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KINO

unclesally*s magazine

Le Havre

Ein Finne in Frankreich

Wer an die Filme von Aki Kaurismäki denkt, dem kommen schweigende, vom Leben gezeichnete Melancholiker in den Sinn, die in verrauchten Kneipen sitzen, während draußen vor der Tür die finnische Nacht kaum je zu enden scheint. Insofern ist „Le Havre“, sein erster Film seit fünf Jahren, eine echte Überraschung: Es hat den Finnen nach Frankreich verschlagen, wo es nicht nur hell und sonnig, sondern auch geradezu geschwätzig zugeht. Schuhputzer Marcel Marx (André Wilms), der mit seiner herzensguten, kranken Ehefrau (Kati Outinen) in der Titel gebenden Hafenstadt lebt, entdeckt eines Tages den kleinen afrikanischen Flüchtling Idrissa (Blondin Miguel). Der ist auf einem Containerschiff illegal ins Land gekommen und wird von der Polizei gesucht, doch Marcel bietet ihm Unterschlupf und hilft, wo er kann. Kein leichtes Unterfangen, denn Inspektor Monet wird bald auf ihn aufmerksam.

Bars und rot gestrichenen Gartentoren nach Frankreich funktioniert nicht nur erstaunlich reibungslos, sondern scheint ihn sogar beflügelt zu haben. Nach seinem schwächelnden „Lichter der Vorstadt“ findet er zurück zu ganz großer Form mit einer enorm charmanten Geschichte, die vor kuriosen Gestalten, Kleinod-Momenten und Edward Hopper-würdigen Bildern nur so strotzt. Nebenbei gelingt ihm außerdem das Kunststück, von Hoffnung in der Tristesse zu erzählen und gleichzeitig einen kleinen Beitrag zu aktuellen Flüchtlingsdebatten zu leisten. So märchenhaft, aber eben auch so politisch explizit wie in dieser über die Maßen amüsanten Komödie war Kaurismäki selten.

Die Verlegung von Kaurismäkis schräger, nachdenklicher und liebevoller Retro-Welt mit ihren kargen

Text: Patrick Heidmann Kinostart: 8. September 2011

Freunde mit gewissen Vorzügen Vögeln ohne Verpflichtung

Befreundet sein, aber trotzdem zusammen in die Kiste steigen? Ob das gut gehen kann, beschäftigt die Gemüter seit Ewigkeiten und in Hollywood zuletzt besonders. Nach Ashton Kutcher und Natalie Portman in „Freundschaft Plus“ versuchen sich nun Justin Timberlake und Mila Kunis als „Freunde mit gewissen Vorzügen“(im besseren Originaltitel: „Friends With Benefits“) – und sind zumindest in Sachen Unterhaltungswert dabei sehr viel erfolgreicher. Art Director Dylan und HeadHunterin Jamie lernen sich kennen, als sie ihn nach New York holt. Beide sind seit kurzem Single, man flirtet ein bisschen miteinander, doch weil beide sich für wenig beziehungstauglich halten, belässt man es erst einmal beim harmlosen Miteinander-Abhängen. Doch irgendwann steht die Idee vom zwanglosen Sex im Raum, der bloß die Freundschaft nicht gefährden soll. Anfangs klappt es zwischen den Laken bestens. Aber spätestens beim gemeinsamen Abstecher ins kalifornische Strandhäuschen von Dylans Familie treten dann doch einige Gefühle zutage.

Wie die Sache ausgeht, versteht sich von selbst. Auch wenn sich hier am laufenden Band über die Klischees romantischer Komödien (inkl. Film im Film) amüsiert wird, ist „Freunde mit gewissen Vorzügen“ schließlich selbst eine. Doch dass Regisseur Will Gluck etwas von Selbstironie und frischem Wind für verstaubte GenreKonventionen versteht, bewies er schon mit „Einfach zu haben“. Auch dieses Mal kann ihm in Sachen augenzwinkernder Cleverness kaum jemand das Wasser reichen. Wieder brilliert er mit pointierten Dialogen, wunderbaren Nebenfiguren und popkulturellen Referenzen. All das wäre allerdings nur halb so amüsant, würde die stimmige Chemie zwischen den Hauptdarstellern nicht so ungewöhnlich viele Funken schlagen. Text: Patrick Heidmann Kinostart: 8. September 2011

Roller Girl Princess On Wheels

Drew Barrymores rasantes Regiedebüt heißt im Original „Whip it!“. Eine „Whip“ geht so: Zwei Girls auf Rollerskates nehmen in voller Fahrt eine Teamkollegin in ihre Mitte und schleudern sie gemeinsam nach vorn. Auf einem steilen Rundkurs peitscht sie dann von hinten auf einen gegnerischen Pulk Mädels zu, und attackiert diese, indem unter anderem die Rollschuh-Variante der guten alten Blutgrätsche zum Einsatz kommt – aua, aua, aua! Klingt ausgedacht, gibt’s aber wirklich: Beim „Roller Derby“ dürfen sich hart gesottene Damen richtig austoben. Auch die 17-jährige Bliss (Ellen Page) sehnt sich nach ein bisschen wildem Leben. Ihr texanisches Heimatstädtchen gibt außer prolligen Gleichaltrigen und lokalen Beauty-Contests nicht viel her. Also auf in die nächst größere Stadt, nach Austin. Dort bekommt sie eines Tages einen „Roller Derby“Flyer in die Hand gedrückt: Wilde Furien in punky Outfits mit martialischen Künstlernamen, das ist es! Gleich am nächsten Tag holt sie ihre eingemotteten rosa Rollschuhe vom Dachboden, und beginnt heim-

lich zu trainieren. Hunderte von Schrammen, Schürfwunden und blauen Flecken später ist sie „Babe Ruthless“, der umjubelte Star der Rennbahn. Ellen Page ist eine Wucht als schlaues Mauerblümchen, das sich zur Granate entwickelt. Aber auch die anderen Darsteller glänzen, sei es Marcia Gay Harden als besitzergreifende Mutter, Juliette Lewis als Bliss’ fiese Gegenspielerin „Iron Maven“, oder Barrymore selbst, die es sich nicht nehmen ließ, sich in einigen Szenen zum zu Affen machen – auch auf Rädern, versteht sich. Mit „Roller Girl“ ist ihr ein Coming of AgeFilm der etwas anderen Art gelungen. Text: Calle Claus Kinostart: 1. September 2011


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