#14 Der Zorn Gottes

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BI BELTREUES MAGAZ IN F Ü R J UNGE C HR IST EN · # 1 4 · 1 / 20 1 4

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G.D. Krummacher Der deutsche „Puritaner“ S. 7

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Jonathan Edwards Sünder in der Hand eines zornigen Gottes S. 28

Der Zorn Gottes Warum ein Gott der Liebe auch zornig sein muss


Au f de m Cov e r „Lot flieht aus Sodom“ Ben R. Davis (*1985) arbeitete fast zehn Jahre als Illustrator und Grafikdesigner. Er hat einen Bache-

Editorial #14 Der Zorn Gottes - 01/2014

lor in Theolgie am Presbyterian Theological Centre in Sydney gemacht.

Liebe Leserin, lieber Leser, wir glauben, dass unser Gott ein Gott der Liebe ist (Römer 5,8). Voller Dankbarkeit stehen wir vor dem Kreuz Christi, Gottes größtem Liebesbeweis (Hebräer 12,2). Doch dieses Bild ist auch ein schreckliches und furchtbares (Jesaja 53,3). Es zeigt den einzigen unschuldigen Menschen, der einen grausamen Tod stirbt. Das Kreuz zeigt uns die absolute Intoleranz Gottes gegenüber der Sünde. Sünde kann Gott nicht ungesühnt lassen. Der Gott der Bibel ist niemand, der ein Auge zudrückt (1. Mose 3,7-23). Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer von der Liebe Gottes spricht, darf seinen Zorn nicht verschweigen. Es gibt keinen Anlass zu glauben, der Zorn Gottes sei unpersönlich, die Liebe jedoch sei es. Gottes Zorn ist genauso individuell und persönlich gegen Menschen gerichtet wie seine Liebe. Auf den ersten Blick scheint diese Sicht mittelalterlich und veraltet. In ein „modernes“ Christentum scheint es nicht zu passen. Es ist eindeutig, dass Gott gleichermaßen Zorn und Liebe für Menschen empfindet. Obwohl der Zorn Gottes ein Bestandteil des Evangeliums ist, wird er oft verschwiegen. Die Bibel spricht hier eine deutliche Sprache. Denken wir nur an die Geschichte von Jakob und Esau, in der es heißt: „Ich liebe Jakob, Esau aber hasse ich“ (Römer 9,19). Noch drastischer wird es in den Psalmen ausgedrückt: „Ja, der Herr prüft den, der nach seinem Willen lebt. Doch wer sich von Gott abwendet und Gewalt liebt, den hasst er aus tiefster Seele“ (Psalm 11,5). Das Alte Testament kennt zwanzig verschiedene Wörter, um den Zorn Gottes an ca. 600 verschiedenen Stellen zu beschreiben. In der heiligen Schrift ist viel öfter von Gottes Zorn als von seiner Liebe die Rede. Höchste Zeit also, einen genaueren Blick auf das Thema zu werfen. Es ist nicht unsere Absicht, ein Gottesbild der Angst zu vermitteln, ganz im Gegenteil! Unsere Absicht ist, ein ganz und gar biblisches Gottesbild aufzuzeigen. Keines, das dem Zeitgeist folgt und keines das politisch korrekt sein möchte. Gegen was oder wen genau richtet sich nun sein Zorn? Wie groß ist das Ausmaß seines Zornes? Wie unterscheidet er sich vom menschlichen Zorn? Wie wird sein Zorn gestillt? Welche Rolle spielt Jesus Christus dabei? Und was hat das alles mit mir zu tun? Fragen über Fragen, die wir in diesem Heft beantworten wol2

Gottes Zorn ist genauso individuell und persönlich gegen Menschen gerichtet wie seine Liebe.

len. Diese Ausgabe soll (im besten Fall) dazu beitragen, in der Gnade und vor allem in der Erkenntnis unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus zu wachsen (2. Petrus 3,18). Je mehr wir erkennen, wie Gott wirklich ist, desto mehr können wir auch ganz konkret in unserem Leben Gott ähnlicher werden. Wir wollen die Dinge hassen, die Gott hasst und wir wollen die Dinge lieben, die Gott liebt. Außerdem wird uns durch ein genaueres Studium des Zornes Gottes bewusst, wie schwer unsere eigene Sündhaftigkeit wiegt und was sie letztlich auslöst. Ja, ein liebender Gott muss auch zornig sein. Davon spricht die heilige Schrift – die Bibel – klar, deutlich und ausführlich. Viel Freude beim Lesen und herzliche Grüße, Peter Voth PS.: Ab sofort ist auf jedem Cover eine exklusiv für uns angefertigte Illustration zu sehen. Damit wollen wir christlichen Illustratoren eine Plattform bieten und die gestalterische Qualität von Timotheus weiter verbessern.

Peter Voth (*1986) ist bei Timotheus für die Gestaltung und Kommunikation verantwortlich. Er arbeitet als Grafikdesigner. Peter auf Twitter: @petervoth


Zorn vs. Zorn S. 16 Inhalt

Inhalt

4 Zorn und Sühnung

S. 4

WALDEMAR DIRKSEN

IMPRESSUM

Ein Ereignis aus dem Alten Testament verdeutlicht die Verbindung von Zorn und Sühnung.

Redaktion Waldemar Dirksen,

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Art Direktor Peter Voth ∙ vothpeter@yahoo.de Lektorat Tanja Mirau Abo-Service Michael Töws ∙ mtoews@betanien.de Verlag Betanien Verlag e.K. ∙ Imkerweg 38

HANS -WERNER DEPPE

D-32832 Augustdorf ∙ info@betanien.de

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Online www.timotheusmagazin.de Shop www.cbuch.de/timotheus Erscheinungsweise Erscheint als Quartalsmagazin seit Oktober 2010 alle drei Monate: Januar (Winter) · April (Frühling) · Juli (Sommer) · Oktober (Herbst).

Das Wesen Seines Zorns

Preise Einzelausgabe ∙ €2,90 (zzgl.Versand)

KURT VETTERLI

Jahresabo ∙ €11,60 (D) (zzgl. Versand)

Wie passt der „Zorn“ zu einem durch und durch heiligen und gerechten Gott?

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Der Kelch des Zorns NILS FREERKSEMA

Was genau war in dem Kelch des Zorns, den Jesus Christus trinken musste?

16 Zorn vs. Zorn JÖRN KREBS

S. 24

Peter Voth, Hans-Werner Deppe

Der deutsche „Puritaner“ Eine biografische Skizze über einen fast vergessenen, deutschen Prediger.

S. 8

Viktor Sudermann, Andreas Kuhlmann,

Der Zorn des heiligen Gottes und des sündigen Menschen im Vergleich.

20

Der Zorn Gottes im Alten Testament ANDREAS MÜNCH

Ist der Zorn Gottes im Alten Testament Realität oder Mythos?

24

Wahre Reformation ... bekämpft Falsches! JOCHEN KLAUTKE

Teil 2 der Serie um den jungen König Josia!

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Sünder in den Händen eines zornigen Gottes BENEDIKT PETERS

Eine Reflektion über die bekannteste Predigt über den Zorn! 3


F O T O : © JL A ONR EBM I J LI P–S U S TMO C K S Y. C O M /J A N B I J L


Zorn und Sühnung Text: Waldemar Dirksen – Foto: Jan Bijl

Gottes Zorn wird nicht durch seine Barmherzigkeit gemindert. Es bedurfte eines einmaligen Sühneopfers, um den Zorn eines heiligen und barmherzigen Gottes gegen Sünder ein für allemal abzuwenden.

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m folgenden Morgen aber murrte die ganze Gemeinde der Kinder Israels gegen Mose und gegen Aaron und sprach: Ihr habt das Volk des HERRN getötet! Und es geschah, als sich die Gemeinde gegen Mose und gegen Aaron versammelt hatte, wandten sie sich der Stiftshütte zu, und siehe, da bedeckte sie die Wolke und die Herrlichkeit des HERRN erschien. Und Mose und Aaron gingen vor die Stiftshütte. Und der HERR redete zu Mose und sprach: Entfernt euch aus der Mitte dieser Gemeinde, so will ich sie in einem Augenblick vertilgen! Sie aber fielen auf ihr Angesicht. Und Mose sprach zu Aaron: Nimm die Räucherpfanne und tue Feuer vom Altar hinein und lege Räucherwerk darauf; und geh schnell zu der Gemeinde und erwirke Sühnung für sie! Denn der Zorn ist vom HERRN ausgegangen; die Plage hat begonnen! Da nahm Aaron [die Räucherpfanne], wie Mose gesagt hatte, und lief mitten unter die Gemeinde. Und siehe, die Plage hatte unter dem Volk angefangen; und er legte das Räucherwerk darauf und erwirkte Sühnung für das Volk; und er stand zwischen den Toten und den Lebendigen: da wurde der Plage gewehrt. Und die Zahl der an der Plage Gestorbenen belief sich auf 14700, außer denen, die wegen der Sache Korachs umgekommen waren. Und Aaron kam wieder zu Mose vor den Eingang der Stiftshütte, nachdem der Plage gewehrt worden war. – 4. Mose 17,6-15 In einer dramatischen Aktion sorgten Mose und Aaron dafür, dass der entbrannte Zorn Gottes gegen das halsstarrige Volk Israel gesühnt wurde. Dadurch wurde das Volk vor einer totalen Vernichtung gerettet. Der göttliche Zorn und dessen Sühnung sind keinesfalls abstrakte Konstruktionen, die nur dem theologischen Diskurs vorbehalten sind. Die Lehre der Sühnung vermittelt ein vertieftes Verständnis für einen Teil dessen, was das

Kreuz Christi bewirkt. Denn Jesus Christus ist das wirksame Sühnopfer für unsere Sünden. Er hat den Zorn Gottes von den Auserwählten abgewendet, sodass sie als begnadigte Sünder vor den dreimal heiligen Gott treten können, ohne Strafe fürchten zu müssen. Dieses alttestamentliche Ereignis veranschaulicht das Heil im Kreuz.

Sünde erregt den heiligen Zorn Gottes In der alttestamentlichen Geschichte erregte die Rebellion der Israeliten den Zorn Gottes. Der Anlass für ihren Protest war die Vernichtung der Rotte Korachs am Tag davor. Die Israeliten murrten gegen Mose und Aaron und unterstellten ihnen, des Herrn Volk getötet zu haben. Gott reagierte darauf mit einer Plage, die 14700 Israeliten das Leben kostete. Diese Plage war nicht die Folge eines unkontrollierten Wutausbruchs, sondern ein Ausdruck des Zorns eines heiligen und barmherzigen Gottes. Mose und Aaron führten das Volk Israel im Auftrag Gottes, daher war die Rebellion der Israeliten im Grunde gegen Gott gerichtet. Gottes Feindschaft gegen das Böse ist im Neuen Testament unverändert geblieben. Als Hananias und Saphira vorgaben, den gesamten Erlös aus dem Verkauf ihres Ackers den Aposteln gebracht zu haben, obwohl sie einen Teil des Geldes für sich behielten, wurden beide mit dem Tod bestraft (Apostelgeschichte 5,1-11). Der Gemeinde in Laodizea drohte der Herr, sie wegen ihrer Lauheit aus seinem Mund auszuspeien (Offenbarung 3,16). Diese bildlich ausgedrückte Drohung veranschaulicht in drastischer Form den Zorn Gottes. Unser mangelndes Bewusstsein für den Zorn Gottes ist doch darauf zurückzuführen, dass unsere Lauheit und unsere persönlichen Sünden nicht unseren eigenen Zorn erregen. Anstatt Selbstmitleid sollte heiliger Zorn gegenüber unserem eigenen Versagen die Regel sein. 5


Wir haben möglicherweise den Eindruck, dass Gott heute als passiver Beobachter das Unrecht sowohl in unserem persönlichen Leben als auch in der Welt geduldig erträgt und dagegen nicht in seinem heiligen Zorn vorgeht. Nur besonders leidvolle Ereignisse mögen wir als Gottes Strafe deuten, obwohl wir nicht über das Wissen verfügen, ob diese auf den Zorn Gottes zurückzuführen sind. John Stott bemerkt ausgehend von Römer 1,18-32 und 13,1-7, „dass Gottes Zorn sich in der Gegenwart sowohl durch den moralischen Verfall der heidnischen Gesellschaft als auch durch die staatliche Justiz offenbart“.1 Gottes Zorn ist also auch heute zweifellos real.

Gottes Barmherzigkeit mindert nicht seinen heiligen Zorn Obwohl Gott vor seinem Volk Israel während ihrer vierzigjährigen Wüstenwanderung Ekel wegen ihres hartnäckigen Ungehorsams empfand, trug er es, „wie ein Mann seinen Sohn trägt“ (Psalm 95,10; 5. Mose 1,31). Sein heiliger Zorn gegen das Böse widersprach nicht seiner Liebe zu den Übeltätern. Seine Feindschaft gegen die Sünden seines Volkes war uneingeschränkt und tief, aber aufgrund seiner Barmherzigkeit und Treue verließ er sein Volk nicht und vergaß nicht den Bund, den er den Vätern geschworen hatte (5. Mose 4,31). Er demütigte sein Volk sehr wohl, ließ sie hungern, aber er speiste sie auch mit Manna, damit sie erkannten, „dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des Herrn geht“. Während den vierzig Jahren in der Wüste waren die Kleider der Israeliten nicht zerrissen und ihre Füße nicht geschwollen. Dadurch sollte ihnen bewusst werden, dass der Herr sie erzogen hat, „wie ein Mann seinen Sohn erzieht“ (5. Mose 8,2-5). In seiner großen Barmherzigkeit sorgte Gott für das leibliche und geistliche Wohl seines auserwählten Volkes. Aber Gottes 1 John Stott, Das Kreuz – Zentrum des christlichen Glaubens, Francke Verlag, 2009, S. 132 f.

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Zorn wurde durch seine Barmherzigkeit weder besänftigt noch gemindert. Mit voller Wucht entfaltete sich der Zorn Gottes gegen sein eigenes Volk, als es gegen Mose und Aaron murrte. Es bedurfte eines besonderen Ereignisses, um den Zorn Gottes abzuwenden. Der moderne Mensch neigt dazu, Gottes Heiligkeit und seine Barmherzigkeit gegeneinander auszuspielen. Die alttestamentliche Begebenheit legt uns jedoch nahe, dass sein heiliger Zorn gegen das Böse nicht durch seine Barmherzigkeit beeinträchtigt wird. Beide sind miteinander vereinbar. Paulus schreibt: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes“ (Römer 2,4-5). Gottes Zorn wird nicht durch seine Langmut aufgehoben, sondern bestenfalls aufgeschoben.

