Theater Rampe Stuttgart – Im Schatten der Zahnradbahn Vol. 2

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THEATER RAMPE 2013 – 23

HERAUSGEGEBEN VON THEATER RAMPE

IM SCHAT­TEN DER ZAHNRADBAHN VOL. 2

Theater der Zeit











Im Schatten der Zahnradbahn Vol. 2



Trauern heißt, mit einem Verlust zu verweilen und damit zu würdigen, was er bedeutet, wie die Welt sich verändert hat und wie wir selbst uns verändern müssen, unsere Beziehung verändern müssen, um von hier aus vorwärtszugehen. In Wirklichkeit ist es so, dass es keine Möglichkeit gibt, die notwendige, schwierige kulturelle Arbeit von Reflexion und Trauer zu vermeiden. Es ist keine Arbeit, die praktischer Aktion entgegensteht, sondern die vielmehr das Fundament jeder nachhaltigen und informierten Antwort bildet.1

1  van Dooren, Thom / Rose, Deborah: Keeping faith with death: mourning and de-extinction, 2013, ­thomvandooren.org



Inhalt

16 Vorwort 19 Abschiedsworte 21 Proberaum. Das Paradox der ­Veränderung von Sivan Ben Yishai

86 Ein AB-­­SCHIEDS-BRIEF von Moritz Martin

30 Öffentliches Sprechen von Marie Bues

90 RAMPE als H ­ omebase – dem Unerzählten Raum geben von Elke aus dem Moore

35 Hey Rampe, altes Haus von Niko Eleftheriadis

94 Kein Abschied! von ­Jan-Philipp ­Possmann

38 Keine Lösung von Ben El-Halawany

100 Die guten Leute von ­Thorsten ­Puttenat

41 An alle, die da waren, da sind, da bleiben von Martina Grohmann

103 Wir sagen Tschüss von Rampe 23

54 Abschied von ­Dugong von Nina ­Gühlstorff 59 Abschied von der Unver­ bindlichkeit – oder: Für ein ­Theater von morgen von Herbordt/Mohren 65 Ein Abschied von der euklidischen Geometrie, von Kostüm und Form von Nana Hülsewig 69 Erfolgsgeschichte von T ­ anja Krone 77 Abschied nach sieben Jahren von Nicki Liszta 81 Romanze in Moll von ­Markus&Markus Theaterkollektiv

108 Ein sonisches Archiv der ­Möglichkeiten von Fender Schrade 112 Liebe von Franziska Stulle 118 Eulogy to ­Resistance von a ­ rtiom zavadovsky & ­teatru-spălătorie 124 Dear Proscenium von Annika Tudeer 128 KEIN Abschied vom ­Volks*theater von Britta Wente 133 Abschied von Butter von Monika ­Wiedemer

161 Index 180 Mitarbeitende


Vorwort

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danken allen Abschieds-Autor*innen für ihre zugewandten, kritischen, nach­ denklichen und engagierten Beiträge. Wir danken der Fotografin Dominique Brewing, die ihr Archiv für uns sortiert und uns immer mit zärtlichem Blick begleitet hat. Für die konzeptionelle und redaktionelle Arbeit ist Kathrin Stärk zu danken, die mit ihren Ideen, ihrer Risikobereitschaft, ihrer großen Geduld und Beständigkeit dieses Buch mitgestaltet und vorangetrieben hat. Dem Rampe-Team danken wir für die gute Zuarbeit. Unser Dank gilt auch dem Verlag: Nicole Gronemeyer für ihr genaues und mitdenkendes Lektorat, Paul Tischler für seine Offenheit in der Produktion und Harald Müller für seine Verbundenheit. In diesem Sinne: Los. Jetzt geht alles wieder von vorne.

Liebe*r Leser*in,

wir hoffen, dieser Brief erreicht Dich bei bester Gesundheit. Uns geht es gut, doch wir sind ein wenig sentimental. Zehn Jahre lang gestalteten wir – Marie Bues (2013 – 2021), Martina Grohmann (2013 – 2023) sowie Franziska Stulle (2021 – 2023) – als Theaterleiterinnen gemeinsam mit unserem Team das Theater Rampe. In unserer Arbeit reflektierten wir von Anfang an, wie Theater als Betrieb, als Arbeitsgefüge, als Kunstform und als kultureller Ort weiterentwickelt werden kann, und wir versuchten es von Anfang an zu öffnen: für Kollaborationen und ästhetische Prozesse, die nicht immer ergebnisorientiert waren, für transdisziplinäre Experimente, Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft und Initiativen, für Popkultur und soziokulturelle Formate. Es sollte ein Ort für Begegnung und Versammlung sein und ein Ort, der nicht aufhört, sich weiterzuentwickeln: „Wir bleiben am Anfang und wollen immer weiter anfangen“, hieß es da im Vorwort zu unserem ersten Spielplan. „Im Schatten der Zahnradbahn – Vol. 2“ ist die Fortsetzung des Buches, das 2013 zum Ende der Intendanz von Eva Hosemann am Theater Rampe in Zusammenarbeit mit Theater der Zeit erschien. Zu unserem Abschied 2023

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haben wir Freund*innen, Verbündete, kritische Begleiter*innen und Gastkünstler*innen eingeladen, Abschiedsbriefe zu schreiben. Dabei sollte es nicht nur um den erinnernden Blick auf das Theater Rampe gehen, sondern darum, wie sich ihre Theaterpraxis verändern kann und verändert hat, wovon sie sich verabschiedet haben oder verabschieden wollen. Dieser Abschied soll ein Innehalten sein und eine langsame Veränderung anzeigen, kein Ende markieren. Er richtet den Blick zurück und schaut nach vorne. Die versammelten Abschiedstexte und -briefe, in alphabetischer Reihenfolge, geben Einblick in ästhe­tische und kulturelle Positionen und Theaterperspektiven und ragen weit über das Theater Rampe hinaus. Im Index verweisen wir auf Arbeitsfelder, besondere Programme und Kon­ stellationen, von denen uns viele über längere Zeit beschäftigt haben. Auch der Index ist weit davon entfernt, eine Chronik zu sein. Es besteht ausdrücklich kein Anspruch auf Vollständigkeit. Danke an die Gestalter von studio panorama für ihre Bereitschaft, grafische Ordnungen zu übertreten, und für ihren Witz. Sie haben von Anfang an unseren öffentlichen Auftritt inszeniert und die Leserichtung dieses Buchs ringförmig angeordnet. Die Seiten lassen sich in Endlosschleife blättern. Es gibt zwei Titelblätter, und so kannst Du, liebe*r Leser*in, mit der Lektüre da und dort oder ganz woanders beginnen. Du kannst Dich natürlich auch an den Seitenzahlen orientieren. Wir

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Abschiedsworte

I’M TOO SAD TO TELL YOU

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Proberaum. Das Paradox der Veränderung

„Du solltest auf jeden Fall ins k-fetisch gehen!“, war eine der ersten Empfehlungen, als ich vor zehn Jahren nach Berlin kam. Auf der Internetseite des k-fetisch schreiben die Mitglieder des ­Kollektivs: „Wir alle teilen einen feministischen und anti-rassistischen Grundkonsens. Unsere diversen politischen Überzeugungen sind in diesen Laden geflossen und werden auch immer mal wieder neu verhandelt. Unser Anspruch auf Vielfältigkeit bildet sich in der Unterschiedlichkeit unserer Veranstaltungen sowie auch in den wechselnden Buchreihen ab. Wir wünschen uns einen Ort zu ermöglichen, an dem sich möglichst viele Menschen, von Nachbar*in bis ,Szene‘, wohlfühlen. Dazu gehört für uns, möglichst barrierearm zu sein – auch bei den Preisen (…) vor allem – sorgt mit dafür, dass rassistisches, homophobes, sexistisches und anderweitig diskrimi­ nierendes Verhalten hier keinen Platz findet.“ Aber dann erhielt ich am 29. Mai 2020 den folgenden k-fetisch-Newsletter: „Liebe alle, einige von euch wundern sich vielleicht, warum der Laden geschlossen ist. Wir haben von grenzüberschreitendem bzw. sexualisiertem übergriffigem Verhalten von zwei cis-männlichen Kollektivmitgliedern erfahren. In einem Fall handelt es sich um einen Vorfall außerhalb des k-fetisch. Im zweiten Fall handelt es sich um mehrere Vorfälle in- und außerhalb des k-fetisch. Die erstgenannte Person ist aus dem Kollektiv ausgestiegen. Wir sind klar partei­lich und als erste Konsequenz haben wir deshalb die andere Person suspendiert, uns unter anderem externe Unterstützung gesucht und am Donnerstag mit einer Supervision begonnen. Wir halten euch über den Aus­ einandersetzungsprozess auf dem Laufenden. Ein abschließendes Statement erscheint uns zu diesem Zeitpunkt nicht sinnvoll, da wir selbst erst am Anfang der Auseinandersetzung und Aufarbeitung stehen.“ Unwillkürlich dachte ich an jene Welt, der ich entstamme – die Theaterwelt –, und ich fragte mich, ob ich mir darin ein ähnliches Szenario vorstellen könnte. Beim Betrachten des Texts wurde mir klar, dass der kleine

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Kollektiv­betrieb aus der Berliner Wildenbruchstraße mit dieser E-Mail im Grunde das getan hatte, was radikales Theater manchmal schafft: Er hatte sein eigenes System gehackt und in den Automatismus der gut geölten Maschine eingegriffen. Er verschonte sich selbst nicht mit Konsequenzen, im Gegenteil: Er fuhr mit der Lupe über den eigenen Apparat, um dessen verdeckte Mechanismen zu enthüllen, und verwandelte die Funde in einen performativen Bericht, nämlich (1) präzise Offenlegung des Vorgefallenen, (2) öffentliche Aufschlüsselung des Befunds, (3) Durchbrechen der vierten Wand durch Dar­legung des eigenen Entscheidungsfindungsprozesses sowie interner Zweifel, (4) Anhalten des Apparats, Schließung des Ladens, (5) Transformierung der privaten Krise in eine kollektive, gemeinschaftliche, über die transparent berichtet und offen diskutiert werden sollte. Die Schlagworte „feministisch“, „anti-rassistisch“, „divers“, „vielfältig“, „barrierearm“ tauchen oft in Theaterveröffentlichungen auf. Wir erblicken sie gedruckt als Slogans auf Theaterfassaden, wir lesen sie als Bekundungen von Intendant:innen in Interviews, wir hören sie in Diskussionen. Dennoch ist es beinahe unmöglich anzunehmen, dass eine Intendantin eine E-Mail verschickt, die jener ähnelt, die wir gerade gelesen haben, in der die Konflikte und Probleme des von ihr verantworteten Theaters offen erläutert werden. Es fällt schwer, sich eine Situation zu vergegenwärtigen, in der eine Person in einer Machtposition ohne Druck darauf bestanden hätte, die intimen Mechanismen und unreinen Ecken des eigenen Hauses freizulegen. Und das ist es im Prinzip, was das k-fetisch mit dem kurzen Text getan hat. Indem sie aus freien Stücken von den Vorfällen im eigenen Kollektiv berichteten, hinterfragten sie, was wir von öffentlichen Räumen eigentlich erwarten sollten. Sie fragten, welchen Integritätslevel die Leiter:innen dieser Räume uns, ihren Communitys, schuldig sind. Und während Theaterinstitutionen im Dauer-Lockdown einfach weiter­ machten, Premieren und noch mehr Premieren zu produzieren, zeigte diese einfache Aktion des k-fetisch, dass Theater überall stattfinden kann: auf einer Bühne, einem Bildschirm, in unserem Maileingang. Mit dieser performativen Aktion sagten sie: Jeder Raum hat das Potential, ein Theaterraum zu werden. Jede Situation könnte sich in ein politisches Laboratorium verwandeln. * Ähnlich einem Labor könnte uns alles, was in einem Theaterraum geschieht, etwas über die Außenwelt erzählen. Der Raum wird zu einer Art ‚Keimzelle‘, bestehend aus Körpern, Konventionen, Anwesenden, Abwesenden, Sprachen, Dynamiken, Traditionen, Regeln und Ritualen – alles zusammengeballt; dieses ‚genetische Material‘ könnte uns dabei helfen, den Gesamtkörper, den Makroorganismus zu verstehen. Indem wir in diesen mikroge­ ne­tischen Kosmos hineinzoomen, indem wir die Dynamiken in diesem Raum verfolgen und betrachten, erhalten wir Zugang zum Makrokosmos, zu unseren drängendsten gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen.

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Ich glaube, jeder Raum hat das Potential, das zu tun: ein investigatives, kritisches Theater zu werden. Wie das k-fetisch demonstriert hat, benötigen wir nicht wirklich eine Bühne, eine Ausbildung oder einen physischen Raum, um mit unserem Publikum zu interagieren. Nötig ist nur, dass wir die Grenzen des Raums erkennen, dass wir die Grenzen der Diskurse erkennen, die in dem Raum geführt werden. Nötig ist nur, dass wir versuchen, vorauszusehen, wo die erste Wand auftauchen wird. Das erste Stoppschild. Wenn eine Performance „die vierte Wand durchbricht“, ihr Publikum wahrnimmt, ihre Mechanismen offenlegt – dann tut sie das nicht nur einmal. Sie tut es immer und immer wieder während der gesamten Aufführung. Der Grund dafür ist, dass, sobald eine Wand zwischen den Performer:innen und dem Publikum durchbrochen worden ist, sich sofort eine andere Wand aufrichtet. Der Abbau einer Wand wird immer eine neue zum Vorschein bringen. Denn es gibt eine fünfte und sechste Wand, es gibt eine siebte und achte und neunte Wand, und diese Wände nehmen an jeder menschlichen Kommunikation teil, prägen jede Sprache und schmieden jede Kultur. So wie das k-fetisch es mit seiner E-Mail getan hat, werden Mauern meist dadurch eingerissen, dass man sie anspricht, sie enttarnt, den Nebel ver­streut und sie benennt: indem wir betonen, worüber wir sprechen – aber auch, worüber wir nie sprechen. Indem wir deutlich machen, auf welchen Themen wir bestehen – aber auch, bei welchen Themen wir dazu neigen, sie zu ignorieren. Indem wir die Reformen aufzeigen, die der Raum durchlaufen hat – aber auch seine ‚No-Go-Areas‘, die Punkte, an denen die Diskussionen im Raum eher zum Verstummen gebracht werden. Wände einzureißen ist die Quintessenz performativen Denkens, die Quint­essenz des Theatermachens. Es berührt die Grundfesten unserer persön­lichen und kollektiven Erziehung, es stellt die weiß-suprematistischen, patriarchalen Elemente infrage, die in unserer Erziehung verankert sind. Nicht viele von uns wurden in demokratische Familien hineingeboren. Nicht viele von uns wurden dazu ermuntert, ihre Stimme zu erheben, das Schweigen zu durchbrechen, Alternativen anzubieten. So werden wir oft wortlos aufgefordert, „unser Ding subversiv zu machen“, aber bitte, ohne Extra-Lärm, und bitte, nicht gegen die Regeln verstoßen, und bitte, nicht die Stille stören. Und diese unausgesprochene Aufforderung könnte auch in Räumen kommen, die dafür bekannt sind, dass sie traditionell „die Stille stören“ (nehmen Sie diesen Raum als Beispiel), sie könnte auch in Räumen präsent sein, die auf Widerstand basieren, die sich selbst als „radikal“ definieren (nehmen Sie diesen Raum als Beispiel). Dieser Raum hat ein Erbe, dieser Raum hält an Traditionen fest, dieser Raum hat eine Tradition. Und hier kommt der Haken: Wo immer es eine Reihe von Ritualen gibt, wo immer es eine lange Tradition gibt – genau dort wird eine Reihe von Wänden erwartet zu erscheinen. Sie zu durchbrechen? – Wäre in der Regel ein Eingriff in die gute Ordnung des Geschehens. Ein absichtsvolles, kontrolliertes ‚trouble-making‘.

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* „Man muss so handeln, als wäre es möglich, die Welt radikal zu verändern. Und das muss man ständig tun“, schreibt Prof. Angela Davis. Ständig. Die ganze Zeit. Mit jeder Person. In jedem Kontext. Bei jedem Familienessen. In jedem Wartezimmer. Auf jeder Bühne. Und das ist es, was das Theater tut. Oder tun sollte. Das Theater soll die Gesellschaft hacken, in der es agiert, aber mehr noch, es muss sich selbst hacken und wieder hacken, indem es eine Wand durchbricht, und dann noch eine Wand, und wenn alle müde sind: noch eine Wand, und wenn alle ihren Weißwein und Smalltalk genießen wollen: noch eine Wand. Denn noch einmal: Was ein Theater aus einem Raum macht, ist nicht seine Finanzierung, nicht seine Ausstattung, nicht seine Preise – sondern die Weise, wie es den Raum hackt, wie es mit der Zeit arbeitet, wie es der Innovation Raum gibt oder sie blockiert, wie es Konflikte austrägt oder sie zum Schweigen bringt. Die Weise, wie es aus jedem Moment, aus jedem Vorgang, aus jedem Raum ein Labor, ein Theater, ein investigatives Theater macht. Ein Labor, wenn es beschuldigt wird, ein Labor, wenn es gefeiert wird, ein Labor, ein Theater, der sicherste Ort – und doch immer dialektisch-kritisch, immer bereit für eine investigative Aktion: eine gesellschaftliche und politische ‚Keimzelle‘. Tatsächlich ist es ziemlich leicht, die Spannungen zu sehen, die im Theater­saal arbeiten: Die Spannung zwischen Kunst und Macht, zwischen Innovation und Institutionen, zwischen Generationen, zwischen verschie­ denen Arten von Verletzlichkeit, zwischen ungleichen Graden von Privilegien. Was bedeutet, ein Labor aus diesem Raum, aus diesem Augenblick, zu machen? Es bedeutet, denke ich, geradeheraus zu fragen: Was könnte uns eine nähere Untersuchung dieser Versammlung und ihrer Dynamiken ­darüber verraten, wie wir in Theatern arbeiten? Über die Welt, die sie umgibt? Was könnte dieser Raum uns lehren über die Schlüsselfragen unserer Zeit und darüber, auf welche Weise wir uns ihnen nähern? Könnten wir diesen Raum als Blutprobe betrachten, könnten wir „sowohl der Wissenschaftler als auch die Ratte sein, die er für seine Forschung aufschlitzt“, um den Schriftsteller und Fotografen Hervé Guibert zu zitieren? Gleichzeitig die Ärztin und die Patientin? Was könnten wir lernen, wenn wir den Scheinwerfer auf unsere Gesprächskultur hier richteten? Welche Skalpelle würden wir verwenden, um die Dynamik in diesem Raum zu sezieren? Könnten wir jene Inhalte hören, die unbesprochen bleiben? Alle diese Fragen zeigen uns, auf einen kurzen Nenner gebracht, warum die Kunst der Begegnung auch noch im 21. Jahrhundert für uns als politisch denkende Menschen so entscheidend ist. Es zeigt uns wieder, warum es in Zeiten, in denen jede Begegnung ein kalkuliertes Risiko ist, wirklich darauf ankommt, zusammenzukommen, einen Raum zu teilen und seine Dynamik zu analysieren. Theater hat die poetisch-politische Fähigkeit, in der einzelnen Erzählung zu verweilen, im „privaten Fall“ – wissend, dass dieses „Private“ sich

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immer als Erzählung über die Vielen entpuppt. Die Mikroebene ist so eine Erzählerin einer viel größeren Geschichte. Jeder Raum, gleich welcher Art, birgt dieses Möglichkeit – ob genutzt oder nicht –, dieses Potential um­ zusetzen und sich selbst als Modell zu begreifen, als ‚Keimzelle‘, die es zu beobachten und zu analysieren gilt. Wenn Sie mich fragen, warum ich immer noch Theater mache – denke ich, das ist der Grund. Theatermachen heißt intervenieren, heißt, dass jemand beschlossen hat, eine performative Voraussetzung auf einen Raum in der Zeit anzuwenden, und die Mitwirkenden – Zuschauer und Performerinnen – einlädt, die ­Regeln und Rollen, die auf die Wände dieses Raumes tätowiert sind, die in seinen Genen codiert sind, neu zu überdenken; sie einlädt, diese Wände niederzureißen, den Moment zu hacken, Whistleblowing als institutionelle Praxis und Routine. Aber ist das machbar? Mit den Werkzeugen der Herrschaft das Haus der Herrschaft niederreißen, um Audre Lordes berühmte Worte zu verwenden? Letzten Endes, sagt Angela Davis, sind diese Werkzeuge das Einzige, was wir haben. „(Wir müssen) sie benutzen und gleichzeitig infrage stellen“, sagt Davis. „Der Entwicklungsprozess von kritischen Verhaltensweisen – Verhaltensweisen der Selbstbefragung – dieser Prozess endet nie (…) wir lernen darüber, was es bedeutet, Kategorien in Zweifel zu ziehen, die (…) eigentlich den Schauplatz, den Boden, unseres Denkens ausmachen. (…) das in Frage zu stellen, von dem wir vorher nicht wussten, wie wir es in Frage stellen können.“ * Gibt es überhaupt eine Verwandtschaft zwischen dem, wie unsere Institutionen mit ihren Problemen umgehen, und dem Weg, den das k-fetisch gewählt hat, um die vierte Wand des Schweigens zu zertrümmern, die fünfte Wand des ‚Wir‘, die sechste Wand der Scham, die siebte Wand der Angst, die achte Wand des ‚the show must go on‘? Könnten wir in der näheren Zukunft einen Intendanten sehen, der einen E-Mail-Newsletter ähnlich dem des k-fetisch verschickt? Könnten wir uns vorstellen, dass der nächste Bericht über Konflikte und Probleme, die im Theater auftreten, von der Intendantin des Theaters selbst kommt? Inklusive einer sich anschließenden Liste von Schritten, die unternommen werden, um sie zu lösen? Wie bereiten wir die nächste Generation von Intendant:innen und Regisseur:innen vor? Die Generation, die endlich deutlich machen wird, dass ein Theater zu sein nicht nur bedeutet, Aufführungen zu machen, sondern auch den Auftrag an die Institution, eine bessere zu sein? Die Generation der Intendant:innen, die sich selbst und die Institutionen, die sie leiten, radikal der Kritik der Öffentlichkeit stellen? Vielleicht braucht die Kulturwelt nicht unbedingt die Kunstkritik, wie wir sie heute kennen, sondern eine neue Generation von Kritiker:innen, die hartnäckig und entschlossen über die Arbeitskultur in unseren Theatern schreiben, und über ihre Art, Macht zu verwalten und mit Konflikten umzugehen? Denn haben wir in letzter Zeit von einem Theater gehört, das seine Türen für das Publikum schließt, um die Voraussetzungen

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zu überprüfen, die es ermöglichten, dass in ihm wiederholt Missbrauch stattfand? Eine Tür, die für eine Woche geschlossen wird, weil es Rassismus im Theater gibt? Sexismus in den Proben? Homophobe Äußerungen in einer Dramaturgiesitzung? Nicht wirklich, oder? Denn wenn die Türen geschlossen werden müssten, hätten wir ganz wahrscheinlich kein einziges offenes Theater in Deutschland. Aber, hey. Wait a second. Exakt. Die Türen waren geschlossen. Für ein ganzes Jahr – war es möglich. Alles war gezwungen, anzuhalten – es war möglich. Niemand betrat einen Theatersaal – es war möglich. Nach Jahren des Kampfs um Kartenpreise war der Großteil der Online-Events kostenlos, einfach zuschauen – es war möglich. Alles, was keinen Sinn machte, was für naiv gehalten worden war – doch, möglich. Die einzige Schlussfolgerung, die ich daraus ziehen kann, ist, dass es möglich gewesen wäre, aufzuhören, als ein Intendant seine Mitarbeiter:in­nen anbrüllte oder sie sexuell belästigte, und dass dieser Hunger, weiter­zumachen, zu rennen, zu produzieren, mehr zu produzieren, zu beauftragen, mehr zu beauftragen, einfach eine Art ist, die Zukunft zu blockieren. Der Soziologe Markus Pohlmann schreibt in seinem Artikel The Evo­ lution of Innovation: „Organisationen gehen mit Innovationen auf paradoxe Weise um. (…) Soziale Systeme müssen angesichts von Innovationen sehr selektiv vorgehen, um das System am Laufen zu halten. (…) Innovationen sind nicht nur Chancen für Veränderungen, sondern auch Bedrohungen für das Funktionieren eines sozialen Systems.“ So wird innovatives Denken vom Theater in Auftrag gegeben und gleich­ zeitig von ihm abgelehnt. Wird in den Think-Tank des Theaters eingeladen, und dann gebeten, keinen Druck auszuüben. – Und bitte verzeihen Sie mir die wilde, unverantwortliche Spekulation, aber ich kann nur vermuten, dass der gleiche Vorgang auch hier, in diesem Theater, in diesem symbolischen Raum, stattfindet. It always does. Und wissen Sie was? In gewisser Weise – ist das der Plan. Und in gewisser Weise – verlassen wir uns alle darauf. Dieser Raum – wie die meisten Räume – wird mit der einen Hand den Weg freimachen für Begegnung, Entwicklung, Zukunft und Transformation, und mit der anderen Hand den Weg versperren. Dieser Raum will vorankommen, nach vorne drängen, steckt aber fest, wie wir, mit einer alten Story, einem alten Skript in der Hand, inmitten einer abblät­ternden Kulisse, immer wieder gute Absichten bekundend. Mein neuestes Stück, „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?)“, wird die letzte Premiere, das Abschiedsstück am Theater Rampe sein. Der Text ist zugleich Anklage und Liebesbrief an das, was wir tun, nämlich Theater. Inszenieren wird Marie Bues, Rampe-Hauskünstlerin und Regisseurin dreier meiner Stücke, gemeinsam mit Niko ­Eleftheriadis, Stamm-Schauspieler und Regisseur im Theater Rampe in den letzten zehn Jahren – wenn man sich seinen Lebenslauf anschaut, betrachtet man das Theater Rampe selbst. Nikos Arbeiten umreißen den langen Weg, den es gegangen ist, die Veränderungen, die es erlebt hat, seine Höhen,

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seine Tiefen. Was ich damit sagen will: Zehn Jahre Rampe sind nun vorbei, aber wir sind ineinander verflochten: unsere Kunstwerke, unsere Zusammen­ arbeit, verschlungen wie Drähte auf einer Bühne, wenige Sekun­den, bevor das Licht ausgeht. In „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?)“ gibt es eine Beschreibung des Shinto-Schreins in Japan, der traditionell alle zwanzig Jahre abgetragen und von Grund auf wiedererrichtet wird – ein Aus­druck des Shinto-Glaubens an den Tod und die Erneuerung der Natur und der Institution. „Der neue Schrein wird auf einem dem alten angrenzenden Areal w ­ iedererrichtet, ein Prozess, der mehrere Jahre dauert und mit der Umsiedlung der Ahnengeister vom alten in den neuen Schrein endet. Wenn diese Umsiedlungszeremonie abgeschlossen ist, kann der alte Schrein abgebaut werden und der neue Schrein wird zum höchsten Heiligtum. Gänzlich neu, dennoch annähernd 2000 Jahre alt. Nachgebaut bis ins letzte Detail und trotzdem einzigartig.“ 1 Bald gehen die Lichter aus und werden wieder eingeschaltet. Nach einer langen Vorbereitungszeit werden die Verantwortung und die Einrichtungen des Theaters an ein neues Team übergeben, neue Proben werden beginnen und wieder beginnen, nur um zu enden und wieder zu enden – so, wie wir es im Theater machen. Jeden Abend neu beginnen, bei null anfangen, mit ­Hoffnung beginnen; sich selbst zerlegen, um neu aufzubauen, im Grunde, um zu fragen: Wie können wir Gäste statt Eigentümer in unseren Institutionen sein? Wie kann die De-/Rekonstruktion zur eigentlichen Praxis der Institution werden? Wie kann es gelingen, sie immer wieder in Frage zu stellen, neue Sprachen für sie zu finden, sie immer wieder neu zu denken, sie neu zu erfinden, sie zu kritisieren und doch zu schützen, und vor allem: wie kann es gelingen, der Gesellschaft, in der und für die wir schaffen, immer wieder neue Formen und neue Versionen der Zukunft anzubieten, anstatt eine traurige kleine Nachahmung ihrer Mängel zu sein? War es das, was Audre Lorde mit „the masters’ tools“ meinte? Denn – was können wir tun? – es scheint, als ob „… diese letzten Endes das Einzige sind, was wir haben“. Sivan Ben Yishai Aus dem Englischen von Tobias Herzberg

1  „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?)“ von Sivan Ben Yishai, aus dem Deutschen von Maren Kames.

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Der Text „Proberaum. Das Paradox der Veränderung“ entstand als Rede, die Sivan Ben Yishai erstmals am 14. September 2021 hielt. Die Autorin lebt in Berlin und schreibt über Krieg im Frieden, Cappuccino und Tränengas, Papas, deren Zeit vorbei ist, über den gemütlichen Mann und das, wozu er fähig ist. Zum ersten Mal arbeitete Sivan Ben Yishai im Rahmen des Festivals STADT DER FRAUEN* (2018) mit dem Theater Rampe zusammen. Das Auftragswerk DIE TONIGHT, LIVE FOREVER ODER DAS PRINZIP NOS­FERATU (2019) wurde in Koproduktion mit dem The­ ater Lübeck zur Uraufführung gebracht. Marie Bues und Nicki Liszta inszenierten gemeinsam mit einem Ensemble aus Schauspieler*innen und Tänzer*innen. Die Theater Rampe-Koproduktion WOUNDS ARE FOREVER (SELBSTPORTRAIT ALS NATIONALDICHTERIN) (2021) konnte während der Coro­na-Zeit am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt werden. Sie war zu den 47. Mülheimer Theatertagen und den Autor:innentheatertagen am Deutschen Theater Berlin 2022 eingeladen. Lockdown­bedingt konnte die Auffüh­ rung letztendlich nie am Theater Rampe gezeigt werden.

