Die Wiederaufbauleistungen der Altösterreicher in der Zweiten Republik

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DIE WIEDERAUFBAULEISTUNGEN DER ALTÖSTERREICHER IN DER ZWEITEN REPUBLIK

Haltung, dass die Flüchtlingsfrage ein internationales Problem darstelle, wurde zumindest zum Teil akzeptiert. Auch war er bereit zu glauben, dass die Lösung des Problems die Kraft Österreichs übersteige und das Land deshalb finanziell unterstützt werden müsse. Was allerdings die rechtliche Lage der Flüchtlinge be­ traf, so wies Herman darauf hin, dass es sich hier um ein Problem handle, wel­ ches nur innerstaatlich gelöst werden könnte. Da der Weg einer kollektiven Einbürgerung der Flüchtlinge nicht gangbar erschien, wurde die Ausarbeitung einer Flüchtlingscharta vorgeschlagen, durch die sie gewisse Rechte – Bewe­ gungsfreiheit, das Versammlungs­ und Organisationsrecht sowie das Recht auf Arbeit aufgrund einer beruflichen und gewerblichen Gleichstellung mit der ein­ heimischen Bevölkerung – erhalten sollten. Weiters wurden Maßnahmen zur Schaffung von Wohnraum und zur Ansiedlung der selbständigen Landwirte ge­ fordert.78 Hermans Kritik richtete sich vor allem gegen die bisherigen Beschrän­ kungen bei der Berufsausübung und die Behandlung der selbständigen Landwirte. Hier vergeude Österreich Arbeitskraft, indem es hoch qualifizierten Kräften eine Arbeit in ihrem Beruf verweigere und den Landwirten keinen Grund zur Ansiedlung zur Verfügung stelle. Kritisiert wurde auch die Auffas­ sung, dass man vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages und dem Abzug der Besatzungsmächte nichts unternehmen könne.79 Schon ein oberflächlicher Vergleich der Forderungen und Kritikpunkte des Refe­ rates zeigt, dass sie sich weitgehend mit der Denkschrift der Zentralberatungs­ stelle deckten und offensichtlich auch von dieser inspiriert waren. Es war somit nicht zu erwarten, dass sich zwischen den Vertretern der Volksdeutschen und den Hilfsorganisationen größere Auffassungsunterschiede darüber ergeben wür­ den, wie die Flüchtlingsfrage gelöst werden sollte. Anders verhielt es sich mit den Referaten der österreichischen Vertreter, die auf die Volksdeutschen vielfach provokant wirken mussten und die kaum eine Ent­ wicklung in der Flüchtlingsfrage erkennen ließen. In seinem Vortrag „Die Pro­ bleme Österreichs“ (Beilage 4) stellte Ministerialrat Alfons Just fest, dass Österreich allein das Flüchtlingsproblem nicht lösen könne und warf den Volks­ deutschen unterschwellig Undankbarkeit vor. Aus seinen Äußerungen musste man den Schluss ziehen, dass sie nicht als Konnationale betrachtet wurden und somit Österreich auch nicht zu ihrer Gleichstellung verpflichtet wäre. Im fehlen­ den Staatsvertrag wird die Ursache für die Ungewissheit und die bislang unbe­ friedigende Lösung der Flüchtlingsfrage gesehen. Die bisherige Zurückhaltung der Regierung rechtfertigte Just mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten und in­ nen­ und außenpolitischen Rücksichten. Das volksdeutsche Problem wird be­ schönigend dargestellt und die Leistungen Österreichs werden einseitig


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