Zorn versühnt wurde. Gott selbst ist es, der in heiliger Liebe Sühnung bewirkte. Und Gott selbst ist es, der in der Person seines Sohnes als Sühneopfer für unsere Sünden starb. Sühnung gemäß dem Evangelium ist Gottes Werk, zu dem der Mensch nicht den geringsten Beitrag leisten konnte. Welch unermessliches Erbarmen erweist Gott durch das einmalige Sühneopfer seinen Auserwählten. Sein heiliger Zorn gegen uns Sünder wurde durch den Tod seines eigenen Sohnes besänftigt. Im Kreuz Christi findet die Liebe ihren Höhepunkt, ohne dabei die Heiligkeit Gottes zu verletzen. Aber auch die Heiligkeit Gottes, die sich in seinem schrecklichen Zorn gegen unseren Stellvertreter äußerte, zeigt ihr wahres Ausmaß, ohne die Liebe zu beeinträchtigen. Beide harmonieren im Kreuz Christi.

Durch Sühnung wird Gottes Zorn besänftigt Als Mose die Dramatik der Situation erkannte, gab er seinem Bruder Aaron klare Anweisungen: „Nimm die Räucherpfanne und tue Feuer vom Altar hinein und lege Räucherwerk darauf; und geh schnell zu der Gemeinde und erwirke Sühnung für sie! Denn der Zorn ist vom HERRN ausgegangen; die Plage hat begonnen!“ (Vers 11). Gott kann aufgrund seiner Heiligkeit Sünde nicht hinnehmen. Unser „Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Hebräer 12,29). „Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebräer 10,31). Sein heiliger Zorn, der nicht launenhaft, sondern prinzipientreu und frei von sündigen Elementen ist, wird durch Sühneopfer besänftigt. Aaron lief mit dem Räucherwerk mitten in die Versammlung der Israeliten und schaffte dadurch Sühne für das Volk. Die Sühnung, die Aaron erwirkte, ist lediglich ein Schattenbild des wahren Sühnewerks am Kreuz, welches notwendig war, um den heiligen Zorn Gottes von den Auserwählten abzuwenden. Gott selbst ist es, der in heiligem

Waldemar Dirksen (*1982) ist Lehrer an einem Berufskolleg in Bonn. Als Mitgründer, Mitherausgeber und Redakteur gehört er zu den regelmäßigen Autoren von Timotheus.


Der deutsche „Puritaner“ Text: Hans-Werner Deppe – Illustration: Anita Muntean

Gottfried Daniel Krummachers Biografie ist nicht direkt mit dem „Zorn Gottes“ in Verbindung zu bringen. Sein Leben und Werk zeichnete sich jedoch insbesondere dadurch aus, dass er auch „unangenehme“ Wahrheiten der heiligen Schrift nicht verschwieg. Wie vor ihm schon die Puritaner. Eine biografische Skizze.

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er Erweckungsprediger Gottfried Daniel Krummacher1 wurde am 1. April 1774 als Sohn des Juristen und Bürgermeisters Friedrich Jakob Krummacher in Tecklenburg bei Osnabrück in eine reformiert geprägte Familie geboren. Er studierte in Duisburg Theologie, wobei er sich bewusst dem aufstrebenden Gedankengut der Aufklärung, des Rationalismus und der Bibelkritik widersetzte. Stattdessen suchte er den

1 Quellen sind neben den genannten das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon, eine Lebensskizze durch Krummachers Neffen Friedrich Wilhelm Krummacher unter Glaubensstimme.de, ferner Wikipedia.org und das Vorwort der Ausgabe des Buches „Tägliches Manna“ von Herbert Becker 2001.

Kontakt zur Erweckungsbewegung und las Schriften wie John Bunyans „Pilgerreise“. 1798 nahm Krummacher eine Predigerstelle in einer pietistisch geprägten Gemeinde in Baerl bei Moers am Niederrhein an. Erst durch die dortige Teilnahme an einer Katechismusstunde erlangte er Erkenntnis seiner Sünden und Verdorbenheit und fand nach mehrtägigem Buß- und Gebetskampf im Glauben an das stellvertretende Sühnopfer Christi Frieden mit Gott. Fortan rang er um Heiligung und unterschied in seinen erwecklichen Predigten klar zwischen den Kindern Gottes und den Kindern dieser Welt. Ab 1801 wirkte er 15 Jahre lang in einer Gemeinde in Wülfrath und entschied sich in dieser Zeit – wohl veranlasst durch das romantisch-pietistische Fortsetzung auf Seite 11 7


Das Wesen Seines Zorns Text: Kurt Vetterli – Foto: Peter Wey

F O T O : © P E T E R W E Y – S T O C K S Y. C O M / P E T E R W E Y

Zorn ist eine Eigenschaft Gottes, die mit viel Zurückhaltung behandelt, oft sogar ignoriert wird. Es darf aber nicht sein, dass wir ein Thema, dem die Bibel soviel Raum gibt, ausklammern. Um den Segen der Gemeinschaft mit unserem Gott zu erfahren, müssen wir Gott völlig erkennen. Auch in seiner Eigenschaft als zorniger Gott.


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enn man sich einmal die Mühe macht, eine Abhandlung über die Eigenschaften Gottes zu lesen, wird man mitunter einer gewissen Schwierigkeit gegenüber stehen. Nämlich der Schwierigkeit, alle die Eigenschaften miteinander in Einklang zu bringen. Manche der Eigenschaften Gottes, die er alle in ihrer Fülle verkörpert, scheinen sich zu widersprechen, zumindest in unserem Verständnis. So können wir in Versuchung kommen, sie gegeneinander abzuwägen oder auszuspielen, um am Ende einen Gott zu haben, der mit unserem Verstand erfassbar ist.

Gottes Zorn – nicht attraktiv In anderen Fällen geschieht es auch, dass gewisse Eigenschaften Gottes zunehmend verschwiegen oder ausgeklammert werden, wenn über Gott geredet oder gepredigt wird. Vielleicht, weil eine bestimmte Eigenschaft oder Handlungsweise Gottes ihn weniger attraktiv sein lässt in den Augen der Menschen, denen wir ihn nahebringen möchten. Der Zorn Gottes passt in diese Kategorie. Wir könnten folgenden Fragen begegnen (oder uns davor fürchten): „Du willst mich dazu bringen, einen Gott zu lieben, der zornig ist?“ oder „Wie passt das Bild von einem Gott der Liebe mit einem zornigen Gott zusammen?“ Solche Fragen kommen wohl aus dem gleichen Hintergrund wie diese so oft gestellte: „Wenn dieser Gott ein Gott der Liebe ist, warum gibt es dann all das Leid?“ Der Grund für diese und ähnliche Fragen ist natürlich ein einseitiges und damit falsches Bild von Gott. Und dieses stammt unter anderem von einer mangelhaften Verkündigung und Lehre über Gott. Wir müssen, wann immer wir von Gott reden, ihn so darstellen, wie er uns in der Bibel gezeigt wird. Demjenigen, der uns die schon genannte Frage stellt: „Willst du mich dazu bringen, einen Gott zu lieben, der zornig ist?“, sollten wir mit einem herzhaften „Ja!“ antworten. Ja, wir sollen Gott lieben und anbeten, wie er wirklich ist. Eben auch mit seinem Zorn.

Gottes Zorn verstehen Damit wir das in der richtigen Weise tun können, ist es nötig, den göttlichen Zorn zu verstehen, bzw. nachvollziehen zu können. Das heißt, wir müssen bejahen und annehmen, dass Gott gleichzeitig liebt und zornig ist. Wenn wir die Bibel diesbezüglich etwas genauer anschauen, werden wir finden, dass Gottes Liebe und sein Zorn sogar in einem engen Zusammenhang stehen. Gott liebt zuerst seine eigene Ehre und sein Zorn richtet sich gegen alles, was seine Ehre nicht sucht oder ablehnt. Gott liebt das Heilige und das Gute, darum hasst er, was unheilig und böse ist; dagegen ist sein Zorn gerichtet. Den Gedanken von Gottes Zorn lehnen wir vielleicht deshalb ab, weil wir zu oft eine menschliche Karikatur davon sehen. Wir denken an zornige Menschen, die sich nicht im Griff haben und unkontrolliert ihre Wut rauslassen, unrechte Gewalt gegen andere ausüben. Gottes Zorn ist nicht so. Gottes Zorn ist eine strafende Abneigung gegen alles Böse. Gegen alles, was sich gegen die Erkenntnis, Anbetung und Liebe Gottes erhebt. Eine

Kernstelle im Neuen Testament, die uns Gottes Zorn erläutert, finden wir in dem Brief des Apostels Paulus an die Römer. Paulus schreibt an die Christen in Rom, um ihnen seine Missionspläne mitzuteilen. Er erhofft sich ihre Unterstützung dabei und erklärt ihnen in dem Zusammenhang das Evangelium, für dessen Verkündigung er unterwegs ist. Er nennt es das Evangelium, in dem Gottes Gerechtigkeit für den Glaubenden geoffenbart wird (Römer 1,17). Und – vielleicht zur Überraschung vieler heutiger Christen – beginnt er seine so berühmte Abhandlung über die Gnade Gottes im Evangelium mit der Beschreibung von Gottes Zorn. Zuerst erklärt er, worüber Gott zornig ist, danach wie sich der Zorn Gottes auswirkt. Diese Beschreibung wollen wir etwas näher betrachten:

Worüber Gott zornig ist „Es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten“ (Römer 1,18). Gott ist zornig über Menschen, die die Wahrheit von Gott nicht anerkennen wollen und sie deshalb „niederhalten“. Die Menschen können erkennen, dass Gott der Schöpfer von allem ist und deshalb angebetet werden will und muss (Römer 1,19 f ). Sie wollen aber ihr eigener Gott sein und selber bestimmen, was richtig und falsch ist, und nicht so leben, wie der Schöpfer es ihnen vorschreibt. Diese Haltung der Auflehnung gegen Gottes Herrschaft und Ehre ist die Ungerechtigkeit und Bosheit in der Urform. Aus ihr entspringen alle anderen Ungerechtigkeiten und bösen Dinge. Gott ist zornig über das Böse. Er ist nie zornig über unschuldige Menschen. Gott ist zornig über die Menschen, die durch ihre rebellische Haltung all sein Geschaffenes zerstören. Obwohl wir alle diese rebellische Haltung von Adam geerbt haben, können wir als solche, die in Gottes Bild geschaffen sind, doch die Richtigkeit seines Zorns nachvollziehen und nachempfinden. Wir entrüsten uns, wenn Ungerechtigkeit geschieht. Wir wollen, dass offensichtlich böse Menschen für ihre Taten bestraft werden. Wer könnte diese Strafe besser ausführen als der, der vollkommen gerecht ist, Gott selber?

Wie sich Gottes Zorn auswirkt Die Auswirkungen von Gottes Zorn sind verschiedener Art. Ich möchte sie unterteilen in Zorn als Gericht und Zorn in Form von väterlichem Missfallen. Den Zorn Gottes, der als Gericht erscheint, müssen wir noch aufteilen in gegenwärtigen und zukünftigen Zorn. Paulus erwähnt in seiner Abhandlung in Römer 1 zuerst den gegenwärtigen Zorn. Dieser zeigt sich darin, dass Gott die Menschen dazu bringt, dass sie sich selber für ihre Gottlosigkeit bestrafen. „Darum hat Gott sie dahingegeben in den Begierden ihrer Herzen in Unreinheit...“ (Römer 1,24). Gottes Zorn wirkt sich so aus, dass Gott die aufständischen Sünder sich selbst und ihren Begierden überlässt, so dass sie schließlich von der Sünde gefangen, ihr ausgeliefert sind. Was sie ursprünglich als Freiheit verstanden, frei sein wollten, es zu tun, das müssen sie nun ausüben und kommen nicht mehr davon los. Es zerstört sie schließlich. Diese Erklärungen des Apos9


tels sind eigentlich die Antwort auf die Frage, warum ein guter Gott all das Leid in der Welt zulässt. Das Leid kommt durch Gottes Zorn als Folge der Auflehnung gegen Gott und der Unterdrückung seiner Wahrheit. Es gibt auch eine Form von Gottes Zorn, die als aktiver Zorn bezeichnet werden könnte. Gott bestraft bestimmte Menschen entweder direkt selbst, indem er sie krank werden oder sterben lässt, weil sie sich ihm widersetzt haben. Das berühmteste Beispiel im Neuen Testament sind Ananias und Saphira (Apostelgeschichte 5). Dann übt Gott seinen Zorn über das Böse auch so aus, dass er Gesetze aufstellte und Beamte einsetzte, die die von ihm bestimmten Strafen ausführen, was bis zur Todesstrafe gehen kann. So lesen wir in Römer 13,2-6, dass die Obrigkeit das Schwert trägt, um Böse zu bestrafen. Paulus nennt die Obrigkeit „die Rächerin zur Strafe für den, der Böses tut“. Diese Formen des gegenwärtigen Zornes Gottes sind aber nicht seine abschließende Form, sondern sie sind nur der Schatten, den der zukünftige Zorn Gottes vorauswirft. Alle, die Gottes Ruf zur Umkehr von ihrer Auflehnung nicht gehorchen, werden den künftigen Zorn Gottes für die Ewigkeit zu spüren bekommen. Jesus und die Apostel sprechen sehr häufig und sehr deutlich davon. Es ist die Rede von der äußeren Finsternis (Matthäus 22,13; 25,30), von der Feuer-Hölle (Matthäus 5,23) oder dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt (Offenbarung 21,8), um nur ein Paar zu nennen. 10

Dem Zorn Gottes entfliehen Der künftige Zorn Gottes ist ewig und unwiderruflich. Niemand wird ihm entfliehen. Der gegenwärtige Zorn Gottes dagegen ist in vielen Fällen nicht unabwendbar. Jemand kann für eine begrenzte Zeit unter Gottes Zorn stehen. Das betrifft auf der einen Seite jeden, der so lebt, wie er geboren ist; in der Sünde Adams. Paulus beschreibt dies so: „... die ihr tot wart in euren Vergehungen und Sünden, in denen ihr einst wandeltet gemäß dem Zeitlauf dieser Welt, gemäß dem Fürsten der Macht der Luft, des Geistes, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirkt. Unter diesen hatten auch wir einst alle unseren Verkehr in den Begierden unseres Fleisches, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten und von Natur Kinder des Zorns waren…“ (Epheser 2,1-3). Er schreibt diese Zeilen an Christen, die dieses „Totsein“ und „Kinder des Zorns-sein“ früher betraf, heute jedoch nicht mehr. Sie sind also dem gegenwärtigen Zorn Gottes entflohen. Dies war möglich, indem Gott sie durch Christus rettete. Dem Zorn Gottes zu entfliehen und vor dem Zorn bewahrt zu werden ist nur möglich, indem jemand ‚in Christus‘ ist. Wer außerhalb von Christus steht, der steht unter dem Zorn Gottes in irgendeiner Form. Gottes Zorn kann auch in Form von Züchtigung erfahren werden. Zum Beispiel wenn jemand sich durch anhaltenden Ungehorsam aus dem Schutzraum von Christus entfernt und unter Kirchenzucht

gestellt werden muss. Paulus nennt dies „dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet wird am Tag des Herrn“ (1. Korinther 5,5; vgl. 1. Timotheus 1,20). Der gegenwärtige Zorn Gottes soll den Betreffenden zur Umkehr führen, damit er vor dem ewigen, künftigen Zorn gerettet wird. Wenn jemand ein wiedergeborener Christ ist, dann ist der gegenwärtige Zorn für ihn das väterliche Missfallen Gottes, das ihn mit Strenge erzieht. Der Zorn Gottes ist schrecklich. Es ist darum auch nachvollziehbar, dass wir dieses Thema nicht mit Wonne betrachten. Es ist auch nicht Gottes ursprüngliche Absicht, zornig zu sein und zu zerstören. Sein Zorn ist seine Antwort auf das Böse, die Sünde. Wir müssen das Thema aber bedenken und behandeln, vor allem deshalb, weil wir möglichst viele vor dem Göttlichen Zorn bewahren wollen. Wir folgen dem Beispiel Jesu und der Apostel, wie insbesondere der Apostel Paulus seine Mission beschreibt: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir Menschen“ (2. Korinther 5,11).

