = 275 auf einen Radius R = 600 m über. Auf Basis der Vorgaben aus der Planfeststellung und der örtlichen Situation waren vor allem nachfolgende Randbedingungen zu berücksichtigen: – Das Lichtraumprofil für Fußgänger und Radfahrer auf der mittleren Dammkrone zwischen Mangfall und Mangfallkanal liegt mit einer minimalen lichten Höhe im Bauwerksbereich bei 2,25 m über Dammoberkante. – Das Lichtraumprofil für Fahrzeuge liegt beim Renkenweg am südlichen Widerlager mit einer minimalen lichten Höhe im Bauwerksbereich bei 4,00 m über Belagsoberkante. – Der Kreuzungswinkel zwischen der B 15 und der Mangfall beträgt ca. 124 gon. – Die Trasse der B 15 liegt im Brückenbereich in einer Wendeklothoide, A = 275, die Gradiente wird mit einer konstanten Längsneigung von 0,80 % über die Mangfall und den Mangfallkanal geführt.

– Der Fahrbahnquerschnitt besitzt ein Pultprofil mit Querneigungswechsel auf dem Bauwerk (-3,15 bis +4,00 %). – Die erdverlegten Wasser- und Hochdruckgasleitungen der Stadtwerke Rosenheim laufen mit variablem Abstand relativ parallel zur Bauwerkstrasse. – Das Querprofil (Regelquerschnitt in Anlehnung an RQ 10,5) ist wie folgt aufgeteilt: Notgehweg und Schutzeinrichtung 1,80 m, Fahrbahn 8,00 m, Notgehweg und Schutzeinrichtung 1,80 m. – Für die Gründung steht setzungsempfindlicher Baugrund durch mächtige Beckenablagerungen in Form von Seetonen an. – Im nördlichen Teil des Brückenbauwerks tangiert die Trasse unmittelbar die vorhandenen Gewerbebauten des Aicherparks. 2 Baugrund Das Bauvorhaben liegt im Bereich von sehr mächtigen Beckenablagerungen. Bei diesen Beckenablagerungen handelt es sich um sogenannte Seetone, Tone, Schluffe und Seesande: Während die Seetone bei überwiegend weicher Konsistenz stark zusammendrückbar sind, konnten bei den Seesanden eine mitteldichte bis dichte Lagerung und entsprechende Tragfähigkeit nachgewiesen werden. Es galt zu berücksichtigen, dass die vorhandenen Seetone äußerst sensitiv sind und sich bei Erschütterungen verflüssigen. Das Bauwerk befindet sich im Mangfalltal, in dem die Beckenablagerungen von Auelehmen und Kiesschichten mit einer Mächtigkeit zwischen 4 m und 7 m überdeckt sind. Das Grundwasser fließt in den wasserleitenden Kiesschichten. 3 Entwurfsplanung Ziel des Entwurfs war ein Brückenbauwerk mit ausgewogenen Proportionen, das sich gut in die landschaftliche Situation und das Gewerbegebiet einpasst. Aufgrund der beschriebenen besonderen örtlichen Randbedingungen, der Vorgaben aus der Planfeststellung und der schwierigen Baugrundverhältnissen waren die »grundsätzlichen« Variationsmöglichkeiten im Zuge der Entwurfserarbeitung sehr eingeschränkt.

Im Bereich der Mangfallbrücke ist auch der Naherholung als wichtiger Nutzung in verstärktem Maß Rechnung zu tragen, da hier entlang den Gewässern mit entsprechendem Wegenetz eine starke Frequentierung von Fuß- und Radverkehr stattfindet. Resultierend aus der Gradientenlage, den notwendigen Stützweiten, der Aufrechterhaltung der bestehenden Wege und der Einhaltung des Hochwasserabflusses lässt sich hier nur ein obenliegendes Tragwerk errichten. Die mangels technischer Realisierbarkeit ausgeschlossenen Bauweisen würden darüber hinaus auch aus optischen und gestalterischen Gründen nicht in Frage kommen, da sie infolge ihrer großen Überbauhöhen den Flussraum regelrecht »abriegeln« würden. Abweichend vom Vorentwurf einer Stabbogenbrücke über die Mangfall mit Durchlaufwirkung zum Nachbarfeld als Deckbrücke über den Mangfallkanal muss, gemäß der zweiten Tektur der Planfeststellung, der Abschnitt Bau-km 3+810–3+842 südlich der Mangfall im Bereich des Renkenwegs freigehalten und das Widerlager in Richtung Süden verschoben werden. Weiterhin sind bezüglich des querenden Dükers für die Hauptwasser- und Gashochdruckleitung der Stadtwerke Rosenheim beim Mitteldamm sowie für eine im Rahmen der Vorplanung vorgesehene Gründung des Bauwerkes in diesem Bereich Kosten für eine etwaige Spartenverlegung (vorhandene Kollision mit Gründungsbauteilen im Mitteldamm) ermittelt worden, welche sich auf über 3 Mio. € belaufen. Die Verlegung der Leitungen wurde in der Abwägung wegen der örtlichen Randbedingungen als großes Risiko betrachtet, das es möglichst zu vermeiden gilt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Mangfall und den Mangfallkanal mit einem großen Feld ohne Pfeiler im Mitteldamm zwischen den beiden Gewässern zu überbrücken. Dabei scheiden aufgrund des setzungsempfindlichen Baugrunds steife Durchlaufträgertrogbrücken aus. Übrig bleiben obenliegende Stabbögen in Form von Langer‘schen Balken als Einfeldträgerketten oder mit Durchlaufwirkung, Trogbrücken als Einfeldträgerketten sowie seilverspannte Brücken als Durchlaufsysteme.

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Künftige Autofahrerperspektive: Brücke über Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Maßgebend für die Wahl der Vorzugsvariante einer seilverspannten Stahlverbundbrücke mit niedrigen Pylonen waren die gute Einpassung in das landschaftliche und städtebauliche Umfeld, die hohe Dauerhaftigkeit durch den Verzicht auf Bauwerksfugen und die durch den weichen Überbau vorhandene gute Verträglichkeit hinsichtlich der zu erwartenden Differenzsetzungen. Durch die Einspannung der Pylone in den Überbau und die Anordnung von Lagern in den Pylonachsen werden die Gründungslasten reduziert und Ausgleichsmöglichkeiten zur Kompensation der Differenzsetzungen geschaffen. Eine weitere Minimierung der Gründungslasten resultiert aus den Haupt- und Querträgern sowie Pylonen in Stahlbauweise. Lediglich die Fahrbahnplatte wird im Hinblick auf die Verkehrssicherheit und die Betriebskosten im Winter in Stahlbeton ausgeführt. Darüber hinaus bietet das seilverspannte System durch die Möglichkeit der Nutzung des endgültigen Tragwerks für den Freivorbau bei der Montage große Vorteile gegenüber einer Stabbogenreihe. Der dreifeldrige Überbau der Vorzugsvariante besteht aus einem Stahlträgerrost mit außenliegenden, torsions- und biegesteifen Längsträgern aus luftdicht verschweißten Stahlhohlkästen. Zur Steigerung der wahrgenommenen Schlankheit in der Brückenansicht weisen die Außenstege im Querschnitt einen Knick auf. Durch die neigungsbedingte unterschiedliche Reflexion des Lichts wird eine Gliederung der Ansichtsfläche erzeugt – oberhalb des Knicks in ein durchlaufend helles und unterhalb in ein dunkles Band.

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In Querrichtung werden im Abstand von 3,45 m Stahlquerträger als offene Profile angeordnet, die an die Längsträger biegesteif angeschlossen sind. Die über den Querträgern liegende Stahlbetonfahrbahnplatte wirkt in statischem Verbund. An den Innenstützen wird je Längsträger ein Pylon situiert, in der Fachliteratur für das System der extern überspannten Brückenbauwerke auch als »Deviator« bezeichnet, der jeweils mit 8° zur Lotrechten nach außen geneigt ist. Die Überspannungen aus Stahlzuggliedern liegen in der Ebene zwischen Pylon- und Längsträgerachse. Die Zugglieder werden durch Litzenbündelseile gebildet, die am Deviator fest und an den Längsträgern nachspannbar verankert sind. Die Litzenbündelseile werden aufgrund der beengten Platzverhältnisse für die Bauzustände – es sind nur aufgerollte Litzenbündel verwendbar, und ihr Einbau muss mit leichtem Gerät erfolgen –, der guten Prüfbarkeit des Litzenzustandes (magnetinduktive Prüfung) und des mittlerweile erfolgreich erprobten Einsatzes (ohne Zustimmung im Einzelfall) den vollverschlossenen Seilen vorgezogen. Ein ausführlicher Vergleich der beiden möglichen Spannsysteme ist in aktueller Fachliteratur (BASt-Heft B 98 und Stahlbau-Kalender 2012) zu finden. Die Litzen sind an- und nachspannbar sowie austauschbar. Die Seilverankerung schließt statisch vorteilhaft in den Systemachsen der Längsträger an. Eine Konsolkonstruktion an den Längsträgeraußenseiten, welche neben dem exzentrischen Anschluss in Querrichtung auch geometrisch bedingte Zusatzmomente abtragen müsste, wäre

ebenso aufwendig und passt nicht zum gestalterischen Konzept des Bauwerkes mit seinem durchgängigen Überbauband und geneigten Außenseiten. Die Problematik der Seilschwingung wurde im Zuge der Ausführungsplanung überprüft. Dennoch ist es möglich, Schwingungsdämpfer nachträglich vorzusehen, sollte sich in der Realität ein anderes Ergebnis zeigen. Für die gesamte Stahlkonstruktion wird Stahl der Gütegruppen S 355 und S 460 nach DIN EN 10025 für Zugbleche bis t = 80 mm und -30 °C Nutzungs- bzw. Verarbeitungstemperatur gewählt. Die Errichtung der Fahrbahnplatte aus Stahlbeton erfolgt in C 35/45, sie ist schlaff bewehrt. Die Dicke der Stahlbetonverbundplatte beträgt im Regelquerschnitt 35 cm. Sie ist in den Randfeldern auf jeweils ca. 31,00 m Länge auf ca. 1,20 m vergrößert, um den erforderlichen Ballast für die Lagerstabilität zu gewinnen. Der Ballast wird als voll mittragender Konstruktionsbeton ausgeführt und die in Längsrichtung wirkenden Zwangskräfte über seitlich angeordnete Kopfbolzen in die Hauptträger eingeleitet. Eine Zugverankerung der Lager ist aufgrund der zu gewährleistenden Ausgleichbarkeit von Auflagersetzungen (Ausgleichsplatten) nicht möglich. Die Lagerung des Überbaues erfolgt auf jeweils zwei Kalottenlagern an allen Pfeilerachsen und an der Widerlagerachse. Zur Querfesthaltung des Überbaues ist an den Achsen 20 und 30 jeweils ein Lager quer fest vorgesehen. Der Festpunkt in Längsrichtung wird durch eine Festhaltung an dem westlichen Pfeilerlager der Achse 30 erzielt.


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Komplette Querung von Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Aufgrund der Setzungsproblematik und der hohen, für den Überbau nicht verträglichen möglichen Differenzsetzungen ≤ 6 cm werden nach Feststellung von Differenzsetzungen ≥ 2–3 cm Ausgleichsplatten eingefügt. Bei der statischen Berechnung wurden Differenzsetzungen von 3 cm berücksichtigt. Für spätere Lagerwechsel wurden Pressenplätze zum Anheben des Überbaues angeordnet, die an den Pfeilern und am Widerlager unter den Längsträgerinnenstegen bzw. Querträgern und Endquerträgern seitlich der Lagersockel platziert sind. Je Übergang wird eine geräuscharme, wasserdichte Lamellenfahrbahnübergangskonstruktion mit auskragenden rautenförmigen Stahlplatten im Fahrbahnbereich eingebaut. Im Gehwegbereich sind die Lamellen mittels Tränenblechen abgedeckt. Am Widerlager Süd, Achse 10, und am Trennpfeiler ist die Fahrbahnübergangskonstruktion an den Anschlüssen zum Längsträger jeweils um 90° abgewinkelt. Die Pylonhöhe beträgt ca. 10,70 m, so dass sich ein Verhältnis von 1/10 zur maximalen Spannweite ergibt. Die Pylone mit reduzierter Bauhöhe fügen sich gut in die Umgebung ein. Die Pylonpfeiler, als Stützenscheiben mit abgesetzten Auflagerbereichen vorgesehen, weisen an den Stirnseiten analog zur Neigung der Pylone einen um 8° nach außen geneigten Verlauf mit einem abgekanteten Rechteckquerschnitt aus Stahlbeton auf. Sie sind jeweils rechtwinklig zur Bauwerksachse unterhalb der Pylone angeordnet, die variablen Grundrissabmessungen betragen maximal 15,10 m × 1,90 m.

Der Trennpfeiler weist analog den Pylonpfeilern einen zur Außenseite abgekanteten Rechteckquerschnitt aus Stahlbeton, auch mit geneigten Stirnseiten und variablen Querschnittsbreiten, mit den Außenabmessungen von maximal 14,10 m ×

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2,45 m auf. Angeordnet ist er unterhalb der Lagerachsen der hier zusammen aufliegenden Mangfall- und Aicherparkbrücke. Für das Widerlager ist ein Kastenwiderlager aus Stahlbeton geplant.

Querschnitt in Pfeilerachse 30 © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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Berechnungsmodell der Ausführungsplanung © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Die vorgesehene Mischgründung besteht aus Pfahlkopfplatten, Ortbetonbohrpfählen, Vertikaldrains und Verdrängungssäulen. Ihre konstruktive Durchbildung und sämtliche baubegleitende Maßnahmen zu ihrer Herstellung und Qualitätssicherung beruhen auf der Gründungsempfehlung des Zentrums für Geotechnik der Technischen Universität München (TUM), die auf Basis umfangreicher Pfahlprobebelastungen entwickelt wurde. Im Ergebnis stellt die Mischgründung in ihrer Gesamtheit ein robustes Gründungsbauteil dar, welches nicht nur auf das Tragverhalten einzelner Bohrpfähle angewiesen ist. Die Verdrängungssäulen bewirken eine Verdichtung und eine Verspannung des Bodens, die eine Erhöhung der Scherfestigkeit und der Steifigkeit des Seetons sowie des aktivierbaren Mantelreibungswiderstandes der Bohrpfähle hervorrufen. Zudem erzeugen die Verdrängungssäulen eine Homogenisierung des Baugrundes hinsichtlich seines Tragverhaltens und wirken herstellungsbedingten Störungen entgegen. Die Verdrängungssäulen werden nicht an die Pfahlkopfplatten angeschlossen. Es ist ein Polster aus gebrochenem, gut verdichtbarem Material als Drainageschicht unter den Pfahlkopfplatten vorgesehen, die ebenfalls einen direkten Kraftschluss mit den Verdrängungspfählen verhindert. Die Vertikaldrains ermöglichen einen raschen Abbau der durch die Bodenverdrängung infolge der Herstellung der Verdrängungspfähle induzierten Porenwasserüberdrücke und somit eine schnelle

Konsolidierung des Seetons. Sie führen das Wasser in die Kiesschicht unterhalb der Pfahlkopfplatte, die mit einer Drainage zu entspannen ist. Durch die für die Errichtung der Pfahlkopfplatten vorgesehenen Spundwände, die ausreichend in den Seeton einbinden und auch nach Fertigstellung der Pfahlkopfplatten verbleiben sollen, wird dauerhaft eine hydraulische Verbindung der Vertikaldrains mit dem quartären Grundwasserhorizont in den kiesigen Deckschichten verhindert.

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4 Ausführungsplanung Im Rahmen der Ausführungsplanung wurden die statischen Nachweise des Überbaus unter Zuhilfenahme von Berechnungsmodellen erbracht. Hierfür wurde ein Stabwerkmodell mit Sofistik für den Stahlbau erzeugt und die Fahrbahnplatte mit Plattenelementen integriert. Somit war es möglich, sowohl die Nachweise des Stahlbaus als auch die Bewehrungsermittlung in der Betonplatte an nur einem Modell durchzuführen. (Bild 5)

Auszug Stahlbaudetailplan: Längsschnitt in Pylonachse und zugehöriges Detailmodell des Pylonkopfes für die Berechnung © Ingenieurbüro Grassl GmbH


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Einbindung des Pylonkopf-Detailmodells ins Stabwerkmodell © Ingenieurbüro Grassl GmbH

9 10 11 Seilverankerung im Hauptträger: Längsschnitt mit Ansicht, Längsschnitt und Draufsicht (v.o.n.u.) © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Das Tragwerk hat, wie beschrieben, einige konstruktiv anspruchsvolle Details, welche ausgearbeitet und entsprechend statisch nachgewiesen wurden. Für die statischen Betrachtungen wurden Detailmodelle als Finite-Elemente-(FE-)Plattenmodelle erstellt. Problematisch sind bei derartigen Detailmodellen insbesondere die korrekte Lagerung im Raum und das Aufbringen der Beanspruchungen.

Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wurden sie jeweils in das Stabwerkmodell integriert, was gewährleistete, die Randbedingungen und Beanspruchungen der im Stabsystem integrierten Detailmodelle zutreffend zu erfassen. Solche Detailmodelle wurden für die Seilverankerung im Längsträger, an der Stelle mit der maximalen Seilkraft, einen Pylonkopf inklusive sämtlicher Seilverankerungen

und einer monolithischen Verbindung zwischen Pylonfuß und Längsträger erarbeitet, in das Stabwerkmodell integriert und nachgewiesen. Die Rechenzeiten konnten mit diesem Vorgehen in einem verträglichen Rahmen gehalten werden.

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12 Einbindung des Detailmodells »Seileinleitungspunkt« ins Stabwerkmodell © Ingenieurbüro Grassl GmbH

13 14 Detailmodell des Seileinleitungspunkts: Außenansicht und Blick ins Innere © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Da die Geometrie des Stahlbaus aufgrund der Trassierung im Grundriss als Klothoide und des vorhandenen Querneigungswechsels sehr komplex und variabel über die Brückenlänge ist und, im Raum liegend, über schräge und variable Winkel verfügt, wurden jene Detailmodelle mit Revit erstellt. Das Revit-3-D-Modell wurde in das Sofistik-Modul Sofiplus übertragen, daraus ein Strukturmodell erzeugt und mit Koppelelementen in das Stabwerkmodell integriert. Die Planauszüge und Graphiken der Strukturmodelle in den Bildern 6–14 illustrieren die beschriebene Vorgehensweise beispielhaft für das Pylonkopf- und das Seileinleitungsdetail. Für den Pylonfußpunkt wurde das gleiche Vorgehen gewählt.

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Diese Detailmodelle konnten zudem zur Überprüfung des Zusammenbaus und der Schweißreihenfolge sowie zur Festlegung der Schweißnahtdetails verwendet werden. Da der Bauablauf wesentliche Auswirkungen auf die Beanspruchungen in den Bauteilen, mögliche Umlagerungen im System und somit auf die Nachweise hat, wurden die einzelnen Bauphasen im Berechnungsmodell detailliert abgebildet. Abschließend wurde mit jenem Modell die Verformungsberechnung für die Angabe der Überhöhung erarbeitet.

Neben der komplexen und anspruchsvollen Geometrie des Überbaus stellt die Gründung der Brücke im Rosenheimer Seeton eine wesentliche Herausforderung sowohl für die Planung als auch für die Realisierung dar. Durch das Zentrum für Geotechnik der TUM wurde ein Herstellungsverfahren entwickelt und anhand von Pfahlprobebelastungen verifiziert. Parameter, wie die Bohr- und Ziehgeschwindigkeit, das Vorauseilmaß der Verrohrung, die Wasserauflast, die Prüfung des Bohrloches etc., wurden optimiert und sind exakt für die Ausführung vorgegeben.


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15 Mischgründung in den Pylonachsen auf 17 Großbohrpfählen, 50 Drainagesäulen und 66 Verdrängungspfählen © Zentrum für Geotechnik der Technischen Universität München

Abschließend wurde ein Gründungsvorschlag ausgearbeitet, der eine Mischgründung auf Großbohrpfählen mit der Bodenverbesserung durch ringsherum angeordnete Verdrängungs- und Drainagesäulen vorsieht (Bild 15). Ein Teil der Belastungen wird durch den verbesserten Boden abgetragen, das Gros durch die Großbohrpfähle. Hiermit konnte der Nachweis der Gründungselemente erbracht werden. In den Pylonachsen der Brücke über Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal müssen die Gründungselemente ab Unterkante Pfahlkopfplatte 45 m lang sein. Mit einer Aufstandsfläche für die Geräte 5 m oberhalb der Pfahlkopfplattenunterkante ergeben sich 50 m erforderliche Bohrlängen sowohl für die Großbohr- als auch für die Drainage- und Verdrängungspfähle. Im Rahmen der Probebelastungen wurde die Realisierbarkeit dieser Lösung, die mit solchen Abmessungen und in einer derartigen Komplexität in Deutschland erstmalig realisiert werden muss, nachgewiesen. Zur Überprüfung des Bodenverhaltens während der Bauausführung und der nachfolgenden Setzungen wurde durch das Zentrum für Geotechnik der TUM zudem ein Monitoringkonzept erstellt, welches Gegenstand der Ausschreibung der Bauleistung ist und auch in dieser Form zur Ausführung kommen wird.

5 Ausschreibung Bei der Brücke über Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal stellt die Ausschreibung von Litzenbündelseilen aktuell noch eine Besonderheit dar. Zum Zeitpunkt der Bearbeitung lag keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für ein System mit 37 Litzen vor. Somit wurden sowohl die Bauleistung der Seile als auch die Arbeiten zur Erlangung einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) in das Leistungsverzeichnis aufgenommen und in der Baubeschreibung – in Anlehnung an die fib recommendation »acceptance of stay cable systems using prestressing steels« und die ZTV-ING Abschnitte 4-4 und 4-5, welche damals nur als Gelbdruck vorlagen – die entsprechenden Randbedingungen erläutert. Außerdem wurde mit Abgabe des Angebotes gefordert, den Seillieferanten und eine Zeitschiene zur Erlangung der ZiE zu nennen, neben weiteren Punkten zum gewählten System. Damit soll sichergestellt werden, dass diesem doch sehr kritischen Punkt von den Bietern in der Angebotsphase ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Bei der Erstellung der Ausschreibung war zu berücksichtigen, dass wesentliche Teile der Ausführungsplanung – das umfasste Standsicherheitsnachweise, Überhöhungsberechnungen, Stahlbau-, Schal- und Bewehrungspläne sowie Pläne für Absteckung, Entwässerung, Erdung und Ausstattung – dem Auftragnehmer (AN) vom Bauherrn zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund der Komplexität des Projekts sowie zur Sicherstellung der Terminschiene, zur Erlangung einer Massensicherheit und zur Reduzierung des Nachtragspotentials wurde auf das zu Zeiten der Beauftragung von Sondervorschlägen im Brückenbau gängige Überspringen der Leistungsphasen 4 und 5 der Tragwerksplanung verzichtet. Hierbei ist es enorm wichtig, die Leistungsgrenze exakt zu definieren und zu beschreiben, so dass für den AN Bau bei der Angebotsbearbeitung klar erkennbar ist, welche Teilleistungen der Ausführungsplanung, wie zum Beispiel Montage- und Werkstattplanung etc., von ihm zur Realisierung der Maßnahme zu erbringen sind. 6 Bauausführung Ende Oktober 2018 wurde die Arbeitsgemeinschaft aus Habau Hoch- und Tiefbaugesellschaft mbH und MCE GmbH beauftragt, die Bauleistung auszuführen. Für die Spezialtiefbauarbeiten sind die Firmen Bauer AG und Menard SAS als Nachunternehmer vorgesehen. Nach ersten Anlauf- und Abstimmungsgesprächen wird aktuell die Planung des Spezialtiefbaus vorgenommen und die Werkstattplanung für die Stahlbauten erstellt. Direkt nach Auftragsvergabe erfolgten Abstimmungsgespräche mit der Stahlbaufirma, um die Stahlbaudetails und den vorgesehenen Bauablauf zu diskutieren. Einige Anpassungen hinsichtlich der firmenspezifischen Fertigungs- und Montagerandbedingungen konnten berücksichtigt werden. Mit den abgestimmten Parametern wurde die Überhöhungsberechnung erneut durchgeführt und dann übergeben.

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16 Flussdiagramm: Programmierung der Stahlbaugeometrie in Dynamo Studio © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Zur Verkürzung der Bearbeitungszeiten für die Werkstattplanung wurde die Systemgeometrie als Grundlage für die Werkstattzeichnungen als Plandarstellung und in Tabellenform dem Werkstattplaner übersandt. Die Stahlbaugeometrie wurde in Abhängigkeit der Querneigung entlang der Trassierungsachse mit Dynamo Studio programmiert und in Revit abgebildet. Neben den oben beschriebenen Detailmodellen hat auch hier die Anwendung neuer Technologien zu einer Verkürzung der Bearbeitungsfristen sowie zu einer Verbesserung der Qualität und Genauigkeit der Ergebnisse geführt. Mit der Stahlbaufertigung soll im November 2019 begonnen werden, die Fertigstellung der Brücke ist für August 2022 geplant. Autoren Dr. sc. techn. Hans Grassl Dipl.-Ing. Jacqueline Donner Ingenieurbüro Grassl GmbH, München

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Bauherr Freistaat Bayern Auftraggeber Staatliches Bauamt Rosenheim Objekt- und Tragwerksplanung: Entwurf, Genehmigungs- und Ausführungsplanung, Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe Ingenieurbüro Grassl GmbH, München Örtliche Bauüberwachung und Bauoberleitung SSF Ingenieure AG, München Ingenieurbüro Grassl GmbH, München Fachbauüberwachung Geotechnik Ingenieurbüro Gebauer, Traunstein Verkehrsanlagenplanung Wagner Ingenieure GmbH, München

Baugrundgutachten Schubert + Bauer GmbH, Ingenieurbüro für Geotechnik, Olching Geotechnische Beratung Zentrum für Geotechnik, Technische Universität München Prüfingenieur Prof. Dr.-Ing. Robert Hertle, Gräfelfing Bauausführung Habau Hoch- und Tiefbaugesellschaft mbH, Perg, Österreich MCE GmbH, Linz, Österreich


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Unsere Brücken verbinden.

MCE GmbH w Lunzerstraße w w . mc e-hg. A 4031 Linz, 64c Tel.: +43 (0) 732 9011 - 5843 www.mce-hg.com

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HABAU GROUP ist ein internationaler Komplettanbieter. Welche Anforderungen Sie auch haben:1/2Wir bauen es. . 2019 | BRÜCKENBAU 61


SYMPOSIUM Ein Sachstandsbericht

Die neuen Eurocodes von Martin Muncke

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Der Artikel thematisiert die Geschichte der Eurocodes seit 1975 sowie die aktuellen Arbeiten aufgrund des Mandates der Europäischen Kommission. Er stellt die Struktur des TC 250 vor, das diese Arbeiten durchführt, und beschreibt den Ablauf der Arbeiten und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Erste Ergebnisse werden vorgestellt und die weiteren Schritte im Normungsprozess erläutert. 1 Die Geschichte der Eurocodes Die Eurocodes haben bereits eine lange Geschichte, denn sie starteten im Jahr 1975 als ein Ergebnis der Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft. Es wurde damals ein Aktionsprogramm auf dem Gebiet des Bauwesens initiiert, das auf dem Artikel 95 der Römischen Verträge basierte. Ziel dieses Programmes war die Abschaffung von technischen Handelshemmnissen und die Harmonisierung technischer Normen durch technische Regeln, die in einem ersten Schritt als Alternative zu den nationalen Regeln in den Mitgliedsstaaten dienen und sie letztendlich ersetzen sollten. 1984 wurden dann die ersten Eurocodes durch die Europäische Kommission veröffentlicht und bald danach die erste Bauproduktenrichtlinie, die stark mit den Eurocodes verknüpft ist.

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Als eine Folge davon gab es 1990 ein Mandat der Europäischen Kommission zur Erstellung von Europäischen Vornormen (ENV). Die Ausarbeitung und Veröffentlichung dieser Eurocodes auf Basis einer Vereinbarung mit dem europäischen Normungszentrum (CEN) wurden dem Technischen Komitee CEN/TC 250 übertragen, die Eurocodes sollten europäische Normen werden. Dies geschah dann 1992 mit dem Beginn der Veröffentlichungen durch CEN. Aufgrund der Schwierigkeiten der Harmonisierung aller Aspekte der verschiedensten Verfahren und Methoden hatte man sich bei den Eurocodes entschlossen, sogenannte Boxed Values einzuführen, die auf nationaler Ebene angepasst werden konnten. Heute sind es die berühmten NDP, die »nationally determined parameters«. Die Anpassung erfolgte damals wie heute in den Nationalen Anhängen. Darüber hinaus wurde der Schritt von den ENV zu den eigentlichen EN im Jahre 1998 mit einem weiteren Mandat angestoßen. Zur Umsetzung der Eurocodes wurden seitens der Kommission Empfehlungen zu ihrer Einführung und ihrem Gebrauch herausgegeben, die bekannten »Guidelines«. Die EN-Eurocodes sind eine Reihe von empfehlenden Normen für die Bemessung von Produkten und Bauwerken, die die Grundanforderungen des mechanischen Widerstandes und der Stabilität genauso wie die des Brandschutzes erfüllen. Die Mitgliedsstaaten sind aufgerufen, die empfohlenen Werte für NDP anzunehmen und für die weitere Harmonisierung und Entwicklung der Eurocodes einzutreten. 2006 war dann die Veröffentlichung der ersten kompletten Ausgabe der Eurocodes abgeschlossen, und die Koexistenzperiode parallel mit den nationalen Normen begann. Dies war eine ambitionierte Zeit, galt es doch die Tauglichkeit der neuen Normen im Vergleich mit den althergebrachten Regeln nachzuweisen bzw. sie anzupassen. Dies wurde 2010 mit der Zurückziehung der entgegenstehenden nationalen Normen abgeschlossen. Seitdem gelten die Eurocodes mit ihren jeweiligen Nationalen Anhängen in den Mitgliedsstaaten von CEN.

Der aktuelle Auftrag und der Prozess Aber schon 2011 erteilte die Europäische Kommission ein neues Mandat M/466, »Programming mandate addressed to CEN in the field of structural Eurocodes« genannt, das nach einigen Anfangsschwierigkeiten in das Mandat M/515 »Mandate for amending existing Eurocodes and extending the scope of Structural Eurocodes« zur Überprüfung und Weiterentwicklung der bestehenden Eurocodes übergeleitet wurde. Dieses Mandat wurde wieder CEN/TC 250 übertragen, wobei der Aufgabenbereich des entsprechenden TC ebenfalls neu geschärft wurde. TC 250 hat nun die Aufgabe der Normung der konstruktiven und geotechnischen Bemessungsregeln für Gebäude und Bauwerke unter Berücksichtigung der Annahmen bezüglich der Baustoffe, Bauausführung und Prüfung. Mit der Übernahme des Vorsitzes durch Prof. Steve Denton aus Großbritannien und dem neuen Mandat wurde auch die Organisation angepasst, und es wurden zwei neue Unterkomitees (SC) aus der Taufe gehoben. EN 1990 als Grundlage der Eurocodes wurde dem neuen SC 10 zugeordnet, eine Aufwertung von früherer Arbeitsgruppe zu eigenem Unterkomitee. Mit dem SC 11 wurde der Bedeutung von Glas als eigenem Baustoff Rechnung getragen. Ebenso wurden die Aufgaben der Horizontalen Gruppen (HG) stärker definiert, so sollen sie in Zukunft die Koordinierung der verschiedenen SCs erleichtern. Um die Komplexität des Themas sowie die Rolle des TC 250 darzustellen, muss auch ein sehr weitreichender Beschluss des Technical Board von CEN (BT) erwähnt werden, indem dem TC 250 die »übergeordnete Verantwortung für konstruktive und geotechnische Bemessungsregeln für Gebäude und Bauwerke« bestätigt wurde (letztmalig BT C36/2014). Hierdurch gibt es derzeit umfangreiche Abstimmungen mit anderen TCs, die in ihren Produktnormen vielfach versuchen, abweichende Regelungen zu treffen, um auf ihrer Ebene optimale Bedingungen für die Produkte zu erreichen. Übergeordnet trifft das aber leider selten zu.


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Struktur des CEN/TC 250 © Comité Européen de Normalisation

Das neue Mandat M/515 hatte, wie erwähnt, einen temporären Vorläufer, das Mandat M/466, mit dem man das Verfahren einleitete. Die sich daraus ergebenen Aussagen und Prämissen wurden in die Aufgabenstellung des Mandats M/515 eingearbeitet und dann offiziell herausgegeben. Das Mandat M/515 sieht die Aufteilung der Weiterentwicklung der Eurocodes in zwei Paketen vor, einmal die Berechnungsnormen EN 1990, EN 1991 sowie EN 1997 und EN 1998 und andererseits die Materialnormen EN 1992 bis EN 1996 und einen neuen Eurocode bzw. eine TR für Glas. Die einzelnen Arbeiten in den Projektteams wurden mit der Aufgabenstellung durch die SCs respektive die zuständigen WGs definiert und dann teilweise noch weiter unterteilt. In den Projektteams (PT) waren einerseits Vertreter möglichst vieler nationaler Normungsorganisationen gewünscht, die aber auch das jeweilige Thema umfassend abdecken und unbedingt alle Interessengruppen repräsentieren sollten. Als Maximalanzahl waren sechs Mitglieder je PT vorgesehen. Für einige PT haben sich dann noch nicht einmal diese sechs Personen gemeldet, und das Abdecken aller Fachthemen war nahezu unmöglich. Die Steuerung der Projektteams und die Abrechnung mit der Europäischen Kommission übernahm im Auftrag des CEN die NEN, die niederländische Normungsorganisation, die bis heute eine immense Arbeit damit hat. Unterstützend wirkt auch das Sekretariat des TC 250 mit, das von BSI gehalten wird.

Die Arbeiten sollten in vier Phasen in den einzelnen Projektteams durchgeführt werden, wobei jedes Jahr eine Phase starten und das gesamte Arbeitspensum 2019 bereits abgeschlossen sein sollte. Diese ambitionierte Planung konnte aufgrund politischer und wirtschaftlicher Randbedingungen leider nicht voll eingehalten werden. Der Startzeitpunkt verschob sich um ein Jahr, und auch das Ende wird nicht vor 2024 erfolgen. Der überwiegende Teil wird allerdings im Jahr 2022 an die nationalen Normungsorganisationen übergeben werden. Hierzu hat auch die geänderte Bearbeitung bei CEN (CCMC) beigetragen.

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3 Die Ergebnisse der Phasen 1 und 2 Die PT der Phasen 1 und 2 haben überwiegend Grundlagenarbeit für einzelne Teile der Eurocodes durchgeführt und dabei hauptsächlich die bestehenden Texte überprüft, auf das neue Layout angepasst und die einzelnen Sonderaufträge abgearbeitet. Insbesondere ist hier die Arbeit des PT für die Horizontal Group »Bridges« zu erwähnen, die aus allen Teilen der Eurocodes die brückenrelevanten Abschnitte untersucht hat und Empfehlungen zur jeweiligen Überarbeitung oder Weiterbearbeitung gab. Ebenso wurde durch das PT für die EN 1990 die grundlegende Bearbeitung dieser und weiterer neuer Teile gestartet. Als ein Ergebnis ist die Entscheidung zur Herausgabe der neuen Version der EN 1990 in zwei Abschnitten zu sehen. Der Regeltext der EN 1990 wird zusammen mit den Anhängen A 1, B, C, D und E voraussichtlich 2019 in das Formal »Vote« kommen und veröffentlicht werden, während die weiteren Anhänge A 2, A 3, A 4, A 5, A 6 sowie F und G erst in einem zweiten Paket für 2021 oder 2022 vorgesehen sind.

Änderung der Eurocodes gemäß Mandat M/515 © Comité Européen de Normalisation

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Ein starker Diskussionspunkt waren die modalen Hilfsverben. Nach Vorgaben von ISO und CEN sind die verschiedenen Stufen (Anforderung, Empfehlung, Erlaubnis oder Möglichkeit) durch die Verwendung der modalen Hilfsverben zu kennzeichnen. Dieses ist im Englischen durch den Gebrauch der Hilfsverben recht klar und einfach möglich, Sprachen wie Deutsch und Französisch erlauben dies ebenfalls. In vielen anderen Sprachen muss es aber umschrieben werden. Dies ist bei den Übersetzungen entsprechend zu berücksichtigen. Eine zusätzliche Kodierung mit dreibuchstabigen Kodes (<REQ>, <REC>, <PER>, <POS>) ließ sich leider nicht durchführen. In den Eurocodes wird zukünftig im Vorwort bei jedem Teil explizit auf diese Zuordnung verwiesen. Die frühere Zusatzbezeichnung »P« für »Principle« entfällt somit ersatzlos. Eine wesentliche Neuerung betrifft die Gliederung der Normen. Hier wurden neue Vorgaben gemacht, welche die Nummerierung der Kapitel betrifft, und die Fachthemen haben eine um 2 erhöhte Nummer. Dies ergibt einen großen Aufwand bei der Kontrolle bzw. Neufestlegung der Verweise. Ebenso werden die neuen Zusatzkapitel eine Veränderung in der Gliederung verursachen. Die textliche Bearbeitung hat insgesamt eine starke Reduzierung des Umfangs ergeben, allerdings haben die neuen Abschnitte in vielen Fällen diese Reduzierung wieder ausgeglichen.

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Das Beispiel EN 1991-2 © Comité Européen de Normalisation

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Die Testfragen © Comité Européen de Normalisation

Bezüglich der National Determined Parameters wird es weiterhin die Möglichkeit geben, nationale Entscheidungen bezüglich der Sicherheit zu definieren. Durch das Forschungszentrum der EU, das Joint Research Center (JRC), wurde in den letzten Jahren eine Datenbank mit allen Aussagen der einzelnen nationalen Normungsorganisationen bezüglich der NDP aufgebaut. Eine Auswertung jener Daten hat ergeben, dass es bereits heute bei sehr vielen Parametern eine große Übereinstimmung der Werte gibt, teilweise werden bis 80 % der Werte schon gleichermaßen definiert. Insofern können diese Parameter bereits heute aufgelassen bzw. in absehbarer Zeit allgemeingültig definiert werden. Andererseits wird kein Zwang dazu ausgeübt werden.

Im bisherigen Guidance Paper L waren die Notwendigkeit und auch grundlegende Anforderung von Nationalen Anhängen für die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten festgeschrieben. Dies wird derzeit mit der Europäischen Kommission besprochen und soll in ähnlicher Art ebenso für die neue Generation der Eurocodes gelten. 4

Die Arbeit der laufenden Phasen 3 und 4 Derzeit laufen die Phasen 3 und 4, die einerseits noch vertiefende Untersuchungen zu Einzelthemen, aber auch übergreifende Abstimmungen zwischen den einzelnen Teilen der Eurocodes vornehmen sollen. Insbesondere das Thema »Robustheit« ist derzeit noch in starker Diskussion und wird sowohl federführend


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von der WG 6 unter Führung der britischen Kollegin Julie Bregulla als auch von einem Projektteam im Bereich des SC 10 bearbeitet. Weiteres Thema ist ebenfalls noch die Ermüdung, die für fast alle Materialnormen und die Bemessung wichtig ist. Bei der Bearbeitung sollten eigentlich nur bestehende anerkannte Regeln der Technik und praxiserprobte Methoden in die Normung übernommen werden bzw. erkannte Fehler beseitigt werden. Allerdings gibt es immer wieder sowohl von den nationalen Normungsorganisationen als auch von den Experten Wünsche, neue wissenschaftliche Erkenntnisse direkt zu integrieren. Hierzu wurde eine Art Checkliste entwickelt, mit deren Hilfe der Nutzen der Regelungen überprüft wird. Diese Checkliste wird mittlerweile schon in einigen SCs angewandt und hat sich vom Grundsatz her sehr bewährt. Der Übergang der EurocodeGenerationen: Zeitschiene und nächste Schritte Aufgrund der umfangreichen Bearbeitung der derzeit 55, zukünftig wahrscheinlich 59 Eurocodeteile, wurde unter Berücksichtigung der einzelnen Phasen, Abstimmungsszenarien und der Ressourcenverfügbarkeit der beiden Normungsorganisationen DIN und AFNOR (für die Übersetzungen) ein Ausgabediagramm erarbeitet, das eine sukzessive Bearbeitung und Herausgabe der einzelnen Teile aufzeigt sowie die Herausgabe auf nationaler Ebene für die Jahre 2019 bis 2024 beschreibt, so dass die Umstellung auf die neueste Generation der Eurocodes mit dem Jahre 2026 abgeschlossen werden kann. Dies schließt allerdings nicht aus, dass durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Technik und die Einführung neuer Materialien eine ständige Aktualisierung erfolgen kann. Basis dieser Zeitschiene sind die verschiedenen Meilensteine, die für die Bearbeitung und Genehmigung festgelegt wurden. Für die einzelnen Phasen gibt es in den internen Regeln von ISO und CEN festgelegte Zeiträume, die eine kontinuierliche Planung und Bearbeitung ermöglichen sollen. Aus der nun vorliegenden Übersicht ist allerdings zu ersehen, dass durch die Menge der einzelnen Normungsteile und den Umfang dieser in Seiten ein erhöhter Ressourcenbedarf bei den nationalen Normungsorganisationen und bei CCMC selbst herrscht. Dies wird in der nächsten Zeit eine besondere Herausforderung vor allem der ehrenamtlichen Experten auf nationaler Ebene.

Als ein Beispiel kann auch die Bearbeitung der EN 1991-2 dienen. Hier hat es ein PT in der ersten Phase gegeben, das seine Arbeit abgeschlossen und die Grundlage für die neue Ausgabe erarbeitet hat. Teile sind aber ausgeklammert worden und werden nun in mehreren Ad-hoc-Gruppen bzw. durch andere PTs erarbeitet, wobei erst wieder deren Ergebnisse abgewartet werden müssen, um dann in das neue Dokument eingepflegt zu werden. Für die Herausgabe einer neuen EN 1991-2 scheint derzeit ein Termin im Sommer 2021 möglich zu sein.

6 Ein Ausblick Mit der aktuellen Bearbeitung der Eurocodes wird eine Verbesserung der Anwendung für die praktische Arbeit erreicht. Aktuelle Weiterentwicklungen und neue Materialien werden in die Normenlandschaft integriert. Durch die weiter bestehenden nationalen Parameter wird es auch eine nationale Anpassung an die Sicherheitsniveaus geben. Insgesamt wird es aber zu einer fortschreitenden Harmonisierung der gemeinsamen europäischen Regelungen kommen, auch mit dem Ziel, den Umfang der Regelwerke zu reduzieren. Hier wird unbedingt der Ingenieurverstand gefordert bleiben, allgemeine Rezeptlösungen werden nur für wenige Gebiete angeboten. Autor: Dipl.-Ing. Martin Muncke Convenor CEN/TC 250/SC 1/WG 3 »Traffic loads on bridges« ÖBB-Infrastruktur AG, Wien, Österreich

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SYMPOSIUM Planung und Ausführung

Instandsetzung des Sitterviadukts von Robert Wagner

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Höchste Eisenbahnbrücke der Schweiz © Schweizerische Südostbahn AG

Das Schweizer Schienennetz ist eines der dichtesten der Welt. Aufgrund seiner hohen Akzeptanz in der Schweizer Gesellschaft erfordern Instandsetzungen an der Infrastruktur besondere Strategien, um während der Arbeiten gleichzeitig eine hohe Verfügbarkeit des betroffenen Streckenabschnitts gewährleisten zu können. Der vorliegende Text berichtet von der Instandsetzung des Sitterviadukts, der höchsten Schweizer Eisenbahnbrücke. Es wird Einblick in die hierfür zugrundegelegten Untersuchungen, die Instandsetzungsmaßnahmen und den projektierten Bauablauf gegeben, der lediglich eine fünfwöchige Streckensperrung beinhaltet.

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1 Einleitung Das Schweizer Schienennetz umfasst über 5.200 km, verteilt auf eine Fläche von lediglich 41.285 km². Daraus ergibt sich eines der dichtesten Eisenbahnnetze der Welt, das täglich von über 1,20 Millionen Menschen in der Schweiz genutzt wird. Die spezifische Topographie der Schweiz führte beim Bau der Eisenbahnstrecken zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Vielzahl von Brücken, um größere oder kleinere Geländeeinschnitte eisenbahnkonform zu queren. Sehr viele dieser in der Gründerzeit der Eisenbahn erstellten Stahlbrücken sind noch heute in Betrieb. Infolge des hohen Nutzungsgrades des Bahnnetzes und der damit erforderlichen hohen Verfügbarkeit der Infrastruktur beinhalten Instandsetzung und Wartung der Kunstbauten besondere Herausforderungen. Die nachstehenden Kapitel behandeln die Instandsetzung eines der eindrücklichsten Brückenbauwerke im Schweizer Eisenbahnnetz.

2 Der Sittertobelviadukt 2.1 Allgemeines Der Sitterviadukt verbindet im Osten der Schweiz, geographisch zwischen den Städten St. Gallen und Herisau gelegen, als Schlüsselbauwerk den Bodensee mit dem Zürichsee. Erbaut wurde er in den Jahren 1908–1910 von der BodenseeToggenburg-Bahn (BT). Seit 2001 befindet sich der Viadukt infolge einer Fusion der Bahngesellschaften im Eigentum der Schweizerischen Südostbahn AG. Das Bauwerk stellt mit einer Höhe von 99 m die höchste normalspurige Eisenbahnbrücke der Schweiz dar. Die Gesamtlänge von 365 m setzt sich aus zwei gemauerten Vorlandbrücken und einer 120 m überspannenden genieteten Eisenkonstruktion zusammen. Die in einer Kurve liegenden Vorlandbrücken wurden als Steingewölbe mit einer Spannweite bis zu 25 m ausgebildet. Die gemauerten Steinpfeiler sind bis zu 90 m hoch. Um die Hauptspannweite von 120 m möglichst ressourcenschonend zu überqueren, wurde die Eisenkonstruktion als Halbparabelträger (Fischbauchträger) konzipiert. Die maximale Höhe des


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Grundriss des Sittertobelviadukts © Schweizerische Bauzeitung

Trägers beträgt 12 m, der Achsabstand der Längsträger 5 m, woraus sich ein Gesamtgewicht von 920 t ergibt. Die Montage des Fachwerkträgers erfolgte, ausgehend von einem hölzernen Behelfspfeiler mit Plattform in der Mitte der Brücke, vor Ort. Nach Fertigstellung wurde die Konstruktion auf vier Granitquader von je 13,50 t abgesetzt. [1] Die Bilder 1 und 2 zeigen den Viadukt in der Ansicht und im Grundriss, Bild 3 gewährt einen Blick in den Fischbauchträger. 2.2 Frühere Instandsetzungsmaßnahmen In den Jahren nach der Inbetriebnahme des Viadukts zeigten sich infolge der Verkehrslast und materialbedingter Kriechbewegungen Verformungen an den Widerlagerpfeilern. Die Pfeiler neigten sich bis zu 27 cm zueinander. Eine in den Jahren 1920–1922 installierte Verspannungsvorrichtung stabilisierte das Bauwerk. Der Viadukt wurde für die zu seiner Errichtungszeit übliche Verkehrslast für Hauptbahnen bemessen. Die angenommene gleichmäßig verteilte Last von 4,20 t/m war für den Bahnverkehr bis Mitte des 20. Jahrhunderts ausreichend. Erst in den Jahren 1978–1982 war erstmals eine Verstärkung des Fischbauchträgers erforderlich. Unter Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs wurden die Querverbände unter der Fahrbahn verstärkt und der Korrosionsschutz erneuert. An den Haupttragelementen der Eisenkonstruktion und den Steingewölbebrücken waren keine Verstärkungen erforderlich.

Die Schienen auf den Vorlandbrücken liegen in einem in den 1970er Jahren nachgerüsteten wassserdichten unterhaltsfreundlichen Schottertrog, da eindringendes Wasser an den Steingewölbebrücken Wasserschäden verursachte. Im Bereich der Eisenkonstruktion sind die Brückenhölzer kraftschlüssig mit der Konstruktion des Halbparabelträgers verbunden. [1]

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3 Aktueller Bauwerkszustand 3.1 Bedeutung des Viadukts Im Zuge der Hauptinspektionen seit der Jahrtausendwende zeigten sich an dem Viadukt natürliche Alterungsspuren an den Vorlandbrücken und am Fachwerkträger. Aufgrund der Bedeutung des Sitterviadukts im Schienennetz der Schweizerischen Südostbahn AG und weil der Viadukt Bestandteil des Kulturschutzgüterinventars mit nationaler Bedeutung ist, standen der Erhalt und die uneingeschränkte Nutzung für weitere 50 Jahre außer Frage.

Erscheinungsbild des Fischbauchträgers © Schweizerische Südostbahn AG

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Exemplarische Gewölbeuntersicht © Materialtechnik am Bau AG

3.2 Visuelle Untersuchungen 3.2.1 Natursteinmauerwerk Die visuelle Untersuchung des Natursteinmauerwerks offenbarte eine Vielzahl von Ausbesserungen und Flickstellen an den Pfeilern, die in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführt wurden. Die Instandsetzungen bestanden aus lokalen Betonummantelungen, Zementinjektionen und partiellem Mauerwerksersatz. Weiterhin wurden die Pfeiler in der Vergangenheit teilweise mit Betonringen umschnürt. Bedenkliche Setzungen oder Ausbauchungen an den Pfeilern konnten bei der Inspektion von Auge nicht identifiziert werden. Neben der beschriebenen heterogenen Erscheinung der Pfeiler konnten an ihren Oberflächen etliche Risse wahrgenommen werden. Die Maximalbreite der Risse beträgt 4 mm. Zusätzlich zu den Rissen sind an allen Oberflächen kleinere Abplatzungen zu finden. Bei den verwendeten Natursteinen handelt es sich um Kalksteine an den Sichtflächen der Pfeiler und Sandstein an den Gewölbeuntersichten. Gesamthaft zeigen sich die Naturstein- und Betonoberflächen in akzeptablem bis gutem Zustand,

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Festes und bewegliches Lager © Gruner AG

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Exemplarische Pfeileranmutung © Materialtechnik am Bau AG

mit wenigen lokalen Feuchtstellen. Über die visuelle Untersuchung hinaus wurden, um auch einen Blick in die Pfeiler zu erhalten, verteilt über das ganze Bauwerk Bohrkerne gezogen. Der visuelle Eindruck der Oberflächen bestätigte sich dann bei den gezogenen Bohrkernen. Die Druckfestigkeitsprüfung der unterschiedlichen Materialien (Beton, Sandstein, Kalk etc.) ergab Werte von ca. 40 N/mm² (Betonersatz am Pfeiler) bis ca. 85 N/mm² (Ummantelung). [6] Die Bilder 4 und 5 geben einen exemplarischen optischen Einblick in den Zustand des Natursteinmauerwerks. 3.2.2 Lager Das Stahlfachwerk wird auf der Seite St. Gallen durch feste Auflager gehalten. Die gegenüberliegende Seite Herisau ist mit Rollenlager versehen. Die Lager aus Stahl bzw. Stahlgussteilen wiesen im Zuge der Hauptinspektion, abgesehen von kleinen Einlaufspuren, nur geringe Spuren von Korrosion und Verunreinigungen auf. Der vorhandene Bewegungsspielraum der Rollenlager genügt den rechnerisch auf-

tretenden Temperaturverformungen (w = ±40 mm) infolge einer Temperaturdifferenz von ΔT = ±30 °C. Obwohl der Bewegungsspielraum der beweglichen Lager bei 30 °C nahezu ausgereizt ist, wird von einem Austausch der Lager im Zuge der Viaduktinstandsetzung abgesehen. Ein Lagertausch ist mit beträchtlichem Aufwand verbunden, daher wird der geforderte Sicherheitszuschlag mittels konstruktiver Anpassung des Widerlagerpfeilerkopfes erreicht: Der vorhandene »Puffer« wird verschoben. Instandgesetzt werden müssen die Abdeckplatten auf den Widerlagerpfeilern, diese weisen Schäden aufgrund der natürlichen Verwitterung auf. Um eine weitere Alterung und das Eindringen von Wasser in die Pfeiler zu vermeiden, bieten sich eine Reprofilierung und Abdichtung an. [7] Die Bilder 6 und 7 zeigen je ein festes und bewegliches Lager.