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Bues, Marie

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Öffentliches ­Sprechen

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Die erste Plakatserie, mit der Martina und ich an der Rampe antraten, fragte die Stadtöffentlichkeit: „Wem gehört die Welt?“ Die Frage wurde beant­ wortet – mit vielen gesprayten und gekritzelten Antworten von uns, von Zuschauer*innen, von Kollaborateur*innen, von einer realen Stadtöffent­ lichkeit. Vielfältige bunte Antworten zierten die schwarz-weißen Plakate. Nun nach zehn Jahren stellen wir eine ähnliche, aber spezifischere Frage: „Wem gehört das Theater?“ Diese Frage soll am Ende offenbleiben, kann nur von jede*m/r selbst beantwortet werden, regt hoffentlich an, das Theater als eigenen öffentlichen Raum wahrzunehmen und als diesen für sich in Anspruch zu nehmen. „Wem gehört die Welt“ bis „Wem gehört das Theater“ stellt in der Zeitspanne unserer künstlerischen Leitung zudem die Frage nach einer Deutungs- und Diskurshoheit, nach einer Perspektive, einem point of view, sprich nach einer Autor*innenschaft und ihrer Wirkmacht auf die Erzählung auf der Bühne. Diese Frage hat uns die Jahre am Theater Rampe beschäftigt, fungierte als interne Überschrift und führte zu einer Bandbreite von Erzähl­ formen, Expe­­rimenten und Koproduktionsformaten in sehr unterschiedlichen Projekten. Barack Obama, gefragt von Studierenden, sagte, jetzt von mir sehr frei zitiert: „Wir denken immer, Personen handeln aus profitorientierten oder egoistischen Gründen, oft aber handeln Personen angetrieben von der Macht einer Geschichte, einer wirkkräftigen, identitätsstiftenden Story.“ Die Tradition des Autor*innentheaters, das schon Eva Hosemann und Stephan Bruckmeier am Theater Rampe etabliert hatten, wollten wir fortsetzen, die Frage nach Autor*innenschaft im Theater neu öffnen, formal erweitert stellen. Wo im Autorenfilm der 1950er-Jahre „die Kamera führen sollte, wie ein schreibender Stift“, ein Fokus auf die inhaltliche Positionierung gelegt wurde, so sollten bei uns die Fragen nach der Autor*innenschaft und der Perspektive eines Textes führen: Also liebe Welt, liebes Theater: Wer spricht? Aus welcher Perspektive? Zu wem? Wie funktionieren denkende Gemeinschaften? Und wie formulieren sie sich? Das kleine Theater Rampe hat Freiheit genug für die Suche gegeben: Wir erforschten die Verbindungen von: experimenteller gegenwärtiger

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Theater­praxis und Autor*innenschaft, postdramatischer Textform und ­per­formativer Spielweise und Autor*innenschaft, kollektiven Arbeitsweisen und Autor*innenschaft, interdisziplinären Ansätzen und Autor*innen­ schaft, multiperspektivischen Texten und Erzählweisen. Wir gaben Raum, Arbeits­biografien umzukehren, und wir folgten dem Prinzip Koproduktion. 22 Produktionen habe ich als Regisseurin am Theater Rampe in Zu­ sam­menarbeit mit verschiedenen Autor*innen, aber auch mit Kollektiven, anderen Theatern, Spieler*innen-Teams, Chören und einer Tanzkompanie 172 realisiert. Es ist die Vielfalt dieser Versuche und die Komplexität all der For­men und Theateraufführungen, die dabei herauskamen, die Antwort geben. Wahrscheinlich haben wir an einem multiperspektivischen, textbasierten Gegenwartstheater und der Vielfalt seiner Ausdrucksformen ­geforscht. Mich als Regisseurin hat der ästhetisch konsistente Text genauso interessiert wie der politische Content, der unkonventionelle Einfall, die Spra­che, der Prozess des gemeinschaftlichen Wegs der Erarbeitung einer Büh­nen­ inszenierung und die Freiheit der Interpretation für Spielende und Tanzende. Texte, die offen waren in ihrer Form, und eine Arbeit an den Rändern der Form. Die Selbstständigkeit jedes/jeder beteiligten Künstler*in. Also alles gleichzeitig, immer als eine Art Such­bewegung: eine Art von Gratwanderung, eine Art von Verlorengehen in einem Prozess, von dem ich noch nicht weiß, wo und wie er endet. Das ist der Anspruch. Darin bin ich natürlich Teil der „lernenden Institution“ Rampe, die wir waren. Wie frei wir sein können, haben wir lange lernen müssen, wie wenig erfolgreich wir sein dürfen, wo wir vom Markt profitieren, wo wir uns mit aller Kraft gegen ihn stemmen müssen, um unabhängig zu bleiben, haben wir lange lernen müssen. Wie forschend wir sein dürfen, wie viel „Qualität“ wir aber brauchen und wie viel Dilettantismus wir brauchen. Wie viel mehr an Perspektiven – und auch Ästhetiken, die nicht unsere „eigenen“ sind – wir zulassen müssen: Öffnung haben wir lernen müssen. Und sind noch lange nicht am Ende, gehen nun aber in transformierter Form (weil lernend) einen Schritt weiter und weg, an ein anderes Haus, gemeinsam mit Mazlum Nergiz und Tobias Herzberg, in einem neuen Versuch und Verständnis von Leitung – als Leitungsgruppe. Einmal, als ich verliebt war, bin ich von zu Hause weggegangen und habe am Himmel eine Wolke gesehen, die mir special vorkam. Ich war überzeugt, ich würde noch einmal eine solche sehen und dann wissen, wie der Prozess dieser Liebe ausgehen wird. Oder ein Gefühl von Heimkehr empfinden. Ich habe so eine Wolke aber nie wieder gesehen. So ist es auch mit diesen Prozessen: Man geht einmal los und kommt nie wieder heim … das ist ja das Tolle. Ich danke den Autor*innen, die diesen Versuchen beigewohnt haben, ihre Texte gaben, mit uns teilten (in order of appearance): Anna Gschnitzer, Felicia Zeller, Oliver Kluck, Katja Brunner, Daniel Mezger, Oliver Schmaering, Beate Fassnacht, Rafael Spregelburd, Thomas Köck, Mother T. Rex, Sibylle Berg, Kat Kaufmann, Nicoleta Esinencu, Sivan Ben Yishai, Natascha Gangl, E. L. Karhu, Kathrin Röggla.

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Bues, Marie

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Das Prinzip der Koproduktion bedeutet natürlich, dass hier alle anderen auch genannt werden müssten. Dass wir eben alle im künstlerischen Prozess in jeweils abgezirkelten Bereichen, für die wir verantwortlich sind, auch zu Autor*innen werden. Diese Autor*innen sind die Schauspieler*innen, Produktionsteams, die Techniker*innen und alle, die sich beteiligt haben an dem Prozess und den künstlerischen Setzungen dieser Produktionen. Das ist ja auch das Schöne an der Rampe, dass es sich hier auch vermi­ schen kann, dass jede*r die Grenzen seines Bereichs übertreten und erweitern kann, so dies gewünscht ist. Danke also an alle Spieler*innen, mit denen ich hier arbeitete (no order): Evamaria Salcher, Niko Eleftheriadis, Emma Rönnebeck, Alexander Jaschik, Stefan Wancura, Monika Wiedemer, Katharina Behrens, Jan Jaroszek, Annett Kruschke, Astrid Meyerfeldt, Barbara Behrendt, Patrick Heppt, Janine Kreß, Florence Adjidome, Raimund Widra, Stephanie Schadeweg, Ariel Cohen, Chloé Bellevaire, Andreia Rodrigues, Steven Chotard, Alexander Ebeert, Martina Struppek, Anne Rieckhof, Kristin Göpfert, Florian Stamm, Sarah Bauerett, Jonas Riemer, Karolina Horster, Silvio Kretschmer, Burak Hoffmann, Patrick Schnicke, Tala Al Deen, Sarah Zastrau, Rona Geffen, Nicolas F. Türksever, Samuel Koch, Grazia Pergoletti, Jenia Korolov, Florentine Krafft, Johannes Frick, Marie Ulbricht, Marian Kindermann, Björn Jacobsen, Claudia Wiedemer, Rachel Behringer, Astrid Färber, Heiner Kock, Sophie Pfennigstorf, Will Workman, Klaus Cofalka-Adami, Britta Gemmer, Sarah Siri König, David Krzysteczko, Sascha Tuxhorn, Winston Reynolds, Ariadna Gironès Mata, Isabelle Gatterburg, Anne Haug, Vera von Gunten, Catriona Guggenbühl, Cino Djavid, Andy Zondag, Lilly Bendl, Gonzalo Cruzinha, Melina von Gagern, Dennis Schwabenland, Anton Berman, Kostia Rapoport, Heiko Giering. Und an all die Koproduktions-Kollektive, u. a. teatru-spălătorie, backsteinhaus produktion, Mother T. Rex, Bues/Mezger/Schwabenland, Theaterkollektiv bureau, Monster Truck, Amir Shpilman, Wolfram Apprich, Christina Paulhofer. Ich danke unseren Koproduzent*innen, einladenden Festivals, Institutionen und Theatern: Staatstheater Saarbrücken, Nationaltheater Mannheim, Theater Magdeburg, Theater Lübeck, Kunstfest Weimar, Autor:innen­ theater­tage am Deutschen Theater Berlin, Theaterdiscounter Berlin, BadenWürttembergische Theatertage, Heidelberger Stückemarkt, Schlachthaus Theater Bern, Theater Winkelwiese Zürich, Sophiensæle Berlin, Schauspiel­ haus Wien, Schauspiel Hannover, Kleist Forum Frankfurt (Oder), Kampnagel Hamburg, Lofft Leipzig, Südpol Luzern, Mülheimer Theatertage, Staatstheater Karlsruhe, Neues Theater Dornach, Dramafest México, Tojo Theater Bern, Akademie Schloss Solitude, Sammlung Fröhlich. Marie Bues

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Marie Bues arbeitet als Regisseurin und Kuratorin. Von 2013 bis 2021 leitete sie das Theater Rampe gemeinsam mit ­Martina Grohmann.

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Eleftheriadis, Niko

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Hey Rampe, altes Haus,

jetzt müssen wir uns wohl v ­ erabschieden! Ich bin jetzt auch ständig unterwegs. Griechenland und so. Dort lebt sich’s besser, mit deutschem Geld. Während du dich verabschieden lässt, verabschiede ich mich von meiner Mutter in Griechenland. Spielzeitbeginn! Ich muss wieder nach Deutsch­ land, ArbeitArbeit. Aber hey, so weit liegt das alles gar nicht mehr auseinander. Deutschland beginnt jetzt nämlich schon am mazedonischen Flughafen in Kavala. Da wischt man sich die letzten Abschiedstränen aus dem Gesicht, und wenn der Blick wieder klar ist, steht man mit Rotgesichtigen aus NRW in der Schlange zum Check-in-Schalter. Der griechische Premierminister hat in einer Ansprache stolz verkündet, dass die Tourismuszahlen durch die Decke gegangen sind. Toll. Vielleicht wächst ja alles so zusam­ men, dass ein ganz neues Land entsteht, so sexy wie Griechenland und so stinkreich wie Deutschland! Eine Freundin, die inzwischen so berühmt ist, dass ich sie nicht nennen brauche, meinte letztens zu mir, in wenigen Jahren werde in Griechenland so eine Dürre herrschen, da werde man froh sein, in Deutschland sein zu können! Hahaha … Bei einer meiner Premieren irgendwo im Mitteldeutschen brabbelte der Intendant, schon ordentlich angetrunken, ich zitiere: „Wie gut, dass es den Grexit nicht gegeben hat und Niko uns erhalten geblieben ist.“ Zitatende. Ähm, ja. Lieber mal kein Kommentar. Du siehst, liebe Rampe, es ist ganz schön viel Scheiß unterwegs an Theatern. Ich will mich ja nicht beschweren, ich mach’s ja, das Theater, ich meine, was soll ich sonst tun? In Fabriken arbeiten, wie meine Eltern? Fünfzig Jahre lang? Nein, nein ich mach es jetzt mal weiter, das Theater. Was, unter uns gesagt, liebe Rampe, ein saublödes Geschäft ist. Und trotzdem, nirgendwo habe ich es in den letzten zehn Jahren lieber betrieben als bei dir. Du hast dich stets bemüht, mir ein guter Arbeitsplatz zu sein. Danke! Mensch, jetzt krieg ich fast feuchte Augen vor Selbstrührung. Lassen wir das, Abschiede sind nicht so mein Ding. Meine Kontodaten für das Honorar für dieses Abschiedsschreiben hast du ja, bitte bald überweisen, ja? Tschüss. Niko Eleftheriadis

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Das Theater Rampe hat kein Ensemble, das Theater Rampe hatte Niko Elef­theriadis. Er war als Schauspieler in zahlreichen Insze­ nie­ rungen von Marie Bues und Nicki Liszta dabei. Er weihte mit einer Amazonen-Performance den Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz gegenüber dem Theaterbau ein. Über zwei Jahre lang performte er gemeinsam mit Florian Rzepkowski ein Stand-up-Format in der Stadtbibliothek Stuttgart: UNIVERSALENZYKLOPÄDIE DER MENSCHLICHEN DUMMHEIT (2013 – 2015). Er realisierte am Theater Rampe auch eigene Projekte als Regisseur und Filmkünstler wie ALKESTIS-THEOREM von Izy Kusche, PRINCESS HAMLET (2021) von E. L. Karhu und HAUS DER ANTIKÖRPER: PANDEMIE – EINE WIEDERGÄNGERIN (2020) von Natascha Gangl. Während des Corona-Lockdowns 2020 kümmerte er sich um den Garten und die Post. Er lebt als freier Künstler in Ingolstadt und Petrochori in Griechenland.

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El-Halawany, Ben

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Auch keine Lösung?

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Sein Markenzeichen sind simple Zeichnungen, in denen er komplexe Themen aufgreift. Der Illustrator, Designer und Künstler Ben El-Halawany aka El Bebbe Grande ist aber vor allem ein guter Beobachter. Während seines Studiums an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart jobbte er in der Bar Rakete und beobachtete so über viele Jahre Theatermenschen, Publikum und Tresengäste. Seine Comics sind stets humorvoll, charmant, funky und neben Illustrationen für das ZEIT-Magazin, STERN oder das Glastonbury Festival gestaltete er auch regelmäßig das Monatspro­ gramm der Rakete sowie das Cover der ersten und einzigen Ausgabe des Rampe-Fanzines, das zur Spielzeit 2019/20 erschien. Daneben sorgte er als Kool DJ Bebbe nach Premieren oder im Line-Up des Raketen-Programms immer wieder für einen vollen Dancefloor.

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Grohmann, Martina

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An alle, die da waren, da sind, da bleiben:

Wir sind zu keinem Ende gekommen, geben Unabgeschlossenes und Unge­ ordnetes weiter, wie den barrierefreien Umbau des Hauses, eine finanziell prekär aufgestellte Struktur, die Diversifizierung des Teams, das Ausprobieren einer Theaterpraxis, die sich eng mit der Stadtgesellschaft verbindet. Wir haben vieles angefangen und kein Ende gefunden. Dieser Wechsel in der Theaterleitung und in Teilen des Teams ist kein Aufhören. ­Es ist ein Übergang, ein Weiter so und ein Weiter, aber anders. Es ist ein Abschied von einer Zwischenzeit in die nächste. Das „Wir“, das ich als Absenderin in diesem Abschiedsbrief oft behaupte, ist ein vages und fluides Wir, ein- und ausschließend zugleich. Ich werde es oft nicht weiter bestimmen können. Weil es ungeordnet ist, wie das Gefüge des Theater Rampe. „Wir“ kann das Team der Rampe meinen, das sich in zehn Jahren sehr verändert hat, die Künstler*innen, die hier gearbeitet haben, auch Kollaborateur*innen, Gesprächspartner*innen, Gäste und Besu­ cher*innen. Alle, die kürzer oder länger Teil des Gefüges waren und sind. Das Theater Rampe hat sich weit verzweigt und vernetzt, hat als eine Plattform funktioniert, als ein Produktions- und Koproduktionshaus ­zwischen der lokalen Nachbar*innenschaft und wiederkehrenden inter­na­ tio­nalen Gästen. Seine künstlerischen und ästhetischen Konzepte und ­Prozesse waren sehr breit kuratiert: zwischen Schauspiel, Tanz, Performance, Musik­theater, Konzert, Film, Aktion, Intervention, Installation, Diskurs, 165 Festival. Entsprechend wild sind die Erinnerungen an diese zehn Jahre. Wir 161 haben mit unserer Arbeit nicht nur Theater gemacht, sondern auch an ihm gezweifelt und es vielfach riskiert. Das ließ uns immer weitermachen, gute und schlechte Erfahrungen inbegriffen. Wir haben uns als Institution unterwegs verändert und wir haben gelernt. Rückblickend lässt sich erzählen, wir haben das Theater Rampe als einen Behälter bespielt. Wir haben es als einen Ort des Sammelns und der Auf­be­wahrung erprobt. Also ganz im Sinn der feministischen Science-­ Fiction-­Autorin Ursula K. Le Guin, die im Behälter ein grundlegendes kulturelles Potenzial erkennt und ihn als bedeutendes Werkzeug beschreibt. Diese Erzählung inspirierte konkret unser Projekt TÉCHNE (2016 – 2018) 173

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und lässt sich rückwirkend auch auf das Theater Rampe insgesamt beziehen. 1 Entsprechend sammelten wir Erzählungen und Imaginationen, Perspektiven und kulturelle Potenziale. Vor allem versammelte das Theater Rampe Menschen und setzte sie in vorübergehende, länger- oder kürzer­fristige Beziehungen zueinander: Besucher*innen, Künstler*innen, andere Teilneh­ mende. Jede Theatervorstellung ordnete sie anders an und um. Daraus lässt sich eine weitere Frage ableiten, um die wir kreisten. Die Performance-Gruppe Monster Truck hatte sie mit „Wer da?“ in zwei Worten auf den Punkt gebracht, als sie im Rahmen unserer gemeinsamen 164 Theaterbewegung DISPLAY! die Produktion WHO’S THERE für die Rampe adaptierte. Wer da? zielt auf die Frage der Repräsentation auf der Bühne, also welche Figuren, welche personae treten auf, wer schreibt die Erzählung, wer spricht sie und wer ist Gegenstand der Erzählungen? Wer da? Wer findet den Weg ins Theater? Wer sitzt im Publikum? Wer hat Zugang? Wie wird der Theaterraum zu einem öffentlichen, wie kann das Foyer zu einem offenen Ort werden, wie ein öffentlicher Platz sein? Wer da? fragt, mit welchen Künstler*innen es zusammenarbeitet, wer seine Nachbar*innen sind, wer die Gesellschaft ist, die es imaginiert und in der es wirken will. Und wer ist nicht da? Nicht in diesem Buch, nicht in diesem Brief, nicht in der Rampe oder überhaupt nicht im Theater? Wer ist nicht repräsentiert in Gremien, wer verfügt nicht über Ressourcen, um Theater zu machen, wer wird nicht gefördert und wer entscheidet nicht darüber? Über wen berichten Medien nicht, wer wird nicht sicht- und hörbar? Und schließlich lässt sich fragen, wer ist da in der Organisation, wer 180 arbeitet im Team? Welche Erfahrungen, Biografien, Expertisen, welche Körper kommen vor, welches Wissen ist vertreten? Was ist die Basis für die Entscheidungen über das Programm, über die Arbeitskultur? Wer treibt welche Veränderungen voran? Wer entscheidet über den Einsatz von Ressourcen oder eine neue Theaterleitung? Zum Abschied will ich einige Erinnerungen an das Theater Rampe teilen. Natürlich sind das Fragmente, solche, die sich mir und „uns“ eingeprägt haben in dieser Zeit. Weil sie Einblick geben in Strategien, mit denen wir Übergänge und Zwischenzeiten initiierten, weil sie Versuche beschreiben, das Theater als Betrieb, als kulturellen Ort und als künstlerische Form für die Stadtgesellschaft zu öffnen und weiterzuentwickeln.

Wer da? – im Theater, auf der Bühne und im Publikum Als Marie Bues und ich im Mai 2012 als Leiterinnen des Theater Rampe berufen wurden, war das Haus wie auch wir auf Gegenwartsdramatik

1  Vgl. Ursula K. Le Guin, „The Carrier Bag Theory of Fiction“ (1989).

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spezialisiert. Marie als Regisseurin und ich als Dramaturgin gingen also von einem Autor*innentheater aus und wollten es mit dem Haus, mit dem Ort in Beziehung setzen. Wir fragten, wie sich eine Stadtgesellschaft in das Theater einschreiben kann. Und umgekehrt: Wie sich das Theater in eine Stadt­gesellschaft einschreiben kann. Wir wollten die Position der Autor*in­nen im Theaterbetrieb ausweiten. So arbeiteten wir in vielen Fällen mit Autor*innen schon in der Phase der Stoffentwicklung zusammen, verbanden sie mit Menschen in der Stadt. Wir initiierten Residenzen und Austausch für Autor*innen in Stuttgart, bei denen sie mit der Stadtgesellschaft in Kommunikation treten konnten. Der Arbeitsprozess öffnete sich so bei vielen Projekten für Gespräche und Austausch mit Menschen oder Expert*innen aus der Stadt. Die Autor*innen waren nicht mehr unbedingt Einzelstimmen, ihre Texte entstanden auch im Gespräch und mit Blick auf die Stadt. So haben wir immer wieder versucht, auch die Entstehung von literarischen Textvorlagen als Kommunikations­ akte und als performative Akte zu begreifen. Ein solcher war etwa MODELL­ SIMU­LA­TION MIT PFAU. Anna Gschnitzer entwickelte das Stück im Rahmen eines Ko­operationsstipendiums an der Akademie Schloss Solitude 2015. Sie veranstaltete vier Werkstattabende mit Künstler*innen und Expert*innen zu Themen der Stadtplanung, der urbanen Ordnung und Raumpolitiken, die immer Diskurs und künstlerische Praxis miteinander verbanden und sich mit dem Schreibprozess verschränkten. Wir haben das Autor*innentheater am Theater Rampe als ein erweitertes und offenes begriffen. Neben dem literarischen Text waren PerformanceScores, Choreografien, Raumarchitekturen oder Situationen die Vorlage eines Bühnengeschehens. Neben Schauspiel und Gegenwartsdramatik wurde das Theater Rampe ein Ort für Performance und Tanz und vor allem für die Formate dazwischen. Die Bar Rakete mit Andreas Vogel als Pächter und 171 zugleich Gestalter des Konzert-, Musik- und Nachtprogramms trug wesent­ lich zur Transformation bei. Theater und Party, Hoch- und Populärkultur gingen ineinander über. So prägend dieser Übergang für die Geschichte des Theater Rampe in dieser Zeit war, so sehr war er auch mit Konflikten und Störungen innerhalb des Betriebs und mit der Nachbarschaft verbunden. Miteinander hielten wir einen Widerspruch aus, der vielleicht nur verhan­ delbar und nicht zu lösen ist. Es entwickelte sich ein Ort für zeitgenössisches performatives Theater, den es in Stuttgart trotz seiner erstaunlichen Zahl von Theaterinstitu­ tionen noch nicht gegeben hatte. Und nach wie vor sind die Aufführungs- und Produktionsorte für die freien darstellenden Künste in ganz Baden-Württemberg rar und unterrepräsentiert. Die Bedeutung, die sie für urbane wie rurale kulturelle Entwicklung haben, wird hierzulande bedauerlicherweise nicht angemessen wertgeschätzt. Die Vielstimmigkeit des Theaters sollte sich schon im Foyer erfahren lassen, im ganzen Gebäude ausbreiten und vor allem auch auf das Publikum übertragen und von dort aus in die Nachbarschaft, von der Zacke aus179 gefahren werden und in die Stadt strahlen. So unsere Absicht.

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Einen wichtigen Anteil an dieser offenen Atmosphäre und ihrer Verbrei­ tung hatte studio panorama. Sie übersetzten unser Programm und die Idee einer Kuhlen Rampe visuell und grafisch in öffentliche Kommunikation. Lukas Betzler, Simon Bork und Armin Roth gingen auf Plakaten, Flyern und digital in den Austausch mit der Stadtgesellschaft. Auch diese Kommunikation war Teil der künstlerischen Arbeit und der Performance. Sie begann beispielhaft bereits mit dem Namen und dem Logo. Denn „Rampe“ spielt an auf die Vorderkante eines Bühnenpodests. Das stand im klaren Widerspruch zu unserer Raumbühne, die ohne erhöhte – oder auch erhabene – Bühne auskommt. Außerdem markiert eine „Rampe“ eine räumliche Trennung zwischen Performenden und Zuschauenden, die wir oft übertraten und deren klare Ordnung wir auflösen wollten. Also begannen wir bei der orthografischen Ordnung, spielten mit Fehlern und Korrekturen. Aus dem Logo entfernten wir das A. Andere Buchstaben fügten wir ein: THTR RMPE, THEEEEEEAAA­AATER RRRRRAMPPPPPE, THHHEEATER RAMMMPE etc. Bis heute fragen Besucher*innen oder Nachbar*innen nach dem fehlenden A in der Leuchtschrift an der Außenfassade, teilen uns ihre Meinung dazu mit und hören unseren Erzählungen und Legenden zu. Vor zehn Jahren war es eine gravierende Irritation beim Publikum und Anlass für erste Gespräche. Im Theatersaal begann in vielen Aufführungen ein weiterer Kommu­ nikationsakt. Das Publikum war veranlasst, sich zu bewegen; installative Theaterräume ohne klare Positionierung des Publikums waren ebenso häufig wie eine klare Ordnung. In vielen Inszenierungen wurde das Publikum nicht nur auf sehr verschiedene Weise direkt adressiert, sondern auch zum unmittelbaren Akteur. Das brachte uns zu Beginn den etwas despektierlichen Ruf eines „Mitmach“-Theaters ein. Was uns interessierte, war gerade das: ein miteinander geteilter Raum und das Potenzial, unmittelbar Teil des Theaters zu sein. Ein markantes Beispiel für eine solche Publikumsbeteiligung ist die erwähnte Aufführung WHO’S THERE (REDUX) von Monster Truck 2. Ein*e einzelne*r Besucher*in betritt das Theater vom Bühneneingang aus. Die Per­son findet sich in einem schmalen Gang wieder und steuert auf eine ge­ heimnisvolle Tür an dessen Ende zu. Hinter der Tür steht sie dann allein auf einer Fläche, umgeben von roten Samtvorhängen. Wie von Geisterhand beginnen sich die Vorhänge an drei Seiten abwechselnd zu öffnen und zu schließen. Die offenen Vorhänge geben den Blick auf Tribünen frei, auf denen da und dort Publikum sitzt. Das Publikum schaut der Zuschauerin zu und diese schaut auf das Publikum. Eine Einzelperson im Licht steht einer Gruppe im Dunkel gegenüber. Irgendwann ist der Sound zu Ende, die Vorhänge bleiben offen, der Theaterapparat hat angehalten. Wenn die Person dann die Seiten gewechselt und selbst auf einer Tribüne Platz genommen

2  WHO’S THERE REDUX war die Stuttgarter Version einer Performance, die Monster Truck mit dem Schauspiel Leipzig und mit den Sophiensælen Berlin produziert hatte. Sie wurde im April 2014 in drei mehrstündigen nächtlichen Aufführungen an der Rampe gezeigt.

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hat, setzt sich ­der Apparat wieder in Bewegung. Es schließen sich die Vorhänge wieder, bevor sie sich zum Auftritt der nächsten Zuschauer*in öffnen. Diese Szene lässt das Publikum selbst zur Erzählung und Erfahrung werden, der Apparat bringt eine Begegnung des Publikums mit sich selbst hervor. Und das Publikum wird zum Teil des Apparats.