Kurt Vetterli (*1962) ist Ehemann und Vater drei erwachsener Kinder. Pfarrer der Evangelisch-reformierten Kirche Westminster Bekenntnisses (ERKWB) in Basel.


Fortsetzung des Artikels „Der deutsche »Puritaner«“ von Seite 7

Gedankengut Gerhard Tersteegens (1697 – 1769) – zur Ehelosigkeit. Im Februar 1816 wurde er Prediger der reformierten Gemeinde in Elberfeld. Zu dieser Zeit breitete sich in Elberfeld die bergisch-niederrheinische Erweckungsbewegung aus, die so beschrieben wird: In Deutschland finden wir besonders nach den Nöten der Napoleonischen Fremdherrschaft und den Freiheitskriegen eine Erweckungsbewegung, die aber weniger an die Öffentlichkeit trat als in Holland. Im Allgemeinen herrschte aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Rationalismus, der an die Stelle der Offenbarung die menschliche Vernunft setzte, und der kirchliche Liberalismus, hier und da von pietistischen Strömungen oder von den Einflüssen Schleiermachers durchbrochen, der die Frömmigkeit des Menschen pries, aber von der reformatorischen Wahrheit weit abgewichen war. Die Städte des Wuppertals waren wie eine Oase inmitten der Verödung. Der Rationalismus hatte dort nur wenig Eingang gefunden.1 Ein anderer beschrieb Elberfeld in einem Brief 1825: Kurz, wir haben jetzt ein Land Gosen, ein rechtes Canaan hier und in hiesiger Gegend … Denken Sie sich zwanzig erleuchtete, wiedergeborene Prediger … Krummacher … Johannes Wichelhaus [und weitere 18 damals bekannte Prediger].2 Die Erweckung war zunächst eine Jugendbewegung – die sogenannte Elberfelder Kindererweckung von 1816 –, ergriff dann aber auch die Erwachsenen. Krummacher wurde schließlich zur bedeutendsten Person dieser Schar erwecklicher Prediger. Während der lutherische Pfarrer Karl August Döring (1783 – 1844) durch evangelistisches Wirken die Jugend zu gewinnen suchte, stellte Krummacher in guter Ergänzung dazu mehr die persönliche Heiligung des Gläubigen in den Vordergrund seiner Verkündigung, betonte aber auch immer wieder die Rechtfertigung allein aus Glauben, um die Gläubigen durch den Nachdruck auf dieses Grundelement des Evangeliums zu festigen und zu stärken. Die Zusammenkünfte der Erweckungsbewegung wurden so beschrieben: Das Äußere hatte allerdings nicht viel Anziehendes. Ein ziemlich enges Stübchen im Hinterhause war der Versammlungsort. Zunächst vorn hatte der Selige seinen Platz an einem kleinen Tischlein, auf welchem ein Lämpchen oder Talglicht brannte – das einzige in der ganzen Stube – um ihn ältere Freunde, rings umher dann in allen Räumen und Winkeln, wo nur ein Platz zu finden war, die Erbauung suchenden Zuhörer.3 Krummachers Predigten wurden als „in rhetorischer Hinsicht gewollt kunstlos“, aber eindringlich beschrieben. Viel lag ihm an der Betonung der Souveränität Gottes, der sich nicht des Frommen, sondern des Sünders erbarmt. Seine Gegner brandmarkten ihn deshalb bisweilen abschätzig als „Prädestinatianer“. In seinen Predigten und Predigtreihen betrachtete er oft das Alte Testament; berühmt sind z. B. seine Auslegungen über 1 Aus einem Nachruf auf Hermann Friedrich Kohlbrügge, der als Nachfolger Krummachers gilt, unter lichtundrecht.de. 2 M. Gallmann und U. Gäble in: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert. 3 Ebd.

„Jakobs Kampf und Sieg“ oder die „Wanderungen Israels“. In diesen Predigten vergleicht er den Auszug Israels aus Ägypten mit dem Christen, der Welt und Gottlosigkeit hinter sich lässt auf dem Weg zum ewigen Erbe. Theologisch orientierte sich Krummacher dabei an Calvin und dem Heidelberger Katechismus, auch die inneren Kämpfe Luthers waren ihm ein persönliches Vorbild. So führte er das pietistische Erbe seines Wirkungskreises entgegen der eher lehrfeindlichen Haltung des Pietismus auf eine vertiefte lehrmäßige, biblisch-reformatorische Grundlage zurück. Seine Zeit in Elberfeld war von Kämpfen an drei Fronten geprägt: gegen die Schwärmerei, die in Elberfeld-Wüstenhof4 grassierte, gegen den Liberalismus und Säkularismus und für eine freie, vom Staat unabhängige Kirche (Agendenstreit). Am 24. Oktober 1819 musste sich Krummacher in Köln vor der Kirchenbehörde rechtfertigen, weil ihm vorgeworfen wurde, seine Gnadenlehre fördere den Antinomismus (die Lehre der Gesetzlosigkeit) der schwärmerischen Wüstenhöfer. Krummacher gründete seine Rechtfertigungspredigt auf Römer 6,1 – „Sollen wir denn in der Sünde beharren, auf dass die Gnade desto mächtiger werde? Das sei ferne!“ – und zeigte, dass seine Lehre nichts mit Schwärmerei zu tun hat, sondern vielmehr auf Paulus beruht. In der Veröffentlichung dieser Predigt schrieb er in einem Vorwort: „Feind alles Fanatismus, der außerordentliche unmittelbare Offenbarungen Gottes an die Menschen wähnt, während er die geschriebenen gering achtet, hänge ich mit ganzer Seele an der Heiligen Schrift.“5 Zwischen 1834 und 1837 erlitt Krummacher drei Schlaganfälle; er starb am 30. Januar 1837 in Elberfeld. Seine Nachwirkungen sind vielfältig. Er gilt als Hauptperson der bergisch-niederrheinischen Erweckungsbewegung und war somit Wegbereiter für viele weitreichende geistliche Impulse, die im 19. Jahrhundert von Elberfeld ausgingen: Hier entstand der deutsche Zweig der Brüderbewegung und die Elberfelder Bibelübersetzung, 1848 wurde hier die Evangelische Gesellschaft für Deutschland begründet (die Werkzeuge Gottes wie den Jugendpfarrer Wilhelm Busch hervorbrachte), und auch Hermann Heinrich Grafe, der Gründervater der Freien evangelischen Gemeinden, wirkte auf dem in Elberfeld und Umgebung zubereiteten Boden. Ebenfalls einen Anteil hat Krummacher an der Erweckungsbewegung im Siegerland und hatte dort den späteren Verbandspräses Tillmann Siebel zum geistlichen Ziehsohn. Auch Hermann Friedrich Kohlbrügge und über ihn weite Kreise im Wuppertal und in den Niederlanden waren nachhaltig von Krummacher beeinflusst. Seine Predigten wurden in zahlreichen Bänden6 gedruckt. 4 Die Bezeichnung »Wüstenhöfer« war damals Inbegriff für sektiererische Schwärmerei. 5 Quelle: glaubensstimme.de. 6 Das Andachtsbuch „Tägliches Manna“ von G.D. Krummacher ist nun neu im Betanien Verlag erschienen (Paperback, 380 Seiten, €9,90). Zu bestellen unter www.cbuch.de.

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Text: Nils Freerksema

Was war in dem Kelch, der Jesus im Garten Gethsemane so wahnsinnige Angst gemacht hat? Was hat Jesus tatsächlich für uns erduldet?

© I L L U S T R A T I O N A U S D E R “ E N C YC L O P E D I C D I C T I O N A R Y ” ( 1 8 8 2 )

Der Kelch des Zorns


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s ist spät in Jerusalem und Dunkelheit hat sich über die Stadt gelegt. Die meisten sind in ihren Häusern und werden schon bald schlafen. Nur wenige Menschen sind noch unterwegs. Einige von ihnen haben sich bei den obersten Priestern zusammen gefunden, denn sie wollen die Dunkelheit nutzen. Sie wollen gerne jemanden los werden, der ihnen schon lange ein Dorn im Auge ist: Jesus, diesen angeblichen Gottessohn. Diesen Jesus, der sich für den Messias hält und damit das ganze Volk verwirrt. Auch der ist noch unterwegs. Mit seinen Jüngern ist er an den Ölberg gegangen und dort, vor den Toren Jerusalems, im Garten, der Ölpresse genannt wird, legt sich eine Art Dunkelheit über sein Gemüt. Tiefe Trübsal, schweres Grauen erfüllt ihn. Seinen engsten Freunden, die er mitgenommen hat, beschreibt er, wie er sich fühlt: „Meine Seele ist tief betrübt, bis zum Tod.“ Er bittet sie darum, mit ihm wach zu bleiben und fällt dann ein Stück entfernt auf sein Angesicht und betet. Er spricht mit seinem Vater, dem lebendigen Gott, er fleht wie in einem quälenden Kampf und seine Frage ist: „Kannst du diesen Kelch an mir vorüber gehen lassen?“ Im Leben Jesu gab es keine Situation, die ihn so betrübt und gepeinigt hat wie diese. Selbst nach 40 Fasten-Tagen in der Wüste konnte er den schwersten Versuchungen Satans mutig und entschlossen entgegenstehen ohne Zaudern oder Klagen. Aber dieser Kelch bringt Jesus in einen Zustand äußerster Drangsal. Lukas, der dies als Arzt einordnen kann, berichtet, dass Jesus Blut aus der Haut dringt, ein Phänomen, das nur bei äußerst extremer Angst (Todesangst) vorkommt. Was also kann so schrecklich sein, dass es Jesus an seine physische und psychische Grenze bringt? Den Jesus, der immer so souverän aufgetreten ist, den, der seinen Jüngern schon oft von seinem baldigen und grausamen Tod erzählt hatte. Was lässt ihn in diesem Garten so leiden?

Im Leben Jesu gab es keine Situation, die ihn so betrübt und gepeinigt hat wie diese.

Was ist das für ein Kelch? Die Bibel schreibt an vielen Stellen von einem besonderen Kelch, einem Kelch, der in der rechten Hand Gottes ist (Habakkuk 2,16). Er selbst nennt ihn den „Becher seines Zorns“, den „Kelch seines Grimms“, den „Taumelbecher“ oder den „Becher des Glutweines seines Zorns“. Dieser Kelch wird an einigen Stellen im Alten und Neuen Testament erwähnt und beschrieben. Oft werden Menschen, Städte oder Völker davor gewarnt, dass sie ihn eines Tages gereicht bekommen und trinken müssen. Dieser Kelch ist ein Bild für Gottes gerechten und heiligen Zorn über Sünde und das Gericht, das damit einhergeht. Der Inhalt dieses Bechers wird an vielen Stellen genauer beschrieben und macht deutlich, wie sich Gottes Zorn über die Sünde auswirkt. Ein Aspekt dieses Zorns ist Zerstörung. Jesaja und Jeremia sprechen davon, dass Städte, die diesen Kelch trinken mussten, zerstört und zu einem Trümmerhaufen gemacht wurden (Jesaja 51,1719; Jeremia 25,18). Es wird alles zunichte gemacht, wessen man sich zuvor gerühmt hat. Worauf man einmal Stolz war, kann nun bloß noch beschämen. Ein anderer

Bestandteil des Kelchs sind Hohn und Spott (Hesekiel 23,32). Das Leid über die Zerstörung wird nicht gelindert, sondern verschärft. Anstatt Mitleid gibt es Verachtung, anstatt Trost Häme von denen, die sehen wie alles in Trümmern liegt. Wer diesen Kelch trinkt, wird „Jammer, Schaudern und Entsetzen“ erleben (Hesekiel 23,33). Da ist kein Raum mehr für Auflehnung, Rebellion oder Hoffnung. Verzweiflung und Resignation bestimmen das Empfinden. Gott hat den Becher des Zorns in vollkommener Gerechtigkeit gefüllt und niemand wird dieses Maß in Frage stellen oder ablehnen. Ein reicher Mann, der stirbt und anschließend im Totenreich schreckliche Qualen erfährt, kritisiert mit keinem Wort das Maß seiner Leiden. Psalm 11,6 schreibt: „Feuer, Schwefel und Glutwein sind das Teil ihres Bechers“ (s. auch Offenbarung 14,10) und verwendet damit Bilder, mit denen auch die Hölle beschrieben wird (z.B. Jesus in Markus 9,43). Dort werden Menschen sein, um ihren Becher des Zorns zu trinken. Alles, was in diesem Becher zusammen geschüttet ist, wird in Offenbarung 18,7 mit „Qual und Leid“ zusammengefasst. Dieses Getränk besteht also aus einer grauenhaften und kaum vorstellbaren Drangsal. Jesus selbst beschreibt sie vielleicht am greifbarsten mit andauerndem „Heulen und Zähneknirschen“ (Matthäus 8,12; 13,42; 22,13; 24,51; 25,30).

Der Kelch wird gefüllt Ein Becher oder ein ähnliches Gefäß ist üblicherweise für ein bestimmtes Maß gemacht. So ein Maß wäre heute für ein Glas Cola 0,33 oder 0,5 l. Auch die biblischen Erwähnungen vom Kelch des Zorns weisen zum Teil auf ein Maß, das jeweils unterschiedlich, aber genau bestimmt ist. Das Südreich Juda soll nach Hesekiel 23,32 aus dem Becher des Nordreiches trinken, „der tief und weit ist“, und soll „zu Hohn und Spott werden; denn er fasst viel!“ Von Babel wird in Offenbarung 18,6 gesagt, dass ihr, „in den Becher, den sie euch eingeschenkt hat“, doppelt eingeschenkt werden soll. Wonach wird nun dieses Maß bestimmt? Warum bekommt der eine einen tiefen und weiten Becher und jemand anderes gar doppelt eingeschenkt? Der Zusammenhang dieser Verse macht die Antwort glasklar. Das 13


Tag für Tag gehen aus diesem Herzen sündige Werke hervor und durch diese Werke wird göttlicher Zorn angehäuft.