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3.2.3 Eisenkonstruktion Der Fachwerkträger wurde im Zuge der Hauptinspektion ebenfalls einer detaillierten Kontrolle unterzogen. Im Laufe der Zeit hat sich an den Stoßverbindungen, Knotenblechen und Nieten etwas Korrosion gebildet. Die Roststellen sind lokal bis 8 mm tief. Zusätzlich konnten einige nicht feste Querträgerverbindungen mit Spaltmassen bis 3 mm identifiziert werden. Die Hauptträger befinden sich durchwegs in gutem Zustand. Die komplette Konstruktion ist frei von Ermüdungsrissen. Die beschriebenen Schäden betreffen ausschließlich die Dauerhaftigkeit der Konstruktion und beeinträchtigen die Tragfähigkeit erst bei einem weiteren Fortschreiten. Die Korrosionsschutzbeschichtung, die letztmalig im Jahr 1981 erneuert wurde, hat ihre Lebensdauer erreicht. Dies ist vor allem an den Profilkanten und -doppelungen an deren Verwitterung ablesbar, Materialverlust an den Stahlprofilen war noch nicht erkennbar. Am gesamten Bauwerk sind keine Schäden ersichtlich, die auf statische Defizite hinweisen würden. [3] 3.2.4 Weitere Bauteile Neben der Brückenkonstruktion wurden auch die eisenbahnspezifischen Bauteile untersucht. Die auf dem Viadukt verlegten Holzschwellen wiesen alterstypische Risse und Verwitterungen auf und haben das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Die Schwellen liegen auf den Vorlandbrücken in einem Schottertrog. Messungen zeigten ein Mindermaß von 10 cm gegenüber der erforderlichen Mindestschotterdicke von 30 cm auf. Eine ebenfalls zu geringe Höhe wiesen die Randborde zur Schotterhaltung auf. An der Abdichtung der Brücke konnten trotz des Alters von 45 Jahren keine Schäden detektiert werden.

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Räumliches Modell zur Erdbebenberechnung © Gruner AG

3.3 Rechnerische Überprüfung Die Tragsicherheit des Sitterviadukts wurde erstmals im Jahr 2003 auf Grundlage der Schweizer Normen SIA 260 ff. geprüft. Mit Erscheinen der Normenreihe SIA 269 ff. im Jahr 2011 liegt nun eine Normenreihe für Bestandsbauten vor. Sie sieht gegenüber den Neubaunormen reduzierte Teilsicherheitsbeiwerte auf der Widerstandsseite für den Grenzzustand der Tragfähigkeit vor, sofern die tatsächlichen geometrischen Verhältnisse des Bauwerks aufgenommen werden. In den Jahren 2015 und 2016 erfolgte eine Überprüfung der Berechnungsergebnisse auf Basis der SIA 269 ff. Die rechnerische Überprüfung der Vorlandbrücken zeigte ausreichende Reserven hinsichtlich der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit. Die Ermittlung der maßgebenden Schnittkräfte am Halbparabelträger erfolgte mit Hilfe eines räumlichen Stabwerkmodells. Teilbereiche des Fachwerks wurden zusätzlich für Detailnachweise in kleineren Stabmodellen separat abgebildet. Das Haupttragwerk (vertikale Fachwerke) und das Querträgersystem (Auflager Schwellenträger) sind in der Lage, die nach der Erhaltungsnorm SIA 269 anzusetzenden Einwirkungen aufzunehmen. Dies gilt für den Grenzzustand der Tragfähigkeit und den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit. Beim Ermüdungsnachweis ergibt sich eine Restlebensdauer von über 50 Jahren für die genannten Bauteile. Verstärkungen sind erforderlich an den oben- und untenliegenden Wind- sowie an den Bremsverbänden. An den Verbänden konnte im Zuge der Berechnungen keine ausreichende Tragsicherheit nachgewiesen

werden. Das heißt, die bestehenden Profile sind nicht in der Lage, die anzusetzende Schlingerkraft unter Berücksichtigung des exzentrischen Knickens aufzunehmen. Der vorhandene Schwellenträger verfügt entsprechend den Berechnungen zwar über eine ausreichende statische Tragsicherheit, wies aber beim Nachweis der Ermüdungsfestigkeit nur noch eine Restlebensdauer von weniger als fünf Jahren auf. Ein Ersatz ist daher zwingend erforderlich. [5] Die Lager des Stahlfachwerks wurden ebenfalls rechnerisch überprüft. Aufgrund ihrer ursprünglich verhältnismäßig großzügigen Dimensionierung ergeben sich auch infolge der über die Jahre gesteigerten Verkehrslasten durch die kontinuierlich eingebrachten Verstärkungen eine erhöhte Eigenlast und damit ausreichende Traglastreserven. In der SIA 269/3 sind Empfehlungen für die charakteristischen Eigenschaften historischer Stähle zu finden, so dass, auf der sicheren Seite liegend, den Bauteilen aus Stahl (Rollen, Zapfen) ein Wert von fyk = 235 N/mm2 und für Bauteile aus Gussstahl der Wert für die Druckfestigkeit mit fy = 140 N/mm2 angesetzt werden konnten. [3] Ergänzend zu den beschriebenen Überprüfungen wurde der Viadukt einer Erdbebenberechnung unterzogen. Für den Erdbebennachweis nach dem Antwortspektrenverfahren wurde der gesamte Viadukt als räumliches Stabmodell modelliert, wie in Bild 8 dargestellt. Die an den Halbparabelträger anschließenden Natursteingewölbe wurden als Dreigelenkbögen modelliert, der Fachwerkträger als Ersatzstab im System berücksichtigt. Während der Hauptinspektion wurde sichergestellt, dass die Betonplatte unter dem Schotterbett im Bereich der Gewölbescheitel unterbrochen ist. Die Gelenke sind daher funktionsfähig. Die Steifigkeit dieses Ersatzstabs auf Druck wurde so gewählt, dass sich in ihm die durch die Verspannvorrichtung erzeugte Normalkraft einstellt. Die Pfeiler wurden als unten eingespannt angenommen. Als wesentliche Vereinfachung bei der Berechnung wurde für das Natursteinmauerwerk mit einem auf der sicheren Seite liegenden einheitlichen Materialkennwert gerechnet. Die Auflagerbereiche des Fachwerkträgers sind in Längs- und Querrichtung ausreichend groß, so dass ein Absturz der Lager ausgeschlossen werden kann. Die Nachweise zeigten, dass die zulässigen Druckspannungen an keiner Stelle überschritten werden und dass trotz der Exzentrizität der Normalkraft an den Pfeilerfüßen keine klaffenden Fugen auftreten. [4]

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Maßnahmenübersicht am Sitterviadukt © AF Toscano AG

4 Instandsetzungsmaßnahmen 4.1 Projektierte Maßnahmen Die Instandsetzungsmaßnahmen dienen der uneingeschränkten Nutzung des Viadukts für weitere 50 Jahre. Die Arbeiten lassen sich daher in drei Bereiche einteilen und nehmen nicht nur Einfluss auf

die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit der Brücke, sondern berücksichtigen auch bahnspezifische Anforderungen für die nächsten Jahrzehnte. In den folgenden

Abschnitten werden die einzelnen Instandsetzungsmaßnahmen beschrieben. Bild 9 zeigt eine Gesamtübersicht der projektierten Maßnahmen.

10 Abbruch und Ersatz bestehender Windverbände © AF Toscano AG

11 Verstärkung bestehender vorhandener Windverbände © AF Toscano AG

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4.2 Vorlandbrücken Aufgrund der Untersuchungsergebnisse ergeben sich an den Vorlandbrücken (Pfeiler und Gewölbe) keine statisch wirksamen Eingriffe, sondern lediglich die Behebung von Oberflächenschäden. Erforderlich sind über das ganze Bauwerk verteilte lokale Mauerwerksinstandsetzungen, die wegen der Bauwerksgröße und Höhe mit erheblichem Aufwand verbunden sind. Diese Maßnahmen lassen sich, wie nachfolgend dargestellt, zusammenfassen: – Erneuerung der Mörtelabdeckplatten auf den Widerlagerpfeilern des Stahlfachwerks, – Erstellen eines Schlagregenschutzes am Pfeiler IV, – lokale Mauerwerksinstandsetzungen, – Erhöhung der Randborde zur Gewährleistung eines ausreichenden Schotterrückhalts und der erforderlichen Schotterdicke, – Erneuerung der Abdichtung auf den Vorlandbrücken.

4.3 Fachwerkträger Am Stahlfachwerk sind die liegenden Diagonalen der Windverbände teilweise zu ersetzen bzw. zu verstärken. Um das Erscheinungsbild der Brücke möglichst wenig zu beeinträchtigen, werden die Ersatzdiagonalen mittels HV-Schrauben an den vorhandenen Fahnenblechen befestigt bzw. die Tragfähigkeit der vorhandenen Diagonalen mit nachträglich angeschraubten Winkeln erhöht, wie in den Bildern 10 und 11 dargestellt. Der Schwellenträger wird über die gesamte Brückenlänge ersetzt, genauso wie der bestehende Dienststeg. Es erfolgt der Einbau einer komplett neuen Konstruktion für die Befestigung der FFU-Schwellen. Der neue Schwellenträger besteht aus zwei längsgespannten Walzprofilen (HEB 600, S 355) die ihre Vertikallast an die vorhandenen Querträger weitergeben, eine Zusammenfassung der Maßnahmen ist in Bild 12 zu sehen. Die Montagestöße befinden sich über den Querträgern.

Die umfangreichste Maßnahme am Fachwerkträger ist die Erneuerung des Korrosionsschutzes. Die vorhandene Beschichtung wird mittels Trockenstrahlverfahren abgetragen. Aufgrund der filigranen Bauweise und der gegliederten Stabprofile der Konstruktion ist ein maschinelles Auftragen des neuen Oberflächenschutzes nur mit hohem Materialverlust möglich. Daher werden die vier Lagen des neuen Oberflächenschutzes nach Reinigung und Vorbereitung der entschichteten Oberflächen von Hand mit Rolle und Pinsel aufgetragen. Die Lager des Trägers werden mit einem neuen Korrosionsschutz versehen, vorher aber lediglich gereinigt, um durch das Sandstrahlen die Lager nicht zu beschädigen. Zusätzlich werden die beschriebenen Anpassungen zur Vergrößerung des Bewegungsspielraums am Pfeilerkopf vorgenommen. [2]

12 Ersatz der Schwellenträger © AF Toscano AG

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SYMPOSIUM dass die meisten Arbeiten unter Betrieb in ca. 100 m Höhe ausgeführt werden müssen. Gleichzeitig mit dem Viadukt wird der angrenzende Tunnel Sturzenegg von März 2019 bis September 2019 instand gesetzt. Daraus ergeben sich zusätzliche koordinative Herausforderungen – vor allem während der Totalsperre. Die Arbeiten am Viadukt werden im Zeitraum der Totalsperre an sechs Tagen der Woche im Zweischichtbetrieb ausgeführt.

13 Einbau sogenannter FFU-Schwellen © Schweizerische Südostbahn AG

4.4 Übergeordnete Maßnahmen Die bestehenden Brückenhölzer (und Füllschwellen) auf dem Stahlfachwerk werden im Zuge der Instandsetzung durch FFU-Schwellen ersetzt. Diese FFUSchwellen wurden vor ca. 40 Jahren in Japan entwickelt und versprechen eine wartungsfreie Haltbarkeit von 40–50 Jahren. Als Kunstholzschwellen bestehen sie, wie in Bild 13 zu sehen, aus glasfaserverstärktem Kunststoff und vereinen dessen Dauerhaftigkeit mit der Bearbeitbarkeit und den spezifischen Eigenschaften von Holz. Übliche Holzschwellen erreichen in der Regel nach 25–30 Jahren das Ende ihrer Nutzungsdauer, eine Verlängerung um einige Jahre ist dann oftmals nur mit teuren Instandsetzungsarbeiten möglich. Ein Schwellenwechsel bei offenen Fahrbahnen wie dem des Sitterviadukts ist häufig teuer und sehr aufwendig, der Einbau eines Schottertrogs analog zu den Vorlandbrücken aus Gründen der Tragfähigkeit des Stahlfachwerks nicht möglich. Die höheren Kosten für die neuartigen Brückenhölzer sollen durch die deutlich längere Lebens-

14 Etappierte Erneuerung des Korrosionsschutzes © AF Toscano AG

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dauer und die zukünftig besser mögliche, abgestimmte Erneuerung des Korrosionsschutzes des Stahlfachwerks kompensiert werden. Im Zuge der Erneuerung der Fahrbahn wird diese auch um 10 cm angehoben und neu abgedichtet, die Fahrleitungsanlage wird ebenfalls erneuert, um den Anforderungen der Anlagengattungsstrategie »Fahrleitung« der SOBInfrastruktur zu genügen: Es erfolgt die Umrüstung von einer halbnachgespannten Fahrleitung vom Typ N-FL zu einer vollnachgespannten des Typs R-FL. Die Fahrleitungsmasten werden weiter verwendet. [2] 5 Ausführung 5.1 Allgemeines Die Umsetzung der Arbeiten zur Instandsetzung des Viadukts ist für den Zeitraum von Anfang 2019 bis Anfang 2021 geplant. Dieser zweijährige Zeitraum ergibt sich aus dem Erfordernis, dass die Strecke, abgesehen von einer fünfwöchigen Totalsperre im Sommer 2019, für den Bahnverkehr benutzbar bleibt. Das bedeutet,

5.2 Bauablauf Die Arbeiten am Viadukt gliedern sich, wie nachstehend dargestellt: – Instandsetzungsarbeiten an den Gewölbebrücken, – Arbeiten während der Totalsperre am Schottertrog der Gewölbebrücken und dem Fachwerk, – Etappierte Korrosionsschutz- und Verstärkungsmaßnahmen am Halbparabelträger unter Betrieb, – Nacharbeiten (Rückbau Gerüste etc.). Die Ausführungsarbeiten beginnen an den Vorlandbrücken. Nach Erstellen der Gerüste werden die Pfeiler- und Gewölbeoberflächen saniert und die Randborde angepasst. Im Zuge der Totalsperre werden die Arbeiten, welche die Fahrbahn unmittelbar tangieren, umgesetzt. Auf den Vorlandbrücken wird der Schottertrog angepasst, da die derzeitige Schotterdicke das erforderliche Mindestmaß unterschreitet. Auf dem Stahlfachwerk werden in dieser Zeit die Schwellenträger zusammen mit dem Dienststeg erneuert. Ebenfalls erneuert werden die obenliegenden Windund Bremsverbände und der Korrosionsschutz auf der unter Betrieb nicht zugänglichen Oberseite der Stahlkonstruktion. Auf der gesamten Brücke werden während der Totalsperre die Schwellen ersetzt.


SYMPOSIUM Nach Beendigung der Totalsperre erfolgt die etappierte Instandsetzung des Stahlfachwerks. Aus Gründen des Umweltschutzes ist für die Korrosionsschutzarbeiten eine Einhausung erforderlich. Da eine komplette Einhausung des Einfeldträgers mit zu großen temporären Windkräften einhergehen würde, wird eine Unterteilung in vier Abschnitte vorgenommen, wie in Bild 14 dargestellt. Nach Abschluss der Arbeiten der Etappe 4 beginnen dann der Rückbau der Baubehelfe und Gerüste und kleinere abschließende Maßnahmen ohne Beeinträchtigung des Bahnverkehrs. 6 Kosten Die Gesamtkosten für die Instandsetzung belaufen sich auf 13,50 Mio. CHF. Die Projektlaufzeit wird sich, beginnend mit der Studie im Jahr 2015 bis zum prognostizierten Abschluss der Arbeiten in 2021, auf sechs Jahre aufsummieren. Davon entfallen zwei Jahre auf die Ausführung der Instandsetzungsarbeiten. Gegenüber einem möglichen Neubau des Viadukts

ergeben sich dadurch nicht nur finanzielle, sondern auch zeitliche Vorteile, besonders unter Berücksichtigung der geringen Beeinträchtigung der Bahnreisenden während der Bauzeit. 7 Fazit Das Beispiel des Sitterviadukts zeigt, dass mittels sorgfältiger Planung Wartungsund Instandsetzungsarbeiten an Eisenbahnbrücken unter minimaler Beeinträchtigung des Bahnverkehrs möglich sind und gleichzeitig die Lebensdauer deutlich verlängert werden kann: Ohne Kompromisse hinsichtlich der Gebrauchstauglichkeit eingehen zu müssen, sind auch Anpassungen an die Einwirkungen der aktuellen Normengeneration möglich. Voraussetzung hierfür ist eine enge Zusammenarbeit von Bauherr, Planer und ausführenden Unternehmungen und den Genehmigungsbehörden.

Literatur [1] Dietz, W.: Sitterviadukt. Vorzeigeobjekt der SOB-Linie; in: tec21, Heft 138, 2012. [2] Burgherr, B.; Hofer, S.: Technischer Bericht Auflageprojekt. Bericht, 2018. [3] Cown, D.; Paul, N.: Sitter-Viadukt Schwellenträger. Bericht, Beyond Access GmbH, 2017. [4] Hofer, S.: Erdbebenüberprüfung. Bericht, Gruner AG, 2016. [5] Hofer, S.: Statische Überprüfung »Fischbauchträger«. Bericht, Gruner AG, 2016. [6] Donadini, F.: Materialtechnische Untersuchung des Viadukts. Bericht, Materialtechnik am Bau AG, 2017. [7] Hofer, S.: Kurzbericht zu Brückenlagern. Bericht, Gruner AG, 2016.

Bauherr Schweizerische Südostbahn AG, St. Gallen, Schweiz Auflageprojekt Gruner + Wepf Ingenieure AG, St. Gallen, Schweiz Ausführungsplanung AF Toscano AG, Winterthur, Schweiz

Autor: Dipl.-Ing. Robert Wagner Schweizerische Südostbahn AG, St. Gallen

Köln, Mülheimer Brücke

Großprojekt Abwasserkanal Emscher, Traggerüststellung Foto: Teupe

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SYMPOSIUM Bedeutung, Entwurf und Planung

Bahnhof Køge Nord in Dänemark von Steen Savery Trojaborg

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Bahnhofsgebäude und Fußgängerbrücke in einem © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI/Luxigon

Das Wahrzeichen des neuen KøgeNord-Bahnhofs ist eine schlangenförmige Fußgängerbrücke mit elliptischem Querschnitt und einem beeindruckenden, nach Norden gerichteten 180°-Panoramafenster. Der im dänischen Køge gelegene Bahnhof soll ein Verkehrszentrum für den Großraum Kopenhagen werden, an dem sich Hochgeschwindigkeits- und Regionalzüge sowie eine Autobahn treffen. Die Brücke steht für architektonischen Wagemut und setzt Standards für die zukünftige Stadtentwicklung und Bebauung in Køge, bei der man auf Nachhaltigkeit und eine grüne Identität setzt.

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1 Einleitung Südlich von Kopenhagen, in der dänischen Hafenstadt Køge, entsteht gerade der neue Bahnhofsbereich Køge Nord, ein Verkehrsknotenpunkt für Hochgeschwindigkeitszüge, S-Bahn und eine Autobahn. Das Design des Projekts – es wurde 2014 in einem Architektenwettbewerb ausgeschrieben – ist eine Gemeinschaftsarbeit von Dissing+Weitling architecture, COBE und COWI. Bauherren des Projekts, dessen Fertigstellung für den Mai 2019 angesetzt ist, sind Banedanmark, DSB und die Kommune Køge. Das Wahrzeichen des Bahnhofs ist eine 225 m lange Fußgängerbrücke, um die es in diesem Beitrag gehen soll. Darüber hinaus umfasst das Projekt eine Parkand-ride-Anlage und einen visionären Bebauungsplan für das gesamte Bahnhofsviertel. 2 Stadtentwicklung in Køge Der Køge-Nord-Bahnhof liegt 39 km südwestlich von Kopenhagen und soll sich zu einem Verkehrsknotenpunkt für den Großraum Kopenhagen entwickeln, an dem Hochgeschwindigkeitszüge, S-Bahn und die Autobahn aufeinandertreffen. Die Brücke stellt für die 90.000 Menschen, die den Knotenpunkt täglich passieren, ein neues Tor nach Kopenhagen dar und ist für die erwarteten 4.000 Passanten pro Tag ein wichtiger Schritt.

Die Brücke spannt sich über den Bahnhof und die achtspurige Autobahn M 10, die zu den verkehrsreichsten Dänemarks zählt. Diese breiten Verkehrskorridore hatten bei der Stadtentwicklung in Køge ein großes Hindernis dargestellt, welches nun mit der querverlaufenden Brücke überwunden werden konnte, die vermutlich auch zu einer Mobilitätsteigerung in der gesamten Region beitragen wird. Der moderne Bahnhof schafft eine ganz neue Verbindung, die zum einen eine nachhaltige Alternative zur Pkw-Nutzung eröffnet und zum anderen auch die Grundlage für die Entwicklung und Anbindung der gesamten Region bilden kann. Es ist zu hoffen, dass die Brücke weitere Pendler anzieht und der grünen Agenda der Region zusätzliche Substanz verleiht. Der Bau der Brücke ist die erste Etappe auf dem Weg zu einem neuen, nachhaltigen Stadtteil. In den kommenden 10–15 Jahren soll das angrenzende, 130 ha große Areal zu einem lebendigen Viertel mit Gewerbe- und Wohnbebauung ausgebaut werden. Auf lange Sicht soll sich der Køge-Nord-Bahnhof zu einem Wahrzeichen von Køge entwickeln und zum Symbol für grüne Mobilität im Großraum Kopenhagen werden. Parallel dazu repräsentiert die Brücke gestalterischen Wagemut und setzt Standards für die zukünftige Bebauung im Norden von Køge.


SYMPOSIUM 3 Das Brückendesign Die Röhrenform der Brücke erinnert an eine Schlange. Bei der Streckenführung wurde darauf geachtet, dass man beim Umsteigen vom Auto auf den Zug die Gleise möglichst rasch und bequem überqueren kann. Die Brücke verläuft quer zu den Bahnsteigen und bildet daher eine natürliche Verlängerung der Straße Snogebækstien in Richtung des Zentrums von Køge. Um einen optimalen Zugang zu den Zügen zu gewährleisten, wurden die Aufzüge und Treppen zu den Gleisen so nah wie realisierbar an der Mitte der Bahnsteige platziert. Im Innern der Bauwerks entsteht ein dynamischer Flow mit einem schlichten, aber dennoch charaktervollen Erscheinungsbild für die Reisenden und Passanten. Die aus zwei kleinen, weichen Knicken in der Brücke resultierenden Richtungsänderungen sorgen bei der Überquerung für zusätzliche Abwechslung und eine weniger statische Erfahrung. Die entworfene Röhrenstruktur fällt nach Osten hin etwas ab, um über den Gleisen für die Regionalzüge die ideale Höhe zu erreichen. Man hat sich für diese Lösung entschieden, um die Länge der Treppen von der Brücke zur Regionalbahn zu reduzieren und die Anlage an die niedrigere Einfamilienhaussiedlung im Osten anzupassen. Dementsprechend wurde auch der westliche Vorplatz angehoben, um hier ebenfalls die Treppenlänge möglichst gering zu halten. Die Nordseite der Brücke weist eine beeindruckende Glasfassade mit 180°-Panorama auf. Allen Besuchern bietet sich derart eine herrliche Aussicht über die Kulturlandschaft und die dynamischen, stark frequentierten Verkehrsadern, während sie gleichzeitig vor der Witterung und dem Verkehrslärm geschützt sind.

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Lageplan © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI

Als Kontrast zu der offenen Seite in Richtung Norden ist die Brücke nach Süden weitgehend geschlossen, wodurch eine Überhitzung des Innenraums aufgrund direkter Sonneneinstrahlung verhindert wird. Im Süden fällt Licht durch die perforierten Aluminiumplatten und die tiefen Fensternischen ein, während das punktuelle Licht an der Glasfront im Norden freie Bahn hat. In ihrem Zusammenspiel erzeugen die Lichtquellen angenehme Tageslichtbedingungen. Die Enden der Brücke geben im Osten den Blick auf die Snogebækstien in Richtung des Zentrums von Køge sowie im Osten auf die Kulturlandschaft von Ølsemagle und das dortige Areal frei. Letzteres soll langfristig in ein attraktives, lebendiges Viertel mit Wohnhäusern, Bürogebäuden und Dienstleistungsgewerbe umgewandelt werden. Den aufsehenerregenden Abschluss der Brücke bildet die Auskragung.

Die Architektur des Bahnhofs zeigt klare Bezüge zu den Themen Transport und Bewegung und unterstreicht durch ihr modernes Erscheinungsbild die Funktion. Die gewählten Materialien verleihen der Fassade Tiefe und entsprechen jenen, die in der Infrastruktur des Standortes zu finden sind. Die Brückenkonstruktion hat eine extrudierte Form mit elliptischem Querschnitt und enthält eine großzügige Glasfassade, die sich über die komplette Nordseite erstreckt und eine großzügige Aussicht über das Viertel und die Bahnsteige bietet. Der geschlossene Bereich ist mit gefalteten Aluminiumplatten verkleidet und nimmt dadurch Bezug auf die Bau- und Werkstoffe der Eisen- und Autobahn. Zusammen mit den Betonpfeilern strahlt die Materialwahl Widerstandskraft und Stärke aus. Die Aufzüge wurden in die Pfeiler integriert, um eine platzsparende Lösung für die Bahnsteige und gleichzeitig einen gut sichtbaren Transportweg für die Brückennutzer zu schaffen. Die Innenausstattung der Brücke bildet einen klaren Kontrast zu deren äußerer Erscheinung. Der Innenbereich wurde warm und einladend gestaltet, gleichzeitig wurde in den Durchgangsbereichen aber auf Funktionalität und Übersichtlichkeit geachtet. Die Decke ist mit Holzpaneelen verkleidet, die sich über den Wänden fortsetzen und in der Mitte einen geschwungenen, skulpturalen Sitzbereich aufspannen. Diese Sitzmöglichkeit setzt einen verspielten Kontrapunkt zu der ansonsten eher neutral anmutenden länglichen Röhrenform. Die Holzverkleidung mit skandinavischem Flair wirkt hell und einladend.

Röhrenform auf Pfeilern mit integrierten Aufzügen © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI/Tegmark

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SYMPOSIUM

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Innenausstattung und Panoramaausblick © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI/Luxigon

Es war uns wichtig, eine Reihe von individuell gestalteten Aufenthaltszonen in Form von offenen, transparenten, übersichtlichen Räumen zu schaffen, die Geborgenheit und Behaglichkeit ausstrahlen, zugleich aber auch zu Aktivitäten verschiedenster Art einladen. Die Enden der Brücke ähneln Tribünen mit Sitzplätzen, von denen aus sich die Umgebung betrachten lässt oder auf denen man beim Warten auf den Zug dessen Status per Tablet oder Smartphone checken kann. An der geschlossenen Seite des Innenraums befindet sich eine langgestreckte, bequeme Sitzbank, die aus der nach Süden orientierten Wand herauswächst: Dort lässt sich im Sitzen die Aussicht nach Norden genießen. Der Mittelbereich der Brücke bietet ausreichend Fläche für die Passanten, damit sie rasch und bequem vom einen zum anderen Ende der Brücke gelangen können. Parallel dazu wurde an jenen Stellen, an denen die Brücke die Eisenbahn kreuzt und Treppen, Aufzüge und Rolltreppen eingebunden sind, an geräumige Transitzonen gedacht. So sind die Treppen und Aufzugkerne leicht versetzt zur Ausführung gekommen, um einerseits Platz für einen natürlichen Fußgängerstrom zu schaffen und um andererseits Reisenden, die vor den Aufzügen warten, genügend Freifläche zu bieten.

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Es war unser übergeordnetes Ziel, eine Brücke mit Wiedererkennungswert zu schaffen, deren klare Formensprache Bewegung, Dynamik und Funktionalität ausstrahlt. Das markante Äußere kontrastiert mit dem taktilen Inneren. Zudem spiegelt das Design der Brücke die großen Verkehrsadern wider, die sie sowohl kreuzt als auch verbindet. 4 Wartung und Betrieb Sowohl außen als auch innen haben wir mit verschleißfesten Materialien gearbeitet, die Wind, Wetter und häufigem Gebrauch standhalten. Durch die Wahl langlebiger Materialien senken wir den Energie- und Materialverbrauch der Brücke, wodurch sich wiederum die betrieblichen und baulichen Kosten verringern. Der Bau ist an eine Ressourcenplanung gebunden. Deshalb haben wir uns für vorgefertigte, lineare, geschweißte Kastenprofile entschieden, die weniger Wartungsaufwand bedeuten. Darüber hinaus wurde die Brücke mit einfachen Montageprinzipien und ohne jegliche Dehnungsfugen errichtet, was den Wartungsbedarf ebenfalls reduziert. Die Außenseite aus eloxiertem Aluminium ist äußerst langlebig und simpel im Aufbau, später eventuell beschädigte Fassadenteile lassen sich deshalb auch

Konzeptstudie: innere Hülle und kantige Fassade, 180°-Aussicht, Licht und Lärm © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI

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leicht austauschen. Glasschutz und -abdeckung der Aufzüge und Treppen sind sehr wartungsarm: ein Grund, warum sich ähnliche Lösungen bei vielen vergleichbaren Bahnhofsprojekten finden. Die Brücke verfügt über ein natürliches Belüftungssystem mit der Möglichkeit zum Luftaustausch unter den Fenstern und an den Eingängen. Die Geräusche von der Autobahn werden aufgrund der nur schmalen Lufteinlassöffnungen gedämpft. Die Glasfassade an der Nordseite fällt sanft ab und wird dank der titanbeschichteten Antihaftoberfläche bei Regen somit ganz natürlich gereinigt. Dies war eine Forderung seitens Banedanmark. Da ein direkter physischer Zugang zum Dach nicht erlaubt ist, wurde die Lösung einer Inspektion der Brücke per Drohne geplant. Nach Einweihung des Bauwerks wird es rund um die Uhr mittels Kameras und Sensoren überwacht, um Ausfällen und Vandalismus vorzubeugen. 5 Konstruktion Die Brücke ist eine Balkenstruktur mit geschlossenem Kastenquerschnitt. Um den Verkehrsteilnehmern eine uneingeschränkte Sicht zu ermöglichen, wurde sie als geschlossener Stahlkastenquerschnitt konstruiert, der frei über der Autobahn M 10, der Hochgeschwindigkeits- und der S-Bahn-Trasse hängt. Die Fußgängerbrücke hat eine Gesamtlänge von ca. 225 m. Ihre größte Spannweite, die sich über der M 10 erstreckt, beträgt ca. 60 m. Sie hat eine Lebensdauer von 120 Jahren und ist auf minimale Betriebskosten ausgelegt. Um die Anordnung von Dehnungsfugen zu vermeiden, besteht die Brücke aus einem langen, durchgehenden Träger und einem Überbau in Form eines Stahlrippenskeletts mit einer Glasfassade auf der Nordseite. An den Enden der Brücke befinden sich Aussichtsbereiche mit Auskragung und Glasfront. Die Brücke ist aus vorgefertigten Stahlprofilen zusammengesetzt, die auf den Träger gehoben und anschließend zusammengeschweißt werden.


SYMPOSIUM

Literatur [1] Löffler, S.: Brückenschlag zur Hochgeschwindigkeit. Künftiger Verkehrsknotenpunkt im dänischen Køge; in: Umrisse, Zeitschrift für Baukultur, 18. Jg., H. 4/5, 2018, S. 10–15.

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Bauherren Banedanmark, Kopenhagen, Dänemark Køge Kommune, Køge, Dänemark Danske Statsbaner (DSB), vertreten durch DSB Properties, Kopenhagen, Dänemark

Montage des ersten Brückenelements im November 2017 © Banedanmark

Dieser Träger ist mit einem Entfeuchtungssystem ausgestattet, um die Oberflächenbehandlung der Flächen im Innenbereich auf ein Minimum zu reduzieren. Um auch die Wartungsausgaben bei den äußeren Stahlflächen möglichst gering zu halten, werden sie feuerverzinkt und lackiert.

Das Bauwerk erfüllt die allgemeinen Komfortanforderungen für Fußgänger und die geltenden TSI-Normen. Für uns hatte ihre reine, architektonische Form Priorität, und mit den geschlossenen Fassadenbereichen vermeiden wir Überdachungen über den Oberleitungen. Autor: Steen Savery Trojaborg Architekt MAA Dissing+Weitling architecture, Kopenhagen, Dänemark

Architekten COBE, Kopenhagen, Dänemark Dissing+Weitling architecture, Kopenhagen, Dänemark Ingenieure COWI, Lyngby, Dänemark Verkehrsplanung COWI, Lyngby, Dänemark Niras Gruppen A/S, Allerød, Dänemark Bauwerksprüfung Banedanmark, Kopenhagen, Dänemark Per L. Pedersen, Lønborg a/s, Hjørring, Dänemark Ausführung Bladt Industries A/S, Aalborg, Dänemark

Hong Kong-Zhuhai-Macau Bridge Schwingungsschutz an der längsten Brücke der Welt: Schwingungstilger für Brückendecks zur Reduktion wirbelerregter Vertikalschwingungen

Schwingungen sind beherrschbar wo immer sie auftreten

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SYMPOSIUM Ein Bauwerk im Dialog

Zweite Hinterrheinbrücke in Reichenau von Steen Savery Trojaborg, Monika Schenk, Andreas Galmarini, Ian Firth

Die »Sora Giuvna« (deutsch: jüngere Schwester) stellt eine elegante, feingliedrige und zeitgemäße Antwort für einen außerordentlichen Ort mit vielfältigen Herausforderungen dar. Zurückhaltend und doch sehr eigenständig tritt die neue Brücke in einen subtilen Dialog mit der historischen, 1895 errichteten Stahlfachwerkbrücke, indem sie mit wenigen Elementen und einer minimalistischen Formensprache einerseits die technischen Anforderungen und Randbedingungen erfüllt und andererseits dem landschaftlichen Umfeld aus verschiedensten Perspektiven gerecht werden kann. Die »Sora Giuvna« besteht aus einem schlanken Stahltrog mit Doppel-Vförmigen Streben, die auf schlichten Betonpfeilern lagern. Sie wurde mit dem Anspruch auf einen wirtschaftlichen Bau und Unterhalt entwickelt und berücksichtigt als wesentliche Randbedingungen neben Funktionalität, Dauerhaftigkeit und Unterhaltsfreundlichkeit auch die gestalterische Einbindung in die Umgebung. Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und gestalterische Anforderungen finden ihren Ausdruck in der zurückhaltenden Eleganz der Brücke, die in ihrer Materialität, ihrem Ausdruck und dem schlanken Charakter die örtliche Bahninfrastruktur widerspiegelt. Weil die bestehende Überführung über die schräglaufende Nationalstraße A 13 ersetzt werden muss, wurde eine neue, kombinierte Brücke für beide Gleisstränge entworfen, die konzeptuell als integrierter Teil eines Gesamtensembles verstanden wird, die die projektspezifischen Charakteristika aufgreift und so als gestalterischer Treiber Verwendung findet.

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Zweite Hinterrheinbrücke neben bestehender Fachwerkkonstruktion © Matthias Ludin

1 Einleitung Die neue Stahlbrücke ist 200 m lang und weist einen maximalen Pfeilerabstand von 63 m auf. Der Hintergrund für den Bau der Zweiten Hinterrheinbrücke ist der Wunsch des Betreibers, der Rhätischen Bahn (RhB), den lokalen einspurigen Engpass – der Abschnitt über die bestehende Fachwerkbrücke ist nur einspurig befahrbar – zu beseitigen, um die Kapazität zu erhöhen, und, damit verbunden, Fahrplanstabilität und Funktionalität zu verbessern. Außerdem muss die vorhandene Brücke umfassend saniert werden, was ohne den Neubau einer zweiten aufgrund fehlender Umfahrungsmöglichkeiten eine einjährige Unterbrechung des Bahnbetriebs zur Folge gehabt hätte. Aktuell wird die Fachwerkbrücke saniert und der gesamte Bahnverkehr im bisherigen Regime über die neue Brücke abgewickelt. Die Doppelspurigkeit wird nach Abschluss der Arbeiten mit dem Fahrplanwechsel im November 2019 in Betrieb genommen.

Der Wartungssteg auf der unteren Ebene des Fachwerks der bestehenden Brücke wird mit der Sanierung zum Wanderweg ausgebaut und damit ein weiterer Abschnitt einer Wanderroute durch die weltbekannte Rheinschlucht, auf Rätoromanisch »Ruinaulta«, erschlossen. Im Hinblick auf eine möglichst integrale Erhaltung des historischen Stahlfachwerkträgers und einen möglichst ungehinderten Hochwasserabfluss – der Wasserspiegel eines 300-jährigen Hochwassers liegt knapp unter der Unterkante des Fachwerkträgers – werden für den Wanderweg Anpassungen der Widerlager erfolgen, welche die Dramaturgie der Flussquerung erhöhen und den Wanderern neben der Schönheit der Natur auch ein spektakuläres Architekturerlebnis bieten werden. Beim Bewegen vom einen Flussufer zum anderen, hoch über dem Strom, werden so die konstruktiven Prinzipien des Brückenbaus verschiedener Epochen, die Unterschiede des Unter- und Überbaus, des Tragens und Getragenwerdens nähergebracht – und der Wanderer ist dabei wortwörtlich Teils eines direkten Dialogs zwischen der alten und der neuen, im Oktober 2018 fertiggestellten Brücke.


SYMPOSIUM 2 Charakteristik des Ortes Der Ort mit dem Reichenauer Schloss, dem Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein und den zahlreichen Brücken und Mauern ist von einmaliger Kraft. Brücken sind an diesem Ort seit dem 14. Jahrhundert verbürgt und gehören mit zum Landschaftsbild. Wurden die Straßenbrücken nach und nach durch Betonbauwerke ersetzt, geht die Stahlfachwerkbrücke für die Bahn über den Hinterrhein noch auf die Blütezeit des Eisenbahn-Industriezeitalters zurück und ist damit von besonderem Wert. Die bestehende Querung der Bahn besteht gleichsam aus zwei Teilen: dem historischen Brückenträger über den Hinterrhein, der sich symmetrisch zur Achse des Rheins verhält und beidseitig auf einem massiven, gemauerten Widerlager sitzt, und der östlich anschließenden Spannbetonbetonbrücke aus den 1960er Jahren über die Autobahn A 13, die wir als Einschnitt in die Bergflanke lesen. Diese Zweiteiligkeit erachten wir auch für das neue Brückenensemble als wichtig. Fast rechtwinklig zu den beiden Oberläufen bahnt sich hier der vereinte Alpenrhein seinen Weg durch die Engstelle zwischen Reichenau und den »Ils Aults« nordwärts in Richtung Chur. Sind die Hänge der kegel- bis kuppelförmigen Hügel aufgrund ihres Herkunftsmaterials typischerweise sanft modelliert und bewaldet, haben die zunehmend massiveren Einschnitte durch Bahn, Straße und Autobahn zu einer Reihe von dominanten Stützmauern auf der Ostseite des Rheins geführt, welche die ursprüngliche rundliche »Toma«-Hügellandschaft, von Straße und Bahnhof gesehen, nicht mehr richtig erkennen lassen. Um eine weniger auffällige und der Typologie der hier typischen »Tomahügel« besser entsprechende landschaftliche Einbettung zu erreichen, wurden ca. 30.000 m³ Hang und eine 8 m hohe Stützmauer abgebaut und durch eine Böschung ersetzt. Durch den ordnenden Eingriff wird die Infrastrukturanlage räumlich begrenzt und die Brücken besser zur Geltung gebracht. 3 Gestaltung der neuen Brücke Im herausfordernden Kontext von Landschaft, historischen und neuzeitlichen Brücken soll die zweite RhB-Hinterrheinbrücke eine selbstverständliche Ergänzung bilden. An diesem einmaligen Ort mit seinen außerordentlichen Strukturen gilt es eine Synthese aus Umfeld und Anforderungen, aus Architektur, Landschaft und Ingenieurskunst zu finden.

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Charakteristik des Ortes © Roman Sidler

Die Topographie bringt es mit sich, dass die neue und die historische Eisenbahnbrücke über den Hinterrhein aus verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommen werden: von oben von den umliegenden Höhen, von unten vom Ufer oder aus der Flussperspektive und auf Augenhöhe von den benachbarten Brücken. Die neue Eisenbahnbrücke soll dem hohen Standard der umgebenden Querungsbauwerke – neben der erwähnten Stahlfachwerkbrücke sind das unter anderem eine Stahlfachwerkbrücke als Straßenverbindung ins Dorf Reichenau, die Lavoitobelbrücke von Mirko Ros und Max Bill sowie die Rheinbrücke Tamins von Christian Menn – und ihrer Ingenieurkunst entsprechen.

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Die bestehende Eisenbahnbrücke zeichnet sich durch eine sehr hohe Transparenz aus. Dies hat zur Folge, dass die alte und die neue Brücke stets zusammen wahrgenommen werden und als Ensemble erscheinen. Dabei sollte nicht einfach die historische Brücke kopiert werden, vielmehr stellten wir uns eine harmonisch wirkende Ergänzung in einem mehr abstrakten Sinne vor. In Bezug auf Proportionen, Transparenz und Ingenieurfertigkeit sollte die neue Brücke ebenso unsere Zeit widerspiegeln, wie die historische Brücke den damaligen Stand der Technik verkörperte.

Skizze des Brückenentwurfs © Dissing+Weitling architecture

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Draufsicht als Visualisierung © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

Als besonders wichtig erachteten wir die Anforderung, dass, aus welchem Blickwinkel auch immer die beiden Brücken betrachtet werden, sie sich nicht gegenseitig stören, sondern wie im Zusammenspiel wirken. Eine in der Horizontale leicht vom linearen Bestand weggekrümmte Linienführung der neuen Brücke betont die Eigenständigkeit der beiden Strukturen und fördert ihren Dialog miteinander. Für die neue Hinterrheinbrücke haben wir eine Stahltrogkonstruktion entworfen, welche nicht über die Brüstung der historischen Brücke ragt. Sie wird durch jeweils zwei ineinanderlaufende Doppel-V-förmige Stahlstreben, die sogenannten Quadropods, die gleichsam vier Finger einer Hand bilden, auf Betonpfeilern abgesetzt. Die unterhaltsarme Konstruktion aus geschweißten, geschlossenen Blechkastenprofilen konnte dank Vorfabrikation transportfähiger Großteile im Werk

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und dem Zusammenbau zu noch größeren Komponenten auf dem Installationsplatz einfach und wirtschaftlich montiert werden. Die insgesamt acht bis zu 270 t schweren und 73 m langen Stahlelemente wurden mit Hilfe eines Raupenkrans in die Endposition gehoben bzw. längs eingeschoben. Die Vorfertigung führte zu einer hohen Verarbeitungsqualität und trug zu einem störungsarmen Bauprozess bei. Die neuen Betonstützen korrespondieren in Lage und Ausrichtung mit den Natursteinpfeilern der historischen Brücke. Als präzis geformte Körper aus sondergeschaltem Beton wurden sie beiderseits des Flussufers östlich und westlich des Hinterrheins in die Flucht der vorhandenen Pfeiler der alten Brücke gestellt. Der untere Abschluss der Quadropods liegt auf der Höhe der unteren Kante des Stahlfachwerks der historischen Brücke.

Ansichten von Norden und von Süden © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

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Damit entspricht die Höhe der neuen Stahlkonstruktion jener des bestehenden Stahlträgers, genauso wie die Pfeiler der alten und der neuen Brücke gleich hoch erscheinen. Während die Quadropods nach unten zusammenlaufen, weiten sich die Pfeiler gen Terrain quer zur Brückenachse markant auf und laufen in Längsrichtung leicht zu, um einen angemessenen Fußabdruck zu erzielen. Der Übergang wirkt fließend, mit Stahl und Beton in der gleichen Flucht. Die längsseitigen Außenflächen der betonierten Widerlager sind tangential zu den Außenflächen des Brückenträgers orientiert und infolgedessen leicht geneigt. Ein einheitliches Schalungsbild, welches an ein riesenformatiges Verbandsmauerwerk erinnert, verbindet Widerlager und Pfeiler der neuen Brücke zu einer Familie und kontrastiert das Zyklopenmauerwerk der bestehenden Widerlager.


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Längsschnitt und Lageplan © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

4 Die Nationalstraße A13 Die Betonbrücke über die Nationalstraße A13 und die Stützmauer östlich des Widerlagers der alten Stahlfachwerkbrücke wurden zurückgebaut, um eine Aufweitung des Lichtraumprofils von zwei auf drei Spuren zu ermöglichen. Damit die neue zweite Hinterrheinbrücke, welche eine kontinuierliche Struktur zwischen dem Damm im Westen und der Stützmauer östlich der A 13 bildet, und die Fachwerkbrücke nicht durch ein markantes drittes Brückenelement gestört werden, wurde im Entwurf die neue Hinterrheinbrücke über der A 13 so erweitert, dass sie beide Gleisstränge, also die neue und die alte Gleislinienführung, trägt. Diese Maßnahme definiert die historische Stahlbrücke eindeutig als die zuerst errichtete und reduziert die visuelle Vielfalt der Brückenlandschaft. Im

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weiteren Projektverlauf konnten die Linienführungen so weit angepasst werden, dass sie zwar jeweils auf einem eigenen Träger auflagern, was den Bauprozess wesentlich vereinfacht und die zukünftige Flexibilität massiv erhöht, aber durch die Verwendung des gleichen Trägers visuell noch immer eine Einheit bilden. Die begleitenden Massivkonstruktionen, wie zum Beispiel Stützmauer, Widerlager und die sichtbaren Fundamente, wurden sorgfältig in die Landschaft eingefügt, um eine ruhige, angepasste Erscheinung zu erreichen und die vorhandenen Natursteinsockel weitestgehend zu erhalten. Die östliche Widerlagerwand der Spannbetonbrücke wird zu jenem Zweck rückgebaut und an ihrer Stelle die bestehende Stützmauer ergänzt. Der Durchstoß der neuen Brücke durch diese Stütz-

mauer wird durch eine neue betonierte Mauerkrone, welche die Form der neuen Brücke aufnimmt, gefasst. Die neuen Massivkonstruktionen an der Straße sowie die spektakuläre V-förmige, parallel zur Straße ausgerichtete und damit schief zur Brückenachse stehende Stütze ergeben insgesamt eine harmonische Torsituation für die A 13. 5 Farbgebung Die Betonelemente, das heißt Widerlager, Pfeiler usw., haben analog zum umgebenden Gesteinsmaterial einen sanften hellgrauen Farbton und weisen eine glatte Oberfläche auf, die durch ein prägnant horizontalbetontes Schalungsmuster fein strukturiert ist.

Teilelemente der Brücke: Stützen, Pfeiler, Überbau, Widerlager © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

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10 Gesamtsituation mit Zweiter Hinterrheinbrücke nach Fertigstellung © Stéphane Braune

Sämtliche Stahlteile sind in einem hellgrauen Farbton, DB 702 zu DB 701, lackiert, welcher bei unterschiedlichen Blickwinkeln und Lichtverhältnissen vielfältig variiert. Da die beiden Brücken ein Ensemble bilden, aber gleichzeitig klar eigenständige Bauwerke sind, ist keine massive farbliche Differenzierung nötig. Die Fachwerkbrücke wird daher nach der Sanierung in einem leicht dunkleren Farbton, DB 703 zu DB 702, der gleichen Familie gestrichen. 6 Materialisierung Bedingt durch die räumliche Enge vor Ort und eine sehr komplexe verkehrstechnische Situation, wurde der Herstellungsund Wartungsfreundlichkeit große Aufmerksamkeit gewidmet. Dauerhaftigkeit und geringe Unterhaltskosten waren deshalb wesentliche Kriterien für das Projekt. Materialwahl und konstruktive Details sind so gewählt, dass der Unterhalt einfach und effizient ausgeführt werden kann – unter Berücksichtigung der nötigen Umweltmaßnahmen. Das durchgehende Tragwerk weist einzig im Bereich der Widerlager Fugen auf, die jedoch für Inspektion und Unterhalt einfach zugänglich sind. Nur die Ostseite der neuen Brücke verfügt über einen expliziten Fahrbahnübergang mit Schottertrennung. Er ist durch eine Vertiefung im Terrain auch von unten gut zugänglich, was einen einfachen Unterhalt erlaubt.