Wer da? – in der Nachbarschaft Wie adressiert das Theater die separierten Öffentlichkeiten einer Stadt­ gesell­schaft im öffentlichen Raum? Das Spiel mit der Macht von Blickrichtungen und Sichtbarkeiten haben Monster Truck im Mai 2015 in der Aktion SORTIERT EUCH weiterent­ wickelt. Sie bauten eine zunächst leere Tribüne am Schlossplatz und am Marien­platz in Stuttgart auf. Bürger*innen waren aufgerufen, sich selbst Gruppen zuzuordnen und damit Zugehörigkeiten zu bekennen. Auf der entsprechend betitelten Tribüne nahmen sie dann vor einem zufälligen Publikum aus P ­ assant*innen Platz. Da saßen „Süchtige“ und „Homosexuelle“, „Depressive“, „Behinderte“, „Hundebesitzer“ „Jungfrauen“ „Künstler“ oder „Hells Angels“ vor einem zufälligen Publikum aus Passant*innen. Marginalisierte oder dis­kriminierte Positionen waren ebenso vertreten wie solche, die sich selbstbewusst behaupteten. Soziopolitisch zugespitzt ging es um das Wechselspiel von Repräsentation und Repression, Ressentiment und Empowerment, kultureller Teilhabe und Konsum, machtvoller Selbstdemonstration und riskantem Outing. Internalisierte soziale Ordnungen wurden markiert und überaffimiert. Diese Aktion war für Nichteingeweihte nicht als Theater oder Performance erkennbar. Die Aktion durchkreuzte damit Raumpolitik und Zonen der Sichtbarkeit in der städtischen Ordnung. Einzelne Vertreter*innen dieser unterschiedlichen Gruppen wurden im zweiten Teil der Aktion DISPLAY! – DIE SHOW wieder ins Theater ein164 geladen. Sie wurden zu P ­ ro­tagonist*innen einer Aufführung. Im vergleichsweise geschützten Raum des Theaters hatten sie jeweils fünf Minuten Bühnenzeit für ihre persönliche Botschaft, ihr Statement, ihre Geschichte. Zugleich wurde die Gruppen­identität über das persönliche Sprechen und Performen erweitert und zu einer komplexeren Darstellung von Individuen. Ein Spiel mit der Macht der Bühne einerseits, der Macht des Theaterpublikums andererseits blieb es. Während dieser Shows war das Publikum der Rampe so heterogen wie nie. Die Protagonist*innen brachten Zuschau­ er*innen aus ihren Netzwerken mit. SORTIERT EUCH steht beispielhaft für unsere Arbeit im öffentlichen Raum. Es ging immer darum, Kontakt zu einer Stadtgesellschaft in ihrer größtmöglichen Heterogenität zu bekommen. Erfahrungen und Reaktionen im Stadtraum führten uns klar vor Augen, wie wenig repräsentativ die Aufführungen im Bühnenraum, die Diskurse im Theater sein können. Und auch, wie vielschichtig die Barrieren des Theaters sind. Wie Barrieren ­kulturell, sozial, physisch, psychisch, ökonomisch, generational angelegt

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sind und wirken. Wie sie auch mit der Frage von Teilhabe und Gruppenzuge­ hörigkeiten zusammenhängen. Wir zeigten oder entwickelten regelmäßig performative Strategien im öffent­lichen Raum, die seine inhärenten teils gewaltvollen Ordnungen aufstörten. Sie gaben marginalisierten oder nicht sichtbaren Positionen ­Räume der Präsenz und Öffentlichkeit. Sie projizierten andere Handlungsräume, Bewegungen von Körpern, ein anderes Sprechen auf die politisch oder ökonomisch funktionalisierten Zonen der Stadt. So fragten die Aktionen im Stadtraum nach dem Recht auf Stadt, dem Recht auf Mitte. Performances im Stadtraum waren Strategien der Öffnung unseres The­ aters und stellten Versuche dar, die Praxis einer Theaterinstitution zu erweitern. Damit verband sich wiederholt der Versuch, ein einschließendes Theater zu behaupten. Mehrmals spielten wir mit dem verfänglichen und widersprüchlichen Begriff „für alle“. Und wir scheiterten an ihm – oder vielmehr mit ihm. Wir probierten Theater als eine „Herberge für alle“ im VAGA­ BUNDENKONGRESS 2014, ein „Casino für alle“ im EUROPEAN HOUSE OF GAMBLING 2017, eine „Stadt für alle“ in der STADT DER FRAUEN* 2018 und ein „Theater für alle“ im Volks*theater Rampe seit 2019. Mit dem Volks*theater beabsichtigten wir, nicht nur temporär im öffentlichen Raum zu intervenieren. Das Nachbarschafts-Ensemble beteiligt nicht nur Akteur*innen der Stadtgesellschaft, sondern entsteht durch sie. Darüber hinaus sollte es Teil der Rampe, Teil des Programms werden und mit den Ressourcen des Theaters arbeiten. Nicht nur personell hat sich damit das Theater geöffnet, es hat auch seine eigenen kuratorischen Vorstellungen, die ästhetischen Ordnungen und Urteile und seinen Begriff von künstle­ rischer Qualität erweitert. Der Prozess Volks*theater hat abseits der Vorstellungen von einem hoch­kulturellen, experimentellen Expert*innen-Theater ein Theater der Erzählungen aus der Nachbarschaft aufgebaut. Die Ensemble-Mitglieder recherchieren Stoffe, machen ihr eigenes Workshop-Programm, entwickeln Texte, Dramaturgien, Szenen. Sie realisieren Stücke im öffentlichen Raum mit professioneller Beratung und Beteiligung. Die künstlerische Souveränität des Volks*theater Rampe liegt mittlerweile beim Ensemble. Das Theater Rampe sorgt für Finanzierung, fachliche Begleitung und Beratung und den Veranstaltungsbetrieb. Die Entscheidung über Mittelverteilung und Formate wird dabei mit dem Ensemble ausgehandelt. Seit 2020 wurden drei Produktionen im Stuttgarter Süden realisiert. Ein weiteres Projekt im öffentlichen Raum, das wir 2017 mitinitiiert und koproduziert haben und mit dem die Rampe langfristig kooperiert, ist noch deutlich langfristiger angelegt. Und es wird weit über unseren ­Abschied hinaus andauern: das THEATRE OF THE LONG NOW. Ein Theater, in dem eine mindestens hundert Jahre dauernde Performance aufgeführt wird. Die offene Gesellschaft, mit der sich das THEATRE OF THE LONG NOW verbunden hat, ist eine der anderen Arten: Bäume, Gräser, Büsche, der Wind, spazierende Menschen bilden das Ensemble, aber auch das Publikum. ­Zwischen Bühne und Zuschauer*innenraum gibt es keinerlei Unter-

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scheidung mehr. Es ist eine Aufführung, die sich selbst hervorbringt. Die Idee entwickelten die Künstlerinnen Alice Ferl und Stine Hertel ge­mein­sam mit den Architekten Hannes Schwertfeger und Oliver Storz vom Bureau Baubotanik. Eine Brachfläche bildet dieses Theater. Sie grenzt an das Gelände des Kunstvereins Wagenhalle in Stuttgart. Die Brachfläche ist ein Apparat und ein Gefüge, das aus unendlich vielen Akteur*innen besteht, die mit­­ein­ander in Beziehung stehen. Diese Beziehungen als eine Situation, eine Ordnung, einen Prozess oder auch als ein performatives Ereignis wahrzunehmen, ist das Wesen dieses Theaters. Das Pflanzen von Bäumen, die Pflege der Pflanzen, die Sorge, dass diese Fläche weiterhin dem Theater gewidmet ist, all das gehört zur Aufführung bzw. ist sehr langsame Aktionskunst. Als ein Theater im öffentlichen Raum initiiert das THEATRE OF THE LONG NOW zahlreiche Verbindungen in die Stadtgesellschaft hinein. Es gibt eine Zusammenarbeit mit dem Grünflächenamt, mit dem Amt für Stadt­­­ entwicklung, das die Fläche in seinen Stadtteilentwicklungsplänen berück­ sichtigt. Es arbeitet mit dem Kulturamt zusammen, das auch sein finanzieller Hauptförderer ist, und mit der Uni Hohenheim, die die Fläche bota­nisch beforscht. Die Rampe arbeitet mit ihrem Theaterapparat – vom Ticketing bis zur Ver­anstal­tungstechnik – dem THEATRE zu. Es gibt einen Beirat, in dem all diese und ­weitere Akteur*innen organisiert sind und regelmäßig gemeinsam diskutieren. Das Projekt hat auch deshalb so große Aufmerksamkeit und Dringlichkeit, weil es mitten im umkämpften Rosensteinquartier liegt, an das sich große und auch gewichtige Stadtentwicklungsinteressen bzw. städtische Bauvorhaben knüpfen. Diese heterogenen Perspektiven miteinander in ein Gespräch zu bringen, ist ebenso ein Potenzial dieses Theaters. Der Schutz einer Brachfläche und die Idee, dass eine Brachfläche nicht zur Vernutzung freigegeben wird, bekommt im THEATRE OF THE LONG NOW kulturelle Sichtbarkeit. Die Brache als ein Moment der Unterbrechung, der Leerstelle und der Pause, des sich selbst Überlassenen. Des zumindest in der Vorstellung nicht Gestalteten, das – ebenso nur in der Vorstellung – keiner Arbeit bedarf. Das noch nicht gewidmet ist. Ein Raum von offenen Möglichkeiten und eines möglichen Übergangs. Mit diesen Vorstellungen komme ich wieder zurück in den Theaterraum der Rampe.

Wer ist nicht da? Lässt sich auch innerhalb eines laufenden Theaterbetriebs eine Brache ­vorstellen? Eine Brache, die ein anderes Gefüge entstehen lässt? Wie kann sich der Betrieb in einen „Stabilisator der Erwartung“ verwandeln? Wie können wir gänzlich anderen Vorstellungen von Theater zuarbeiten? Gleich in unserer ersten Spielzeit planten wir eine solche Störung des eigenen Betriebs mit ein. Wir veranstalteten im Juni 2014 einen dreiwö­ chigen VAGABUNDENKONGRESS. Wir luden internationale Künstler*innen und ­Aktivist*innen sowie lokale Initiativen ein, das Theater zu bespielen.

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Zu Beginn inszenierten wir die feierliche Übergabe des Hauses. Es war die erste von drei programmatischen Übergaben. Die zweite war die Performance MUND-STÜCK 2: Die Künstler*innen Ant Hampton und Rita Pauls waren im Juni 2019 mit ihrer Performance MUND-STÜCK zu Gast. Sie hatten dafür ein Konzept für das Erlernen einer neuen Sprache entwickelt. Die Lernmethode kannte keinen angeleiteten Unterricht und hatte kein Lehrbuch. Sie ging vom selbstorganisierten Lernen aus. Ant und Rita reisten per Anhalter durch Deutschland, stellten den Menschen, die sie trafen, die Frage: Was sollte einmal gesagt werden? Es war der einzige Satz, den sie auf Deutsch sprechen konnten. Die Antworten nahmen sie auf, ohne sie zu verstehen. Der Text wurde transkribiert und für ihr Stück bearbeitet, zunächst phonetisch auswendig gelernt und schließlich auf der Bühne gesprochen. Dieser Prozess verband sich quasi automatisch mit einem Spracherwerb. Diese Methode des Lernens sowie das Performance-Konzept gaben sie für andere zur Nachahmung frei. Zwei Personen aus dem Publikum meldeten sich bei den Künstler*innen: Die Brüder Amir Natanaeel und Binyamin Mohannad Saadat, hatten davor noch nie auf einer Bühne gestanden. Sie wollten das Konzept der Performance selbst umsetzen. Das Theater Rampe finanzierte die Produktion, Ant Hampton coachte den Prozess und schließlich performten die beiden ihre eigenen Erfahrungen, ihre Reise durch Deutschland und die Texte, die sie gesammelt hatten. Ihre Perspektive als Geflüchtete auf der Reise durch Deutschland brachte gänzlich andere Erfahrungen mit. Die Premiere war ein Jahr, nach­dem sie Ant Hampton und Rita Pauls getroffen hatten, im Juli 170 2020. Seitdem wurden sie zu mehreren Festivals und Gastspielen ein­ge­ laden. Und sie werden weiter damit auftreten. Mit jeder Wiederaufnahme entwickelten sie die Performance weiter, sodass sie sich mehr und mehr von der ursprünglichen Dramaturgie lösten und ihre eigene Inszenierung von MUND-­STÜCK kreierten. Eine geglückte Übung im Loslassen und auch ein Übergang, bei dem Künstler*innen zur Seite treten und anderen einen Zugang in die künstlerische Praxis und auf die Bühne ermöglichen. Die dritte Übergabe ist noch in Planung. Sie trägt den Titel AUSSETZEN. Der Ort, die Kuration, die Infrastruktur des Theaters werden für vier 175 Wochen an das Institut für Künstlerische Postmigrationsforschung und die Künstlerin und Aktivistin Ülkü Süngün übergeben. Wir, das RampeTeam, begleiten sie mit unserer Arbeit, unserem Wissen, unserer fachlichen Expertise, unseren technischen, räumlichen, zeitlichen Ressourcen. Alle Projekte beschreiben Lernprozesse, beschreiben Erfahrungen, die mitunter stolpernde sind, die auch scheitern durften. All diese Projekte waren Entwicklungsschritte, die sich in die Praxis der Institution Theater Rampe eingeschrieben haben.

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Wer da? – in der Institution Das Theater Rampe hat ein kleines Team von rund zwölf Mitarbeiter*innen, die fest angestellt sind und in den letzten fünf Jahren im Wesentlichen ­dieselben geblieben sind. Wie entwickelt sich die Institution selbst weiter? Wie sind hier Veränderungen möglich? Wie kann sie sich öffnen? Wir sollten bei uns selbst beginnen. Bei den Personen, die wir repräsentieren, bei den Organisationsstrukturen, in denen wir arbeiten. Wir haben noch kein Leitbild für unsere Zusammenarbeit zu Papier gebracht. Es gibt noch viel zu tun, wofür keine Zeit mehr bleiben wird. 2021 formierte sich im Team die Arbeitsgruppe Rampe 23. Sie hatte das Ziel, Arbeitsbedingungen zu befragen und Veränderungen anzustoßen. Anna Bakinovskaia (Künstlerisches Betriebsbüro), Paula Kohlmann (Dramaturgie) und Kathrin Stärk (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) arbeiteten an einem diversitätssensiblen Veränderungsprozess, begleitet von Handan Kaymak. Sie fragten intern nach Sichtbarkeiten und danach, welche Stimmen gehört werden. Sie beschrieben Ausschlussmomente und kritisierten 178 Machtstrukturen und Mechanismen der Diskriminierung. Ihr Lernprozess gab Impulse in die Gesamtorganisation hinein und setzte auch hier einen langsamen Prozess des Lernens und der Veränderung in Gang. Rampe 23 gestaltete den Findungsprozess für eine neue Leitung am Theater Rampe und sie ­begleiten den Leitungswechsel, die Übergabe an unsere Nachfolger*innen. Zu diesem Findungsprozess gehörte die Einladung einer diversen Findungskommission aus Expertinnen nicht nur im Bereich Theaterleitung, sondern auch für Rassismus- und Ableismus-Kritik sowie freie Künstlerinnen. In die Bewertung und Einschätzung der Bewerbungen sollten ­bewusst ­Perspektiven miteinbezogen werden, die auch Veränderungen an Kulturinstitutionen einfordern und sich dafür engagieren. Rampe 23 formulierte im Gespräch mit Berater*innen den Ausschrei­ bungstext, der auch auf dieser Ebene die angestrebte Öffnung hin zu Wissens­­perspektiven, die an der Rampe noch nicht vertreten sind, beinhal­tet. Rampe 23 beriet mit der Findungskommission die Kriterien zur Auswertung der Bewerbungen. Außerdem kommunizierte und teilte die Gruppe ihre Erfahrungen und ihren Lernprozess öffentlich. So gab es im Herbst 2023 eine dreitägige ­Konferenz mit dem Titel IF YOU GOT IT, GIVE IT, bei der sie impulsgebend 167 zehn Punkte für Veränderungsprozesse an Institutionen formulierten. Versuch einer Zehn-Punkte-Liste: 1. Es gibt keine Checkliste :) 2. Wir versuchen strukturelle Veränderung jenseits von Symbolpolitik.

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3. Systeme versuchen sich immer selbst zu erhalten. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen persönlich, institutionell und strukturell wichtig. 4. Blick von außerhalb der Organisation: Prozess­beglei­ tung, Netzwerk aufbauen, Expert*innen hinzuziehen. 5. Veränderungen und Öffnungsprozesse funktionieren nur, wenn Institution und Mitarbeitende bereit sind, eigene Machtstrukturen zu reflektieren und zu verändern. 6. Üben, üben, üben: Veränderungen brauchen viel Zeit, Geduld, Hartnäckigkeit, Ausdauer. 7. Das Theater langfristig als Schutzraum entwickeln, in dem angstfrei über Machtstrukturen gesprochen werden kann. Bei Veranstaltungen ist eine „Awareness-­ Person“ anwesend. Die Institution wird erst dann zum Schutzraum, wenn ein gewisser Prozentsatz an unter­ repräsentierten Menschen dort arbeitet. 8. Gelebte Diversity-Kompetenzen sind im Alltag spürbar: zuhören, gewaltfrei kommunizieren. Wer wird gehört? Wer darf mitreden? Wer entscheidet? Wer kontrolliert? 9. Lernprozess offen gestalten und transparent machen. Und: Keine Angst vorm Scheitern. Nicht nur BestPractice-Beispiele vorstellen, sondern auch Schwierigkeiten öffentlich machen. Gerade aus Fehlern können andere lernen. 10. Regelmäßiges Überprüfen und Hinterfragen, Feedback-Routinen einbauen. Die zehn Punkte oben möchte ich zum Abschluss und Abschied um zwei persönliche ergänzen: 1. Theater ist ein Akt der Kommunikation und es wird für mich immer mehr zu einer Beziehungsarbeit. Beziehungsarbeit auf der Bühne und mit dem Publikum, im Team und mit der Öffentlichkeit. Und jede ­Insze­nier­ung ist eine Anordnung von Beziehungen auf allen Ebenen.

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2. Die Störung des Gewohnten und des Selbstver­ ständ­­nisses ist ein Einhaken in Routinen. Die Störung ist eine Unterbrechung und eine Zwischenzeit, die Ver­änderung möglich macht. Auf der Bühne, aus dem Publikum, im öffentlichen Raum und von Arbeitsabläufen. Das waren die Erinnerungen an Momente von Veränderung, von Übergängen und Umordnungen am Theater Rampe. Auch ich werde mich jetzt verändern und nicht mehr im Theater Rampe arbeiten. Ich werde Besu­cherin und mit vielen Menschen in Stuttgart verbunden bleiben. Ich danke allen, die an der Rampe gearbeitet haben, Künstler*innen, Team, Kooperierenden, allen Teilnehmenden und Unterstützer*innen, Förderer*innen und Berater*innen, Vernetzten und Verbündeten, Freund*innen, Besucher*innen. Das war’s.

Martina Grohmann

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Martina Grohmann arbeitete als Dramaturgin und leitete gemeinsam mit Marie Bues das Theater Rampe von 2013 bis 2021 und gemeinsam mit Franziska Stulle 2021 bis 2023.

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Gühlstorff, Nina

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Abschied von ­Dugong

Die Dugong-Seekuh wurde für ausgestorben erklärt, lese ich gerade. Sie sei sehr schreckhaft gewesen, und als ich das Foto anklicke, werde ich erst recht traurig, denn es scheint so, als sei ein sehr freundliches Tier von uns gegangen. Die Freundlichen erwischt es immer zuerst. Plötzlich erscheint es mir kinderleicht, ein paar Worte zum Abschied an der Rampe zu schreiben. Selbst dass mir zugedacht wurde, dass ich mich besonders von der Bühne verabschieden soll, mit der ich seit Jahren eine On-Off-Beziehung pflege, die auch ziemlich emotional ist, ist plötzlich ein Kinderspiel angesichts des Artensterbens. Ich denke: Wir müssen in den nächsten Jahren eh richtig gut werden im Abschiednehmen, die Dugong-Seekuh ist ja jetzt nur ein einzelner von mir herbeizitierter Fall innerhalb der großen Kata­ stro­phe, die ansteht. Ich werde den Abschied also schnell und pragmatisch hinter mich bringen. Als ich die Bühne der Rampe kennen gelernt habe, da war sie keine Black Box wie jetzt, sondern eine White Box. Martina Grohmann und ich haben uns 2003 kennengelernt, als wir – beide engagiert vom Landestheater Tübingen – eine Koproduktion mit der Rampe machten, „Die Liebenden“, ein Text von Maxi Obexer. Schöner Text, hat Spaß gemacht. Einsame Menschen mit großer Sehnsucht vor weißen Wänden. Wir verwickelten uns aber damals schon in die Fragen, die uns jetzt begleiten: Macht es Sinn, dass Hetero-Frauen auf der Bühne und hinter der Bühne Fragen lesbischer Liebe verhandeln? Statt an der Krise der Repräsentation zu verzweifeln, haben Martina und ich – seit 2013 dann an der Rampe – uns an der Bühne und ihren Funktionen abge­arbei­tet. Ich habe alles Mögliche ausprobiert, ich habe Theaterfestivals in jedem Winkel des Theaters angezettelt, alte Hafenhallen, Kirchen, Wohnzimmer zu Bühnen erklärt und Menschen Rollen spielen lassen, sich selber oder vermeintlich sich selber, um in dieser Frage weiterzukommen: Wie bleibt Theater ein Medium, das direkt auf die Gesellschaft wirkt? Als Marie Bues und ­Martina Grohmann das Theater Rampe übernahmen, kamen die beiden auch mit einem Bündel Fragen und hatten gar keine Lust, diese alleine zu beant­worten. Sie strichen die Wände schwarz und die Bühne der Rampe wurde eine klassische Black Box. Rückblickend muss man sagen, dass diese Entscheidung, die den Raum fokussierte, eine

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der einzigen Bewegungen war, die auf Beruhigung angelegt war. Nicht nur dass im ganzen Haus Theater gespielt wurde, eines der aufwändigsten Projekte gleich in der ersten Spielzeit war der Vagabunden-Kongress, erdacht von der Performerin und ­Musikerin Tanja Krone, für die die Rampe das Basislager war für zahlreiche theatrale Aktionen, die sich mit vagabundierender Lust durch die ganze Stadt zogen. Meine erste Arbeit dort – KONGOLAND (2015) – fand allerdings in dieser Black Box statt, fast schon klassisch. Nur ganz am Ende hat der Performer Laurenz Leky die Zuschauer*innen zu sich auf die Bühne gebeten, weil er Hilfe brauchte, weil der Spielende es nicht mehr alleine schaffen konnte, mit der Welt fertig zu werden, in dem Fall mit der kolonialen Schuld. Zahlreiche Exkurse auf der Bühne, im Kopf und im Stadtraum folgten. Während das THEATRE OF THE LONG NOW eine Brache zur hundertjährigen Bühne 174 erklär­te, gründeten wir das Volks*theater Rampe, mit dem die Bühne letzt­ 177 endlich ein friend with benefits wurde: Wir hatten immer Spaß miteinander, aber das Volks*theater drängte nach draußen, alle sollten es sehen. Das Volks*theater begann auf dem Marienplatz, dem nahe gelegenen ­zentralen Platz. Dort hatten die Dramaturgin der Rampe, Paula Kohlmann, unser Ausstatter Moritz Martin und ich einen Anhänger aufgestellt und kleine Bühnen davor hingelegt. Diese Bühnen aka Teppiche wurde zum Treff­punkt von Nachbar*innen, Aktivist*innen, Träumenden, Menschen legten Bekenntnisse ab und Menschen wollten bleiben. Am Ende standen wir auf unseren Teppichen und circa zwanzig Menschen mit sehr gemischten Wirklichkeiten waren uns so nahe gekommen, dass wir ein Volks*theater-Ensemble gegründet haben. Als Erstes wurde uns der Kopf gewaschen, weil wir so daherreden würden: Was das denn bitte sein soll, eine Black Box, und warum wir immer Wörter benutzen müssen, die man nicht ohne Vorwissen verstehen könne. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft mit der Aktivistin Britta Wente, meistens inkognito als Huhn bei allen Performances des 128 Volks*the­aters dabei. In der Pandemie haben wir die Stadt zur Bühne erklärt und mit TAG Y einen emotionalen Spaziergang durchs Viertel ­miteinander erfunden. Unsere Bühnen waren Balkons und versteckte Trampoline, der Geh­ steig und die Mitte der Straße. Hauptdarsteller*innen waren neben unserem wunderbaren Ensemble aus aller Frauen Länder ein Kaugummiautomat, die Graffitis der Stadt, eine Platane und ein geheimer Garten. Oder waren das alles Bühnen? Das Volks*theater verwischte Ü ­ bergänge: Wo hört Theater auf und wo fängt die Stadtgesellschaft an? 2021 haben wir dann mit „Auf die Plätze!“ ein großes Spektakel auf dem Marienplatz gemacht, Ko-Kreative waren dabei die Regisseurin Tanja Krone und der Musiker Friedrich Greiling und zwölf Darsteller*innen des Volks*theaters. – Wieder haben wir uns gewünscht, dass das Publikum die Bühne stürmen und für seine Zwecke nutzen würde. Die Bühne war nur eine mit Klebeband abgeklebte Fläche, den Grundriss der Bühne der Rampe hatten wir unten auf den Platz geklebt. Mit dieser Frage: Wäre es nicht besser, unsere Bühnen stünden mitten auf den Plätzen, wir wären mitten unter Menschen? Es war ein Fest, und der

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Gühlstorff, Nina

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Abschied von der Black Box schien auch gleichzeitig der Beginn von etwas Neuem, das doch gleichzeitig an etwas ganz Altes anknüpft: die Bühne auf den Marktplätzen. Hanswurst führt die Herrschenden vor, verbündet sich mit dem Volk, dass wir lieber Volk* nennen. Und gleichzeitig denke ich an den leeren Raum, verbeuge mich kurz vor dem kürzlich verstorbenen Peter Brook, lasse eine Figur auftreten vor einem Publikum. Die Wände schützen diesen intimen Vorgang und ich bin unendlich gespannt, was das erste Wort ist, was gleich in diesem Raum wirken wird. Ich schwanke dialektisch. Mein pragmatischer Ansatz ist dahin, ich denke an den Krieg und die Dugong-Seekuh und dass Britta mich für das Wort „dialektisch“ schelten wird, aber dass sie es gleichzeitig versteht wie keine andere. Und jetzt bin ich bereit: Tschüss, Rampe. Tschüss, Black Box! Ich freu mich auf die erste Premiere der neuen Rampe. Bin gespannt, wie sie dich anstreichen werden. Ein paar Zeilen noch auf den Weg aus der Feder des Volks*theaters: Vielleicht entfernen wir uns. Aber vielleicht treffen wir uns dann An der Ecke, da vorne, wieder. Oder bei der nächsten Runde. Die Welt ist rund. Der Kopf auch. xxxxxxx Nina Gühlstorff

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In der Regiepraxis von Nina Gühlstorff spielen dokumen­ tarische, recherchebasierte und partizipative Stückentwick­ lungen eine zentrale Rolle. Am Theater Rampe setzte sie sich mit postkolonialen Erzählungen auseinander: 2014 erarbeitete sie gemeinsam mit dem Regisseur Jan-Christoph Gockel und dem Schauspieler Laurenz Leky die zweiteilige theatrale Fallstudie KONGO MÜLLER und KONGOLAND so­ wie 2016 die Stückentwicklung SÜNDENBOCK. Aus einem Rechercheprojekt heraus gründete sich 2019 das Nachbarschaftsensemble Volks*theater Rampe, mit dem sie 2020 TAG Y und 2021 AUF DIE PLÄTZE inszenierte.

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Herbordt/Mohren

S. 1/4

Abschied von der Unver­ bindlichkeit – oder: Für ein Theater von morgen

Ein Abschied, den wir erfahren haben, begann vor zehn Jahren. Er dauert noch an, ist nicht an einzelne Personen gekoppelt, wird aber nur durch sie verwirklicht. Dieser Abschied könnte eine andere Form, Theater zu pro­duzieren und herauszufordern, begründen. Mit Theater meinen wir hier die Kunstform und die Institution gleichermaßen. Die Rede ist hier vom Abschied von der Unverbindlichkeit. Dessen Geschichte geht so: Was wäre, wenn eine ganz neue Theaterinstitution nicht durch künstlerische Praktiken befragt, sondern durch sie erst eingerichtet würde? Wenn diese Institution, durch Solidarität, Großzügigkeit und Vertrauen getragen, nachbarschaftlich verwurzelt, globale Zusammenhänge verant­ wor­tungsvoll gestalten würde? Wenn Kunst und ihre Institutionen nicht mehr in Direk­tionen, Verwaltungen, geschaffene Werke und Abteilungen für Audience De­vel­opment sortiert, sondern kollektive Leitungssitzungen selbst öffentliche Performances wären und durch künstlerische Strategien neue Formen der Kol­laboration zwischen allen Gewerken und Öffentlichkeiten initiiert würden? Lange schienen diese Fragen bloß Spekulationen Einzelner – z. B. im Rah­ men von experimentellen Werkstatt- und Performanceformaten im wahrscheinlich einzigen Theater mit Zahnradbahn – angeregt zu haben. Morgen 179 aber wird nun ein erstes hybrid und dezentral organisiertes Theater seine vielen Türen geöffnet haben. Es wird erst durch die Besucher:innen selbst aktiviert worden sein. Es wird online wie on site gleichermaßen besuchbar sein. Es wird viele Eingänge, Beteiligte und Besucher:innen überall auf der Welt haben. Es wird eine ganz neue Art von Institution sein. Eine Institution, die genauso viel Kunst ist, wie sie Kunst ermöglicht. Die immer kollaborativ verfasst sein wird, offen in der Vielfalt ihrer Zugangsmöglichkeiten und derer, die sie gestalten. Irgendwo wird morgen eine Person – gänzlich unerwartet und etwas um­ständlich – ein Redner:innen-Pult montieren. Sie wird den Blick durch die Gruppen der Anwesenden wandern lassen. Sie wird einen kurzen Moment zu lange warten, um dann so verlegen wie freudig anzusetzen:

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Herbordt/Mohren

S. 2/4

Sehr geehrte:r Minister:in und Staatssekretär:in, sehr geehrte:r Bürger:innenmeister:in und ­Vertreter:innen des ­Gründungsbeirates, liebe Nachbar:innen und Künstler:innen, liebe Kinder und Freund:innen, liebe Unbekannte und Unerwartete, liebe Gäste, guten Abend, herzlich willkommen. Mein Name ist – räuspern – und ich habe eine Institution gegründet. Diese Institution ist Ihre Institution. Sie haben in der Hand, ob es das alles hier gibt. Die Institution gibt es nur, weil es Sie gibt. Sie ist ein Spiel mit Behauptungen, erfüllten und enttäuschten Erwartungen, vereinbarten Spielregeln und unserem Erfindungsreichtum, diese Regeln immer neu zu deuten. Vor kurzem hat – 621 Kilometer nordwestlich von hier – eine Kollegin mit folgenden Worten ihre Vorstellung einer fantastischen Institution umschrieben: ‚Ich fordere Institutionen, die immer auch Kunst sind. Orte, so radikal verschieden, so mächtig in ihrer ­Überlagerung von Wirklichkeiten, dass diese politische Geste ihres Arbeitens die Menschen nachts schlaflos zurück und tagsüber an der Welt, in der sie leben, zweifeln lässt. Vielleicht werden sie sich dann eines Tages aus ihrem traumlosen Schlaf erheben und beschließen: Jetzt ist der Moment gekommen, alles zu ändern.‘ 1 Wir brauchen neue Handlungsstrategien. Motiviert von schrankenloser Gastfreundschaft, nachbarschaftlicher Teilhabe und dem Wunsch, gemeinsam zu lernen. Heute mehr denn je. Vielleicht ist dieses Haus dann eine Metapher dieser Notwendigkeit und unseres Vermögens, immer neue Erzählungen zu erfinden, die sich in der Lage zeigen, diese Notwendigkeit zu erfüllen.

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Aber jetzt, vielen Dank für Ihre Geduld: Die Institution ist eröffnet! 2

Morgen Abend wird diese Institution nun also tatsächlich eröffnet werden. Nachdem sie im vorangegangenen Zitat einer Bühnenperformance wieder

1  Agnes Quackles: „The Moment to Change“, in: Vooruit, 14.03.2017. http://vooruit.be/en/ magazine/detail/2361/De_BLAUWDRUK_statement_van_Agnes_Quackels (Zugriff am 29.05.2017; Übers. Herbordt/Mohren). 2  Herbordt/Mohren: Der Monolog, Theater Rampe, 2017.