Maß des Zorns wird bestimmt durch das vorhergehende Maß der Sünde. Offenbarung 18,5 schreibt von Babel: „Denn ihre Sünden reichen bis zum Himmel, und Gott hat ihrer Ungerechtigkeit gedacht.“ Beim anderen Beispiel werden in Hesekiel 23 das ganze Kapitel hindurch die entsetzlichen Sünden von Nordreich und Südreich ausführlich beschrieben. Das greift zusammen mit anderen Bibelstellen. Ein Beispiel ist 1. Thessalonicher 2,16, wo Paulus schreibt: „Dadurch machen sie allezeit das Maß ihrer Sünden voll; es ist aber der Zorn über sie gekommen bis zum Ende!“ Auch in 1. Mose 15,16 und Römer 5,20 wird von einem Maß der Sünde gesprochen, das jemand selbst füllt. Dieses Maß der Sünde wird dann als Maß für den entsprechenden Zorneskelch verwendet. Am deutlichsten wird dies in Römer Kapitel 2 ab Vers 5, wo sehr persönlich steht: „Aber aufgrund der Verstocktheit und deines unbußfertigen Herzens häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Werken.“ Das eigentliche Problem des Menschen ist ein hartes Herz, das Gott ablehnt und keine Anstalten macht, von seiner Rebellion umzukehren. Tag für Tag gehen aus diesem Herzen sündige Werke hervor und durch diese Werke wird göttlicher Zorn angehäuft. Das geschieht bis zu einem bestimmten Tag, an dem dieser Mensch in das gerechte Gericht Gottes kommt. Dort wird Gott entsprechend der sündigen Werke Vergeltung üben. Die Tage des Sündigens sind dann vorbei und der Tag des Zorns hat begonnen. Somit ist jeder selbst verantwortlich für den Inhalt seines Bechers. 14

Man füllt ihn mit seinen Sünden und bekommt ihn schließlich gefüllt mit Gottes Zorn. Ein bekannter Pastor1 drückt es in einer Predigt so aus: „Jeder Tag, an dem du und ich sündigen, ist wie ein Tropfen in einen Becher und sie werden gesammelt. Wir gießen unsere Sünde hinein und dann gießt Gott am Ende dieses Lebens entsprechenden Zorn aus. Entsprechend der Sünde, die wir hinein gegossen haben.“ Er führt weiter aus, dass auch die Tatsache, dass Gott uns diesen Becher immer weiter füllen lässt, ein Teil seines Zornes ist, nämlich sein passiver Zorn (Römer 1,24). Gottes aktiver Zorn ist dann im Gegensatz dazu, wenn Gott den Kelch des Zorns ausgießt und die Menschen ihn trinken müssen.

Der Kelch wird geleert Hiob schreibt über den Gottlosen: „Den Zorn des Allmächtigen soll er selbst trinken!“ (Hiob 21,20) Den Kelch, den jeder mit seiner Sünde füllt, bekommt er wieder gereicht, nun entsprechend gefüllt mit dem Zorn Gottes, um ihn selbst zu trinken. Teile davon muss jeder Gottlose sicherlich schon in seinem Leben auf dieser Erde ertragen, aber erst nach diesem Leben bekommt er diesen Zornesbecher ganz und gar in die Hand gedrückt. Dann wird jeder sein eigenes Maß trinken müssen. „Sogar seine Hefen müssen schlürfen und trinken alle Gottlosen auf Erden.“ (Psalm 75,9) Zu denjenigen, die sich weigern zu trinken, „spricht der Herr der Heerscharen: Ihr müsst dennoch trinken!“ (Jeremia 25,28). Zu 1 Predigten von Mark Driscoll und Paul Washer haben diesen Artikel beeinflusst. Anm. d. Red.: Der Betanien Verlag distanziert sich als Herausgeber von Mark Driscoll und sieht ihn deutlich kritischer als der Autor.

Juda sagt Gott in Hesekiel 23,34: „Und du musst ihn austrinken und ausschlürfen und auch noch seine Scherben ablecken.“ Es ist Gottes perfekte Gerechtigkeit, die keinem ein ungleiches Maß einschütten wird, aber auch niemandem einen Teil des heiligen Zorns erlassen wird. Jeder, der den Kelch von Gott gereicht bekommt, wird ihn austrinken müssen. Jeder wird die gerechte Strafe für seine Sünden bekommen. Gleichzeitig macht die Bibel auch deutlich, dass jenes Austrinken des Bechers ewig andauern wird. In Offenbarung 14,11 steht von denen, die „vom Glutwein Gottes trinken“, dass „der Rauch ihrer Qual aufsteigt, von Ewigkeit zu Ewigkeit“

Warum Jesus? Wenn dieser Kelch also Gottes gerechter Zorn ist und jeder ihn nach dem Maß seiner eigenen Sünde bekommt, warum sollte Jesus solch einen Kelch von seinem Vater gereicht bekommen? Er ist der tatsächliche Gottessohn, der von keiner Sünde wusste (2. Korinther 5,21). Er ist es, der in allem versucht wurde wie wir, doch ohne Sünde (Hebräer 4,15). Wieso bekam ein Sündloser den Kelch des Zorns? Die Antwort ist so einfach wie skandalös: Es war nicht sein Kelch, den er bekommen hat. Es war dein und mein Kelch. Den Kelch, den wir mit unseren Sünden gefüllt haben, bekam Jesus - gefüllt mit dem Zorn seines Vaters. Das war es, wovor Jesus in Gethsemane Angst hatte. Es waren nicht die Peitschenhiebe auf seinen Rücken, die Nägel durch seine Hände, die Schläge in sein Gesicht oder der Spott und Hohn in seinen Ohren. Nichts davon brachte ihn dazu, Blut zu schwitzen. Es ist lächerlich zu meinen, dass ein römisches Kreuz Jesus so in Angst versetzen könnte, wenn man liest, wie viele seiner Nachfolger mit Freude und mit Liedern auf den Lippen für ihn gestorben sind. Nur einige Jahre später wurden Christen nicht nur an römische Kreuze gehängt, sondern bei lebendigem Leib noch mit Pech übergossen und angezündet, um Neros Gartenpartys zu beleuchten. Wir lesen von vielen


Märtyrern, dass sie Gott gepriesen haben, als sie auf dem Weg zum Scheiterhaufen waren. Sollte etwa der, dem sie nachfolgten, davor verzweifelt sein? Nein, das, was Jesus in dieser Nacht so bedrängte, war etwas, das nie ein Mensch auch nur annähernd erlebt hat oder ertragen könnte: Der glühende Zorn seines Vaters über unsere Sünde. Es ist eine Lüge zu glauben, dass Jesus uns allein durch das Leiden erlösen könnte, dass er durch die römischen Soldaten und seine jüdischen Volksgenossen erlitten hat. Viele haben schon Ähnliches und sogar Schlimmeres ertragen müssen. Man kann sich Mel Gibsons Passion Christi komplett ansehen und bekommt dadurch nicht einmal eine Ahnung davon, was tatsächlich das Kreuz war, das Jesus getragen hat. Es war der Zorn Gottes über die Sünde der ganzen Welt. In einem Moment wurde er in seiner ganzen, brutalen Wucht ausgegossen auf seinen Sohn. Das ist es, was uns erlösen kann. Natürlich sind die körperlichen Schmerzen wie das hölzerne, römische Kreuz, die Peitschenhiebe und andere ein Teil des Kelches, den Jesus trank. Jesus selbst sagt einmal zu zweien seiner Jünger: „Ihr werdet zwar meinen Kelch trinken und getauft werden mit der Taufe, womit ich getauft werde“ (Matthäus 20,23). An dieser Stelle bezieht er den Kelch natürlich nicht auf Gottes Zorngericht, sondern auf das körperliche Leiden, dass sie als Martyrium auch erleben würden. Auch soll das Leid, das Jesus von Menschen zugefügt wurde, nicht klein geredet werden. Jesus hat schrecklich durch die Hände der Menschen gelitten, aber sein Leiden war eben noch viel größer als nur das und es brauchte mehr, um uns zu erlösen. In 1. Johannes 2,2 lesen wir: „und er ist das Sühnopfer für unsere Sünden, aber nicht nur für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“ Sühne bedeutet, dass der Zorn über ein begangenes Unrecht gestillt

wird. Hier wird Gottes Zorn gestillt durch ein Opfer, das er selbst bringt, seinen Sohn. Jesus hat diesen Zorn getragen, er hat den Kelch ausgetrunken bis auf den letzten Tropfen. Bis er rufen konnte: „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30). Damit kann er uns retten, so wie Paul Washer es einmal sagt: „Gott hat dich vor sich selbst, durch sich selbst und für sich selbst gerettet!“2 Dieses Opfer hat Jesus freiwillig gebracht. Nachdem er in der Dunkelheit des Gartens gebetet hatte, wusste er, dass es keine andere Möglichkeit gab, als zu erfüllen, was er mit seinem Vater schon lange beschlossen hatte. Von da an ging er voller Überzeugung den schweren Passions-Weg, der vor ihm lag. Er weist Petrus sogar streng zurecht und sagt zu ihm: „Stecke dein

Er sollte und wollte diesen Kelch trinken für Petrus, für dich und für mich. Er hat es getan.

Schwert in die Scheide! Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir der Vater gegeben hat?“ (Johannes 18,11). Er sollte und wollte diesen Kelch trinken für Petrus, für dich und für mich. Er hat es getan. Er hat den Kelch komplett geleert, so dass jeder der an ihn glaubt „nicht ins Gericht kommt“ (Johannes 5,24). Kein Tropfen von Gottes Zorn ist für die noch übrig, die Jesus ihren Kelch der Sünde gegeben haben. „So gibt es jetzt keine Verdammnis mehr für die, welche in Christus Jesus sind“ (Römer 8,1). Nachdem Jesus nun unseren Kelch genommen und ausgetrunken hat, gibt er uns einen anderen. Seinen Kelch, den Kelch des Heils. „Den Kelch des Heils will ich nehmen und den Namen des Herrn anrufen“ (Psalm 116,13). Anstatt, dass Gott seinen Zorn in Ewigkeit über uns ausschüttet, wird er nun den Reichtum seiner Gnade über uns ausgießen (Epheser 2,7).

Nils Freerksema (*1986) ist Jugendprediger im evangelischen Gemeinschaftsverband

2 youtube.com/watch?v=Y7yJROREgbY.

Siegerland-Wittgenstein.

Nils

auf Twitter: @nfreerksema

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Zorn vs. Zorn Text: Jörn Krebs – Foto: Tõnu Tunnel

Die Bibel spricht vom Zorn des Menschen und vom Zorn Gottes. Sie bezeichnet beides als „Zorn“. Doch sind die beiden wirklich ähnlich? Oder worin unterscheiden sich die beiden Formen? Dieser Beitrag will beleuchten, welche Eigenschaften Gottes bzw. des Menschen hinter ihrem jeweiligen Zorn stehen.

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er Zorn der Menschen ist im Allgemeinen im Affekt, unversöhnlich und unverhältnismäßig (Sprüche 12,16; 14,17, 29; 15,18). Wenn wir annehmen, dass Gottes Zorn von dieser Art ist, entstehen Schwierigkeiten, diesen mit Gottes allgemeinem Wesen zu vereinbaren, welches gerecht und liebevoll ist. Andererseits lesen wir in der Bibel, dass Gott zornig ist und dies an manchen Stellen ausgiebig und in intensiver Sprache ausdrückt (Jesaja 13,13; 30,27-33; Psalm 2,5). Es wird davon berichtet, dass auch Jesus aufgrund von bestimmten Zuständen bestimmten Personen gegenüber zornig war und dies vehement zum Ausdruck brachte (Matthäus 23,13-36; Markus 3,1-5; 11,15-17). Und die Bibel bezeugt, dass Gott gut ist (1. Johannes 1,5). Können wir Menschen daher auch einfach zornig sein, weil Gott ja schließlich auch zornig ist? Können wir nicht auch einfach auf unser Gerechtigkeitsempfinden und unseren Eifer für gute Dinge setzen? Im Folgenden möchte ich ausführen, wieso der Zorn des heiligen, gerechten und liebevollen Gottes etwas völlig anderes ist als der Zorn sündhafter Menschen.

Was ist Zorn? Oft wird mit Zorn und Ärger ein Zustand von handlungsbeeinträchtigender Intensität negativer Emotionen beschrieben. Ein solcher Zustand beruht meist auf der Wahrnehmung, dass der eigenen Person oder jemand anderem etwas zu Unrecht getan wurde. Menschlicher Zorn drückt sich daher oft in Form von übergreifender Aggression, spontanen Wutausbrüchen oder zumindest in dem Wunsch aus, dass demjenigen, der Unrecht getan hat, ein ähnlicher Schmerz widerfährt, wie er ihn verur16

sacht hat. Nach J.I. Packer ist das menschliche Vermögen zornig sowie freudig oder traurig zu sein jedoch ein Ausdruck dafür, dass wir moralische und beziehungsmäßige Wesen sind. Die Ursache dafür liegt darin, dass Menschen im Ebenbild Gottes geschaffen sind und auch im gefallenen Zustand einen gewissen Sinn für Recht und Unrecht haben (1. Mose 1,27; Römer 2,15).1

Gottes Zorn: Zwei kritische Fragen Wenn also gesagt wird, dass Gott zornig ist, dann drängen sich für viele Menschen zwei Fragen auf: 1. Wenn Gott zornig ist, wie kann er dann heilig und gerecht sein? 2. Wenn Gott zornig ist, wie kann er dann liebevoll sein? Beide Fragen setzen unbenannt bestimmte Überzeugungen oder Grundannahmen voraus. Sie sind Teil der Frage, auch wenn sie nicht genannt werden, wie ein blinder Passagier auf einem Schiff. Die erste Frage setzt die folgende Grundannahme voraus: Gott ist ungerecht, unkontrolliert und unerklärbar, wenn er zornig ist. Die zweite Frage hingegen setzt eine Annahme wie die folgende voraus: Wenn man es mit Räumen vergleichen will, sind Liebe und Zorn stets in getrennten Räumen. Aus menschlicher Sicht scheinen sie sich gegenseitig auszuschließen und unvereinbar zu sein. Aus unserem persönlichen menschlichen Erleben ist es für uns oft wie D.A. Carson beschreibt: „Liebe treibt Zorn aus, und Zorn treibt die Liebe aus. Vielleicht bringen wir sie gegenseitig am nächsten, wenn wir sehen, dass ein Vater oder eine Mutter ihr ungehorsames Kind bestra1 J.I. Packer, ,Anger’ in: T.D. Alexander und B.S. Rosner (Hrsg.), New Dictionary of Biblical Theology (Leicester u. Downers Grove: Inter-Varsity Press, 2000) 381.


F O T O : © T õ N U T U N N E L – S T O C K S Y. C O M / T U N N E LV I S I O N


fen. Aber normalerweise denken wir nicht, dass eine zornige Person liebevoll ist.“1

Der gerechte und heilige Zorn Gottes Der Einwand der ersten Frage relativiert sich, wenn Gottes Zorn als Funktion oder Ausdruck seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit verstanden wird. Gott ist heilig und in seiner Gegenwart löst Sünde eine Gegenreaktion seinerseits aus (vgl. Habbakuk 1,12-13; Jesaja 1,4-20). Es entspricht dem Wesen seiner Heiligkeit, die Unheiligkeit der Sünde zu konfrontieren. Göttlicher Zorn steht nicht im Gegensatz zu seiner Heiligkeit, sondern er geht aus seiner Heiligkeit hervor. Er ist absolut perfekt, gerecht und weise. So „beißt“ sich Gottes Wesen und Wirken mit allem, was ihm letztlich nicht entspricht. Daher schreibt Wilfried Härle zur Vereinbarkeit von Heiligkeit und Zorn in Gott: „Das Gemeinsame von Heiligkeit und Zorn ist dieser unversöhnliche Gegensatz zwischen Gottes Wesen und der Realität der Sünde, wobei ‚Heiligkeit‘ eher die Unvereinbarkeit von beidem, ‚Zorn‘ eher die Verneinung der Sünde durch Gottes Wesen bezeichnet.“2 Somit legt sich der scheinbare Widerspruch zwischen Gottes Zorn und seiner Heiligkeit.