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Das Brückenträger besteht aus einem 6,30 m breiten Trogquerschnitt mit schlanken, geschweißten seitlichen Längshohlkastenträger, zwischen denen die querausgesteifte Fahrbahnplatte Schotter, Schienen und Kabelkanäle trägt. Die Unterflansche der Querrippen liegen dabei in einer Ebene mit den Untergurten der Hohlkästen, so dass die Untersicht des gesamten Trägers eine rhythmisierte Ebene bildet. Die Blechdicken der Hohlkästen mit geneigtem äußerem Steg werden gegen innen variiert, damit der Brückenträger eine über die ganze Länge konstante Höhe von 1,70 m und eine ununterbrochene, glatte Oberfläche zeigt. Die geneigten Streben der Quadropods bestehen wie die Längsträger aus geschweißten Hohlkästen. Ihre Form entspricht einem leicht tordierten Pyramidenstumpf. Sie sind untereinander und mit den Hohlkastenträgern integral verschweißt und mittels Bolzenlagern auf den Betonpfeilern befestigt. Die Arme der V-Stütze entlang der A 13 folgen derselben formalen Logik wie die Quadropods. Die V-Stütze ist in die Pfahlkopfplatte abgespannt, die Arme tragen den Brückenträger über Gleitlager und sind am Kopf mittels dreier Spannstangen ausgesteift. Für alle Stahlbauteile wurde Stahl der Festigkeitsklasse S 355 verwendet und alle Schweißnähte wurden auf voller Länge ultraschallgeprüft. Die Hohlkästen wurden als geschlossene Kästen ausgeführt, so dass die inneren Oberflächen keine Korrosionsschutzbehandlung erforderten. Alle äußeren Oberflächen wurden mit einem vierschichtigen Korrosionsschutz versehen, sämtliche Kanten abge-

rundet. Die konstruktiven Details sind so konstruiert, dass sich möglichst keine Schmutzkonzentrationen und Ablagerungen bilden können. Autoren: Steen Savery Trojaborg Architekt MAA Dissing+Weitling architecture, Kopenhagen, Dänemark Monika Schenk Landschaftsarchitektin, Geologin Hager Partner AG, Zürich, Schweiz Dr. Andreas Galmarini Ingenieur WaltGalmarini AG, Zürich, Schweiz Ian Firth Ingenieur COWI, London, England

Bauherr Rhätische Bahn (RhB) AG, Chur, Schweiz Architekten Arbeitsgemeinschaft: Dissing+Weitling architecture, Kopenhagen, Dänemark (Architektur) Hager Partner AG, Zürich, Schweiz (Landschaftsarchitektur) Ingenieure Flint & Neill Ltd. (COWI), London, England WaltGalmarini AG, Zürich, Schweiz Vermessung Donatsch + Partner AG, Landquart, Schweiz Prüfingenieur Prof. Dr. Peter Marti, Zürich, Schweiz Bauausführung Arbeitsgemeinschaft: Schneider Stahlbau AG, Jona, Schweiz (Stahlbau) Jörimann Stahl AG, Bonaduz, Schweiz (Stahlbau) Toscano Stahlbau AG, Realta, Schweiz (Stahlbau), J. Erni AG, Flims, Schweiz (Baumeister) Casutt AG, Falera, Schweiz (Erdarbeiten)


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BRÜCKEN BAUEN – MENSCHEN VERBINDEN

MIT UMFASSENDEN SIKA TECHNOLOGIEN FÜR DIE BRÜCKE BAUEN SIE SCHNELL UND EFFIZIENT. Korrosionsschutzbeschichtungen für Stahl 1 Brückenseile 2 Hohlkasten, Pylonen und Sichtflächen 3 Fahrbahn, Geh- und Radwege Abdichtungssysteme für Beton 4 Fugen 5 Fahrbahn Betoninstandsetzung 6 Oberflächenschutz 7 Mörteltechnologien 8 Rissinjektionen

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SYMPOSIUM Leuchtturmprojekt für das geplante Hochgeschwindigkeitsnetz

Colne Valley Viaduct als Referenzentwurf von Martin Knight, Héctor Beade Pereda, Bartlomiej Halaczek

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Colne Valley Viaduct im Bereich des zweiten Harefield Lake © Hayes Davidson/Knight Architects

Der 111 km² messende Colne-ValleyRegionalpark ist die erste zusammenhängende Grünfläche westlich von London und umfasst mehrere Wasserläufe, größere Teiche, Wiesen und Wälder. In Teilen unter Naturschutz stehend, gilt er als ein sehr beliebtes Naherholungsgebiet. Im Zuge des neuen Hochgeschwindigkeitsbahnprojektes HS2, das eine direkte Verbindung zwischen London und Birmingham herstellt, wird er künftig von einem 3,40 km langen Viadukt überquert werden. Knight Architects wurden zusammen mit Atkins von der Entwicklungsgesellschaft High-Speed Two Limited beauftragt, einen Referenzentwurf zu erarbeiten, welcher den Charakter des Parks respektiert und gestalterisch behutsam auf dessen Wesen reagiert. Die Weiterentwicklung des Entwurfs soll in Form eines Design-and-Build-Vertrags als Los gemeinsam mit zwei Tunneln an ein Baukonsortium vergeben werden.

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1 Anforderungen 1. 1 Gestaltung Der Colne Valley Viaduct wird das prominenteste und damit wichtigste Bauwerk im Verlauf der sogenannten High-Speed Two (HS2) Line sein, hauptsächlich wegen seiner Länge, seiner exponierten Lage und aufgrund der Positionierung in ebenjenem Regionalpark. Aus diesem Grund entwickelte das britische Parlament ein Konzeptpapier, in dem die Anforderungen an Gestaltung und Qualität festgeschrieben wurden: »(...) der Colne Valley Viaduct wird das herausragendste sichtbare Ingenieurbauwerk auf der HS2 Phase One Route (…). Angesichts der negativen Stimmung gegenüber dem Projekt bei der Lokalbevölkerung muss dieses Bauwerk der Landschaft mit Respekt begegnen, gleichzeitig soll es respektiert werden können. (…) Es soll mit viel Sympathie und Vorstellungskraft entworfen werden, so dass es als angemessenes Symbol für die künftigen Strecken des Hochgeschwindigkeitsnetzes gesehen werden kann.« Um auf möglichst alle Parteien Rücksicht nehmen zu können, wurde der Referenzentwurf auf Basis der Erkenntnisse aus mehreren Bürgerdialogen und Beteiligtenbefragungen erarbeitet. Dabei standen den Planern auch das HS2 Colne Valley Regional Park Panel (CVRPP) und das HS2 Independent Design Panel (HS2 IDP) beratend zur Seite.

Das Hauptanliegen des CVRPP war die Entwicklung von Maßnahmen zur Minimierung der negativen Ein- und Auswirkungen des CVV auf den Regionalpark. Das CVRPP repräsentiert Institutionen wie HS2, The Government’s Department for Transport, direkt betroffene Gemeinden, die Umweltbehörden Natural England, Environment Agency, Canal and River Trust, verschiedene Wildlife Trusts und die CVRP Community Interest Company. Das HS2 IDP wiederum ist eine unabhängige Beratungsgesellschaft, welche unter anderem prüft, ob die Methoden, die im Laufe des Projektes Anwendung finden, mit den Grundprinzipien von HS2 vereinbar sind. Die Gesellschaft setzt sich zusammen aus Experten unterschiedlicher Disziplinen, wie etwa Architekten, Stadtplanern, Landschaftsplanern, Produktdesignern, Umweltschutzexperten und Bauingenieuren.


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Untersuchung der Landschaftscharakteristika © Knight Architects

1.2 HSR Viaduktdesign Hochgeschwindigkeitsstrecken durchziehen diverse Landschaften, die, vom Passagiersitz aus gesehen, sich kontinuierlich und schnell abwechseln. Bauelemente, welche entlang einer solchen Route eingesetzt werden, sollten in ihrer Gestaltung auf diese Diversität reagieren und sich möglichst harmonisch in die jeweilige Umgebung einpassen. Aus dem Naturell von Hochgeschwindigkeitstrecken resultiert jedoch eine Reihe von Eigenschaften, welche die Gestaltungsfreiheit stark einschränken. So lässt der Streckenverlauf wenig Spielraum für die Berücksichtigung geographischer Gegebenheiten, stattdessen wird die Landschaft durch zahlreiche Brücken und Viadukte zerteilt, die teilweise signifikante Längen aufweisen. Da die Bahnviadukte wesentlich höheren horizontalen und vertikalen Kräften ausgesetzt sind als

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Planungsgebiet mit Standardkonzept als »Platzhalter« © Knight Architects

herkömmliche Straßenbrücken, führen allein schon solche Randbedingungen zu wesentlich robusteren Querschnitten und relativ kurzen Spannweiten, was den Entwurf von schlanken und eleganten Strukturen deutlich erschwert. Hinzu kommen sekundäre Aufbauten, wie Lärmschutzwände und Oberleitungsmaste. 2 Randbedingungen 2.1 Landschaftscharakter und Sichtverhältnisse Der Colne-Valley-Regionalpark besteht überwiegend aus Wald-, Wiesen- und vereinzelten Agrarflächen, aufgebrochen wird er jedoch durch größere Reservoirs, Kanäle und einen Fluss. Parallel zu ihm eine bestehende Bahnstrecke, und an einer Stelle wird er von der Bundesstraße A 412 und der Moorhall Road gekreuzt.

Der Charakter der Landschaft wird mitbestimmt durch ihre frühindustrielle Geschichte, bei den Reservoirs handelt es sich um geflutete Steinbrüche. Die an das Viadukt direkt angrenzenden Landschaften lassen sich in zwei Typen unterteilen: offene Wasser- und dichte Waldflächen. Für die Entwicklung eines einheitlichen Bauwerkstyps stellt dies eine Herausforderung dar, denn die Wasserflächen sind offen einsehbar und haben reflektierende Eigenschaften, während die bewaldeten Bereiche die Blickwinkel stark einschränken und etwaige Bauelemente nur in unmittelbarer Nähe erkennbar sind. Das heißt, in seiner Gesamtheit wird das Viadukt lediglich aus der Vogelperspektive wahrgenommen werden können, bodengebundene Beobachter werden lediglich Abschnitte betrachten können. Die zuvor genannten zwei Landschaftstypen, See und Forst, sind also die prägenden Motive des Parks, weshalb sich das Entwurfskonzept speziell an diesen beiden Merkmalen orientieren sollte. 2.2 HS2 Vorgaben, Streckenverlauf, Querschnitte Bei Auftragsvergabe waren sowohl die Streckenführung als auch die Gradiente bereits festgelegt. Letztere folgt im Wesentlichen dem Bodenverlauf, wobei sich die Fahrbahnebene ca. 10–15 m über dem Grund befindet. Diese Einschränkung ist aus gestalterischer Sicht problematisch, da die Viadukte unterhalb der Baumwipfel verlaufen und sie so aus der Ferne nicht auszumachen sind. Gleichzeitig führen die niedrige Höhe und die Massivität der Querschnitte zu einem sehr schweren Erscheinungsbild, das speziell auf Fußgänger erdrückend wirken wird. Andererseits bietet die niedrige Fahrbahnlage viel Potential, um mit Wasserspiegelungen über den Reservoirs zu »spielen«.

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Der Streckenverlauf umschreibt eine langgezogene Rechtskurve durch das Colne River Valley. Gekrümmte Grundrisse haben bestimmte geometrische Eigenschaften, die sich prägend auf die Gestaltung auswirken. Als Vorteil ist hier zu sehen, dass Reisende in einer Kurve die Chance haben, einen Blick auf das untenliegende Tragwerk zu werfen, was sonst nur bei obenliegenden Konstruktionen möglich ist. Allerdings sollte in einer Kurve immer auf die Stützenstellung geachtet werden. Das heißt, bei außenstehenden Stützenpaaren, wie sie sich in einem Trogbauwerk finden, resultiert aus ihrer radialen Anordnung der Eindruck eines unruhigen »Stützenwalds«, da sich der Blickwinkel auf die Querachsen permanent ändert. Die Randbedingungen für die Entwicklung des Querschnittes ergaben sich aus dem Lichtraumprofil der Bahn: Zwei parallelliegende Gleisachsen, beide zur Kurveninnenseite geneigt, die von zwei Notgehwegen sowie je einer Antientgleisungs-Vorrichtung auf beiden Seiten der Strecke flankiert werden, galt es unterzubringen. Oberleitungsmaste sind auf beiden Seiten der Strecke in einem Längsraster von 40–60 m zu platzieren sowie entlang größeren Streckenabschnitten zusätzlich eine Lärmschutzwand vorzusehen. Ein übergeordneter Planungsansatz, der sich auf die Lokalität bezieht, zugleich aber auch die technischen Vorgaben der Bahn integriert, schien am erfolgversprechendsten zu sein.

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Standardquerschnitt gemäß Vorgabe © Knight Architects

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Gekrümmter Grundriss samt Anordnung einer Lärmschutzwand © Knight Architects

3 Entwurfsintentionen 3.1 Leuchtturmprojekt Das Colne Valley Viaduct soll nach Wunsch des Bauherrn ein repräsentatives Beispiel für das gesamte HS2-Projekt sein – und entsprechend hoch waren die Erwartungen in puncto Entwurfsqualität. Die »Natur« des Bauwerkes stand jedoch im Gegensatz zur Vorstellung vieler beteiligter Parteien darüber, wie solch ein »Leuchtturmprojekt« auszusehen habe. So wurde der Wunsch nach einer Querung von signethaftem Charakter geäußert, belegt mit einem Bild von Virlogeux´s Millau-Viadukt. Da die Randbedingungen bei dieser Brücke aber vollkommen andere waren als im vorliegenden Fall, wie nicht zuletzt ein weitgespanntes tiefes Tal mit der Möglichkeit zur Ausbildung langer schlanker Stützen und einer exponierten Positionierung des Über-

baus, mussten die Erwartungen erst einmal mit der Realität zur Deckung gebracht werden. Während Millau von der Prominenz des Streckenverlaufes profitiert und daraus sich das gesamte Erscheinungsbild entwickelt, gilt es beim Colne Valley Viaduct einen Fokus auf dessen Eleganz zu legen. Entgegen dem additiven Vorgehen, bei dem ein Standardbauwerk durch Hinzufügen von Gestaltungselementen dekoriert wird, sollte hier ein reduktiver Ansatz Anwendung finden, um durch integrative Detaillierung, die Wahl möglichst schlanker Proportionen und eine quasi minimalistische Einbeziehung aller Komponenten die gewünschten gestalterischen Eigenschaften zu erzielen. 3.2 Proportionen Ein Viadukt, das sich in niedriger Höhe über dem Boden erstreckt, muss sinnhaft proportioniert werden. Die Verhältnisse zwischen Spannweite, Querschnittshöhe, Querschnittsbreite und Bauwerkshöhe sind die Hauptparameter, welche die Proportionierung beeinflussen: Zu kurze Felder entbehren der Dramatik eines weitgespannten Balkens, doch zu lange Felder bedingen wiederum massive Querschnitte, so dass die Unterseite der Brücke dem vor ihr stehenden Betrachter nahe kommt. Faktoren, die Leichtigkeit und Transparenz repräsentieren, wie Durchsicht und Lichtdurchlässigkeit, profitieren hingegen von größeren Öffnungsweiten, während gedrungene Deckquerschnitte den Passanten quasi erschlagen. Die richtige Balance zwischen all diesen Aspekten zu finden, entscheidet dementsprechend über Erfolg und Misserfolg des Konzeptes.


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Querschnittsentwicklung bis zur gewählten Variante (rechts) © Knight Architects

3.3 Charakteristische Bereiche und Qualität Wie zuvor erläutert, entscheidet die angemessene Reaktion auf die zwei definierenden Charakteristika des Parks, nämlich Forst und Gewässer, ob der Entwurf von den beteiligten Interessengruppen auch akzeptiert wird. Die Offenheit und damit die Einsehbarkeit der Gewässer begünstigt größere Spannweiten, die begrenzte Sicht in bewaldeten Zonen erlaubt aber kürzere Feldlängen zu realisieren. Ferner ist es essentiell, eine Beziehung zu den linearen Infrastrukturelementen herzustellen, die unter der Brücke verlaufen: Straßen, Wege, Kanäle, Flüsse. Dazu müssen die Pfeiler den Weg symmetrisch links und rechts flankieren, oder die Kreuzung wird zumindest durch den Einsatz eines Sonderquerschnittes oder »Feature Span« bewusst betont. Auch die Pfeilerform kann auf die Umgebung zugeschnitten werden. Die definierende Deckkante, sei es ein Randträger oder eine Kappe, sollte über die Länge des Viadukts Konsistenz bewahren, damit dessen lineare Erscheinung nicht gestört wird und es von nah wie fern wiedererkennbar bleibt.

Alle Bauteile, die an Fußgängerbereiche angrenzen, sind in puncto Qualität, Textur und Maßstab so zu gestalten, dass sie sich bei geringer Geschwindigkeit gut wahrnehmen lassen. Die Qualität in diesem Projekt bezieht sich auf das geometrische Gesamtdesign, die Auswahl der Materialien, die Verwendung der Textur für einige Oberflächen, die Art und Weise, wie diese Materialien in der Konstruktion verwendet werden, und die Gestaltung der Details. Da der Colne Valley Viaduct direkt an der Mündung eines Tunnels endet, ergibt sich die aufregende Gelegenheit, den Fahrgästen den dramatischen Wechsel zu einem offenen Ausblick über das Colne Valley zu bieten. Die Gestaltung der Lärmschutzwände muss deshalb zum Ziel haben, Funktion mit Transparenz zu paaren, um das Rauschen eines Zuges zu reduzieren und gleichzeitig die Aussichtsmöglichkeiten von der und auf die Brücke zu maximieren.

4 Musterentwurf 4.1 Hauptquerschnitt und Pfeiler Nachdem die zu realisierenden Designansprüche festgelegt worden waren, wurden die Konzeptoptionen mit ihnen abgeglichen, um sowohl die Planer bei der Erzielung der besten Lösung zu unterstützen als auch um den verschiedenen Interessengruppen die Angemessenheit dieses Entwurfes durch den Vergleich mit anderen zu erklären. Zwei Randbedingungen waren letztlich ausschlaggebend: der niedrige Verlauf der Strecke und deren Kurven bzw. Krümmungen, die sich auf die Wahl der Pfeilergeometrie auswirkten. Ein traditioneller Hohlkasten mit seitlichen Auskragungen hat sein gesamtes Tragvolumen unterhalb der Gleisebene. Und das rückt dessen Unterseite optisch näher an den Grund, gleichzeitig sind die Aufbauten wie Lärmschutzwand und Oberleitungsmaste als Additionen erkennbar. Ein U-förmiger Trogquerschnitt würde zwar die Unterseite der Brücke deutlich anheben, allerdings nur auf Kosten der Transparenz der Brücke, was speziell die Fahrgäste negativ betrifft. Ferner kann so ein Tragwerk entweder durch Pfeilerpaare (nicht erwünscht) oder durch massive Hammerkopfkonsolen abgefangen werden, wobei keine der beiden Optionen überzeugte.

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SYMPOSIUM Die vorgeschlagene Lösung kombiniert nun positive Elemente beider Überbautypen, indem sie mit einem Querschnitt zwischen Trog und Kastenträger aufwartet, der ebenso auf die HS2-Einschränkungen wie die Besonderheiten des Standorts reagiert: Die Höhe der Stege ist begrenzt, um die Sicht aus dem Zug frei zu halten und die Geräuschentwicklung der Räder dennoch zu dämpfen. Ein solcher Querschnitt hat eine geringere Höhe unterhalb der Fahrbahn, was ihn vom Boden besser absetzt, gleichzeitig werden die Aufbauten in ihrem Erscheinungsbild deutlich reduziert, da sie integraler Bestandteil der Tragstruktur sind. Der Querschnitt besitzt eine ausreichende Torsionssteifigkeit, so dass er sich mittig auf einem Zentralpfeiler lagern lässt. Damit wird die Gefahr des »Stützenwaldes« vermieden und das gesamte Bauwerk erscheint leichter. Die Pfeiler sind facettiert, um ihr Volumen weiter aufzubrechen. 4.2 Entwurfsprinzipien Zu Beginn der Analyse wurden viele Tragsysteme im direkten Vergleich mit der von HS2 vorgeschlagenen Lösung untersucht, wobei das Spektrum von einem konventionellen Durchlaufbalken mit 50–60 m Spannweite bis zu einem Mehrpylonschrägseilsystem mit 350 m langen Feldern reichte. Dies wurde unter anderem deshalb gemacht, um die Unangemessenheit solcher Systeme im gegebenen Kontext glaubhaft vermitteln zu können. 8

Vergleich der verschiedenen Tragsysteme mit Berücksichtigung der Spiegelungen © Knight Architects

Basierend auf früheren Designannahmen hatten alle Optionen zwei gemeinsame Merkmale: Einerseits bestanden die Überbauten aus klassischen, untenliegenden Hohlkästen, auf der anderen Seite erfolgte in ausgewählten Abschnitten die Ergänzung um entsprechende konstruktive Elemente, um längere Spannweiten von 100–115 m im Gewässerbereich erzielen zu können. Zu diesen Optionen gehörten auch ein Extradosedund ein Rohrsystem sowie mehrere Systeme mit variabler Bauhöhe, teils über und teils unter dem Deck angeordnet.

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Vorzugslösung für die Abschnitte oberhalb von Gewässerflächen © Knight Architects

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10 Visualisierung: Querung eines Teiches © Hayes Davidson/Knight Architects

Die bevorzugte Lösung geht von einem extrudierten Querschnitt konstanter Höhe im Waldbereich fließend in eine Reihe von 105 m weiten Feldern über, die mit ihrer Bauhöhe in Feldmitte bogenförmig in ein Paar V-Stützen überleiten. Dieses Konzept reagiert direkt auf die Charakteristika der einzelnen Areale, die das Viadukt kreuzt. Die Reflexionen im Wasser werden hier bewusst zur Verstärkung der visuellen Erscheinung genutzt. Die V-Stützen verjüngen sich zudem nach unten, was der Brücke eine zusätzliche Leichtigkeit verleiht, so dass es letztlich scheint, als ob sie über die Wasseroberfläche springen würde. Die großen Öffnungen zwischen den V-Stützen erzeugen den Eindruck der Transparenz, die bewaldeten Seeufer bleiben durch das Viadukt hindurch sichtbar. Die Facettierung der Deckunterseite und der V-Stützen brechen zudem das Licht und tragen so zur weiteren Verschlankung des Bauwerks bei. Als Hauptmaterial wurde Beton gewählt, da er günstig in der Instandhaltung ist, gute Dämpfungseigenschaften aufweist und optisch auf würdevolle Art altert.

11 Fließender Übergang von Wald- zu Seefeldern © Knight Architects

Die Nachteile, die mit einer solch massiven Konstruktion verbunden sind, lassen sich hier als verhältnismäßig überschaubar einstufen, da alle Bereiche des Viadukts gut zugänglich sind und auch die geringe Tiefe der Teiche von ca. 5 m keine Probleme beim Aufbau einer Schalung bereiten sollte. 4.3 Querung der A 412 Aber nicht nur im Seebereich sind besondere Feldlängen notwendig, auch die schleifende Kreuzung mit der Straße A 412 bedingt ein Feld von ca. 80 m Spannweite. Eine bogenartige Lösung wurde aufgrund von geometrischen

Konflikten mit dem Lichtraumprofil der Straße verworfen, stattdessen erfolgt die Wahl eines Trogquerschnitts mit variabler Bauhöhe. Dieser Querschnitt führt die architektonische Sprache des Viaduktes gleichsam fort, indem die Bögen der Wasserquerung geometrisch um die Deckachse nach oben gespiegelt werden. Zur Lastabtragung muss bei den Pfeilern allerdings eine Ausnahme gemacht werden, denn hier werden sie tatsächlich als Paare ausgebildet. Die Besonderheit der Situation, einer Kreuzung, erlaubt jedoch einen solchen Kunstgriff, da für die Autofahrer so auch ein Portal entsteht.

12 Sonderbauwerk über der Bundesstraße © Knight Architects

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13 14 15 »Waldquerschnitt« mit integriertem Geländer sowie Lärm- und Vogelschutz © Knight Architects

4.4 Aufbauten und Ausstattung Alle nichttragenden Bauteile auf dem Deck wurden mittels eines holistischen Ansatzes so entwickelt, dass sie sich visuell in das Bauwerk integrieren. Das System besteht aus einer Folge relativ dicht angeordneter Edelstahlstangen mit dreieckigem Querschnitt, welche die

16 Colne Valley Viaduct im Bereich des zweiten Korda Lake © Hayes Davidson/Knight Architects

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Neigung der oberen Außenflächen des Überbaus weiterführen. Diese Elemente sind in ihrer Höhe gestaffelt – zwei von je vier sind 1,25 m hoch –, so dass sie im unteren Bereich als Geländer fungieren, während die längeren Stäbe die Aufgabe des Fledermaus- und Vogelschutzes

übernehmen. Dort, wo ein zusätzlicher Lärmschutz benötigt wird, lassen sie sich zusätzlich mit transparenten Acrylglasplatten ausfachen. Die Oberleitungsmasten sind ebenfalls Sonderentwicklungen, die der Neigung der Außenwände zur Deckmitte folgen.


SYMPOSIUM

Die Verwendung dreieckiger Querschnitte ergibt ein transparentes Erscheinungsbild für die Parkbesucher, wenn sie das Viadukt aus der Ferne betrachten. Aufgrund ihrer Reihung und Schlankheit bleiben sie für HS2-Benutzer, die aus dem Zugfenster blicken, hingegen nahezu unsichtbar, zumal sie durch die hohe Fahrgeschwindigkeit und ihren geringen Abstand optisch zu einer Art leichtem Grauschleier verschwimmen. 5 Zusammenfassung In Anbetracht der Tatsache, dass die Lose für die Hauptabschnitte des HS2 auf Basis eines Design-and-Build-Vertrages vergeben werden, war es enorm förderlich, diesem Verfahren die Entwicklung eines Musterentwurfs vorzuschalten, um die Anforderungen, Einschränkungen und Möglichkeiten, die das Gesamtprojekt bestimmen, detailliert untersuchen zu können.

Der letztlich erarbeitete Entwurf, der sowohl von den verantwortlichen Gremien als auch von den einzelnen Interessengruppen außerordentlich positive Unterstützung erfahren hat, wird nun als Referenz und Maßstab für die weiterbeauftragten Leistungen dienen. Er reagiert in respektvoller Weise auf die variierenden Charakteristika des Parks und berücksichtigt bewusst die Benutzerwahrnehmung entlang dem und unterhalb des Bauwerks. Gleichzeitig erfüllt er den Anspruch, den Eingriff in die Natur nach Möglichkeit zu minimieren.

Auftraggeber HS2 Ltd, Birmingham, England National Rail Enquiries Ltd., London, England Referenzplanung Knight Architects, High Wycombe, England WS Atkins PLC, London, England

Autoren: Martin Knight BA (Hons) Dip Arch Héctor Beade Pereda MEng Civil Engineer Dipl.-Ing. Bartlomiej Halaczek Knight Architects, High Wycombe, England

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SYMPOSIUM Montageplanung und Ausführung

Bogibeel Bridge in Indien von Jens Schülke

Dieser Beitrag beschreibt die Montageplanung und die Ausführung der Bogibeel Bridge über den Brahmaputra, der längsten kombinierten Eisenbahn- und Straßenbrücke Indiens. Neben der Erläuterung der Gründe und Einflussfaktoren, die zu der gewählten Montagetechnologie geführt haben, wird die statische und technische Umsetzung des gewählten Verfahrens vorgestellt. 1 Einleitung Die nordöstlichen Bundesstaaten Indiens, die auch als »Sieben Schwesterstaaten« bezeichnet werden, gerieten nach der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans 1947 in eine isolierte Lage. Das zwischen den nordöstlichen Bundesstaaten und dem Rest Indiens liegende Ostbengalen kam im Zuge dieser Teilung zu Pakistan und machte sich 1971 als Bangladesch unabhängig. Als Folge dessen sind die »Sieben Schwesterstaaten«, in denen lediglich 4 % der indischen Bevölkerung leben, heute nur über einen schmalen, an der engsten Stelle lediglich 20 km breiten Korridor mit dem Rest des Landes verbunden. Der Nordosten Indiens ist wirtschaftlich auf diese Verbindung angewiesen, der Frachtverkehr läuft über den Hafen von Kolkata, nicht über den eigentlich viel näheren von Chittagong in Bangladesch. Die indische Armee zeigt in dem strategisch exponierten Gebiet massive Präsenz, nachdem im Indisch-Chinesischen Krieg von 1962 chinesische Truppen vorübergehend den schmalen Durchgang besetzten und damit Nordostindien vom Hauptteil des Landes abschnitten. Um die wirtschaftliche Entwicklung des lange Zeit vom Mutterland vernachlässigten Nordostens zu beschleunigen, werden seit einigen Jahren unter anderem große Infrastrukturprojekte in der Region realisiert. Ein zentraler Punkt ist hierbei die Verbindung der beiden Ufer des Flusses Brahmaputra, der den Landstrich und insbesondere den größten Bundesstaat

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Lage der Brücke im Nordosten Indiens © Hindustan Construction Company

Assam prägt. Der Brahmaputra bildet den Hauptstrang des sogenannten Meghna, des wasserreichsten Flusses Asiens. Nach dem Zusammenfluss mit dem Ganges und weiterer Flüsse spannt er bei seiner Mündung im Golf von Bengalen das flächenmäßig größte Delta auf, allgemein bekannt als Ganges-Delta. Die Bogibeel Bridge, die den Brahmaputra auf einer Länge von 4,94 km unterhalb der Stadt Dibrugarh im äußersten Nordosten des Bundesstaates Assam überquert (Bild 1), ist eines der großen Infrastrukturprojekte in dieser Region. Die Brücke soll die bisher kaum entwickelte Gegend nördlich des Brahmaputra, den Bundesstaat Arunachal Pradesh, erschließen. Da sich im Bundesstaat Arunachal Pradesh ca. 75 % der 4.000 km langen Grenze zu China befinden, besitzt die Brücke ebenfalls eine große militärische Bedeutung für Indien. Das Bauwerk, das eine zweigleisige Eisenbahnbrücke und eine dreispurige Straße überführt, war bei Baubeginn die vierte Brücke über den Brahmaputra. In der Zwischenzeit wurde ca. 150 km flussaufwärts eine weitere und damit die fünfte Brücke für den Straßenverkehr errichtet. Die nächste Straßenbrücke flussabwärts befindet sich ca. 300 km in Tezpur, die nächste Eisenbahnbrücke in der Provinzhauptstadt Guwahati ist ca. 500 km entfernt.

Die Bogibeel Bridge wird durch die North-East Frontier Railways (NFR) bzw. durch die staatliche indische Eisenbahngesellschaft gebaut. Die Entwurfs- und Ausführungsplanung der Brücke erfolgten in einer Zusammenarbeit des staatlichen indischen Büro Rites Limited mit dem Büro Rambøll, die statische Prüfung oblag Anwikar Consultants. Der Auftrag zum Bau des Überbaus – mit den Unterbauten wurde bereits im Jahr 2008 in einem gesonderten Auftrag begonnen – wurde im Jahr 2012 an ein Konsortium, bestehend aus den indischen Bauunternehmen Hindustan Construction Company (HCC) und VNR Infrastructures Limited sowie der DSD Brückenbau GmbH, erteilt. Während die beiden indischen Firmen für die Fertigung der Brücke verantwortlich waren, war DSD für die Planung und Berechnung des gesamten Montagevorgangs der Brücke zuständig. Die Planung der gesamten Montage der Brücke sowie die Ermittlung des Einflusses auf die für den Endzustand übergebene Materialverteilung waren durch die ausführenden Firmen zu erbringen. Für die statische Berechnung der Montagezustände und der Hilfskonstruktionen wurde von DSD das Büro Schüßler-Plan, Berlin, eingebunden.


SYMPOSIUM

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Längsansichten des Überbaus © DSD Brückenbau GmbH

2 Beschreibung des Bauwerks Die Bogibeel Bridge ist eine kombinierte Eisenbahn- und Straßenbrücke: Sie überführt eine zweigleisige Eisenbahnstrecke und eine dreispurige Straße über den Brahmaputra. Die Brücke verläuft im Grund- und im Aufriss über eine Länge von 4,94 km vollkommen gerade. Das Bauwerk besteht aus einer Reihe von insgesamt 39 identischen Einfeldträgern mit einer Regelspannweite von 121,60 m (Bild 2). An insgesamt 40 Brückenpfeilern, die einen Achsabstand von 125 m aufweisen, lagern somit immer jeweils zwei Träger mittels insgesamt vier Kalottenlagern auf. Die anschließenden Endfelder werden als Einfeldträger mit einer Spannweite von jeweils 32,75 m ausgeführt. Auf dem Nord- und Südufer schließen ca. 800 m lange Rampenbauwerke aus Beton an, welche die oberhalb der Eisenbahnlinie verlaufende Straße im Rampenbereich auf das Geländeniveau überführen.

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Gründung der Pfeiler © DSD Brückenbau GmbH

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Regelquerschnitt © DSD Brückenbau GmbH

Der Querschnitt der Brücke (Bild 3), der weitestgehend an jenen der ÖresundBrücke zwischen Dänemark und Schweden erinnert, besteht aus zwei außenliegenden Fachwerkhauptträgern aus Stahl, die in einem Achsabstand von 10,60 m angeordnet sind. Die Fachwerkhauptträger sind am Untergurt an den Fachwerkknoten durch einen Querträger angebunden. Die Querträger bilden die Auflager für die insgesamt vier Längsträger, die jeweils unter den Gleisen als Einfeldträger (stringer) konzipiert wurden. Die Obergurte der Fachwerkhauptträger sind im Abstand von ca. 3,00 m durch Querträger miteinander verbunden, über Kopfbolzendübel sind der Obergurt und die Querträger mit der anschließenden Betonplatte gekoppelt. Die Betonplatte ist am Anschnitt zu den Auflagern 40 cm und in den Feldbereichen 25 cm dick. Die Pfeiler bestehen aus zwei runden Stützen mit einem Durchmesser von 5,30 m und einer Wanddicke von 1,00 m (Bild 4).

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SYMPOSIUM Die Stützen werden durch eine 1,20 m dicke Platte am Kopf der Stützen und durch eine 2,20 m dicke Gründungsplatte verbunden. Die Tiefgründung der Pfeiler erfolgte als Brunnengründung, die bis zu einer Tiefe von 60,00 m in das Flussbett des Brahmaputra geführt wurde, da unter anderem bis 35,00 m tiefe Auskolkungen an der Gründung berücksichtigt werden mussten. Die Einfeldträger sind über Kalottenlager statisch bestimmt auf den Stützen gelagert. Zur Aufnahme der Erdbebenlast befinden sich mittig zwischen den Lagern zusätzliche Festhaltungen. Als Stahlgüte wurde ein Stahl E 410 – er entspricht weitestgehend einem S 420 nach EN 10025 – gemäß den indischen Standards IS 2062 und IS 8500 verwendet, lediglich die Verbände und die Querträger wurden aus einem Stahl der Güte E 250, der einem S 235 nach EN 10025 weitestgehend ähnelt, hergestellt. Zusätzlich zu den Anforderungen aus den indischen Normen wurden an den Grobblechen Ultraschalltests nach EN 10160 durchgeführt. Die Herstellung erfolgte generell auf Grundlage der EN 1090-2, das heißt, auch für die Schweiß- und Korrosionsschutzarbeiten galten die entsprechenden europäischen Normen. Die Querträger sowie die Ober- und Untergurte der Fachwerkträger wurden mit einer Spritzverzinkung und einer anschließenden Deckbeschichtung konserviert. 3 Randbedingungen Die Montagetechnologie wird maßgeblich durch die Lage der Brücke und die dortigen hydraulischen Gegebenheiten des Brahmaputra sowie durch die vorhandene Infrastruktur bestimmt (Bilder 5 und 6). Als mögliche Technologien kamen nur die Montage mit Hilfe eines Schwimmund/oder Mobilkrans oder eine Montage mittels Taktschieben in Frage.

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Gesamtbauwerk im Montagezustand © Hindustan Construction Company

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Eine Errichtung der Brücke mit Hilfe eines Schwimmkrans ist lediglich in einem Quartal realisierbar, da der Brahmaputra nur maximal drei Monate im Jahr schiffbar ist. In der Zeit des Monsuns von Mai bis September steigt der Wasserspiegel im gesamten Flussbett um ca. 8 m an, und die mittlere Abflussgeschwindigkeit wächst auf 55.000 m³/s; zum Vergleich: Beim Rhein beträgt der Abfluss maximal 2.300 m³/s. Ein Arbeiten mittels Schwimmkrans ist somit nur innerhalb von drei Monaten und zudem in den Wochen nach Ende des Monsuns möglich. In der restlichen Zeit besteht der Brahmaputra aus mehreren kleineren Flussläufen mit dazwischenliegenden Inseln. Auch in dieser Zeit ist aufgrund der Bodenverhältnisse – das Flussbett besteht ausschließlich aus sehr feinem Sand – eine Montage mit Mobilkränen bei zu hebenden Gewichten eines Einfeldträgers von 1.800 t nicht machbar. Im Fall einer Errichtung im Vorschubverfahren ist zu berücksichtigen, dass das Nordufer des Brahmaputra verkehrstech-

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Luftbild der Baustelle © Hindustan Construction Company

nisch nur sehr unzureichend erschlossen ist. Die nächste Brücke über den Brahmaputra befindet sich, wie erwähnt, in mehr als 300 km Entfernung. Gutausgebaute Straßen und Eisenbahnstrecken sind auf dem Nordufer fast gar nicht vorhanden. Die Verbindung zwischen den beiden Ufern erfolgt hauptsächlich über Fähren, wobei deren Verkehr stark von den Wasserspiegelschwankungen des Brahmaputra abhängt. Während in der Monsunzeit wegen der hohen Fließgeschwindigkeiten kein Fährverkehr stattfinden kann, müssen die Fähren bei Niedrigwasser oft einen Umweg von mehreren Kilometern fahren, um in schiffbare Bereiche zu gelangen. Aufgrund der schlechten verkehrstechnischen Anbindung des Nordufers wurde der Vormontageplatz nur auf dem Südufer eingerichtet. Der Einschub der gesamten Brücke musste somit ebenfalls vom Südufer erfolgen. Dort wurde neben dem Vormontageplatz die komplette Baustelleneinrichtung inklusive einer Fertigungswerkstatt installiert.


SYMPOSIUM 4 Fertigungs- und Montageablauf Auf der Südseite des Brahmaputra wurden ein Camp – auf der Baustelle waren bis zu 3.000 Leute bzw. Arbeiter beschäftigt - und eine ca. 9.000 m² große Fertigungswerkstatt errichtet (Bilder 7 und 8). Die insgesamt ca. 80.000 t Stahlblech für die Brücke und die Hilfskonstruktionen wurden per Zug und Lkw von diversen Walzwerken aus ganz Indien antransportiert. In der Werkstatt erfolgte die Vorfertigung der Knotenpunkte, der Fachwerkdiagonalen, der Querträger sowie aller weiteren Bauteile. Da das Schweißen einer Fachwerkbrücke für den Eisenbahnverkehr in Indien ein Novum war, wurden die Knotenpunkte zunächst als Holzkonstruktionen hergestellt, um so Rückschlüsse für den Zusammenbau und die erforderlichen Schweißarbeiten zu erhalten. Hinter dem Widerlager am Nordufer des Brahmaputra wurde ein ca. 800 m langer Taktkeller eingerichtet. In den hinteren, jeweils 150 m langen Hallen wurden die in der Werkstatt vorgefertigten und bis zur Zwischenbeschichtung konservierten Bauteile zunächst in liegender Position zu größeren Montageeinheiten verschweißt (Bild 9). Jeder Fachwerkhauptträger wurde dafür in fünf Montageeinheiten unterteilt, die dann mit Hilfe zweier Portalkräne mit einer Gesamttragkraft von 160 t zu einer anschließenden Freifläche transportiert wurden. Dort erfolgten das Aufrichten der Montageeinheiten mittels Kippkonstruktion (Bild 10) und ihr Weitertransport in die 300 m lange Vormontagehalle. In dieser Halle wurden die aufgerichteten Montageeinheiten zu den beiden Fachwerkträgern verschweißt und die Querträger der

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Vormontage in horizontaler Lage © Hindustan Construction Company

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Baustelleneinrichtung und Fertigungswerkstatt auf dem Südufer © Hindustan Construction Company

unteren sowie die Verbundträger der oberen Ebene ergänzt. Nach Abschluss der Schweißarbeiten wurde der fertige 125 m lange und 1.800 t schwere Träger

freigesetzt. Hierzu wurden an den Lagerpunkten jeweils 450-t-Pressen positioniert, um den Überbau bis zum Freisetzen von den Montagestapeln anzuheben.

10 Drehen der Bauteile am Vormontageplatz © Hindustan Construction Company

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11 Verschubsystem als Prinzipskizze © DSD Brückenbau GmbH

In jenem Zustand wurden die Überhöhung sowie die Verdrehung des Fachwerkuntergurtes kontrolliert und mit den Toleranzvorgaben aus der statischen Berechnung abgeglichen. Danach wurde der Brückenträger auf Gleitschlitten abgesetzt und mittels Hydraulikpressen in den letzten Bereich der Halle vorgeschoben. Dort erfolgte neben den Korrosionsschutzarbeiten der Anschluss an den bereits eingeschobenen Brückenträger. Nach Beendigung der genannten Arbeiten wurde der Brückenzug um 125 m vorgeschoben, wobei im Taktkeller Gleitschlitten und ein zusätzliches Verschublager Verwendung fanden. Das zusätzliche Verschublager war erforderlich, um Höhenkorrekturen (Stützensenkungen und -hebungen) bis zu 300 mm beim Einschieben der jeweils ersten beiden Träger durchzuführen. Ohne diese Höhenkorrekturen, die im Wesentlichen die Überhöhung des Fachwerkträgers und die daraus resultierende Stützensenkung ausglichen, wären die zulässigen Lasten der Verschubbahn und des Verschublagers überschritten worden. Die Höhenkorrektur war ferner am Ende eines jeden Verschubvorganges für den geometrisch korrekten Anschluss der Träger untereinander notwendig, sie erfolgte mit Hilfe von Hydraulikpressen und dem Ein- bzw. Ausbau von Futterplatten.

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Die Fertigung und der Verschub der 39 Brückenträger beanspruchten einen Zeitraum von ca. 43 Monaten. Die Träger einer Verschubeinheit waren bis auf den ersten und letzten – bei selbigen mussten die Bleche aufgrund der Beanspruchung aus dem Einschubvorgang verstärkt werden – vollkommen identisch. Die große Anzahl der Träger sowie deren weitestgehend identische Ausführung ermöglichten eine kontinuierliche Optimierung des Fertigungs- und Montageablaufes. Für den Fertigungszyklus eines Fachwerkträgers mit 1.800 t konnten somit zum Ende des Projektes Durchläufe von drei Wochen erreicht werden, das heißt, alle drei Wochen erfolgte der Vorschub eines weiteren Trägers. 5 Montagetechnologie Damit die Brücke mittels Vorschubverfahren errichtet werden kann, müssen die Einfeldträger durch Hilfskonstruktionen zu einem Durchlaufträger zusammengeschweißt werden. Für den Verschub der gesamten Brücke mit einer Masse von ca. 70.000 t wären theoretisch bei Ansatz eines Reibungskoeffizienten von 5 % Vorschubkräfte von 3.500 t erforderlich. Um die erforderliche Kraft und die Verschublänge auf ein baupraktisches Maß zu begrenzen, wurde die Brücke in insgesamt vier sogenannte Verschubeinheiten unterteilt. Die ersten drei Verschubeinheiten bestanden jeweils aus zehn, die vierte und letzte Einheit aus neun Einfeldträgern mit jeweils 125 m Länge. Damit konnte die maximale Verschubkraft auf ca. 900 t reduziert werden.

Die Fachwerkträger wurden auf dem südlichen Ufer vormontiert und zu einem Durchlaufträger verschweißt. Der Einschub erfolgte unter Verwendung von zwei hydraulischen 1.000-t-Litzenhebern, die am ersten Brückenpfeiler in der Achse 1 installiert wurden. Die Litzenheber ziehen die am Ende des Überbaus verankerten Litzen mit einem Hub von 40 cm vorwärts. Mittels dieser bewährten Technik und der in Abschnitt 7 detailliert beschriebenen Verschublager erfolgte der feldweise Verschub der ersten zehn Fachwerkträger. Zur Reduzierung der Beanspruchungen aus Zwischenbiegung im Untergurt des Fachwerkträgers wurden sechs Fachwerkscheiben des ersten und letzten Trägers um A-förmige Hilfsaussteifungen ergänzt. Ferner wurden dort die Längsträger für die Schienen zur Lastreduzierung erst nach dem Verschub montiert (Bild 11).


SYMPOSIUM

Da der Verschub, wie bereits erläutert, nur vom Südufer des Brahmaputra erfolgen kann, musste die Verschubeinheit, die aus zehn Fachwerkträgern und einem Vorbauschnabel besteht, über alle vorhandenen Pfeiler bis zum Nordufer geschoben werden. Hierfür wurde an der Verschubeinheit zusätzlich ein Nachlaufschnabel angebracht (Bilder 12 und 13).

12 Struktur des Vorbauschnabels © Hindustan Construction Company

13 Gliederung in Verschubeinheiten © Hindustan Construction Company

Der Vorbau- und der Nachlaufschnabel wurden als geschraubte, kleinteilige Konstruktion ausgeführt. Das war erforderlich, da beide Konstruktionen im Zuge des Montagevorganges über dem Flussbett wieder demontiert werden mussten, und zwar aufgrund der Untergrundverhältnisse im Flussbett mit möglichst kleinen Hebezeugen. Der Vorbau- und der Nachlaufschnabel wurden identisch mit einer Länge von jeweils 52 m realisiert. Wegen der Vielzahl der Verschubvorgänge wurden sie ohne eine planmäßige Aufkletterkonstruktion errichtet. Das Aufbzw. Runterfahren von den Verschublagern wurde durch einen Anzug des Untergurtes um 1,50 m sichergestellt, der die Verformungen des auskragenden Fachwerkträgers beim Verschubvorgang ausgleicht. Das Gewicht des Vorbau- bzw. Nachlaufschnabel betrug jeweils 190 t.

Damit der weitere Einschub der 1.354 m langen Verschubeinheit erfolgen konnte, mussten die Vorschubpressen nach dem Anbau des Nachlaufschnabels vom Pfeiler in Achse 1 auf den in Achse 11 umgebaut werden, wobei nach jedem Vorschub um die Regelspannweite von 125 m auch die

Litzenverankerung am Überbau um ein Feld zu versetzen war. Mit dem Umbau der Verankerung mussten nach jedem Vorschub auch die jeweils 35 Litzen der beiden Litzenheber umgebaut werden (Bild 14).

14 Verschubsystem: mittlere Sektion © Hindustan Construction Company

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SYMPOSIUM

Die Verschubeinheit wurde nach diesem Prinzip feldweise über den Brahmaputra verschoben. Um die Endposition am Nordufer zu erreichen, waren die Vorschubpressen zwei weitere Male zu versetzen (Pfeiler in Achse 21 und 31). Nach Erreichen der Endposition wurden der Vorbau- und der Nachlaufschnabel demontiert und die temporären biegesteifen Verbindungen zwischen den einzelnen Fachwerkträgern entfernt. Zum Einbau der endgültigen Lager wurden die Überbauten über Lagerstapel und Hydraulikpressen um 1,50 m abgesenkt. Der Einschub der weiteren drei Verschubeinheiten erfolgte anlog dem beschriebenen Vorgehen. Hierbei musste bei dem jeweils letzten Verschub der Vorbauschnabel sukzessive demontiert werden, um nicht mit der bereits eingeschobenen Verschubeinheit zu kollidieren. Das Verschublager wurde für diesen Verschub nicht auf dem Pfeiler, sondern auf einer zusätzlichen Hilfskonstruktion neben ihm positioniert. Im Anschluss an die Verschubarbeiten wurden die beiden Randfelder der Brücke mittels Mobilkränen ergänzt. Abschließend begannen das Betonieren der Fahrbahnplatte, die Montage der Gleise und der weitere Ausbau.

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6 Montageplanung Die statische Berechnung der beschriebenen Montagetechnologie erfolgte auf Basis des Eurocode 3. Der Fachwerkträger wurde mit den für den Endzustand der Brücke ermittelten Blechdicken ins Programmsystem Sofistik implementiert. Zusätzlich wurde die für den Endzustand ermittelte Überhöhung von ca. 300 mm in Feldmitte bei der Berechnung der Verschubzustände berücksichtigt. Da sich die maßgebenden Beanspruchungen aus dem Verschub im Überbau hauptsächlich in den beiden Endfeldern sowie dem anschließenden Feld auswirken, wurde die Berechnung statt an einem Zehnfeld- an einem Sechsfeldträger durchgeführt. Für die Verschublager wurden Ansätze zur Lasteinleitungslänge und zur Lastverteilung auf die Stege der Fachwerkuntergurte getroffen, die durch zusätzliche Finite-Elemente-Berechnungen verifiziert wurden. Sämtliche Berechnungen zu den Verschubzuständen wurden vom Büro Rambøll geprüft. Zusätzlich zu den ständigen Lasten, den Arbeitslasten beim Verschub sowie den Wind- und Temperaturbeanspruchungen mussten für die sogenannten Haltepositionen Erdbebenlasten berücksichtigt werden. Die Brücke liegt nach der indischen Norm IS 1893 in der Zone V mit hoher seismischer Aktivität. Für den Verschubzustand wurden 50 % der Erdbebenlasten angesetzt, wobei die Berechnung ergab, dass selbige gegenüber den angesetzten Windlasten nicht maßgebend werden. Die Brücke wurde für Windlasten von 1 kN/m², entsprechend einer Windgeschwindigkeit von 40 m/s, bemessen. Zusätzlich wurden für die Verschubzustände unter Ansatz einer Windgeschwindigkeit von 20 m/s dynamische Berechnungen durchgeführt. Die dynamische Windanalyse zeigte, dass bis zu einer Windgeschwindigkeit von 20 m/s die Zusatzlasten aus den dynamischen Effekten durch die angesetzte Windlast von 1 kN/m² abgedeckt waren. Generell erfolgte der Verschub nur bei Windlasten bis maximal 15 m/s. Im Falle einer Havarie während des Verschubvorganges und auftretender Windgeschwindigkeiten ≥ 20 m/s wurden Maßnahmen vorgesehen, den auskragenden Vorbauschnabel kurzfristig diagonal mit Seilen am nächsten Pfeiler zu verankern.

Infolge der Verschublasten mussten die Diagonalen und der Fachwerkuntergurt um insgesamt 2.050 t verstärkt werden, was bei einer Gesamttonnage von 70.000 t ein Massenzuwachs von 3 % bedeutete. Weitere Verstärkungen konnten trotz der sehr großen Verschublasten von 19 MN durch die Konstruktion der Verschublager und die Anordnung von zusätzlichen temporären Diagonalen im Bereich der maximalen Beanspruchungen vermieden werden. Die Standsicherheit der Pfeiler in den Achse 1, 11, 21 und 31, die durch die Einleitung der horizontalen Vorschublast von 900 t belastet werden, war zu überprüfen. Dabei galt es zu berücksichtigen, dass die zusätzliche Horizontallast ohne eine Auflast aus dem Überbau auftreten kann. Die Verschublager wurden so auf dem Pfeiler angeordnet, dass die aus der Auflast und der Ausmitte resultierenden Momente jenem aus der Verschubkraft im Pfeiler entgegenwirken. Für die Standsicherheitsnachweise wurde auf Basis der Entwurfsgrundsätze und in Abstimmung mit dem Prüfer eine Auskolkung von maximal 18 m angesetzt. Diese Auskolkungstiefe wurde auch beim Standsicherheitsnachweis für den Endzustand der Brücke in Überlagerung mit den Erdbebenlasten angesetzt. Es konnte gezeigt werden, dass die horizontalen Verschublasten sowie die exzentrisch auf den Überbau wirkenden vertikalen Verschublagerlasten gegenüber den Lasten im Endzustand nicht maßgebend werden. Nach dem Einschubvorgang waren die temporären Verbindungen zwischen den Einfeldträgern wieder zu entfernen. Die Verschubeinheit trägt in der Endlage allerdings weiterhin als Durchlaufträger mit einem Stützmoment an den Pfeilerachsen. Bevor die temporären Verbindungen zwischen den Ober- bzw. Untergurten entfernt werden konnten, war es erforderlich, die dort vorhandenen Kräfte weitestgehend zu reduzieren. Hierfür wurde ein Ablaufplan entwickelt, der jenen Zustand durch Absenken der betreffenden Auflagerachse und gleichzeitiges Anheben der benachbarten Lagerachsen mittels hydraulischer Pressen erreicht. An jedem Pressenauflagerpunkt waren hierfür zwei 600-t-Pressen erforderlich.