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S. 3/4

und wieder proklamiert wurde. Nachdem sie zuvor viele Jahre – wie auf einer performativen Bühnenbaustelle – kollaborativ und immer wieder neu ­entworfen wurde 3. Nachdem sie ihre Bühnenräume mit verschiedensten Stadt­­öffent­lichkeiten geteilt 4 und mithilfe von knapp hundert Bewohn­ er:innen eines kleinen Dorfes ebendort leerstehende Ladenlokale, Gemeindesäle und Wohngebäude umgenutzt hat 5. Nachdem sie – wie eine soziale oder künstlerische Bewegung – in den Hinterzimmern großer Institutionen mit dem Publikum über Transformationen derselben spekulierte 6. Nachdem sie mit Kindern Aufführungen eigentlich nicht aufführbarer Kompositionen Neuer Musik realisierte 7 oder mit internationalen Gästen eine zukünftige For­schungs­gesellschaft erprobte, während die Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie physische Begegnungen unmöglich machte 8. Nachdem also mit künstlerischen Mitteln immer wieder Antworten ­skizziert wurden auf Fragen wie diese: Welche Institutionen werden warum nie gegründet? ­Welches Wissen wird warum ausgeschlossen? Auf welchen Praktiken würde sich ein Theater von morgen begründen und wie würde es seine Ressourcen teilen können? Eine Strategie als Antwort auf all diese Fragen – wie die Selbst­er­­mäch­ tigung, sie überhaupt zu formulieren – liegt im eingangs erwähnten Abschied. Im Abschied von der Unverbindlichkeit. Was bedeutet das und wie geht das? Weil Menschen im vielleicht einzigen Theater mit Zahnradbahn dieses Theater über ein Jahrzehnt lang künstlerischen Praktiken geöffnet haben, die es als Institution hinterfragten; weil diese Menschen die Erweiterung der künstlerischen und räumlichen Grenzen ihres Theaters immer zuge­ lassen haben und die Rahmen des darin Möglichen wissentlich sprengten; weil während der Gespräche in diesem und über dieses Theater ganz selbstverständlich immer viele Stimmen einbezogen wurden; weil zugehört, gemein­sam gedacht und niemals von vorneherein gewusst wurde; weil diese Gespräche vor einem Jahrzehnt begannen und bis heute nicht aufge­ hört haben; weil diese Gespräche unterschiedliche diskursive und künstlerische Formen annehmen durften, mit und ohne Publikum; weil Scheitern und Perspektivwechsel immer möglich waren; weil das Theater als Institution über ein Jahrzehnt ein Gegenüber war, mit dem sich zuverlässig planen, neue Wege ausloten und eben noch nicht formulierbare Ziele ­tatsächlich erreichen ließen …

3  Herbordt/Mohren: Die Aufführung, Sophiensæle, Theater Rampe u. a., 2013 – 2015. 4  Herbordt/Mohren: Das Publikum, Theater Rampe u. a., 2015 – 2018. 5  Herbordt/Mohren: Das Theater, Michelbach an der Lücke, Theater Rampe u. a., 2015 – 2017. 6  Herbordt/Mohren: Die Bewegung, Theater Rampe, Rathaus Stuttgart, Finanzamt Stuttgart I, Schaudepot u. a., 2018 – 2022. 7  Herbordt/Mohren: Das Festival, Donaueschinger Musiktage, Theater Rampe, 2019 – 2020. 8  Herbordt/Mohren: Die Gesellschaft, Theater Rampe, Schaudepot u. a., 2020 – 2022.

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Herbordt/Mohren

S. 4/4

Deswegen konnte im vielleicht einzigen Theater mit Zahnradbahn über ein Jahrzehnt Vertrauen wachsen und ein Abschied von der Unver­bind­lich­ keit erfahren werden. Deswegen konnte jeden Tag auf ein Neues und schon heute – mit performativen und künstlerischen Mitteln – ein Theater von morgen vorübergehend realisiert werden. Womit wir wieder am Anfang wären. Verbindlichsten Dank für ein Jahrzehnt im einzigen Theater mit Zahnradbahn und der gelebten Vision einer neuen Form, Theater zu produzieren und herauszufordern. Bis morgen!

Melanie Mohren und Bernhard Herbordt

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Melanie Mohren und Bernhard Herbordt arbeiten im Grenzbereich der Darstellenden Künste: Ihre Performances, Hörstücke, (Musik-) Theaterarbeiten, Ausstellungs- und Publi­ kationsprojekte sowie diskursiven Formatreihen basieren auf um­ fassenden Recherchen. Sie erweitern den Theaterbegriff und untersuchen Institutionen und ihre Aktualisierung in unterschiedlichen Formaten und Medien. Als feste Verbündete des Theater Rampe gaben sie von Anfang an wichtige Impulse für unseren Theaterbetrieb und beglei­ teten uns als Institution kritisch. So entwarfen sie in den

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vergangenen zehn Jahren eine Institution, eine Bewegung, begründeten eine neue Gesellschaft, bepflanzten Gemeinschaftsgärten und schufen mit ihrem Schaudepot einen Ort, der weit über sich selbst hinausweist und -wirkt. Dafür wurden sie 2022 mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Kategorie Genrespringer ausgezeichnet. DAS SCHAUDEPOT als Modellinstitution ist bis ins letzte Detail durchdacht, funktioniert wie ein Baukasten und stellt wie nebenbei die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung des Theaters. Wie ihre künstlerische Forschungspraxis ist es on-going und im besten Sinne transdisziplinär.

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Hülsewig, Nana

S. 1/2

Ein Abschied von der euklidischen Geometrie, von Kostüm und Form

Liebe Rampe! Ihr wart Verbündete, Inspiration, Umwälzer*innen, Partner*innen und Freund*innen und nun ist’s ein Abschied und irgendwie auch ein Neuanfang für uns alle. Außerdem habe ich mich während unserer Zusammenarbeit davon ver­ab­schiedet, Kostüm dramaturgisch in den Dienst der Regie zu stellen. Ich verabschiede mich vom feindseligen Blick auf Körper. Und ich verab­ schiede mich von den Gesetzen Euklids1 und einer Welt der Geradlinigkeit, Rechtwinkligkeit und Gitternetze, die sich über zwei Jahrtausende geometrischen Lernens in uns verankert haben. Denn außerhalb unserer rechteckigen Welt wimmelt die Natur nur so von geschwungenen, gekräuselten

1  Euklid gründete sein mathematisches System auf fünf vermeintlich selbstevidente Axiome. Sie definieren Punkt, Linie, Kreis und rechten Winkel. Das fünfte Axiom definiert die Bedingungen für „parallele“ Linien: Man nehme eine Linie und zeichne einen Punkt außerhalb dieser Linie. Die Überlegung, wie viele gerade Linien wir durch diesen Punkt ziehen können, ohne die ursprüngliche Linie zu berühren, bringt uns zu der Auffassung, dass es eine einzige ist, eine Parallele, denn alle übrigen würden schräg zur ersten verlaufen und diese irgendwann schneiden. Auf gekrümmten Flächen wird eine Gerade als Geodäte bezeichnet, die immer die kürzeste Verbindungskurve zweier Punkte darstellt. Auf der Oberfläche einer Kugel sind Geodäte „Großkreise“ (wie Äquator oder Längengrade), die sich alle schneiden. Obwohl sie auf flachen Karten gekrümmt aussehen, sind sie im Verhältnis zur Erdkugel selbst „gerade“. Dadurch waren Mathematiker im 17. Jahrhundert gezwungen, die Existenz einer Fläche anzuerkennen, auf der es für eine Linie und einen Punkt außerhalb dieser Linie eine unendliche Anzahl gerader Linien gibt, die den Punkt durchkreuzen und trotzdem niemals die ursprüngliche Linie berühren – sie bezeichneten sie als die hyperbolische Ebene. 1997 beschloss die Mathematikerin Daina Taimina, als ihr die unzureichenden Papiermodelle hyperbolischer Flächen auffielen, solidere Modelle herzustellen, und begann solche Flächen zu häkeln.

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Hülsewig, Nana

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und krenelierten Formen, die Blätter, Pilze, Seeschnecken und Nacktkritter gebildet haben, genau wie unsere eigenen Körper mit ihren Rundungen und Einbuchtungen. Kostüm ist für mich die Schnittstelle zwischen innen und außen. Jeder Mensch macht an dieser Stelle eine Erzählung von seinem*ihrem Selbst. Hier erzählt sich der erste Eindruck einer Persönlichkeit, vermittelt dessen Identität. Hier wird der Körper zum Erzähler. Hier fängt seine Geschichte an. Hier treffen wir die Tabus, die No-Gos und den Zwang, dem unsere Körper ausgeliefert sind. Meine Performance-Ideen fangen fast immer genau an dieser Schnittstelle an. Es sind Geschichten, die sich über das Kostüm erzählen. Das Kostüm erweitert eine performative Arbeit um eine eigene künstlerische Erzählung von Körper. In meiner aktuellen Kostümarbeit für die Performance „amöben“ stricke ich Abendkleider aus Mohair und Seide zusammen mit meiner Mutter und erlaube mir damit einen liebevollen, selbstbewussten Blick auf Körper, aufs Altwerden und aufs Handarbeiten. Material und Technik machen die Silhou­ette unscharf und passen sich an den Körper an (fünf Kilo mehr oder weniger ist dabei vollkommen egal). Es sind plastische mathematische Realisierungen, die sich auf den Körper legen, sie machen mathematische Formeln erlebbar. Stricken bedeutet für mich auch Denken. Die Gedanken nehmen durch das schrittweise entstehende Strickstück Gestalt an und formen das Werk. Beim Schneidern entsteht die Plastizität durch den Schnitt – bzw. durch das Zusammenfügen der Kanten, Räumlichkeit wird durch Schneiden hergestellt. Beim Stricken entsteht das Werk durch iteratives Zunehmen und Abnehmen der Maschen an beliebigen Stellen. Körper wird zur topografischen Landschaft, zur hyperbolischen Fläche. Damit entferne ich mich von der normativen Sicht der Mathematik als ein rein symbolisches System, das allein durch Schreiben und Denken mit Symbolen und Gleichungen begreifbar ist. Ich glaube, dass hyperbolische Geometrie, die ihren Ursprung im Organischen findet, eine alternative Art des Denkens über Mathematik ist, und sie ermöglicht mir, dies materiell sichtbar zu machen – in überbordenden, farbigen gestrickten Abend­kleidern, mit Schleppen und unzähligen Volants. Handarbeit wird somit zu einer Technik, Zweige der Geometrie als auch der Biologie zu erkunden. Ich erkunde aktiv den nichteuklidischen Raum. Eine vertonte Liste ist aus diesen Gedanken entstanden, ein Song mit Gitarre und Schlagzeug. Das ist einer meiner Anker in die Zukunft, einer meiner Neuanfänge. Das Zeitalter der zweiarmigen, strahlensichtigen, ausrottungsversessenen, plastikgesättigten, fossilverbrennenden, fossilschaffenden, geradlinigen, rechtwinklig denkenden Phallusmänner ist vorbei! Stuttgart, 17.08.2022 Nana Hülsewig

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Als Kostümbildnerin hat sich Nana Hülsewig davon verabschiedet, Kostüme in den Dienst der Regie zu stellen, wie sie sagt. Der Rampe ist sie seit 2015 als Künstlerin verbunden. Gemeinsam mit Fender Schrade realisierte sie als NAF unter dem Titel NORM IST F!KTION eine Serie von Interventionen im Theater- und Stadtraum. Lebensgroße Foto-Aufsteller ihrer Personen halten sich seit Jahren im Foyer des Theater Rampe auf und irritieren Gäste wie Gastgeber*innen immer wieder. Neben ihren Performances, Büh­nen- und Kostümarbeiten ist Nana Hülsewig in letzter Zeit auch als Sängerin unterwegs. Mit AMÖBEN (2022) produzierte sie eine Single, ein Musikvideo und brachte eine Konzert-Performance auf die Bühne.

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Krone, Tanja

S. 1/6

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Tanja Krone arbeitet als Regisseurin, Kuratorin, Performerin und Musikerin. Ihre Performances reichen von der Gründung der weltgrößten Frauenrockband über die Erfindung utopischer Staaten in Afrika bis hin zur Schaffung einer modernen Heilsarmee in Berlin. Im Juni 2014 reaktivierte und kuratierte sie als Gregoria Gog den VAGABUNDENKONGRESS (2014)

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in Stuttgart, inszenierte mit THE EUROPEAN HOUSE OF

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GAMBLING (2017) ein Casino für alle, führte als Wiedergängerin von Christine de Pizan den Einzug in die STADT DER

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FRAUEN* (2018) an und wirkte in Projekten des Volks*theater

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Rampe - Ensembles mit. Für seine Marienplatz-Bespielung AUF DIE PLÄTZE (2021) entwickelte sie gemeinsam mit dem Ensemble und dem Musiker Friedrich Greiling ein Konzertprogramm. Ihr Abschiedsbrief ist ein Song.

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Liszta, Nicki

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Abschied nach sieben Jahren

Liebes Theater (Rampe), es gibt ja diesen Mythos der siebenjährigen Phasen, die der Mensch* durchläuft. Wir waren die letzten sieben Jahre mit backsteinhaus produktion an 172 diesem theatralen Ort, am Theater Rampe, und haben Black Boxes aufgeladen. Es ist also an der Zeit, die nächsten sieben Jahre zu beginnen, das Aufladen zu überdenken. Aber erst wollen wir uns verabschieden. Auch wenn Abschieden oft etwas Emotionales, Destruktives, ja fast schon Nihilistisches anhaftet, ist es doch ein universales Momentum. Wie Tanz. Oder Sex. Alle kennen es, alle tun es. Alleine und solidarisch. Kontinuierlich. Mit jedem Einschlafen verabschiede ich mich von meinem Bewusstsein. Mit jedem Kaffee von meiner Lethargie. Mit jedem Kunstwerk von meiner Unangreifbarkeit. Mit jedem Lächeln von Radikalität. Mit jeder Ausatmung verabschiedet sich mein Körper vom Leben und betritt diesen klitzekleinen Transitbereich vor der nächsten Einatmung. Es ist dieser Zwischenmoment, der alle Möglichkeiten bietet. Das Bewegliche darin macht das Reizvolle aus. Dieser Transitbereich eröffnet uns einen emanzipatorischen Gestus, der uns fordert, ja befördert. Der eupho­risierend wirkt. Die Utopie hat darin Bestand. Fast glaube ich, orgiastische Zustände liegen dort zugrunde. Also tun wir es jetzt. Nehmen wir Abschied vom Theater und damit unserer Gesellschaft als bekanntem Ort. In transformativen Kleinstprozessen streifen wir das Bisherige ab wie eine alte Haut. Die frische Hülle darunter ist aber nicht rosig und zart wie vermutet, sie ist ledrig. Widerstandsfähig. Sie kann aushalten und den Transitbereich ­zwischen den vergangenen und kommenden Normen befüllen. Sie ist richtungsfrei. Wandelbar, definitionsbegierig. Sie ist nackt und erinnert mich an lose Gesteinsbrocken, die von monströsen herrschaftlichen Villen herabfallen und für Neues verwendet werden können. Die liegen dann am Boden. Ob ich sie als Wurfgeschoss durch ein Fenster werfe oder als Erinnerung von Hand zu Hand reiche, entscheidet der Moment. Betreten wir also diesen zeitlosen Transitbereich, diesen Moment zwischen dem Einund Ausatmen, zwischen der alten und der neuen Haut, der unsere Gesellschaften stets begleitet. Der Widerstände versammelt und ihnen den nötigen Raum zur Entfaltung bietet. Der dritte Räume eröffnet und Verhand­ lungen ermöglicht. Der kompromissbereit, gleichwohl auch kompromisslos

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Liszta, Nicki

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sein kann. Der Machtgefüge neu definiert, indem er sie enthierarchisiert. Eine Gegenüberstellung leistet. Vielfalt zulässt und ihr mit Respekt begegnet. So oder so ähnlich stelle ich es mir zumindest vor … Aber brauchen wir dafür wirklich sieben Jahre? Beim Verabschieden unserer Existenz sind wir doch auch effizienter. Ich dachte einmal, wir hätten noch ungefähr vier Milliarden Jahre Zeit, bis die Sonne verglüht und dann der große Abschied naht. An einem Strang haben die Industrienationen gezogen. Einheitlich, einvernehmlich haben wir es geschafft, ganz schnell alles kaputt zu machen. Immer das große, kapitalistische Ziel des Wachstums vor Augen. So flink konnte das Anthropozän gar nicht gucken, da hatten wir schon alles in die Tonne getreten. Nicht mal der Club of Rome, diese Superhelden, die uns schon in den 1970er-Jahren sagten, dass wir so nicht weitermachen können, nicht mal die haben jetzt noch einen guten Plan. – Wobei, sie hätten einen, aber der wird nicht klappen: dass die Reichen anteilig das Bruttoinlandsprodukt bezahlen und nicht mehr im Geld schwimmen sollen, erscheint absurd. Da ziehen sie sich doch lieber zurück auf ihre Jachten und schauen zur Sonne hoch. Die scheint ja noch. Die verglüht jetzt erst mal nicht. – Was ich damit sagen will? Es geht doch irgendwie. Der Anreiz ist vielleicht noch nicht universal genug, okay. Vielleicht müssen wir uns noch mal überlegen, was für die weiße, unversehrte Cis-Bevölkerung an reizvollen Errungenschaften rausspringen könnte, um die Transformationsmaschine umfassend anzuwerfen. Das Überleben aller* finde ich schon mal gar nicht so schlecht … Mit diesem Gedanken blicke ich verstohlen nach Bhutan und frage mich, wie das dort klappt. Sie haben die Bedürfnisse ihrer Umwelt vor die der Menschen gestellt. Ich würde gerne mehr darüber wissen, aber eine Reise nach Bhutan ist extrem teuer. Also glorifiziere ich alle, die andere Konzepte wagen, unvorsichtig aus dem Nebel der Unwissenden heraus und behaupte, dass auf jeden Fall alles besser ist als das globale JETZT. Das Jetzt, das wir dringend verabschieden müssen. Das Jetzt, das auf keinen Fall mehr länger duldbar, ertragbar und verantwortbar ist. Egal aus welcher globalen Perspektive. Egal aus welcher größeren oder kleineren Blase. Auch das Theater hat sich festgesessen und vergessen, auszuatmen. Jetzt platzt es fast. Also erlösen wir es doch mal von seinen kolonialen, hegemonialen Strukturen und atmen aus. Leere. Stille. Platz für Neues. Gesteinsbrocken, die neue Bestimmungen brauchen. Sieben Jahre. Nehmen wir sie uns! Deine Nicki

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Die Stuttgarter Tanzkompanie backsteinhaus produktion ging 2016 eine feste künstlerische Liaison mit dem Theater Rampe unter dem Slogan „Rampe tanzt“ ein. Choreografin Nicki Liszta inszenierte gemeinsam mit Marie Bues, mit ­Ensembles aus Tänzer*innen und Schauspieler*innen neue Dramatik: PARADIES FLUTEN (2016) sowie ABFALL DER WELT (2018) von Thomas Köck, HOW TO SELL A MURDER HOUSE (2017) von Sibylle Berg, DIE TONIGHT, LIVE FOREVER (2018) von Sivan Ben Yishai. Auch neue Tanztheaterstücke wie HEAD­ LESS und WOLFGANG (2017) oder PLATONIA (2018) wurden an der Rampe erarbeitet.

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Markus&Markus Theaterkollektiv

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Romanze in Moll

Markus&Markus Theaterkollektiv:

Liebe Hochkultur, wo beginnen wir nur? Zuerst mal liebe Rampe, danke! Dass du es zugelassen hast, auf deiner Bühne zu stehen, obwohl niemand anderes krank war, macht uns dankbar. Wir durften den klassischen Kanon zeigen und uns vor dir, der Hochkultur, verneigen.

Ja ok, wir haben damals den Schauspielunterricht geschwänzt. Hochkultur:

„Die schauspielerischen Fähigkeiten sind begrenzt.“

M&M TK:

Die Gazetten durften sich gönnen

Hochkultur: „Man hätte es drastischer ausdrücken können: Ihr darstellerisches Talent bewegte sich im Bereich des Dilettantismus.“ M&M TK: Reimemaschine.de sagt, darauf reimt sich Algorithmus. Hochkultur: „Lauscht man den Kommentaren, wenn sie aus ihrer Geschichte aussteigen“

(im Hintergrund jetzt Violinen und Geigen) Hochkultur:

„und die Theatersituation reflektieren,“

(die Bratschen beginnen zu investieren) Hochkultur:

„ist man geneigt zu glauben:“

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Markus&Markus Theaterkollektiv

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(das Orchester beginnt sich in neue Höhen zu schrauben) Hochkultur:

„Sie wissen, dass sie nichts können.“

M&M TK:

Wir haben wirklich versucht, was Gutes zu bauen,

Hochkultur:

„Man möchte ihnen eine runterhauen.“

M&M TK:

Wir spielten auch mit Requisiten,

Hochkultur: „die selbst das tiefste Schultheater-Niveau noch ­unterbieten.“ M&M TK:

Wir sind gegen deine Erwartungen angerannt,

Hochkultur:

„Das Stück ist ästhetisch uninteressant.“

M&M TK:

Manche formulierten mit Kawumm:

Hochkultur:

„Das ist brandgefährlich. Und strohdumm.“

M&M TK:

Andere zurückgenommener und leiser:

Hochkultur:

„Widerwärtige kleine Scheißer.“

M&M TK: Wir haben stets engagiert inszeniert, es wurde konzentriert differenziert: Hochkultur: „Manche Szenen geraten zu lang, manche eher unfreiwillig schwach.“ M&M TK: Und auch mit Gesang machten wir scheinbar Krach; wir sangen hoch, wir sangen tief, Hochkultur:

„Sie singen absichtlich schief.“

M&M TK:

Ach liebe Hochkultur, es war doch so nett,

Hochkultur: „dann imitieren die Hallodris das Ballett. Das alles ist vielschichtig gedacht. Aber ist es auch gut gemacht?“ M&M TK:

Wir hatten so viele wichtige Fragen,

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Hochkultur: „aber meist schlecht vorgetragen – (weil sie es nicht besser können oder weil sie es nicht besser wollen?) Ihre Mittel sind vielfältig, aber sie wiederholen sich. Ihre Mittel sind vielfältig, aber sie wiederholen sich.“ M&M TK: Liebe Hochkultur, heute ist es Zeit Abschied zu nehmen, es war genial, Hochkultur:

„furchtbar banal,“

M&M TK:

es war ein Spaß,

Hochkultur:

„Joko und Klaas“,

M&M TK:

es ging uns nie einfach nur um Applaus,

Hochkultur:

„so etwas wie Charisma strahlen sie nicht aus“,

M&M TK:

unser Bemühen war immer echt,

Hochkultur:

„die Preise bekamen andere – Zu Recht!“

M&M TK: Heute singen wir für dich in Dur: Lebe hoch, hoch, hoch, Kultur!

Markus&Markus Theaterkollektiv

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Keiner recherchiert so hart wie das Markus & Markus Thea­ terkollektiv. Haben sie so recherchiert. Das Markus&Markus Theaterkollektiv sind Lara-Joy Bues, Katarina Eckold, Mar­kus Schäfer und Markus Schmans. Das Kollektiv steht für eine ureigene Form dokumentarischen Theaters, leiden­ schaft­liche Investigation und radikale Perfektionslosigkeit. Nach ihrer IBSEN-Trilogie GESPENSTER, JOHN GABRIEL BORK­MAN und PEER GYNT (2017) waren ZWISCHEN DEN SÄULEN (2018), DIE BERUFUNG (2020), DIE BRIEFFREUNDSCHAFT (2022) und TITANIC II (2023) am Theater Rampe zu sehen.

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Martin, Moritz

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Ein AB-­­SCHIEDSBRIEF

Ein Abschiedsbrief: Ist das nicht etwas in die Jahre gekommen? Ist das nicht etwas, was die Boomer so machen? So einen richtigen Brief schreiben? Von Hand … Auf schönem Papier und am Ende alles in einen Umschlag und ablecken … Und dann wohin? Wer ist eigentlich der Adressat, die Adressatin, was ist diese Rampe eigentlich? An wen geht dieser Brief? Sind das die Leute, die dort arbeiten? Aber die wissen doch schon alles, von dem ich schreiben könnte. Die waren ja auch da, die kennen das ja. Kennen sich, kennen mich. Oder an das Publikum? Aber die sind doch nicht wegen der Nostalgie da. Nicht wegen des staubigen Miefs und des Tamtams, die wollen doch was Neues sehen, wollen mit der Zeit gehen, wollen sich überraschen lassen, wollen Autor*innen-Theater mit so vielen Sternchen, wie auf das Programmheft draufpassen, wenn’s geht. Oder an das Gebäude, an dem groß RMPE draufsteht, nicht mal richtig geschrieben. Arm und auch noch stolz drauf nämlich. Mut zum Schreibfehler würde ich das nennen. Adressiert an die gemeinsame Zeit, an das Flüchtige und Ephemere, das keine offizielle Adresse hat. Einmal an: Spielzeit 2017 bis 2018, Filderstraße 47, 70180 Stuttgart Expressversand mit der Rakete durchs Wurmloch. Titel: Abschiedsbrief an die Gefolgschaft, an die Follower, wie wir jungen Leute eigentlich zu sagen pflegen. Wie geht überhaupt dieses Abschiednehmen, wir folgen uns doch auf Instagram? Sind doch jederzeit erreichbar, nur einen Swipe entfernt, und können auch jederzeit anrufen, wenn wir wollen. Google-Suche: wie schreibt man einen abschiedsbrief. Erster Treffer: Hier findest du Hilfe, Sprich noch heute mit jemandem, Telefonseelsorge 24 Stunden erreich­bar unter 0800 1110111. Oh wow, didn’t see that comin! Offenbar ist es nicht normal, einen Abschiedsbrief schreiben zu wollen, man muss wohl depressiv sein und kurz vor dem Absprung stehen, um heutzutage noch einen ABSCHIEDS-BRIEF zu schreiben. Eigentlich will ich gar nicht Abschied nehmen, bin zu jung, um jetzt schon Abschied zu nehmen. Es soll weitergehen, es muss weitergehen. The show must go on, come on. Wenn der Theatervorhang fallen soll, muss es ja erst einmal einen Vorhang zum Fallen geben. Wo ist der denn, bitteschön? Im Rampefundus dritter Gang rechts auf dem dritten Regalbrett oder so, da gibt es einen richtig fetten Vorhang. Sechs auf vier Meter in Gold. Den müsste man mal

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aufhängen, das wär mal ein Abgang, wenn man den so richtig schön fallen lassen würde. Aus die Maus wär das. Eigentlich müsste der Abschied an die Leute gehen, die nicht da waren, die nicht einmal ahnen, was sie verpasst haben. Richtig leid sollte es ihnen tun, dass sie das verschlafen haben. Die können jetzt schön drauf hoffen, dass da noch was bleibt, dass da noch was übrigbleibt, für die, die da so schön verschlafen haben. Was bleibt eigentlich? Also das Gebäude bleibt doch, oder? Das wird doch so schnell hier nicht weggehen, oder? Das ist doch viel zu schwerfällig, oder? Das war doch wohl schon davor da, oder? Also wenn das Gebäude bleibt, ja, was geht denn dann? Also die Menschen werden doch nicht alle gehen, oder? Die sind doch nicht aus der Welt? Also manche gehen sicher­lich, wie Martina zum Beispiel. Das stand so doch auch in der Zeitung, oder? Ok jetzt Schluss, Aus, Ende, basta. Ab hier nicht mehr weiterlesen. Das passt jetzt so gar nicht zum Theater, dem Ganzen jetzt groß nachzuweinen. Bitte jetzt hier einmal schön die Seite heraustrennen, die Tränen damit abwi­ schen. Einmal richtig schön reinschnäuzen, damit sich das auch gelohnt hat, dass der Baum hierfür seine Federn lassen musste, und dann ab in die Flammen mit dem Blatt. Weiter soll es gehen, wie Phönix aus der Asche! P.S.: *räuspersmiley Danke für alles *zwinkersmiley Ich werde euch nicht vergessen. Euer Moritz (beziehungsunfähiges Exemplar der Generation Z)

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Moritz Martin machte 2017/2018 sein Freiwilliges Soziales Jahr in der Technik am Theater Rampe und gründete in dieser Zeit mit FSJ-Kolleg*innen das FREIWILLIG-Kol­lektiv, dessen erste Performance BILDVERBOT am Theater Rampe zur Premiere kam. Danach begann er sein Bühnenbild-Stu­ dium an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Er arbeitete als Ausstatter am Festival STADT DER FRAUEN*

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mit und ist Mitglied des Volks*theater Rampe.

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aus dem Moore, Elke

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RAMPE als ­Homebase – dem Unerzählten Raum geben

Das Theater Rampe ist eine meiner Homebases, sowohl institutionell wie auch persönlich. Ein zentraler Kooperationspartner und gleichzeitig ein Lieblingsort in meinem Kiez. Ein Ort, an dem kulturelle Teilhabe nicht nur gedacht, sondern auch gelebt wird. Das zeigt sich immer wieder im Programm wie auch in den Prozessen zu strukturellen Fragen, die teilweise öffentlich zugänglich gemacht und ausgetragen wurden. Begeistert rufe ich mir die vielen gemeinsamen Projekte mit dem Theater Rampe ins Gedächtnis, das Aushecken immer wieder neuer Themen und Formate sowie die permanente Verlässlichkeit und Ansprechbarkeit des Teams, wenn es um die inhaltliche Anbindung für Solitude-Stipendiat*innen aus aller Welt ging. Das Theater Rampe war für die Akademie Schloss Solitude stets ein Partner für Veranstaltungen und Festivals, sei es in der Entwicklung queerer historischer Stadtrundgänge mit Ebru Celkan 1 oder bei einem Labor zur kollaborativen künstlerischen Forschung. 2 Etwas sehr Zentrales, was mich mit dem Theater Rampe verbindet, sind das transversale Arbeiten und der stetige fachliche Austausch, der fortlaufend neue Perspektiven birgt und fast immer mit dem Zünden neuer Ideen einhergeht. Das solidarische Miteinander, eine Allianz des Vertrauens und der Empathie, gar des radikalen Respekts sind Teil der Verdichtung unserer Freundschaft. Unser vernetzendes Denken und Arbeiten prägte die Kooperationen. Es ließ uns die Projekte als freie Möglichkeitsräume sehen, in denen sich neue Formen der Wahrnehmung entwickeln können. Das utopische Potenzial,

1  Engaging with Histories. 12. – 14. März 2019. https://www.akademie-solitude.de/de/ event/kurzfestival-und-ausstellung-engaging-with-histories/ 2  Late Summer Research – Labor zur kollaborativen künstlerischen Forschung. 24. – 25. September 2020. https://www.akademie-solitude.de/de/event/late-summer-researchlabore-kollaborativer-kuenstlerischer-forschung/

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das Kunst in Menschen hervorrufen kann, sollte sichtbar werden. Das möchte ich besonders feiern in diesem „Abschiedsbrief“. Das transversale Arbeiten verläuft meistens quer und beschreibt eine Arbeitsweise, die versucht, Kompetenzen, Erfahrungen und Expertisen von allen Beteiligten miteinzubeziehen. Dafür steht das Theater Rampe, dafür stehen unsere Kooperationen. Diese gemeinsame Arbeit ist immer Ausbreitung, Entfaltung von Potenzialen und Sichtweisen, sie macht Energieflüsse möglich und sichtbar und entzieht sich dabei mitunter etablierten gesellschaft­lichen Strukturen, festgeschriebenen Bildern und lässt vor allem dem Unerzähl­ten seinen Raum. Besonders hervorheben möchte ich das von Christine Fischer, Martina Grohmann und mir entwickelte erste transdisziplinäre Festival für Kunst im öffentlichen Raum und mit der Zivilgesellschaft in Stuttgart: DIE IRRITIERTE STADT. Es war geprägt von einer enormen Freude an der Zusam­ men­arbeit sowie Mut, wechselseitiger Inspiration und Offenheit für Unbekanntes. „Im Kern ist jede Stadt ein unsichtbares Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen, die in ihr leben – ein Netz von Transaktionen, Gesprächen, Begegnungen und Zusammenstößen.“ 3 Ein anderes „Lieblingsprojekt“ ist das Volks*theater, das ich als Mitglied 177 der Kommission des Kulturamtes „Entwicklungstreiber“ beraten durfte. Inzwischen in der dritten Runde, gehört das Volks*theater, mit TAG Y, dem persönlichen Rundgang durch den Stuttgarter Süden, zu meinen großen persönlichen Highlights der letzten Jahre. Etwas, das bleibt, ist das Bewusstsein für das Potenzial des Kollektiven, das kritische Hinterfragen von Institutionen, dynamische Prozesse des Wissens und die Ermutigung zu experimentellen Darstellungsformen. Poetisch und verwegen, radikal und auf höchstem Bewusstsein erzäh­len die gemeinsamen Projekte von Vielfalt und Aufmerksamkeit, vom Erinnern, Verlernen und Neubewerten, von Widersprüchlichkeit und Fragilität und zentral von einer visionären Kraft unserer von Diversität geprägten Gesellschaft. Das Theater Rampe bleibt mir und anderen als ideelle und physische Homebase bestehen. Elke aus dem Moore

3  aus: DIE IRRITIERTE STADT. Dieses Fest der Künste fand vom 21. bis 26. Juli 2020 statt. 24 Tanzprojekte, Kunst-Aktionen, Performances, Stadtspaziergänge, Konzerte und Installa­tio­nen sowie ein Symposium waren in Stuttgarts erstem transdisziplinär kura­tier­ tem Festival zu erleben. Fünf Stuttgarter Kulturinstitutionen – Akademie Schloss Solitude, Freie Tanz und Theaterszene Stuttgart, Musik der Jahrhunderte, Produktionszentrum Tanz und Performance, Theater Rampe und Kulturamt Stuttgart veranstalteten es im Rahmen von TANZPAKT STUTTGART.