Zorn als liebevolle Neuausrichtung Bei dem Versuch, Gottes Zorn im Zusammenhang mit seiner Liebe zu verstehen, kommt eine wichtige Rolle der Tatsache zu, dass Gott aufgrund von Bünden mit Menschen und ganz besonders mit seinem Volk handelt. Bünde werden im Rahmen von festgelegten Abmachungen zwischen den Bundespartnern geschlossen. Wird Sünde als Bundesübertretung gesehen (5. Mose 28,45-69; 29,23-28; Hosea 8,1-10; Römer 5,12-19), ist sie sowohl ein objektives Vergehen gegen eine Abmachung, als auch ein persönliches Vergehen gegen 1 D.A. Carson, The Difficult Doctrine of The Love of God (Leicester: Inter-Varsity Press, 2000) 79. 2 W. Härle, Dogmatik (Berlin u. New York: de Gruyter, 22000) 268.

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denjenigen, mit dem der Bund geschlossen wurde, in diesem Fall mit Gott. Gottes Zorn ist somit auch ein juristischer Ausdruck seiner Heiligkeit. Diese Heiligkeit zieht Unheiligkeit zur Rechenschaft, um die beim Vertrag ausgemachten Verhältnisse praktisch wiederherzustellen (Hosea 6,1,-7; 13,2-13). In diesem Sinn ist Gottes Zorn ebenfalls ein Ausdruck seiner Treue, ja sogar von Bundesliebe, die sich eifersüchtig nach der praktischen Hingabe des Gegenübers sehnt und versucht diese wiederherzustellen.

Gütige Perfektion als Ursache Menschliches Unvermögen, echte Liebe und Zorn miteinander zu vereinbaren, wie es die zweite Frage ausdrückt, liegt auch darin begründet, wie wir Liebe verstehen. Anders als viele meinen ist Gottes Liebe in seiner gütigen Perfektion begründet und nicht in der Lieblichkeit des Geliebten. Dieser Wechsel in der Perspektive ermöglicht den wahrgenommenen Widerspruch zwischen Gottes Liebe und Zorn aufzulösen. Carson schreibt, dass im Blick auf Gottes Zorn gelte: „Gott in seiner Perfektion muss zornig gegenüber seinen rebellischen Ebenbildern sein, da sie sich gegen sein Gesetz und ihn persönlich gewendet haben.“3 Und im Blick auf seine Liebe gelte: „Gott in seiner Perfektion muss auch liebend gegenüber seinen rebellischen Ebenbildern sein, da er solch ein Gott ist.“4 Die Ursache für Gottes Zorn ist also in Gottes gütiger Perfektion und Vollkommenheit begründet. Sein Zorn steht nicht im Widerspruch zu seiner Perfektion, sondern ist gerade ein Ausdruck ihres Wesens. So schreibt Carson: „In der Schrift ist Gottes Zorn, wie emotional er sein mag, die weise und gerechte Antwort seiner Heiligkeit und Perfektion auf Sünde. Gottes Heiligkeit wie auch Gottes Liebe sind Teil von Gottes Wesen, Zorn ist es nicht. Um es anders zu 3 Carson, The Difficult Doctrine of The Love of God, 80. 4 Ebd.

sagen: Gott war immer heilig, so wie er auch immer Liebe war, er war jedoch nicht immer zornig. Aber da, wo seine Heiligkeit zu Recht die Rebellion seiner Kreaturen konfrontiert, dort muss er zornig sein, und die ganze biblische Geschichte bezeugt, dass er zornig ist, sonst wäre sein Zorn nur ‚aufgesetzt‘. Doch in all dem ist er nicht weniger der Gott der Liebe.“5

Zorn und Liebe in den Taten Gottes Somit ist Gott aus Liebe zornig und aus Heiligkeit barmherzig (Römer 3,5-8; 9,19-24; Psalm 103,8-9). Er trägt aus Liebe die „Gefäße des Zorns“ mit Langmut (Römer 9,22) und daher kann die Bibel vom Zorn Jesu, der als Lamm starb, als dem „Zorn des Lammes“ sprechen (Offenbarung 6,16; 14,10). Hier ist die Rede von Jesus, der Krieg gegen das Böse führt in Gerechtigkeit (Offenbarung 19,11). Auch die zweite Frage stellt sich aus Sicht der Bibel nun nicht mehr. Gott ist zwar langsam zum Zorn, aber in seinem Vorhaben, diesem auf treffende und weise Art Ausdruck zu verleihen, beständig und entschlossen (2. Mose 34,6; Psalm 103,8). Der Zorn ist öfters von einer gewissen hoffnungsvollen Erwartung auf die Umkehr von Sündern begleitet, weshalb er wiederholt um sie wirbt (Jesaja 54,8-11; Hosea 14,1-8). Die Absicht und Frucht dieses langmütigen und weisen Zornes ist es, göttliche Gerechtigkeit auf Erden herzustellen (2. Petrus 3,312). Ultimativ traf der Zorn Gottes Jesus am Kreuz auf Golgatha, so dass es durch Umkehr und Buße Rettung von Gottes Zorn gibt. So ist jeder, der umkehrt, durch Jesu Leiden von dem zukünftigen Gericht Gottes gegenüber Sündern gerettet (Römer 5,9; 1. Thessalonicher 1,10; 5,9; 2. Petrus 3,7.12).

Zorn und der Mensch Der Versuch, Gottes Zorn als Ausdruck seiner Heiligkeit, Gerechtigkeit und Liebe zu verstehen, 5 D.A. Carson, ,Love’ in: T.D. Alexander und B.S. Rosner (Hsg.), New Dictionary of Biblical Theology (Leicester u. Downers Grove: Inter-Varsity Press, 2000) 647.


die in seiner gütigen Perfektion im Einklang miteinander sind, mag sich anfühlen wie ein Knoten in Kopf. Doch die Frage, ob wir als Menschen nicht einfach „zornig“ sein können, weil Gott zornig sein kann, stellt sich an dieser Stelle definitiv nicht mehr. Der Grund dafür: Gott und Menschen sind zu unterschiedlich im Hinblick auf die Reinheit ihres Wesens und ihrer Einsicht (Jesaja 55, 7-9; Hiob 38-42)! Dies ist auch der Grund für manchen „Knoten“ im Verständnis. Unsere menschliche Sicht ist uns zu selbstverständlich. Zwar sind wir moralische Wesen im Ebenbild Gottes, aber aufgrund der Gefallenheit (Jeremia 17,910) ist auch unser Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit pervertiert. Dies betrifft in besonderem Maße den Sinn der Ungläubigen (Römer 1,28). Menschlicher Zorn kann gerecht oder ungerecht, gerechtfertigt oder ungerechtfertigt, tugendhaft oder mangelhaft, konstruktiv oder destruktiv sein. So liegen wir in unserem Zorn auch nur dann richtig, wenn wir in Übereinstimmung mit Gottes Vollkommenheit sind und diese in unserem Urteil nicht fehlt. Dies ist aber aufgrund unserer menschlich gefallenen Natur fast nicht möglich. Daher beschreibt die Bibel menschlichen Zorn so oft als Sünde (Sprüche 12,16; 14, 17,29; 15,18; 19,19; 27,3-4; 29,22; 30,33), bzw. kurz vor der Sünde (Epheser 4,26). Die Gerechtigkeit Gottes wird einfach nicht durch den Zorn von Menschen erwirkt (Jakobus 1,20).

Zorn als menschliche Sünde: Ursachen Im Kern fehlt uns Menschen einfach die Fähigkeit, Zorn und Liebe miteinander zu vereinbaren, so wie es nur Gott selbst in seiner Vollkommenheit kann. Auf ganz praktische Weise drückt sich dieser Mangel an Vollkommenheit in Bezug auf zorniges Handeln auf folgende Eigenschaften aus: Menschen sind, anders als Gott, in ihrer Äußerung von Zorn unbeherrscht, spontan und es fehlt ihnen an Weisheit, zu wissen, was wirklich aus Gottes Sicht gerecht ist. Sie agieren in verletztem Stolz, anstatt

sich zu kontrollieren und weise zu vergeben (1. Mose 4,3-8.23-24; 27,41-45; 37,4.8.11.18-28). Daher ist es auch besonders schwierig, in seinem Zorn nicht zu sündigen (Epheser 4,26), da es eine unterschwellige Versuchung gibt, den eigenen Zorn unkritisch gegenüber sich selbst als gerechte Entrüstung zu betrachten und als Freibrief für Lieblosigkeiten gegenüber anderen Menschen zu verstehen. Als besondere Ursachen, die mit sündhaftem menschlichem Zorn in Verbindung stehen, nennt die Bibel Bitterkeit, anmaßende Selbstgerechtigkeit, Neid, Selbstsucht, Unreinheit von Motiven und Lüge im Kleid der Halbwahrheit bis hin zum Ausdruck völliger Verdrehung der Wahrheit (Epheser 4,21-32; Jakobus 1,19-21). Diese Eigenschaften und Haltungen des menschlichen Herzens stehen in einem grellen Kontrast zu dem, was die Bibel als Merkmale echter Liebe beschreibt (1. Korinther 13,5-7). Sie gehen einher mit dem Wunsch der Wiederherstellung des verletzten Stolzes bzw. dem Wunsch, dass die Position, die man durch eine Unrechtstat verloren zu haben meint, wieder erlangt wird.

Der rechte Umgang mit Zorn Die Bibel ermahnt uns aber vorwiegend, dieses Bestreben um die Rechtfertigung der eigenen Person und Position letztlich Gott und seinen Mitteln zu überlassen (Römer 12,4-5.17-21). Es ist nicht immer eindeutig, was das in einer konkreten Situation bedeutet. Aber alles Ringen um diese Frage geschieht im Vertrauen darauf, dass Gott letztlich zu seiner Zeit alles richtigstellt und somit Verhältnisse (wieder-)herstellt, die seiner Vollkommenheit und Gerechtigkeit entsprechen (2. Petrus 3,2-13; Offenbarung 21,3-22). Für ein solches lebenspraktisches Vertrauen sind Selbstkontrolle, Geduld (Jakobus 1,19-20), sich verschenkende Langmut (Römer 12,19-20) und Sanftmut (Jakobus 1,20-21) notwendig. Diese werden als positive Gegeneigenschaft zum sündigen menschlichen Zorn genannt. Also gütige Geduld anstatt Bitterkeit,

selbstlose Liebe anstelle von gekränktem Stolz, im Vertrauen, dass Gott das letzte Wort haben wird. Und Paulus schreibt daher an die Christen in Rom, die ebenfalls Unrecht erlebten: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem; seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen! Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden! Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes! Denn es steht geschrieben: ‚Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht der Herr.‘ ‚Wenn nun deinen Feind hungert, so speise ihn; wenn ihn dürstet, so gib ihm zu trinken! Denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.‘ Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ (Römer 12,17-21).

Der Unterschied in Vollkommenheit Zusammenfassend kann gesagt werden, Gott handelt aufgrund seiner gütigen Perfektion von Liebe bewegt in heiligem und gerechtem Zorn. Der Mensch ist nicht vollkommen und sündigt daher in seinem Zorn allzu leicht. Daher ist für den lebenspraktischen Umgang mit menschlichem Zorn immer wieder ernstliches Gebet um Weisheit und Befähigung zur praktischen Liebe nötig (Jakobus 4,2-12).

Jörn Krebs (*1983) arbeitet derzeit in einem

IT-Unternehmen

in

Winterthur

(Schweiz). Nach seinem Theologiestudium in Teilzeit schreibt er an einer Forschungsarbeit zu John Owen an der Middlesex University, London. Er ist zudem Prediger und Blogger auf gottundleben.wordpress.com.

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SCHRIFTGELEHRT Rubrik zum Alten Testament

Der Zorn Gottes im Alten Testament Text: Andreas Münch – Illustration: Ben R. Davis

Du bist Christ? Ja! Ist dein Gott ein Gott der Liebe? Ja! Wie kannst du nur so etwas allen Ernstes behaupten, dass dein Gott in Seinem Zorn die Ausrottung ganzer Völker anordnet...?


V

iele Menschen verbinden das Alte Testament mit einem zornigen Gott: Der Gott des Alten Testamentes ist ein rachsüchtiger Gott – einer, der Freude daran hat, ganze Völker auszurotten. Vielleicht musstest du zu solchen Vorwürfen bereits Stellung beziehen? Tatsache ist, dass der Zorn Gottes in der ganzen Bibel gelehrt wird. Bis auf wenige Ausnahmen wie z.B. das Buch Rut oder das Hohelied finden wir im Alten Testament durchgängig das Bild von Gott als einem Richter, der Menschen straft, sowohl einzelne Personen als auch ganze Völker. Dass Gott eben nicht nur ein Gott der Liebe ist, sondern auch ein eifersüchtiger und zorniger Gott, kannst du gut an Stellen wie Nahum 1,2-3 sehen: „Ein eifersüchtiger und rächender Gott ist der HERR, ein Rächer ist der HERR und voller Grimm. Rache übt er an seinen Gegnern, und er grollt seinen Feinden. Der HERR ist langsam zum Zorn und groß an Kraft. Doch keinesfalls lässt der HERR ungestraft.“ Wie hast du solche Verse einzuordnen? Solltest du diese Passagen besser in Gesprächen verschweigen, da sie für unsere Zeitgenossen zu anstößig sind? Denn wer möchte schon gerne eine Beziehung zu einem grausamen Gott haben? Insbesondere wenn du zur Landnahme Kanaans unter Mose und Josua kommst, begegnen dir Anweisungen Gottes an Israel, wie sie mit den Kanaanitern umgehen sollen, die für dich so gar nicht nach christlicher Nächstenliebe klingen: „Jedoch von den Städten dieser Völker, die der HERR, dein Gott, dir als Erbteil gibt, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat. Sondern du sollst an ihnen unbedingt den Bann vollstrecken: an den Hetitern und an den Amoritern, den Kanaanitern und den Perisitern, den Hewitern und den Jebusitern, wie der HERR, dein Gott, dir befohlen hat“ (5. Mose 20,1617). Solche Anweisungen Gottes können uns Christen, die wir an die ganze Bibel als Gottes Wort glauben, in Erklärungsnot bringen, wenn Außenstehende uns fragen, wie wir heute noch ein solch grausames Gottesbild predigen können.