SYMPOSIUM

7 Verschublager Als maximale Lagerlast (Designlasten) aus dem Einschubvorgang wurden ca. 19 MN ermittelt. Die Verschublager, die in der Stahlgüte E410 gefertigt wurden, bestanden aus einem Stahlhohlkasten mit einer Länge von 5,70 m. Eine statisch bestimmte Lagerung des Überbaus in Brückenquerrichtung auf den Verschublagern mit zwei -ebenen, zum Beispiel den jeweiligen Innenstegen der beiden Fachwerkträgeruntergurte, hätte zu erheblichen Verstärkungen im Steg des Fachwerkuntergurtes geführt. Um diese Massenerhöhungen zu vermeiden bzw. auf ein maximales Maß von 3 % der Gesamttonnage zu begrenzen, wurden Verschublager entwickelt, die für jeden Fachwerkträgeruntergurt zwei Verschubebenen ermöglichen. An jeder Pfeilerachse ergaben sich somit insgesamt vier Verschubebenen, die jeweils unter den Stegen des Fachwerkuntergurtes lagen (Bild 15). Hieraus resultierte eine statisch unbestimmte Lagerung des Überbaus an jeder Pfeilerachse. Die Verschublager wurden daher so ausgebildet, dass zusätzlich zu der Verdrehung der Lager um die Brückenquer- auch eine Verdrehung um die -längsachse möglich war. Die beiden Verschublager einer Pfeilerachse wurden dafür durch zwei Träger biegesteif miteinander verbunden. Beide Verschublager lagerten wiederum auf jeweils einer

15 Verschublager als Visualisierung © DSD Brückenbau GmbH

120 mm dicken Stahlplatte, die mit einem Radius von 11 m kugelförmig bearbeitet wurde und so die Funktion eines Kalottenlagers übernahm. Die Konstruktion gestattete also Verdrehungen quer und längs zur Brückenachse. Um eine gleichmäßige Lasteinleitung sicherzustellen, wurden auf dem Obergurt der Verschublager je Verschubebene sechs Elastomerlager mit einem darüber liegenden 40 mm dicken Blech samt aufgeschweißtem Edelstahlblech angeordnet. Für den Verschub wurden Stahlplatten mit gekammertem PTFE verwendet: Sie mussten während des Verschubes an

den vier Verschubebenen kontinuierlich in Verschubrichtung eingelegt und am Ende des Verschublagers wieder entnommen werden. Während des Verschubes waren hierfür je Lager vier Arbeiter sowie eine zusätzliche überwachende Person erforderlich – in Summe also mindestens zehn Personen pro Pfeilerachse (Bild 16). Aufgrund der vielen notwendigen Verschubvorgänge wurde diesem bewährten System, das im Prinzip der von DSD für den Verschub der Sauertalbrücke im Jahre 1984 entwickelten Vorgehensweise entspricht, der Vorzug gegeben.

16 Verschubvorgang auf Lagern © DSD Brückenbau GmbH

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SYMPOSIUM Für die Lasteinleitung der Verschublagerlasten in den Steg des Fachwerkuntergurtes wurde eine gleichmäßige Lasteinleitung auf einer Länge von ca. 80 % der Verschublagerlänge angesetzt: 0,8 x 5,70 m ~ 4,50 m. Dieser Ansatz, der von den Steifigkeitsverhältnissen zwischen dem Fachwerkuntergurt der Brücke und dem Verschublager abhängt, wurde durch eine Finite-Elemente-Berechnung überprüft. Für die statisch unbestimmte Lagerung wurde für jedes Verschublager zunächst der Ansatz getroffen, dass die Lastverteilung auf die beiden Stege des Fachwerkgurtes im Verhältnis 60:40 erfolgt. Ursache der ungleichen Lastverteilung sind die Torsionssteifigkeit des Verschublagers sowie des Fachwerkuntergurtes und unvermeidbare Ausführungstoleranzen. Die Überprüfung der obigen Ansätze wurde für zwei unterschiedliche Systeme durchgeführt: Zum einen wurde der Fall der Lasteinleitung vom Verschublager in den Fachwerkuntergurt an einem Fachwerkknoten und zugehöriger großer Steifigkeit gegenüber Verformungen und Verdrehung untersucht (System I). Der andere Fall bildete die Lasteinleitung zwischen zwei Fachwerkknoten mit entsprechend geringeren Steifigkeiten ab (System II). Für beide Systeme wurde die Lasteinleitung vom Verschublager in den

18 Bogibeel Bridge vor der Einweihung im Dezember 2018 © DSD Brückenbau GmbH

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System I – Lasteinleitung Fachwerkknoten

System II – Lasteinleitung zwischen zwei Fachwerkknoten

17 Ergebnisse der Lasteinleitung am Verschublager © DSD Brückenbau GmbH


SYMPOSIUM Fachwerkträgeruntergurt anhand eines Finite-Elemente-Modells ermittelt. Hierbei wurden zusätzlich zu den planmäßigen Verschublasten eine mögliche Ausmitte der Last um 20 mm sowie eine Imperfektion des Untergurtes mit einer Höhendifferenz von 2 mm zwischen den Stegen eines Fachwerkuntergurtes angesetzt. Die maximale Ausmitte wurde durch die Seitenführung des Verschublagers sowie die Einhaltung der als maximal definierten Imperfektion im Fertigungsprozess durch ständige Kontrollen sichergestellt. Die Ergebnisse der Berechnung zeigten in der Längsverteilung der Lasten den erwarteten Verlauf (Bild 17). Bei dem System mit der steifen Lasteinleitung am Fachwerkknoten ergab sich eine Lastkonzentration in der Mitte des Verschublagers, während sich die Kräfte bei dem weniger steifen System zwischen den Fachwerkknoten an den Enden des Verschublagers konzentrieren. In beiden Fällen konnte der gewählte Ansatz zur Lasteinleitung bestätigt werden.

Neues Schiffshebewerk Niederfinow

Maßgebend für eine maximale ungleiche Lasteinleitung zwischen den beiden Verschubebenen eines Lagers war eine gegenläufige Imperfektion (Verdrehung) der beiden Fachwerkträgeruntergurte. Die Auswertung ergab für diesen Lastfall eine Verteilung im Verhältnis 55:45, so dass die in der statischen Berechnung angesetzte Verteilung von 60:40 auf der sicheren Seite lag. 8 Stand der Arbeiten Der erste Verschub erfolgte im April 2014, der letzte im November 2017. Anschließend begannen das Abstapeln der Brücke, der Lagereinbau, die Herstellung der Verbundplatte und die weiteren Ausbauarbeiten. Die Brücke wurde dann am 25. Dezember 2018 offiziell vom indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi eingeweiht und dem Verkehr übergeben (Bild 18). Autor: Dipl.-Ing. Jens Schülke DSD Brückenbau GmbH, Berlin

Bauherr North-East Frontier Railways, Neu-Delhi, Indien Entwurfs- und Ausführungsplanung Rites Ltd., Indien Rambøll A/S, Kopenhagen, Dänemark Prüfung Anwikar Consultants GmbH, Würzburg Montageplanung DSD Brückenbau GmbH, Berlin Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Berlin Ausführung Überbau Hindustan Construction Company, Mumbai, Indien VNR Infrastructures Ltd., Neu-Delhi, Indien DSD Brückenbau GmbH, Berlin

uelle DSD Brückenbau GmbH

DSD Brückenbau GmbH | Landsberger Allee 117a | 10407 Berlin Tel.: 030 / 2092 8220 20 dsd‐brueckenbau.com | info@dsd‐brueckenbau.com

Brückenbau GmbH

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SYMPOSIUM Masterplan der Deutschen Bahn

Modernisierung und Erneuerung der Eisenbahnbrücken von Jens Müller

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Die Deutsche Bahn AG unterhält in Deutschland mehr als 25.600 Eisenbahnbrücken unterschiedlichster Größe und Bauart, welche eine durchschnittliche Nutzungsdauer von über 100 Jahren erreichen müssen. Insgesamt sind heute bereits 11.900 Eisenbahnbrücken mehr als 100 Jahre alt, ihr mittleres Alter lag 2017 bei 73,40 Jahren. Die Qualität einer Brücke wird jedoch nicht über das Alter, sondern die Zustandsnote beschrieben. Diese wird bei den regelmäßigen Begutachtungen gemäß der DB-Richtlinie 804 ermittelt. Entsprechend der Richtlinie werden die Bauwerksteile separat bewertet, und die Brücke erhält die Gesamtzustandsnote des schlechtesten Bauwerksteils. Die Zustandsnoten reichen von Note 1 (allenfalls punktuelle Schäden ohne Sicherheitsrelevanz) bis Note 4 (gravierende Schäden ohne Sicherheitsrelevanz). Aktuell befinden sich ca. 1.100 Eisenbahnbrücken oder ca. 4 % in der Zustandsnote 4 und sind daher in den nächsten Jahren zu erneuern.

Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Bereits mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) II wurde begonnen, den Investitionsrückstau bei Eisenbahnbrücken zu beheben. Durch das größte Modernisierungsprogramm in der Geschichte der Deutschen Bahn (DB) AG wird ermöglicht, dass im Zeitraum 2015–2019 mindestens 875 Eisenbahnbrücken voll- und teilerneuert werden. Jährlich 175 Brücken (875 Brücken/ 5 Jahre) zu erneuern, erschien bei Vertragsabschluss anspruchsvoll, aber dennoch realistisch. Jedoch stellte sich bald heraus, dass nicht alle angerechnet werden können, weil zum Beispiel Verfüllung, Bahnübergangsbeseitigung, Verkleinerung zum Durchlass etc. nicht ausreichen und es somit anspruchsvoll sein würde, die Zahl von 875 Brücken zu erreichen.

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Das Portfolio der zu erneuernden Brücken musste somit nochmals überprüft und teilweise geändert werden. Dies führte zu einer Verzögerung in der Anfangsphase und einem »nichtlinearen Hochlauf«, so dass 2015–2017 lediglich 360 anrechenbare Brücken erneuert wurden. Im Jahr 2018 wurden, vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung, weitere 255 Brücken erneuert. Aktuell wird damit gerechnet, das anspruchsvolle Ziel der Erneuerung von 875 Brücken bis Ende 2019 zu erreichen.

Eisenbahnüberführung Fredersdorfer Mühlenfließ © Hendrik Blaukat/DB Netz AG


SYMPOSIUM

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Eisenbahnüberführung über die Aller bei Verden © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

2 Weiterführung der Strategie Der Investitionsrückstau bei Eisenbahnbrücken ist mit der LuFV II noch nicht behoben – trotz massiver Erhöhung der Instandhaltungsaufwendungen und gezielter Prävention. Durch diese gezielte Instandhaltung lässt sich eine längere technische Nutzungsdauer der Brücken erreichen, was im Endeffekt zu späteren Ersatzinvestitionen führt. Durch den zyklischen Einsatz der Prävention wird die Zustandsverschlechterung der Anlage verzögert und somit auch die Erneuerung verschoben. Trotz dieser optimalen Strategie ist das Modernisierungsprogramm der Brücken auch im und über den LuFV-III-Zeitraum weiterzuführen. Bei der Betrachtung der durchschnittlich unterstellten technischen Nutzungsdauer unseres Anlagenbestands von 120 Jahren und der wirtschaftlichen Verweildauer im Zustand 4 ergeben sich dauerhaft bei ca. 25.000 Eisenbahnüberführungen im Mittel 190 Voll- oder Teilerneuerungen pro Jahr. Die kontinuierliche Fortführung des Programms ermöglicht es den Beteiligten, besonders unseren Lieferanten, sich auf den entsprechenden Bedarf einzustellen. Dafür ist Personal aufzubauen, zu qualifizieren und sind Investitionen in die notwendige Ausrüstung und Maschinen zu tätigen.

3 Beschaffung Die Lieferanten werden durch den Einkauf der DB AG gebunden. Um jedoch den gewünschten Qualitätsstandard dauerhaft zu halten, wurde ein Lieferantenmanagement mit vier Phasen (Lieferantenqualifizierung, -entwicklung, -bewertung und -stabilisierung) für Bauunternehmen, Planungsbüros sowie die Bauüberwacher implementiert. Für ausgewählte Leistungen gibt es weiterhin ein Präqualifikationssystem auf der Basis des § 48 der Sektorenverordnung. Hierzu zählen auch relevante Bauleistungen aus dem Bereich des konstruktiven Ingenieurbaus. Zu diesen gehören die vier Kernleistungsbereiche

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– Allgemeiner Tiefbau, bestehend aus den Warengruppen Erdbauwerke, Kabelführungen und Kabelverlegung; – Spezialtiefbau, bestehend aus den Warengruppen Gründungen sowie Stützbauwerke und Verankerungen; – Konstruktiver Ingenieurbau, bestehend aus den Warengruppen Spannbetonbrücken, Stahlbetonbrücken, Stützbauwerke und Stahlbrücken; – Bauen unter Eisenbahnbetrieb.

Eisenbahnüberführung Sundewitter Straße in Rendsburg © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

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SYMPOSIUM

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Kreuzungsbauwerk in Hamburg-Barmbek © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

Derzeit verfügen ca. 430 Lieferanten der DB AG über eine der vorgenannten Präqualifikationen. Aufgrund des bundesweit steigenden Bauvolumens in der Verkehrsinfrastruktur ist jedoch eine Erweiterung des »Lieferantenpools« gewünscht. Weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der Umsetzung und Kostenoptimierung sind die Bündelung und/oder Paketierung von Baumaßnahmen. Hierbei kann eine strecken-, bauart- oder kaufmännische Bündelung vorgenommen werden, um attraktive Auftragsvolumina zu ge-

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Gewölbebauwerk: Innere Kanalstraße in Köln © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

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winnen. Bei der streckenbezogenen Bündelung werden sämtliche Baumaßnahmen, welche in einem Streckenabschnitt geplant sind, zu einem Gesamtprojekt zusammengefasst. Hierdurch werden neben der Vermeidung von Begleitmaßnahmen, zum Beispiel Sicherungstechnik und Oberleitung sowie Gleisverschwenkung, besonders die betrieblichen Einschränkungen minimiert. Somit ist die streckenbezogene Bündelung eine gute Maßnahme zur Reduzierung negativer Auswirkungen aus dem Baugeschehen auf unsere Kunden.


SYMPOSIUM

4 Standardisierung Neben der Optimierung der Beschaffung liegt ein weiteres Augenmerk auf der Erhöhung der Standardisierungsquote. Die Voraussetzung für eine sinnvolle Standardisierung ist, dass Bauteile genügend oft hergestellt werden, um die möglichen Vorteile – Reduzierung der Planungs- und Baukosten, – zeitlicher Planungsvorteil, – Planungssicherheit, Ausführungssicherheit und Massensicherheit, – gleichbleibende Planungsqualität und einheitliche Konstruktion, – Langlebigkeit und – geringere Instandhaltungsaufwendungen zu erreichen. Eine hohe Anzahl gleichartiger Brücken liegt im Stützweitenbereich bis ca. 16 m vor, daher wurde hierfür der standardisierte Rahmen bei der DB Netz AG eingeführt. Durch die typengeprüfte Statik und deren Schal- und Bewehrungspläne kann eine schnelle Umsetzung in der Entwurfs- und Ausführungsplanung erfolgen und die Ausführungsqualität gesteigert werden. 5 Denkmalschutz Bei der Modernisierung ergeben sich aufgrund der Altersstruktur der Eisenbahnbrücken besondere Herausforderungen, weil es sich teilweise um bau- und technikgeschichtliche »Zeitzeugen« handelt. Bei diesen Eisenbahnbrücken, vor allem denen mit eisernen Überbauten, ist zu überprüfen, ob sie künftig noch den steigenden Anforderungen standhalten können. Somit sind bei der Beurteilung nicht nur die geschichtliche, künstlerische und städtebauliche Bedeutung des Bauwerks, sondern auch dessen Substanz und künftige Anforderungen zu berücksichtigen. Für den sicheren Personenund Güterverkehr ist vor allem die Betriebs-, Verkehrs- und Standsicherheit der Anlage sicherzustellen. Sollte dies bei einem schützenswerten Einzelbauwerk, also einem Kulturdenkmal, bzw. bei kulturhistorischen Gesamtanlagen mit Ensembleschutz möglich und sinnvoll sein, so sollte dieser Erhalt ebenfalls mit Modernisierungsmitteln machbar sein, denn die Bewahrung der Baukultur ist ein gesellschaftliches Anliegen.

Neckartalbrücke Horb

6 Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die langlebigen Brückenbauwerke eine nachhaltige, langfristige Instandhaltungsstrategie erfordern, die mit Erreichen des Jahres 2019 keinesfalls abgeschlossen sein kann. Nach dem Hochlauf des Modernisierungsprogramms »Brücken« ist es das gemeinsame Ziel, ein stabiles Niveau in der Instandhaltung und Erneuerung der Eisenbahnbrücken beizubehalten und den Investitionsrückstau langfristig abzubauen. Hierfür werden wir uns auch weiterhin einsetzen, um das System Schiene und die Eisenbahnbrücken fit für die Zukunft zu machen. Für mehr Qualität. Für unsere Kunden. Autor: Dipl.-Ing. Jens Müller Technik und Anlagenmanagement Brückenbau und Lärmschutz DB Netz AG, Frankfurt am Main

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Rheinbrücke Leverkusen

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SYMPOSIUM Ein Beitrag zur Baukultur

Lärmschutzanlagen an der A 7 in Hamburg von Gregor Gebert

Gewidmet Karl-Heinz Reintjes, bis 2017 Abteilungsleiter bei der DEGES

Mit der sechs- bzw. achtstreifigen Erweiterung der A 7 nördlich des Elbtunnels im Stadtgebiet von Hamburg sind umfangreiche Lärmschutzmaßnahmen verbunden. Um den Lärmschutzanforderungen zu genügen, ist der Bau von drei Tunneln in Schnelsen, Stellingen und Altona notwendig. Im Anschluss an die Tunnel werden bis zu 9 m hohe, in den Fahrbahnraum einkragende Lärmschutzwände erforderlich, welche dem Streckenabschnitt einen unverwechselbaren Charakter verleihen. Auf die architektonische Gestaltung dieser Wände wurde daher großer Wert gelegt. Die Umsetzung der Entwurfsidee bis zur Ausführungslösung erfolgte unter Berücksichtigung der besonderen, statischkonstruktiven und funktionalen Anforderungen in einem intensiven Planungsprozess.

1 Veranlassung Die sechs- bzw. achtstreifige Erweiterung der A 7 nördlich des Elbtunnels ist mit umfangreichen Lärmschutzmaßnahmen verbunden. Wesentlicher Bestandteil dieser Maßnahmen ist der Bau von drei Tunneln in Schnelsen, Stellingen und Altona, die sogenannten Hamburger Deckel. Aus städtebaulichen Gründen werden sie über das aus den reinen Lärmschutzanforderungen notwendige Maß hinaus teilweise deutlich verlängert. Die Mehrkosten werden durch die Stadt Hamburg getragen, die damit in beispielhafter Weise die Chance nutzt, die durch den Autobahnbau in den 1970er Jahren getrennten Stadtgebiete wieder zu vernetzen. Für die Anwohner resultiert daraus eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität.

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Straßenquerschnitt mit auskragenden Lärmschutzwänden © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

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Die ersten lärmschutztechnischen Untersuchungen hatten ergeben, dass im Anschluss an die Lärmschutztunnel bis 15 m hohe Lärmschutzwände sowohl am Fahrbahnrand als auch im Mittelstreifen zu errichten sind. Im Rahmen einer »Studie zu Immissionsschutz, Kosten und Gestaltung« von 2008 wurde dann die Idee entwickelt, diese Wände abzuknicken und mit einer Auskragung von ca. 4,50 m in den Fahrbahnraum auszubilden. Bei gleicher Lärmschutzwirkung konnte die Wandhöhe damit auf 9 m reduziert werden, was zu einer wesentlichen Verbesserung der städtebaulichen Verträglichkeit geführt hat (Bilder 1 und 2). Gegenstand der Studie waren auch Ansätze zur Konstruktion und zur architektonischen Gestaltung der Wände und Portalbauwerke, die im Folgenden näher beschrieben werden.

Lärmschutzwirkung der abgeknickten Wand © DEGES GmbH/SSF Ingenieure AG


SYMPOSIUM

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Architektenskizze aus der Studie © DEGES GmbH/SSF Ingenieure AG/Lang Hugger und Rampp Architekten

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2 Gestaltungskonzept Die Konstruktion ist in deutlich aus der Wandfläche hervortretende Fachwerkstützen sowie in zurückgenommene, in die Wandfläche integrierte Nebenstützen gegliedert. Die Wände sind leicht nach außen geneigt, was der Konstruktion eine gewisse Dynamik verleiht und ihnen visuell die Massivität nimmt. Ein wesentliches Gestaltungsmerkmal sind der fließende, stetige Verlauf der Wände entlang der Strecke sowie die Ausformung der Übergänge zwischen einzelnen Abschnitten und im Bereich von Ausfahrten ohne Brüche und Knicke. Dies wird optisch durch ein Abschlussprofil, den sogenannten Spoiler, betont, der die Kragarmspitzen verbindet bzw. den oberen Abschluss der Lärmschutzwände bildet und den Verlauf der Wände nachzeichnet (Bild 3). Weitere Gestaltungsmerkmale sind die spezielle Ausformung der Wandabschlüsse und das abgestufte, zurückhaltende Farbkonzept. Aus der Grundform der auskragenden Wände leiten sich alle weiteren Bauwerke ab, die in diese Streckenbereiche zu integrieren sind. Hierzu zählen insbesondere drei Portalbauwerke und insgesamt 39 Verkehrszeichenbrücken. In einem schrittweisen Planungsprozess, im Dialog zwischen Tragwerksplaner und Architekten, wurde dieses Konzept bis zur finalen Lösung weiterentwickelt. Aufgrund der großen städtebaulichen Bedeutung erfolgte dies in enger Abstimmung mit der Stadt Hamburg und dem damaligen Oberbaudirektor Prof. Jörn Walter. Gewürdigt werden soll an der Stelle auch das Wirken von Karl-Heinz Reintjes, der als damaliger Abteilungsleiter der DEGES die Planung maßgeblich geprägt hat.

Statische und konstruktive Umsetzung 3.1 Auskragende Wände 3.1.1 Konstruktion Die Aufgliederung der Wandkonstruktion in Haupt- und Nebenstützen wurde in der Entwurfsplanung übernommen. Im Unterschied zur Studie wird der auskragende Teil der Fachwerkkonstruktion jedoch sichtbar unter die Dachfläche gelegt, so dass das Tragwerk von der Fahrbahnseite aus in Gänze erkennbar ist

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(Bild 4). Die Höhe der Stützenstiele beträgt ca. 6,90 m, die Länge der Auskragung variiert zwischen ca. 5,00 m im Abschnitt Stellingen und ca. 3,50 m im Abschnitt Schnelsen. Der Regelabstand der Fachwerkstützen ist 12,60 m, dazwischen befinden sich jeweils zwei Nebenstützen.

Finales Gestaltungskonzept mit Detailangaben © DEGES GmbH/SSF Ingenieure AG/Lang Hugger und Rampp Architekten

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SYMPOSIUM

Die Gesamtlänge der auskragenden Wände misst 3,80 km (Seitenwände mit einseitiger Auskragung) bzw. 1,30 km (Mittelwand mit beidseitiger Auskragung). Für diese typischen Wandabschnitte wurde ein Regelentwurf erstellt, der detaillierte geometrische Vorgaben sowie die Bemessung und ausführungsreife Konstruktion der wesentlichen Tragglieder und Anschlüsse beinhaltet (Bilder 5–9).

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Isometrie der Hauptstützen: Seiten- und Mittelwand © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

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Querschnitte: Hauptstütze und Nebenstütze einer Seitenwand © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

Konstruktion einer Seitenwandhauptstütze © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

Dazu gehören Details wie der Stützenanschluss am Fundament (Bild 10) und die Ausbildung von Schraubstößen zwischen Stützenstiel und Auskragung zur Vermeidung von Schweißarbeiten auf der Baustelle. Der Regelentwurf wurde in statisch-konstruktiver Hinsicht durch einen Prüfingenieur begutachtet und war als Referenzunterlage die Basis für die Ausschreibung und die konkrete Ausführungsplanung, die im Zuge der Realisierung durch die Baufirma erfolgte. 10 Stützenanschluss am Fundament © DEGES GmbH

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SYMPOSIUM

11 12 Südportal des Tunnels Stellingen mit Rampen und Portalbauwerk: Gestaltungskonzept und Visualisierung © DEGES GmbH/Lang Hugger und Rampp Architekten/V-Kon.media GmbH

Die Lärmschutzelemente lassen sich aufgrund der Auskragung nicht nach oben herausheben. Um sie im Schadensfall von der Fahrbahnseite aus austauschen zu können, werden die Nebenstützen mit geschraubten Flanschverbindungen ausgeführt (Bild 9). Zu Inspektionszwecken erhält die Mittelwand auf der Dachkonstruktion einen Laufsteg. Die Prüfung ihrer Unterseite erfolgt mit Hubsteigern von der Fahrbahn aus. Als Materialien für die Ausfachung der Wände kommen im unteren Bereich hochabsorbierende Porenbeton- und darüber Aluminiumelemente zum Einsatz. Die Dachflächen der auskragenden Wände und der Portalbauwerke weisen eine Trapezblecheindeckung auf. Die Unterseite wird mit hochabsorbierenden Aluminium-Vorsatzelementen verkleidet. Für die Dachentwässerung der Mittelwand sind Entwässerungsrinnen, Abläufe und Fallleitungen erforderlich. Die Fallleitungen sind in die Konstruktion der Hauptstützen integriert und über abnehmbare Verkleidungen zu inspizieren. Die Seitenwände entwässern über Dachrinnen und angeschlossene Fallleitungen.

3.1.2 Statische Berechnung Die Berechnung erfolgte mit einem räumlichen Stabwerksmodell (Bilder 11 und 12). Der Bemessung wurde der damals gültige DIN-Fachbericht 101 zugrunde gelegt. Nachfolgend wird die statische Funktion der Tragglieder beschrieben. Hauptstützen: Die Hauptstützen bilden als biegesteife Kragträger zusammen mit dem »Spoiler« das Haupttragwerk der auskragenden Dachkonstruktion. Die Stützen sind in der Wandebene als Stahlhohlkasten ausgebildet, die durch ein gekrümmtes, räumliches Rohrfachwerk ausgesteift wird. Nebenstützen: Die Nebenstützen bestehen aus vertikalen Stielen und gelenkig angeschlossenen gekrümmten Riegeln, die sich an der Kragarmspitze auf den durchgehenden »Spoiler« abstützen. Die Riegel der Nebenstützen dienen als Auflager der gelenkig angeschlossenen Dachpfetten.

Längstragelemente: Der Spoiler bildet als Doppelrohrkonstruktion den vorderen Abschluss des auskragenden Daches, das innenliegende Rohr wiederum das Auflager für die Riegel der Nebenträger. Über dieses Rohr werden die Dachlasten zu den Hauptstützen abgetragen. Die gelenkig angeschlossenen Dachpfetten dienen zusammen mit dem Längsträger in Wandebene als Auflager für die Dachhaut, die als querorientiertes, tragendes Trapezprofil konzipiert ist. Als durchlaufendes Profil fungiert der Längsträger in Höhe des Wandabschlusses neben dem Spoiler als aussteifendes Element in Längsrichtung. Gründung: Die Gründung erfolgt auf Bohrpfählen. Die Nebenstützen werden direkt in den oberen Teil des Stahlbetonpfahls einbetoniert. Die Hauptträger werden über Fußplatten auf einer Pfahlkopfplatte verankert, in die der Bohrpfahl einbindet.

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SYMPOSIUM

13 14 Portalbauwerke in Bauausführung © DEGES GmbH

Die besondere Konstruktion der Lärmschutzwände mit aus der Wandfläche heraustretenden, relativ filigranen Fachwerkstützen erforderte besondere Überlegungen bezüglich der Lastansätze. Dies betrifft insbesondere die dynamische Anregung durch Wind sowie das Sicherheitskonzept hinsichtlich Fahrzeuganprall. Windbeanspruchung: Die Windbeanspruchungen dürfen gemäß DIN 1055-4 aus statischen Ersatzlasten ermittelt werden, wenn die Tragstruktur als nicht schwingungsanfällig eingestuft werden kann. Dieses Kriterium ist für die Regelausbildung der Seitenwand erfüllt. Bei vom Regelentwurf abweichenden Wänden lässt sich die Schwingungsanfälligkeit nicht völlig ausschließen. In einem solchen Fall wären dynamische Vergrößerungsfaktoren zu berücksichtigen, für welche die maßgeblichen Bemessungsquerschnitte des Regelentwurfs jedoch ausreichende Tragreserven aufweisen. Fahrzeuganprall: Ein Versagen des Haupttragwerks ist bei Fahrzeuganprall auf eine Hauptstütze auszuschließen. Im Sinne der Wirtschaftlichkeit war hierfür ein realitätsnahes Anprallszenario zugrunde zu legen, für das folgendes Konzept entwickelt wurde: Eine durchgehende Betongleitwand verhindert den direkten Anprall des schweren Fahrzeugchassis an die Fachwerkkonstruktion. Der Widerstand der Betongleitwand bewirkt allerdings ein Kippen des Fahrzeugs, so dass ein Anprall der oberen, leichteren und stärker verformbaren Fahrzeugteile an die Stütze nicht ausgeschlossen werden kann. Hierfür lassen sich jedoch geringere statische Ersatzlasten annehmen. Da der DIN-Fachbericht 101 keine Ansätze für eine differenzierte Herleitung der statischen Ersatzlasten enthält, wurde in Abstimmung mit dem

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Prüfingenieur auf die Schweizer Richtlinie »Anprall von Straßenfahrzeugen auf Bauwerksteile von Kunstbauten« zurückgegriffen. Die Höhe der Anpralllast wird dort mit Erhöhungs- bzw. Reduktionsfaktoren ermittelt, die die Distanz vom Fahrbahnrand, Anprallhöhe und das vorhandene Fahrzeugrückhaltesystem berücksichtigen. Der Anprall erfolgt an die vorstehenden Teile des Rohrfachwerks (Gurt und Diagonalen). Da eine Anprallbemessung hier unwirtschaftliche Querschnittsabmessungen ergibt, wird im unmittelbaren Anprallbereich ein Ausfall dieser Querschnitte unterstellt und die Bemessung über die ausreichende Tragfähigkeit des Restquerschnittes geführt. Die aus dem Anprall resultierenden Verformungen des Gesamttragwerks münden in eine Lastumverteilung auf die benachbarten, nicht geschädigten Stützen. Das Sockel- und das untere Lärmschutzelement aus Beton werden als aussteifende und lastverteilende Elemente zwischen den Stützen bei

Fahrzeuganprall aktiviert. Die Dachpfetten und der Spoiler beteiligen sich nicht an der Lastweiterleitung, ebenso werden die obere Ausfachung der Wand mit leichten Lärmschutzelementen und die Dachhaut statisch nicht angesetzt. Die Nebenstützen werden nicht auf Anprall bemessen, der Ausfall einer Nebenstütze wird als außergewöhnlicher Lastfall berücksichtigt. 3.2 Portalbauwerke Eine besondere Herausforderung für Planung und Bauausführung waren auch die Portalbauwerke. Hierbei handelt es sich um geometrisch komplizierte, räumliche Konstruktionen, mit deren Hilfe der gewünschte harmonische Übergang vom offenen Streckenbereich mit auskragenden Lärmschutzwänden zum geschlossenen Tunnelbereich realisiert wird. Ausgehend von den Architektenskizzen und Visualisierungen (Bilder 13 und 14) erfolgte in der Entwurfsplanung die konkrete geometrische Anpassung an die

15 Statisches System der Seitenwand © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH


SYMPOSIUM

Machbarkeitsstudie SSF Ingenieure AG, München Gestalterische Beratung Lang Hugger Rampp Architekten, München Entwurfsplanung (Regelentwurf) Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Hamburg Gregull + Spang Ingenieurgesellschaft für Stahlbau mbH, Berlin Krebs und Kiefer Ingenieure GmbH, Hamburg Ausführungsplanung Hochtief Engineering GmbH, Essen AWB Ingenieurbau GmbH, Lübeck Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Hamburg

16 Auskragende Lärmschutzwände mit integrierter Verkehrszeichenbrücke nach Fertigstellung © DEGES GmbH

jeweilige Situation – dies bedeutete zum Beispiel unterschiedliche Fahrbahnbreiten, andere Querneigungen der Fahrbahn, die Berücksichtigung von Ausfahrstreifen etc. – und die statisch-konstruktive Durchbildung. Eine Vorstellung von der Konstruktion und der anspruchsvollen Geometrie vermittelt Bild 15.

Bauherr Bundesrepublik Deutschland Auftragsverwaltung Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation Projektdurchführung DEGES GmbH, Berlin

Prüfingenieure Prof. Dr.-Ing. Heiner Geißler, Berlin Dr.-Ing. Frank-Peter Brunck, Hamburg Dipl.-Ing. Volkhard Angelmaier, Stuttgart Bauausführung Via Solutions Nord GmbH & Co. KG, Nützen (ÖPP-Projektgesellschaft) Hochtief Infrastructure GmbH, Hamburg Franki Grundbau GmbH & Co. KG, Seevetal (Arbeitsgemeinschaft Tunnel Stellingen) Claus Queck GmbH, Düren Lamparter Stahlbau GmbH & Co. KG, Kaufungen (Nachunternehmen Stahlbau)

4 Bauausführung und Fazit Die Bauausführung ist weit fortgeschritten, so dass die gelungene Umsetzung des Gestaltungskonzepts in der Realität sichtbar nachvollzogen werden kann. Die Wände für den Bauabschnitt Ost im Bereich des Tunnels Schnelsen, wo für die östliche Tunnelröhre kürzlich die Verkehrsfreigabe erfolgt ist, sind inklusive des Portalbauwerks komplett fertiggestellt, im Bereich des Tunnels Stellingen befinden sich diese im Bauabschnitt Ost im Bau. Besondere Anerkennung gilt der Ausführung des Stahlbaus. Die geometrisch sehr anspruchsvollen Konstruktionen der Lärmschutzwände, Verkehrszeichenbrücken und insbesondere der Portalbauwerke mit geometrisch komplizierten Übergängen zwischen den einzelnen Wandabschnitten wurden im Sinne des architektonischen Grundgedankens von stetig fließenden Linien in beeindruckender Weise realisiert. Für den Autofahrer stellt dieser Autobahnabschnitt ohne Zweifel ein ganz besonderes Erlebnis dar, die außergewöhnliche Konstruktion und Gestaltung der Lärmschutzanlagen verleihen ihm einen unverwechselbaren Charakter (Bild 16). Autor: Dipl.-Ing. Gregor Gebert DEGES GmbH, Berlin

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SYMPOSIUM Durchführung großmaßstäblicher Beulversuche

Längsversteifte Beulfelder unter biaxialen Spannungen von Martin Mensinger, Joseph Ndogmo, Nadine Maier

Für die Dimensionierung eines Brückenquerschnittes wird häufig der Beulnachweis während des Taktschiebens maßgebend, wodurch der Brückenquerschnitt für diesen Bemessungszustand entsprechend ausgelegt werden muss. In Deutschland haben sich der Einsatz von Längssteifen, eine stufenartige Erhöhung der Stegblechdicke im Lasteinleitungsbereich und eine Verlängerung der Verschublager als effektive Maßnahmen etabliert. Die aktuellen Regelungen der DIN EN 1993-1-5 beruhen für den Fall längsversteifter Platten unter biaxialen Spannungen jedoch lediglich auf numerischen Ergebnissen und wurden nicht durch Versuche verifiziert. Anlässlich des Ersatzneubaus der Talbrücke Thulba wurden an der Technischen Universität München sechs großmaßstäbliche Beulversuche unter biaxialer Belastung durchgeführt. Die Probekörper wurden dabei annähernd im Maßstab 1:1 gewählt, um fertigungsspezifische Imperfektionen möglichst korrekt abzubilden.

1 Stand der Forschung und Normung Scheer und Nölke [1] vollzogen 2001 eine Rückkehr zur Anwendung der idealen Beulvergleichsspannung σVPi. Ausgehend von der Verzweigungsspannung σxPi, σyPi und σPi, der einzeln wirkend angenommenen Spannungen, kann diese ideale Beulvergleichsspannung näherungsweise für nicht ausgesteifte und für ausgesteifte Platten mit äquidistant angeordneten Steifen nach Gleichung 1 (Bild 1) berechnet werden. Mit dem bezogenen Vergleichsschlankheitsgrad aus Gleichung 2 (Bild 1) werden die Abminderungskatoren κx*, κy* und κτ* aus den zugehörigen Beulkurven ermittelt. Der Verzweigungslaststeigerungsfaktor αcr kann näherungs-weise oder mittels Finite-Elemente-(FE-)Programm ermittelt werden. Die Beulsicherheit bei kombinierter Beanspruchung ist dann gegeben, wenn die Bedingung aus Gleichung 3 (Bild 1) erfüllt ist. Das ist die Grundlage des Beulnachweises mit der Bedingung (10.1) in DIN-Fachbericht 103 [2] und (10.5) in EN 1993-1-5 [3]. Scheer und Nölke hatten in [1] Traglastberechnungen an unversteiften Platten unter biaxialer Druckbeanspruchung (σx = σy) bei unterschiedlichen b/t-Verhältnissen durchgeführt und stellten eine Überschätzung der Tragspannungen bis zu 23 % gegenüber dem zulässigen Sicherheitsniveau fest.

Gleichung 1:

Gleichung 2:

Gleichung 3:

Gleichung 4: 1

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Entwicklung des Beulnachweises seit 2001

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Die Arbeiten von Braun [4] [5], Maur [6] und Winterstetter [28] haben gezeigt, dass die Bedingung (10.1) in DIN-Fachbericht 103 [4] und (10.5) in EN 1993-1-5 [3] bei biaxialem Druck, Ergebnisse auf der unsicheren Seite liefern kann. Johansson hatte bereits in [7] darauf hingewiesen. Nach umfangreichen numerischen Untersuchungen an unversteiften Platten, die auch in [8] bestätigt sind, schlugen Braun/Kuhlmann folgenden Nachweis vor, der sich von der bisherigen Bedingung lediglich durch die Wiedereinführung des Faktors V unterscheidet. Dabei ist V = σcx•σcz für biaxialen Druck und V = 1,0 für alle anderen Fälle: vergleiche Gleichung 4 in Bild 1. Der Vorschlag von Braun/Kuhlmann beruht ausschließlich auf Untersuchungen an unversteiften Platten. Die Modifikation fußt im Wesentlichen auf einer Parameterstudie auf Basis von FE-Berechnungen [5] und berücksichtigt damit auch überkritisches Tragverhalten. Es war unklar, ob dieser Vorschlag auf längsversteifte Platten (mit knickstabähnlichem Verhalten), wie sie häufig im Brückenbau vorliegen, ohne weiteres übertragen werden kann, denn es fehlten an dieser Stelle gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse.


SYMPOSIUM

2

Schematische Darstellung von Schnittgrößen (l.) und Spannungen (r.) während des Einschubs © Aus [9] [10]

2 Veranlassung Im Großbrückenbau werden Bauwerke häufig im Taktschiebeverfahren hergestellt, wobei die Zustände während des Verschubs für die Dimensionierung der Stahlkonstruktion oft maßgebend werden. Beim Einschub der Brücke ist dabei insbesondere die mehraxiale Beanspruchung der Stege und des Bodenblechs von Bedeutung. Aus der Einleitung der Verschublagerkräfte in den Überbau ergeben sich bei schrägen Stegen im Bodenblech Querdruckkräfte, siehe Bild 2. Der Beulnachweis muss in diesem Fall unter Berücksichtigung der kombinierten Beanspruchung aus biaxialem Druck und Schub erbracht werden. Für bestimmte Beanspruchungsfälle wie biaxialen Druck enthält die auf Schnittgrößen bezogene Methode der wirksamen Breiten aktuell keine adäquate Lösung, so dass nur ein Nachweis nach der Methode der reduzierten Spannungen oder eine Berechnung mit der FE-Methode möglich ist. Die Methode der reduzierten Spannungen lässt eine Ausnutzung der einzelnen Bauteile lediglich bis zur Fließgrenze zu, die schwächsten Querschnittsteile sind also nur bis zum Fließkriterium ausnutzbar [11]. Aus dem Grunde sind die Ergebnisse der Methode der wirksamen Breiten im Vergleich zur Methode der reduzierten Spannungen in aller Regel wirtschaftlicher. Dieser wichtige Vorteil kann aber insbesondere im Brückenbau heute nicht genutzt werden, da, wie bereits erwähnt, aktuell ein Konzept für den Fall des biaxialen Drucks für die Methode der wirksamen Breite fehlt. Eine erste Untersuchung [12] zeigt zwar Möglichkeiten auf, das Verfahren MWB für den Fall von biaxialem Druck zu erweitern, aber es fehlt eine ausreichende wissenschaftliche Absicherung.

Beide Methoden haben jeweils ihre Vorteile und sollten auch weiterhin parallel angewendet werden dürfen. Eine Abschaffung eines der beiden Verfahren sollte nicht angestrebt werden, sondern eher eine klare Abgrenzung voneinander, um Fehlanwendungen zu vermeiden. Wie bereits in [5] und [10] gezeigt wurde, führt das Nachweisverfahren nach der Methode der reduzierten Spannungen, DIN EN 1993-1-5 [3] Abschnitt 10, für unausgesteifte Beulfelder nicht in allen Fällen zu auf der sicheren Seite liegenden Bemessungsergebnissen. Daher wurde für Beulfelder unter biaxialer Druckbeanspruchung in [5] ein Modifikationsfaktor V für das derzeitige Nachweisformat (10.5) gemäß DIN EN 1993-1-5 [3] vorgeschlagen, der inzwischen auch über ein »Amendment« [13] in die zurzeit gültige Norm EN 1993-1-5 eingegangen ist. Die Untersuchungen in [5] konzentrieren sich auf die Einzelfelder und basieren auf an älteren Versuchen verifizierten numerischen Untersuchungen. Grundsätzlich, wie auch in [14] festgestellt, muss der Beulsicherheitsnachweis nach DIN EN 1993-1-5 [3] für die Einzelfelder und das Gesamtfeld getrennt durchgeführt werden. Längsausgesteifte Beulfelder haben im Gegensatz zum Einzelfeldnachweis eine stark ausgeprägte Anisotropie und dadurch ein ausgeprägtes knickstabähnliches Verhalten, und sie wurden bisher nicht systematisch untersucht. Aus diesem Grund enthält DIN EN 1993-1-5 für den Nachweis des Gesamtfeldes keine eindeutigen Regelungen, insbesondere zur Berücksichtigung der Einflüsse aus dem knickstabähnlichen Verhalten bei einem längsausgesteiften Beulfeld unter biaxialer Druckbeanspruchung. Zudem sind die Ergebnisse der Untersuchungen

an unversteiften Beulfeldern nicht ohne weiteres auf ausgesteifte Beulfelder übertragbar. Wegen der fehlenden Regelungen werden in [10], [11], [14], [15], [16] und [17] auf der sicheren Seite zusätzliche Nachweise wie der Nachweis der Längssteife nach Theorie II. Ordnung unter Berücksichtigung von Abtriebskräften aus Querdruck gefordert. Wie [11] für einen älteren Kranbahnträger zeigt, können deshalb die Ergebnisse für ausgesteifte Beulfelder auch gegenüber der alten deutschen Normung zu ungünstigeren Lösungen führen und die Wettbewerbsfähigkeit von Stahl- und Verbundbrücken möglicherweise gefährden. Dies stellt für die Stahlbaubranche einen Nachteil gegenüber dem Wettbewerb dar. Für den Bau der Talbrücke Thulba wurden daher im Auftrag der Autobahndirektion Nordbayern in Ergänzung zu den statischen Nachweisen nach DIN EN 1993-1-5 die wichtigsten Verschubsituationen mit Hilfe von Traglastversuchen an maßgebenden Beulfeldern unter biaxialem Druck experimentell abgesichert. Daraus wurden Empfehlungen für die Auslegung der Talbrücke Thulba für den Verschub hergeleitet. Für diesen Zweck wurde an der Materialprüfungsanstalt (MPA) Bau der Technischen Universität München ein Prüfstand errichtet, der eine Durchführung von Beulversuchen im Maßstab 1:1 bei unterschiedlichen Beanspruchungssituationen erlaubt.

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SYMPOSIUM

3 Versuchsaufbau 3.1 Prüfstand Der Versuchsstand wurde als modularer U-Rahmen mit den Außenabmessungen 8 m x 12 m konzipiert, auf dessen Längsseite die Probekörper mit den Abmessungen 3,00 m x 4,00 m eingebaut werden. Der Versuchsstand wird liegend aufgebaut und lagert auf insgesamt sechs HEB-600-Profilen. Die Biege- und Normalkraftbeanspruchung wird an den Schenkeln des U-Rahmens mit Hilfe einer auf Druck beanspruchten hydraulischen Presse mit einer Nennkraft von 4,30 MN aufgebracht. Diese Druckkraft wird mit zwei umlaufenden Zugstangen kurzgeschlossen. Damit kann ein äußeres Biegemoment von maximal 24 MNm bei einer äußeren Normalkraft von 4,30 MN in die Probekörper eingeleitet werden. Das Verhältnis des Biegemomentes zur Normalkraft kann durch Variation des Hebelarmes zur Lasteinleitung variiert werden. In Bild 3 ist der Versuchsstand schematisch dargestellt. Der Probekörper ist durch den grauen Bereich hervorgehoben.

4

114

Krafteinleitung in Querrichtung im Detail © Technische Universität München

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3

Versuchsstand mit Lasteinleitung © Technische Universität München

Die Einleitung der Beanspruchung in Querrichtung erfolgt über zwei hydraulische Pressen mit jeweils einer Nennkraft von 4,30 MN. Diese Querkraft wird über eine Traverse, die mit dem U-Rahmen mit Hilfe von insgesamt vier umlaufenden Zugstangen verspannt wird, abgetragen. Die Verspannung mit dem U-Rahmen erfolgt hier rechts- und linksliegend des Versuchskörpers, um je 500 mm nach außen versetzt. Damit wird die Einleitung einer Schubbeanspruchung in die Probekörper reduziert. Durch den Versatz der Lasteinleitung der Querlasten wird in Versuchskörpermitte ein zusätzliches Biegemoment von maximal 10 MNm sowie

die am Rand des Versuchskörpers vorliegende Querkraftbelastung, die maximal einen Wert von 8,60 MN annehmen kann, induziert. Die Lasteinleitung der Querlast erfolgt nicht direkt über die hydraulischen Zylinder, sondern über eine Lasteinleitungskonstruktion, wie sie auch beim Taktschieben von Stahlbrücken üblicherweise eingesetzt wird. Aufgrund der großen Bedeutung dieses Details werden für die Planung verschiedene Hydrauliksysteme aus der Praxis zugrunde gelegt. Für die Durchführung der Versuche wurde schließlich eine Lasteinleitung, bestehend aus zwei versteiften HEM-Profilen mit einer Lasteinleitungslänge von 750 mm, geplant. Unter Berücksichtigung der Flanschbiegung und der mittragenden Effekte ergibt sich daraus rechnerisch eine Lasteinleitungslänge von 2.300 mm. Bild 4 zeigt die Krafteinleitung in Querrichtung im Detail. Durch die flexible Planung des Versuchsstandes können weitere Versuche mit verschiedenen Lasteinleitungskonstruktionen realisiert werden. So wird beispielsweise in weiteren Untersuchungen der unterschiedliche Einfluss auf das Tragverhalten zwischen dem Einsatz einer Verschubwippe und hydraulischen Verschubsystemen herausgearbeitet werden.


SYMPOSIUM

5

Querschnitt der Prüfkörper © Technische Universität München

3.2 Probekörper Zur Vorplanung und Vergleichbarkeit mit dem maßgebenden Beulfeld in Thulba wurden an der Universität Stuttgart numerische Berechnungen durchgeführt [19]. Für die Abdeckung des vorgenommenen Parameterbereichs wurden drei der Probekörper mit steifen (V1, V2, V5) und drei mit weichen (V3, V4, V6) Steifen hergestellt. Die steifen Steifen besitzen dieselbe bezogene Steifigkeit , wie sie in der Ausführung der Talbrücke Thulba geplant sind. Die Abstände der Steifen sind bei den ersten vier Versuchen (V1– V4) und den letzten zwei Versuchen (V5 und V6) jeweils identisch. Der Abstand zur ersten Steife wird in den letzten zwei Versuchen (V5 und V6) affin zur Planung von Thulba gewählt. Der allgemeine Querschnitt der Versuchsträger ist in Bild 5 dargestellt. In Bild 6 sind die geometrischen Abmessungen dargestellt, die für alle sechs Versuche gleich festgelegt wurden, während die variierenden Parameter der einzelnen Probekörper in Bild 7 zusammengefasst sind. Die Probekörper V 1 und V 2 werden mit steifen Steifen ausgeführt. Der Unterschied zwischen diesen beiden ist das Spannungsverhältnis σz / σx, so dass hier der Einfluss der jeweiligen Spannung auf das Beulverhalten beurteilt werden kann. Für die Versuche V 3 und V 4 wird die Steifigkeit der Steifen reduziert, was allein durch die Reduzierung der Höhe realisiert wird. Die Abstände zwischen den Steifen werden aus V 1 und V 2 beibehalten. V 3 wird in demselben Spanungsverhältnis σz / σx. wie V 2, V 4 wie V 1 gefahren.

Dadurch kann der alleinige Einfluss der Steifigkeit der Steifen auf das Beulverhalten analysiert werden. V 5 hat dieselbe Steifengeometrie wie V 1 und V 2. Die Steifenabstände werden geändert. Der Abstand b1 zur ersten Steife wird von 300 mm auf 540 mm vergrößert. Hieraus kann der Einfluss der Position der Steifen untersucht werden. Der Abstand b1 zur ersten Steife sowie die bezogene Steifigkeit ist bei V 5 identisch zu dem Ersatzneubau der Talbrücke Thulba dimensioniert. Ebenso wird dasselbe Verhältnis der Spannungen σz / σx bis zum Versagen wie bei Thulba erreicht. Als Referenz zu V 5 wird anschließend der Versuch V 6 mit reduzierter Steifensteifigkeit bei gleichbleibender Lage der Steifen und demselben Spannungsverhältnis σz / σx durchgeführt. Bei V 6 bleibt der Winkel der Steifenflansche unverändert zu V 5, was zu einem breiteren Steg als in V 1–V 5 führt.