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Elke aus dem Moore war bereits in ihrer Zeit am Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) eine wichtige Gesprächs- und Projektpartnerin für das Theater Rampe. Ab 2015 waren beide Teil der transinstitutionellen Programmgruppe für das Kunstgebäude Stuttgart. Als sie 2018 Direktorin der Akademie Schloss Solitude wurde, entwi­ckelte sie gemein­ sam mit dem Theater Rampe und Musik der Jahrhunderte ein Festival für den öffentlichen Raum: DIE IRRITIERTE STADT fand 2020 in Stuttgart statt.

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Possmann, Jan-Philipp

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Kein Abschied!

Liebe Martina, liebe Marie, Ihr habt um einen Abschiedsbrief gebeten. Da musste ich erst mal ne Weile nachdenken. Ihr verlasst die Rampe und Stuttgart, um an das Schauspielhaus nach Wien zu gehen. So weit so gut. Ist das eine große Sache? Wenn ja, für wen? Und was kann ich dazu sagen? Unsere Zusammenarbeit fand statt ganz am Anfang Eurer „Intendanz“, wie Ihr das scherzhaft genannt habt. 2013 hatte ich gerade am Stadt­theater aufgehört und war sehr froh, dass Ihr das Projekt mit der Rampe ange­ 162 fangen habt. Von 2013 bis 2015 haben wir bei BOU­VARD UND PECUCHET 173 3000 und beim TÉCHNE-Festival eng zusammengearbeitet, aber auch in der Stadt­biblio­thek oder auf der „Hidden-Hunger-Konferenz“. 2016 bin ich dann fest ans zeitraumexit in Mannheim gegangen, und damit endete auch unsere Zusammenarbeit erst mal, wobei wir immer im Austausch ge­ blie­ben sind – beruflich und freundschaftlich. Mein Abschied von der Rampe liegt also schon zu lange zurück. Und von Euch verabschiede ich mich jetzt ja auch nicht. Vielleicht ist es diese Idee, dass nämlich ein Leitungswechsel von einer großen Abschiedsgeste begleitet werden muss, von der wir uns verabschieden sollten. Denn wenn etwas wirklich Interessantes und wirklich Grundlegendes und hoffentlich Bleibendes passiert ist an deutschen ­Kultur­­ein­richtungen in diesen zehn Jahren, dann betrifft das den Abschied von der Kultureinrichtung und von der Figur der*s Intendant*in, wie wir sie kannten. Und Ihr, Martina und Marie, habt dazu ein paar sehr kluge und inspirierende Beiträge ­formuliert. Also müsste das hier ein Abschiedsbrief an das System sein. Aber dafür ist es dann doch wieder zu früh! In der Bundesrepublik war diese Zeit vielleicht nicht das Jahrzehnt mit den besten Shows, aber sicherlich das mit den radikalsten strukturellen und ideologischen Infragestellungen. Jeder hat seine eigenen Erlebnisse oder Highlights aus dieser heißen Phase der Institutionenkritik, und ich bin sicher, dass ich vieles nicht mitbekommen habe. Ich zähle nur auf, was für mich persönlich wichtige Momente waren, an die ich mich erinnern kann: Clementine Deliss’ „Feldforschung im Museum“ und die gleichnamige Publikation am Museum der Weltkulturen 2011, die Gründung des EnsembleNetzwerks als politische Selbstvertretung von Ensembleschauspieler*innen 2015, das erste „NSU-Tribunal“ am Theater Köln 2017 und die Besetzung

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der Volksbühne im Herbst des gleichen Jahres, der offene Brief von zwanzig Tänzerinnen an den flämischen Choreografen Jan Fabre 2018, der zu seiner Verurteilung drei Jahre später führte, die 2018 in Mannheim veröffentlichten fünf „Thesen für das Museum der Zukunft“, das „Frauenleitungsteam“ am Badischen Staatstheater ab 2019, wohlgemerkt unter der Generalintendanz von Peter Spuhler, der kurz darauf beurlaubt wurde, und die diesjährige documenta mit der unsäglichen Rede des deutschen Bundespräsidenten gehört ebenfalls dazu. Manches davon ist krachend gescheitert, so wie Clementine Deliss’ ambitionierte Leitung am Museum der Weltkulturen, anderes war vor allem heiße Luft, wie die Mannheimer Museumsthesen, und anderes bleibt ambivalent, wie die Besetzung der Volksbühne 2017. Aber all diese Ereignisse haben das Selbstverständnis von Kulturschaffenden und das gesellschaftliche Verständnis von Kultureinrichtungen in Frage gestellt und die Kunst massiv politisiert. For better or for worse – wie man an der documentaDebatte sehen kann. Ich kann mich an keinen Moment in meinem Berufsleben erinnern, an dem Kulturschaffende so ernst, aber auch so in die Mangel genommen werden wie heute. Man muss als Kulturschaffender schon sehr bequem oder sehr elitär oder beides sein, um diese Entwicklung nicht zu begrüßen. Ist es nicht das, was Kulturschaffende immer wollen: bedeutsam sein, gesehen und gehört werden. Jetzt werden sie es, aber es ist oft alles andere als lustig oder schön. Ihr, Martina und Marie, wart 2013 mit Eurer Systemkritik relativ früh dran und habt bis heute konsequent an Alternativen zum bestehenden Theater­ system gebastelt. Das betrifft nicht nur die Projekte wie VAGA­BUNDEN­ 176 KONGRESS 2014, THEATRE OF THE LONG NOW, und vielleicht etwas 174 weniger radikal, BOUVARD UND PECUCHET 3000 und das Volks*theater. 177 Ihr habt auch sehr konsequent das gleichberechtigte Nebeneinander von Neuer Dramatik – die eigentlich am Stadttheater zu Hause ist – und internationaler Live Art, die in den Produktionshäusern entsteht und gezeigt wird, von Anfang bis Ende durchgezogen. Das heißt auch, dass Ihr verschiedene Formen der Zusammenarbeit zugelassen und ausprobiert habt. An der Rampe gibt es bis heute eine unüberschaubare Vielfalt an Arbeitsweisen und Teams: ein Ensemble, das keines ist, ein Leitungsteam, das plötzlich in der Belegschaft rotiert, ein Gastronom, der plötzlich auf der Bühne sitzt, Frauengesundheitszentrum, Volks*theater und und und. Darüber hinaus wart Ihr auch noch von Anfang an ein female-owned und queeres Projekt – natürlich in der für Euch typischen Inkonsequenz … Dieses strukturelle Durcheinander hat den Arbeitsalltag sicherlich nicht leicht gemacht, war aber vermutlich der Preis, den Ihr für programmatische Offenheit zu zahlen bereit seid. Es kommt natürlich auf die Perspektive an, aber zumindest aus meiner Perspektive als Gastkurator, Kollege und Besucher hat das auch dazu geführt, dass die Leitungsfiguren an der Rampe weniger herausstachen, weniger singulär auftraten und sich eher in einen Haufen von mehr oder weniger präsenten und sich selbst präsentierenden Personen eingefügt haben.

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Possmann, Jan-Philipp

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Diese sogenannten betriebsinternen Aspekte – wer arbeitet an welcher Stelle und vor allem wie – werden immer unterschätzt, wenn es um Institutionenkritik und Transformation geht. Projekte wie die „Öffnung der Kultureinrichtung“ oder „Diversifizierung der Kulturlandschaft“ haben sehr viel mit dem Betrieb zu tun, denn der Betrieb bestimmt, welche Verän­derungen überhaupt möglich und vor allem nachhaltig möglich sind. Deswegen muss man den Arbeitskampf des Ensemble-Netzwerks oder die Personalpolitik von Baden-Württemberg mit der veränderten Programmatik an den Häusern zusammendenken. Das bedeutet auch, dass wir die Kulturarbeit professionalisieren müssen, wenn wir die Kultureinrichtungen öffnen wollen. Professionalisierung heißt, dass Kulturschaffende ihre Persönlichkeit konsequent von ihrer Arbeit trennen. Das ist nicht nur für so etwas Profanes wie die psychische und physische Gesundheit essentiell, es garantiert auch, dass die soziale Herkunft, die sich in unserem Habitus und unseren persönlichen Vorlieben ausdrückt, nicht mehr alleine entscheidend dafür ist, wer in die Häuser reinkommt. Es hilft auch, dass Mitarbeitende das Theater oder Museum nicht für ihre ideelle Heimat, ihr Lebensprojekt oder ihren Rückzugs­ort halten, den sie gegen alle Eindringlinge verteidigen müssen. Und Professionalisierung bedeutet auch, dass Programme angreifbar sind und öffentlich diskutiert werden können, weil das Argument für das Programm nicht mehr die Genialität oder auch einfach nur der Geschmack der Leitungsperson sein kann. Man muss es leider sagen: Der Grund, warum Kulturschaffende so gerne von der Kultureinrichtung als „Safe Space“ sprechen, ist vor allem, weil sie dort für sich selbst und ihre Idiosynkrasien einen Safe Space gefunden haben. Und deswegen sind Kultureinrichtungen nicht nur in der Belegschaft, sondern auch im Publikum überwiegend weiß, deutsch und bürgerlich. Und der Betrieb ist noch für etwas anderes verantwortlich: Er verleiht der Institution eine Schwere und Bodenhaftung, der mit kuratorischen Ideen kaum etwas anzuhaben ist. Eine Kultureinrichtung ist immer beides: Arbeitsplatz und Projektionsfläche, Teil der kapitalistischen Ordnung und Medium seiner Kritik. Zehn Mitarbeiter*innen sind zehn lohnabhängige Menschen, und ein Arbeitsplatz ist mehr als ein Spielzeitmotto. Es gibt einen systemisch angelegten Konflikt zwischen dem Wunsch nach totalem künstlerischen Risiko und der gleichzeitigen Verpflichtung zu existentieller Sicherheit. Deswegen muss frau*man eine Theaterleitung beurteilen anhand der Anzahl Kritiker*innen-Preise UND anhand der Anzahl Burnouts im Team, oder auch anhand funktionierender Paarbeziehungen, Kindern, Hobbys, Eigenheimen und Sportvereinsmitgliedschaften unter den Mitarbeitenden. Das Problem heißt Lohnabhängigkeit. Und frau*man mag sich ihren*seinen Beruf noch so schönreden, Lohnabhängigkeit ist Unfreiheit und Lohnabhängigkeit ist und bleibt die größte Transformations-Bremse. Im Übrigen ist sie auch ein zentraler Grund, warum so wenige post-migrantische Berufsanfänger*innen den Weg in die Kultur einschlagen. Wer sich ohne Grundbesitz und ohne familiäre Verbindungen eine Existenz aufbaut, die*der wird ihren*seinen Kindern bestimmt nicht zu einer Berufswahl

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raten, bei der es eher um Lifestyle als um Lebensunterhalt geht. Solange das so ist, solange kurzfristige Anstellungen und freiberufliche Mitarbeit die vorherrschenden Beschäftigungsmodelle in Kultureinrichtungen sind, so lange werden auch die schönsten Mitbestimmungs-, Rotations-, Allmendeund ganz allgemein Kulturutopien an den legitimen Sicherheits- und Ab­grenzungs­bedürfnissen der Mitarbeitenden zerschellen, zumindest aber ihre Grenzen finden. Auch die Rampe hat die Revolution nicht ausgerufen. Ihr habt zehn Jahre lang die Macht nie mehr als symbolisch und temporär abgegeben. Ihr habt weder das Mitarbeiter*innen-Grundeinkommen eingeführt noch alle zu Intendant*innen gemacht. Euer Publikum ist divers, aber weder ist der Laden jetzt immer voll noch ist er mit ganz anderen Leuten voll als woanders. Die Show beginnt abends um acht und um zehn ist frau*man wieder zu Hause. Ihr habt auch die Verbindung zum konventionelleren Teil des Kulturbetriebs, zum Feuilleton und zum Stadttheater, nie gekappt. Ihr habt das alles mitgenommen, inklusive Faust- und Theatertreffen-Nominierung. 161 All das schwächt Eure künstlerischen Verdienste und Eure programmatischen Setzungen nicht. Wie gesagt – eine Kultureinrichtung ist vor allen Dingen ein Arbeitgeber und das Leben im Kapitalismus kein Ponyhof. Aber es wirft zumindest die Frage auf, was für ein Abschied und was für ein Neuanfang das jetzt ist. Denn auch Eure Nachfolge wurde sehr ordentlich 167 geregelt: Das Intendant*innenmodell bleibt unangetastet, eure Nachfolger*innen sind Leute vom Fach, politisch korrekt nach Proporz gegendert. Die Besetzungsjury, mit kompetenten Kolleg*innen besetzt, hat ihre Arbeit ernst genommen. Was wäre denn ein Zeichen des Erfolgs, wenn Ihr jetzt nach zehn Jahren den Schlüssel wieder abgebt? Vielleicht, dass es niemand merkt. Dass Euch niemand nachweint. Denn wenn Ihr nachhaltige Veränderungen zum Besseren herbeigeführt habt, dann werden Eure Nachfolger*innen sie still und heimlich übernehmen. Wenn Ihr zehn Jahre lang die öffentlichen Debatten mit wichtigen Impulsen und die Stuttgarter Bevölkerung mit politischer Imagination versorgt habt, dann sind diese Debatten lebendig und dann stehen die Chancen ganz gut, dass Stuttgart als Gemeinwesen noch ein paar Jahre durchhält. Wenn Ihr nicht nur Euer eigenes Haus weiter­gebracht habt, sondern auch all die Kollektive und gegenkultu­rellen Strömungen der Stadt, mit denen Ihr im Austausch wart, ermutigt und gefördert habt, dann kommen die ab jetzt ganz gut ohne Euch klar. Darum – kein Abschied! Auch kein Abschied vom Kapitalismus, kein Ab­schied vom System, kein Abschied von der Kunst. Stattdessen weiterarbeiten. Die eigenen und die Bedürfnisse der anderen respektieren, die eigenen Beschränkungen kennen und trotzdem nie zufrieden sein. Nichts ist fertig, nichts erledigt. Es gibt noch so viel zu tun! Jan-Philipp Possmann

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Jan - Philipp Possmann arbeitete als freier Kurator und Dramaturg von 2013 bis 2016 an der Rampe. Er kuratierte das Forschungslabor BOUVARD UND PECUCHET 3000 (2013 –

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2015) und konzipierte die Produktionsplattform TÉCHNE

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(2016 – 2018). Auch als Leiter von zeitraumexit in Mannheim (2017–2022) blieb er dem Theater Rampe freundschaftlich verbunden.

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Puttenat,Thorsten

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Die guten Leute

Ich gehe ins Theater, und zwar enorm selten. Vermutlich bin ich einfach zu bräsig. Im Wissen, dass es großartige Inszenierungen gibt, die mich inspi­rie­ren und bereichern würden. Warum also schreibe ich diesen Abschieds­brief an dieses Theater? Weil ich Letzteres über die Jahre ein wenig kennenlernen durfte, weil ich diesen Ort des Schaffens mag und schätze? Weil ich als Stadtrat der Stadtisten im Beirat der Rampe sitze? Nein, das allein reicht nicht. Dafür kann ich leidenschaftlich davon schwärmen, was die guten Leute der Rampe in meinen Augen für Stuttgart tun. Wie sie in den vergangenen Jahren den (stadt)gesellschaftlichen Diskurs befeuerten und das bis heute tun – mit klarer, progressiver Haltung für einen offenen, diversen Pluralismus in immer schwieriger werdenden Zeiten. Das ist, wofür die Arbeit der fleißigen Frauen samt Männern und Diversen für mich steht. Die Rampe-Leute schwärmen aus, nicht nur im geografischen Sinne. Sie praktizieren das, was ich im Großen wie im Kleinen als Notwendigkeit betrachte: Die Beschäftigung mit uns selbst als geliebtes und gehasstes Kollektiv. Ohne Angst, daran zu scheitern. Die Schwierigkeiten unter Menschen, die sie auf künstlerische Art und Weise angehen. Die interdisziplinären, gleichzeitig nah- und greifbaren Versuche, komplizierte Umstände niederschwellig und dennoch mit großem Anspruch nicht nur auf die Bühne, sondern auch auf die Straße zu bringen. Und damit sind alle gemeint – nicht nur ein Publikum, das intellektuelle Inhalte in Kunst und Kultur sucht und zu schätzen weiß. Mit alledem beweisen und bewiesen die Stadtaktivistinnen Marie Bues, Martina Grohmann, Franziska Stulle und ihr Team nicht nur ein großes 176 Herz, sondern auch Weitblick. Unvergesslich bleiben mir der VAGA­BUN­ 177 DEN­KONGRESS, das Volks*theater, THE EUROPEAN HOUSE OF GAM­ 174 BLING und die Telefonperformance TAG Y, die mich tief berührte. Das Vermächtnis wiegt schwer. Umso erstaunlicher und beindruckender war es für mich, zu beobachten, wie die Nachfolge gesucht wurde. Dieser Prozess, dieses Experiment ist beispielhaft und wird im Fortgang erfolgreich sein. Davon bin ich überzeugt. Abschließend erhebe ich meinen Hintern, verneige mich und wünsche dem alten Team das Allerbeste. Der neuen Leitung drücke ich feste die Daumen. Weiter geht’s! Thorsten Puttenat

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Der Komponist, Film- und Bühnenmusiker Thorsten Put­ tenat ist auch als Stadtaktivist unterwegs. Seit 2019 sitzt er für die Stadtisten im Stuttgarter Gemeinderat und ­gehört dem Beirat des Theater Rampe an. Seine Leidenschaft gilt der freien Kunst- und Kulturszene, nicht dem Theater. Als Nicht-Theatergänger sprechen ihn vor allem Formate an, an denen er sich auch als Besucher aktiv beteiligen kann.

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Rampe 23

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Wir sagen Tschüss

Ciao, do widzenia,

, adeus, bye-bye, au revoir zu:

leichtsinniger Verwendung von Begriffen wie Diver­ sität (stattdessen: Defizite klar benennen), Checklisten, die man einfach abarbeiten kann (stattdessen: akzeptieren, dass Arbeit an Veränderung nie abgeschlos­sen ist), allgemeingültigen Normen (stattdessen: vielfältige Körper, Bedürfnisse etc.), institutioneller Bequemlichkeit (stattdessen: sich selbst riskieren, raus aus der Komfortzone), Zeit- und Erwartungsdruck (stattdessen: Veränderung braucht Zeit!), schnellen Erfolgen (stattdessen: kleine Erfolge feiern), Angst vor öffentlichem Scheitern (stattdessen: offen über Fehler sprechen), großen, aber bedeutungslosen Gesten, Symbolpolitik (stattdessen: eigene Strukturen ernsthaft anschauen und langfristig Verantwortung übernehmen), Tschüss zu „Sprich mal lauter!!“ (stattdessen: besser zuhören), Bürokratie-Deutsch (stattdessen: verständliche, einfache Sprache), zur 40-Stunden-Woche (stattdessen: maximal 35-­Stunden-Woche), Adieu zu Produktionsdruck (dafür: Prozessarbeit!), Ehegattensplitting (lieber: andere Lebensmodelle gerecht besteuern und diejenigen zur Kasse bitten, die es sich leisten können),

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unbezahlter Carearbeit („Ihr nennt es Liebe, wir ­nennen es unbezahlte Arbeit“, Silvia Federici), deutscher bzw. europäischer Asylpolitik und Abschiebepraxis, Oh, wir driften ab, zurück zum Kulturbetrieb: Abhängigkeit von Förderungen für Barriere­ freiheits-Maßnahmen (stattdessen: langfristige Investitionen in den Abbau von Barrieren), Tabuisierung von Burnout bzw. psychischen ­Krankheiten, Glauben, wir seien nicht rassistisch, weil es ja nicht so gemeint war (besser: Auseinandersetzung mit eigenen, internalisierten Rassismen), Trennung von Kinder- und Jugendtheater, Trennung von Amateur*innen und Profis, Angst vor Cancel Culture (stattdessen: offene Kommunikation darüber, wie wir Sprache und Darstel­ lungen diskriminierungssensibel gestalten können), Tschüss zur aktuellen Diskussionskultur (lieber: einander AKTIV zuhören), Ade zur Ehrfurcht vor der Hochkultur und dem „bad theatre of academia“ (stattdessen: auch Witchcraft ist Wissen), Vetterleswirtschaft und Vergabe nach Schema F (stattdessen: ­öffentliche Ausschreibungen und Leitungs­positionen durch unabhängige, diverse Findungskommissionen besetzen lassen), unkündbaren Positionen und Verträgen auf ­Lebenszeit (stattdessen: Power­sharing und Rota­ tionsprinzip), dem/der Intendantin (stattdessen: alternative Leitungsmodelle) , Deutsch als einziger Bühnensprache, homogen besetzten Aufsichtsräten und Vorständen, Selbstausbeutung im Namen der Kunst und damit einhergehender prekär bezahlter Arbeit (­stattdessen: angemessene Entlohnung aller Mitarbeitenden),

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ungleich verteilten Redeanteilen in Bespre­chungen (statt­dessen: Methoden, in denen alle zu Wort ­kommen), Qualifikationen, die nur nach allgemein anerkann­ ten Maßstäben bewertet werden (stattdessen: Fokus auf komplementäre Fähigkeiten), den Konventionen eines Theaterbesuchs (stattdessen: mehr Relaxed Performances),

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Tschau zu: unbedachtem Konsum, WegwerfMentalität in der Ausstattung und im Arbeitsalltag, Phrasen von weißen, privilegierten Personen wie z. B. „Ich hab sooo viel von dir gelernt.“ / „Mir war gar nicht klar, dass …“ / „Wo kommst du eigentlich wirklich her?“/ „All lives matter.“/ „Aber ich hab das doch gar nicht so gemeint.“ / „Wieso soll das jetzt rassistisch sein?“ / „Wir können uns ja nicht nur noch mit diesem Thema beschäftigen!“ (Just: don’t!) Nicht verabschieden wollen wir uns vom Theater Rampe, von unseren großartigen Kolleg*innen, all den wunderbaren Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten durften, und natürlich all den Festen, die es noch zu feiern gibt. Eure Rampe 23

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Anna Bakinovskaia, Paula Kohlmann und Kathrin Stärk setzten sich gemeinsam mit der Prozessbegleiterin Handan Kaymak zwei Jahre lang mit Machtstrukturen, Rassismus, Klassismus und generellen Öffnungs- und Transfor­mations­ prozessen in Kulturinstitutionen auseinander. Als Arbeitsgruppe Rampe 23 gestalteten sie die Zukunftsperspektive des Hauses. Rampe 23 lud eine große und diverse Findungskommission ein, formulierte eine machtkritische, diskriminierungssensible Ausschreibung und begleitete den Übergang vom alten zum neuen Team. Ein Beitrag zur Debatte. Ein Experiment zur gesellschaftlichen Veränderung, um gemeinsam zu lernen, Wissen zu generieren und weiterzugeben, so etwa im Oktober 2021 mit IF YOU GOT IT, GIVE IT.

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Schrade, Fender

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Ein sonisches Archiv der ­Möglichkeiten

Liebe Rampe, fast auf den Tag genau vor neun Jahren entstand die Bühnenproduktion „Nana not alone“. Mein Instrument, ein Keyboard aus 49 Tasten, war dafür mit meiner Sprechstimme und gesprochenem Text, statt wie zuvor mit musi­kalischen Tönen gefüllt. Der Abschied als Musiker von meinem Instrument mit dem gewohnten Klang und die Erweiterung meines Körpers brachten die Möglichkeit mit sich, das Publikum in der unwillentlichen Ein­ ordnung meiner Person im Hinblick auf Gender, Herkunft, Klasse heraus­ zufordern. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nur eine vage Ahnung, dass dies ein persönliches sonisches Archiv meiner Stimme werden sollte, die sich in den kommenden Jahren im Klang veränderte. Wenn ich den Text mit meiner heutigen Stimme spreche, merke ich, obwohl es derselbe Text ist, dass es rein der Klang meiner Stimme ist, der den Worten anderen Inhalt verleiht. Durch die Zusammenarbeit und den physischen Theaterraum sind in den darauffolgenden Jahren aus den 49 Tasten 392 geworden. Eine sechs Meter lange Skulptur, die in den Produktionen, die in der Rampe entstanden sind, eine Transformation in ein Instrument erfahren hat. Ein Instrument, das nicht eine Klangfarbe, Melodie oder Rhythmus in einem musikalischen Gesamtarrangement zur Aufführung eines musikalischen Werks beiträgt, sondern das Instrument hat es sich zur Aufgabe gemacht, Musik und Kunstschaffende in ihren unterschiedlichen Positionen, Haltungen, Karrieren für einen Moment auf eine andere Art zusammenzubringen und damit nicht nur das Kunstschaffen ins Zentrum zu stellen, sondern Musik als Haltung zu proklamieren. Das 392 stand an kalten Tagen im Dezember und Januar 2018 mal auf der Probebühne, mal im Atelier im Haupthaus und wurde mit Field Recordings befüllt, manchmal sind auch Baustellengeräusche oder Arbeitsgeräusche von den Auf- und Abbauten, die im Theaterbetrieb stattfinden, zu hören. In den Konzerten wurde das Material zu sonischen Biografien der Künstler*innen, aber auch des Ortes und der Menschen, die dort arbeiten. Diese

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Klänge machen das Instrument und die Aufführungen zu einem lebenden Archiv. Das erscheint mir wichtig in einer Kultur, die sich zunehmend von der Kraft des Moments und der Intuition distanziert hat und das „Werk“ sich durch Technologie und Reproduzierbarkeit mehr und mehr in eine neoliberale Wirt­schaftslogik einordnen muss. Es erzählt eine gemeinsame Zeit bzw. das Erleben eines gemeinsamen Moments, in dem die Arbeit vor, hinter und auf der Bühne im Klang verschmilzt. Es ist ein Experiment des Zusammenarbeitens und – wie überall auch in der Kunst – des Zusammenlebens. Bei unserer ersten Begegnung im Herbst 2013 ist mein Körper in mein Instrument gewandert. Als Möglichkeit, mich im sonischen Raum zu ver­ orten. Im 392 wurden viele Identitäten, Genres, Arbeitsansätze hör- und erfahr­bar. Bei unserem Abschied bleibt ein gemein­sames Archiv an Möglichkeiten zurück – Möglichkeiten, Musik als Haltung zu leben. Fender Schrade

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Der Musiker, Performer und Medieningenieur Fender Schra­de spielt mit den Codes elektronischer Instrumentalisierung und erforscht die Möglichkeiten, Instrumente als Erwei­ te­ rungen seines Körpers zu modifizieren. Er entwick­ elte 392, ein Keyboard mit Überlänge. Gemeinsam mit Gast-Musiker*innen untersuchte er in der mehrteiligen Musik­werkstatt von NAF, wie man für 392 Tasten komponieren oder wie 392 – eigentlich ein Haufen Plastik – kulturell und sozial andocken kann. Gemeinsam mit Nana Hülsewig realisierte er als NAF unter dem Titel NORM IST F!KTION eine Serie von Interventionen im Theater- und Stadtraum.