Ein Grundproblem Dass Gott als Schöpfer und Weltenrichter handelt, wird den meisten Menschen vielleicht noch einleuchten. Um seinen Zorn auszuführen, bedient sich Gott verschiedener Mittel wie etwa Krankheiten (vgl. 1. Samuel 5,6-12), Engel (2. Könige 19,35) und wilder Tiere (2. Könige 17,25-26). Diese Dinge erregen noch nicht soviel Anstoß. Problematisch wird es jedoch dann, wenn Gott Menschen befiehlt, andere Menschen zu töten, vor allem ganze Völker, wie eben bei der Landnahme Kanaans. Denn dort entsteht für uns das Bild, dass Gott wie ein Auftraggeber eines Auftragskillers daherkommt, der seinem Auftragskiller eine Waffe und ein Bild des Opfers in die Hand drückt und ihn mit dem Befehl entlässt: Hier, nimm diese Waffe und töte alle, die ich dir nenne! Solche Befehle sind für uns vor allem deshalb schwer verdaulich, da wir heute religiös motivierte terroristische Anschläge aus den Nachrichten kennen und sie als neutestamentliche Gläubige ablehnen. Als Deutsche brauchen wir nur einen Blick in unsere Vergangenheit

zu werfen, um an die grausigen Verbrechen der Nazis an den Juden und anderen Völkern erinnert zu werden. Als Christen, die wir daran glauben, dass Gottes Wort die Wahrheit ist, müssen wir bekennen, dass Gott tatsächlich Mose und Josua den Befehl gab, die Kanaaniter auszurotten. Doch im Folgenden möchte ich sieben biblische Einwände gegen den Vorwurf eines einseitigen Gottesbildes aufzeigen, die dir helfen sollen, den Zorn Gottes im Alten Testament im richtigen Licht zu sehen.

Der Zorn Gottes ist der Zorn unseres Schöpfers So befremdlich der Befehl an Mose und Josua uns auch erscheinen mag, so müssen wir uns zuerst vor Augen halten, dass sie ihren Befehl nicht von irgendeinem menschlichen Herrscher erhielten oder ihnen die Idee zu diesem Feldzug selber in den Sinn kam, sondern dass Jahwe, der Schöpfer von Himmel und Erde, ihnen diesen Auftrag erteilte. Verständlicherweise gefällt uns dieses Gottesbild nicht, dass Gott souverän über unser Leben verfügen kann. Doch die Bibel spricht eine eindeutige Sprache. So lesen wir in Daniel 4,32: „Und alle Bewohner der Erde sind wie nichts gerechnet, und nach seinem Willen verfährt er mit dem Heer des Himmels und den Bewohnern der Erde. Und da ist niemand, der seiner Hand wehren und zu ihm sagen könnte: Was tust du?“ Alle Nationen sind für Gott wie ein Tropfen Wasser an einem Eimer oder wie Staub auf einer Waage (Jesaja 40,15-17). So wie der Ton in der Hand des Töpfers ist, so sind wir Menschen in der Hand Gottes (Jeremia 18,6). Gott kann mit uns verfahren, wie Er es für richtig hält. Wenn Gott also in Seiner Souveränität, Allmacht und Weisheit beschließt, dass Er Gericht über ein Volk bringen möchte und als Instrument Seines Zornes ein anderes Volk gebraucht, dann kann Ihm niemand daraus einen Vorwurf machen. Dieses Recht hat Er als unser Schöpfer. Mit diesem Gedanken können einige vielleicht noch mitgehen. Schwierig wird es dort, wo Gott – nach ihrer Auffassung – unschuldige Menschen straft. Doch entspricht das der Realität?

Der Zorn Gottes richtet sich gegen Sünder Gottes Zorn richtet sich immer gegen Sünder und niemals gegen unschuldige Menschen (vgl. Römer 1,183,20). Wir scheinen zu denken, dass die Kanaaniter ruhig und friedlich in ihrem Land lebten und keiner Fliege was zuleide taten und dann ganz plötzlich Israel über sie kam und ihnen den Prozess machte. Dabei hatten die Kanaaniter den Israeliten überhaupt nichts getan. Was für ein Recht hatten sie also, ihnen ihr Land gewaltsam wegzunehmen? Lesen wir die Bibel oberflächlich, könnte man zu solch einer falschen Schlussfolgerung kommen. Doch die Bibel erklärt uns Gottes Gerichtshandeln an den Kanaanitern. Gott sagte Abraham vierhundert Jahre vor der Landeinnahme, dass es eines Tages dazu kommen würde: „Und er sprach zu Abram: Ganz gewiss sollst du wissen, dass deine Nachkommenschaft Fremdling sein wird in einem Land, das ihnen nicht gehört; und sie werden ihnen dienen, und man wird sie unterdrücken vierhundert Jahre lang. Aber ich werde 21


die Nation auch richten, der sie dienen; und danach werden sie ausziehen mit großer Habe. [...] Und in der vierten Generation werden sie hierher zurückkehren; denn das Maß der Schuld des Amoriters ist bis jetzt noch nicht voll“ (1. Mose 15,13-16). Noch war die Geduld Gottes groß mit der kanaanäischen Bevölkerung und ihrer Schuld. Doch irgendwann würde das Maß voll sein und Gott würde Israel als Instrument Seines Zornes über die Sünde der Bewohner des Landes bringen. Kurz vor der Landeinnahme stellt Gott diesen Punkt besonders klar heraus, damit es zu keinen Missverständnissen kommt: „Wenn der HERR, dein Gott, sie vor dir hinausstößt, sprich nicht in deinem Herzen: Wegen meiner Gerechtigkeit hat der HERR mich hierher gebracht, um dieses Land in Besitz zu nehmen. Denn wegen der Gottlosigkeit dieser Nationen wird der HERR sie vor dir vertreiben“ (5. Mose 5,4). Dass es sich bei dieser Gottlosigkeit um keine Kleinigkeiten handelte, machte Gott an anderer Stelle klar: „Macht euch nicht unrein durch all dieses [Inzest, Homosexualität, Sodomie, Kinderopfer]! Denn durch all dieses haben die Nationen sich unrein gemacht, die ich vor euch vertreibe. Und das Land wurde unrein gemacht, und ich suchte seine Schuld an ihm heim, und das Land spie seine Bewohner aus“ (3. Mose 18,24-25). Gott spielte kein Russisch-Roulette mit den Völkern, wobei die Kanaaniter halt Pech hatten. Nein, Gott strafte ganz gezielt Völker, deren Sünden das Maß für den Zorn Gottes vollgemacht hatten.

Der Zorn Gottes handelt nicht willkürlich Im biblischen Bericht lesen wir sehr deutlich, dass Israel klare Anweisungen in Bezug auf das Gericht über die Kanaaniter erhielt. Bereits vor der Landnahme legte Gott klare Grenzen in Bezug auf die Landnahme fest (2. Mose 23,31). So deutlich der Befehl zur Vernichtung der Kanaaniter auch war, so deutlich betonte Gott auch, wie sich Israel gegenüber anderen 22

Völkern zu verhalten hatte. So verbot Gott Israel unmissverständlich, ihr Brudervolk Edom anzugreifen: „Lasst euch nicht in Streit mit ihnen ein, denn ich werde euch von ihrem Land auch nicht die Breite einer Fußsohle geben! Denn das Gebirge Seïr habe ich dem Esau zum Besitz gegeben“ (5. Mose 2,5). Ebenso durfte Israel nicht gegen Moab und Ammon vorgehen, denn Gott verbot es ihnen (5. Mose 2,8-19). Sollte Israel in Zukunft mit anderen Völkern Krieg führen müssen, so sollten sie zuerst ein Friedensangebot stellen und erst wenn der Kampf unvermeidlich wurde, zu den Waffen greifen (5. Mose 20,10-15). Gottes Zorn entlud sich also nicht willkürlich nach allen Seiten hin, sondern war ganz klar zielgerichtet.

Der Zorn Gottes kennt ebenfalls Gnade Eine bekannte Aussage über den Zorn Gottes im Alten Testament lautet, dass Gott barmherzig und langsam zum Zorn ist. Wir finden diese Aussage insgesamt neun Mal im Alten Testament (Exodus 34,6; Numeri 14,18; Nehemia 9,17; Psalm 86,15; 103,8; 145,8; Joel 2,13; Jona 4,2; Nahum 1,3) und sie ist wahr. Nirgendwo wird das deutlicher als bei Rahab, einer Prostituierten aus Jericho. Jericho war eine der Städte, die unter den Bann Gottes fiel. Wurde etwas mit einem Bann belegt, dann war diese Sache Gott geweiht – meist in einer negativen Absicht, nämlich geweiht oder abgesondert für das göttliche Gericht. Als nun zwei Kundschafter, ausgesandt von Josua, bei Rahab Unterschlupf fanden, flehte diese um Gnade für sich und ihre Familie. Interessant dabei ist ihre Erkenntnis der Situation: „Ich habe erkannt, dass der HERR euch das Land gegeben hat und dass der Schrecken vor euch auf uns gefallen ist, sodass alle Bewohner des Landes vor euch mutlos geworden sind. Denn wir haben gehört, dass der HERR das Wasser des Schilfmeeres vor euch ausgetrocknet hat, als ihr aus Ägypten zogt, und was ihr den beiden Königen der Amoriter, dem Sihon und dem Og, an denen ihr den Bann vollstreckt habt.

Als wir es hörten, da zerschmolz unser Herz, und in keinem blieb noch Mut euch gegenüber. Denn der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde“ (Josua 2,9-11). Diese götzendienerische Prostituierte erkannte, wer der wahre Gott ist, wandte sich von ihrem Volk ab und flehte um Gnade. Und sie wurde ihr gewährt. Rahab dient im Neuen Testament als ein Vorbild des Glaubens (Matthäus 1,5; Hebräer 11,31; Jakobus 2,25). Wenn Gott ihr bereitwillig Gnade schenkte, dann können wir davon ausgehen, dass jeder andere auch in den Genuss dieser göttlichen Gnade gekommen wäre, wenn er wirklich ernst darum gebeten hätte.

Der Zorn Gottes traf Israels Sünde gleichermassen Auch wenn Israel im Falle der Landnahme ein Werkzeug in der Hand des Allmächtigen war, so galten doch für die Israeliten dieselben Regeln wie für alle anderen Menschen auch: „Die Seele, die sündigt, sie allein soll sterben“ (Hesekiel 18,4). Kritische Bibelforscher sehen das Alte Testament oftmals als israelitische Propagandaschriften, die erst lange Zeit nach den eigentlichen Ereignissen aufgeschrieben wurden und keine verlässliche Geschichtsschreibung liefern. Doch es ist erstaunlich, wie schonungslos auch Israels Versagen geschildert wird und die biblischen Schreiber ihre Sünden aufzeichneten. Ja, sogar während der Landnahme versündigte sich Israel, da ein einzelner Israelit sich nicht an die göttlichen Gebote hielt und damit Verderben über das ganze Volk brachte: Die Söhne Israel werden vor ihren Feinden nicht mehr bestehen können. Den Rücken werden sie ihren Feinden zuwenden müssen, denn sie sind zum Bann geworden. Ich werde nicht mehr mit euch sein, wenn ihr nicht das Gebannte aus eurer Mitte ausrottet (Josua 7,12). Israel hatte keinen Freifahrtschein ins gelobte Land! Nein, sehr schnell zogen sie selber den Zorn Gottes auf sich, wenn sie auch nur im Kleinsten von Seinen Anordnungen abwichen. Im Laufe


der Jahrhunderte häufte sich Israel mehr und mehr Schuld an, bis es selber fällig zum Gericht war. Gott persönlich stellte dem Volk ein trauriges Zeugnis aus: „Und es war widerspenstig gegen meine Rechtsbestimmungen, gottloser als die Nationen, und gegen meine Ordnungen, mehr als die Länder, die rings um es her sind. Denn meine Rechtsbestimmungen haben sie verworfen, und in meinen Ordnungen haben sie nicht gelebt. Darum, so spricht der Herr, HERR: Weil ihr getobt habt mehr als die Nationen, die rings um euch her sind, in meinen Ordnungen nicht gelebt und meine Rechtsbestimmungen nicht gehalten habt, ja, selbst nach den Rechtsbestimmungen der Nationen, die rings um euch her sind, nicht gehandelt habt, darum, so spricht der Herr, HERR: Siehe, jetzt will auch ich gegen dich sein und will Strafgerichte in deiner Mitte üben vor den Augen der Nationen“ (Hesekiel 5,6-8). Israel war schlimmer als die Nachbarvölker geworden und hätte sich noch an ihnen ein gutes Beispiel nehmen können. Doch sie taten es nicht und mussten die Konsequenzen tragen.

Der Zorn Gottes ist nicht die alleinige Ursache für Leid in der Welt Es wäre ein Trugschluss, würde man alleine Israel für sein Vorgehen an den Kanaanitern tadeln. Denn andere Völker aus der Umwelt Israels handelten genauso und das ohne direkten Auftrag Gottes. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Assyrien. Die assyrische Armee stand vor den Toren von Jerusalem und forderte sie zur Kapitulation auf. Um ihnen einen „Anreiz“ dafür zu geben, ließen sie dem Volk verkünden: „Wer ist unter allen Göttern dieser Nationen, an denen meine Väter den Bann vollstreckt haben, der sein Volk aus meiner Hand hat retten können, so dass euer Gott euch aus meiner Hand retten könnte?“ (2. Chronik 32,14). Auch die anderen Völker kannten den Bann und gingen militärisch gegen fremde Völker vor und hinterließen

Zerstörung und Blutlachen. An dieser Stelle ist es noch sinnvoll, sich die damaligen Gepflogenheiten bewusst zu machen. Alttestamentler weisen darauf hin, dass damals Übertreibungen in Bezug auf Militäroperationen geläufig waren. So schreibt Eva Dittmann: „Wenn diese Berichte Formulierungen verwenden, die andeuten, dass neben den Männern der Stadt auch Frauen und Kinder getötet wurden (z. B. 5. Mose 2,34; 3,6), geht es dem Schreiber weniger um Alter und Geschlecht der Opfer, als vielmehr um den Tatbestand, dass die jeweilige Stadt vollkommen eingenommen und alle Bewohner getötet wurden, die nicht rechtzeitig geflohen sind.“ Ein weiterer Grund, warum wir heute Mühe mit den Feldzügen Israels haben, ist dieser, dass wir heute als neutestamentliche Gläubige in einer völlig anderen Situation als Israel zur Zeit Josuas leben. Israel war damals eine nationale Einheit, ein Volk mit Gott als oberstem Herrscher. Israel brauchte, wie jedes andere Volk, ein Land, das auf einer Landkarte markiert werden konnte. Israel brauchte, wie jedes Volk, ein Militär. Die christliche Gemeinde heute besteht eben nicht mehr nur aus einem Volk, sondern setzt sich aus allen wahren Gläubigen aus allen Völkern zusammen.

Gottes Zorn schafft Gerechtigkeit in dieser Welt Die meisten Schwierigkeiten mit dem Zorn Gottes im Alten Testament rühren wohl daher, dass wir oftmals nicht das ganze Bild sehen und schnell zum Urteil kommen, dass Gott ungerecht sei, dass Er impulsiv und nicht fair handle. Wie wir gesehen haben, ist das nicht der Fall. Gottes Zorn steht immer im Einklang mit Seinen anderen Eigenschaften wie Seiner Liebe, Seiner Gerechtigkeit und Seiner Gnade. Stellen wir uns einen Gott vor, der nicht zornig wäre, einen Gott, der ausschließlich Liebe ist.