Da für jeden Versuch immer nur ein Parameter geändert wird, kann der Einfluss auf das Beulverhalten aufgrund des Beanspruchungsverhältnisses σz / σx sowie der Lage der Steife und der Steifigkeit der Steife getrennt voneinander untersucht und bewertet werden. Die Probekörper werden mit dem Material S 355 hergestellt. Da sich das Material der Steifen, des Steges und des Flansches wesentlich auf das tatsächliche Tragverhalten auswirkt, werden für die numerische Nachrechnung die Materialkennwerte der Streckgrenze fy und der Zugfestigkeit fu, zusätzlich zu den Angaben der Materialzeugnisse, in eigenen Zugversuchen überprüft.

hw (mm)

tw (mm)

a (mm)

bf (mm)

tf (mm)

Bst (mm)

tst (mm)

3.000

8

4.000

500

30

300

6

6

7

Allgemeine geometrische Abmessungen © Technische Universität München b1 (mm)

b2 (mm)

b3 (mm)

b4 (mm)

hst (mm)

bst (mm)

σz / σx

V1

300

400

700

700

125

150

0.5

V2

300

400

700

700

125

150

1.0

V3

300

400

700

700

65

150

1.0

V4

300

400

700

700

65

150

0.5

V5

540

305

695

560

125

150

0.5

V6

540

305

695

560

65

197

0.5

Variierende Parameter der Versuchskörper © Technische Universität München

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SYMPOSIUM 3.3 Versuchsprogramm Die Versuche werden druckgeregelt gefahren, um ein langsames Aufbringen der Last zu gewährleisten. Dazu werden zwei Aggregate eingesetzt: Über das eine wird das Aufbringen der Belastung in x-Richtung reguliert, über das andere in z-Richtung. Die beiden Zylinder, die die Querlast in z-Richtung aufbringen, werden zu einem Kreis zusammengefasst und parallel gesteuert. Der Zylinder in x-Richtung kann unabhängig von den anderen beiden gesteuert werden. Somit ist ein flexibles Ansteuern verschiedener Verhältnisse σz / σx möglich. Es wird im ersten Schritt die Spannung σx über den Zylinder an dem linken Schenkel auf das Niveau gebracht, das rechnerisch für das Versagen des Bauteils notwendig ist. Durch diese Belastung werden die Normaldruckbelastung N und das Moment My in den Probekörper induziert. In einem zweiten Schritt wird die Querlast schrittweise gesteigert, bis das Versagen eintritt. Durch die Steuerungsvariante, bei der im ersten Schritt die Belastung F1 und erst dann F2 bis zum Versagen erhöht werden, kann mit einer einfachen und klar nachvollziehbaren Krafteinleitung das Bauteil bis zum Versagen geprüft werden. Es werden dabei insgesamt mehrere Spannungsverhältnisse abgefahren. Das Spannungsverhältnis, das letzten Endes zum Versagen führt, ist klar erkennbar. Für die Messung der Kraft wird je Ölkreis ein Öldrucksensor direkt an dem Aggregat angebracht, über den sich die in das System aufgebrachte Last ermitteln lässt. Zusätzlich werden an den Gewindestangen insgesamt vier Kraftmessdosen eingesetzt, die die ankommende Last erfassen und kontinuierlich aufzeichnen. Zusätzlich werden an jede Gewindestange zwei DMS geklebt. Dadurch bekommt man zum einen Kontrollwerte, zum anderen ist es so möglich, Verluste durch Reibung zu erfassen.

8

Schematische Darstellung der Kraftaufbringung © Technische Universität München

Die Dehnungen werden mittels DMS und Rosetten gemessen. Zusätzlich wird eine Messung der Dehnungen über Glasfasern durchgeführt. Durch eine Dehnungsmessung mittels Glasfasern ist es möglich, die Dehnungen über die gesamte Länge des Bauteils kontinuierlich zu erfassen. Der Verformungszustand des Versuchsstands und die Verformung der Probekörper aus der Ebene sowie dessen Flanschverdrehung werden durch Wegaufnehmer kontinuierlich gemessen. Mittels 3-DLaserscan werden Imperfektionen der Probekörper im lastfreien Zustand sowie die Verformungen aus der Ebene zusätzlich an den definierten Laststufen gemessen.

Durch die Einleitung der Längsspannungen σx auf Stegebene kommt es in den Steifen zu einem kleinen Versatzmoment, da deren Schwerpunkt nicht in der Stegebene liegt. Daraus resultiert ein Moment, welches Druck im Stegblech des Probekörpers und Zug in dem Flansch der Steife hervorruft. Die Verformungen entweichen der etwas höheren Druckspannung und wandern in den positiven Verformungsbereich in Richtung der Steifen: vergleiche Bild 11.

4 Versuchsergebnisse Im Folgenden werden die maximalen Lasten der einzelnen Versuche und deren Versagensmodi dargestellt. Die Vorzeichen der Verformungen sind an das globale Koordinatensystem angepasst, dargestellt in Bild 9. Alle Probekörper verformten sich unter aufgebrachter Längslast in positive y-Richtung, also in Richtung der Steifen. 9

F1 [kN]

2*F2 [kN]

M [MNm]

soll

Versuch

Versagen

V1

3.129,25

1.660,84

19,08

0,5

0,39

Global, -y

V2

1.601,73

2.241,12

11,32

1,0

0,89

Global, -y

V3

1.575,30

1.780,08

9,95

1,0

0,78

Global, +y

V4

2.438,54

1.738,52

14,27

0,5

0,52

Global, +y

V5

2.867,10

1.809,68

17,81

0,5

0,45

Lokal gGlobal, +y

V6

1.916,17

1.619,97

11,49

0,5

0,61

Lokal gGlobal, +y

10 Maximale Belastung der einzelnen Probekörper © Technische Universität München

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Gewähltes Koordinatensystem © Technische Universität München

11 Resultierende Schnittgrößen in der Steife infolge Normaldruckspannungen N1 © Technische Universität München


SYMPOSIUM

12 Verformungszustand aus der Ebene nach aufgebrachter Längslast © Technische Universität München

Mit der Einleitung der Querlast kann sich die Richtung der Verformung ändern. Durch die Einleitung der Querlast auf Stegebene und die Abnahme der Druckkraft über die Höhe des Bauteils infolge Lastausbreitung entsteht ein Torsionsmoment, aus dem eine Verdrehung der Steife in Uhrzeigersinn resultiert. Durch die Verdrehung und damit einhergehende Verformung der anliegenden Bereiche ergeben sich zusätzliche Abtriebskräfte (Theorie II. Ordnung), die jenen Effekt begünstigen. Das Versagen tritt in negativer y-Richtung ein. Der entsprechende Effekt wurde bei den Versuchen 1, 2 und 3 beobachtet. Dieses Verhalten kann auf zwei Ursachen zurückgeführt werden: zum einen die Auswirkung des Querdruckes auf die untere Steife aufgrund von Imperfektionen und lastbedingten Vorverformungen, dies war insbesondere für Versuch 1 ausschlaggebend für die Versagensform, da hier die untere Steife deutliche Imperfektionen in negative y-Richtung aufweist; zum anderen bestand bei Versuch 2 und Versuch 3 ein Spannungs-

5

verhältnis σz / σx = 1,0, wodurch die Einleitung der Querlast bei beiden Versuchen dominierend war und zum Versagen mehr beitrug als bei den restlichen Versuchen (V 1 und V 4–V 6). Das liegt darin begründet, dass das Moment aus Bild 12, auch im unverformten Zustand, durch den ausmittigen Lastangriff des Querdruckes im Stegblech zur Lage des Schubmittelpunktes entsteht und es bei Überwindung des Torsionswiderstandes der Steife ein Ausweichen der Steife in negative y-Richtung verursacht. Bei größerem Steifenabstand zur Lasteinleitungsstelle (V 5 und V 6) wurde in beiden Fällen ein mehrwelliges Ausbeulen des ersten Beulfeldes unter alleiniger Wirkung der Längsbelastung beobachtet. Dies ist in der Aufnahme des 3-D-Scans (Bild 13) zu erkennen. Mit der Einleitung der Querlast wechselt das Versagen von Einzelfeld- zu Gesamtfeldbeulen. Die entstandenen Beulen wirken auf die eingeleitete Querlast als Aussteifung, so dass hier etwas größere Traglasten als erwartet eintraten.

Probekörper 5

Beulnachweis der Versuchskörper nach DIN EN 1993-1-5 (Methode der reduzierten Spannungen) Eine wichtige Größe für die Nachrechnung der Versuche stellt der angenommene Einspanngrad der Längssteifen in den Prüfrahmen dar. Bei der Annahme einer gelenkigen Lagerung, wie dies im Fall einer Statik wäre, würde die rechnerische Tragfähigkeit beim Gesamtfeldnachweis als zu gering ermittelt werden. Da bei realen Bauwerken Einspanngrade auftreten könnten, die kleiner als der des Versuchsstandes sind, würde eine solche Auswertung also zu Ergebnissen auf der unsicheren Seite führen. Wird dagegen bei der Nachrechnung der Versuche von einer vollen Einspannung ausgegangen, liegen die Ergebnisse auf der sicheren Seite, könnten aber eventuell zu konservativ sein.

Probekörper 6

13 Verformungszustand aus der Ebene nach aufgebrachter Längslast © Technische Universität München

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SYMPOSIUM Es werden die Fälle des gelenkigen Anschlusses sowie einer Teil- und Volleinspannung der Längssteifen jeweils mit nomineller und realer Streckgrenze untersucht. Zusätzlich wird unterschieden, ob die Torsionssteifigkeit der Längssteife berücksichtigt wird oder nicht. In Bild 14 sind die Ergebnisse ohne Berücksichtigung der Torsionssteifigkeit nach aktueller Empfehlung dargestellt. Die Teileinspannung des Prüfstandes wurde durch Ersatzsysteme rechnerisch ermittelt und mit den Dehnungsmessungen abgeglichen. Die Bewertung dieses Vergleichs ist nicht trivial. In dem Diagramm bedeutet ein Wert √η>1,0, dass beim jeweiligen Nachweis niedrigere Traglasten ermittelt werden, als im Versuch erreicht wurden. Das heißt im Umkehrschluss, dass der Nachweis dann als sicher gelten kann, wenn Werte größer als 1 erzielt werden. Dies gilt unter der Annahme, dass die Imperfektionen der Versuchskörper im Wesentlichen den Imperfektionen realer Bauteile entsprechen. Es ist zu erkennen, dass alle Ergebnisse auf der sicheren Seite liegen. Die Annahme eines gelenkigen Anschlusses führt jedoch zu weitgehend konservativen Lösungen. An dem Ergebnis aus Versuch 5 und 6 ist der aussteifende Effekt des unteren Beulfeldes, wie in Kapitel 4 erläutert, klar zu erkennen. Die entstehenden mehrwelligen Beulen unter Längsbelastung wirken auf die Querlast, ähnlich wie ein Wellblech, aussteifend. Dadurch kann die Querlast höhere Werte als erwartet annehmen. Dies ist in Bild 14 zu erkennen, in der die Versuche 1–4 ein 1,40- bis 1,70-faches Sicherheitsniveau und im Vergleich die Versuche 5 und 6 eine 2,20- bis 2,30-fache Sicherheit unter Teileinspannung erreichen. 6 Ausblick Die getroffenen Überlegungen stellen einen Zwischenstand der Auswertung der Beulversuche an der Talbrücke Thulba dar. Sie wurden ausschließlich mit dem Ziel entwickelt, Empfehlungen zur Durchführung der Beulnachweise für Beulfelder unter biaxialem Druck bei diesem Bauwerk zu geben. Es wurde daher angestrebt, Regelungen zu treffen, die einerseits das notwendige Sicherheitsniveau sicherstellen, andererseits aber auch eine wirtschaftliche Bauweise ermöglichen. Notwendig zur Kalibrierung des Nachweises ist jedoch eine Anbindung des Sicherheitsniveaus an die Regelungen der DIN EN 1990. Dies kann mit den folgenden Überlegungen zum aktuellen Zeitpunkt nur näherungsweise erfolgen. Dazu sind weitere Untersuchungen notwendig.

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14 Ausnutzungsgrade √η beim Gesamtfeldnachweis nach DIN EN 1993-1-5 (10.5) ohne Berücksichtigung der Torsionssteifigkeit der Längssteifen, mit Berücksichtigung des V-Faktors und mit nomineller Streckgrenze © Technische Universität München

Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Einfluss aus Imperfektionen, dem Steifenabstand, dem Spannungsverhältnis, der Randbedingung und Torsion auf das Beulverhalten. Weitere wichtige Einflüsse, wie die Lasteinleitungskonstruktion oder Imperfektionen aus der Lasteinleitung, sind nicht systematisch untersucht worden. Diese und andere weiterführende Untersuchungen werden im Rahmen eines neuen DASt-AiF-Forschungsprojekts der Technischen Universität München und der Universität Stuttgart geklärt, das am 1. Dezember 2018 gestartet ist. Daher werden in der nahen Zukunft aufgrund der fortgeführten Arbeiten bezüglich Auswertung und Nachrechnung der Versuche mit großer Wahrscheinlichkeit neue Erkenntnisse vorliegen, die eine weitere Präzisierung des Nachweisformats erlauben. Die im Projekt erzielten Ergebnisse zum Tragverhalten ausgesteifter Platten unter biaxialem Druck ermöglichen eine wirtschaftliche Dimensionierung von Beulfeldern, wie sie auf Basis des aktuellen Standes der Technik bisher nicht erzielbar war. Von besonderer Bedeutung ist dies für das Taktschieben, einer sehr wirtschaftlichen Bauweise des Brückenbaus, die vor allem bei größeren Stahl- und Verbundbrücken zum Einsatz kommt. Zudem können die Projektergebnisse genutzt werden, um eine erhöhte Verlässlichkeit im Fall einer numerischen Bemessung zu erzielen: Kalibrierung der Modelle an den Versuchsergebnissen, verbesserte Kenntnis der anzusetzenden Anfangsimperfektionen.

Der Lehrstuhl für Metallbau der Technischen Universität München möchte einen herzlichen Dank an den Auftraggeber, die Autobahndirektion Nordbayern, zu den begleitenden Beulversuchen zur Talbrücke Thulba aussprechen. Hier konnten wichtige Ergebnisse, Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt werden, so dass sich, auf ihnen aufbauend, eine wissenschaftliche Forschung effektiv weiterführen lässt. An dieser Stelle danken wir dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), das unter dem Dach der der AiF-Forschungsvereinigung das neue Forschungsprojekt AiF-DASt 20455 und damit die Weiterführung der Forschung zu »längsausgesteiften Beulfeldern unter mehrachsigen Spannungen« ermöglicht hat. Ein besonderer Dank gilt auch unseren Projektpartnern, Prof. Ulrike Kuhlmann und Vahid Pourostad von der Universität Stuttgart, die schon die Versuche zur Talbrücke Thulba durch numerische Berechnungen unterstützten. Die guten Ergebnisse trugen wesentlich zu dem erfolgreichen Abschluss des Projektes bei. Wir freuen uns über die gelungene Zusammenarbeit und auf die weiterführende Kooperation im Rahmen des neuen Forschungsprojektes. Autoren: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Martin Mensinger Dr.-Ing. Joseph Ndogmo Nadine Maier M. Sc. Lehrstuhl für Metallbau Technische Universität München


SYMPOSIUM

Literatur [1] Scheer, J. und Nölke, H.: Zum Nachweis der Beulsicherheit von Platten bei gleichzeitiger Wirkung mehrerer Randspannungen; in: Stahlbau 70, H. 9, 2001, S. 718–729. [2] DIN-Fachbericht 103:2009-03: Stahlbrücken. März 2009. [3] DIN EN 1993-1-5:2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten, Teil 1–5: Plattenförmige Bauteile; Deutsche Fassung EN 1993-1-5:2006 und AC:2009. [4] Braun, B. and Kuhlmann, U.: Reduced stress design of plates under biaxial compression; in: Steel Construction 5, N. 1, 2012, P. 33–40. [5] Braun, B.: Stability of steel plates under combined loading. Mitteilungen des Instituts für Konstruktion und Entwurf, Nr. 2010-3. Stuttgart, 2010. [6] Maur, J.; Schmidt, H. und Verwiebe, C.: Spannungsbasierter Beulsicherheitsnachweis ebener und gekrümmter stählerner Flächentragwerke unter kombinierter Membranbeanspruchung. Eine vergleichende Analyse der Eurocode-Formate; in: Stahlbau 80, H. 11, 2011, S. 804–813. [7] Kuhlmann, U.; Braun, B.; Degée, H. and Zizza, A.: New chances and developments of Eurocode 3 Part 1.5. Bridge design aspects; in: Steel Construction 4, N. 4, 2011, P. 224–231.

[8] Unterweger, H.; Kettler, M.: Einzelfeldbeulen. Wirklich große Unterschiede zwischen Eurocode EN 1993-1-5 und DIN 18800-3; in: Stahlbau 82, H. 8, 2013, S. 597–608. [9] Zizza, A.: Buckling behaviour of unstiffened and stiffened steel plates under multiaxial stress states. Dissertation. Universität Stuttgart, 2016. [10] Seitz, M.: Tragverhalten längsversteifter Blechträger unter quergerichteter Krafteinleitung. Dissertation. Universität Stuttgart, 2005. [11] Frickel, J.; Pourostad, V.; Kuhlmann, U.; SchmidtRasche, C.: Untersuchungen zum Beulnachweis nach DIN EN 1993-1-5. BASt. FE.89.0313/2015. [12] Bitar, D.; Adamakos, T.; Mangin, P.: Ponts haubanés à tablier métallique orthotrope. Vérification des plaques orthotropes sous compression bi-axiale; in: Revue Construction Métallique 2015, S. 41–68. [13] CEN/TC 250/SC 3, N 2128 (2015), AM-1-5-201502-Amendment for EN 1993-1-5. Chapter 10 Biaxial Compression incl. background. [14] Timmers, R.: Zur direkten Bestimmung der Traglastkurve nicht ausgesteifter und ausgesteifter Beulfelder durch Anwendung der Fließlinientheorie. Dissertation. Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, April 2015. [14] Hertle, R.; Mensinger, M.; Ndogmo, J.; Köberlin, T.: Anmerkungen zum Stabilitätsnachweis längsversteifter Platten unter bi-axialem Druck; in: Stahlbau 86, H. 7, 2017, S. 148–159.

[15] Mensinger, M.; Ndogmo, J.: Beulnachweise im Stahlbrückenbau; in: Brückenbau 7, H. 4, 2015, S. 24–33. [16] Ndogmo, J.; Mensinger, M.; Both, I.: Buckling Behavior of Stiffened Plate under Biaxial Compression and Shear; in: Procedia Engineering 156, 2016, S. 272–279. [17] Kuhlmann, U.; Braun, B.; Feldmann, M.; Naumes, J.; Martin, P.-O.; Galéa, Y.; Johansson, B.; Collin, P.; Eriksen, J.; Degée, H.; Hausoul, N.; Chica, J.; Raoul, J.; Davaine, L.; Petel, A.: Combri-Handbrückenbau. Teil I: Anwendung von Eurocode-Regelungen, 2008. [18] Kuhlmann, U.; Schmidt-Rasche, C.; Frickel, J.; Pourostad, V.: Untersuchungen zum Beulnachweis nach DIN EN 1993-1-5. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Brücken- und Ingenieurbau. Heft B 140. [19] Mensinger, M.; Maier, N.; Ndogmo, J.; Kuhlmann, U.; Pourostad, V.: Beulversuche längsversteifter Platten unter bi-axialen Druckspannungen, begleitende Beulversuche zur Talbrücke Thulba. Abschlussbericht. Auftraggeber: Autobahndirektion Nordbayern.

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SEIT JAHRZEHNTEN BEWÄHRT.

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SYMPOSIUM Entwurf einer Extradosed Bridge

Neckartalbrücke Horb von Holger Haug, Christoph Maulhardt

Um eine umfassende Entlastung der Ortsdurchfahrt in Horb zu erreichen, soll östlich der Stadt eine zusätzliche Querung des Neckartals geschaffen werden. Die Planung für dieses Projekt beinhaltet den Bau einer Brücke über das Neckartal einschließlich der beiden Anschlussknoten mit den bestehenden Bundesstraßen B 14 und B 32. Im Zuge einer Machbarkeitsstudie für die neuzuschaffende Neckartalquerung wurden bereits in den Jahren 2007 und 2008 verschiedene Varianten untersucht. Deren Bewertung ergab, dass unter statisch-konstruktiven, gestalterischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine sechsfeldrige überspannte Balkenbrücke insgesamt die überzeugendste Lösung ist. Nachfolgend werden der in den Jahren 2017 und 2018 ausgearbeitete Entwurf der Neckartalbrücke Horb vorgestellt und die erforderlichen Planungsänderungen zu der damaligen Vorzugsvariante beschrieben.

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Grundriss und Ansicht © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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Lageplan (Ausschnitt) © Geoportal Baden-Württemberg

1 Projekt und Lage Die Bundesstraße B 32 stellt einen wichtigen Abschnitt der West-Ost-Achse B 28– A 81 in der Region Nordschwarzwald in Baden-Württemberg dar. Diese Achse verläuft von Offenburg bis zur A 81 und bindet den Landkreis Freudenstadt an das überregionale Fernstraßennetz an. Die Bundestraße B 32 führt, von Südosten kommend, in das Neckartal hinunter und mündet innerhalb der Stadt Horb in die dort im Neckartal verlaufende Bundesstraße B 14, die sich wiederum entlang dem Stadtrand weiter nach Norden zieht und dann das Neckartal verlässt.

In Voruntersuchungen wurde festgestellt, dass eine umfassende Entlastung der Ortsdurchfahrt Horb durch die Schaffung einer zusätzlichen Querung des Neckartals erzielt werden kann. Entsprechend wurde die Planung einer Hochbrücke östlich der Stadt Horb einschließlich der plangleichen, signalisierten Anschlusspunkte mit den vorhandenen Bundesstraßen B 14 und B 32 ausgelöst. Der Planungsabschnitt B 32 neu erstreckt sich von der bestehenden B 14, Stuttgarter Straße (km 0-162), über die Neckartalbrücke auf eine Gesamtlänge


SYMPOSIUM von ca. 2 km bis zur bestehenden B 32, Hornaustraße am Ortsende Nordstetten (km 1+850). Von Norden kommend, schwenkt die neue Trasse der B 32 im Bereich des vorhandenen Parkplatzes »Rauschbart« von der alten B 14 nach Osten und verläuft dann über eine Länge von ca. 670 m auf einer Talbrücke über das Neckartal. Hierbei werden die DBStrecke 4860 Stuttgart–Horb, die L 370 Horb–Mühlen, der Neckar und die DBStrecke 4600 Tübingen–Horb gekreuzt. Der Höhenverlauf der B 32 neu orientiert sich am Bestand der B 14 alt nördlich und der B 32 alt südlich der Talbrücke. Auf der Neckartalbrücke erreicht die Gradiente dadurch eine Höhe von ca. 70 m über Talgrund bei einer Längsneigung bis 2,50 %. Auf der Talbrücke kommt der Regelquerschnitt RQ 11,5+ mit Überholstreifen jeweils für die Bergfahrt zur Anwendung. Im Bereich von Knotenpunkten werden Abbiegestreifen mit einer Breite von 3,25 m angeordnet. Die Länge der einzelnen Abbiegestreifen wurde entsprechend der Verkehrsbelastung dimensioniert und erstreckt sich über einen größeren Abschnitt in den Randfeldern der Brücke. Die Breite des Überbaus zwischen den Geländern erhöht sich deshalb von 19,40 m im Regelbereich auf 22,65 m in Abschnitten mit Abbiegestreifen.

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Abbiegestreifen mussten im Bereich der Brücke zum damaligen Zeitpunkt nicht berücksichtigt werden, so dass eine Fahrbahnplatte in Stahlbetonbauweise, zwischen den außenliegenden Hauptträgern spannend, vorgesehen war. Im Zuge der Entwurfsbearbeitung wurden zunächst folgende, für die Vorzugsvariante getroffenen Festlegungen weiter untersucht und auf ihre Eignung für die Entwurfsplanung überprüft. Aufgrund der Verbreiterung infolge der zu berücksichtigenden Abbiegestreifen erwies sich die Querschnittsausbildung mit einer zwischen den außenliegenden Hauptträgern spannenden Fahrbahnplatte in Stahlbetonbauweise als ungeeignet. Zwischen den Hauptträgern waren deshalb Querträger anzuordnen, und eine konstant dicke Fahrbahnplatte sollte von Querträger zu Querträger spannen. Die Querträger sollten in Stahl- oder Spannbetonbauweise ausgeführt werden. Wie sich darüber hinaus zeigte, konnten mit der bisherigen Querschnittsausbildung die heutigen Sicherheitsbelange

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Änderungen der Machbarkeitsstudie Die im Rahmen einer Machbarkeitsstudie ausgearbeitete Bauwerksskizze zeigte einen Überbau mit konstanter Bauhöhe. Die Hauptstützweiten wurden mit 61 m, 120 m, 152,50 m, 152,50 m, 120 m und 73 m angegeben. Die außenliegenden Längsträger wurden mit einer massiven Aufkantung und einem darin integrierten Fahrzeugrückhaltesystem dargestellt.

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Querschnitt des Überbaus © Leonhardt, Andrä und Partner AG

der Verkehrsteilnehmer nicht mehr erfüllt werden, und für den Bauwerksentwurf war deshalb auf ein zugelassenes Fahrzeugrückhaltesystem zurückzugreifen. Die vorgesehene Anordnung der Pylone und Seile innerhalb der Kappen verlangte die Planung breiterer Kappen, um einen ausreichenden Abstand der Schutzplanken zum Fahrbahnrand und einen ausreichend breiten, durchgängigen Notgehweg zu gewährleisten. Beim Überbauquerschnitt für die Machbarkeitsstudie lag die Fahrbahnplatte ungefähr auf der Höhe der Schwerachse und leistete somit nur einen unwesentlichen Beitrag zu den Widerstandswerten des Querschnittes. Es war zu erkennen, dass eine wirtschaftliche Planung mit dieser Querschnittsausbildung nicht möglich war. Größere Widerstandswerte bei gleichbleibendem Gewicht ließen sich erreichen, indem man die Fahrbahnplatte an den oberen Querschnittsrand verschob und damit die massive Aufkantung der Hauptträger entfiel.

Ansicht aus der Planfeststellung © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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Überbauquerschnitt aus der Planfeststellung © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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SYMPOSIUM Der Überbau mit konstanter Bauhöhe erlaubte keine ausgewogene Abtragung der veränderlichen Lasten über die Hauptträger und die Überspannung. Die aus statischen Gründen erforderliche Bauhöhe für die Hauptträger führte zu einer hohen Biegesteifigkeit des Überbaus und verhinderte dadurch, dass die Überspannung einen nennenswerten Beitrag zur Lastabtragung leistet. Erst eine merkliche Reduzierung der Bauhöhe im Feldbereich und, damit einhergehend, eine Reduzierung der Biegesteifigkeit sorgten dafür, dass die Überspannung sich mehr an der Lastabtragung beteiligen konnte. Die mit dieser Bauhöhe zu erzielende Querschnittstragfähigkeit war jedoch nicht ausreichend für die hohen Stützmomente. Aus jenem Grund war eine Voute zu den Pfeilern hin vorzusehen, die aufgrund ihrer vergleichsweise kurzen Länge nur in geringem Maße die Gesamtbiegesteifigkeit der Hauptträger beeinflusste. Die Stützweiten waren mit Ausnahme des südlichen Randfeldes nur gering zu verändern. Mit einer Vergrößerung der Hauptstützweiten von 152,50 m auf 157,50 m und einer Verringerung der ersten Innenfelder von 120 m auf 115 m war eine wirtschaftlichere Ausführung der gevouteten Hauptträger möglich. Der neue Pfeilerstandort für die Achse 50 konnte so um nochmals 5 m von der DBStrecke 4600 abgerückt und Auswirkungen auf den Bahndamm bei der Herstellung der Gründung somit praktisch ausgeschlossen werden. Die Länge des südlichen Randfeldes erwies sich mit den geplanten 73 m als zu lang und ließ keine wirtschaftliche Ausführung zu. Die Stützweite wurde auf 61 m verringert, was der des nördlichen Randfeldes entspricht. Die damit einhergehende Verschiebung des südlichen Widerlagers um ca. 12 m talwärts war bei den gegebenen Randbedingungen problemlos zu bewerkstelligen. 3 Entwurf Die ca. 670 m lange Neckartalquerung Horb wurde als sechsfeldrige Balkenbrücke entworfen und weist Spannweiten von 61 m, 115 m, 157,50 m, 157,50 m, 115 m und 61 m auf. Der Überbau wurde als überspannter, gevouteter Durchlaufträger konzipiert. Der Querschnitt ist ein zweistegiger Plattenbalken mit außenliegenden Stegen bzw. Hauptträgern in Stahlbetonbauweise mit einer Konstruktionshöhe von 2,30 m in den Feldbereichen und maximal 4,55 m an den Stützenachsen. Der gevoutete Abschnitt erstreckt sich auf eine Länge von 25 m beiderseits der Pfeilerachsen.

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Detail: Seilverankerung eines Pylons © Leonhardt, Andrä und Partner AG

In den Feldbereichen zwischen den Vouten werden die Stege an der Unterseite mit einem außenliegenden, bis zu 150 mm dicken Grobblech für die Aufnahme der Zugspannungen infolge der positiven Feldmomente verstärkt. Das Grobblech ist über Kopfbolzendübel mit dem Stahlbetonquerschnitt verbunden. Das untenliegende Grobblech bietet die Möglichkeit, die Querschnittstragfähigkeit zu erhöhen, ohne im gleichen Maße die Biegesteifigkeit des Trägers zu erhöhen. Die sehr schlanke Gestalt der Hauptträger im Feldbereich von l/h ≈ 65 ermöglicht erst eine ausgewogene Lastabtragung zwischen Biegeträger und der Überspannung. Mit der Ausbildung einer Voute zu den Mittelpfeilern hin wird auf wirtschaftliche Art die erforderliche Querschnittstragfähigkeit in den Stützbereichen geschaffen, ohne damit in nennenswertem Umfang die Steifigkeitsverhältnisse zu verändern. Die Seitenflächen der Hauptträger sind mit 9:1 geneigt und haben an der Unterseite über die gesamte Brückenlänge eine konstante Breite von 2 m. Um eine robuste und wartungsarme Konstruktion zu erhalten, werden die Hauptträger massiv ausgeführt. Zwischen den Hauptträgern spannen Querträger in regelmäßigen Abständen von 4,20– 4,35 m, die zusammen mit den Hauptträgern als Trägerrostsystem fungieren. Die Querträger haben einen dichtgeschweißten Rechteckquerschnitt und werden an die Hauptträger über Kopfplatten mit Kopfbolzendübeln angeschlossen. Die 35 cm dicke Fahrbahnplatte spannt von Querträger zu Querträger und kann unter Ausnutzung der Durchlaufwirkung wirtschaftlich bemessen werden. Über Kopfbolzendübeln auf dem Obergurt der Querträger wird ein Verbund mit der Fahrbahnplatte erzeugt. Die Neckartalbrücke Horb ist ein semiintegrales Bauwerk: Die drei mittleren Pfeiler in den Achsen 30, 40 und 50 sind monolithisch mit dem Überbau verbunden und werden um 21,50 m über den

Überbau hinaus verlängert. In Querrichtung sind sie als Rahmen konzipiert, wobei die beiden Stiele mit insgesamt drei vorgespannten Querriegeln verbunden sind. Die Überspannung besteht aus fünf Parallellitzenseilen nach jeder Seite und für jeden außenliegenden Hauptträger. Die harfenförmig angeordneten Seile sind mit ca. 18° zur Horizontalen geneigt und werden in den Pylonen fest verankert. Hierfür werden in den Pylonen vorgefertigte Einbauteile aus Stahl, sogenannte Ankerboxen, einbetoniert. An der Unterseite der Hauptträger sind Lisenen vorgesehen für die Verankerung der Seile. Diese Lisenen werden, vom Ende der Voute aus gerechnet, im Abstand von 8,60 m angeordnet und erzeugen eine elastische Unterstützung des Überbaus ungefähr bei einem Drittel der Stützweite. Das Spannen der Seile erfolgt litzenweise von den Spannankern an den Hauptträgern aus. In den Achsen 20 und 60 befinden sich massive, rechteckige Pfeiler unter jedem Steg, die mit allseits beweglichen Kalottenlagern ausgestattet sind. Auf den Widerlagern wird eines der beiden längsverschieblichen Lager in Querrichtung fest ausgebildet. Mit Ausnahme der Randpfeiler in Achse 60 und der westlichen Widerlagerhälfte in Achse 10 sind alle Unterbauten auf Großbohrpfählen mit einem Durchmesser von 1,50 m gegründet. Die Widerlager kommen als begehbare Kastenwiderlager zur Ausführung. Bedingt durch den Überbauquerschnitt mit außenliegenden Stegen werden ihre Flügel nach innen versetzt, damit die Innenkante der Kappen mit jener der Flügelwände abschließt. Trotz ihrer relativ flachen Neigung von ca. 18° zur Horizontalen leisten die Seile aufgrund der schlanken Überbauausbildung einen merklichen Beitrag an der Abtragung der veränderlichen Lasten und weisen insofern ein Schrägseilbrücken vergleichbares Tragverhalten auf.


SYMPOSIUM Entsprechende Kriterien in der Richtlinie »Cable stays. Recommendation of French Interministerial Commision on Prestressing« (Setra, 2002) bestätigen diese Einschätzung, so dass für die Entwurfsplanung die der Konzeption von Schrägseilbrücken zugrunde gelegten Sicherheitskonzepte angewandt wurden: Die Einwirkungen aus ständigen Lasten und Seilvorspannung werden als gemeinsame Einwirkung »G+P« mit γG,,sup = 1,35 für die Tragsicherheitsnachweise definiert, wobei auf der Widerstandsseite für die Seilbemessung größere Sicherheitsbeiwerte angesetzt werden als beispielsweise bei externen Spanngliedern. Das Tragverhalten des Überbauquerschnittes wurde mit einem räumlichen Trägerrostmodell untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich vom kürzesten Seil bis zur Torsionseinspannung an den monolithisch angeschlossenen Pfeilern in Achse 30, 40 und 50 ein großes Torsionsmoment aufbaut. Durch die Querträger in Stahlverbundbauweise in engen Abständen lassen sich diese, im Wesentlichen Verträglichkeitstorsionsmomente, merklich reduzieren. Nichtsdestotrotz konnte der Nachweis der Druckstrebe mit den üblichen Rechenansätzen für Torsion bei einem massiven Querschnitt nicht erfüllt werden. Durch die Anordnung einer zusätzlichen inneren Bewehrung wurde die gleiche Torsionsbewehrung erzeugt wie bei einem Hohlkastenquerschnitt, womit sich rechnerisch eine größere Wanddicke für die Torsionsnachweise ergab und die Torsionsbeanspruchungen nachgewiesen werden konnten.

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Statisches System © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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Baustoffe und Mengen © Leonhardt, Andrä und Partner AG

4 Herstellung des Überbaus In der Entwurfsphase wurden bereits mögliche Bauverfahren für die Herstellung des Überbaus genauer untersucht und in der Planung berücksichtigt. Die Berücksichtigung des Herstellungsprozesses erwies sich als zwingend erforderlich bei diesem Bauwerk, um den tatsächlichen Spannungszustand in den einzelnen Bauteilen zu kennen und im Hinblick auf die Ausschreibung eine zuverlässige Grundlage für die Mengenermittlung zur Verfügung zu haben. Darüber hinaus lieferte die Berechnung des Bauablaufs erst die erforderlichen Eingangswerte für die Planung der Baubehelfe zur Herstellung des Überbaus, zum Beispiel für die Hilfsjoche und Hilfsgründungen. Der Überbau befindet sich in ca. 70 m Höhe über dem Talgrund und kreuzt mehrere Verkehrswege sowie den Neckar. 10 Bauablauf: Freivorbauverfahren © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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SYMPOSIUM In der Entwurfsplanung wurde deshalb zunächst vorgesehen, den mittleren Bereich der Brücke von den Achsen 30, 40 und 50 aus im Freivorbauverfahren zu errichten. Die Randbereiche auf beiden Seiten sollten mittels eines bodengestützten Traggerüstes ergänzt werden. Um die Bauzeit zu minimieren, wurde im Bereich des Freivorbaus eine räumliche Trennung der einzelnen Arbeitsschritte für die Herstellung eines Segmentes vorgesehen. Die Freivorbaugeräte sollten dazu mit einem Vorläufer ausgestattet werden, um im vorderen Abschnitt die untenliegenden Stahlbleche einbringen und an das überstehende Stahlblech anschweißen zu können. Um weniger Schweißarbeiten auf der Baustelle ausführen zu müssen, sollten die Bleche mindestens zwei Segmente lang sein. Im mittleren Abschnitt des Freivorbaugerüstes wurde vorgeschlagen, die Stahlquerträger zu versetzen und anschließend die Hauptträger zu betonieren. Im hinteren Abschnitt, auf einem Nachläufer, sollten die 13 cm dicken Stahlbetonhalbfertigteilplatten auf die Querträger gelegt und der 22 cm dicke Aufbeton ergänzt werden. Danach war geplant, das Freivorbaugerät vorzufahren, um die Hauptträger- und Fahrbahnplattenabschnitte für das nächste Segment zu realisieren. Die Herstellung des Überbaus im Freivorbauverfahren bietet den Vorteil einer geringen Flächeninanspruchnahme im Tal und erfordert einen niedrigen Rüstmaterialeinsatz. Als nachteilig sind hingegen die beengten Platzverhältnisse für die Ausführung der verschiedenen Bauleistungen bei der Herstellung eines Segmentes anzuführen. Im Hinblick auf eine geringe Bauzeit sind die einzelnen Arbeitsschritte zeitlich eng aufeinander abzustimmen, hieraus rührt aber ein hohes Bauzeitenrisiko. Durch das beengte Arbeiten in großer Höhe ist das Unfallrisiko zudem als hoch einzuschätzen und erfordert deshalb umfangreiche Maßnahmen für die Gewährleistung der Arbeitssicherheit. Im Bauzustand erwiesen sich die frei stehenden Pfeiler mit langen Kragarmen nach ersten Untersuchungen schwingungsanfällig, so dass Vorkehrungen zur Gewährleistung der aerodynamischen Stabilität nicht ausgeschlossen werden konnten. Um die Verformungen bei einseitiger Belastung zu verringern, wurde auf einer Seite jeweils eine Hilfsstütze angeordnet. Hierdurch ließen sich auch die hohen Beanspruchungen in den Pfeilern während der Errichtung des Überbaus verringern. Neben dem Freivorbauverfahren wurde auch die abschnittsweise Herstellung des Überbaus auf Traggerüst untersucht.

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11 Bauablauf: Traggerüst © Leonhardt, Andrä und Partner AG

Beginnend beim nördlichen Widerlager, war dabei vorgesehen, den Überbau in insgesamt fünf Abschnitten zu realisieren. Die Abstände der Hilfsjoche für das Traggerüst wurden mit ca. 30 m festgelegt, so dass die Distanzen zu den zu überbrückenden Verkehrswegen genügend groß ausfallen. Im Bereich vor Achse 30 bis nach Achse 50 werden jeweils Abschnitte, welche von Feldmitte bis Feldmitte reichen, eingerüstet, was einer Abschnittslänge von ca. 160 m entspricht. Nach dem Herstellen eines Überbauabschnittes mit einer Überspannung werden die Kabel in selbigem gespannt. Das Betonieren eines eingerüsteten Abschnittes ist in mehreren Schritten geplant. Zunächst soll im Bereich der Pfeiler ein ca. 10 m langer Überbauabschnitt hergestellt und anschließend der gesamte gevoutete Überbauabschnitt ergänzt werden. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, parallel zur weiteren Bauabfolge bereits die Betonmasten errichten und die Kabelverankerungen montieren zu können. Die Montage dieses ersten Traggerüstabschnittes links und rechts der Pfeiler erfolgt im gleichen Zeitraum, in welchem im vorherigen Abschnitt die Grobbleche verlegt, die Kabelverankerung eingebracht und dann die Über-

bauabschnitte bis zur Feldmitte ergänzt werden. Damit wird erreicht, dass gleichartige Tätigkeiten, wie das Verlegen und Verschweißen der Grobbleche oder das Bewehren und Betonieren des Überbaus in großem Umfang, zeitgleich und weiträumig voneinander getrennt durchgeführt werden können. Die Untersuchungen zeigten, dass sich gegenüber der Herstellung im Freivorbauverfahren bei einer abschnittsweisen Herstellung auf Traggerüst die Bauzeit um rund ein Jahr verkürzen lässt. Mit einer abschnittsweisen Herstellung auf Traggerüst sind deutlich weniger Arbeitsschritte aufeinander abzustimmen, so dass das Bauzeitenrisiko geringer zu bewerten ist, zumal die einzelnen Arbeitsschritte auch großräumig voneinander getrennt ausgeführt werden können. Bei einem stationären Arbeitsgerüst stehen ausreichende Arbeitsflächen zur Verfügung, und Sicherheitseinrichtungen lassen sich einfacher montieren als bei verfahrbaren Gerüsten. Damit ist auch das Unfallrisiko als niedriger zu bewerten. Die Flächeninanspruchnahme ist bei der Herstellung auf Traggerüst wegen der erforderlichen Hilfsjoche aber deutlich größer und als Nachteil zu nennen. Mit der Herstellung auf Traggerüst ist zudem


SYMPOSIUM

12 Neckartalbrücke Horb als Visualisierung © Leonhardt, Andrä und Partner AG

ein sehr viel höherer Rüstmaterialeinsatz verbunden, was höhere Kosten im Vergleich zum Freivorbau verursacht. Die zusätzlichen Kosten für die Gründungen der Hilfsjoche sind ebenfalls zu beachten und bei einer Bewertung als nachteilig einzustufen. Gegenüber dem Freivorbauverfahren überwiegen jedoch die Vorteile bei einer abschnittsweisen Herstellung auf einem bodengestützten Traggerüst, weshalb geplant ist, jene Variante weiterzuverfolgen. 5 Zusammenfassung Als Ergebnis einer früheren Machbarkeitsstudie wurde eine ca. 670 m lange Hochbrücke mit Überspannungen der Hauptfelder vorgeschlagen. Im Rahmen der Entwurfsbearbeitung wurde dieser Vorschlag in wesentlichen Punkten geändert bzw. überarbeitet: Das betraf die Standorte der Unterbauten, die Ausführung des Überbauquerschnittes, die Planung eines gevouteten Überbaus

anstelle der Lösung mit konstanter Bauhöhe sowie sämtliche Details für die Überspannung. Die Entwurfsbearbeitung wurde geleitet durch den hohen Anspruch an die Gestaltung des Bauwerks, gleichzeitig sollte aber die Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen verloren werden. Die neue Neckartalbrücke wird das Tal in ca. 70 m Höhe überqueren, entworfen wurde sie als sechsfeldrige Extradosed Bridge mit Überspannungen der Hauptfelder. Der Querschnitt ist ein zweistegiger Plattenbalken mit massiven außenliegenden Stegen bzw. Hauptträgern in Stahlbetonbauweise mit einer Bauhöhe von 2,30 m in den Feldbereichen und maximal 4,55 m in den Stützenachsen. Durch die sehr geringe Bauhöhe für die Feldbereiche und die nur ca. 25 m langen Vouten zu den Pfeilern hin konnte die Biegesteifigkeit des Durchlaufträgers so weit reduziert werden, dass sich eine ausgewogene Abtragung der veränderlichen Lasten über den Träger und die

Überspannungen einstellen kann. Für die Aufnahme von Zugspannungen in den Feldbereichen wurde an der Querschnittsunterseite ein bis zu 150 mm dickes außenliegendes Grobblech vorgesehen. Bei der geplanten Bauweise für die Längsträger ließ sich die Bauhöhe so um ≥ 1 m reduzieren und damit verhindern, dass die Abtragung der veränderlichen Lasten zu stark und insofern unwirtschaftlich über den Überbau erfolgt. Für die Ausführung des Überbaus wurden bereits in der Entwurfsplanung zwei mögliche Bauverfahren genauer untersucht. Hierbei zeigte sich, dass die abschnittsweise Errichtung mit einem bodengestützten Traggerüst als vorteilhaft zu bewerten ist im Vergleich zu einer Herstellung der mittleren Abschnitte im Freivorbauverfahren; bei beiden Bauverfahren werden die Randbereiche mittels eines bodengestützten Traggerüsts realisiert. Trotz höherer Materialkosten für das bodengestützte Traggerüst erweist sich dieses Vorgehen als die wirtschaftlichere Lösung, da so eine wesentlich kürzere Bauzeit realisiert werden kann. Autoren: Dipl.-Ing. Holger Haug Dipl.-Ing. Christoph Maulhardt Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart

Bauherr Regierungspräsidium Karlsruhe Entwurfsplanung und Ausschreibung Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart

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SYMPOSIUM Variantenuntersuchung und Entwurf

Neckarbrücke Benningen von Holger Haug, Marc Schumm

Zur Entlastung des Ortskerns von Benningen sowie der alten Neckarbrücke und zur Entzerrung des Verkehrsknotenpunkts der L 1138 Freiberg am Neckar–Marbach am Neckar mit der K 1672 Ludwigsburg–Marbach am Neckar wird die L 1138 als Ortsumfahrung neu gebaut. Kernstück dieser ca. 1,20 km langen Ortsumfahrung ist die Errichtung einer Neckarbrücke, die im Grundriss in einem Radius von R = 125 m den Fluss überquert. Bei ihrer Planung war unter anderem die neue Generation von 135 m langen Binnenschiffen zu berücksichtigen, die im Bereich der Neckarschleife eine Breite des einzuhaltenden Lichtraumprofils von 60 m erforderlich machen. Nachfolgend wird auf die Variantenuntersuchung im Rahmen der Vor- sowie auf die Entwurfsplanung des dreifeldrigen semiintegralen Rahmenbauwerks in Stahlverbundbauweise eingegangen. Die Brücke wurde Ende 2018 ausgeschrieben, Baubeginn wird Anfang 2019 sein. Es wird mit einer Bauzeit von zwei Jahren gerechnet. Die Ausschreibung des Straßenbaus erfolgt getrennt, er soll etwa ein Jahr nach Beginn des Brückenbaus starten. Die Fertigstellung der gesamten Ortsumfahrung ist bis September 2021 geplant.

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Lage der Gemeinde Benningen am Neckar © www.googlemaps.de

1 Projekt und Lage Die Gemeinde Benningen am Neckar befindet sich im Landkreis Ludwigsburg in Baden-Württemberg, ca. 20 km nördlich von Stuttgart und in einer nach Westen geöffneten Flussschleife. Der Ortskern liegt in dieser Schleife, auf der Nordseite des Neckars folgt das Gewerbegebiet Krautlose, das nach Norden durch den Prallhang des Neckars begrenzt wird. Die Gemeinde Benningen wird, von Norden anfahrend, über die Landesstraße L 1138 erschlossen. Die in die Jahre gekommene bestehende dreifeldrige Spannbetonbrücke weist zahlreiche Schäden auf und ist auf ein zulässiges Gesamtgewicht von 12 t beschränkt. Weiterhin treffen hier die beiden wichtigen überörtlichen Verbindungsstraßen, die L 1138 aus Richtung Freiberg am Neckar und die K 1678, von Ludwigsburg aus verlaufend, aufeinander, so dass sich im ohnehin beengten Ortskern ein hohes Verkehrsaufkommen mit starken Verkehrsbeeinträchtigungen ergibt. Zur Entlastung des Ortskerns sowie der vorhandenen Neckarbrücke plant das Land Baden-Württemberg als Straßenbaulastträger die neue Ortsumfahrung als Gesamtbaumaßnahme nördlich bzw. nordwestlich der Ortslage von Benningen.

Ihre Streckenführung sieht vor, dass die L 1138 von den Sportanlagen und damit westlich vor dem Ortseingang nach Norden schwenkt und im Bereich des Neckarvorlandes in einer Rechtskurve den Fluss mit einer konstanten Krümmung überquert. Im weiteren Verlauf zieht sie sich durch das Gewerbegebiet Krautlose parallel zum Neckar in östlicher Richtung, und zwar bis zur Einmündung der Ludwigsburger Straße, der L 1138, unterhalb der Weinberge, um sich dann in Richtung Marbach am Neckar fortzusetzen. Nördlich der alten Neckarbrücke wird der neue Knotenpunkt mit der L 1138 als Kreisverkehr ausgebildet. Die neue Neckarquerung ist nach Nordosten orientiert und liegt ca. 600 m westlich der vorhandenen Flussbrücke, sie hat im Grundriss eine geschwungene Trassierung. Die Fahrbahn der geplanten Ortsumfahrung wird in der Regel mit einer Breite von 7,25 m im Streckenbereich bzw. mit 8,00 m auf der Neckarbrücke ausgebildet. Die ca. 1,20 km lange Ortsumfahrung wird im Westen mit einer Einmündung mit Linksabbiegestreifen an die bestehende L 1138 und im Osten mit einem neuzuerstellenden Kreisverkehrsplatz an das vorhandene Straßennetz angeschlossen.


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Ortsumfahrung Benningen und neue Neckarquerung © BIT Ingenieure AG

Im Rahmen des Baurechtsverfahrens wurden die Auswirkungen der neuen Ortsumfahrung auf den Hochwasserabfluss in einem Untersuchungsbericht des Instituts für Wasser und Gewässerentwicklung der Technischen Universität Karlsruhe dokumentiert. Hierbei konnte sichergestellt werden, dass die vorhandenen Neckarauen im Kreuzungsbereich als Retentionsflächen im Überschwemmungsfall ausreichend sind und die Auswirkungen auf den Hochwasserabfluss bei Rückstaueffekten von maximal 4–6 cm vergleichsweise gering sein werden.