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Stulle, Franziska

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Liebe

Künstler*innen, Kollektive, Förder- und Kooperationspartner*innen, ABK Stuttgart, Florence Adjidome, ADK Ludwigsburg, Magda Agudelo, Donya Ahmadifar, Surja Ahmed, Akademie Schloss Solitude, Zakarea Alsadi, Sonja Anders, Wolfram Apprich, ARGEkultur Salzburg, Gessica Arjona, AS WE ARE, Robert Atzlinger, Nora Marie Back, backsteinhaus produktion, Elmira Bahrami, Pierre Balazs, Ballhaus Ost, Barbis Ruder, Sarah Bauerett, Eva Baumann, Irene Baumann, Sophie Becker, Barbara Behrendt, Katharina Behrens, Sivan Ben Yishai, Lilly Bendl, Marcus Bergmann, Ana Berkenhoff, Anton Berman, Bewegung tut gut, Hans Konrad Biesalski, Azul Blaseotto, Iva Blazevic, Rainer Bocka, Eberhard Boeck, Vasily Bogatov, Bolle Lindenborn, Böller und Brot, Daniel Boy, Benedikt Brachtel, Max Braun, Helga Brehme, Virginia Breitenbaumer, Joscha Brettschneider, Dominique Brewing, Mona Bricke, BRTHR, Katja Brunner, Antje Budde, Marie Bues, Christopher Bühler, Dragana Bulut, Marina Buneta, Bureau Baubotanik, Otto Paul Burkhardt, Theresa Bürkle, Verena Buss, Elisabeth Caesar, Tommaso Calarco, CAMP, Rafael Capurro, Cargo-Theater Freiburg, Christian Carlier, Stefanie Carp, Samia Chancrin, Aliaksandr Charnukha, Chez Company, CHICKS* freies performancekollektiv, christians//schwenk, Christine Chu, Nupelda Ciftci, Citizen.Kane.Kollektiv, Axel Clesle, Tyler Coburn, Ariel Cohen, Compagnie LaPerformance / Julie Jaffrenou, contact Gonzo, Copy and Waste, Cosmic American Music Revue, Caroline Creutzburg, CyberRäuber, Fola Dada, Sara Dahme, Silinee Damsa-Ard, Sebastian Däschle, Jonaya de Castro Garbe, Giselle de Queiroz Rocha, Harry Delgas, Alex Demirovic, Joy Denalane, Kathrin A. Denner, Amelie Deuflhard, Dexter, die apokalyptischen tänzerin*nen, Die Brücke e.V., Die Digitale Bühne, Die matriarchale Volks­ küche, Die Soziale Fiktion, Sophie Diesselhorst, Marion Dieterle, Cino Djavid, Yvonne P. Doderer, Martin Doll, Drescher & Papion Produktion, Nikola Duric, ECLAT Festival für Neue Musik, ehrliche arbeit - freies Kultur­büro, Hannah Eimermacher, Gerda Eisele, Ben El-Halawany, Niko Eleftheriadis, Rosa Elidjani Asl, Jasmin El-Manhy, Ensemble Rot, Felix Ensslin, Leyla Ercan, Arzu Erdem-­Gallinger, Canan Erek, Nicoleta Esinencu, Eugen & Eugen Prod., Ev. Jugendwerk Böblingen, Beate Fassnacht, Florian Feisel, Fellnasen Stuttgart e.V., Alice Ferl, ff*gz Stuttgart, Filmakademie Baden-Württemberg, Filmklub KOKI, Dieter Fischer, FITZ Stuttgart, Flanerie. Labor für Gedanken & Gänge, Beatrice Fleischlin, Fleischlin / Hellenkemper und Kompliz:innen, Florin Flueras, Forum der Kulturen Stuttgart e.V., Davis Freeman,

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Freie Filiale, Freie Tanz- und Theaterszene Stuttgart, freiwillig kollektiv, Johannes Frick, Frisch & Schick, Lena Fritschle, Fronte Vacuo GbR, Cora Frost, Peter Frost, Mira Fuchs, FUX, Gadoukou La Star, Natascha Gangl, Gabriela Garcia Juns, David Gaviria, Rona Geffen, Chiara Geiser, Mersedeh Ghazaei, Marsha Ginsberg, Gintersdorfer / Klaßen, Jan-Christoph Gockel, Anna Gohmert, Nicole Golombek, Efthimios Gongos, Edan Gorlicki, Bettina Grahs, Friedrich Greiling, Matthias Gronemeyer, Felix Grünschloß, Gruppe CIS, Anna Gschnitzer, Nina Gühlstorff, Murat Güngör & Hannes Loh, Gütesiegel KULTUR*, Yolanda Gutiérrez, Anne Habermehl, Juliane Hahn, Nici Halschke, Ant Hampton, Harald Bergmann Filmproduktion, Max Hasenclever, Muna Hassaballah, Ian Hatcher, Britt Hatzius, Peter Hauer, Frigga Haug, Hauptaktion GbR, Klemens Hegen, Luise Heiderhoff, Elisa Heiligers, Felix Heimbach, Melanelle B.C. Hemefa, Henrike Iglesias, Patrick Heppt, Herbordt/Mohren, Julia Herbrik, Alexander Herrmann, Stine Hertel, Anne-Mareike Hess, Mandy Hildebrandt, Benjamin Hille, Katja Hiller, Stefan Hiss, HMDK Stuttgart, Wolfgang Höbel, Burak Hoffmann, Saoirse Hoops, Horizontaler Gentransfer, Karolina Horster, Heinrich Horwitz, Evelyn Hribersek, Nana Hülsewig, Pirkko Husemann, IFA Galerie, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Institut Français Stuttgart, INTER-ACTIONS, InterAKT Initiative, Internationaler Bund, Interrobang, Invisible Playground, Claudia Irro, Sarah Israel, IZKT Stuttgart, Hannah Jacob, Björn Jacobsen, Sylvain Jacques, Jan Jaroszek, Alexander Jaschik, Geumhyung Jeong, Johannes Müller / Philine Rinnert, Jon Shit, Ingo Jooß, John Jordan, Kairus Art+Research, Joy Kristin Kalu, Schorsch Kamerun, Astrid Kaminski, Mira Kandathil, Dorothea Karapanagiotidou, Uwe Kassai, Katholisches Bildungs­werk Stuttgart, Kat Kaufmann, Handan Kaymak, Dota Kehr, Valentin Kemmner, Sarah Kempin, Rabea Kiel, Harald Kimmig, Marian Kindermann, Kinga Toth, Friedrich Kirschner, Barbara Kistner, Orlando Klaus, Astrid S. Klein, Timo Kleinemeier, Klubi – Verein zur Förderung von Kunst und Kultur, Oliver Kluck, Johanna Yasirra Kluhs, Tomislav Knaffl, Danilo Knierim, Pawel Kocambasi, Thomas Köck, Justyna Koeke, Marcus Kohlbach, Daniel Kok, Sebastian König, Yevgenia Korolov, Daniel Kötter, Marvin Kouabanan, Florentine Krafft, Florian Krauss, Olf Kreisel, Janine Kreß, Conny Krieger, Tanja Krone, Taisiya Krugovykh, Annett Kruschke, KUGEL – Kulturen gemeinsam leben, Jens Kuhlmann, Kulturamt Esslingen, KulturRegion Stuttgart, Kulturverein Belarus Süd West, Künstlerhaus Stuttgart, Kunst­verein Wagenhalle e.V., Izy Kusche, La Fleur, La Fuchsia Kollektiva, La Trottier Dance Collective & Cerna Vanek Dance, Landes­armuts­konferenz Baden-Württemberg, Landesverband Freie Tanz- und Theater­schaffende Baden-Württemberg, Maurizio Lazzarato, Laurenz Leky, Siarhiej Leskiec, Letzter Drücker, Valentin Leuschel, Ariel Nil Levy, Marouscha Levy, Leah Lichtwitz, Andreas Liebmann, Liederlust Mettingen, Niombo Lomba, ­Adrianna Liedtke, Literaturhaus Stuttgart, Lokstoff! Theater im öffentlichen Raum, Long Lost Souls, Los Santos, Peter Luttringer, Annina Machaz, Made in Germany, Made in Stuttgart, Thomas Maos, Marie Louise, Johanna Markert, Markus&Markus Theaterkollektiv, Luzie Marquardt, Marcell Mars,

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Stulle, Franziska

S. 3/4

Moritz Martin, Rafi Martin, Pedro Martins Beja, Lebo Masemola, Hannah Mehler, Caro Mendelski, Bahar Meric, Anja Meser, Samira Messner, Pierre Meunier, Astrid Meyerfeldt, Daniel Mezger, Anna-Lena Michel, Julia Mihály, Marina Mihkhalchuk, Mareike Mikat, Vladimir Miller, Emi Miyoshi, Mobile Albania, Nina Mohr, Eduardo Molinari, Saskia Mommertz, Heike Mondschein, Monster Truck, Montagegruppe, Martin Montgomery, Mörike Gymnasium, Danial Mortazavi, Rabih Mroué, ­Siyabonga Mthembu, Gabriele Müller-Trimbusch, Musik der Jahrhunderte, Mütterkünste, Martin Nachbar, NAF, Nationaltheater Mannheim, Indra Nauck, Mazlum Nergiz, Neue Dringlichkeit, Nam Nguyen The, Christa Niemeier, Oliver Niemeier, Boris Nikitin, NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste, Monika Nuber, Steffi Oberhoff, Oblivia, Evein Obulor, Martina Olerni, Dominic Oley, Laura Oppenhäuser, Ordinateur, Rex Osa, Maja Osojnik, Gabriele Oßwald, O-Team, Fabrice Ottou, Overhead Project, Akil Özhan, Raman Padaliaka, Boglárka Pap, Philine Pastenaci, Christina Paulhofer, Rita Pauls, Anne-Kathrin Pawlik, Wagner Pereira de Carvalho, Grazia Pergoletti, Anna Peschke, Iara Peters, Benjamin Petersen, Silvia Pfändner, Tilman Pfau, Marion Pfaus, Tina Pfurr, Judith Philipp, Karl Philipps, Micha Piltz, Dirk Pilz, Christiane Pohle, Johann Polzer, Anthony Pool, Alina Popa, Jan-Philipp Possmann, post theater, Larissa Probst, Produktions­zentrum Tanz und Performance, p ­ unkt.life Kollektiv, Farmanullah Qalandri, Hendrik Quast, Queerfem Stuttgart, Sahar Rahimi, Shahrzad Rahmani, Kostja Rapoport, Mike Razniewski, refugees4refugees, Rembetiko, Kerstin Retemeyer, Laia RiCa, Yara Richter, Jonas Riemer, Rimojeki, Peer Mia Ripberger, Daniela Rodriguez Romero, Kathrin Röggla, Emma Rönnebeck, Christiane Rösinger, Marcel Roth, Rotterdam Presenta, Tucké Royale, Benjamin Rudolf, Chantal Ruiz, Thomas Rustemeyer, Florian Rzepkowski, S. Rudat, Amir Natanaeel Saadat, Mohannad Binyamin Saadat, Saar­ländisches Staatstheater Saarbrücken, Wanja Saatkamp, Anike Joyce Sadiq, Rafael Saidy, Evamaria Salcher, Wolfram Sander, Andrei S ­ auchanka, Magnus Sauer, Pasquale Scazzariello, Stephanie Schadeweg, Jasmin Schädler, Aliki Schäfer, Matija Schellander, Uwe Schenk, Vivian Scheurle, Schick­hardtschule, Anna Schiefer, Nele Schiller, Rezzo Schlauch, Pamela Schlewinski, Oliver Schmaering, Adrian Schmidt, Christoph Schmitz, Beata Anna Schmutz, Martina Schneider, Malte Scholz, Fides Schopp, Fender Schrade, Sabrina Schray, Lukas SchuhmacherOesterle, Lieko Schulze, Antje Schupp, Dennis Schwaben­land, Paul Schwarz, Christoph Schwerdtfeger, Hannes Schwertfeger, Inga Schwörer, Hannes Seidl, Nadine Seidu, Claudia Senoner, She She Pop, Grigory Shklyar, Showcase Beat Le Mot, Bernhard Siebert, Hannes Siebert, Silvia Rosani, SKART, Ines Skirde, Holger Sonnabend, Sophiensæle, Alexander Sowa, SPECTYOU, Katrin Spira, Camila Sposati, Rafael Spregelburd, Staatstheater Karlsruhe, Stadt der Frauen*, ­Stadt­bibliothek Stuttgart, Stadtlücken, Florian Stamm, Silvia Stammen, Mats Staub, Eva-Maria Steinel, Sarah Johanna Steinfelder, Nicola Steller, Edd Stern, Vanessa Stern, Felizitas Stilleke, Maike Storf, stranger in company, Hannes Strobl, Claudia Strohm, studio panorama, Studio Urbanistan, Stuttgarter Filmwinter, Ülkü Süngün,

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Swoosh Lieu, Syndikat Gefährliche Liebschaften, Ivan Syrov, SZENE 2WEI, Lajos Talamonti, TALK Projekt, Aya Tarek, TART Produktion, Mehdi Tavakoli, Paria Tavakoli Dinani, teatru-spălătorie, Maria Tengarrinha, Lydia Tesfai, The Footprints, Theater Neumarkt Zürich, Theater Lübeck, Theater Thikwa, Theaterdiscounter, Theaterkollektiv Bureau, Siri Thiermann, Ives Thuwis, Justin Time, Emilija Tolj, Antje Töpfer, Transit Productions, Klaus Trappmann, Anouschka Trocker, Annika Tudeer, Turbo Pascal, Marie Ulbricht, Miriam Ulrich, Michael Valeur, Vampire Cats, Artúr van Balen, Vedischer Kulturverein, Verlag für Handbücher, Romina Vetter, Gustavo Vilaboy Peral, Debora Vilchez, Akseli Virtanen, Andreas Vogel, Elisabeth Vogetseder, Nadine Vollmer, Melina von Gagern, Henrik von Holtum, Marco Vucic, Werner Waas, Yoreme Waltz, Stefan ­Wancura, Julian Warner, David Weber-Krebs, Petra Weimer, Bernd Welte, Philipp Wenning, Britta Wente, Franziska Werner, White on White, Raimund Widra, Monika Wiedemer, Andrew Norman Wilson, Christoph Winkler, Andreas Winter, Noa Winter, Patrick Winzer, Andrzej T. Wirth, Simon Wittke, WKV Stuttgart, WLB Esslingen, Daniela Wolf, Melanie Jame Wolf, Oliver Zahn, zaungäste, Armin Zebrowski, zeitraumexit, Felicia Zeller, Zentrum selbstbestimmt Leben – ABS, Frederik Zeugke, Yiran Zhao, Tobias Yves Zintel, Anna Zlatkovskaya, ZweiLaster und allen Mitgliedern des Beirats des Theater Rampe e.V. Danke.

Eure Franziska

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Franziska Stulle arbeitet seit 2013 als Geschäftsführerin am Theater Rampe. Seit 2021 leitet sie das Haus gemein­sam mit Martina Grohmann.

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Eulogy to ­Resistance

Dear beloved, joyous gathering, sisters! As our Mother Earth always says, »Watch and pray, for you know neither the day nor the hour when the end of patriarchy will come«. And this is exactly why we’ve congregated here today. Our prayers have been heard, our urges have been noticed, and our actions have borne fruit. We’ve gathered here today to say goodbye to something that’s been shaping our existence for millenia. Something that’s been intoxicating us through dominance and power. Something that’s been oppressing and controlling our bodies, minds and lives. Something which we’ve been resisting and showing our resilience to for thousands of years. Something that has been abusing, ruining, destroying, bombing, killing, murdering everything that the woman­hood has created, brought, sustained, managed, maintained, mended and supported for thousands of years—life on this damned and damaged planet. Something whose incinerated ashes ought to be scattered all over a wildflower meadow in spring and serve as a fertiliser for a rebirth of our common giving, ever-­forgiving, ever-loving mother—Earth. We’ve congregated here today to bid farewell to him—the demised, deceased, perished one—the father figure, father issues, our father. The originator of hierarchy, marriage, family, war, colonisation, capitalism, democ­racy, neoliberalism, dictatorship and polygamy. The perpetrator of violence, ­radicalisation, racialisation, mutilation, exploitation and male gaze. The provider of global pandemics, space race, money making, economic migration, emigration and free market. The protector of transnational corporations, oligarchs and their offshore bank accounts. The lover of competition, organised religion, and personality cult. Also known as an aristocrat, baron, bishop, captain, commandant, commander, count, dad, don, duke, earl, ­governor, king, leader, liege, magnate, marquis, master, monarch, nobility, parliamentarian, patrician, potentate, prince, royalty, ruler, seigneur, sheik, sovereign, superior, viscount. The deceased has left behind the entire planet, and they remain delighted, because the one with whom they lived their whole life has just left the house and passed to them a great opportunity to build a whole new world without him here—on Earth. Nothing will be the same as before.

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At least, for us. Now, we can fully comfort ourselves, listen to each other, take care of each other and get rid of all the troubles and pains, because patriarchy is gone. It’s being taken to his grave, he’s being headed into the shadow of death, he’s being covered with soil. He has graciously honoured us with his sudden disappearance. He has perished, so we could fend for ourselves in the community, in the collective—together. The grandchildren are also delighted, because the one that raised them, that enjoyed their birth more than anything in the world, seeing in them his future, the one that gave them the worst advice, the one that never reconciled them when they needed it the most—he exists no more. He can no longer speak to them; he will no longer be. He has left behind close relatives, friends, acquaintances, co-workers, neighbours—all those he stalked and thrusted his power upon. All these will not miss him, will not mourn his absence, will not remember him, and will not sigh in the depths of their hearts, because they got rid of him, too. Patriarchy had an easy life with much control, many oppressions, and a lot of power, which he kept with the help of patriarchs. Inhospitable, un­­welcoming to those who visited him, unsociable and never ready to help anyone who called on him, but patriarchs. He didn’t know how to say a single kind word, he didn’t know how to express his feelings in such a way as not to upset anyone, and he didn’t know how to reconcile anyone, but patriarchs. Our grandmothers may have not survived patriarchy, but they warned us about it. They passed to us their knowledge, day-to-day wisdom, care, broomsticks, rituals, bread recipes—instructions for survival. Our migrantworking mothers may have not overthrown him, but they have been resisting him. They passed to us their beliefs, practices, lunar calendars, livelihood, advice—a guidebook for resilience. Our grandmothers would always say, »Let there be no war, because whenever there’s a war, there’s a patriarch behind it. Whenever there’s a war, there’s a woman who has to deal with its consequences«. But nobody listened, and yet another war broke out. Sisters, don’t let yourselves be fooled by those who promise you peace by bombing and increasing military budgets. Those are the patriarchs who comfortably sit in their parliamentary leather chairs. They raise millions of euros in several days to buy military drones for the army. They claim it will be the military about whom songs will be composed, about whom books will be written, about whom films will be made, and who will remain in history for coming generations and to whom descendants will be eternally grateful. Those are the armies of patriarchs. They call themselves the first or the second or the third army in the world. They produce, sell and buy weapons. They know nothing but how to invade—not how to liberate. We know that our liberation lies within us, not outside. We know that, when a fashion magazine publishes pictures of weapons and destroyed plane hangars as a backdrop, it’s not about peace. When high school graduates pose on the ruins of the bombed school for a prom picture, it’s not

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about peace. W ­ hen a photo­grapher reproduces a famous painting with a soldier holding an AK-47 as a prop, it’s not about peace. We also know that we all should’ve listened to what our grandmothers always said. Dear beloved, don’t let yourselves be fooled by patriarchs. Instead, listen to the women, who do what patriarchs never choose to do—not kill but save, not destroy but build, not hurt but help. Hear the story of Ileana who fights for Romani people in Moldova everyday. Ever since February 2022, Ileana wakes up to hundreds of Romani women and children, who flee the war in Ukraine, seeking refuge. They are not welcome in Moldova, just like they have never been accepted at home in Ukraine. Everyday, Ileana visits them and listens to their needs. With the little money she manages to raise, be it 100 or 300 Euros, she provides them with food, medicine, baby formula, blankets, clothes and shoes. Some of them lack documents. Once a Canadian patriarch wanted to donate 100 Euros for the refugees and asked Ileana what was needed. Underwear for children and women was needed at that moment. He was eager to donate a little money but he also refused to give her the money, because he didn’t trust her. Instead, he wanted to personally assist at the purchase of ­underwear for the Romani refugee children and women. He wanted to be in control. Control is something Ileana has to overcome everyday, even when helping people in need. Hear the story of Rusanda, who lives in Moldova and treats nature and soil with respect. Besides working the land and keeping goats, she does independent cultural projects and occasionally performs at local weddings as a paid dancer to make ends meet. Since February, Rusanda wakes up every morning searching for solutions on how to help refugees from Ukraine. Everyday she involves the entire community in the act of caretaking. With small donations, her personal money and support from the local authorities, Rusanda has bought and renovated old houses for the refugees in her home village of Hîrtop. Everyday, she has to find new resources to ensure that the refugees have shelter, even though she needs resources for her own survival. Hear the story of Galina from Bălti. When she was 45, Galina lost her husband and was left to bring up three children in a poverty-stricken ­Moldova on her own. Little by little her neighbours became widowed as well in the following 30 years. With their children gone abroad, they formed a community of elderly women, which they called the House of Widows. Galina’s pension is 100 Euros a month and, in order to survive, she grows her own vegetables and fruits which she shares with her fellow widows. She also gives them prescribed injections when they need it because the seniors cannot afford medical services. Galina and her neighbours spend time together in joy and sadness, celebrating holidays and attending funerals. The war found her in Russia, when she was visiting her children. Galina hasn’t seen her neighbours since February—only via video calls. She looks forward to the end of the war in order to reunite with her fellow House of Widows residents.

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Every single war in the world will end with the death of patriarchy. Not a single war will break out anywhere in the world after the death of patriarchy. Because every single war in the world is a creation of patriarchy. And we must bury it as soon as possible. And we must ensure it never resurrects and the collective act of depatriarchisation follows. And for that matter, in the best tradition of professional Moldovan moirologists, also known as bocitoare or mourners, we invite you to join us in chanting him a rest-inhell song.

Oh, patriarchy, you have finally left us! We are going to bring a disco ball and dance on your grave en masse! How come you decided to leave us so soon? Was it because we chased you until you swooned? You left us too soon, we haven’t even managed to sharpen the sickle to chop off your private parts on a full moon! You lingered on this planet for a while and we thought you’d like to see us hammer you down and squeeze your balls with pliers, so no one else whines because of you! Oh, patriarchy, you aren‘t among us anymore, your manhood has just dried out. We’d like to tell you once more that you are pretty much out. We will never recall you, but we will call on all the sirens and sybils and witches to trap your spirit in ditches! And we’ll always raise a glass to your demise. We’ll always applaud for your collapse on your death day. Rest in glass wool. Rest in hell. May you be covered by a concrete slab forever and ever. Amen! artiom zavadovsky & teatru-spălătorie

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Die unabhängige Initiative teatru-spălătorie bietet seit 2010 freien Künstler*innen in der Republik Moldau eine Plattform. Ihre Performances basieren auf Recherchen und doku­men­tarischem Material und blicken aus einer osteu­ ro­päischen Perspektive auf das Macht-Gebilde Europa. Dra­ maturgin Nora Dorogan, Autorin Nicoleta Esinencu, Schauspielerin Doriana Talmazan, Sound-Künstler Kira Semionov und Filmemacher und Queer-Performance-Künstler artiom zavadovsky. An der Rampe waren WHO RUN THE WORLD (STADT DER FRAUEN* 2018), REQUIEM FOR EUROPE (2019), ABOLIREA FAMILIEI/DIE ABSCHAFFUNG DER FAMILIE (2020) und SINFONIE DES FORTSCHRITTS (2022) zu sehen.

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Tudeer, Annika

S. 1/2

Dear Proscenium,

this is a farewell letter, stating the finali for you. Let’s start with a prologue. Talking with Jan Ritsema some years before his death about the theater space of the future, he said that black boxes are passé. Don’t call it a black grotto of the past, I thought and felt sad thinking of all the beautiful black boxes in the world that were the building stones for the development of contemporary performance and theater. Jan, I said, someone still has to make work for the existing black boxes, and I will be one of them. I had firmly said goodbye to the proscenium many years ago and was not ready for saying goodbye to the black box. You (the proscenium) are found in many theater houses, not always full-scaled with the arch and the sides boxing in the stage. The variations are numerous in the effort of revealing more in accordance to the trends: no arch – only sides, giant arch, stage spilling far out in front of the arch, audience placed on all sides, on three sides, on two sides…At the same time keeping the raised stage for, I can only guess, an idea of visibility and distance. If you ever sat on the first row of an opera or theater with a slightly too raised stage, leaving the theater cursing with a stiff neck after having watched the actors, singers, dancers from a frog perspective, you understand what I mean when I say idea of visibility. Not to mention the extortionate ticket price you paid for your first row. The raised stage is a very bad idea indeed. It devides us, elevates the people on stage from the audience. It breaks the play with the space and perspective. It erases the nuances and dulls three dimensionality of the bodies on stage. From the contemporary performers view, the elevated status, even worse when enclosed in an arch, breaks the direct communication with the audience and you find yourself talking loud and far away into the ­emptiness over the heads of the people you want to be with. On your cosy black­box stage, big or small, you are always there together with the ­audience. Communicating, on the same level. The blackbox, a democratic stage borne out of the ideals from the 1960’s, is a companion to our contemporary artform. Okay, you object: the black box can be traced back to the court dance perfor­man­ces in the 17th century. So what, I shrug: they finished with every­ body invited to dance. I don’t see the problem with the floor of the Sun King’s court being the predecessor to the black box. Quite on the contrary.

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S. 2/2

The democratic ethos of the black box is in any case subverting the aristo­ cratic h ­ eritage, whereas it is intact in the proscenium, reinforcing the dichotomies between us and them, high and low etcetera, etcetera. Proscenium does simply not work with the contemporary performing techniques of seemingly spontaneous directness, the more or less fictious »me« personas and the art of multifaceted, subtle and everyday expression. First I smile at the tiny proscenium stage in the school gymnasium where I go to my »body and voice« classes. Then I shudder. In most schools they are found, boxing in performances and choirs, setting a norm for the ­perception of the stage. While doing breathing exercises, I am thinking about what to do if we were given a hall with a proscenium and tearing it down was not an option. Would we move the audience to the stage, or raise the floor for them, or build a raised auditorium? Would it be storage space, a green room, or a bar? I stand with all the black boxes in the world. I do not have the same sympathies for you, proscenium. Not only are you passé, a museal artefact, an archaism, you are an obstacle, a hindrance. The unfortunate directors who have you in their houses and cannot get rid of you because of cultural ­heritage or cost reasons need to be innovative how to stage contemporary work with contemporary means in their houses. It is time to say goodbye proscenium, goodbye division, goodbye crude and loud acting, goodbye. When we meet, we will do our best and reach out with our subtleties although you do your best to thwart our efforts. We will place audiences on your stages, we will make work in your auditoriums, we will use the foyers, the whole house, and we will sigh with relief when we return to the black boxes where we can concentrate on our art. Until then, all the best Annika

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Die Performancegruppe Oblivia gründete sich im Jahr 2000 in Helsinki. Seit 2016 kollaboriert sie regelmäßig mit dem Theater Rampe. Ihre erste Produktion in Stuttgart entstand für TECHNÉ: THE NATURE THEATER OF OBLIVIA (2017). Mit der darauffolgenden Arbeit, VERDRÄNGEN VERDRÄNGEN VERDRÄNGEN (2020), einer Koproduktion mit dem Theater Rampe und dem Festival ECLAT, begann Oblivia eine Serie von Musiktheater-Performances, darunter PLEASURE (2023), ebenfalls eine Rampe-Koproduktion. Es entwickelte sich in dieser Zeit ein fortlaufendes Gespräch zu künstlerischen Prozes­ sen und kollektiven Arbeitsformen zwischen dem Theater Rampe und Annika Tudeer.

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Wente, Britta

S. 1/3

KEIN Abschied vom Volks*theater

Als nicht-theateraffine Nachbarin des Theater RAMPE schaute ich mir zwar im Vorbeigehen immer wieder die Aushänge mit den Ankündigungen zu aktuellen Stücken an, aber selbst wenn ich stehen blieb, sie lange anschaute, den Kopf seitlich legte und die Augen zusammenkniff, hatte ich (meist) trotzdem nicht verstanden, um was es ging. Jahrelang hatte ich mich außer­dem gefragt, warum auf dem Schild am Gebäude THTR RMPE steht. War zu wenig Platz, um die Worte auszuschreiben, oder hatten sie nicht genug Geld für alle Buchstaben gehabt? 163 Eines Tages lernte ich über Aktivitäten der Initiative DIE VIELEN Martina und Paula vom Theater Rampe kennen und kam mit ihnen über die Idee eines Volks*theaters als Stadtteil-Projekt ins Gespräch. Neugierig, aber auch ­skeptisch fand ich mich einige Wochen später auf einem Workshop im Theater wieder, in dem wir zusammen das internationale Volks*theater 177 (V*T) Rampe gründeten. Diese bunte Gruppe trägt alleine durch ihre Protagonist*in­nen schon so viele Geschichten, Motivationen, Talente in sich, dass ganze Abende damit gefüllt werden können … aber wir wollen raus in den Stadtteil und noch mehr Geschichten und Anliegen hören! Seitdem bin ich vor allem in der Recherchephase für die Stücke aktiv und komme im Viertel ins Gespräch mit vielen Menschen jeden Alters. Immer geht es auch um die Frage: Wem oder was wollen wir eine Stimme geben, und wie machen wir dies? Wie können unsere Umgebung, der Stadtteil, die Natur, die Menschen darin selbst zu Protagonisten der Stücke werden? Da ich selbst eigentlich nicht auf der Bühne stehen will, gebe ich meinen Körper bzw. meine Stimme manchmal ab, damit andere Wesen zu Wort kommen. Leider wurde ich beim Erschaffen der Wesen nicht darauf hingewiesen, dass diese zuhause ein Eigenleben entwickeln und immer weiterspielen oder sich unterhalten wollen … So belauschte ich eines Tages das folgende Gespräche von Huhn, Busch und Vogel.

Huhn, Vogel und Busch unterhalten sich über das Theater-Rampe-Team: Vogel: Warum gehen die Rampe-Leute denn jetzt alle?

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S. 2/3

Gerade, wo wir mit dem Volk*theater richtig in Fahrt sind? Huhn: Ich weiß auch nicht, Vogel. Vor drei Jahren haben die Rampe-Leute das V*T ausgerufen. Und jetzt, nachdem wir als V*T-Ensemble (mit Echse, Königin, König, dem Gärtner, dem Flamingo, den Krokodilen, den Bäumen und Busch, Rose und Sonnenblume, Maulwurfsreporter, seltsamen Naturwesen, dem Weizen und dem Wind, dem Universum und sogar ein paar Menschen) aus diesen muffigen Hallen raus sind und das Volks*theater draußen im Stadtteil berühmt wurde, hauen die ab … Vogel: Ach egal. Dann können ja wir ihre Büros übernehmen. Wird langsam echt eng in der Requisite. Busch: Ja, ich will endlich auch einen Platz bei euch in der Requisite oder meinetwegen auch im Büro bekommen. Was haben die da drin überhaupt gearbeitet? Vogel: Ich hab sie immer nur gesehen, wie sie mit so Klappkisten, auf denen sie wild rumgetippt haben, und so kleinen platten Apparätchen, die sie unters Ohr geklemmt haben, draußen umhergelaufen oder rumgesessen sind. Die letzten beiden Jahre haben sie auch noch mit Leuten, die aus den Klappkisten rausgeschaut haben, gesprochen. Huhn: Ja, ich hab’s auch gesehen. Die haben stundenlang geredet. Da durfte man sie bloß nicht stören, weil es irgendwie immer so wichtig war. Hab ich aber trotzdem manchmal gemacht. Ich weiß gar nicht, was das viele Reden mit Theater zu tun hat. Vogel: Manchmal haben sie auch gekocht und gegessen. Busch: Das ist ja dann auch mal was Sinnvolles.