Wollen wir wirklich so einen Gott? Könnten wir einem solchen Gott wirklich unser Leben anvertrauen? Wenn wir den Zorn Gottes aus der Bibel streichen wollten, dann hätte das zur Folge, dass Sünde ungestraft bleiben würde – und das will niemand. Zumindest dann nicht, wenn er selber Opfer von Sünde geworden ist. Jeder von uns möchte gerecht behandelt werden. Jeder sehnt sich nach Gerechtigkeit und der Gott der Bibel garantiert uns, dass es eines Tages volle Gerechtigkeit im Universum geben wird. Er wird dafür sorgen. Wenn Gott zornig ist, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass er gegen Leid und Zerstörung in dieser Welt aktiv vorgeht. Denn das ist das Resultat von Sünde. Wenn Gott seinem Zorn freien Lauf ließ, dann nur deshalb, weil er gewisse Dinge liebte, die er mit aller Macht verteidigen wollte. Als Christen wissen wir, dass wir ebenfalls Gottes Zorn verdient haben, weil auch wir Sünder sind. Keiner von uns kann mit ehrlichem Gewissen von sich behaupten, dass er eine reine Weste habe, die ihn vor Gottes Zorn bewahrt. Nein, sondern wir haben unseren Frieden mit Gott, weil wir auf Jesus Christus vertrauen, von dem Paulus schreibt: „Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“ (2. Korinther 5,21). Deswegen wollen wir den Sohn Gottes erwarten – Jesus, der uns rettet von dem kommenden Zorn (1. Thessalonicher 1,10).

Andreas Münch (*1984) ist Ehemann und Pastor der„ MBG-Lage. Zudem Autor des vielbeachteten Buches »Der wahre Gott der Bibel«. Andreas auf Twitter: @AndreasMuench

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JOSIA Rubrik für junge Leute

Wahre Reformation ... bekämpft Falsches!

F O T O : © E R I C B O W L E Y – S T O C K S Y. C O M / E K B O W L E Y

Text: Jochen Klautke – Foto: Eric Bowley


Im ersten Teil über König Josia und wahre Reformation haben wir gesehen, dass es wichtig ist, nicht zuerst bei anderen nach Fehlern zu suchen, sondern bei sich selbst anzufangen. Josia zog nicht sofort los, um eine Erneuerung in seinem Gebiet durchzusetzen, sondern nahm sich stattdessen ganze vier Jahre lang Zeit, um Gott zu suchen.

I

m zweiten Teil dieser Reihe werden wir sehen, was Josia nach den vier Jahren tat. Grundlage sind weiterhin die Berichte in 1. Könige 22-23 (diesmal besonders 23,4-20) und 2. Chronik 34-35 (diesmal besonders 34,3-7). Dabei ist zu beachten, dass der Bericht im zweiten Königebuch nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet ist. Wenn ihr wissen wollt, welche Dinge Josia zu welchem Zeitpunkt getan hat, solltet ihr euch an dem Bericht im zweiten Chronikbuch orientieren.

Gott hasst die Sünde. Gott ist unendlich zornig über die Sünde. Das ist für dich wahrscheinlich nichts Neues – gerade wenn du schon die anderen Artikel in diesem Heft gelesen hast. Aber ich glaube, wir können uns manchmal gar nicht vorstellen, wie zornig Gott über die Sünde ist. Irgendwie haben wir Christen uns daran gewöhnt, dass wir Sünder sind, dass Gott vergibt und dass das so ja irgendwie alles in Ordnung ist. Und das stimmt auch. Dadurch, dass Jesus den Zorn Gottes am Kreuz getragen hat, ist alles gut. Wir dürfen frei sein. Wir dürfen wissen: Mir ist ein für alle Mal vergeben! Allerdings stehen wir jetzt in der Gefahr, den Zorn Gottes über die Sünde zu vergessen. Wir vergessen, dass Jesus unendlich leiden musste, weil Gott so zornig auf uns war. Und je mehr wir das vergessen, desto mehr vergessen wir auch, wie unglaublich wunderbar und unverdient das war, was Jesus für uns am Kreuz getan hatte. Von daher ist es gut, von Zeit zu Zeit das Leben von Leuten zu betrachten, die Gott ausgesucht hat, um seinen Zorn gegen Dinge zu richten, die ihm ganz und gar nicht gefallen. Ein solches Beispiel liefert uns König Josia. Nachdem der junge Regent vier Jahre Gott gesucht und damit die Reformation bei sich selbst begonnen hat, startet er im Alter von 20 Jahren, nun auch seine Umgebung zu reformieren. Dabei benutzt ihn Gott, um seinen Zorn über die Sünde und den Götzendienst des

Volkes deutlich zu machen. Aber selbst in dieser Situation ist Gott immer noch gnädig. Er richtet sich nicht gegen die sündigen Menschen persönlich, sondern vielmehr gegen das, was diese Menschen in ihrer Sünde errichtet haben. Wir wollen uns diese Zeit in Josias Leben anschauen und anschließend die Frage stellen, was wir daraus für unser Leben heute lernen können.

Die Ausgangslage: Unfassbare Gottlosigkeit Die Tatsache, dass das Volk Gottes in Josia einen König hatte, der mit seinem ganzen Leben auf Gott ausgerichtet war, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Volk selbst immer noch genauso tief im Götzendienst steckte wie all die Jahrzehnte zuvor. Ausführlich berichtet uns die Bibel, was die Israeliten so alles taten. Was wir da lesen, raubt uns stellenweise den Atem. Das war immerhin nicht irgendein Volk. Es war Gottes Volk, zu dem Gott einmal gesagt hat, dass sie Ihm ein heiliges Volk und ein Königreich von Priestern sein sollen. Dennoch beteten sie den Baal und die Aschera an – zwei Gottheiten, die die ungläubigen Völker um sie herum verehrten. Das alleine ist ja fast schon ein gewohntes Bild im Alten Testament. Aber die Tatsache, dass die Götzentempel direkt vor und die Götzenstatuen sogar im Tempelgebäude standen, ist selbst für die Tiefpunkte des Alten Testaments erschreckend. Wir lesen auch, dass die Menschen in ihren „Gottesdiensten“ ihre Kinder durchs Feuer gehen ließen und sie anschließend dem Gott Moloch opferten (2. Könige 23,10). Daneben bauten sie kultische Bordelle, die sie anderen Göttern widmeten. Vor allem die Tatsache, dass sie diese Einrichtungen nicht irgendwo, sondern ausgerechnet an der Rückwand des Tempels errichteten, lässt uns den Atem stocken. Wenn man es auf den Punkt bringen will, kann man sagen, dass das Volk Gottes sich alle religiösen Handlungen aus den Völkern in ihrem Umfeld ansah und jeweils die schlimmsten für sich selbst übernahm. 25


Die Antwort: Josias Götzenvernichtung Wie reagierte Josia auf diese erschreckende Situation? Die Bibel sagt uns nicht im Einzelnen, was Josia dachte. Aber sie beschreibt uns, was er tat: „…und im zwölften Jahr fing er an, Juda und Jerusalem von den Höhen und Ascheren und den geschnitzten und gegossenen Bildern zu reinigen“ (2. Chronik 34,3b). Direkt vorher lesen wir von den vier Jahren, in denen Josia Gott suchte. Der König zeigt hier etwas, was im Prinzip automatisch passiert, wenn ein Mensch Gott sucht. Seine Perspektive auf die Dinge dieser Welt gleicht sich immer mehr der Perspektive Gottes an. Und so sieht Josia den schrecklichen Götzendienst um sich herum und er wird zornig – genau wie Gott zornig auf diese Entwicklungen ist. Aber nicht nur das. Er beschließt auch etwas dagegen zu tun und zieht los, um dem Götzendienst ein Ende zu machen. Dabei fallen verschiedene Dinge auf, die Josias Götzenvernichtung kennzeichneten: Josia ging erstens unglaublich gründlich vor. Er zerstörte nicht nur die Götzenstandbilder, sondern er zermalmte sie zu Staub. Er zerstörte die Altäre nicht einfach, nein er entweihte sie, indem er Menschengebeine über sie ausbreitete. Die Gründlichkeit, mit der Josia vorging, zeigt, dass er verstanden hatte, wie ernst es Gott mit der Sünde war und ist. Zweitens sehen wir, dass Josia sehr umfassend vorging. Er beschränkte sich nicht nur auf die Hauptstadt Jerusalem, sondern zog in seinem ganzen Herrschaftsgebiet von der Stadt Geba bis zur Stadt Beerscheba umher und vernichtete auch dort alle Opferstellen (2. Könige 23,8). Aber selbst dabei blieb er nicht stehen. Man muss wissen, dass Josia nur noch über zwei der ehemals zwölf Stämme des Volkes Israel regierte. Die anderen zehn Stämme waren bereits etwa 80 Jahre vorher von den Assyrern verschleppt worden. Josia regierte also über ein sehr kleines Gebiet, das zudem noch von allen Seiten vom assyrischen Riesenreich umgeben 26

war. Aber genau zu der Zeit, als Josia loszog, um die Götzenaltäre und Statuen zu vernichten, hatten die Assyrer in ihrem Kernland Probleme und fanden nicht die Zeit, sich um Josia und die Israeliten zu kümmern. Und genau das nutzte Josia aus. Er machte an seinen eigenen Grenzen nicht Halt, sondern er zog durch das ganze Gebiet, das Gott seinem Volk einst gegeben hatte und zerstörte auch dort alles, was dazu gedacht war, andere Götter anzubeten (2. Chronik 34,6). Außerdem war Josias Reform drittens rückwirkend. Es ist schon schlimm genug, den ganzen Götzendienst vernichten zu müssen, den Josias Vater und Großvater eingeführt hatten. Aber er musste nicht nur die Bilder seiner direkten Vorfahren zerstören, sondern auch die Götzentempel, die kein geringerer als der eigentlich so weise König Salomo über 300 Jahre vorher hatte bauen lassen (2. Könige 23,13). Josia verschonte also auch nicht die Dinge, an die sich die Leute über Jahrhunderte schon gewöhnt hatten, und die selbst so ein gottesfürchtiger König wie Hiskia nicht angerührt hatte. Denn er wusste eine Sache: Auch wenn der weise König Salomo diese Dinge gebaut hatte, hasst Gott sie und deswegen müssen sie zerstört werden. Das Fazit, das der Erzähler gibt, fasst die Gründlichkeit und die Tiefe, mit der Josia vorging, sehr gut zusammen. Erst als Josia alles im ganzen Land zerstört hatte, kehrte er wieder nach Jerusalem zurück (2. Chronik 34,7).

Dein Auftrag: Kampf gegen das Falsche heute Josia ließ nach seiner persönlichen Reformation als zweites den Kampf gegen das Falsche folgen. Aber was heißt das für uns heute? Wir können uns wahrscheinlich alle etwas darunter vorstellen, was es heißt, Gott zu suchen und so sein eigenes Leben zu reformieren. Aber wie sollen wir heute Josias Beispiel folgen, wenn es darum geht, Falsches zu bekämpfen? Halten wir erst einmal fest: Reformation hat immer etwas da-

mit zu tun, dass man entschieden und radikal das Falsche bekämpft und wenn möglich vernichtet. Aber natürlich sind wir heute nicht dazu aufgerufen, mit dem Schwert loszuziehen. Wir sollen also nicht zum buddhistischen Tempel in unserem Wohnort gehen und dort die Scheiben einschlagen. Es war der große Irrglaube der Kreuzfahrer im Mittelalter, zu denken, dass Christen nachwievor das Reich Gottes mit dem Schwert verteidigen sollen. Aber Jesus und später auch Paulus machen klar, dass im neuen Bund – also in der Zeit, nachdem Jesus auf der Erde war und am Kreuz gestorben ist – die Dinge ein bisschen anders sind. Wir sollen zwar immer noch entschieden gegen das Böse kämpfen, aber eben nicht mehr mit materiellen Waffen, sondern mit geistlichen. Paulus formuliert es so: „Denn unser Kampf richtet sich nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Herrschaften, gegen die Gewalten, gegen die Weltbeherrscher der Finsternis dieser Weltzeit, gegen die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Regionen“ (Epheser 5,12). Es ist ziemlich gut nachvollziehbar, dass materielle Waffen gegen solche Feinde nichts bringen. Und auch wenn wir diese Feinde nicht sehen können, dürfen wir sie auf keinen Fall unterschätzen. Sie sind sehr gefährlich und wenn wir nicht aufpassen, ziehen sie uns von Gott weg, genau wie damals Salomos anfängliche Sünde 300 Jahre später ein ganzes Volk in ihren Sog gerissen hatte. Auch für uns gibt es Waffen und Paulus zeigt sie uns ebenfalls im Epheserbrief. Nur einen Vers nachdem er festgestellt hatte, dass wir einen Kampf gegen unsichtbare, böse Mächte zu kämpfen haben, gibt er uns eine ganze Waffenrüstung an geistlichen Waffen (Epheser 5,13-17). Immer wieder ist das Volk Gottes bedroht durch diese unsichtbaren Mächte. Aber diese Mächte bleiben in unserer Erfahrung oftmals nicht unsichtbar, sondern sie wirken sehr oft durch andere Menschen, durch Bücher oder durch Medien. Egal, wie sie aussehen, sie haben ein Ziel: Dich und deine


Bekämpfe das Falsche in dir selbst und sieh zu, dass du wirklich weißt, was falsch ist! Nicht immer ist automatisch das falsch, was einem nicht gefällt. Falsch sind die Dinge, die Gott nicht gefallen, ganz unabhängig davon, ob du das auch so siehst oder nicht.