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Untersuchung von Varianten © Leonhardt, Andrä und Partner AG

2 Entwurf 2.1 Bauwerksvarianten Die neue Neckarbrücke verläuft in nordöstlicher Richtung und hat im Grundriss eine geschwungene Trassierung, die am Bauwerksanfang südlich des Neckars in einer Wendeklothoide mit A = 85 m erfolgt, die dann in eine Klothoide mit A = 67,50 m übergeht. Daran schließt ein konstanter Radius von R = 125,00 m an, mit dem der Neckar in einem Bogen überquert wird. Dementsprechend ergibt sich ein Querneigungswechsel auf dem Bauwerk von ca. - 2,50 % an dessen Anfang über 0,00 % im Scheitelpunkt bis hin zur konstanten Querneigung von

+ 7,00 %. Die Gradiente bildet im Bauwerksbereich eine Kuppe mit einem Ausrundungsradius von 2.500 m und einem symmetrischen Längsgefälle von jeweils 5,00 %, der Scheitelpunkt befindet sich in der Neckarachse. Das Lichtraumprofil im Bereich der Neckarbrücke mit einer Höhe von 6,30 m über HSW (= +190,87 m NN) ist freizuhalten. Um die Breite dieses Lichtraumprofiles in der Neckarkurve auch für die neueste Generation der Binnenschiffe mit 135 m Länge und 16,50 m Breite, also für sogenannte Europaschiffe, festlegen zu können, wurden durch das Bundesamt für Wasserbau (BAW) umfangreiche Schleppkurven berechnet und ausgewertet. Im Ergebnis war das Lichtraumprofil im Brückenbereich über eine Breite von 60 m freizuhalten. Ziel der Entwurfsbearbeitung war es, im Hinblick auf Lage und Gestaltung eine Brücke zu konzipieren, die sich harmonisch in die Landschaft einfügt und sich wirtschaftlich herstellen und unterhalten lässt. Dazu wurden in Form einer umfangreichen Variantenuntersuchung verschiedene Lösungsmöglichkeiten verglichen, wobei folgende, grundsätzlich mögliche und geeignete Alternativen betrachtet und bewertet wurden: – Variante 1: Durchlaufträgerbrücke mit konstanter Bauhöhe – Variante 2: gevoutete Durchlaufträgerbrücke – Variante 3: Balkenbrücke mit Abspannung – Variante 4: gevoutete Rahmenbrücke – Variante 5: Bogenbrücke

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Längsschnitt und Grundriss © Leonhardt, Andrä und Partner AG

Unter Berücksichtigung des Erscheinungsbilds der Brücke, der Wirtschaftlichkeit, des Herstellverfahrens und insbesondere der Möglichkeit zur Absenkung der Gradiente über dem Neckar und somit der Minimierung der Straßendämme in den Vorlandbereichen wurde in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium Stuttgart, die Variante 4 »Gevoutete Rahmenbrücke« als Vorzugslösung festgelegt.

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2.2 Vorzugslösung: gevoutete Rahmenbrücke Das dreifeldrige Brückenbauwerk ist ein semiintegraler Zweigelenkrahmen, mit je einem angeschlossenen Seitenfeld und einem ausgeprägt gevouteten Überbau. Die Voute wird als wesentliches Gestaltungselement im Bereich der Unterstützungsachsen in einen durchlaufenden Überbauriegel und Schrägstiele aufge-

Regelquerschnitt © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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löst. Die Stützweiten betragen 54,50 m, 86,00 m und 54,50 m (Lges = 195 m). Der Überbau hat eine Konstruktionshöhe von 1,90 m in Feldmitte und in den Auflager- wie Stützenachsen, er weist in Feldmitte somit eine Schlankheit von 86/1,90 = 1/45 auf. Zu den Schrägstielen hin wird er entsprechend angevoutet.


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Wechselnde Querneigung im Bereich der Wendeklothoide © Leonhardt, Andrä und Partner AG

Aufgelöste Voute mit Schrägstielen © Leonhardt, Andrä und Partner AG

Der Überbau wird durchgängig als luftdicht verschweißte Stahlverbundkonstruktion mit Hohlkastenquerschnitt ausgeführt. Das Bodenblech des Kastens ist horizontal konzipiert, die Stege werden mit ca. 1:15 nach außen geneigt. Die Stege und der Untergurt des Stahlkastens gehen monolithisch in die Seitenflächen der Schrägstiele über. Das durchlaufende Gesimsband wird ausgerundet, so dass sich eine optische Untergliederung des Bauwerks in der Ansicht ergibt. Die Fahrbahnplatte im Bereich des Stahlkastens ist 45 cm dick. Die 3,80 m langen Kragarme haben am Anschnitt eine Dicke von 45 cm, die zu Kragarmende auf 25 cm abnimmt. Die Kragarme können ohne Quervorspannung ausgeführt werden.

Bei der Ausführung der Stahlkonstruktion ist unter anderem zu beachten, dass das Deckblech des geschlossenen Stahlhohlkastens der Querneigung der Straßenplanung folgt und sich daher im Bereich der Wendeklothoide von ca. -2 % und + 7 % verwindet: ein Aspekt, der bei Werkstattplanung und Fertigung zu berücksichtigen ist. Durch eine entsprechende Fertigung der Querschotte und gegebenenfalls eine gezielte Behandlung mit Wärmepunkten im Rahmen des Zusammenschweißens des Hohlkastens sollte dies jedoch problemlos möglich sein. Die Schrägstiele als Teil der aufgelösten Voute des Überbaus werden senkrecht zur Bauwerksachse angeordnet und monolithisch an die Pfahlkopfplatten angeschlossen, in Brückenquerrichtung werden sie von ca. 4 m an der Unterkante des Überbaus auf ca. 5 m an der Oberkante des Fundaments aufgeweitet. In der Brückenansicht verjüngen sie sich von oben nach unten von ca. 1,90 m auf 0,80 m.

Aufgrund der semiintegralen Bauweise hat die Steifigkeit der Gründung einen entscheidenden Einfluss auf das Tragund Verformungsverhalten des Bauwerks. Für die Schrägstiele in den Pfeilerachsen 20 und 30 wurde daher eine setzungsunempfindliche Gründungsart jeweils auf sechs Großbohrpfählen mit d = 1,50 m und einer Länge von ca.10,00 m sowie einer 2,00 m dicken Pfahlkopfplatte im oberen Muschelkalk gewählt. Zur Reduktion der Zwangsbeanspruchungen musste weiterhin eine horizontale Nachgiebigkeit der Pfeilergründungen gewährleistet werden, weshalb die Bohrpfähle auf den oberen 5 m konisch geformt und mittels Schutzrohr vom Erdreich isoliert (doben = 1,16 m, dunten = 1,33 m) werden. Da der Grundwasserstand in etwa mit dem Wasserspiegel des Neckars korrespondiert, werden zur Herstellung der Pfahlkopfplatten in den Pfeilerachsen ein wasserdichter Spundwandverbau bis in den oberen Muschelkalk sowie eine 1,20 m dicke Unterwasserbetonsohle erforderlich.

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Am Anschluss der Schrägstiele an die Stummelpfeiler in den Achsen 20 und 30 wird der Stahlhohlkastenquerschnitt wegen dessen eingeschränkter Zugänglichkeit und der dichten Bewehrungsanordnung mittels selbstverdichtenden Betons (SVB) der Güte C 60/75-SVB im unteren Bereich auf einer Länge von 2,50 m ausbetoniert. An der Oberkante des ausbetonierten Abschnitts wird ein Montagestoß für den Stahlquerschnitt vorgesehen sowie als Abschluss des Betonkörpers ein Querschott angeordnet. Zum Einbringen des SVB sind entsprechende Rohre bzw. Öffnungen sowie Entlüftungsöffnungen an den Hochpunkten einzuplanen. Der untere Teil der Stiele wird zusammen mit dem Stummelpfeiler, das heißt ohne Arbeitsfugen, hergestellt. Die Fuge zwischen den endenden Stahlblechen der Stiele und dem Betonkörper wird mit einem dauerelastischen Zweikomponentenkitt auf PUR-Basis, der mit dem Beschichtungssystem verträglich und überstreichbar ist, verschlossen.

10 Temperaturbeanspruchung +∆TN © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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Anschluss: Schrägstiele an Stummelpfeiler © Leonhardt, Andrä und Partner AG

2.3 Globales Tragverhalten Das globale Tragverhalten entspricht dem eines Zweigelenkrahmens mit beiderseitigen Endfeldern. Dies wird an der der Verformungsfigur unter einer gleichmäßigen Temperaturänderung +∆TN deutlich (Bild 10). Hierbei können die Zwangsbeanspruchungen durch eine Vertikalverformung (»Aufatmen«) des Überbaus und die horizontale Nachgiebigkeit der Pfeilergründungen abgebaut werden. Im Bereich der »aufgelösten Voute« wird bei der vorliegenden Konstruktion das Stützmoment des Dreifeldträgers in Druckkräfte in den Schrägstielen und in eine Zugkraft im Überbau aufgelöst,

wodurch sich die Momentenbeanspruchung im Überbau deutlich verringert und somit eine ausgesprochen schlanke und filigrane Gestaltung erzielt wird. Eine weitere Besonderheit der Neckarbrücke Benningen ist die ungewöhnlich große Grundrisskrümmung des Überbaus von R = 125 m. Aus ihr resultieren Torsionsbeanspruchungen, die bei der Bemessung des Überbaus und der Querschotte zu berücksichtigen sind. Weiterhin führt die Druckbeanspruchung des Überbaus als Rahmenriegel zu Horizontallasten, welche ebenfalls Torsionsbeanspruchungen in den Schrägstielen und Gründungen hervorrufen.


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11 Bauablauf © Leonhardt, Andrä und Partner AG

2.4 Bauablauf Nachfolgend wird der vorgesehene Bauablauf kurz beschrieben. Gründungen: Nach Herstellung der Baustellenzufahrten und -straßen innerhalb der Baustelle müssen entsprechende Bohrebenen geschaffen werden. Nach Einbringen der Großbohrpfähle erfolgt die Errichtung der Baugrubenverbauten in den Achsen 20 und 30, um sie teilweise unter Wasser ausheben zu können. Dann wird die Unterwasserbetonsohle ausgeführt und die Baugrube gelenzt, wonach sich die Herstellung der Pfahlkopfplatten anschließt. Parallel werden die Fundamente für die Hilfsstützen im Vorlandbereich gebaut. Unterbauten: In den Achsen 20 und 30 erfolgen die Herstellung der Stummelpfeiler einschließlich des ersten Stahlsegments der Schrägstiele und das Vergießen mit SVB. Parallel dazu werden die aufgehenden Wände der Widerlager und der Stützwand errichtet sowie die Baugrube verfüllt und der Straßendamm hergestellt.

Randfelder des Überbaus: Zunächst beginnt die Errichtung der Hilfsstützen. Nach Anlieferung der einzelnen Überbausegmente mit dem Tieflader werden sie zu Einbaueinheiten vormontiert. Danach werden die Schrägstiele auf der Landseite auf Hilfsstützen mittels Autokran montiert, gefolgt von der Kranmontage der Endfelder auf Hilfsstützen bzw. Hilfslagern und des Mittelteils zwischen den Schrägstielen sowie der Montage der Schrägstiele auf der Neckarseite. Mittelstück des Überbaus (Lückenschluss): Das Mittelstück (Länge ~ 46,60 m, Grundrisskrümmung R = 125 m, Gewicht ~145 t) wird auf einem Vormontageplatz zusammengefügt, auf einen Schwimmponton verladen und eingeschwommen. Nach dem Einbau von Litzenhebevorrichtungen im Bereich der Kragarmenden kann das Mittelstück dann über dem Neckar eingehoben werden. Vorgesehen ist zunächst seine temporäre Verschlosserung sowie das Verschweißen der Baustellenstöße. Hierbei werden sogenannte Fens-

terstöße aufgrund der Unverschieblichkeit der Vorlandbereiche in Brückenlängsrichtung erforderlich. Überbau, Fahrbahnplatte: Nach dem Einbau der Lager an den Widerlagern erfolgt die Herstellung der Endquerträger zusammen mit der abschnittsweisen Fertigung der Fahrbahnplatte mittels Schalwagen. Im Anschluss werden die Hilfsstützen ausgebaut. Brückenausstattung: Der Realisierung umfasst das Herstellen der Kappen, Geländer, Übergangskonstruktionen und Brückenentwässerung, außerdem Abdichtungs- und Belagsarbeiten, Korrosionsschutz- und Beschichtungsarbeiten sowie weitere Restarbeiten.

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12 Statisches System im räumlichen Stabwerksmodell © Leonhardt, Andrä und Partner AG

2.5 Statische Berechnung Die globalen Schnittgrößen werden an einem räumlichen Stabwerk berechnet (Bild 12). Um das Zusammenwirken von Bauwerk und Baugrund darstellen zu können, werden die Gründungen in den Pfeilerachsen im globalen System mit ihren entsprechenden horizontalen und vertikalen Steifigkeiten angesetzt. Hierbei werden auch Grenzwertbetrachtungen mit oberen und unteren Steifigkeiten durchgeführt. Die gerissenen Bereiche der Fahrbahnplatte werden über eine Reduktion der Steifigkeit in der statischen Berechnung berücksichtigt, lokale D-Bereiche mit Finite-Elemente-(FE-)Modellen abgebildet und nachgewiesen (Bild 13).

13 Lokales FE-Modell einer Rahmenecke © Leonhardt, Andrä und Partner AG

3 Zusammenfassung Die neue Neckarbrücke Benningen überzeugt durch ihre im Grund- und Aufriss geschwungene Form und den gevouteten Überbau mit einer äußerst geringen Bauhöhe in Flussmitte. Sie wird sich, wie die nachfolgenden Visualisierungen zeigen, in gestalterischer Hinsicht äußerst harmonisch in das Landschaftsbild der Neckaraue einfügen.

14 Flussquerung als Fotomontage © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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Die Eleganz dieser Konstruktion wird durch die Erlebbarkeit des untenliegenden Tragwerks aufgrund der Krümmung der Brücke im Grundriss offenkundig. Bei der gevouteten Rahmenstruktur wird durch die V-förmig aufgelösten Unterstützungen an beiden Flussufern ein räumliches, skulpturales Bauwerk geschaffen, das seiner ortsbildprägenden, identitätsstiftenden Funktion gerecht werden wird.


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15 Visualisierung der neuen Neckarbrücke Benningen © Leonhardt, Andrä und Partner AG

In technischer Hinsicht weist die Neckarbrücke Benningen einige Besonderheiten und Neuerungen auf, wie zum Beispiel die semiintegrale Ausführung mit den monolithisch an die Stummelpfeiler angeschlossenen Schrägstielen und deren Pfeilerherstellung mit selbstverdichtendem Beton.

Eine weitere Besonderheit ist der luftdicht verschweißte Stahlverbundüberbau mit den Übergängen bzw. Rahmenecken zu den Schrägstielen. Weiterhin sind die Grundrisskrümmung mit R = 125 m und die Wendeklothoide mit Querneigungswechsel auf der Brücke wesentliche Entwurfsmerkmale. Autoren: Dipl.-Ing. Holger Haug Dipl.-Ing. Marc Schumm Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart

Bauherr Regierungspräsidium Stuttgart Entwurf, Ausschreibung, Ausführungsplanung Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart

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SYMPOSIUM Entwurf und bauliche Umsetzung

Ersatzneubau Schiersteiner Rheinbrücke der A 643 von Harald Mank, Alwin Dieter

Die Schiersteiner Rheinbrücke ist mit rund 1.285 m die längste hessische Straßenbrücke. Sie übernimmt dabei eine bedeutende Funktion bei der Erschließung der Wirtschaftsräume Rheinland-Pfalz und Hessen. Als Bestandteil der Bundesautobahn A 643 bildet das Bauwerk mit der A 60 ab Dreieck Mainz zusammen mit den Bundesautobahnen A 671 und A 66 den Mainzer Ring. Der bisherige Brückenzug überspannt mit fünf Teilbauwerken das Vorland und zwei schiffbare Stromarme des Rheins sowie die Insel Rettbergsaue. Die Überbauquerschnitte der Strombrücken waren als Ganzstahlkonstruktionen mit orthotroper Fahrbahnplatte konzipiert worden, die Überbauquerschnitte der verbleibenden drei Teilbauwerke bestanden aus einem offenen Stahlverbundquerschnitt mit quer vorgespannter Betonfahrbahnplatte. Der notwendig gewordene Ersatzneubau befindet sich derzeit in Realisierung.

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Lageplan: Mainzer Ring im Bundesautobahnnetz © TOP 50/Hessen Mobil

1 Notwendigkeit des Ersatzneubaus Die Verkehrsbelastung für die Bestandsbrücke wurde ursprünglich mit maximal 23.000 Kfz/24 h abgeschätzt. Daher wurde das Bauwerk in der Breite mit zwei Fahrstreifen zuzüglich Standstreifen je Fahrtrichtung dimensioniert. Mittlerweile ist die Verkehrsbelastung auf ca. 80.000 Kfz/24 h mit einem Lkw-Anteil von 8 % angewachsen. Zukünftig ist nach einer Prognose sogar mit 97.000 Kfz/24 h bei überproportional ansteigendem Schwerlastanteil zu rechnen. Alleine aus Kapazitätsgründen ist deshalb der Ersatz des Bauwerks mit einem leistungsfähigeren Querschnitt, der jeweils drei Fahrstreifen plus Standstreifen je Fahrtrichtung umfasst, zwingend erforderlich. Darüber hinaus wurden gravierende Schäden am Bauwerk festgestellt, die dem hohen Schwerlastanteil geschuldet sind.

Die Verbundbrücken der Schiersteiner Brücke wiesen im Altbestand im Bereich der Fahrbahnplatten erhebliche Schäden auf. Durch den jahrzehntelangen Tausalzeintrag bei zugleich unzureichender Betondeckung ist beispielsweise Chlorid bis 12 cm tief in den Beton vorgedrungen und hat die Querspannglieder beschädigt. An den als Ganzstahlbrücken errichteten Teilbauwerken wurden bei Bauwerksprüfungen unter anderem zahlreiche Risse an den Schweißnahtanschlüssen der Längsrippen an die Querträgerstege vorgefunden. Nach Auswertung der Material- und Schweißnahtprüfungen zeigte sich, dass das Grundmaterial zwar von der Festigkeit der Güte eines Werkstoffes S 355 entsprach, jedoch die Anforderungen in Dickenrichtung (sogenannte Z-Güten) nicht erfüllt waren. Auch die Schweißnahtgüten entsprachen nicht den heutigen Anforderungen an die Nahtgüte B gemäß DIN EN ISO 5817. Zusätzlich zu den Material- und Schweißnahtdefiziten wurden bei den Stößen der Trapezhohlsteifen an die Querträger bis 40 mm Versatz festgestellt.


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Schäden und Sanierung der Längstrapezsteifen © Horst Surbeck

Aufgrund des extrem schnellen Schadenszuwachses an den Ganzstahlbrücken wurde die Restnutzungsdauer zeitlich beschränkt. Darüber hinaus hätte eine grundhafte Sanierung bzw. ein Ersatz der Fahrbahnplatten an den Verbundbrücken nur unter Vollsperrung durchgeführt werden können, da der vorhandene Überbau aus einem einteiligen Querschnitt mit vier Fahrstreifen und zwei Standstreifen besteht bzw. bestand. In Summe war der Ersatzneubau sowohl aus verkehrlichen als auch aus Gründen der Standsicherheit zwingend erforderlich. 2 Gestaltungswettbewerb 2.1 Wettbewerbsgrundlagen Für den Ersatzneubau der Schiersteiner Brücke fand ein Gestaltungswettbewerb statt. Die Auslobung erfolgte nach den Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe der Raumordnung, des Städtebaus und des Bauwesens (GRW 1995) in der Fassung von 2003. Darin war vorgeschrieben, dass in einer Arbeitsgemeinschaft von Bauingenieur und Architekt unter der Federführung des Bauingenieurs zusammengearbeitet werden musste. Abzugeben waren Erläuterungsbericht, Kostenberechnung, Pläne, die Visualisierung des Entwurfs sowie eine Vorstatik. 2.2 Wettbewerbsaufgabe [1] Die Wettbewerbsaufgabe war im Wesentlichen durch das im überwiegenden Teil des Planungsgebietes ausgewiesene FFH-Gebiet, das Vogelschutz- sowie das Naturschutzgebiet geprägt. Die Insel Rettbergsaue bietet Lebensraum für zahlreiche Brut- und Rastvögel. Aus einem avifaunistischen Gutachten ging hervor, dass die Vögel das bestehende Brückenbauwerk in der Regel in einem Korridor überfliegen. All dies ist naturschutzrechtlich von sehr hoher Bedeutung und mündete in folgende Wettbewerbsregeln:

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Bestandsquerschnitt mit Versatz der Trapezhohlsteifen © Hessen Mobil

– Die zu planenden Brücken sollten von möglichst wenig Grundpfeilern oder Pylonen getragen und diese sollten nach Möglichkeit nicht im FFH-Gebiet platziert werden. – In den Uferbereichen sowohl auf rheinland-pfälzischer als auch auf hessischer Seite und ebenso im Bereich der Rettbergsaue sollten keine geschützten Lebensraumtypen in Anspruch genommen werden. – Prioritäre Lebensräume durften nicht beeinträchtigt werden. – Tabuzonen zur Errichtung von Brückenpfeilern waren zu beachten. – Eventuelle Verseilungen der neuen Brücken waren so zu wählen, dass sie kein massives Hindernis für die Avifauna darstellen. – 10 m oberhalb der Brücken waren Flugkorridore offen zu halten, um einen ungestörten Flug für die Avifauna zu gewährleisten. – Die Farbgebung der zu planenden Brücken war so zu wählen, dass sie von der vorkommenden Avifauna wahrgenommen werden kann.

– Auf eine Beleuchtung der Brücke sollte nach Möglichkeit verzichtet werden, damit ein zusätzliches Kollisionsrisiko durch Anlockung, Blendung, Irritation oder Ablenkung vermieden wurde. – Es sollte ein Bauablauf mit möglichst wenig Eingriffen in die bestehenden Natura-2000-Gebiete und in die Uferbereiche gewählt werden. – Abschließend waren folgende Auflagen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zu berücksichtigen: – keine Einschränkungen der vorhandenen lichten Weite von 200 m im nördlichen Rheinarm durch Strompfeiler; – keine Strompfeiler im Mombacher Arm; – lichte Durchfahrtshöhe für die Schifffahrt von 9,10 m über dem höchsten schiffbaren Wasserstand; – radargerechte Gestaltung der Bauwerke.

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Visualisierung des Siegerentwurfs © Ferdinand Heide

2.3 Wertungskriterien Aus den genannten Wettbewerbsbedingungen ergaben sich folgende Beurteilungskriterien mit nachstehenden Wertigkeitsvorgaben: – Standsicherheit und Robustheit 20 % – Realisierbarkeit der Konstruktion und Bauverfahren 10 % – Dauerhaftigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Nachhaltigkeit 10 % – Wirtschaftlichkeit 15 % – Unterhaltung und Prüfbarkeit 10 % – Umweltverträglichkeit 20 % – Gestaltung und Einbindung in das städtische Umfeld 10 % – Innovation 5 %

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2.4 Wettbewerbsergebnis Unter der Leitung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ist im Dezember 2007 der Wettbewerbssieger ermittelt worden. Den ersten Platz belegte das Ingenieurbüro Grontmij mit dem Architekten Ferdinand Heide, beide Frankfurt am Main. Der Siegerentwurf, eine Deckbrücke, zeichnet sich durch eine einfache Bauweise und die an die Umgebung angepasste Gestaltung aus. Die Zugänglichkeit des Bauwerks wie der damit verbundene künftige Wartungs- und Unterhaltungsaufwand sind voraussichtlich gering. Der Entwurf stellt sowohl in der Unterhaltung als auch bezüglich der Herstellungskosten die wirtschaftlichste Lösung dar.

Neue Rheinbrücke Schierstein in Grundriss und Längsschnitt © Hessen Mobil

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In Betrachtung der Umweltverträglichkeit ist die gewählte Bauweise optimal, da sich durch den flachen Überbau keine Einschränkungen auf die Avifauna ergeben. Kritisch wurden die Schwingungsanfälligkeit des angehängten Geh- und Radwegs sowie die Klärung offener Details bewertet. Aus der Sicht des Bauherrn punktet der Siegerentwurf durch eine saubere ingenieurmäßige Durcharbeitung, insbesondere hinsichtlich der Konstruktion, des Bauverfahrens, der Dauerhaftigkeit und Gebrauchsfähigkeit sowie der Unterhaltung. Beim Entwerfen wurde auf eine fertigungsgerechte und ermüdungsarme Konstruktion Wert gelegt.


SYMPOSIUM 3 Bauwerksentwurf nach RAB-Ing [2] 3.1 Längs- und Querschnittsgestaltung Die Streckentrassierung der Schiersteiner Rheinbrücke verläuft für beide Überbauten in der Geraden. Der Achsabstand der beiden Überbauten in Achse O am Widerlager Wiesbaden beträgt ca. 18,90 m, der lichte Brückenabstand zwischen den Kappen ca. 2,60 m. Bedingt durch die erforderliche Anbindung der Überbauten an die Vorlandbauwerke in Rheinland-Pfalz (Anschlussstelle Mombach) und einen sich dadurch ergebenden Zwangspunkt aus der Verkehrsführung sind die Achsen der Überbauten im Grundriss mit einem Winkel von ca. 0,70 gon gespreizt. Dadurch vergrößert sich im Anschlussbereich an die Vorlandbauwerke auf rheinland-pfälzischer Seite der Abstand der beiden Achsen auf ca. 33 m sowie der lichte Abstand auf ca. 16,70 m. Die Überbauten der Brücke bestehen jeweils aus zwei hintereinanderliegenden Durchlaufträgern mit Stützweiten von 50 m, 55 m, 102,50 m, 205 m, 102,50 m, 89 m sowie 102,50 m, 205 m, 102,50 m, 70 m, 60 m, 60 m, 47 m bzw. 52 m sowie einem anschließenden Rahmen mit ca. 29,90 m Stützweite. Die Gesamtlänge der Überbauten beträgt 1.285,85 m für die Brücke Unterstrom sowie 1.280,92 m für die Brücke Oberstrom. Die beiden Durchlaufträger ruhen in Achse G auf einem gemeinsamen Trennpfeiler und werden mit einer Übergangskonstruktion verbunden. Die Festpunkte in Längsrichtung werden für die südlichen Durchlaufträger jeweils in Achse E angeordnet sowie für die nördlichen Träger in Achse I. Weitere Dehnfugen für den Stahl- und Stahlverbundüberbau sind dadurch nur noch in den Achsen A und N beziehungsweise N´ erforderlich.

Die Querschnittsgestaltung der Deckbrücke gliedert sich im Wesentlichen in zwei Materialkonzepte, die entsprechend ihrer Tragwirkung und unter Berücksichtigung von statischen, wirtschaftlichen und gestalterischen Aspekten in den entsprechenden Feldbereichen vorgesehen sind: Zum einen sind dies Stahlverbundquerschnitte mit Stahlbetonfahrbahnplatten in den Achsen A–C, F–G und J–N. Zum anderen sind die großen Hauptöffnungen im Strombereich als Stahlquerschnitte mit orthotroper Fahrbahnplatte in den Achsen C–F und G–J konzipiert. Für die Lagerung der Überbauten werden wegen

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der hohen Lasten und Lagerverdrehungen ausschließlich Kalotten- bzw. Kalottengleitlager nach DIN EN 1337 [3] angeordnet. Im Bereich über der Rheingaustraße (Achse N–O) sind Rahmen aus vorgespannten Halbfertigteilen mit Ortbetonergänzung vorgesehen. In den Achsen C, F und J wechselt die Überbauausbildung des Querschnitts von einer reinen Stahlkonstruktion (Bild 8) zu einem Verbundquerschnitt (Bild 9) mit Betonfahrbahnplatte. In den Achsen C und J wird dabei zusätzlich ein Übergang von einem zweizelligen Verbund-Hohlkastenquerschnitt in einen einzelligen Stahlhohlkasten realisiert.

Stahlquerschnitte © Hessen Mobil

Verbundquerschnitte © Hessen Mobil

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10 11 Ausbildung der orthotropen Platte © Hessen Mobil

Alle Materialübergänge werden als biegesteife Anschlüsse ausgebildet. Für die beiden Hauptöffnungen mit jeweils 205 m Spannweite und für die beidseitig angrenzenden Nebenöffnungen mit 102,50 m Spannweite sind einzellige Stahlhohlkästen mit orthotroper Fahrbahnplatte vorgesehen. Mit einer Konstruktionshöhe von 4,80 m in Feldmitte der Hauptöffnungen ist ein sehr schlanker Überbau gelungen (l/43). Dennoch ist an diesen Stellen die Durchbiegung auf l/375 = 54 cm begrenzt. Die Querschnittshöhe verändert sich parabelförmig, so dass über den Pfeilern eine Voutenhöhe von 8,30 m entsteht. Die Stegbleche haben dabei über den gesamten Brückenbereich eine konstante Schräg-

neigung. Die Stahlquerschnitte der Überbauten werden aus Baustahl der Güte S 355 J2 +N bzw. S 355 K2 + N (65 mm < t ≤ 80 mm) hergestellt. Die für den Baustahl geforderten Zugwerte (Streckgrenze, Zugfestigkeit) sind in Walzlängs- und -querrichtung zu erfüllen und nachzuweisen. Bei der chemischen Zusammensetzung des Baustahls (Schmelzenanalyse) ist neben den geforderten 14 Elementen nach DIN EN 10025-1 [4] zusätzlich auch der Massenanteil Bor in Prozent anzugeben. Der Grenzwert von B ≤ 0,0008 ist einzuhalten und nachzuweisen. Für die Massenanteile Schwefel und Phosphor in Prozent sind, abweichend von der Norm, die strengeren Grenzwerte S ≤ 0,005 und P ≤ 0,015 einzuhalten und nachzuweisen. 3.2 Besonderheiten der orthotropen Fahrbahn Der Forderung nach einer besonders robusten Konstruktion für die Ganzstahlbauwerke wurde im Entwurf dadurch Rechnung getragen, dass das Fahrbahndeck, die orthotrope Platte, direkt unter dem »fahrenden Rad« eine hohe Steifigkeit und damit Dauerhaftigkeit erhält.

12 13 Biegesteifer Übergang von Stahl zu Stahlverbund © Sweco GmbH

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Der Regelabstand der Querträger zur Aussteifung des Querschnitts wurde deshalb auf 3,50 m und die Querträgerhöhe auf 1,00 m festgelegt. Als Beulaussteifung werden Trapezhohlsteifen mit einer Bauhöhe von 400 mm gewählt. Das relativ geringe Mehrgewicht (< 5 %) im Vergleich zur gesamten Stahlmasse rechtfertigt diese Maßnahme. 3.3 Biegesteife Übergänge Die Verbundbrücken sind mit Ausnahme der Dilatationsstelle in Achse G biegesteif mit den dreifeldrigen Stahlbrücken gekoppelt, um die Anzahl der Fugen im Bauwerk und damit den Wartungsaufwand zu minimieren. Durch die Koppelung der Verbundbrücken mit den Stahlbrücken werden außerdem die abhebenden Auflagerkräfte in den kurzen Endfeldern der Stahlbrücken reduziert. Für den biegesteifen Anschluss von Stahl- zu Verbundüberbau ist ein Detail entwickelt worden (Bild 12, 13), das die Kräfte im Stahlbetonquerschnitt über Kopfbolzendübel und eine entsprechende Bewehrungsführung in das darunterliegende Stahlblech überträgt.


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14 15 Konzept des angehängten Geh- und Radwegs © Hessen Mobil

Das durch den Versatz der Deckbleche entstehende Biegemoment wird mit Hilfe eines quer zur Fahrbahn verlaufenden Hohlkastens aufgenommen und in die Stege der Hauptträger weitergeleitet. Der quer verlaufende Hohlkasten dient beim Übergang vom zwei- zum einzelligen Hohlkastenquerschnitt außerdem dazu, die Querkräfte aus den inneren Hohlkastenstegen des zweizelligen Querschnitts in die äußeren Stege abzutragen. In den Bereichen der Koppelstellen ist eine Verbundplatte mit einer Dicke von 50 cm durchgängig und ohne Anvoutung in Querrichtung vorgesehen. 3.4 Trennpfeiler In Achse G sind getrennte Auflager für die Stahl- und die Verbundbrücke vorgesehen. Dies bedeutet, dass die Verbundbrücke über die Rettbergsaue sowie die Stahlbrücke über den Rhein ein Endauflager mit jeweils zwei Lagern pro Teilbauwerk und eine Übergangskonstruktion aufweisen. Um abhebende Lagerkräfte zu vermeiden, die in Achse G aus dem Stützweitenverhältnis sowie unter bestimmten Belastungssituationen entstehen, wird, beginnend bei Achse G, auf einer Länge von 22 m in Richtung Achse H ein Ballastbeton im Stahlquerschnitt eingebaut. Der hierfür erforderliche Betonkörper ist quer zur Brückenachse abgestuft und wird mit Dicken von ca. 0,90 m bzw. 1,50 m ausgeführt, so dass sich ein Gesamtgewicht von ca. 8.000 t je Überbau ergibt.

3.5 Angehängter Geh- und Radweg Ein wichtiger Bestandteil des Entwurfs ist der an den Überbau in Achse 1 mit Hilfe eines Zugstabsystems angehängte Gehund Radweg, der den Zugang zur Rettbergsaue über eine Stahlbetonrampe ermöglicht. In den Achsen H und I sind zudem über den Bestandspfeilern Aussichtsbalkone vorgesehen. Diese Gehund Radwegbrücke wird an die vorhandenen Wege angebunden und verbindet die Vorlandbereiche beider Rheinseiten mit der Rettbergsaue durch eine stufenfreie Konstruktion mit einer Längsneigung von maximal 5,10 %. Der Überbau des Weges besteht aus einem flachen Stahlhohlkasten, der im Abstand von maximal 17,50 m mit Zugstäben am oberstromigen Kragarm der Überbauten in Achse 1 abgehängt ist. Horizontal wird der Hohlkasten in regelmäßigen Abständen am Hohlkasten der Hauptbrücke abgestützt, um das Schwingverhalten der leichten Stahlkonstruktion zu verbessern. In den Aufgangsbereichen beschränken sich die horizontalen Abstützungen auf die Pfeilerstandorte. Zur Absicherung der Standsicherheit wurden Schwingungsberechnungen durchgeführt. 3.6 Vorstatik und Berechnungen Um die erforderlichen Massen für die Ausschreibung zu ermitteln, wurde eine statische Berechnung und Bemessung mit dem Programmsystem Sofistik durchgeführt. Die Hohlkästen der dreifeldrigen Stahlüberbauten wurden in Längsrichtung als Dreistabsystem abgebildet. Mit den beiden äußeren Stäben wird die Biegesteifigkeit des Querschnitts modelliert, während mit dem innenliegenden Stab die Torsionssteifigkeit berücksichtigt wird. Die anschließende Massenermittlung ergab für die Stahlüberbauten in den Achsen C–F und G– J ein Gesamtge-

wicht von ca. 27.000 t. Das Konstruktionsstahlgewicht für die Verbundüberbauten in den Achsen A–C, F–G und J–N beträgt 6.040 t. Die Stahlkonstruktion für den Geh- und Radweg hat ein Gewicht von 1.750 t zuzüglich 11 t für die Hänger. 3.7 Montageverfahren (Entwurf) Die Stahlquerschnitte der Überbauten werden im Werk in Einzelabschnitten vorgefertigt und nach dem Konservieren mit Lkw- und Schiffstransporten zur Baustelle geliefert. Dabei wird angestrebt, dass dies in Form größtmöglicher Bauteile geschieht, um die Schweißarbeiten auf der Baustelle zu reduzieren und die Qualität zu verbessern. Um den Transport per Schiff durchführen zu können bedingt die Errichtung von Anlegestellen auf den Seiten »Mombach« und »Schierstein«. Da die Anlieferung der Bauteile auf die Rettbergsaue ebenfalls mit Schiffstransporten erfolgt, ist auch dort eine Anlegestelle vorgesehen. Die Baustelleneinrichtungsflächen, Baustraßen und Kranstandplätze wurden unter Berücksichtigung der Belange des Landschafts- und Naturschutzes angeordnet. Die auf dem Vormontageplatz der Seite »Mombach« verschweißten Bauteile werden, beginnend am Trennpfeiler in Achse A in Richtung Achse D, mit Kränen auf die Hilfsstützen gehoben und verschweißt. Am Pfeiler in Achse D werden die Bauteile auf einer Montageplattform abgelegt und im Freivorbau in beide Richtungen montiert und verschweißt. Auf der Seite Schierstein wird in gleicher Weise von Achse N in Richtung Achse I gebaut, ebenso werden auf der Rettbergsaue die Bauteile mittels Hubmontage eingefügt und anschließend verschweißt.

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16 Montageablauf im Entwurf © Hessen Mobil

Aufgrund der besonderen Lage des prioritären FFH-Gebietes Rettbergsaue muss das Mittelteil »Mombacher Arm« auf dem bereits zusammengebauten Stahlüberbau im Bereich der Achsen E–F fertiggestellt werden. Dieses Mittelteil wird danach auf ein aufgerüstetes Ponton verschoben, eingeschwommen und in Einbaulage abgesenkt. Das längere Mittelteil der Hauptöffnung im Biebricher Fahrwasser kann auf dem Vormontageplatz komplett zusammengebaut werden, es wird dann auf zwei Pontons verschoben und zur Einbaustelle gebracht. Das Einheben erfolgt mit Litzenhebern. Nach Abschluss der Schweißarbeiten werden die Verbundplatten unter Zuhilfenahme von Betonierstützen und Schalwagen betoniert. Aufgrund der großen Schäden im Bereich der orthotropen Fahrbahnplatte des Bestandsbauwerkes sollte der Brückenüberbau in Achse 2 (Unterstrom) Ende Juni 2016 dem Verkehr übergeben werden. Dies hat zur Folge, dass die Bauarbeiten sowohl auf der Mombacher als auch auf der Schiersteiner Rheinseite zur gleichen Zeit beginnen.

3.8 Entwurf der Gründung Der Baugrund im Bereich der neuen Rheinbrücke Schierstein ist als sehr setzungsempfindlich anzusehen. Verantwortlich dafür sind die Schichtenfolgen, hier vor allem eine Hydrobienschicht, die sich aus weichen, bindigen Böden in Wechselfolge mit Kalksteinbänken zusammensetzt. Die darüberliegenden Bodenschichten besitzen zum Teil nur sehr geringe Tragfähigkeiten, die eine Flachgründung der Unterbauten lediglich mit besonderen Erschwernissen erlauben und unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Gesichtspunkten kaum durchführbar sind. Auch sind auf Schiersteiner Seite nahezu im gesamten Vorlandbereich abgelagerte Bauschutte aus den Folgen des Zweiten Weltkriegs mit einer Mächtigkeit von ca. 3 m vorhanden. Die Gründung der Unterbauten erfolgt daher mit Großbohrpfählen mit Durchmessern bis 1,80 m und Längen bis 26 m. Die Bohrpfähle sind in den einzelnen Gründungen jeweils als Pfahlrost ausgebildet und durch massive Pfahlkopfplatten mit den aufgehenden Pfeilern verbunden. 4 Baudurchführung 4.1 Gründung Die Gründung des Bauwerks einschließlich sämtlicher Unterbauten wurde gemäß Kapitel 3.8 exakt umgesetzt. Nebenangebote, insbesondere Änderungen der Pfahldurchmesser sowie der Geometrie der Pfahlkopfplatte, wurden als nicht gleichwertig gegenüber dem Entwurf abgelehnt.

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4.2 Überbau Im Bauvertrag war festgelegt, möglichst große Bauteile anliefern zu müssen. Die Aufteilung der Querschnitte der Ganzstahl- und Verbundbrücken war vorgeschrieben. So sollte zum Beispiel der Gehweg der Ganzstahlbrücken in einzelnen Plattenbauteilen erfolgen. Abweichend von dieser Vorgabe ist es der beauftragten Arbeitsgemeinschaft gelungen, den Gehweg bereits im Werk an die entsprechenden Teile anzubauen und als Ganzes mit dem Schiff auf die Baustelle zu liefern. Ursprünglich war vorgesehen, die Flusspfeiler im Rhein einschließlich einer Schwerlastplattform für den Freivorbau des Überbaus von der Pfeilerachse bis zu den Momentennullpunkten des Durchlaufträgers zu realisieren. Das setzte aber voraus, dass die Pfeiler zwingend vor Errichtung der Schwerlastplattform sowie der Stahlbaumontage fertiggestellt sein mussten. Abweichend von diesem Konzept hat die ausführende Firma die Stahlbauarbeiten für den Überbau von den Arbeiten zur Erstellung der Flusspfeiler zeitlich entkoppelt. Der Stahlüberbau, der sich in der endgültigen Lage zwischen Flusspfeiler und erstem Landpfeiler befindet, wurde zunächst auf einer Vormontagefläche an Land hergestellt und anschließend über eine untenliegende Verschubbahn einschließlich zweier Verschubstützen zum Flusspfeiler geschoben (Bild 21). Durch die so gewählte Änderung wurde es möglich, Flusspfeiler und Stahlüberbau in jenem Bereich zeitlich parallel zu realisieren.


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17 18 Pfeilergründung in Landachse © Hessen Mobil

19 20 Pfeilergründung in Flussachse © Hessen Mobil

21 Ganzstahlbrücke: Montageablauf © Max Bögl Stahl- und Anlagenbau GmbH & Co. KG/Plauen Stahl Technologie GmbH

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22 Vormontagefläche auf dem Cemex-Gelände © Sweco GmbH

Aufgrund der Tatsache, dass der Verschub in der Achse der Brücke stattfand, konnte die aufgehende Konstruktion der Pfeiler in den Achsen G und J erst nach dem Verschub hergestellt werden, Bohrpfähle und Pfahlkopfplatten hingegen schon davor: eine Vorgehensweise, die vom Bauherrn genehmigt wurde, da sie keinen Einfluss auf die Ausbildung der Tragkonstruktion hatte.

Die 120 m langen und 2.000 t schweren Mittelteile der Ganzstahlüberbauten sind auf einem privat angemieteten Gelände vollständig zusammengefügt worden. Anschließend wurden sie auf zwei Verschubbahnen, die vom Ufer bis ca. 30 m in den Rhein hineinreichend gebaut wurden, quer geschoben und dort von einem Ponton übernommen. Mit Hilfe des Pontons wurden die Mittelteile an die Einbauorte verschifft und dort mit Litzenheber in die Endlage gebracht (Bild 23).

Dieses Verfahren ist, abweichend vom Bauwerksentwurf, auch bei der Montage der Mittelteile über den Mombacher Arm angewandt worden. Bezüglich der Montage der Verbundüberbauten ist anzumerken, dass die Stahlquerschnitte nicht, wie vorgesehen, in zwei Teilen, sondern in einem Teil als »U« auf die Baustelle geliefert wurden. Somit konnte vor Ort auf den aufwendigen Mittelstoß des Untergurtes verzichtet werden. 5 Zusammenfassung Die Rheinbrücke Schierstein ist mit ihren großen Spannweiten und der anspruchsvollen Konstruktion ein einzigartiges Projekt. Die Herausforderungen, die aus dem Queren des Rheins und den Vorgaben an den Naturschutz in diesem Bereich resultierten, konnten dank einer strukturierten Planung und einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit des Auftraggebers mit den Entwurfsverfassern sehr gut gemeistert werden.

23 Einschwimmen Mittelteil und Anheben mit Litzenhebern © Sweco GmbH

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Bei der baulichen Realisierung kamen viele innovative Verfahren zum Einsatz. Besonders erwähnenswert sind die Längsverschübe der gevouteten Ganzstahlbrücken und das Einschwimmen der 120 m langen Brückenteile. Der im November 2017 fertiggestellte und dem Verkehr übergebene erste Bauabschnitt ist ein unterhaltungsfreundliches und robustes Bauwerk. Autoren: Dipl.-Ing. Harald Mank Hessen Mobil, Wiesbaden Dipl.-Ing. Alwin Dieter Sweco GmbH, Frankfurt am Main

Literatur [1] Bauwerksentwurf der Ersatzneubauten B 54 über die BAB 45. Hrsg. von Sweco, Frankfurt am Main, 2017 (unveröffentlicht). [2] Dokumentation des Realisierungswettbewerbs. Hrsg. vom Amt für Straßen- und Verkehrswesen Wiesbaden, Wiesbaden, 2009. [3] Pelke, E., Dieter, A.: Die neue Rheinbrücke Wiesbaden-Schierstein. Wettbewerb und Entwurf; in: Stahlbau 82, H. 2, 2013, S. 106-121. [4] DIN EN 10025-1: Warmgewalzte Erzeugnisse aus Baustählen. Teil 1: Allgemeine technische Lieferbedingungen. Berlin, 2005.

24 Stahlquerschnitt des Verbundüberbaus © Hessen Mobil

Bauherr Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Hessen Mobil, Niederlassung Dillenburg Entwurf Sweco GmbH, Frankfurt am Main Architekt Ferdinand Heide, Frankfurt am Main Tragwerksplanung Überbau Weyer Beratende Ingenieure GmbH, Dortmund

Prüfingenieure Dipl.-Ing. Winfried Neumann, Hagen Dr.-Ing. Wolfgang Vogel, Wiesbaden Prof. Dipl.-Ing. Günter Ernst, Darmstadt Bauausführung Arbeitsgemeinschaft Max Bögl Stahl- und Anlagenbau GmbH & Co. KG, Neumarkt Plauen Stahl Technologie GmbH, Plauen

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Rheinbrücke Schierstein, Ausführungsplanung | © Fa. Max Bögl

Talbrücke Rothof, bautechnische Prüfung | © Hr. Mordhorst

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Trogbauwerk mit hohem Vorfertigungsgrad

Brücke über die Salzach bei Kaprun von Günter Seidl, Wolfgang Mariacher, Jürgen Schmidt

Im Zuge der Hochwasserschutzmaßnahmen entlang der Salzach wird für die Überführung der Straße von Zell am See nach Kaprun eine neue Brücke mit größerer Stützweite notwendig. Der Ersatzneubau dieser Brücke über die Salzach ist ein Trogbauwerk in Verbundbauweise. In Querrichtung werden π-Platten mit externer Bewehrung gewählt, um eine große Schlankheit und eine schnelle Bauzeit zu ermöglichen. Die externe Bewehrung der Platten wird feuerverzinkt ausgeführt.

1 Einleitung Ziel des Hochwasserschutzprojekts »Zeller Becken« ist die Nutzung der natürlichen Retentionsräume entlang der Salzach. Das Projektgebiet umfasst die Gemeinden Kaprun, Bruck an der Glockenstraße und Zell am See, Kernpunkt ist hier die Aufweitung des Flussbetts. Die Verbindungsstraße von Zell am See nach Kaprun überquert die Salzach bei Mayereinöd. Die vorhandene Brücke genügte den neuen, mit den Hochwasserschutzmaßnahmen verbundenen Anforderungen nicht mehr. Um den notwendigen Durchflussquerschnitt der Salzach zu realisieren, ist die bestehende, einspurige Brücke durch einen Neubau mit 50 m Stützweite zu ersetzen. Der Ersatzneubau überführt neben den zwei Fahrspuren mit einer Fahrbahnbreite von 5,25 m auch einen 2,50 m breiten Geh- und Radweg. Der Radweg, der in Zukunft die Salzach begleitet, verläuft am Fuße des rechtsseitigen Damms unterhalb der neuen Brücke. 2 Vorplanung 2.1 Variantenuntersuchung Der Abflussquerschnitt erforderte im Bauwerksbereich eine lichte Weite von 48,50 m. Ausgangspunkt für die Variantenuntersuchung war ein kostengünstiges und einfach zu nterhaltendes Rahmenbauwerk ähnlich jener Querung für Fußgänger und Radfahrer, die im Zuge der Eisenbahnüberführung über die Salzach bei Neumarkt-St. Veit realisiert worden war. Dieses Bauwerk ist ein sehr schlanker, tiefgegründeter Stahlverbundrahmen in VFT-Bauweise mit Verbunddübeln [1]. Ein bereits vorliegender Entwurf, der als tiefgegründeter Stahlbetonrahmen auf Lehrgerüst projektiert worden war, wurde seitens des Bauherrn kritisch in Bezug auf den Abflussquerschnitt bei Hochwasser während der Herstellung beurteilt.

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2.2 Baugrund Der Projektstandort an der oberen Salzach liegt im Zeller Becken, das von sehr mächtigen Seetonschichten geprägt ist. Am Widerlager Mayereinöd wird der anstehende Felsuntergrund von quartären Sedimenten überdeckt, deren Mächtigkeit im Brückenbereich bei maximal 480 m liegt. Diese Stillwasser- sowie Verlandungssedimente verzahnen sich mit fluvialen Sand-Kies-Gemischen, die rasch wechseln können. Die Aufschlüsse zeigen bis 10 m Tiefe feinkörnige, fluviale Ablagerungen mit weicher Konsistenz, darunter nimmt die Lagerungsdichte deutlich ab: Die Schluff-Sand-Gemische (Seetone) weisen eine abnehmende Konsistenz und einen zunehmenden Feinkornanteil auf und werden als gering tragfähig eingestuft. 2.3 Ausgangspunkt: Rahmenbrücke Somit sollte eine Brücke in Fertigteilbauweise entworfen werden, die ohne Einbauten in der Salzach hergestellt werden kann. Diesen Anforderungen wird ein Überbau mit zwei außenliegenden Hohlkästen und innenliegenden Fertigteilplatten gerecht, um die Verlegegewichte zu reduzieren. Nachdem ein erweitertes Baugrundgutachten vorlag, zeigte sich, dass bei einer Tiefgründung mit Bohrpfählen zur Ableitung der vertikalen und vor allem der horizontalen Lasten aus der Rahmenwirkung große Unwägbarkeiten anzunehmen waren. Neben der Standsicherheit, die kritisch beurteilt wurde, war auch das unterschiedliche Setzungsverhalten der tiefgegründeten Brücke gegenüber den Anrampungen schwer abzuschätzen.


SYMPOSIUM

1

Verbundbrücke als Rahmen © SSF Ingenieure AG

Als wesentlich günstiger wurde vom Bodengutachter eine hochliegende Flachgründung eingeschätzt. Eine Einspannwirkung am Widerlager, die ein Rahmenbauwerk notwendigerweise benötigt, war somit nicht möglich. Die zweite Variante sah daher ein Einfeldbauwerk mit obenliegendem Tragwerk vor. 2.4 Bogenbrücke Die Bogenbrücke mit je sechs radial angeordneten Hängern spannt über 52 m Länge. Die Bogenebenen sind verschränkt zueinander angeordnet und mit zwei Riegeln verbunden (Bilder 4 und 5). Bogen und Versteifungsträger bestehen aus Stahlhohlkästen, die Fahrbahnplatte aus Beton liegt auf Stahlquerträgern im Abstand von ca. 4,50 m.

2 3

4 5

Feld- und Stützquerschnitt der Verbundbrücke © SSF Ingenieure AG

Querschnitt und Längsschnitt der Bogenbrücke © SSF Ingenieure AG

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Querschnitt der Trogbrücke © SSF Ingenieure AG

2.5 Trogbrücke Alternativ wurde eine Trogbrücke entworfen, die in der Ausführung des Stahlbaus einfacher und damit kostengünstiger ist. Darüber hinaus war aus gestalterischen Gesichtspunkten eine Tragwerkslösung gewünscht, die sich dem naturnahen Umfeld der Salzach unterordnet. Um eine Begehbarkeit der Obergurte der Brücke durch Passanten auszuschließen, ist der Obergurt des Stahlträgers um 30° nach außen geneigt. Der Hauptträger wird als Hohlkasten ausgeführt, die Fahrbahn als Betonplatte auf Halbfertigteilen (Bild 6).