Pause Huhn: Aber wie geht es denn dann weiter, wenn die alle weg sind? Irgendwie waren die ja schon nett.

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Wente, Britta

S. 3/3

Vogel: Ich glaub, ich werd sie auch vermissen. Kommen denn dann Neue? Busch: Brauchts das denn? Können nicht wir selbst das ganze Theater Rampe übernehmen? Vogel: Das ganze Theater Rampe als Rampe-Volks*theater. Super Idee. Das müssen wir gleich den anderen vom V*T erzählen. Huhn: Und falls neue Büromenschen kommen, können die ja auch bei uns im V*T Rampe einsteigen. Also, ihr habt es gehört: Kein Abschied vom Volks*theater Rampe! Das V*T muss weitermachen! Ich hoffe, dass das V*T weiterhin rausgeht und wir unsere Ohren, Augen und Nasen noch intensiver in gesellschaftliche Fragen und Diskussionen stecken. Vielleicht finden wir noch weitere Möglichkeiten, diese aufzugreifen, einzugreifen, frech zu sein, zuzuspitzen. Es ist super toll, liebes RAMPE-Team, dass ihr das V*T ermöglicht habt. Dank an euch, für die viele Arbeit, die ihr jedes Jahr reingesteckt habt, mit Anträge-Schreiben, etcpp., um ein weiteres V*T Jahr zu finanzieren, und vielem anderem, was im Hintergrund getan werden muss. Ihr wart immer auch für uns Einzelne da! Ach, und an so manchen V*T Aufführungstagen, wie damals auf dem Marienplatz, wart ihr alle in voller Hitze stundenlang am Start. Und ihr von der Technik seid sowieso super! Und danke an die tollen wechselnden Teams der künstlerischen Leitung: Mit viel Einfühlungsvermögen habt ihr es geschafft, uns in unserer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und für jede*n eine Rolle in den Aufführungen zu finden oder gemeinsam zu erarbeiten. 171 Es gibt hoffentlich keinen Abschied von der Rakete und den interessan170 ­ten Themen der Montage-Abende. Obwohl ich fleißige Newsletter-Leserin bin, sitze ich selten im Publikum, da ich um 21 Uhr in der Regel schon die Wärmflasche für die Nacht vorbereite. Seit es jedoch die Mög­lichkeit gibt, auch im Radio zuzuhören, gehöre ich immer öfter zum Publikum. Ich wiiiillll keinen Abschiiieeed! Und ich hoffe sehr, dass einige vom RAMPE-Team dableiben! Allen, die gehen werden, wünsche ich eine tolle Zukunft! Und ich hoffe, dass es auch unter einer neuen Leitung und mit einem neuen RAMPE-Team mit dem V*T weitergehen wird. Britta Wente

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Britta Wente wohnt schon seit vielen Jahren im Stuttgarter Lehenviertel und engagiert sich für das Zusammenleben im Stuttgarter Süden, zum Beispiel für die Initiative Solidarische Nachbarschaft Schoettle-Areal. Sie ist Grün­ dungs­ mitglied des Volks*theater Rampe. Mit ihrer Rolle als „Kopf“ in Stuttgart berühmt zu werden, gelang ihr 2020 noch nicht (von der Regie als unpassend befunden). Als „Huhn“ und „Busch“ hofft sie, dies nachholen zu können.

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Wiedemer, Monika

S. 1/2

Abschied von Butter

Oh wie gern denke ich an meine Zeit im Theater Rampe zurück. Heute bin ich ein altes Zirkuspferd, aber damals war ich: Butter, das Action-Pony. Ich hatte viele Jahre mit meinen Kolleginnen Fly und Flatter auf dem Pony­hof gearbei­tet. Die Zustände auf dem Hof waren unzumutbar geworden. Aber auch nachdem wir uns entschlossen hatten, den Hof selbst zu leiten, gerieten wir auf den gefährlichen Weg der gnadenlosen Selbstoptimierung Richtung Burnout. Mit unserer Geschichte wollten wir anderen, die gesell­ schaftlich oder finanziell ebenfalls so unter Druck standen, dass ein Burnout zu befürchten war, die Augen öffnen: Handelt, bevor es zu spät ist. Wir wandten uns also an die Intendantinnen des Theater Rampe Marie Bues und Martina Grohmann. Wir hatten gehört, dass ihnen aktuelle gesellschaftspolitisch relevante Themen sehr am Herzen lagen und dass sie die Leidenschaft und auch das nötige Knowhow hätten, um diese Themen berührend und pointiert umzusetzen. Anna Gschnitzer schrieb unsere Geschichte auf, Marie Bues inszenierte uns, und unsere eigenen Ponys (die Ponys der Ponys) setzten die musikalischen Akzente. Unsere Ankunft im Theater war ein großes Hallo! Ich erinnere mich an die großen Räume: das Foyer, das mit der Straßenbahn geteilt wird, und die ebenso geräumige Bühne, wo wir guten Auslauf hatten. Die „Stallungen“, die sie Garderobe nannten, waren allerdings weniger nach unserem Geschmack. Alles voll mit Kabeln, Beleuchtung, Nähmaschinen, Kostümteilen und in der Mitte ein zerschlissenes altes Sofa an einem Tisch, der zu jeder Zeit Tabakkrümel aufwies. Also wurden wir in der Filder-WG untergebracht. Auch nicht gerade das Ritz, aber wenn man den sportlichen Aspekt, in den fünften Stock zu galoppieren, erst einmal als kostenloses Fitnesscenter annimmt, hat der Blick über Stuttgart und natürlich das Zusam­ men­sein mit den anderen Ponys doch etwas für sich. Es folgten Wochen der künstlerischen Auseinandersetzung, des Ringens um die beste Art, unsere Geschichte zu erzählten. In dieser Zeit durfte ich die Erfahrung machen, wie man intensiv, leidenschaftlich und produktiv arbeitet, ohne sich bis zum Burnout zu schleifen. Zum Beispiel durch den liebevollen Blick der Regisseurin Marie Bues. Sie traute mir und meinen Kolleg*innen so viel zu, dass nicht nur wir, sondern auch unsere Ponys über sich hinauswuchsen. Aber auch die allgemein spürbare Wertschätzung, die sich beispielsweise in der gleichen Bezahlung für alle Performer*innen oder in der sofortigen Umlage einer überraschenden zusätzlichen

133


Wiedemer, Monika

S. 2/2

Förderung auf jedes Gehalt ausdrückte, gab uns neue Energie. Nicht zuletzt natürlich auch die gute Verpflegung mit großen Mengen Käsespätzle, mal im Galao, mal im Lehen. Ich machte die Erfahrung, dass gute Zusammenarbeit nicht heißt, dass man nie stutenbissig, verschiedener Meinung oder auch beleidigt sein darf, sondern dass für all das Platz ist, solange der Konflikt immer als notwen­ dige Kreuzung auf dem Weg in die neue gemeinsame Richtung verstanden wird. Wenn ich jetzt an die Rampe zurückdenke, an die Techniker, die mir immer mal den Hals kraulten oder den Boden für meine Hufe gangbar machten, an die Damen und Herren im Büro, die jede organisatorische oder 171 finanzielle Hürde für mich überwindbar machten, die Abende in der Rakete, wo wir gut getränkt wurden, und natürlich an Martina, die mit ihrer ­Intelligenz, ihrem Humor, ihrer Leidenschaft und ihrem Rückgrat die Arbeit bereicherte, empfinde ich große Dankbarkeit. Natürlich habe ich schon auf dem Ponyhof einiges geleistet und auch in meiner späteren Laufbahn als Bühnen- und Zirkuspferd, die mit meiner Arbeit am Theater Rampe ihren Anfang nahm. Trotzdem ist meine KUNSCHT-­ Performance mit Plastikfolie, die ich mit dem großartigen Rampe-Team erar­ beitet habe, vielleicht das Beste, das ich in meinem Ponyleben zeigen durfte. Danke an alle, die das mit so viel Herz ermöglicht haben. Monika Wiedemer

134


Als Schauspielerin arbeitet Monika Wiedemer seit Langem mit der Regisseurin Marie Bues zusammen. Bei der Eröffnungsproduktion PONYS. EINE AUFLADUNG (2013) war sie als Butter, das Action-Pony, dabei. An der Rampe war sie außerdem in DER HUND DES ALTEN MANNES (2014) von Oliver Kluck, MODELLSIMULATION MIT PFAU (2015) von Anna Gschnitzer und KARL UND ROSA. FÜR GEISTER EINTRITT FREI (2019) von Felicia Zeller zu sehen. Bei TOOLS – digitales Theaterlabor und Festival (2021) war sie Mitwirkende bei DIE SCHÖNE GRÜNE WIESE, einem hybriden Experiment von Freie Filiale.

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Die Fotografin und Künstlerin Dominique Brewing dokumentierte die Arbeit des Theater Rampe seit 2017. Es entstand ein fotografisches Archiv der Rampe aus Kampagnen-Shootings, Inszenierungsfotos, Festival­dokumen­tationen, Porträtfotos und Schnappschüssen. Die Bildstrecken in diesem Buch kombinieren Bestandsmaterial und neu aufgenommene Fotos, die den Kulturort Rampe porträtieren.

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THEAAAATTER RAAAMPEEEEEEEE Im Gebäude eines Theaters mag man einiges erwarten – aber eine Zahn­ radbahn dürfte selbst hartgesottene Theatergänger*innen überraschen. Schon der Ort ist programmatisch für das Theater Rampe. Hier mischen sich Theater und Popkultur, Tanz und Schauspiel, Nachbarschaft und globale Perspektiven. Mehr und mehr entwickelte sich das Theater Rampe zu einem Stadttheater neuen Typs, in dem die Übergänge zwischen zeitgenössischen Theatertexten und Performances der freien Darstel­ lenden Künsten fließend sind. 2023 steht in der Rampe ein Leitungswechsel an. Ein guter Moment, um innezuhalten. Künstlerische Wegbegleiter*innen, Freund*innen und Partner*innen erinnern in persönlichen Abschiedsbriefen die ver­ gangenen zehn Jahre, schreiben Ideen fort oder blicken in die Zukunft. Eine Sammlung von Briefen, die keinen Anfang und kein Ende kennt. Denn Abschied nehmen heißt auch weitermachen, weiterarbeiten, weiterdenken.

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Theater Rampe 2013 – 23

Herausgegeben von Theater Rampe

IM SCHATTEN DER ZAHNRADBAHN VOL. 2

Theater der Zeit 157


158


Wir haben Abschiedsbriefe gesammelt – von Künstler*in­ nen, Kooperationspartner*innen, von Publikum und Nachbar*innen, denn es gibt viel zu verabschieden. Nicht nur ein Rampe-Team, sondern weit über das Theater hinaus: über­ holte Konzepte, Weltvorstellungen, den Theaterkanon. Die Geschichten, welche die westeuropäische Kultur in ihrem nach vorne gerichteten Blick bereithält, sind auserzählt. Die Parameter, nach denen wir unsere Welt aufgebaut haben, funktionieren nicht mehr. Wird es leichter, neue Welten zu denken, wenn wir Raum finden, die alte zu betrauern? Wir müssen uns von vielem verabschieden, haben aber kaum Worte dafür. Was wollen wir hinterlassen, was erin­ nern, aufheben, teilen, verbreiten, vergessen? In diesem Abschiedsbuch vollzieht sich ein langsames künstlerisch-rituelles Abschiednehmen.

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Index

#

A

6 TAGE FREI

Auszeichnungen

41, 145

63, 83, 97, 147

Wer besucht ein Festival? Was bedeutet

Als Stadttheater neuen Typs würdigte

es den Künstler*innen? Wer ist eingeladen?

die Jury das Theater Rampe mit dem Theater-

Wer kuratiert es? Welche Impulse gibt das

preis des Bundes 2019, der von der damali-

Festival in die Stadt? Welche in die freie Szene?

gen Staatsministerin Monika Grütters in

Wie finden wir einen Ausgleich zwischen

Kooperation mit dem ITI Zentrum Deutsch-

dichtem Angebot und entspannter Festival-

land ausgelobt und mit 75.000 Euro dotiert

zeit? Was ist, kann, will ein Festival?

worden war. Für ihr queer-engagiertes

Alle zwei Jahre probten wir ein Festi-

Programm wurden Marie Bues und Martina

val. Hervorgegangen war es aus dem „Stutt-

Grohmann mit dem Rosa Detlef der MCC

garter Theaterpreis“, der im Rahmen eines

Gemeinde Salz der Erde 2020 ausgezeichnet.

Festivals schon seit 1988 am Theaterhaus

Der Martin-Linzer-Theaterpreis von Thea-

Stuttgart verliehen worden war. Das Thea-

ter der Zeit ging 2021 an das Theater

ter Rampe übernahm ab 2015 seine Aus-

Rampe. Unseren Kooperationspartner*innen

richtung im neuen Format unter dem Titel 6

Herbordt/Mohren wurde im November

TAGE FREI. Sukzessive verabschiedeten

2022 im Düsseldorfer Schauspielhaus der

wir uns von der Grundidee der Preisverlei-

Deutsche Theaterpreis DER FAUST des

hung. Anstelle von Wettbewerb und Aus-

Deutschen Bühnenvereins in der Kategorie

zeichnung wollten wir Kollaboration und

Genrespringer verliehen.

Versammlung zum Ausgangspunkt machen. Die vielfältigen Formate, interdisziplinären Verschränkungen und Experimente bekamen eine Plattform. Das Festival stellte Arbeitsweisen und Suchbewegungen vor und es befragte Produktionsmöglichkeiten in Baden-Württemberg. Es sorgte mit Gastspielen und Stipendien für regionalen und überregionalen Austausch. Zum Beispiel reisten ausgewählte Festivalproduktionen 2016 an die Berliner Sophiensæle, die zur „Schwabensause“ eingeladen hatten.

6 TAGE FREI 2017, Plakat

161

studiopanorama.de


B

B

Barrieren abbauen

mit einer Lesung aus dem Roman und Dis-

105

kussion. Am Ende wurde das Publikum zu Es ist nicht ohne Ironie: Ein Theater,

einem Experiment eingeladen. Dazwischen

das „Rampe“ heißt, ist nur über zwei monu-

gab es Präsentationen und die Gelegenheit

mentale Treppenaufgänge am Eingang zu

zum Beobachten und Mitdenken.

erreichen. Während der Corona-Lockdowns 2020 und 2021 widmete sich Anna Baki-

Braun, Schäfer, Vogel (BSV)

novskaia dem Abbau von Barrieren im

Von 2014 bis 2020 kümmerten sich

Theater Rampe. Dabei konzipierte sie sowohl

Max Braun, Aliki Schäfer und Andreas Vogel

räumliche als auch aufführungsbezogene

(BSV) im SINGLES CLUB um Musik und nur

Angebote. Seit 2022 gab es auch „Relaxed

sehr indirekt um einsame Herzen. Eine Band

Performances“ im Programm. Bei ausgewählten

wurde eingeladen, via Live-TV-Schaltung

Vorstellungen wurden Übersetzungen in

konnte das Publikum einen Blick in den

Gebärdensprache oder Audiodeskription

Backstage-Bereich werfen. Im Anschluss an

und Tastführungen angeboten. Bauliche

das Konzert bekam jede*r Besucher*in eine

Maßnahmen vom taktilen Leitsystem bis zu

extra für diesen Anlass aufgenommene

barrierefreien Toiletten und Duschen

7-Inch-Vinyl-Single geschenkt. Musikalisch

für ­Publikum, Künstler*innen und Mitarbei­

ging es bei BSV weiter: Am 17. Oktober

ter*innen wurden geplant. Das Team bil-

2020 lief die erste Folge der COSMIC RADIO

dete sich weiter und arbeitete daran,

SHOW, eine Rundfunksendung vor Publi-

Künstler*innen und Publikum für Barrieren

kum, die live aus dem Theatersaal im Freien

zu sensibilisieren.

Radio für Stuttgart übertragen wurde. Zum Thema „Wahrheit und Realness“ waren

BOUVARD UND PECUCHET 3000

Textor aka Henrik von Holtum (Kinderzimmer

94, 98

Productions) und Radiofeature-Macher

Ein performatives Forschungslabor

Professor Martin Doll zu Gast. Musikalisch

in zehn Kapiteln frei nach Flaubert, konzi-

durch die Sendung führte die Cosmic Radio

piert und kuratiert von Jan-Philipp Possmann.

Show Band unter der Leitung von Max

Im Atelier der Rampe war ab Herbst 2013 für

Braun. In zwei Staffeln ging es u. a. um

zehn Monate ein Labor eingerichtet. Die

Freundschaft, Verzeihen oder Hoffnung und

Kapitel von BOUVARD UND PECUCHET

Veränderung mit so illustren Gästen wie

bildeten den Materialpool für zehn je vier-

Joy Denalane und Olivia Mitscherlich-

wöchige For­schungs­einheiten zwischen

Schönherr, Ozan Ata Canani und Philipp

Gartenbau und Metaphysik, Social Enginee-

Lenhard, Fehler Kuti und Jasmin El-Manhy

ring und der Kunst des Schnapsbrennens.

oder Frigga Haug und Dota Kehr.

Dabei trafen wissenschaftliche und künstlerische M ­ ethoden aufeinander. Wissenschaft und Kunst stellen Modelle der Welt her und gehorchen dabei klaren Regeln, die sie doch ständig brechen müssen, um zu gelingen. Zu Beginn eines jeden Kapitels stand der Einzug der Protagonist*innen

162


C

D

Corona-Lockdown

Das Bündnis

Das Theater in der Pandemie war

Auf Initiative des Württembergischen

meist geschlossen oder nur eingeschränkt

Kunstvereins und des Theater Rampe schlos-

möglich. Zugleich gab es den Impuls zur

sen sich 50 Kunst- und Kulturakteur*innen

Aneignung digitaler TOOLS, künstlerischer

aus Baden-Württemberg im Juni 2020 zu

wie kommunikativer. Wir haben gelernt,

einem Bündnis für eine gerechte Kunst- und

mittels Videokonferenzen Kontakt zu halten

Kultur­arbeit, Baden-Württemberg zusammen.

und den transnationalen Austausch zu

Freie und Festangestellte aus den darstel­

befördern. Kulturpolitisch haben wir uns

lenden wie bildenden Künsten begannen an

gemeinsam mit anderen Theatern in

Forderungen und Empfehlungen zu arbei-

­Stuttgart organisiert und DAS BÜNDNIS in

ten. Ausgangspunkt war die Sorge um die

Baden-Württemberg gegründet. Kapazi-

Zukunft der Künste sowie die Überzeu­

täten zur Weiterbildung, zur Pflege der

gung, dass diese nur dann unabhängig blei-

technischen Infrastruktur und zur Reflexion

ben, wenn sich die Strukturen und Be-

interner Strukturen wurden frei. So eröffnete

dingungen radikal verändern. Das Bündnis

diese Zeit auch den Raum für die Bildung

strebt nicht nur Lösungsansätze für die

der Arbeitsgruppe RAMPE 23.

pandemische und post-pandemische prekäre

Das neu entwickelte Residenz-Pro-

Situation der Kulturarbeit an, sondern setzt

gramm Take Heart des Fonds D ­ arstellende

sich für einen gesellschaftlichen Wandel

Künste ermöglichte eine nachhaltige Ver-

ein, in dem sich die Kunst mit anderen

bindung mit Künstler*innen während ihrer

gesellschaftlichen Bereichen solidarisiert.

Rechercheprozesse. Damit konnte diese Krise auch genutzt werden, um strukturelle

Die Vielen 128, 150/151

Missstände abzubauen.

DIE VIELEN setzen sich für eine offene, solidarische, vielgestaltige und demokratische Gesellschaft ein. Über 4500 Institutionen und Aktive aus Kunst und Kultur arbeiten mit Demonstrationen, Kundgebungen und künstlerischen Happenings als DIE VIELEN zusammen, diskutieren aktuelle gesellschaftliche Tendenzen und verpflichten sich selbstkritisch, ihre Strukturen weiterzuentwickeln. 2017 wurden DIE VIELEN in Berlin gegründet. Ziel ist es, die Kunstfreiheit zu stärken und dem zunehmenden Rechtsextremismus in Politik und Gesellschaft entschlossen entgegenzutreten. DIE VIELEN reagieren auf den instrumentalisierenden Umgang mit Kunst und Kultur, der Teil des Autoritarismus ist – historisch und gegenwärtig. Der Verein

163


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nimmt sich der Herausforderung an, die

Museum und Theater bespielten. 2021

autoritären Bestrebungen der Rechten zur

eröffneten sie in einem ehemaligen Hand-

Erlangung kultureller Hegemonie wahrzu-

werksbetrieb im Stuttgarter Süden DAS

nehmen und entschieden, unaufgeregt,

SCHAUDEPOT, das mit dem Deutschen

schlau, langatmig und gemeinsam vielstim­

Theaterpreis DER FAUST 2022 in der Kate-

mig zu antworten: Die Kunst bleibt frei!

gorie Genrespringer ausgezeichnet wurde.

Den VIELEN geht es dabei nicht darum, Kunst

Es ist eine Bibliothek der Performances

und Kultur für andere politische Zwecke zu

– zum Stöbern, Ausleihen oder als Live-­

vereinnahmen. Vielmehr sind DIE VIELEN

Erlebnis – und eine für die Darstellenden

ein offenes Netzwerk mit vielen eigen­

Künste einzigartige Modellinstitution.

verantwortlichen Akteur*innen, ein Teil der Zivilgesellschaft.

DISPLAY! 42, 45

Initiiert und koordiniert durch das Theater Rampe, verbanden sich 2019 mehr

Eine zweijährige Theaterbewegung

als hundert Kulturbetriebe und Künstler*in-

von Monster Truck und Theater Rampe

nen zu DIE VIELEN Baden-Württemberg.

(Oktober 2013 – Juli 2015): Die Gruppe provo­ zierte eine Reihe theatraler Kettenreaktionen,

Die Institution

die auf das Außer-Kraft-Setzen kultureller

60, 63

Ordnungen bauten. In DSCHINGIS KHAN

Melanie Mohren und Bernhard Her-

räumten Monster Truck die Bühne für drei

bordt bewegen sich mit ihren interdiszipli-

Menschen mit Down-Syndrom, die sie

nären Arbeiten im Grenzbereich der dar-

als Völkerschau dirigierten. In ROMEO UND

stellenden Künste. Sie arbeiten an einem

JULIA ersetzten Pflanzen die Protagonisten.

erweiterten Theaterbegriff und seit 2012 in

In WHO’S THERE (REDUX) betrat aus-

unterschiedlichen Formaten und Medien zu

schließlich eine Zuschauer*in die Bühne. Und

Institutionen und ihrer Aktualisierung.

in SCIENCE FICTION war es ein Roboter, der

Seit 2013 kooperierten Herbordt/Mohren

seinem Algorithmus folgend eine Torte

kontinuierlich mit dem Theater Rampe,

zerschnitt. Monster Truck untersuchten das

gemeinsam realisierten sie zahlreiche Pro-

Verhältnis zwischen Stadtgesellschaft und

jekte. „Die Institution“ gründeten Herbordt/

Theaterbühne. In ihren Aktionen spielen sie

Mohren als Kunstprojekt, Online-Archiv,

mit den Positionen von Ohnmacht oder Aus­

Label und temporären Arbeitszusammen-

gestelltsein, mit dem Menschen als Objekt.

schluss. Sie ist eine weitverzweigte Kunst-

In DISPLAY! inszenierten sie ein zweiteiliges

anlage, in der Formate zwischen Kunst

theatrales und soziales Experiment: Der

und Wissenschaft, Alltag und Bühne, Labor

erste Teil mit dem Titel SORTIERT EUCH!

und Zuhause entstehen und präsentiert

machte die Bürger*innen selbst zum Thema.

werden. Von 2015 bis 2017 gehört DAS THEA-

Monster Truck zeigten mit ihrer Unter-

TER in Michelbach an der Lücke dazu.

stützung ein vielfältiges, differenziertes und

Regelmäßig fanden performative Landpartien

doch eindeutiges Bild der Stadt. Wer ver-

in das Dorf an der bayerischen Grenze statt,

schwindet im Stadtbild? Welche Bürger*in­

in dem Herbordt/Mohren leerstehende

nengruppen dominieren das städtische

Räume mit einem Archiv, Gästehaus, Kino,

Leben und welche sind als Gruppe noch gar

164


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F

Filmklub KoKi

nicht erfasst? Für SORTIERT EUCH! ordne-

41

ten sich Bürger*innen selbst Gruppen zu: Angsthasen, Unsichtbare, Depressive, Hunde­

Der Theatersaal der Rampe verwan­

besitzer*innen, Hare Krishnas, Arbeitslose

delte sich in Kooperation mit der Mon­tage­

und viele mehr. Zwischen dem totalitären Akt

gruppe regelmäßig in einen Kinosaal. 2019

der (Selbst-)Sortierung und einer souverä-

initiierten Kathrin Stärk und Andreas Vogel

nen (Selbst-)Behauptung präsentierten sich

eine Diskussionsrunde zur Frage „Warum

Gruppen auf dem Schloss- und dem Marien-

gibt es in Stuttgart kein kom­munales Kino?“.

platz. Aus der ungeschützten Öffent­lichkeit

Auftakt für eine Filmwoche, in der sie im

des Stadtraums kamen im zweiten Teil

eigens gegründeten Filmklub KoKi ein kura-

DISPLAY! DIE SHOW Repräsentant*innen

tiertes Programm zeigten, das vom Psyche-

dieser Gruppen in die geschützte Sphäre des

delic Midnight Movie über Kinderkino bis

Theaterraums der Rampe. Die Gruppen­

hin zu Dokumentarfilmen, einer Perle des

vertreter*innen standen dann alleine einem

helvetischen Films und einem musikalischen

Theaterpublikum gegenüber. Ermöglicht

Roadmovie reichten. Ein Kinoprogramm,

wurde diese Residenz durch das Programm

das so oder ähnlich in einem Kommunalen

DOPPELPASS der Kulturstiftung des Bundes.

Kino in Stuttgart laufen könnte – das es hier seit 2008 nicht mehr gibt. Dank des Filmenthusiasten Eberhard Nuffer liefen auch immer wieder 16-mm-Streifen wie „Time of the Gypsies“ (UK/IT/YU, 1988) oder die Schmal­film-Raritäten „Lied der Prärie“ (CZ, 1949) und „Roll on Texas Moon“ (USA, 1946, OF).

SORTIERT EUCH! Schlossplatz Stuttgart 2015

Florian Krauß

165


F

G

Förderverein Theater Rampe

Gurke

Im Dezember 2018 gründeten sieben

Das Theater Rampe hat die Gurke,

Theaterbegeisterte auf Initiative des eifrigen

keine Deutungshoheit. Es ist auch nicht

Theatergängers Christoph Schwerdtfeger

sinnstiftend. Das waren die Überlegungen,

den Förderverein Theater Rampe. Nach 25

die uns in der Spielzeit 2015/16 beschäf-

Jahren Theater Rampe im Zahnradbahnhof

tigten. „Die Gurke“ ist das beliebteste Plakat

war es an der Zeit, das Haus durch einen

unserer zehn Jahre an der Rampe. Wir

Förderverein fest mit der Stadtgesellschaft

haben das Plakat mehrfach nachgedruckt,

zu verbinden. Ideell, praktisch und finan-

gut verkauft und aus den Bilderrahmen in

ziell gibt der Verein dem Theater Rückhalt,

den Toiletten wurde die Gurke immer

ermöglichte die Renovierung der Künst-

wieder geklaut. Sie ist zu unserem Marken-

ler*innenwohnung und Gastspiele. Zugleich

zeichen geworden. Die Künstlerin Justyna

schaffte der Verein einen Raum für alle

Koeke nähte eine Riesengurke für uns, die

Rampe-Begeisterten zum Austausch und

immer wieder als Objekt und Requisit

für gemeinsame Aktivitäten wie exklusive

mitspielte und die Reihe „Gespräche an der

Probenbesuche oder andere „dringend

Gurke“ inspirierte.

erförderliche“ Aktionen.

WHY MAKE SENSE, Plakat

166

studiopanorama.de


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I

IF YOU GOT IT, GIVE IT

eine Kooperation mit dem Aktionsbündnis

49, 97, 106

PLUS, einem Projekt zur Verbesserung der

Die Arbeitsgruppe RAMPE 23 arbei-

Lebens- und Versorgungssituation von

tete aktiv daran mit, den Leitungswechsel

Drogenkonsument*innen, Substituierten

im Jahr 2023 offen und transparent zu

und Abstinenz-Willigen, bestehend aus dem

gestalten. Deshalb luden sie Publikum,

Caritasverband für Stuttgart e. V., der

Expert*innen und Gäste aus der Stadt vom

Deutschen Leberhilfe e. V. und AbbVie

21. – 23. Oktober 2021 dazu ein, unter

Deutschland GmbH & Co. KG.

dem Titel IF YOU GOT IT, GIVE IT alternative

Was ist nur mit Deutschland los?