Geschwister im Glauben von Gott wegzuziehen. Was ist dann konkret deine Aufgabe – gerade wenn du dich nach Reformation, nach einer Rückbesinnung auf Gottes Wort sehnst? Dieses Thema würde Stoff für ein ganzes Buch bieten, deswegen werde ich nur kurz drei generelle Ratschläge geben, wie das in der Praxis aussehen kann. Aber bevor wir einsteigen, möchte ich dich ermutigen, diesen Kampf anzugehen. Wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr darum geht, nach wahr und falsch zu fragen. „Wahr“ ist das, was für dich wahr ist. Im Umkehrschluss gibt es auch nichts „Falsches“ mehr. Aber das ist nicht biblisch. Die Bibel macht unmissverständlich klar, dass es einerseits Dinge gibt, die gut sind, weil sie Gott gefallen und andererseits Dinge, die schlecht sind, weil Gott sie hasst. Wenn wir jetzt also konkret nach dem Kampf gegen das Falsche fragen, möchte ich dich als erstes an das erinnern, was wir bereits im ersten Teil dieser Reihe über Josia angesprochen haben. Beginne bei dir selbst! Oder um es mit dem Thema dieses Artikels zu sagen: Bekämpfe das Falsche in dir selbst und sieh zu, dass du wirklich weißt, was falsch ist! Nicht immer ist automatisch das falsch, was einem nicht gefällt. Falsch sind die Dinge, die Gott nicht gefallen, ganz unabhängig davon, ob du das auch so siehst oder nicht. Die Waffe, die Paulus dir in der Waffenrüstung dafür an die Hand gibt, ist das Schwert des Geistes, das Wort Gottes (Epheser 5,17). Wenn du dich mit der Bibel beschäftigst, wirst du mehr und mehr erkennen, was vor Gott

falsch und was richtig ist. Auch hier gilt also: Fang bei dir selber an! Nimm das Schwert des Geistes und bekämpfe deine falschen Ansichten und deine falschen Handlungsweisen! Das Zweite, was wichtig ist: Wenn du dich eine Weile intensiv mit der Bibel beschäftigt hast, werden dir natürlich Dinge in deiner Umgebung auffallen, die nicht so sind, wie sie sein sollten. Das ist sehr gut. Aber die meisten von euch werden weder Gemeindeleiter noch Pastoren sein und deswegen ist es ganz sicher nicht eure Aufgabe, sich vorne hinzustellen und von oben herab zahlreiche Änderungen vorantreiben zu wollen. Aber vielleicht seid ihr in der Gemeinde in einem Arbeitsbereich engagiert und ihr seht, dass da etwas nicht so läuft, wie Gott es vorgesehen hat. Dann sprecht diese Dinge an! Es ist viel einfacher, über schlechte Entwicklungen in Gemeinden hinwegzusehen. Aber wohin es führen kann, wenn keiner diese Dinge anspricht, sehen wir an dem langsamen Niedergang des Volkes Gottes in den Jahrhunderten bevor Josia kam. Der dritte Aspekt ist eine Ermahnung: Kämpfe diesen Kampf, aber kämpfe ihn in Liebe und für Gott! Man kann entschlossen kämpfen mit sehr vielen guten Vorsätzen, aber ohne Rücksicht auf Verluste. Ja, Gott ist sehr zornig über Dinge, die in der Gemeinde nicht so laufen, wie er sich das vorstellt. Und da ist es gut und richtig und sogar sehr wichtig, dass du dich daran störst. Aber gerade dann, wenn du nicht in der Gemeindeleitung bist, musst du wissen, wo deine Grenzen liegen und was in der Situation weise ist. Sprich unter vier Augen

mit Verantwortlichen! Sei respektvoll und vor allem handle in der Liebe! Sei dir immer bewusst, dass die erste Adresse für die Bekämpfung falscher Dinge du selbst bist, sonst wirst du ganz schnell selbstgerecht. Und das Wichtigste ist: Sei dir im Klaren darüber, dass es nicht um dich geht, sondern um Gott und seine Ehre! (Fortsetzung folgt) Die Rubrik "Josia" ist ein Beitrag in Zusammenarbeit mit dem "Josia Netzwerk". Mehr Informationen und weitere nützliche Ressourcen und Artikel von und mit dem "Josia Netzwerk" sind hier zu finden: www.josiablog.de

Jochen Klautke (*1988) ist Referendar in Gießen. Nebenbei Theologiestudent and der ART in Hannover. Regelmäßiger Blogger auf josiablog.de

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NACH CHRISTUS Rubrik für Biografien & Kirchengeschichte

Sünder in den Händen eines zornigen Gottes Text: Benedikt Peters

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r1 sprach, von 5. Mose 32,35 ausgehend, über „Sünder in den Händen eines zürnenden Gottes“. Der Inhalt dieser Predigt hebt sich scharf von allem ab, was wir heute gewohnt sind. Der Hauptunterschied besteht hierin: Im Gegensatz zu damals steht in der heutigen Verkündigung nicht mehr Gott mit Seinen gerechten Forderungen und Seiner souveränen Gnade im Mittelpunkt, sondern der Mensch mit seinen Bedürfnissen und seinen Fähigkeiten. Das gilt inzwischen für nahezu die gesamte evangelikale Christenheit und in besonders hohem Maße für charismatische Gruppierungen. Unter Charismatikern werden ja all die Lehren geglaubt und praktiziert, die ein Edwards und Whitefield und ihre Mitstreiter mit Entsetzen von sich gewiesen hätten, wie z.B. die Auffassung, dass es der Mensch in der Hand habe, den Heiligen Geist und Seine Gaben zu vermitteln. Es folgen einige

1 Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „Der Geist der Erweckung“ von Benedikt Peters (Betanien Verlag; 1. Auflg.; 2001).

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Schwerpunkte aus der Predigt Edwards’, die er wie alle seine Predigten im vollen Wortlaut niederschrieb und dann in ruhigem Ton nahezu Wort für Wort wiedergab: 5. Mose 32,35: „Die Rache ist mein; ich will vergelten. Zu seiner Zeit soll ihr Fuß ausgleiten; denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und was über sie kommen soll, eilt herzu.“ In diesem Vers wird die Rache Gottes über ein gottloses Israel angedroht ... Der aus diesem Vers entlehnte Ausdruck, den ich als Überschrift über meine Predigt gesetzt habe, lautet: „Ihr Fuß wird zur bestimmten Zeit ausgleiten.“ Das sagt Folgendes über die Strafe und das Verderben dieser gottlosen Israeliten: 1. Dass sie allezeit dem Verderben ausgesetzt waren, so wie jemand, der auf glitschigem Boden geht, jederzeit in Gefahr steht, zu fallen ... 2. Es bedeutet, dass sie plötzlich und unverhofft verderben werden, so wie jemand, der auf glitschigem Bo- de geht, den Augenblick nicht absehen kann, in dem er fallen wird ... 3. Es bedeutet ferner, dass sie von selbst fallen werden,

I L L U S T R A T I O N : © R O B E R T G R E E N H A L L ( D A L L A S : T H E S O U T H E R N P U B L I S H I N G C O M P A N Y, 1 9 2 0 )

Am 8. Juli 1741 stand die so genannte Große Erweckung in Amerika unter dem Prediger Jonathan Edwards auf ihrem Höhepunkt. An diesem Tag hielt Edwards in Enfield, Connecticut, eine Predigt die ihrer Folgen wegen zu seiner vielleicht bekanntesten geworden ist.


ohne dass ein anderer sie umstößt, so wie jemand, der auf glitschigem Boden geht, nichts außer seinem Eigengewicht braucht, um zu stürzen ... 4. Es bedeutet schließlich, dass die einzige Ursache, warum sie noch nicht gefallen sind und nicht jetzt stürzen, der ist, dass der von Gott bestimmte Zeitpunkt noch nicht gekommen ist; denn es heißt, dass ihr Fuß zur bestimmten Zeit ausgleiten wird. Dann sind sie sich selbst überlassen und fallen, indem sie durch ihr eigenes Gewicht niedergerissen werden. Gott wird sie nicht mehr halten; und sobald Er sie nicht mehr hält, stürzen sie ins Verderben ... Die Beobachtung, auf die ich nun mit Nachdruck hinweisen will, ist die: Es gibt nichts, was gottlose Menschen auch nur einen Augenblick von der Hölle fernhält, als das bloße Wohlgefallen Gottes. Wenn ich sage: das bloße Wohlgefallen Gottes, dann meine ich damit Sein souveränes Wohlgefallen, Sein unumschränkter Wille, der durch keine Verpflichtung zurückgehalten und durch keine Schwierigkeit gehindert wird ... Die Wahrheit dieser Beobachtung kommt in folgenden Betrachtungen zum Ausdruck: 1. Es mangelt Gott nicht an Macht, die Gottlosen jeden Augenblick in die Hölle zu werfen ... 2. Sie verdienen es, in die Hölle geworfen zu werden, sodass Gottes Gerechtigkeit Ihn nicht daran hindert, jeden Augenblick Seine Macht zu gebrauchen und sie alsbald zu verderben ... 3. Sie stehen bereits unter dem Urteil der Verdammnis. Sie verdienen es nicht allein, da hinabgestürzt zu werden, sondern das Urteil des Gesetzes Gottes, jener unwandelbaren Richtschnur göttlicher Gerechtigkeit, steht schon gegen sie ... 4. Sie sind jetzt schon der Gegenstand des gleichen Zornes und Grimmes Gottes, der seinen Ausdruck in der ewigen Pein der Hölle findet. Die Ursache, warum sie jetzt nicht in die Hölle stürzen, ist nicht etwa der, dass Gott ihnen nicht zürnte ... Gott ist nicht so, wie sie selbst sind und wie sie sich Ihn denken. Der glühende Zorn Gottes ist über ihnen, und ihr Verderben schlummert nicht. Die Grube ist gegraben, das Feuer ist bereitet und der Ofen glüht, bereit sie zu verschlingen; die Flammen rasen, das blitzende Schwert ist geschärft und steht über ihren Häuptern, und unter ihnen hat der Abgrund seinen Schlund aufgerissen ...

Der Bogen des göttlichen Zornes ... ist gespannt und der Pfeil ist an die Sehne gelegt, und die Gerechtigkeit richtet den Pfeil auf dein Herz, der Bogen will schier zerspringen, und nichts hält den Pfeil zurück als das bloße Wohlgefallen Gottes, eines zürnenden Gottes, der in keiner Weise dem Sünder verpflichtet ist ... Oh Sünder! Bedenke die große Gefahr, in der du schwebst! Es ist ein großer Glutofen des Grimmes, ein weiter und bodenloser Abgrund des flammenden Zornes Gottes, und es ist Gottes Hand, die dich noch über dem Abgrund hält, aber eines Gottes, den du selbst zu diesem Zorn erregt hast; er zürnt dir nicht weniger als allen, die er bereits ins Verderben versenkt hat. Du hängst an einem dünnen Faden ... und du hast kein Teil

an einem Mittler ... So wird es dir ergehen, der du noch nicht bekehrt bist. Unendliche Macht und Majestät und der Schrecken des allmächtigen Gottes werden an dir erhöht werden durch die unaussprechliche Stärke deiner Qualen ... Und nun hast du eine außergewöhnliche Gelegenheit; es ist ein Tag, an dem Christus die Tür des Erbarmens weit aufgestoßen hat und mit gewaltiger Stimme die Sünder ruft ... Darum wache ein jeder auf, der außerhalb von Christus ist, er wache auf und fliehe vor dem kommenden Zorn. Der Zorn des allmächtigen Gottes steht zweifelsohne über einen großen Teil dieser Versammlung. Es mache sich ein jeder auf und fliehe aus Sodom: „Rette dich um deines Lebens willen, sieh nicht hinter dich und bleibe nicht stehen; rette dich auf das Gebirge, damit du nicht weggerafft werdest.“ Noch bevor Edwards seine Botschaft beendet hatte, ging ein Stöhnen und ein Wimmern durch die Reihen der Zuhörer. Ein Augenzeuge schrieb in sein Tagebuch: „Ging nach Enfield hinüber, wo ich Mr. Edwards von Northampton traf, der eine äußerst aufwühlende Botschaft über 5. Mose 32,35 hielt. Noch vor Ende der Predigt war ein großes Stöhnen und Schreien im ganzen Haus: Was muss ich tun, um gerettet zu werden? Ich fahre in die Hölle! Was soll ich tun, um Christi willen? Daher musste der Prediger innehalten – die Schreie waren durchdringend und erstaunlich. Nach einer Zeit des Wartens war die Versammlung wieder stille, sodass Mr. Edwards beten und dann von der Kanzel steigen und sich mit den Menschen unterreden konnte. An mehreren Seelen geschah in jener Nacht ein verheißungsvolles Werk – und oh, wie froh und wie lieblich sahen die Gesichter derer aus, die Trost empfangen hatten. Möge Gott dieses Werk stärken und bestätigen!“ Joseph Tracy beschreibt den Abend in Enfield mit folgenden Worten: „Edwards predigte. Seine schlichte und bescheidene Art sowohl im sprachlichen Ausdruck als auch in der Vortragsweise verbunden mit seinem Ruf zur Heiligkeit und der Erkenntnis der Wahrheit ließen keinen Verdacht zu, dass er irgendeinen rhetorischen Trick versuchen würde, um die Hörer zu blenden. Er begann in der klaren, sorgfältigen und demonstrativen Weise eine Lehrers, dem viel am Ergebnis seiner Bemühungen liegt und der darauf achtet, dass jeder Schritt innerhalb des fortlaufenden Arguments klar verstanden wird. Sein Text war 5. Mose 32,35. Indem er die Bedeutung dieses Textes Schritt für Schritt entfaltete, brachte die allersorgfältigste Logik ihn und seine Zuhörer zu Schlussfolgerungen, welche die schreckenerregendsten bildlichen Vergleiche nur mangelhaft ausdrücken konnten. Seine furchtbarsten Beschreibungen des drohenden Gerichts ließ sie noch klarer die Wahrheiten erfassen, die zu glauben er sie genötigt hatte. Die Erkenntnis derselben war nicht das Produkt der Vorstellung, sondern ein Teil des logischen Arguments. Das Ergebnis war so, wie man es sich hätte denken können. Trumbull sagt uns: ‚Bevor die Predigt beendet war, schien die ganze Versammlung tief bewegt und von einem furchtbaren Bewusstsein der Sündenschuld und der Gefahr niedergebeugt. Es wurde so laut nach Luft gerungen und geweint, dass der Prediger sich an die Versammlung wenden und sie um Ruhe bitten musste, damit man ihn hören könne.‘“ 29


N E U H E I T E N & S O N D E R A N G E B OT E J E T Z T O N L I N E B E S T E L L E N CBUCH.DE

Evangelikale und die Mystik

Liebevoll Leben

GEORG WA LTER

FRUCHT BRINGEN FÜR DIE EWIGKEIT

DIE UNTERSCHÄTZTE GEFAHR - EIN LEITFADEN ZUR ORIENTIERUNG

Die Mystik – aus dem Heidentum, fernöstlichen Religionen und dem Katholizismus hat enorm an Einfluss unter den Evangelikalen gewonnen. Dieses Buch bietet sich als Nachschlagewerk an, aber auch ein fortlaufendes Lesen ist keineswegs ermüdend, sondern führt deutlich, lehrreich und in erschreckender Weise vor Augen, welch geballter Fülle mystischer Verführungen die Evangelikalen heute ausgesetzt sind. Vielfach werden haarsträubende Hintergründe etlicher Autoren und Repräsentanten aufgezeigt, die auch im deutschsprachigen Raum empfohlen und gefördert werden.

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In diesem höchst brisanten Buch zeigt John MacArthur die unrühmliche Geschichte und Wirkung der charismatischen Bewegung auf. Er ruft eindinglich auf, die falschen Propheten abzulehnen, wahres Leben durch den Heiligen Geist zu fördern und an der Bibel als dem einzigen Maßstab festzuhalten. 175939 – PAPERBACK, 360 SEITEN – € 16,90 (AB FEBRUAR 2014)

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„Der Bogen des göttlichen Zornes ist gespannt und der Pfeil ist an die Sehne gelegt, und die Gerechtigkeit richtet den Pfeil auf dein Herz, der Bogen will schier zerspringen, und nichts hält den Pfeil zurück als das bloße Wohlgefallen Gottes, eines zürnenden Gottes, der in keiner Weise dem Sünder verpflichtet ist.“ Jonathan Edwards


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