7 8

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3 Generelles Projekt 3.1 Entwurfsidee Als Resultat der Variantenuntersuchung wurde die Lösung in Form einer Trogbrücke als Grundlage für die Entwurfsplanung gewählt. Allerdings regte der Bauherr, vertreten durch die Gemeinden Zell am See und Kaprun, an, die große Trägerhöhe, die den Flussraum der Salzach optisch beeinträchtigt, zu optimieren. Erschwerend kam zu diesem Zeitpunkt hinzu, dass weitere Rohrleitungen über die Brücke geführt werden mussten, die aufgrund ihrer Isolierung wesentlich größere Durchmesser aufwiesen als zu Beginn des Projekts und zudem einfach

zugänglich sein sollten. Eine sichtbare, seitliche Anordnung der 450 mm und 500 mm großen Leitungen wurde aus gestalterischen Gründen ausgeschlossen. In Zusammenarbeit mit den Architekten Lang Hugger Rampp wurde eine Lösung entwickelt, die den Träger in seiner Funktionalität und Tragwirkung voll ausnutzt und von hoher ästhetischer Qualität ist. Die Idee des Architekten Florian Hugger war, den Träger deutlich zu gliedern. Gestaltung und statische Tragwirkung sind in den Bildern 7–8 erkennbar.

Skizzen: Entwurf von Florian Hugger und Darstellung des statisch wirksamen Obergurtblechs (grau hinterlegt) © Lang Hugger Rampp Architekten

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Ansicht der Trogbrücke mit mehrteiligem Obergurt © SSF Ingenieure AG

Die notwendigen Rohrleitungen werden seitlich des Trägers aufgehängt. Der Obergurt bleibt 25° geneigt, wird jedoch durch ein stärker geneigtes Blech ergänzt. Das heißt, der Obergurt verjüngt sich von der vollen Breite in Feldmitte zum Auf-

lager hin, während das ergänzende Blech genau entgegengesetzt verläuft. Die beiden oberen Bleche bilden nun den Raum, in dem die Rohrleitungen liegen. Er wird mit einem seitlichen Blech verschlossen.

Durch diese Gestaltung gliedert sich die ursprünglich monoton anmutende Fläche des Hauptträgers in einen klarstrukturierten Körper und wirkt dadurch deutlich dynamischer – und der Flussraum gewinnt an Attraktivität (Bilder 9 und 10).

10 Gegenüberstellung der Varianten in Ansicht und Schrägansicht © SSF Ingenieure AG

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3.2 Überbau des verschränkten Trogquerschnitts 3.2.1 Einfeldträger in Verbundbauweise Der Überbau ist ein einfeldriger Trog in Verbundbauweise mit einer Spannweite von 50,00 m. Die Fahrbahnbreite beträgt 5,25 m, der Geh- und Radweg ist 2,50 m breit, und die Breite zwischen den Geländern misst 7,85 m. Die Trogwangen bestehen aus 2,50 m hohen und ca. 1,50 m breiten Hohlkästen, an die die Verbundfahrbahnplatte mit einer Dicke von 20–35 cm schubsteif angeschlossen ist. Der Fahrbahnbelag ist 12 cm dick. Zur einfacheren Herstellung und wegen der größeren Tragfähigkeit in Querrichtung wurden π-Platten mit externer Bewehrung als Fertigteile gewählt, die auch als Schalung im Bauzustand dienen. Der Überbau liegt in Längsrichtung schwimmend auf vier Elastomerlagern, ein doppel-T-förmiger Stahlendquerträger verbindet die Stahlhauptträger in der Lagerachse. Die Fahrbahnplatte wird über den Überbau weitergeführt und geht in eine tiefliegende Schleppplatte über. So werden die Bewegungen aus Temperatur wie bei einem integralen Bauwerk kontinuierlich in den Dammbereich eingetragen.

11 12 Querschnitt am Widerlager und im Feld © SSF Ingenieure AG

3.2.2 Stahlbau Die Hauptträger sind luftdicht verschweißte Stahlhohlkästen mit geneigten Flanschen. Aus gestalterischen Gründen ist der Obergurt in zwei Bleche unterteilt: Das obere und dreiecksförmig zulaufende ist um 25° nach außen geneigt und übernimmt die Haupttragfunktion. Es hat am Widerlager eine Breite von 0,20 m und verbreitert sich kontinuierlich bis zur Feldmitte auf 1,35 m. An dieses Blech schließt ein um 50° geneigtes zweites an, das den äußeren Leitungskanal bildet. Es hat am Widerlager eine senkrecht projizierte Breite von 1,35 m und verjüngt sich gegenläufig zum oberen Blech auf 0,20 m in Feldmitte. Die beiden Bleche werden geneigt ausgeführt, damit sich der Obergurt nicht durch Passanten begehen lässt.

13 Detail der Auflagerung der VFT-WIB-Platten auf dem Hauptträger © SSF Ingenieure AG

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Der Untergurt ist mit 2 % nach außen geneigt. Sollte Schwitzwasser an den Rohrleitungen anfallen, kann es nach außen abtropfen und verursacht keine Korrosionsschäden. Der Hohlkasten wird durch vertikale Schotte im Abstand von 5,20 m ausgesteift. Die Auflagerung der π-Platten erfolgt über eine Konsole, die auf der Innenseite der Träger ausgebildet wird. Zwei senkrecht aufgeschweißte Gewindebolzen dienen der Befestigung der Platten unmittelbar nach dem Verlegen. Über diesen Platten wird eine horizontale Verbunddübelleiste am inneren Hauptträgersteg angeschweißt, die sowohl die Bewehrung der Verbundplatte in den Dübeln als auch in zusätzlichen Bohrungen aufnimmt (Bild 13). Die offenen Endquerträger versteifen die Hauptträger gegen Verdrehen am Brückenende und nehmen die Pressenkräfte im Fall eines Lagerwechsels auf. Verbunden sind sie mit der Ortbetonplatte über zwei aufgeschweißte Verbunddübelleisten, wobei die Verbunddübel mit der Klothoidengeometrie (CL 150/60) gemäß Zulassung [2] [3] ausgeführt werden.


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14 Querschnitt der Fertigteilplatten als π-Platten © Günter Seidl

3.2.3 Fertigteilplatten mit externer Bewehrung In Querrichtung der Brücke dienen 19 Fertigteilelemente als Fahrbahnplatte, um deren Herstellung über der Salzach einfach zu gestalten. Die π-förmigen Platten mit einer Länge von 8,20 m spannen zwischen den Hauptträgern und haben eine Bauhöhe von 0,20 m, die im Endzustand um die der Fahrbahnplatte ergänzt wird. Das Fertigteil ist an der Unterseite mit einem T-förmigen Schweißträger der Güte S 355 versehen, der als externe Bewehrung wirkt und die Schlankheit von 1/40 im Bau- und von 1/20 im Endzustand ermöglicht. Er ist über Verbunddübel CL 150/60 [2] [3] mit dem Fertigteilbeton schubsteif verbunden. Die Fertigteilplatte mit der Betongüte C50/60 ist 2,60 m breit und 10 cm dick, die Aufkantung schließt bündig mit den Flanschen der Stahlträger mit einer Breite von 30 cm ab. Im Übergang zum Stahlträger liegt eine Dreikantleiste. Die Platten haben ein Verlegegewicht von 8,50 t. Sie werden auf die Stahlkonsole aufgelegt und mit zwei Schraubbolzen je externer Bewehrung am Stahlbau gesichert, die wiederum feuerverzinkt und danach mit einem organischen Korrosionsschutz versehen wird.

daher zusätzlich mit Öffnungen in den Stahldübeln versehen, um dort mit einem günstigen Hebelarm die obere Bewehrungslage der Fahrbahnplatte abzukröpfen. Deren Abdichtung wird über die Betonplatte hinaus am Stahlsteg nach oben geführt, wobei sie ein Stahlwinkel L 60 x 80 abklemmt und so verhindert, dass Wasser vom Stahlsteg der Trogwangen eindringen kann (Bild 15). Um die Unterhaltskosten gering zu halten, wurde eine schwimmende Lagerung in Längsrichtung der Brücke ohne eine Übergangskonstruktion entworfen. Die Bewegungen, die aus Temperaturänderungen resultieren, werden über eine tiefliegende Schleppplatte an beiden Brückenenden gleichmäßig in den Dammbereich eingetragen. Mit dieser Konstruktion wurden in der Schweiz bereits gute Erfahrungen gesammelt [4], sie wurde 2011 auch in die Schweizer Richtlinien [5] übernommen. Außerdem lehnt sie sich an die neuerschienene Richtlinie und Vorschrift für das Straßenwesen (RVS) »Bemessung und Ausführung von integralen Brücken« von 2018 [6] an. Die Fahrbahn-

15 Führung der Fahrbahnplattenabdichtung beim Trogquerschnitt © SSF Ingenieure AG

platte läuft über den Stahlendquerträger hinaus und taucht unter das Straßenplanum ab (Bild 16). Das Ende der Schleppplatte ist abgefast. Unterhalb von ihr wurde eine Schürze angeordnet, die das Hinterfüllmaterial von der Lagerbank zurückhält. Die Schleppplatte ist ca. 8,00 m lang, um eine ausreichende Übertragungslänge für horizontale Verschiebungen zu gewährleisten und vertikale Setzungen auszugleichen. Die ungebundene Tragschicht des Straßenplanums reicht bis zur Mitte der Schleppplatte, im bauwerksnahen Bereich wird die Tragschicht von 9,50–50 cm Dicke eingebaut.

3.2.4 Fahrbahnplatte mit Schleppplatte Die Fahrbahn mit der Betongüte C 35/45 ist schubsteif mit den Hauptträgern verbunden. Sie liegt nahe der Schwerlinie des Hauptträgers, und es werden nur kleine Schubkräfte übertragen. Für die Dauerhaftigkeit des Übergangs der Betonplatte zum Hauptträger ist es entscheidend, dass die Fuge sich nicht unter Biegung der Fahrbahnplatte in Querrichtung öffnet: Ihre Einspannmomente am Hauptträgeranschnitt entstehen durch die Torsionssteifigkeit der Hohlkastenträger. Die Verbunddübelleiste, die zur Schubübertragung horizontal angeordnet ist, wurde 16 Schematischer Querschnitt durch die Schleppplatte © Günter Seidl

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SYMPOSIUM 3.2.5 Korrosionsschutz Der Korrosionsschutz der Hauptträger und der Endquerträger wird mit den in Bild 17 aufgeführten Systemen gemäß RVS [7] ausgeführt, die betonberührenden Stahlflächen werden, mit Ausnahme der Verbunddübelleisten, mit dem System S 4 nach RVS [7] beschichtet (Bild 18).

Die externe Bewehrung der π-Platten ist feuerverzinkt und wird mittels organischer Beschichtung vor Korrosion geschützt. Dieser Schutz entspricht dem System S 19 nach RVS [7] einschließlich mechanischer Beschichtung (Bild 19).

Ort

Arbeitsgang

Korrosionsschutzwerk

Oberflächenvorbereitung

Dampf-Heißwasserstrahlung Strahlen Sa 2½

Grundbeschichtung

2-K-EP/Eisenglimmer

Zwischenbeschichtung

2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer

120

1. Deckbeschichtung

2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer

80

Kantenschutz

2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer

80

Abdichtung von Fugen und Spalten

1-K-PUR luftfeuchtigkeitshärtend

2. Deckbeschichtung

2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer

mechanische Schutzbeschichtung

2-K-EP/Inertpigmente

500

Gestaltungsanstrich

2-K-PUR/Microglimmer

> 60

Baustelle

Stark belastete Bereiche

Schichtdicke [µm]

80

-

80

17 Korrosionsschutz der Stahlbauteile © SSF Ingenieure AG Ort

Arbeitsgang

Schichtdicke [µm]

Korrosionsschutzwerk

Oberflächenvorbereitung

Dampf-Heißwasserstrahlung Strahlen Sa 2½

Grundbeschichtung

2-K-EP/Zinkstaub

mechanische Schutzbeschichtung

2-K-EP

70 500

18 Korrosionsschutz betonberührender Flächen © SSF Ingenieure AG Ort

Arbeitsgang

Verzinkerei

Oberflächenvorbereitung

Beizen (Be)

Überzug

Feuerverzinkung gemäß [8]

Oberflächenvorbereitung

Dampf-Heißwasserstrahlung Sweep-Strahlung

Grundbeschichtung

2-K-EP/Eisenglimmer bzw. Zinkphosphat

mechanische Schutzbeschichtung

2-K-EP

1. Deckbeschichtung

2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer

Abdichtung von Fugen und Spalten

1-K-PUR luftfeuchtigkeitshärtend

2. Deckbeschichtung

2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer

Gestaltungsanstrich

2-K-PUR/Microglimmer

Korrosionsschutzwerk

Baustelle

19 Korrosionsschutz der externen Bewehrung der π-Platten © SSF Ingenieure AG

150

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Schichtdicke [µm]

60

500 80 -

80 > 60


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20 Verlegen des 50 m langen Hauptträgers © Günter Seidl

3.3 Gründung und Widerlager Die gewählte Flachgründung »schwimmt« auf dem ca. 10 m mächtigen Kiespolster über dem Seeton. Zusätzlich wurde der anstehende Baugrund bis zu einer Tiefe von 15 m mit einer kombinierten Rüttelstopf- und Rütteldruckverdichtung verbessert. Dadurch wird bei einer Bodenpressung von 160 kN/m² eine Setzung von 4–5 cm erwartet. Das Betonieren der 1,20 m dicken Bodenplatte erfolgte in einem Spundwandkasten auf einer 1,00 m dicken Kiesausgleichschicht, wobei der Spundwandkasten nicht wieder entfernt wurde und jetzt als Schutz vor Auskolkung bei Hochwasser dient. Im kastenförmigen Widerlager wurden die Flügelwände als Brüstung hochgezogen, und zwar in Verlängerung der Trogwangen. Die Neigung der Stahlträgerobergurte setzt sich ebenfalls in der Brüstung fort. Der Nachteil einer Konterschalung bei schrägen Betonflächen ist der Einschluss von Luft an der Oberfläche des Betons. Diese Lunker verwittern schnell, und es bildet sich dort Moos. Eine Stahlabdeckung, über die Brüstung eingebaut, schützt sie deshalb vor Bewitterung. Außerdem kann die Farbe passend zum Stahlüberbau gewählt werden. Und auch die Führung der Rohrleitungen und deren Revision sind in einer Stahlabdeckung einfacher zu realisieren, seitlich der Flügel befinden sich Revisionsschächte für die Rohrleitungen. Im Überbau wurden vor den Widerlagern Brückenabläufe angeordnet, die dann senkrecht in der Widerlagerwand weiterlaufen.

21 Innenseite des Hauptträgers © Günter Seidl

4 Bauausführung 4.1 Ablauf und Kosten Die Vorbereitungen begannen im Herbst 2017. Da die Brücke eine wichtige Verbindung zum Abtransport der Erdmassen für die Verbreiterung der Salzach verkörperte, sollte sie noch während der durchzuführenden Hochwasserschutzmaßnahme fertiggestellt werden. Die Brückenbauarbeiten wurden für 3.610 €/m² einschließlich Mehrwertsteuer an das Unternehmen Steiner Bau GmbH im Herbst 2017 vergeben, Baubeginn vor Ort war März 2018.

4.2 Stahlbau Alle Stahlbauteile, auch die externe Bewehrung für die π-Platten, wurden im Werk der NCA Container- und Anlagenbau in St. Paul hergestellt und mit dem ersten Korrosionsschutz versehen. Der Hauptträger wurde in zwei Teilen mit je 25 m Länge zur Baustelle transportiert und dort verschweißt. Anschließend wurden die 50 m langen Träger von der Seite Kaprun mit einem Raupenkran verlegt (Bild 20), die Querträger eingebaut und verschweißt.

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SYMPOSIUM

4.3 Fertigteilplatten Die 19 Fertigteilplatten wurden auf der nahe gelegenen Großbaustelle des Bauunternehmers betoniert, und zwar jeweils fünf von ihnen parallel. Die Fertigteile 2–18 waren in ihrer Ausführung baugleich, nach dem Betonieren und Erhärten wurden sie zur Baustelle transportiert und mit einem Mobilkran verlegt. Das Verlegen funktionierte gut, da ihr »Einfädeln« nicht erforderlich war. Das Verschrauben mit den Gewindebolzen in der Stahlträgerkonsole zeigte sich als vorteilhaft.

4.4 F ahrbahnplatte und Schleppplatte Die Fahrbahnplatte wurde auf den Fertigteilplatten bewehrt, die abgekröpfte Bewehrung ließ sich vor Ort problemfrei in die Öffnungen der Verbunddübelleiste einfädeln (Bild 25). Die Schleppplatte wurde vor der Fahrbahnplatte betoniert. Bild 26 zeigt die Fahrbahnplatte mit der angehängten Schleppplatte. Autoren: Prof. Dr. Günter Seidl SSF Ingenieure AG, Berlin Ing. Wolfgang Mariacher Amt der Salzburger Landesregierung, Salzburg, Österreich Dipl.-Ing. Jürgen Schmidt SSF Ingenieure AG, München

22 Stahlprofile mit Bewehrung in der Verbunddübelleiste © Günter Seidl

23 24 Verlegen der Fertigteilplatten © Reinhard Dorfer

25 Fahrbahnplattenbewehrung mit Einbindung in den Hauptträger © Peter Fuchs

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Wirtschaftlich SYMPOSIUM und nachhaltig.

Korrosion impossible Straßenbrücken sind jetzt feuerverzinkbar

26 Herstellen der Schleppplatte © Peter Fuchs

Literatur [1] Enzinger, P., Petraschek, T., Seidl, G., Yu, C., Garn, R., Dassler, M.: Eisenbahnüberführung über die Salzach bei Schwarzach-St. Veit, Erfahrungen beim Bau eines 46 m langen VFT-Rahmens; in: Stahlbau 86, Heft 9, 2017, S. 772–777. [2] Deutsches Institut für Bautechnik: Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung Z-26.4-56 »Verbunddübelleisten«. Berlin, 13.05.2013. [3] Deutsches Institut für Bautechnik: Allgemeine Bauartgenehmigung Z-26.4-56, »Stahlverbundträger mit Verbunddübelleisten in Klothoidenund Puzzleform«. Berlin, 14.05.2018. [4] Kaufmann, W.: Integrale Brücken. Sachstandsbericht. Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, Bundesamt für Strassen. Greifensee, 2008 [5] Richtlinie Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3, Brückenende. Eidgenössisches Departement UVEK, Bundesamt für Strassen, ASTRA 12.2004, Ausgabe 2011. [6] Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen, Abschnitt 15.02.12: Bemessung und Ausführung von integralen Brücken, Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. Wien, 2018. [7] Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen, Abschnitt 15.02.11: Vorkehrungen zur Brückenprüfung und -erhaltung, Verbindlicherklärung. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. Wien 01.08.2017. [8] ÖNORM EN ISO 1461: 2009.

Bauherr Wasserverband Hochwasserschutz Zeller Becken, Bruck am Großglockner, Österreich Baudurchführung Amt der Salzburger Landesregierung, Salzburg, Österreich Planung SSF Ingenieure AG, Berlin Prüfingenieur Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Mensinger, München Consulting Beschichtung Niehsner GmbH, Linz, Österreich Qualitätskontrolle Stahlbau Dipl.-Ing. Johann Stranzinger, Linz, Österreich Baugrundgutachten Moser-Jaritz + Partner Ziviltechnik GmbH, Saalfelden, Österreich Bauausführung Steiner Bau GmbH, Heiligenreich, Österreich NCA Container- und Anlagenbau GmbH, St. Paul, Österreich

Stahl- und Verbundbrücken dürfen seit kurzem auch in Deutschland feuerverzinkt werden. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben nämlich, dass die Feuer verzinkung auch für den Einsatz an zyklisch belasteten Brückenbauteilen geeignet ist und eine Korrosionsschutzdauer von 100 Jahren ohne Wartung erreicht. Zudem ist Feuerverzinken bereits bei den Erstkosten günstiger. Mehr unter www.feuerverzinken.com/ bruecken

INSTITUT FEUERVERZINKEN 1/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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SYMPOSIUM Neue Fertigteilbauweise für den Ersatzneubau

Die Legobrücke von Markus Gabler, Abdalla Fakhouri, Katrin Baumann

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Das Ingenieurbüro Arup entwickelte zusammen mit dem Landesbetrieb Straßenbau NordrheinWestfalen eine neue Fertigteilbauweise für Überführungsbauwerke, bei der sowohl Unter- als auch Überbauten aus Vollfertigteilen konstruiert werden. Ziel war dabei, die gesamte Bauzeit vom Abbruch der Bestandsbrücke bis zur Inbetriebnahme des Ersatzneubaus auf ein Minimum zu reduzieren. Durch den Verzicht auf eine Ortbetonergänzung, die Integration der Kappen in den Überbau, die Wahl von Großfertigteilen, die Verwendung von hochfestem Beton und durch eine integrierende Bauweise kann nicht nur eine schnelle Montage erreicht werden, auch die Dauerhaftigkeit wird dadurch wesentlich optimiert. In diesem Zusammenhang wurden einige Regeldetails aus den Richtzeichnungen hinsichtlich der deutlich höheren Leistungsfähigkeit von hochfestem Beton gegenüber herkömmlichem Ortbeton weiterentwickelt. Zwei Brückenbauwerke nach dieser neuen Bauweise wurden Ende 2018 erfolgreich fertiggestellt. Es zeigte sich dabei jedoch, dass die Fertigteilindustrie in Deutschland noch nicht optimal für die Herstellung solch großformatiger Fertigteile aufgestellt ist.

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Initiative Legobrücken in Nordrhein-Westfalen 1.1 Veranlassung Überall in Deutschland müssen derzeit zahlreiche Überführungsbauwerke aus den 1960er und 1970er Jahren ersetzt werden, weil dort entweder spannungsrissgefährdeter Spannstahl zur Anwendung kam oder signifikante Bauwerksschäden festgestellt wurden oder aber weil die zu überführende Straße verbreitert werden soll. Dazu ist entweder eine aufwendige Behelfsbrücke zu planen und zu bauen oder die überführte Straße bleibt für die Dauer der Baumaßnahme komplett gesperrt, was bis zu eineinhalb Jahren dauern kann. Als bevölkerungsund verkehrsreichstes Bundesland sieht sich insbesondere Nordrhein-Westfalen mit vielen Problemen bei der Modernisierung der Infrastruktur konfrontiert. Es liegt daher nahe, nach innovativen Konzepten zu suchen. Der damalige Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek, initiierte im Jahr 2015 das Projekt »Legobrücken« mit dem Ziel, die in den Niederlanden weitverbreitete Fertigteilbauweise auch in Nordrhein-Westfalen einzusetzen. In den Niederlanden ist es seit vielen Jahren Stand der Praxis, Brücken aus Vollfertigteilen nach einem Baukastensystem zu realisieren, was deren Bauzeit auf etwa drei Monate beschleunigt. Durch die weite Verbreitung sind diese Bauwerke nicht nur wesentlich schneller errichtet, sondern auch wirtschaftlich. Die verminderte Verkehrsbehinderung durch die kurze Bauzeit hat positive Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sowie auf die Nachhaltigkeit des Bauwerks. 1.2 Wettbewerb »Legobrücke« Im Jahr 2016 lobte der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen (Straßen.NRW) den Ideenwettbewerb »Hammacher Straße« aus, der den Ersatzneubau für eine Überführung über die A 46 bei Hagen zum Thema hatte. Wichtigstes Kriterium war eine minimale Bauzeit, daneben sollten vor allem Robustheit und Erhaltungsaufwand bewertet werden. Zudem sollte ein Baukastensystem entwickelt werden, das auf andere Bauwerke mit ähnlichen Randbedingungen übertragen werden kann. Durch den

orthogonalen Grundriss und die empfohlene Flachgründung war dieses Vorhaben für ein Pilotprojekt sehr gut geeignet. Es wurden insgesamt zwölf Wettbewerbsbeiträge eingereicht. Den ersten Platz erzielte dabei die Sweco GmbH, Bremen, gefolgt von SSF Ingenieure AG, Köln, und Arup Deutschland GmbH, Düsseldorf. Im Anschluss wurde Sweco mit der Planung der Überführung der Hammacher Straße in Hagen beauftragt. Arup erhielt den Planungsauftrag für zwei Überführungsbauwerke über die L 518 bei Werne: siehe Kapitel 2. 1.3 Wettbewerbsbeitrag von Arup Arup bearbeitete den Wettbewerbsbeitrag mit Unterstützung der Hochtief Engineering GmbH aus Essen. Der Entwurf zeichnet sich durch einen hohen Vorfertigungsgrad der Unterbauten und der Überbauelemente aus. Durch die Wahl von Voll- im Gegensatz zu den sonst üblichen Halbfertigteilen reduziert sich die Bauzeit erheblich. Außerdem weisen Fertigteile einen besonders hohen Widerstand gegen Chloridmigration und Carbonatisierung auf. Es wird ausschließlich hochfester Beton eingesetzt. Bei der Entwicklung der Details wurden die herkömmlichen Ausführungsmethoden aufgrund der Wahl von hochleistungsfähigen Werkstoffen bewusst optimiert. Zum Beispiel kann bei Verwendung von hochfestem Beton eine nachträgliche Abdichtung entfallen. Bis auf die Herstellung des Asphaltbelags und die Verfüllung von Fugen erfolgen keine Betonierarbeiten auf der Baustelle. Das entwickelte Konzept sieht für den Überbau 34,50 m lange, längsvorgespannte Stahlbetonhohlbalken aus hochfestem Beton C 55/67 vor, deren Hohlkammern mit EPS-Hartschaum gefüllt sind. In den Niederlanden hat diese Art der Konstruktion einen hohen Grad der Standardisierung und wird seit mehr als 25 Jahren für viele Autobahn- und Überführungsbauwerke, auch mit größeren Spannweiten, problemlos eingesetzt. Im vorliegenden Entwurf wurde das System an die Regelungen der ZTV-ING angepasst und seine Dauerhaftigkeit weiter optimiert.


SYMPOSIUM

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Ursprünglicher Wettbewerbsbeitrag: Ansicht und Längsquerschnitt © Arup Deutschland GmbH

Die Quersteifigkeit der Brücke und die Lastverteilung in Querrichtung werden durch eine Quervorspannung in der Ebene des Obergurtes der kastenförmigen Fertigteile bei der Montage auf der Baustelle gewährleistet. Außerdem erfolgen auf der Baustelle die Montage der Fertigteilkappen sowie einzelne Verfugungen und das Aufbringen des Asphaltbelags. Auf eine Schalung und die damit verbundene Verkehrseinschränkung kann verzichtet werden. Der Unterbau besteht aus zwei voneinander getrennten Komponenten: Die Lastableitung des Überbaus erfolgt über Lagerbalken auf jeder Seite, die auf Fertigteilpfeilern auflagern und die Lasten somit über die Pfeiler in die Fertigteilfundamentplatten weiter abtragen. Die Sicherung der Hinterfüllung erfolgt über bewehrte Erde bzw. Gabionen. Die Gründung der Brücke ist von der Geländesicherung entkoppelt. Das heißt, jeder Fertigteilträger des Überbaus mit je einem Verformungslager je Seite ist auf eine durchgehende Lagerbank mit integrierter Kammerwand gegründet. Dieses großformatige Fertigteil lagert auf zwei rechteckigen Fertigteilpfeilern. Die Segmente des Fundaments werden nach der Installation vergossen, der Kraftschluss wird über übergreifende Schlaufen in den Fugen sichergestellt. Die Durchbindung von Fundament über Stütze zur Lagerbank erfolgt über je sechs Spannlitzen je

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Ursprünglicher Wettbewerbsbeitrag: Regelquerschnitt © Arup Deutschland GmbH

Pfeiler. Die Spannglieder werden im Rahmen der Montage in vorgesehenen Nischen der Fundamente vergossen und von oben durch die Lagerbank vorgespannt und verankert. Die Spannnischen sowie die Litzen werden nachträglich verpresst. 2 Bauwerke über die L 518 bei Werne 2.1 Weiterentwicklung des Konzepts Im Anschluss an das Pilotvorhaben wurde Arup mit einem weiteren Projekt beauftragt. Dafür sollten zwei Überführungsbauwerke über die L 518 bei Werne ersetzt und die Sperrung der überführten Gemeindewege auf ein Minimum reduziert werden. Die zu ersetzenden Bauwerke »Stiegenkamp« und »Nordbecker Damm« liegen östlich und westlich der Anschlussstelle Hamm-Bockum-Werne der A 1. Der Spannstahl beider Brücken aus dem Jahr 1965 ist spannungsrisskorrosionsgefährdet, daher sind Ersatz-

neubauten erforderlich. Die beiden Querungsbauwerke haben einen rechtwinkligen Spannbetonquerschnitt und sind als Dreifeldträger ausgebildet, beide sind zudem schiefwinklig mit unterschiedlichen Kreuzungswinkeln und haben verschiedene Breiten. Es mussten verschiedene Vorgaben berücksichtigt werden: Das zu entwickelnde System sollte auf beide Brückengeometrien übertragbar sein. Außerdem sollten die Gradienten der bestehenden Gemeindewege beibehalten werden. Aufgrund ihres dreifeldrigen Aufbaus wiesen die vorhandenen Brücken geringe Querschnittshöhen auf, gleichzeitig musste eine Mindestlichthöhe von 4,70 m zwingend eingehalten werden. So stand für die neuen Brücken eine maximale Konstruktionshöhe in Überbaumitte von lediglich 71 cm (Stiegenkamp) und 73 cm (Nordbecker Damm) zur Verfügung, weshalb ein möglichst schlanker Überbau zu

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Längsquerschnitt durch die Brücke Stiegenkamp mit Darstellung der Bestandsgründungen © Arup Deutschland GmbH

entwickeln war. Weiterhin wurde ins Auge gefasst, die Anzahl der benötigten Fertigteilelemente überschaubar zu halten und Erdarbeiten auf das Nötigste zu reduzieren. Wichtig war darüber hinaus, dass die neuen Gründungen zwischen den Bestandsfundamenten angeordnet werden können. Daher musste der ursprüngliche Wettbewerbsbeitrag, welcher für die Brücke Hammacher Straße erarbeitet worden war, angepasst und weiterentwickelt werden. Es folgte eine Variantenuntersuchung unterschiedlicher Fertigteilbauweisen. 2.2 Tragwerk der Vorzugsvariante Letztlich wurde ein Rahmensystem mit Plattenbalkenquerschnitt in integraler Bauweise unter Einsatz von hochfestem Beton ausgewählt, da es die zuvor genannten Aspekte optimal zu vereinbaren erlaubte. Die Überbauhöhe in Feldmitte konnte damit auf ein Minimum reduziert werden, und es war möglich, die Gründungen zwischen die Bestandsfundamente zu legen (Bild 4).

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Aus gestalterischer Sicht ergibt sich eine besonders attraktive Lösung dadurch, dass der Plattenbalkenquerschnitt des Überbaus in den Widerlagern weitergeführt wird. Bild 5 zeigt eine Visualisierung der Brücke Nordbecker Damm.

Pfahlkopfplatte mit Anschluss der Widerlagerelemente © Arup Deutschland GmbH

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Visualisierung der Fertigteilbrücke Nordbecker Damm © Arup Deutschland GmbH

2.3 Gründung Die Gründung erfolgte über Bohrpfähle sowie eine Pfahlkopfplatte, die jeweils vor Ort innerhalb einer kurzen Zeitspanne (ca. 14 d) betoniert wurden: siehe Bild 6. Dies sind die einzigen Bauteile, die angesichts der vergleichsweise einfacheren Herstellung vollständig in Ortbetonbauweise realisiert wurden. Die Pfahlkopfplatte weist eine Dicke von 1,20 m auf und die Pfähle einen Durchmesser von je 80 cm mit einer Schiefstellung von 5:1. Eine wesentliche Vereinfachung und somit Verkürzung der Ausführungszeit wurde erzielt, indem bereits während der Vorplanung die Platzierung der neuen Gründungselemente zwischen den bestehenden erfolgte. Dadurch entfielen umfangreiche Erdarbeiten zur Herstellung größerer Baugruben und zum etwaigen Abbruch bzw. zur Entnahme der alten Gründung. Dank einer sorgfältigen Planung gab es keine Kollision der neuen mit der vorhandenen Gründung. Darüber hinaus war eine zeitaufwendige Entfernung des Bestands nicht notwendig.


SYMPOSIUM 2.4 Widerlagerelemente Die Fertigteilwiderlager bestehen aus nebeneinanderliegenden T-Querschnitten aus hochfestem Beton C 60/75, die nicht kraftschlüssig verbunden werden. Die resultierenden Fugen zwischen den einzelnen Querschnitten werden anhand von Fugenverschlussbändern geschlossen (Bild 7). Die Widerlager werden mit der Pfahlkopfplatte über mittels Vergussmörtel verfüllte Verankerungen aus Betonstabstahl kraftschlüssig verbunden. Ein 40-mm-Bett aus Vergussmörtel bildet die Fuge zwischen Widerlager und Pfahlkopfplatte. In den Flügelbereichen sind Winkelstützmauern (WSM) aus Betonfertigteilen C 35/45 angeordnet, deren Höhe ≤ 6,30 m beträgt. Jeder Flügelbereich setzt sich aus drei WSM-Fertigteilen zusammen, die vor Ort nebeneinander aufgestellt werden. Zwischen den Fertigteilen wurden Fugen mit einer Breite von 25 mm angeordnet, die nicht verfüllt, sondern lediglich mit Fugenverschlussbändern versehen werden. Die Fertigteile sind so ausgebildet, dass die Abschrägung der Hinterseite im Endzustand der Böschungsneigung von 1:1,50 entspricht. 2.5 Überbau Der Überbau besteht aus drei vorgefertigten Spannbetonplattenbalkenträgern aus hochfestem Beton C 60/75 (Bild 8), die einzeln zur Baustelle transportiert und zunächst auf den bereits aufgestellten Widerlagern aufgelagert werden. Hierfür ist pro Widerlagerwand bzw. Überbausteg eine Kontaktfläche, ausgestattet mit Stahlplatten, vorgesehen. Die Verfüllung der Längsfugen und der Rahmeneckenbereiche sowie das Aufbringen des Asphaltbelags erfolgen vor Ort.

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Einhub der Überbausegmente © Sharin Leitheiser/Westfälischer Anzeiger

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Querschnitte der Widerlagerelemente am Beispiel des Bauwerks Nordbecker Damm © Arup Deutschland GmbH

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Regelquerschnitt mit Widerlageransicht des Überbaus »Nordbecker Damm« © Arup Deutschland GmbH

Dadurch, dass die äußeren Überbaufertigteile in ihrer Geometrie die Form der Brückenkappe aufweisen, ist eine separate Montage von Kappen nicht mehr erforderlich. Der Überbau ist in Richtung der Widerlager gevoutet, um den aufgrund der Randbedingungen sehr schlanken Feldbereich zu entlasten. Infolge Kriechen und Schwinden lagert sich ein signifikanter Teil der Momente zu den Rahmenecken hin um.

Der Überbau wird mit dem Unterbau aus nebeneinander aufgestellten T-Fertigteilelementen durch eine Ortbetonergänzung (C 50/60) im Bereich der Rahmenecken zur Bildung eines Rahmentragwerks verbunden. Da die Fertigteile des Überbaus bis 108 t wiegen, wurden sie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit in einer Feldfabrik unweit der Standorte der beiden Brücken hergestellt. Bei allen anderen Fertigteilen erfolgte die Herstellung jedoch in einem Fertigteilwerk. 3 Innovationen 3.1 Integrierende Bauweise und hochfester Beton Da es sich beim entwickelten System im Endzustand um ein vollintegrales Bauwerk handelt, sind keine Lager und keine Gelenke vorhanden. Aufgrund der geringen Dehnwege bestehen die Übergänge zwischen Bauwerk und Hinterfüllung aus Asphalt nach ZTV-ING, Abschnitt 8.2, darunter befindet sich je Seite ein Auflagerbalken von 80 cm × 1,10 m mit einer konstruktiven Bewehrung. Die Überbauabdichtung orientiert sich an ZTV-ING 7-1 unter Verwendung von Flüssigkunststoff als Dichtungsschicht. Gesonderte Entwässerungseinrichtungen auf dem Überbau sind nicht vorgesehen, da die Fahrbahnentwässerung über die Seitenmulden und Längsgefälle erfolgt.

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11 Detail einer verfüllten Längsfuge zwischen zwei Überbaustegen © Arup Deutschland GmbH

10 Längsschnitt im Bereich der Brückenrahmenecke © Arup Deutschland GmbH

Aus Platzgründen war es erforderlich, die Übergreifungslängen der Bewehrung in der Rahmenecke zu optimieren. Hierzu wurde der α2-Faktor in Ansatz gebracht, ein in Deutschland meist nicht berücksichtigtes Beiwert, der die Reduktion der Übergreifungslänge in Abhängigkeit von der Betondeckung erlaubt. Insbesondere beim Fertigteilbau, bei dem Vollstöße erforderlich sind, führt die genauere Betrachtung dieses Effekts zu wirtschaftlichen Ergebnissen. Durch die Wahl von hochfestem Beton konnten nicht nur die Bauteilabmessungen gering gehalten werden, dies wirkt sich auch sehr vorteilhaft auf die Dauerhaftigkeit der Konstruktion aus. Grundsätzlich wäre gar keine Bauteilabdichtung notwendig gewesen. Als Vorsichtsmaßnahme wurde jedoch noch eine Lage Flüssigkunststoff aufgebracht.

Durch die Anordnung der Fuge zwischen zwei Stegen wird die rechnerisch auftretende Querkraft VEd reduziert. Um andererseits die Quertragfähigkeit VRd zu erhöhen, ist in Brückenquerrichtung eine Vorspannung aus verbundlosen Spanndrähten vorgesehen. Diese haben den Vorteil, dass alle Einzellitzen mit Korrosionsschutz versehen sind und dass einzelne Litzen im Bedarfsfall separat ausgetauscht werden können. 3.3 3-D-Modellierung von Tragwerk und Bewehrung Grundlage für die statische Berechnung und konstruktive Bemessung sind 3-DModelle mit hohem Detailgrad unter Berücksichtigung der einzelnen Bauphasen mit unterschiedlichen statischen Systemen sowie des zeitabhängigen Verformungsverhaltens. Zudem wurde aufgrund der integralen Bauweise eine Grenzwertbetrachtung für die Bettungs-

kenngrößen durchgeführt. Die Modellierung erfolgte mit Hilfe der Software Sofistik, welche eine AutoCAD-basierte Eingabe des geometrischen Modells unterstützt (Bild 12). Basierend auf den Rechenmodellen wurden für die genaue Modellierung der Bauteile bereits ab der Entwurfsplanung 3-D-Modelle mit Hilfe der Software Strakon erstellt. Durch die 3-D-Schal- und -Bewehrungsplanung der Fertigteile ließen sich Kollisionen und Konflikte ausschließen. Eine vor allem konfliktfreie Bewehrungsführung in den Schnittstellen zwischen Überbau und Widerlagerelementen konnte hiermit gewährleistet werden. Auch die 2-D-Darstellung der anspruchsvollen geometrischen Verhältnisse, bedingt durch die unterschiedliche Schiefwinkligkeit jedes Bauwerks sowie die sich ändernden Stegbreiten im Voutungsbereich, vermochte so fehlerfrei zu erfolgen.

3.2 Verbundfuge und Quervorspannung Die Planung und Fertigung der Überbausegmente erfolgten so präzise, dass kein Höhenausgleich unter der Asphaltschicht erforderlich war. Es wurde lediglich eine 10 cm breite Fuge angeordnet, welche mit Vergussmörtel zu füllen ist (Bild 11); selbiger erreicht bereits nach einem Tag ausreichend hohe Festigkeiten.

12 Finite-Elemente-Modell für Berechnung und Bemessung © Arup Deutschland GmbH

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SYMPOSIUM 4 Zusammenfassung Brücken in Vollfertigteilbauweise erlauben eine Verkürzung der Bauzeit um 75 % gegenüber herkömmlichen Lösungen. Das vorgestellte Konzept ist auf vergleichbare Überführungsbauwerke leicht übertragbar, wobei abweichende Schiefwinkligkeiten und Fahrbahnbreiten eine Standardisierung der Fertigteile nur eingeschränkt zulassen. Hier müssen individuelle Festlegungen getroffen werden, inwiefern zum Beispiel auf die Schiefwinkligkeit verzichtet werden kann, um für mehrere Ersatzneubauten einheitliche Fertigteile zu konzipieren. Je mehr Vereinheitlichungen möglich sind, desto schneller und günstiger ist die Herstellung. Es hat sich gezeigt, dass die Fertigteilindustrie in Deutschland (noch) nicht für derartig große Bauteile gerüstet ist. Generell könnte zudem deren Transport über große Entfernungen eine Herausforderung darstellen. In Nordrhein-Westfalen müsste dazu, anders als etwa in den Niederlanden, meist der Landweg zum Transport gewählt werden, was aufgrund der Gewichtseinschränkungen in vielen

Abschnitten aber schwieriger ist. Das Problem lässt sich jedoch durch eine Herstellung in unmittelbarer Nähe der Baustelle überwinden. Viele hiesige Fertigteilwerke haben inzwischen das Potential der Fertigteilbauweise im Brückenbau erkannt und passen ihre Kapazitäten entsprechend an. Durch eine regulatorische Offenheit auf Politik- und auf Bauherrenseite und die erweiterte gezielte Ausschreibung von (Pilot-)Projekten können auch künftig wertvolle Erfahrungen auf dem Weg zu einer breiteren Anwendung neuer Bauweisen gesammelt werden. 5 Danksagung Die Autoren danken dem Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen für die Initiierung des Projektes und die optimale Unterstützung während der Planung, insbesondere Nicole de Witt, Dr. Markus Hamme, Reiner Weidekemper, Gregor Ellerkamp und Michael Ruhkamp. Herzlicher Dank gilt Prof. Reinhard Maurer und Michael Schrick von der Planungsgesellschaft König und Heunisch in Dortmund für die technische Prüfung und wissen-

schaftliche Begleitung im Laufe des Projekts. Für den Planungserfolg war die Unterstützung des Ingenieurbüros Erdmann + Brandmann bei der Erarbeitung der 3-D-Modelle und Planunterlagen maßgeblich, denen hierfür ein besonderer Dank der Autoren gilt. Autoren: Dr.-Ing. Markus Gabler Abdalla Fakhouri M.Sc. Dipl.-Ing. Katrin Baumann Arup Deutschland GmbH, Düsseldorf

Bauherr Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen, Regionalniederlassung Münsterland Entwurfs- und Ausführungsplanung Arup Deutschland GmbH, Düsseldorf Bautechnische Prüfung Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Dortmund Bauausführung Heitkamp Brückenbau GmbH, Herne

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SYMPOSIUM Initiative zur Qualitätssteigerung

Offensive Holzbrückenbau von Arnim Seidel, Frank Miebach

Holzbautechnische und baupolitische Veränderungen wie sich wandelnde Nutzerinteressen lassen erwarten, dass sich der Anteil von Holzkonstruktionen im Bauwesen deutlich erhöhen wird. Mit zunehmender Mobilisierung steigt der Bedarf an Verkehrswegen und Brücken in vorher nicht da gewesenen Dimensionen. Noch nie in der Baugeschichte sind so viele Brücken errichtet worden wie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Führende Experten prophezeien in diesem Kontext dem Naturbaustoff Holz für den Brückenbau unter der Voraussetzung eine Zukunft, dass sich die Öffentlichkeit seiner überragenden Eigenschaften wieder bewusst wird und sich Baufachleute wieder der naturgesetzlichen Disziplin des Konstruierens mit ihm unterziehen.

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1 Einleitung Der Bau von Überführungen aus Holz – seien es Fußgänger-, Verkehrs- oder Grünbrücken – ist trotz technisch wegweisender und von der Fachwelt wie der breiten Öffentlichkeit bewunderter Einzelbauwerke immer noch eine Ausnahme. Neben historischen Beispielen wie der jahrhundertealten Rheinbrücke in Bad Säckingen – mit 204 m ist sie die längste gedeckte Holzbrücke Europas – sind in Deutschland als Leuchtturmprojekte des 20. Jahrhunderts die 195 m lange Fußgängerbrücke über den Main-DonauKanal bei Essing von 1985 oder die Straßenbrücke über die Isar bei Thalkirchen von 1991 zu erwähnen. In den letzten Jahren stärken bautechnische Innovationen sowie Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit von Holzkonstruktionen die Wettbewerbsfähigkeit und zeigen die große Leistungsfähigkeit des Holzbrückenbaus. So belegen Brücken in Holz-Beton-Verbundbauweise den Erfindungsgeist der Ingenieure, denn durch die Kombination zweier leistungsstarker Werkstoffe verfügen sie über eine Reihe positiver Eigenschaften. Hier werden Holz und Beton gleich mehrere Funktionen zugeordnet: Die bewehrte Betonplatte dient als Fahrbahn und wird gleichzeitig durch Einbindung in das Verbundtragwerk, über die schubsteife Verbindung mit dem Holz, zum Lastabtrag herangezogen. Zusätzlich übernimmt die Betonplatte den Witterungsschutz für das Holztragwerk, das Holz wiederum den Zugkraftanteil der Hybridkonstruktion. Besonders erfreulich ist, dass die DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungsund -bau GmbH, eine vom Bund und von derzeit zwölf Bundesländern getragenes Unternehmen, das die Planung und Baudurchführung von Verkehrswegen übernimmt, beim Bau von Grün- oder Wildbrücken den Baustoff Holz favorisiert.

Sie errichtete Europas erste Wildbrücke aus Holz über der B 96 bei Wilmshagen in Brandenburg, weitere folgten über der A 1 bei Nettersheim, Nordrhein-Westfalen, oder der B 101 zwischen Luckenwalde und Trebbin, Brandenburg, neue Brücken in Thyrow, Brandenburg, und Samtens, Mecklenburg-Vorpommern, befinden sich bereits in der Realisierung. Beispielgebende Resultate im In- und Ausland belegen nicht nur deren technisches Potential, sondern auch die besondere Ästhetik von Holzbrücken. Sie binden sich gut in eine natürliche Umgebung ein und gelten als besonders angemessen für den Landschaftsraum. Brücken sind oft schon wegen ihrer Größe weithin sichtbare Bauwerke, die das Bild einer Landschaft oder einer Stadt stark prägen können. Sie werden unter Umständen von Millionen an Menschen benutzt und nicht nur wegen ihrer gestalterischen Qualität, sondern auch in ihrer Materialität wahrgenommen. Auftraggeber im Brückenbau sind zumeist die öffentliche Hand in Form von Tiefbauämter der Kommunen sowie die Bauverwaltungen der Eisenbahn, der Straßen und der Autobahnen und über allen das Bundesverkehrsministerium. Hier werden Entscheidungen gefällt, die vorrangig ökonomisch orientiert sind und den Holzbau nur selten in Betracht ziehen. Das liegt auch an der mangelhaften Überzeugungsarbeit seitens der Holzwirtschaft. Zentrale Fachausschüsse der Bauverwaltungen haben holzfreie Einheitssysteme von Richtlinien und sogar Richtzeichnungen geschaffen, die den gesamten Brückenbau reglementieren, angefangen vom Tragwerk bis hin zu sämtlichen Details der Ausstattung – doch Holz wird dabei kaum bzw. gar nicht erwähnt. So erfährt es in der Brückenbaupraxis noch nicht die ihm gebührende Marktdurchdringung.


SYMPOSIUM

2 Vorbehalte gegen Holzbrücken Holzbrücken begegnen häufig noch überkommenen pauschalen Vorurteilen hinsichtlich ihrer Lebensdauer und ihrer Unterhaltskosten. Die neuveröffentlichten Ablöserichtlinien beweisen allerdings das Gegenteil. Das heißt, sie bestätigen geschützten Geh-, Radweg- und Straßenbrücken eine theoretische Nutzungsdauer von 60 Jahren und legen den Satz der jährlichen Unterhaltskosten auf 2,00 % fest. Eine Untersuchung von hölzernen Verkehrsbrücken [1] zeigt, dass die Dauerhaftigkeit und Lebenserwartung geschützter Holzbrücken mit einer Nutzungsdauer von 80 Jahren und jährlichen Unterhaltskosten von 1,00–1,30 % nahe den Konkurrenten aus Stahlbeton, Spannbeton, Stahl und den Stahlverbundbrücken liegen. Obwohl sich die Lebenserwartungen aller Baustoffe allmählich annähern, sind Kostenunterschiede festzustellen. Holz ist in dem Zusammenhang nicht nur dauerhaft und leistungsfähig, sondern es ist auch ein kostengünstiges Material. Der konstruktive Holzschutz ist der Schlüssel zur Langlebigkeit einer Holzbrücke. Er verhindert nicht nur Schadensfälle, sondern auch den Einsatz chemischer Holzschutzmittel. Eine konstruktiv gutgeplante Holzbrücke lässt sich bei plötzlich auftretenden Schäden, zum Beispiel Anprallschäden durch Verkehrsunfälle, schnell reparieren, da die jeweiligen Bauteile relativ leicht und unkompliziert auszutauschen sind.

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Fachwerkbrücke in Lörrach Planung: Regierungspräsidium Freiburg/HSW-Ingenieure © Schmees & Lühn Holz- und Stahlingenieurbau GmbH & Co. KG

Die Entwicklung etablierter Holzprodukte wie Brettschichtholz mit gesteigerten Materialeigenschaften, großen Abmessungen und hoher Tragfähigkeit, aber ebenso Fortschritte in der Verbindungstechnik haben entscheidend zum neuen Verständnis und Stellenwert von Holz im Brückenbau beigetragen. Die neuen Verbindungstechnologien haben zudem jedoch die Fertigung und Montage tiefgreifend verändert. Heute werden, vergleichbar dem modernen Holzhausbau, ganze Brückenbauteile in spezialisierten

Holzbauunternehmen vorgefertigt und auf der Baustelle zum kompletten Tragwerk montiert. Daraus resultiert ein zeitlicher, wirtschaftlicher und nicht zuletzt ein qualitativer Gewinn. Neue Fußgänger- und Straßenbrücken, die sich durch Originalität, gestalterische Qualität sowie eindrückliche Dimensionen auszeichnen, sind das Resultat. 3 Holzbau im Boom In Deutschland ist die Nachhaltigkeitsbewertung mittlerweile obligatorisch bei Bauvorhaben des Bundes. Das »Nachhaltige Bauen« setzt sich langsam in dem für den Rohstoff Holz so wichtigen Bausektor durch. Holzbautechnische und baupolitische Veränderungen sowie sich wandelnde Nutzerinteressen lassen erwarten, dass sich deshalb der Anteil von Holzkonstruktionen im Bauwesen deutlich erhöhen wird. Schon heute gilt Holz als das nachhaltige Material mit dem größten Entwicklungspotential, da sich die Holztechnologie und der Holzbau seit 25 Jahren in einer bisher ungekannten Geschwindigkeit entwickeln.

Blockträgerbrücke in Neckartenzlingen Planung: Ingenieurbüro Miebach © Burkhard Walther

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SYMPOSIUM

Immer mehr Bauherren entscheiden sich im Neubau oder bei der Modernisierung von Gebäuden für die Holzbauweise. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern haben Holzbauten im Bundesdurchschnitt einen Anteil von mehr als 15 %, in Baden-Württemberg sind es annähernd 25 %. Das mehrgeschossige Bauen bis unterhalb der Hochhausgrenze ist aufgrund der Novellierung von Landesbauordnungen nicht nur möglich, sondern führt gerade zu einer kleinen Sonderkonjunktur in der Holzwirtschaft. Diese Entwicklung ist noch lange nicht beendet – und von ihr sollte auch der Holzbrückenbau profitieren. Die Holznutzung bleibt trotz ihrer rasanten Dynamik freilich immer erklärungsbedürftig: Traditionell geprägte Vorstellungen wie »Massives Bauen ist solides Bauen« oder Vorurteile gegenüber dem Holzbau selbst lösen sich erst langsam auf. In einem positiv gestimmten Klima wächst naturgemäß das Informationsbedürfnis potentieller Auftraggeber und der Fachwelt. Bauherren, Planer und Handwerk verlangen mehr denn je nach kompetenter Aufklärung über den Baustoff Holz und einen produktiven Dialog zwischen der Branche und der Bauwelt – dies gilt auch und gerade für den Bau von Brücken aus Holz.

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Pylonbrücke in Lohmar Planung: Ingenieurbüro Miebach © Ingenieurbüro Miebach

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Schwerlastfachwerkbrücke in Malters, Schweiz Planung: Pirmin Jung Ingenieure AG © Markus Schranz

4 Stoffliche Nutzung von Holz Im Gegensatz zu anderen Werkstoffen und Wirtschaftszweigen wirkt sich die Verwendung von Holz positiv auf den CO2-Haushalt und das Klima aus. Seine stoffliche Nutzung führt zu einer hohen CO2-Reduktion: Der Kohlenstoffspeicher bleibt über die gesamte Verwendungsdauer von Holzprodukten erhalten. Andere, in ihrer Herstellung CO2-intensive Materialien werden ersetzt. Verbautes Holz erspart der Atmosphäre jahrzehntelang CO2. Nicht nur ökologisch im Sinne des Klimaschutzes ist es die beste Strategie, Holz möglichst lange im Verwendungskreislauf zu halten, es bringt auch ökonomisch Vorteile, weil sich mit jedem Verarbeitungsschritt eine höhere Wertschöpfung erzielen lässt. 5

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Sprengwerkbrücke in Peiden-Bad, Schweiz Planung: Conzett Bronzini Partner AG © Ralph Feiner

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SYMPOSIUM

Dieses Konzept der »Kaskadennutzung« sieht vor, dass Holz in mehreren Schritten stofflich, also als Werk- oder Baustoff, eingesetzt wird. Bauwerke aus Holz sind nicht nur aus dem Wald verlagerte Kohlenstoffspeicher, sondern tragen zusätzlich dazu bei, dass an anderer Stelle weniger CO2 entsteht. Erst wenn keine stoffliche Verwendung mehr in Frage kommt, wird das Holz zur Energieproduktion, zum Beispiel für die thermische Nutzung, freigegeben. Relevant für das Klima ist jedoch nicht allein die Existenz solcher Speicher, sondern deren Stabilisierung und Vergrößerung. Neben dem Hinausschieben der Kohlenstofffreisetzung hat somit besonders eine steigende stoffliche Verwendung von nachhaltig produziertem Holz und eine damit verbundene Stärkung der Kaskadennutzung einen positiven Effekt auf das Klima. Holz ist der einzige nachwachsende Rohstoff, der sich unmittelbar als konstruktiver Baustoff einsetzen lässt. Holzbauwerke – und hierzu zählen Holzbrücken, deren Realisierungspotential noch lange nicht ausgeschöpft ist – haben im Vergleich zu Bauten aus herkömmlichen, nicht nachwachsenden Materialien eine um mehr als die Hälfte kleinere CO2-Bilanz (Gesamtbetrag von Kohlenstoffdioxidemissionen, der über die Lebensstadien eines Produkts entsteht), obwohl Faktoren wie Substitutionseffekte und Nachwuchspotential hier noch gar nicht berücksichtigt sind. Die Verarbeitung von Bäumen zum Baustoff Holz benötigt weit weniger fossile Energie als die Herstellung von Stahl, Beton, Kunststoff, Ziegeln oder gar Aluminium. Im Unterschied zu vielen anderen Materialien verfügt Holz ebenso über sinnlich wahrnehmbare, haptische Qualitäten wie fertigungstechnische Vorteile, etwa das geringe Gewicht oder die leichte Bearbeitbarkeit.

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Grünbrücke bei Luckenwalde Planung: Schwesig + Lindschulte GmbH © René Legrand

Brücken aus Holz sind, genau wie alle anderen Holzbauwerke, Baumaßnahmen mit Gewinn für den Klimaschutz. Holz ersetzt beim Brückenbau herkömmliche Baustoffe wie Stahl oder Beton, deren Herstellung besonders CO2-intensiv ist, und vermeidet die dabei entstehenden Emissionen. Aus Lebenszyklusanalysen, die die Treibhausgasemissionen eines Bauwerks von Errichtung über Instandhaltung bis zu Rückbau und Entsorgung betrachten und dabei Substitutionseffekte berücksichtigen, ergibt sich, dass pro Kilogramm eingesetztem Holz bis zu 1,76 kg CO2 eingespart werden können.

5 Offensive Holzbrückenbau Die beschriebenen Vorbehalte gegenüber dem Holzbrückenbau sind zumeist auf ein Wissensdefizit unter Baufachleuten und -entscheidungsträgern vor allem im kommunalen Bereich zurückzuführen. Die weitreichende Entwicklung des Holzbrückenbaus in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde allenfalls in Teilbereichen und auch nur für Eingeweihte publiziert. Eine professionelle Aufbereitung des Standes der Technik im Sinne konkreter Planungshilfen oder die gebündelte Darstellung gelungener Realisierungsbeispiele als Überzeugungshilfe fanden weder in der Baufachliteratur noch in Publikationen für die breite Öffentlichkeit statt.

Erneuerung der Echelsbacher Brücke 1. Preis im Realisierungswettbewerb mit Kolb Ripke Architekten Deutscher Ingenieurpreis 2017, Straße und Verkehr, Kategorie Baukultur mit Staatl. Bauamt Weilheim Objekt- und Tragwerksplanung LPH 1 - 6

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SYMPOSIUM

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Wettbewerb: Fuß- und Radwegbrücke in Lahr Entwurf: Meyer + Schubart Ingenieure/Kolb Ripke Architekten © Kolb Ripke Architekten

Es erscheint also besonders wichtig, über die noch weitverbreiteten Vorurteile hinsichtlich der Nutzungsdauer und Unterhaltskosten von Holzbrücken aufzuklären. Bauentscheidungsträger sollten deshalb mit ansprechendem Informationsmaterial ausgestattet werden, das sie von den gestalterischen Qualitäten einer Holzbrücke überzeugt und ihnen entsprechende Argumentationshilfen an die Hand gibt.

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Wettbewerb: Fuß- und Radwegbrücke in Rheinfelden Entwurf: Ingenieurbüro Miebach/Swillus Architekten © Rendermanufaktur

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Vor diesem Hintergrund riefen das Ingenieurbüro Miebach, die Fachagentur Holz und die Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau e.V. die »Offensive Holzbrückenbau« ins Leben. Mit Hilfe des Informationsdienstes Holz sollen der aktuelle Stand des modernen Holzbrückenbaus, seine materialbezogene Attraktivität wie auch der Gewinn für den Klimaschutz in das Bewusstsein von Baufachleuten und -entscheidungsträgern getragen werden. Das

Angebot professioneller Planungshilfen für Tragwerksplaner und Architekten, verbunden mit der Dokumentation konkreter Anwendungen, ist nötig, um einen selbstverständlichen und sicheren Umgang mit dem Baustoff Holz in Planung und Umsetzung zu bewirken sowie die Bereitschaft der Baufachleute zu stärken, Holz als Baustoff überhaupt in Betracht zu ziehen oder zu berücksichtigen. Erklärtes Ziel ist die Erhöhung des Anteils von Holzbrücken am wachsenden Markt des Brückenbaus. Vier zusammenhängende Publikationen bieten technische Basisinformationen als Planungshilfe. Entwurf von Holzbrücken: Als Unterstützung für den fachgerechten Entwurf von Holzbrücken werden in dieser Broschüre auf 60 Seiten Grundlagen, Regeln und Abläufe für die Ausbildung von Brücken in Holzbauweise definiert. Dies umfasst die Erläuterung besonderer Rahmenbedingungen bei Holzbrücken, die Darstellung etablierter Bauweisen sowie die Ausbildung spezifischer Details von Querschnitten, Belägen, Geländern und Lagern.


SYMPOSIUM

Tragwerksplanung von Holzbrücken: Als sinnvolle Ergänzung zu dem Vereinfachen von Entwurfsprozessen werden zur Unterstützung von Tragwerksplanern in dieser Broschüre Bemessungshilfen und Lastannahmen zusammengefasst. Neben Hilfen zur überschlägigen Einschätzung von Bauteilen des Tragwerks werden Ausführungsmöglichkeiten aufgezeigt und mustergültige Berechnungen aufgeführt. Musterzeichnungen für Holzbrücken: Im Gegensatz zu Brücken aus konventionellen Baustoffen gibt es für Holzbrücken kaum technische Richtlinien. In dieser Broschüre wird Planern ein durchgängiger Katalog an Musterzeichnungen zu Verfügung gestellt. Die Zeichnungen berücksichtigen den aktuellen Stand der Technik und wurden innerhalb eines von der Fachhochschule Erfurt geleiteten Forschungsprojekts namens »ProTimb« in Zusammenarbeit mit ausführenden Betrieben und Ingenieurbüros entwickelt. Mit Anwendung der entwickelten Details lässt sich ein hoher Qualitätsstandart bei der Ausführung von neuen Holzbrücken gewährleisten und die Standardisierung von Details im Vergleich zu konventionellen Bauweisen weiter verbessern. Moderner Brückenbau mit Holz: Zusätzlich liegt ein besonderer Schwerpunkt in der Ansprache der Auftraggeber im Brückenbau. Dies sind Tiefbauämter der Kommunen, die zentralen Fachausschüsse der Bauverwaltungen und vor allem das Bundesverkehrsministerium. Für sie wird ergänzend das bildbetonte Buch »Moderner Brückenbau mit Holz« herausgegeben, das vor allem auf die Überzeugungskraft beispielhafter Brückenbauwerke setzt, die sich aber auch an den Maßstäben einer langlebigen Konstruktion in Holz orientieren.

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Schwerlastbrücke in Schwarzach Planung: Staatliches Bauamt Passau/Sailer Stepan und Partner GmbH © René Legrand

Die Veröffentlichungen können kostenfrei über die Websites www.holzbrueckenbau.com oder www.informationsdienstholz.de bezogen werden. Die »Offensive Holzbrückenbau« wird maßgeblich durch den Waldklimafonds der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Bonn gefördert. Projektpartner des Ingenieurbüros Miebach und der Fachagentur Holz sind die Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau e.V., der Informationsverein Holz e.V. als Träger des Informationsdienstes Holz sowie die Studiengemeinschaft Holzleimbau e.V.

Literatur [1] Gerold, M.: Forschungsvorhaben Ablösebeträge für moderne Holzbrücken, Richtzeichnungen und Typenentwürfe. Abschlussbericht, Teil 1. Harrer Ingenieure, Karlsruhe, 2005.

Autoren: Dipl.-Ing. Architekt Arnim Seidel Fachagentur Holz, Düsseldorf Dipl.-Ing. Frank Miebach Ingenieurbüro Miebach, Lohmar

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PRODUKTE UND PROJEKTE Lager und Übergangskonstruktionen von Maurer

Neubau der Schiersteiner Brücke Die bisherige Autobahnbrücke über den Rhein im Zuge der A 643 wurde 1962 errichtet und verbindet Wiesbaden-Schierstein mit Mainz-Mombach. Wegen des stark gestiegenen Verkehrsaufkommens auf ca. 90.000 Kfz/d weicht sie nun einem zweiteiligen Neubau mit 1.280 m bzw. 1.285 m Länge: Die je 15-feldrigen Hohlkastenbrücken haben drei Fahrspuren, einen Standstreifen sowie Rad- und Fußwege und sind 21,72 m breit. Der erste Überbau wurde seit 2013 flussabwärts parallel zur Bestandsquerung erstellt und trägt seit November 2017 den Verkehr in beide Richtungen. Zwischenzeitlich wurde die alte Brücke abgebrochen, und der zweite Neubau soll, teilweise unter Verwendung der alten Gründung, 2021 fertig sein. Bautechnisch anspruchsvoller Höhepunkt war 2016 das Einschwimmen und Einheben des 120 m langen Mittelstücks über den Rhein. Bereits während der Planungen musste abgeschätzt werden, welche Bewegungen und Kräfte die Lager bei diesem Kraftakt erfahren werden. Prognostiziert wurden hier große Verdrehungen von 1,50 %, gleichzeitig müssen die Lager hohe Vertikallasten von über 6.000 t aufnehmen, weshalb Kalottenlager mit der Gleitpaarung MSM® (Maurer Sliding Material) und Edelstahlblech zum Einsatz kamen. MSM® hat gemäß Europäischer Technischer Bewertung ETA-06/0131 eine zertifizierte, extrem hohe spezifische, charakteristische Pressung von 180 N/mm². Selbst beim eingerechneten Sicherheitsfaktor von 1,40 ist auf diesen Gleitwerkstoff eine außergewöhnlich hohe Pressung von 128 N/mm² zulässig. Dadurch konnten die Abmessungen der Kalottenlager auf ein Minimum von ca. 1.600 mm x 1.500 mm x 380 mm bei einem Gewicht bis 4.600 kg pro Lager reduziert werden, was gegenüber herkömmlichen Lösungen eine Volumenersparnis von ca. 30 % bedeutet. Die in der Gleitpaarung auftretende Reibung wird aufgrund von MSM® im Übrigen auf sehr niedrige 2 % begrenzt. Die großen Verdrehungen wurden mit einem speziell angepassten inneren Gelenk, der Kalotte, realisiert, deren Fertigung mit dem hochfesten Material MSA® erfolgte: MSA® ist eine spezielle metallische Legierung, die jegliche Korrosion verhindert und eine Lebensdauer von 100 Jahren aufweist, und zwar selbst unter widrigsten Umgebungsbedingungen.

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Neue Hohlkastenstruktur neben vorhandener Flussquerung © Maurer SE

Als Fahrbahnübergangskonstruktionen wurden Schwenktraversen mit oben aufgebrachter Lärmminderung gewählt, welche die Bauwerkspalte aufgrund von thermischen Bauwerksbewegungen an den beiden Deckenden überbrücken und zudem sicher und dauerhaft bei 90.000 Kfz/d funktionieren müssen. Der Geräuschpegel bei Überfahrten kann mit dieser Dehnfuge um 40–60 % reduziert werden. Und: Die Konstruktionsart Schwenktraverse besitzt keine wartungsanfälligen Bauteile. Die schräg gestellten Traversen ermöglichen eine elastische Zwangssteuerung, die identisch große Fugenspalte erzeugt. Darüber hinaus erlaubt jenes Prinzip zwängungs- und ermüdungsfreie Brückenbewegungen in alle Richtungen über 50 Jahre und länger. Die Ausführung ist regelgeprüft und in ihrer Lärmminderung vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) bestätigt. Alle tragenden Teile und lärmmindernden Rautenelemente an der Fugenoberfläche sind verschweißt, bzw. es werden keine wartungsintensiven Schraubverbindungen eingesetzt. In Summe wurden beim ersten Überbau vier 22 m breite Fahrbahnübergangskonstruktionen eingebaut, die zulässigen Brückenlängsbewegungen liegen zwischen 700 mm und 1100 mm bzw. bei der einprofiligen Übergangskonstruktion bei 95 mm. Die zweite Strombrücke befindet sich derzeit in Realisierung und wird mit den gleichen Bauwerkschutzelementen ausgestattet, ihre Freigabe ist für 2021 geplant. www.maurer.eu

Vermessung der eingebauten Keilplatte © Maurer SE

Kalottenlager im Schnitt © Maurer SE

Schwenktraversenkonstruktion von unten © Maurer SE


PRODUKTE UND PROJEKTE Erfolgreiche Schalungsarbeiten dank Paschal

Kinzigbrücke zwischen Steinach und Bollenbach

Errichtung der Brückenpfeiler © Paschal-Werk G. Maier GmbH

Die neue Brücke über die Kinzig, als Ersatz für das schadhafte Vorgängerbauwerk geplant und realisiert, ist Teil des vielbefahrenen und unter Schwarzwaldtouristen beliebten Kinzigtal-Radweges, der zwischen Offenburg und Freudenstadt verläuft. Darüber hinaus dient sie als wichtige Verbindung zwischen Bollenbach und Steinach für Fahrradfahrer und Fußgänger. Die Baukosten für ihre Errichtung addieren sich auf ca. 1,60 Mio. € und werden von den beiden Kommunen Haslach und Steinach gemeinsam getragen. Von der ausführenden Baufirma wurde das Paschal-Werk G. Maier GmbH mit der Schalungsplanung und -bereitstellung beauftragt.

Widerlager in Sichtbetonqualität © Paschal-Werk G. Maier GmbH

Feder-Brettern belegt. Letztlich wurden für dieses Projekt vom Kunststoffausgleich über die Scharnierecken bis hin zu den Großflächenelementen das komplette Logo.3-Sortiment sowie die Paschal-Raster-Universalschalung für Fundamente eingesetzt, was in Summe ca. 200 m² Schalung bedeutete.

Die Einweihung der neuen Brücke erfolgte Ende 2018 wie geplant, zuvor erhielt sie aber noch einen ca. 4 m breiten, überdachten Überbau aus Holz. www.paschal.com

Ersatzneubau (kurz) vor Fertigstellung © Paschal-Werk G. Maier GmbH

Insgesamt lieferte Paschal die Schalung für die zwei Brückenpfeiler von je 5,45 m und 3,93 m sowie die Schalung für die beiden Widerlager, wobei hier die gewünschte Sichtbetonoberfläche mit Brettstruktur eine besondere Anforderung war: Dafür wurde die Logo.3-Schalung speziell mit 2 cm breiten Nut-und-

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PRODUKTE UND PROJEKTE Einfacher Trägereinhub dank Terex

»Verquerer« Brückenbau in Köln Die Errichtung einer schräg zur Fahrbahn verlaufenden Brücke über der A 1 bei der Anschlussstelle Köln-Niehl stellte das Team des beauftragten Krandienstleisters vor ganz besondere Herausforderungen. Obwohl ein etwas kleinerer Kran diesen Job wahrscheinlich auch hätte übernehmen können – er wäre dazu aber auf der beengten Baustelle voll aufzurüsten gewesen –, fiel die Entscheidung letztlich zugunsten des Demag AC 500-8 AllTerrain-Krans: Gewählt wurde also ein Gerät, das alle anstehenden Hübe dank seiner hohen Hubkraft selbst im kleinen Rüstzustand sicher bewältigen konnte und damit unterm Strich die wirtschaftlich und technisch beste Lösung war. Die Anfahrt des Krans erfolgte völlig problemlos in Begleitung von nur vier Lkws, die den benötigten Ballast samt dem erforderlichen Zubehör auf die Baustelle brachten. Der anschließende Aufbau des Krans erwies sich hingegen als deutlich komplizierter, denn aufgrund der beengten Platzverhältnisse vor Ort durch abgestellte Schachtbauwerke und Fertigteile anderer Baufirmen mussten die Ballast-Lkws auf der Gegenspur geparkt und der Kran über Fahrbahn und Leitplanke hinweg bestückt werden. Trotz des damit verbundenen Mehraufwands gelang es freilich, den Demag AC 500-8 mit drei Monteuren innerhalb von nur 1,50 h mit seinem 37,90 m langen Hauptausleger und den 120 t Gegengewicht für die insgesamt acht Hübe der 37 m langen und 51 t schweren Brückenelemente zu konfigurieren. Die eigentliche Herausforderung folgte indessen erst, galt es doch, die Stahlträger ebenso über die Leitplanke hinweg zu entladen. Bei den Hüben selbst war dann höchste Präzision gefragt, da die Binder absolut waagerecht hängend auf den Widerlagern anzuordnen waren. Erschwerend kam dabei hinzu, dass die Brücke in einem Winkel von 80° schräg über die Autobahn verläuft. Zudem musste der Kran während der Hübe einmal umsetzen, ohne dabei die benachbarte Leverkusener Brücke befahren zu dürfen, was dank einer peniblen Vorbereitung in Summe bestens glückte.

Kran mit sehr hoher Hubkraft © Terex Germany GmbH & Co. KG

So ließen sich sämtliche Hübe innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens von 48 h an einem Wochenende durchführen, was in der Einschätzung mündete: »Im Nachhinein betrachtet, hat sich unsere Entscheidung für den Demag AC 500-8 damit als goldrichtig erwiesen. Denn das

vorgegebene Zeitfenster hätten wir mit einem anderen Kran kaum einhalten können«, so der Projektleiter des Krandienstleisters. www.terex.com

Einheben aller Stahlträger über Leitplanke und Gegenfahrbahn © Terex Germany GmbH & Co. KG

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PRODUKTE UND PROJEKTE Effektive Betonersatzsysteme von Sika

Schutz für Brückenbauwerke

Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb). Weitere Eigenschaften sind die Feuerwiderstandsklasse F 120 und ein sehr hoher Chloridmigrationswiderstand. Für mögliche nachfolgende Arbeiten bilden wiederum die Feinspachtel Icoment520 Mörtel und Sika MonoTop-723 DE eine optimale Basis. einer ausgefeilten Silo-Logistik ist smar t ngDank eck von Ischeb su imenÜbrigen garantiert, dass die Baustelle digitale Lö rund um die Uhr mit ausreichend Material Reprofilierung von Stahlbetonstrukturen versorgt wird. Auch die notwendige Bau© Sika Deutschland GmbH stelleneinrichtung inklusive Aufstellsilo, Mischeinheit, technischer Dokumentation Brücken sind elementare Bauwerke der und eines zuverlässigen technischen Das Sika MonoTop PCC-System zeichnet Verkehrsinfrastruktur: In ihrer Mehrzahl Supports stellt Sika aus einer Hand zur sich durch seine hervorragenden Eigenbestehen sie aus Stahlbeton und sind in Verfügung. schaften aus, so ist der Mörtel statisch der Regel für eine Lebensdauer von ca. mitwirkend und besitzt die M3-Zulassung 60–100 Jahren konzipiert. Diese Nutnach der Instandsetzungsrichtlinie des r t www.sika.de sma messen zungsdauer ist jedoch nur dann zu gele online be Mikropfäh währleisten, wenn sie von Anfang an optimal geschützt, regelmäßig gewartet und nachhaltig instand gesetzt werden. Welche Maßnahmen bei Letzterem sinnvoll sind, regelt Teil 9 der EN 1504, indem sie ein strukturiertes, prinzipielles Vorsmar t le für el gehen definiert, und zwar von der ZuRevit-Mod planung -Schalungs 3D standsanalyse des geschädigten Tragwerkes bis hin zum Unterhaltsplan. Alu-Schalungsgerüst TITAN Sika produziert ein umfangreiches Sortiment an Betonersatzsystemen, die speziell für die Reprofilierung oder den Ersatz smar t exer eis kompl des Originalprofils und der Funktion des her Nachw Baurechtlic n be geschädigten Betons entwickelt wurden Schalaufga und sich für Bauwerke jeglicher Art eigB 3.44 9 nen. Das System für die Betoninstandsetzung, Sika MonoTop PCC-System, ist sehr smar t sgerüst: Baurechtlichenr wirtschaftlich und bietet höchste Leisng be Alu-Schalu mplexer Schalaufga tungsfähigkeit. Das heißt, es vereint Korko Nachweis rosionsschutz und Haftbrücke in einem Produkt und ist ideal auf das Sika MonoTop-412 DE System abgestimmt, einen vielseitig verwendbaren einkomponentigen Betonreprofiliermörtel, der im Nass-Spritzverfahren appliziert wird.

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PRODUKTE UND PROJEKTE Friedr. Ischebeck auf der bauma 2019

Baugeräte plus Service Als Hersteller von Schalungsprodukten, die größtenteils nicht im Bauwerk verbleiben, sondern nur in der Rohbauphase zum Einsatz kommen, bietet Ischebeck eine Schnittstelle zum BIM-Modell, um in selbigem die Schalungsplanung realisieren zu können. Dies erfolgt mit Hilfe des Programms Revit von Autodesk, die Ischebeck-Produkte stehen dementsprechend als Revit-Dateien zur Verfügung. Ob als einzelner Stützturm, Raumgerüst, Schaltisch oder Schalwagen: Das Schalungsgerüst »Titan« trägt Lasten aller Art – und in Deutschland ist es bis zu einer Höhe von 24,60 m über eine Typenprüfung geregelt. In allen anderen Fällen

mussten bislang aufwendige Einzelnachweise erbracht werden: Mit der neuen smartTitan-Bemessungssoftware von Ischebeck gibt es jetzt freilich ein Tool, mit dem sich der Nachweis auf Basis der Grundlagen der Typenprüfung für jeden Systemaufbau erstellen lässt. Zugleich erlaubt sie, den Materialeinsatz für eine optimale Auslastung des Systems anzupassen. Digitale Unterstützung gibt es auch im Bereich der Geotechnik. Ab April wird ein Tool existieren, das Planern hilft, ihre Projekte leicht und schnell mit dem System-Mikropfahl Titan auszuarbeiten. Das heißt, es brauchen nur einige weni-

ge Parameter eingetragen zu werden, und schon erfolgen, quasi ganz automatisch, die Nachweise zur inneren und äußeren Tragfähigkeit oder zum Knicken. Darüber hinaus wird auf der Messe in München der sogenannte Screen Saver zu sehen sein, eine Einhausung aus leichten Aluminiumlochblechen mit Plattformen auf vier Ebenen, die sowohl die Arbeiter schützt, als auch ein Herunterfallen von Gegenständen verhindert. Das alles und noch viel mehr zeigt die Friedr. Ischebeck GmbH auf der bauma 2019 in Halle B 3 am Stand 449. www.ischebeck.de

Neuer und hochpräziser Desktop Lasercutter von Mr Beam

Fertigung von Brückenbaumodellen im Büro Bauwerksmodelle lassen sich dank eines neuen Desktop Lasercutter schnell und präzise direkt im eigenen Büro anfertigen. Architekten und Ingenieure sind dadurch in der Lage, ihre Modelle unabhängig von Drittanbietern und teuren Industrielasern flexibel, schnell und kostengünstig selbst herzustellen – und damit Zeit zu sparen und sich einen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb zu verschaffen. Das Münchner Start-up Mr Beam Lasers GmbH hat sich nicht nur zum Ziel gesetzt, Lasercutter als normale Verbraucherelektronik in die Wohnzimmer zu bringen, sondern will auch dafür sorgen, dass die Geräte nicht mehr aus Schulen, Ingenieur-, Architektur- und Designbüros sowie Boutiquen wegzudenken sind. Das neueste Produkt ist seit Mitte 2018 verfügbar und heißt »Mr Beam II«: ein kompakter Lasercutter, der mit seiner Größe von 724 mm x 538 mm x 175 mm bequem auf jedem Schreibtisch Platz findet. Die Bedienung erfolgt über eine benutzerfreundliche Webapplikation und kann so plattformunabhängig über Windows, Linux oder Mac angesteuert werden. Über das integrierte WLAN oder LAN ist es zudem möglich, den Lasercutter mühelos in das vorhandene Netzwerk einzubinden. Um Materialien zu schneiden, ist lediglich eine Vektordatei, wie zum Beispiel dxf oder svg, erforderlich, die sich mit jedem gängigen Graphikprogramm erzeugen lässt, während für Gravuren schon Pixelgraphiken wie jpg oder png reichen: Per Drag & Drop werden diese in die Webapplikation geladen. Das User-Interface erlaubt selbst Laien die Anpassung der

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Kompakte Abmessungen zur beliebigen Platzierung © Mr Beam Lasers GmbH

benötigten Einstellungen, und die Positionierung der Graphik auf dem Material gelingt dank einer integrierten Kamera spielend leicht. Auf der 500 mm x 390 mm großen Arbeitsfläche des Mr Beam II Lasercutter können feinste Details, wie Brückengeländer, Entwässerungsrinnen oder Auflagerpunkte, sowie Rundungen jeglicher Art exakt ausgeschnitten werden. Einzelteile, die häufiger benötigt werden, sind darüber hinaus auf Knopfdruck in beliebiger Anzahl präzise reproduzierbar. Neben dem Zuschneiden von feinsten Formen ist es auch möglich, Oberflächenstrukturen und Fahrbahneinteilungen per Lasergravur zu realisieren, dazu bedarf es nur einiger simpler Anpassungen der Einstellungen im User Interface. Der Phantasie sind also kaum Grenzen gesetzt, zumal in puncto Materialien ebenfalls eine reiche Auswahl zur Verfügung steht: Neben Finnpappe, Wellpappe und Sperrholz kann der Mr Beam II eine Vielzahl unterschiedlicher Werkstoffe verarbeiten, eine Liste findet sich auf der

Homepage. Um zu gewährleisten, dass das gewünschte Material geeignet ist, bietet Mr Beam Lasers vor dem Kauf kostenlose Tests von Mustern an. Trotz seiner Leistungsstärke ist der Mr Beam II ein Laserklasse-I-Gerät, da durch das vollkommen geschlossene Gehäuse und zahlreiche Sicherheitsfunktionen sichergestellt ist, dass kein Laserlicht nach außen dringt. In geschlossenen Räumen wird der Mr Beam II entweder an ein vorhandenes Abluftsystem angeschlossen oder mit einem zusätzlich erhältlichen Mr Beam Air Filter System kombiniert. Das heißt, Feinstaub und unangenehme Gerüche, die während des Laserns entstehen, werden in jedem Fall komplett aus der Abluft gefiltert. Wer den Lasercutter in Aktion erleben möchte, hat jeden ersten Mittwoch im Monat die Gelegenheit, sich für einen Testnachmittag in München anzumelden – um den Mr Beam live zu erleben und selber zu testen. www.mr-beam.org


S O F T WA R E U N D I T

Weitere Modellierungsfunktionen bei Bentley

Open-Anwendungen als Neuerung Bentley Systems Inc., der weltweit führende Anbieter von umfassenden Softwarelösungen für die Weiterentwicklung von Planung, Bau und Betrieb von Infrastrukturen, hat unter anderem OpenBridge Designer eingeführt: OpenBridge Designer ist eine neue, umfassende Anwendung, welche die Modellierungsfunktionen von OpenBridge Modeler sowie die Analyse- und Planungsfunktionen von RM Bridge, LEAP Bridge Concrete und LEAP Bridge Steel integriert, so dass jetzt alle Anforderungen, die bei der Planung und dem Bau von Beton- und Stahlbrücken auftreten können, erfüllen werden. Das heißt, OpenBridge Designer ermöglicht es Ingenieuren, schnell ein intelligentes, parametrisches Brückenmodell zu erstellen, das vollständig mit Analyse und Planung sowie Zeichnungen korrespondiert, in das sich selbige also jederzeit integrieren lassen. Und das wiederum gewährleistet die nahtlose Synchronisation verschiedener Disziplinen für Analyse, Planung, Detaillierung, Dokumentation, Berechnung und Bemessung.

Kombination von Planung und Analyse © Bentley Systems Inc.

Ein weiteres Beispiel für kollaborative digitale Workflows von und innerhalb der Open-Anwendungen, die stets Planung und Analyse verknüpfen, ist im Übrigen OpenBuildings Station Designer mit der Fußgängersimulation namens »Legion«,

mit der Szenarien des Fußgängerverkehrs simuliert und damit entworfen, getestet und validiert werden können. www.bentley.com

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S O F T WA R E U N D I T Einbindung der Artikelkataloge von Peri

Schalungsplanung in und mit BIM Die Autodesk® Revit®-Software für Building Information Modeling (BIM) umfasst unter anderem Funktionen für den konstruktiven Ingenieurbau sowie die Bauausführung und ermöglicht, Entwürfe rasch und unkompliziert zu modellieren. Revit® erleichtert zudem die Zusammenarbeit verschiedener Projektbeteiligter, da hier alle Mitwirkenden auf zentral freigegebene Modelle zugreifen können, ergänzt um die Option der schnellen und

einfachen Erstellung von 3-D-Visualisierungen, wobei Produktkataloge verschiedenster Hersteller für eine intuitive Anwendung sorgen. Ab sofort lassen sich nun auch sämtliche Peri-Systembauteile direkt ins Revit®Modell integrieren. Das heißt, Interessierte können das notwendige Datenpaket jetzt kostenfrei auf der Peri-Website herunterladen und in Revit® als Plug-in integrieren. Zur Visualisierung stehen in

Revit® im Übrigen diverse Darstellungen mit unterschiedlichen Detaillierungsgraden zur Verfügung, so lassen sich im Modell zum Beispiel die Schalungs- mit den zugehörigen Verbindungselementen darstellen oder aber das finale Betonbild: eine große Unterstützung insbesondere für Planer, die exakt diese Visualisierung frühzeitig benötigen. Und: Die Peri Library+ für Revit® ist kompatibel mit Revit® 15, 16 und 17. www.peri.de

Sicheres Zusatztool von Sidoun

G-BIM als Alternative G-BIM steht für Global BIM: Die Spezialfunktion der Sidoun Globe Oberfläche ist die schnelle und sichere Alternative zur IFC-Schnittstelle. Das heißt, Anwender arbeiten wie gewohnt in ihrem CADProgramm und erfassen die Daten individuell sowie zeitgleich durch mehrere Mitarbeiter über weite geographische Entfernungen, wobei eine Mehrsprachenoption die Kooperation über Ländergrenzen hinweg erleichtert. Die Sidoun Globe G-BIM Software synchronisiert dabei die Daten in Echtzeit – ohne Konvertierung, ohne Datenübertragung und ohne IFC-Schnittstelle. Sind die grundsätzliche Geometrie und die Qualitäten in CAD erfasst, generiert Sidoun Globe G-BIM das BIM-taugliche Gebäudemodell, und zwar inklusive Übernahme der Mengen in nachvollziehbarer und VOB-gerechter Form. Änderungen in der CAD dann werden automatisch übernommen, so dass jeder Anwender auf Basis identischer Daten arbeitet. In einem weiteren Schritt können die passenden Positionen im Leistungsverzeichnis zu jedem Gebäudemodell-Element ausgewählt werden, der Planer entscheidet also auf der Basis einer gefilterten Liste, welche konkreten Qualitäten die einzelnen Gebäudeteile haben. Es folgen Kostenauswertung, Vergabe, Abrechnung und Rechnungsstellung.

Leistungsverzeichnis samt Kalkulation als Beispiel © Sidoun International GmbH

Pflegt man während des Bauprozesses weitere Daten ein, wird eine andauernde Vertiefung der »Level of Detail« erreicht. Und das bedeutet letztlich, dass die Software die Qualitäten der Gebäudeteile kontinuierlich erfasst und Rückmeldungen über den jeweils aktuellen Stand gibt. Alle geschriebenen Daten sind zudem mit Quellnachweis gekennzeichnet, so dass der Projektverantwortliche leicht und sicher den Ursprung der Daten erkennt.

Mit G-BIM haben Planer endlich die Möglichkeit, ihr Projekt vollständig zu überwachen und zu steuern. Das Ergebnis ist eine VOB-gerechte Erfassung sämtlicher CAD- und AVA-Daten in einem digitalisierten Modell. Eine effiziente Bearbeitung von Ausschreibungen ist damit ebenso gesichert wie die Kostenauswertung und Steuerung nach DIN 276. Die Software trägt derart der hohen Variabilität von Bauprozessen Rechnung und lässt Raum für Nachbearbeitungen und flexible Dateneingabe. www.sidoun.de

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N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E

Einladung

zum Symposium BRÜCKEN IN DER STADT Tagungsort und Tagungsdatum: München im September 2019

Mit BRÜCKEN IN DER STADT wollen wir viele Anfragen insbesondere aus Städten und Kommunen beantworten, wann die nächste Veranstaltung vorgesehen ist, die nicht nur Geh- und Radwegbrücken thematisiert, sondern auch größere Bauvorhaben in den Innenstädten. Im September werden wir, und zwar erneut in München, dieses Thema aufgreifen und nicht nur große Querungen über Gleisanlagen, innerstädtische Straßenzüge und Gewerbegebiete vorstellen, sondern natürlich ebenso Geh- und Radwegbrücken. Und da für die Akzeptanz bei der Bevölkerung eine Voraussetzung ist, dass die Beleuchtung, dem Anlass entsprechend, ausreichend und harmonisch gestaltet wird, kommt ihrer Konzeption genau wie der des Lärmschutzes eine hohe Bedeutung zu. Viele Vorschläge hierzu liegen uns bereits vor, weitere erwarten wir gerne.

Wir würden uns freuen, wenn Sie Interesse an diesem Termin im September 2019 haben.

VERLAGSGRUPPE W I E D E R Smit MixedMedia P A Konzepts HN

Biebricher Allee 11 b 65187 Wiesbaden Tel.: +49/611/98 12 920 Fax: +49/611/80 12 52 kontakt@verlagsgruppewiederspahn.de www.verlagsgruppewiederspahn.de www.mixedmedia-konzepts.de www.symposium-brueckenbau.de 1/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E Verleihung im Rahmen des Ingenieuretags

Bayerischer Ingenieurpreis 2019 Für ihre ebenso herausragenden wie zukunftsweisenden Leistungen wurden drei bayerische Ingenieurbüros mit dem »Bayerischen Ingenieurpreis 2019« ausgezeichnet. Mit insgesamt 10.000 € dotiert, wurde der alle zwei Jahre ausgelobte Preis damit bereits zum zehnten Mal von der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau vergeben. Seine Verleihung erfolgte im Rahmen des 27. Bayerischen Ingenieuretags in München durch Kammerpräsident Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken und den bayerische Bauminister Dr. Hans Reichhart. Bei der Beurteilung der eingereichten Arbeiten standen für das siebenköpfige Preisgericht, dem – Dipl.-Ing. Karl Wiebel, Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (Vorsitz), – Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Markus Aufleger, Universität Innsbruck, – Prof. Dr.-Ing. Hans Bulicek, Technische Hochschule Deggendorf, – Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Bayerische Ingenieurekammer-Bau, – Dipl.-Ing. Michael Wiederspahn, Verlagsgruppe Wiederspahn, und – Dipl.-Ing. (FH) Ralf Wulf, Bayerische Ingenieurekammer-Bau, angehörten, vor allem Originalität und Kreativität, Innovationskraft sowie die Nutzung neuer Technologien im Mittelpunkt.

Bauminister Dr. Hans Reichhart, Preisträger, Kammerpräsident Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken (v.l.n.r.) © Tobias Hase/Bayerische Ingenieurekammer-Bau

Der erste Preis ging an die Max Bögl Stiftung & Co. KG für die Segmentbrücke in Mühlhausen, und zwar auf Basis nachstehender Jurybegründung: »Die Segmentbrücke stellt eine neuartige Fertigteilkonstruktion dar, die einen hohen Vorfertigungsgrad aufweist, sehr kurze Bauzeiten ermöglicht und bei der die Fahrbahnplatte ohne Abdichtung und Belag auskommt – was die Jury in Summe überzeugt hat. Kennzeichnend ist die klare Trennung des Längstragwerksystems von längs- und quervorgespannten

Erster Preis: Segmentbrücke in Mühlhausen © Firmengruppe Max Bögl

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Fahrbahnplatten. Die auf luftdicht verschweißten Stahlhohlkastenträgern aufgelagerten, mittels externer Vorspannung im Gehwegbereich zusammengespannten Fahrbahnplatten können direkt befahren werden und sind problemlos austauschbar. Das Ergebnis ist eine wartungsarme Brückenkonstruktion, bei der die Vorteile serieller Werksvorfertigung von Bauteilen zum Tragen kommen.« (Projektbeteiligte: Max Bögl Stiftung & Co. KG, Sengenthal; SSF Ingenieure AG, München)


N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E

Den zweiten Preis erhielt die Konstruktionsgruppe Bauen AG für den Umbau und die Instandsetzung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf, deren Qualität die Jury mit diesen Worten würdigte: »Die Erhaltung von Ingenieurbauwerken und deren Ertüchtigung für weitere Nutzungen sind Zukunftsaufgaben. Bei der Heini-Klopfer-Skiflugschanze handelt es sich um ein bayerisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst, deren Instandsetzung alle Kriterien des Ingenieurpreises erfüllt. Die Generalsanierung und der Umbau der bestehenden Schanzenanlage, einer vorgespannten Leichtbeton-Konstruktion aus dem Jahr 1973, erforderten die Entwicklung diverser anspruchsvoller Lösungen. Im Zuge der Planungen mussten aufwendige Berechnungen auf Basis von Finite-ElementeModellen mit nicht-linearen Effekten unter höherem Lastniveau durchgeführt werden. Das realisierte Konzept umfasst unter anderem eine umfangreiche Bestandsaufnahme zur Ortung von Spanngliedern, flexible Systeme zur Verankerung im Leichtbeton mit Zustimmungen im Einzelfall. So konnte das bestehende Bauwerk minimal-invasiv und wirtschaftlich den heutigen Anforderungen an Skifluganlagen angepasst werden.« (Projektbeteiligte: Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten; Sportstätten Oberstdorf, Oberstdorf; Renn Architekten, Fischen)

Zweiter Preis: Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf © Eva Bartussek

Der dritte Preis wurde der Mawo.tech GmbH für digitales Qualitätsmanagement bei der Optimierung der Lüftungsanlagen im Terminal 2 des Münchner Flughafens zuerkannt. Juryerläuterung: »Für die Jury stehen die dem Projekt zugrundeliegende Idee und deren Potential für künftige Anwendungen im Vordergrund. Aufgabe war die Optimierung der Lüftungsanlagen im Terminal 2 auf einem digitalen Prüfstand. Dazu wurde die weltweit erste digitale Betreiber-Plattform für die automatisierte Bewertung von Automationsfunktionen genutzt. Die Konzeption eines digitalen Zwillings der realen Klimaanlage ermöglicht die Leistungsund Funktionsprüfung beliebig komplexer Gebäudetechnik mit hoher Skalierbarkeit in einem extrem kurzen Zeitraum.

Optimierungen von Anlagen können so getestet und bewertet werden, ohne in den realen Betrieb eingreifen zu müssen.« (Projektbeteiligte: Mawo.tech GmbH, München; synavision GmbH, Bielefeld; Terminal 2 Gesellschaft mbH & Co oHG, München) Eingebettet war die Preisverleihung in den 27. Bayerischen Ingenieuretag in München, der erneut mit insgesamt 900 Teilnehmern aufwarten konnte, schon von jeher als größter Branchentreff des bayerischen Bauwesens gilt und wiederum durch ein außerordentlich spannendes Programm alle Anwesenden zu begeistern vermochte. www.bayerischer-ingenieurpreis.de www.bayika.de

Dritter Preis: Optimierung der Lüftungsanlagen im Terminal 2, Flughafen München © Mawo.tech GmbH

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N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E Bahnbrechendes Resultat von Forschenden der ETH Zürich

Leichtbaumaterialien von einzigartiger Steifigkeit 3-D-Druck und andere additive Fertigungsverfahren erlauben es, Materialien mit bisher ungeahnt komplexen inneren Strukturen herzustellen – also auch solche, die ein Maximum an inneren Hohlräumen aufweisen und infolgedessen ebenso leicht wie stabil sind. Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich unter Leitung von Dirk Mohr, Professor für numerische Materialmodellierung in der Fertigung, haben nun innere Strukturen entwickelt, die Kräfte aus nicht nur einer Richtung, sondern aus allen drei Dimensionen aufnehmen müssen und die gleichzeitig extrem steif sind, und zwar aus sich regelmäßig wiederholenden Gitterstrukturen statt der bis dato bevorzugten Gitterstäbe. Das heißt, diese neue Konstruktionsweise kommt der theoretischen Steifigkeitsobergrenze extrem nahe oder, anders ausgedrückt: Es ist praktisch unmöglich, andere Materialstrukturen zu entwickeln, die bei gegebenem Gewicht noch steifer sind.

Plattenstruktur (noch) im Mikrometermaßstab © ETH Zürich

Die ETH-Wissenschaftler haben die Strukturen zunächst am Computer abgebildet und dabei ihre Eigenschaften berechnet, anschließend erfolgte ihre Realisierung mittels 3-D-Druck im Mikrometermaßstab (noch) aus Kunststoff her. Den denkbaren Anwendungen sind deshalb kaum Gren-

zen gesetzt, wobei deren Spektrum von medizinischen Implantaten über Laptopgehäuse bis hin zu Fassadenelementen zu reichen vermag. www.ethz.ch

Auszeichnung (auch) für Brückenbauwerke

Auslobung des Verzinkerpreises 2019 Zum inzwischen 16. Mal lobt der Industrieverband Feuerverzinken den Verzinkerpreis für Architektur und Metallgestaltung aus. Erstmals vor 30 Jahren verliehen und mit 15.000 € dotiert, dient er zur Würdigung innovativer Bauwerke, Objekte und Produkte, die in wesentlichem Umfang feuerverzinkt sind oder interessante feuerverzinkte Details aufweisen. Architekten, Bauingenieure, Stahl- und Metallbauer, Designer und Metallgestalter sollten sich also aufgerufen fühlen, ihre aktuellen oder eben nicht gar so alten Entwurfs-

resultate einzureichen: Deren Beurteilung erfolgt durch eine unabhängige Jury in den zwei Kategorien Architektur und Metallgestaltung – und diese beinhalten quasi implizit auch den Brückenbau, wie sich an nicht gerade wenigen Auszeichnungen in der Vergangenheit ablesen lässt. Wettbewerbsteilnahmen sind noch bis zum 1. April 2019 möglich, die entsprechenden Bewerbungsunterlagen finden sich im Internet. www.verzinkerpreis.de Aufruf zur Teilnahme © Industrieverband Feuerverzinken e.V.

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BRANCHENREGISTER AUTOMATISCHE SYSTEME

Alpin Technik und Ingenieurservice GmbH Plautstraße 80 04179 Leipzig Tel.: +49/341/22 573 10 www.seilroboter.de www.alpintechnik.de

Maurer SE Frankfurter Ring 193 D-80807 München Tel.: +498932394-0 Fax: +498932394-329 www.maurer.eu

mageba gmbh Im Rinschenrott 3a 37079 Göttingen germany@mageba.ch

BAUWERKSÜBERWACHUNG UND ERDBEBENSCHUTZ

mageba gmbh Im Rinschenrott 3a 37079 Göttingen germany@mageba.ch

BOLZENSCHWEISSGERÄTE BRÜCKENLAGER UND FAHRBAHNÜBERGÄNGE

Köster & Co. GmbH Spreeler Weg 32 58256 Ennepetal Tel.: +49/23 33/83 06-0 Fax: +49/23 33/83 06-38 Mail: info@koeco.net www.koeco.net

Maurer SE Frankfurter Ring 193 D-80807 München Tel.: +498932394-0 Fax: +498932394-329 www.maurer.eu

mageba gmbh Im Rinschenrott 3a 37079 Göttingen germany@mageba.ch

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KOPFBOLZEN

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BRANCHENREGISTER INJEKTIONSTECHNIK

DESOI GmbH Gewerbestraße 16 D-36148 Kalbach Tel.: +49 66 55/96 36-0 Fax: +49 66 55/96 36-6666 E-Mail: info@desoi.de www.desoi.de

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NICHTROSTENDE BEWEHRUNG

PROJEKTRAUM FÜR DMS, PLANUND NACHTRAGSMANAGEMENT

EPLASS project collaboration GmbH Schweinfurter Str. 11 97080 Würzburg Tel.: 09 31/3 55 03-0 Fax: 09 31/3 55 03-7 00 E-Mail: contact@eplass.de www.eplass.de

STAHLBAU

Stahlbau Magdeburg GmbH Berliner Chaussee 106–112 39114 Magdeburg Tel.: 09 31/85 09-0 Fax: 09 31/85 09-109 E-Mail: info@stahlbau-magdeburg.de www.stahlbau-magdeburg.de

SCHWINGUNGSISOLIERUNG Swiss Steel AG Emmenweidstrasse 90 CH-6020 Emmenbrücke Tel.: +41 4 12 09 51 51 E-Mail: bauprodukte@swiss-steel.com www.swiss-steel.com

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IHR EINTRAG INS BRANCHENREGISTER

BRANCHENREGISTER

... der informative Serviceteil im BRÜCKENBAU

Auf diesen Seiten könnte auch Ihr Eintrag im Branchenregister stehen. Die Stichwortüberschrift ist von Ihnen frei wählbar, wir benötigen lediglich Ihr Logo und die von Ihnen gewünschten Angaben zu Ihrem Unternehmen. Ein Bestellformular mit Informationen finden Sie auf unserer Homepage unter www.zeitschrift-brueckenbau.de. Für Fragen und weitere Informationen steht Ihnen gerne Frau Leitner zur Verfügung. Mail: brueckenbau@verlagsgruppewiederspahn.de oder Tel.: 06 11/84 65 15

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EXKURSIONEN UND TOUREN PLANUNG UND MODERATION VON FIRMENEVENTS


IMPRESSUM

BRÜCKENBAU ISSN 1867-643X 11. Jahrgang Ausgabe 1/2 . 2019 www.zeitschrift-brueckenbau.de Herausgeber und Chefredakteur Dipl.-Ing. Michael Wiederspahn mwiederspahn@verlagsgruppewiederspahn.de Verlag

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Biebricher Allee 11 b D-65187 Wiesbaden Tel.: +49 (0)6 11/84 65 15 Fax: +49 (0)6 11/80 12 52 www.verlagsgruppewiederspahn.de Anzeigen Ulla Leitner Zur Zeit gilt die Anzeigenpreisliste vom Januar 2019. Satz und Layout Christina Neuner Bilder Titel und Inhaltsverzeichnis Matute Remus Bridge in Mexiko © Grupo Triada Druck Schmidt printmedien GmbH Haagweg 44, 65462 Ginsheim-Gustavsburg Erscheinungsweise und Bezugspreise Einzelheft: 14 Euro Doppelheft: 28 Euro Sonderpreis Tagungsband: 48 Euro Abonnement: Inland (4 Ausgaben) Ausland (4 Ausgaben)

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Der Bezugszeitraum eines Abonnement beträgt mindestens ein Jahr. Das Abonnement verlängert sich um ein weiteres Jahr, wenn nicht sechs Wochen vor Ablauf des berechneten Bezugszeitraums schriftlich gekündigt wird. Copyright Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags in irgendeiner Form reproduziert oder in eine von Maschinen verwendbare Sprache übertragen werden. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlags strafbar. Beilage Die Gesamtauflage von Ausgabe 1/2 ∙ 2019 enthält eine Beilage der R. Kohlhauer GmbH.


Foto: Neues Akropolis Museum, Athen/Griechenland

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