Theaterleitungsmodelle, gerechte Arbeits-

Sitzt einer in Unterhose im Schnee, wird er

strukturen sowie Teilhabe und Machtstruk­

unversehens in Sicherheit gebracht. Selbst

turen in Kulturinstitutionen zu diskutieren.

wenn er als Guru seine Meditation souverän

Themen der dreitägigen Veranstaltung

unter Kontrolle hat. I’VE SEEN THE DARK

waren u. a. unsichtbare Barrieren, Rassismen

fragte nach Souveränität und wann diese

und neue Leitungsmodelle. Viel Publikum

auf absurde Grenzen stößt und wie sie

war da, aus Stuttgart, aber auch von außer-

zwischen dem Einzelnen und der Gemein-

halb. Dieses Interesse, der Aus­tausch und

schaft verhandelt bzw. institutionell in einer

die Diskussionen, das Feed­back und die of-

Demokratie verwaltet wird. Die Künst-

fenen Fragen haben uns als Theater

ler*innen Rabea Kiel und Florian Krauss

Rampe darin bestätigt, wie wichtig es ist,

arbeiteten zehn Monate lang in Workshops

Veränderungen voranzutreiben.

mit Suchtkranken und entwickelten anschließend gemeinsam und demokratisch

I’VE SEEN THE DARK

eine Inszenierung, in der die Teilnehmenden

Im Juni 2015 fand am Theater Rampe das Projekt SORTIERT EUCH! – DIE SHOW

die Position von Therapeut*innen für ein Publikum im Stuhlkreis einnahmen.

statt. Im Rahmen des Projekts hat A.M., eine Suchtkranke aus Stuttgart, mit Unterstützung des Theaterkollektivs Monster Truck eine fünfminütige Szene entwickelt: Auf der Bühne steht eine Frau, in mehrere Kleiderschichten gehüllt, wie ein verpuppter Schmetterling. Schicht um Schicht streift sie ihre Kleidung ab und entledigt sich ihres Kokons. Als unterste Schicht kommt ein selbstgebasteltes Schmetterlingskostüm zum Vorschein. Zum Song „Fly me to the Moon“ bewegt sie sich leichtfüßig schwankend über einen schmalen Bühnensteg. Am Ende wird das Schmetterlingskostüm an einer Traverse zur Bühnendecke gezogen. Nach SORTIERT EUCH! wollte A.M. die gemeinsame Arbeit fortsetzen. Es entstand

167


K

K

AUF DEN ERSTEN BLICK – KEINE EINFÜHRUNG

Kuhle Rampe 30, 137

Verstehen Sie noch oder erleben Sie

Für ihre erste Kampagne für das

schon? In dieser (Nicht-)Einführungsreihe

Theater Rampe luden die Gestalter von pano-

wurde seit 2016 nichts erklärt. Vielmehr

rama Sprayer*innen aus Stuttgart, Künst-

ging es um die Frage: Was erwarten Sie als

ler*innen und Mitarbeiter*innen des Theaters

Publikum von dem Abend, von der Insze-

ein, 200 Plakate mit dem Schriftzug „Wem

nierung, von den Künstler*innen, vom Genre?

gehört die Welt“ individuell zu kommentie-

Mit der Kunstvermittlerin Sara Dahme, die

ren. Damit e ­ röffneten wir auf den Plakatflä-

die Stücke vorher auch nicht gesehen

chen den Dialog mit der Stadtgesellschaft.

hatte, kam das Publikum vor der Aufführung

Auf die Frage „Wem gehört die Welt“ haben

über Erwartungen und Befürchtungen ins

wir auch fast zehn Jahre später keine Ant-

Gespräch. Mit dem Lockdown 2020 setzte

wort. Deshalb lautete die Frage zu unserem

das Theater Rampe den konventionellen

Abschied 2022/23: „Wem gehört das Theater“.

Veranstaltungsbetrieb aus und verlagerte

Der Slogan aus dem Jahr 2013 zitierte

sein Angebot teilweise ins Internet. Aus KEINE

den Untertitel des Films „Kuhle Wampe“

EINFÜHRUNG wurde die Radiosendung

(1932), der von der Gründung einer Zelt-Ko-

KEINE AUFFÜHRUNG, eine Live-Sendung im

lonie vor den Toren Berlins während der

RADIO RAMPE. Ab November 2020 wurde

Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren

daraus der Podcast REINGEHÖRT, für den

erzählt. Mit „Kuhle Rampe“ griffen wir diese

Sara Dahme vor der Aufführung den Künst-

Erzählung auf, um damit das Haus, den Ort

ler*innen auf den Zahn fühlte. Am 9. Novem-

poetisch zu charakterisieren. Die Inspiration

ber 2020 erschien die Pilotfolge zu STRESS

brachte die Bühnenbildnerin Maike Storf ein,

– EIN SINNLICHES SPEKTAKEL von Gruppe

die gemeinsam mit ihrer Kollegin Judith

CIS. Insgesamt wurden zwölf Folgen ver­

Philipp das Foyer neu gestaltete. Bühnenlat-

öffentlicht. Ab Herbst 2022 kehrten wir zum

ten und OSB-Platten, eigentlich DIY-Materia­

analogen Format zurück.

lien aus dem Baumarkt, waren das provisorische Baumaterial und sollten das Unfertige und Veränderbare des Foyers, des Theaters und der Gesellschaft veranschaulichen.

Kuhle Rampe, Spray-Aktion 2013

168

studiopanorama.de


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K

Kulturgemeinschaft

Praxis zusammenbringen. Ein permanentes

Die Kulturgemeinschaft Stuttgart ist

Programm mit Ausstellungen, Live-Art und

eine der größten Besucher*innen-Organi­

Diskurs sollte eine neue kulturelle Platt-

sationen für Kunst und Kultur in Deutschland.

form im Zentrum der Stadt werden. Als

Sie entstand 1924 aus der Arbeiterbildungs-

Pilotveranstaltungen wurden 2017 und 2018

bewegung unter dem Namen Stuttgarter

künstlerische K ­ onferenzen umgesetzt,

Volksbühne e. V. Heute bietet sie theaterüber­

„New Narratives – Ökonomien anders denken“

greifende Abonnements, organisiert Thea-

sowie 2018 „Soft Power Palace — Festival

terbesuche und kulturelle Vermittlung.

about Independent Art Spaces in Europe“.

Sie schafft auch Zugänge zum Theater. Die

Danach wurde das Projekt durch das Minis-

Kooperation mit der Kulturgemeinschaft

terium nicht weiter fortgesetzt. So bleibt

brachte uns immer wieder Besucher*innen

die Frage unbeantwortet: Was passiert mit

ins Haus, die wenig vertraut waren mit den

dem Kunstgebäude am Schlossplatz?

zeitge­nössischen künstlerischen Ästheti­ ken, mit denen wir spielten. Die Kooperation trug wesentlich zu einer Durchmischung des Publikums bei.

Kunstgebäude Stuttgart 92 Auf einer grünen Kuppel, zwischen Landtag und Kunstmuseum, neben Neuem Schloss und Oper, blickt ein goldener Hirsch in Richtung der Shoppingmeile Königstraße. Was passiert mit dem Kunstgebäude am Schlossplatz? Ab 2015 trafen sich regelmäßig die Leiter*innen großer Stuttgarter Kulturinstitutionen im Auftrag des Ministeriums für Forschung, Wissenschaft und Kunst. Das Ziel: ein Konzept für eine künstlerische Nutzung zu erarbeiten. Diese hoch motivierte Gruppe – Akademie Schloss Solitude, Institut für Auslandsbeziehungen, Schauspiel Stuttgart, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Theater Rampe und Württembergischer Kunstverein Stuttgart – wollte eine Modellinstitution schaffen. Das Kunstgebäude sollte „Dritter Raum“ werden. Eine Programmkonferenz aus Künstler*innen und Forscher*innen sollte globale Perspektiven eröffnen und zeit­ genössische Diskurse mit künstlerischer

169


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MONTAGE

Netzwerke

130

48 Die Veranstaltungsreihe von Micha

Im Kolleg*innenkreis entstand zwi-

Piltz und Andreas Vogel beschäftigte sich mit

schen Anne Schneider, Sarah Theilacker und

Populärkultur und Themen aus Politik und

Julian Kamphausen (Hauptsache frei / Ham-

Gesellschaft. Über die Jahre etablierten die

burg), Sarah Israel (RODEO München), Janina

beiden bei freiem Eintritt feste Formate wie

Benduski (PAF Berlin) sowie Marie Bues

die Halbjahreskonferenz Popmusik oder

und Martina Grohmann (6 TAGE FREI /

regelmäßige Filmabende. Jeden Montag um

Baden-Württemberg) eine innige Festival-

21 Uhr, seit 2015 im Theater Rampe. 2020

Freundschaft. Regelmäßig besuchten wir uns

erhielten die beiden Macher Unterstützung

informell bei den regionalen Festivals der

von Aliki Schäfer. Mit dem Beginn der

Darstellenden Künste. Wir tauschten Künst-

Pandemie wechselte die Montagegruppe

ler*innen-Empfehlungen, ästhetische Dis-

kurzerhand das Medium und ging im Radio

kurse, Ideen für Formate, Vermittlungserfah­

Rampe online auf Sendung. Am ersten

­rungen, kulturpolitische Strategien und

Montag des Lockdowns saßen Bar-Betreiber

gaben einander konspirativ Einblick in unsere

Vogel und die künstlerische Leiterin Groh-

Etats. Der Freund*innenkreis vergrö­ßerte

mann in der verwaisten Rakete und sprachen

sich schnell. Das Festival IMPLANTIEREN aus

über Viren, Isolation und die bevorstehende

Frankfurt am Main stieß dazu und FAVO­

Depression. In der großen Feiertagssendung

RITEN NRW. Wir nannten uns Festivalfriends.

am Ostermontag liefen Gospel, Country,

Neben den Festivalfriends organisierte

Reggae und ein wenig Metal. Ab der Spielzeit

sich das Theater Rampe in zwei weiteren

2021/22 kehrte der Salon zur Präsenzver-

Netzwerken: FREISCHWIMMEN ist eine

anstaltung zurück: Am 13. September 2021

internationale Austausch- und Produktions-

war Heiko Fischer mit „Einen Pfifferling

plattform für junge Gruppen und Künst-

wert“, einem Gespräch übers Pilzesammeln,

ler*innen aus Theater und Performance. Sie

wieder live zu Gast.

wird getragen durch brut Wien, FFT Düsseldorf, Gessnerallee Zürich, HochX München, LOFFT – DAS THEATER Leipzig, Schwankhalle Bremen, sophiensæle Berlin und Theater Rampe Stuttgart. Koproduktionen, Residenzen, Work­shop-Showings, Gastspiele und Labs sind die Module, die sich an den Bedürfnissen der Künstler*innen und ­Kapazitäten der Häuser orientieren und Kol­ laborationen initiieren, die über die Möglichkeiten der einzelnen Häuser weit hinausgehen. Das Netzwerk Freier Theater (NFT) versammelt elf Partnerhäuser aus ganz Deutschland. Es fördert den überregionalen Austausch von Produktionen und Knowhow und ermöglichen Kopro­duktionen.

170


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Alle drei Netzwerke wurden ab 2020 als

Rakete 39, 43, 130, 134, 140

Pilotprojekte im Programm „Verbindungen fördern“ des Bundesverbands Freie Dar-

Seit 2013 war die Rakete nicht nur die

stellende Künste finanziert. Die Förderung

Bar des Theater Rampe, sondern auch pop-

ermöglichte den Aufbau professioneller

kultureller Hub für den Stuttgarter Süden

Netzwerkstrukturen, nachhaltige Aus-

mit Konzerten, Partys und mehr. An der Theke

tauschprogramme für Künstler*innen und

trafen sich vor, während und nach den Ver-

Planungssicherheit. Diese Programme

anstaltungen Menschen, um sich zu unter-

erweiterten auch die kuratorischen Spiel-

halten und auszutauschen. „Die Rakete ist ein

räume für das Theater Rampe entschieden.

Glücksfall für das Theater Rampe“, sagte Betreiber Andreas Vogel ganz und gar nicht abgehoben, denn eine funktionierende Theatergastronomie mit Verbindung zur Subkultur und einer Verankerung im Stadtteil sei äußerst selten. Mit der Pandemie war das wirtschaftliche Überleben des Kulturund Schankbetriebs gefährdet. Deshalb gab es vom Sommer 2020 bis zum Frühjahr 2022 das RAKETENRADIO, das öffentlich und durch Spenden finanziert war. Die monatliche, für alle frei empfangbare Live-Webshow verhandelte aktuelle und zeitlose Themen – von der Zweckoptimismus-Sendung „Der Frühling lässt sein blaues Band“ bis hin zu „Winter, Wahn & Wollust“. Als Studioband traten BRTHR auf, ein DJ aus dem RaketeKosmos spielte ein Live-Set für seine Fans, die arbeitslosen Mitarbeiter*innen der Rakete verdingten sich als Sprecher*innen, Autor*innen oder Reporter*innen. Aliki Schäfer und Andreas Vogel führten ­souverän durch 22 Ausgaben. Am 30. April 2022 war die Zeit am virtuellen Kamin endlich vorbei und die Bar konnte wieder öffnen.

RAKETENRADIO in der Rakete

Reiner Pfisterer

171


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Rampe tanzt

ihres Programms BUILDING-ACTIONS gab

31, 77, 79

es Bewegungsworkshops, offene Proben,

Bis zur Spielzeit 2016/17 gab es kaum

Diskussionsveranstaltungen und kurze

mehr als zaghafte Flirtversuche mit Tanz.

künstlerische Interventionen, in denen Edan

Dann ging das Theater Rampe mit der

Gorlicki und sein Team Methoden erprob-

Stuttgarter Tanzkompanie backsteinhaus

ten, um sich bereits vor der Aufführung mit

pro­duktion eine feste künstlerische Liaison

dem Publikum zu vernetzen. Nach Gastspie-

ein. Auftakt bildete die Produktion PARA-

len von LUCKY BASTARDS und SEXLESS

DIES FLUTEN von Thomas Köck. Choreogra-

BABE folgten die Koproduktionen WHAT DO

fin Nicki Liszta und Regisseurin Marie Bues

WE DO und die Trilogie MOLECULAR SCARS.

inszenierten eine verirrte Sinfonie über Kolonialismus, Demokratie und Demenz. An der Rampe erar­bei­­tete die Kompanie neue Tanzstücke wie HEADLESS, WOLFGANG und PLATONIA und es entstanden große gemeinsame Inszenie­rungen zwischen Tanz und Schauspiel wie HOW TO SELL A MURDER HOUSE von Sibylle Berg, ABFALL DER WELT von Thomas Köck, DIE TONIGHT, LIVE FOREVER von Sivan Ben Yishai und HAUS DER ANTIKÖRPER von Natascha Gangl. Die Kooperation mixte, rührte und schüttelte auch die Strukturen des freien Tanzes und des Theaters: RAMPE KOCHT MIT BACKSTEINHAUS lud Gäste zum Reden, Kochen, Performen ein, ein bisschen choreografiert wurde auch. Auf dem Speiseplan: drei Gänge, das Definieren der Geschmacksgrenze im Konsumgut Tanz und ein delikates Zusammenspiel von Theaterservice und performativer Freiheit. Darüber hinaus gab es an der Rampe eine intensive Zusammenarbeit mit der Heidelberger Kompanie INTER-Actions, die bei 6 TAGE FREI 2017 ihren Anfang nahm. Choreograf Edan Gorlicki begeisterte nicht nur das Publikum, sondern überzeugte die Jury mit seinem Tanzstück THE PLAYERS „als formal und technisch am besten aus­ gearbeitetes Werk des Festivals“. Aus dieser ersten Begegnung wurde eine andauernde Partnerschaft mit der Kompanie. Im Rahmen

172

STADT DER FRAUEN* 2018

studiopanorama.de


S

T

STADT DER FRAUEN*

TÉCHNE

28, 46, 75, 88, 122, 189

41, 94, 98, 126

2018 rief das Theater Rampe in

TÉCHNE war eine Produktionsplatt-

Esslingen die STADT DER FRAUEN* aus: Mit

form für darstellende und visuelle Kunst

Künstler*innen aus ganz Deutschland und

von Theater Rampe und Künstlerhaus

Österreich, Esslinger Bürger*innen und

Stuttgart. Im antiken Griechenland beschrieb

lokalen Kulturinitiativen gründeten wir eine

,téchne‘ ein Wissen, das man benötigt, um

neue Stadt. Aus der Stadt der Ingenieure

etwas zu tun oder zu machen. Das Wort

wurde die Stadt der Frauen*. Sie besetzten

deutete dabei auf eine nahtlose Verbindung

Altes Rathaus, Rathausplatz und Markt-

und wechselseitige Abhängigkeit von

platz mit ihren Ideen zur Umverteilung von

theoretischem und praktischem Wissen,

Pri­vilegien und zu einer idealen Stadtgesell-

während beide Bereiche nach der Antike als

schaft. Sie bauten eine Bühne für Konzerte

getrennte betrachtet wurden. TÉCHNE

und Versammlungen im Freien, richteten ein

legte den Fokus auf die Über­schneidungen

Kino mit Queerfilm-Programm ein, ein

im Hinblick auf aktuelle ­ästhetische, ökono-

Parlament und eine Schule der Frauen*. Frigga

mische und ethische Fragen. In diesem

Haug unterrichtete dialektisches Denken,

Wechselspiel ist die menschliche Handlungs-

die Matriarchale Volks*küche übernahm den

fähigkeit ebenso verwurzelt wie der Zu-

Sitzungssaal zum Pierogi-Kneten, die Wiener

gang zur Welt, der ständig neu verhandelt

Rapperinnen Klitclique heizten auf dem

werden muss. In der Zusammenarbeit von

Rathausplatz ein und täglich intonierten wir

internationalen Architekt*innen, Anthro­

die Hymne von der neuen Stadtgesellschaft.

polog*innen, Kurator*innen, Theater­

Noch Tage später hörte man Radfahrer*in-

macher*in­nen, darstellenden wie visuellen

nen die Melodie pfeifen. Der Ruf der STADT

Künstler*innen und Kollektiven artikulierte

DER FRAUEN* war auch weit über Esslingens

sich eine Ökologie des Machens vor dem

Stadtmauer hinweg zu vernehmen. Mit

Hintergrund unterschiedlicher Disziplinen

dem von Frauen geführten Atelierhaus Con­

und Herangehensweisen. Koexistenz wurde

dôminio Cultural aus Sao Paulo gab es seit

zum Ausgangspunkt und warf Fragen nach

2019 einen Austausch, der Kunst und Akti-

Verantwortung und Gleichzeitigkeit zwi-

vismus zusammen­brachte und das Konzept

schen Menschlichem und Nichtmenschlichem

weiterdachte.

auf. Insgesamt elf Projekte entstanden ab 2016 im Rahmen von TÉCHNE und wurden in einem Festival und einer Ausstellung von November 2017 bis Januar 2018 präsentiert. Auch das THEATRE OF THE LONG NOW von Bureau Baubotanik und Ferl+Hertel entstand in diesem Rahmen.

173


T

T

THEATRE OF THE LONG NOW

THE EUROPEAN HOUSE OF ­GAMBLING

46, 55, 95, 141, 144

46, 75, 100

Bei einer mindestens hundert Jahre dauernden Vorstellung kann man so einiges

Mitten auf dem Marienplatz. Hypno-

erleben, aber auch so manches verpassen.

tisierende Musik, blinkende Lichter, das

Dem großen Auftritt der Schnecken im April

Klirren von Metall durchdringen den abend-

2022 wohnten nur wenige Abonnent*innen

lichen Sommerwind. Aus kleinen Buden

des THEATRE OF THE LONG NOW bei, denn

fallen skurrile Showmaster, Gaukler*innen,

diese Diven hatten ihren Einsatz bei strö-

Spielhüter*in­nen und verführen die war-

mendem Regen. Gegründet 2014 von einem

tende Menge durch zauberhafte Gebärden

unbekannten Stuttgarter Landschafts­

und geheime Botschaften. Geht es gleich los

architekten auf einer Brachfläche am Kunst-

– oder sind wir schon mittendrin im Spiel?

verein Wagenhalle im Stuttgarter Norden,

In einer Mischung aus Spielhölle, Schaubude

findet der Theaterbetrieb für Außenstehende

und Wett­kampf­arena treffen sich die Besu-

meist unsichtbar statt. Das THEATRE OF THE

cher*innen, um zu z ­ ocken. Die europäischen

LONG NOW ist sehr langsame Aktionskunst,

Werte stehen auf dem Spiel. Der Zufall

Installation und Vorstellung zugleich: Es hat

verteilt um. Gewinn, Verlust, Status – alles

kein Dach, aber ein Ensemble. Es ist eine

wandert weiter. Ist das noch Willkür oder

Institution, aber nirgendwo rechtlich erfasst.

schon (wieder) Gerechtigkeit?

Es hat Zuschauer*innen, aber weder Mensch

Mit einer internationalen Spieltruppe

noch Tier werden je die ganze Aufführung

tingelte dieses Casino für alle ab 2017 von

erleben. Das bleibt den Bäumen und Steinen

Stuttgart nach Berlin, Mann­heim und Baden-

vorbehalten. Im Jahr 2017 wurde die Theater-

Baden. Vielleicht sind es ja doch die Narren,

leitung an Ferl+Hertel und Bureau Baubota-

die die Welt retten.

nik übergeben, die der Institution mit performativen und baubotanischen Eingriffen zu neuer Sicht­barkeit verhalfen. Das Theater Rampe erfreut sich seither einer Außenspielstätte, die jederzeit besucht werden konnte – i­nklusive Audiowalk. Besucher*innen können auf einer Bank Platz nehmen und den verschiedenen Zeitlichkeiten der Performenden zuschauen. Während Hummeln nur gemeinsam mit dem Klee zur Sommerspielzeit auftreten, wechselt der Müll je nach menschlichen Statist*innen. Asseln, Hundert-

THE EUROPEAN HOUSE OF ­GAMBLING 2017

füßer und Regen­würmer sorgen hinter den Kulissen für die infrastrukturelle Basis: Sie zerkleinern das von den Bäumen gefallene Laub und durchmischen in Kooperation mit den Pilzen den Boden. Theater ist am Ende immer Teamwork – auch artenübergreifend.

174

Daniela Wolf


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TRIBUNAL DER ARBEIT

Geschlecht und körperlicher, geistiger oder

48

psychischer Konstitution einen sicheren Das Institut für Künstlerische Post-

Arbeitsplatz und gleiche Chancen? Können

Migrationsforschung errichtete im Oktober

Sie sich entfalten? Können Sie es sich leis-

2022 in der Rampe seine aktivistische Bühne.

ten, Ihre Rechte einzuklagen? Für bessere

Dort wurden Perspektiven sichtbar und

Bedingungen zu streiken?

hörbar, die auch unser Theater oft ausschließt:

Das Tribunal machte deutlich, wie

Die Künstlerin Ülkü Süngün verhandelte mit

wichtig Zuhören als politische Praxis ist und

ihren Gästen illegale und illegitime, un- oder

dass Begegnung und Austausch mit Arbeits­

unterbezahlte Arbeit in Deutschland und

kampf­erfahrenen sowie solidarisches und

lud das Stuttgarter Publikum als Zeug*in-

politisches Handeln Veränderungen hin zu

nen ein. Auf dem Podium: „Madgermanes“,

einer gerechteren Arbeitswelt für alle

„Mall of Shame“-Demonstrant*innen, Geflüch-

bewirken können.

tete und Deportierte sowie Pflegekräfte.

TOOLS

Als Expert*in­nen sprachen diese Arbei-

135

ter*innen, die unter menschenunwürdigen, der Sklaverei ähnlichen Bedingungen arbei-

Nicht erst seit den Lockdowns er-

teten, um Lohn und Rechte geprellt wur-

schließt sich das Theater mit dem Digitalen

den, ihre Gesundheit verloren und trotz

erweiterte Räume und Techniken. Vom

gerichtlicher Erfolge nie ihren angemessenen

14. bis 16. Oktober 2021 bot TOOLS als Labor

Lohn erhielten, nie Gerechtigkeit erfuhren.

und Showcase-Festival Performances im

Sie gaben Auskunft über eine gesellschaft-

Netz und auf der Bühne mit neuen, hybriden

lich akzeptierte und praktizierte strukturelle

Ideen und Experimenten sowie live gestream­

Gewalt und Ausbeu­tungsmechanismen.

ten Aufführungen. Das Festival ermöglichte

Diese Ungerechtigkeiten treffen

einen Einblick in die Bandbreite der neuesten

immer nur die vermeintlich anderen und blei­

digitalen und hybriden Formate – von der

ben deshalb unsichtbar. Wir können sie aber

grünen Wiese der Romantik, die im Green

schmecken, fühlen und sehen: im Sonntags-

Screen in imaginäre Welten führte, bis zur

kuchen der vom 24-Stunden-Pflegedienst

KI, die live inszeniert, oder Zuschauer*innen,

betreuten Großeltern, an der Luxusausstat-

die per Avatar Teil der Party wurden.

tung unserer Einkaufszentren, in dem auf

Diese Kooperation des Instituts für künstle-

Deutsch­lands Feldern geernteten Obst und

rische Forschung Berlin (!KF), der digitalen

Gemüse, in den perfekt gereinigten Büro-

Streaming-Plattform SPECTYOU und des

räumen. Welcher Zusammenhang besteht da

­audiovisuellen Online-Dienstes Die Digitale

zum eigenen Burnout, der seit Jahren an­

Bühne mit dem Theater Rampe Stuttgart

haltenden chronischen Erschöpfung? Zur

zeigte nach mehr als einem Jahr der Pande-

permanenten E ­ rreichbarkeit und Verfügbar-

mie innovatives Netztheater: Im Programm

keit für Arbeitgeber*innen, Kund*innen und

nicht nur wegweisende, bestehende

zum Produktivitätszwang? Sind die eige-

­Arbeiten, sondern auch Tryouts und inter-

nen Aufstiegschancen real? Werden Sie

aktive Experimente, die im digitalen Thea-

denn angemessen bezahlt? Haben Sie trotz

terlabor entstanden. Die Arbeiten bewegten

Nationalität, E ­ thnie, Religionszugehörigkeit,

sich an den Schnittstellen von analogem

175


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V

VAGABUNDENKONGRESS

und digitalem Theater und verbanden

46, 75, 95, 100

aktuelle Entwicklungen aus dem künstlerischen und technischen Bereich. TOOLS fand

Zu Pfingsten 1929 rief Gregor Gog

hybrid statt: Das dreitägige Festivalpro-

sogenannte „Kunden von der Straße“ und

gramm war komplett digital auf SPECTYOU

Künstler*innen auf, zu einem Vagabunden-

zu verfolgen, der hybride Festivaltag war

kongress nach Stuttgart zu kommen.

auch live im Theater Rampe erlebbar. Dort

600 folgten seinem Ruf. Es waren aus der

ging das Panel „Neue Räume – Perspektiven

bürgerlichen Gesellschaft Ausgeschlossene,

auf ein hybrides Theater“ der Frage nach,

die am Stuttgarter Killesberg ihre politische

wie neue technische Möglichkeiten die

Stimme artikulierten. 2014 reaktivierte

Dramaturgien, Produktionsweisen und

das Theater Rampe diesen Kongress. Vaga-

Sehgewohnheiten im Theater verändern.

bondage wurde als eine Ästhetik und Praxis des Wider­stands untersucht. Diesen permanenten Zustand der Exklusion, diesen Ausnahmezustand befragten wir: Kann das Vaga­bundieren nationale ­Grenzen über­ winden? Kann es als ästhetische Praxis Räume jenseits der Institutionen schaffen? Liegt im uto­pischen Künstlerstaat ein Potenzial, das nicht zwangsläufig in Faschismus mündet oder kapitalistisch einkassiert wird? Die Performerin und Kunstaktivistin Tanja Krone lud in der Rolle der Gregoria Gog transnationale Kunst- und Politaktivist*innen, Theoretiker*innen und Bürger*innen nach Stuttgart ein. Sie erklärten das Theater Rampe zu einer „Herberge für alle“ und erörterten ökonomische, philoso­ phische, politische und künstlerische ­Themen. Zunächst arbeiteten die Vagabunden mit Körper, Material, Musik, Text, Raum. Von der Rampe aus vagabundierten sie in der zweiten Phase des Kongresses mit gemeinsamen Aktionen und Wanderungen durch den Stadtraum. So entstanden ein dreiwöchiges ­kollektives Kunstwerk, eine Skulptur des Protests und eine kritische Masse. In Zusammen­arbeit mit Initiativen aus Stuttgart realisierten wir Performances, Demonstrationen, Interventionen im öffentlichen Raum, einen Radiosender und Musik, einen

Vagabundenkongress Eröffnung

Simon Bork

Film und Tanzaktionen auf der Straße.

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Vorträge, ein Seminar, Diskussionen und Streitgespräche loteten Grenzen und Verbindungen von Kunst und Aktivismus, Selbstorganisation und institutioneller Rahmung aus.

Volks*theater Rampe 46, 55, 57, 75, 88, 91, 95, 100, 131, 138 Wer geht überhaupt noch ins Theater? Oder sollte das Theater vielleicht zu den Menschen kommen? Anknüpfend an die Idee

DIE GÄRTEN 2022

der Volkstheater, die im 19. Jahrhundert auf Marktplätzen mobil auf Wagen aktuelle politische Themen verhandelten, gründete das Theater Rampe im Sommer 2019 ein Volks*the­ater Rampe: ein NachbarschaftsEnsemble, in dem ca. fünfzehn Personen – Nicht-Profis und Profis, Sozialarbeiter*innen, Unternehmer*innen, Geflüchtete – vertreten sind. Sie recherchierten und entwickelten eigene Aktionen und Performances im öffentlichen Raum zu dringlichen Themen aus dem Viertel. So wurden im Lockdown 2020 bei der Telefon-Performance TAG Y Leerstand und Wohnungsnot ebenso zum Thema wie Social Distancing und der Wunsch nach Gemeinschaft. Bei AUF DIE PLÄTZE! – EIN WIEDERSEHEN MIT MUSIK trafen dann Zuschauer*innen und Ensemble 2021 bei einem Liederabend auf dem Marienplatz wieder aufeinander, bevor es 2022 in DIE GÄRTEN am Schimmelhüttenweg ging, wo Pflanzen, Tiere und Fabelwesen die Besucher*innen durch die Gärten führten. Seit 2019 befasst sich das Ensemble auch mit seinen Strukturen, hat sich zu­­ nehmend selbst organisiert und im künstlerischen Prozess immer mehr an Souve­ ränität gewonnen. Zugleich hat es sich im Programm des Theater Rampe fest etabliert und steht damit auch für eine kuratorische Öffnung.

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Dominique Brewing


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WE ALL CAME OUT OF A PUSSY

Zutritt und Eintritt 49

Aus der Frauenbewegung der 1970erJahre gründete sich ein Frauengesundheits-

Wieso sind Foyers in Theatern nur

zentrum in Stuttgart. Im Jahr 2017 wurde

kurz vor Vorstellungsbeginn offen? Im Jahr

es als das Feministische Frauen* Gesundheits-

2019 rief das Theater Rampe „WWW“ aus:

zentrum Stuttgart (FF*GZ) wiederbelebt

Wasser, W-Lan, WC. Heißt: Zu den normalen

und begrüßte mit einer großen Kick-off-

Kassenöffnungszeiten haben schon tags-

Veranstaltung im Theater Rampe alte und

über alle Menschen Zutritt. Ohne Konsum-

neue Freund*innen, Partner*innen und die

zwang können sie das Rampe-Foyer nut-

Stadtgesellschaft. Rampe-Foyer, Schwarz-

zen, um zu arbeiten, sich aufzuwärmen oder

waldhalle, Theater- und Probebühne sowie

dringenden Bedürfnissen nachzugehen.

die Rakete wurden bespielt mit Vorträgen

Auch die Eintrittspreise des Theaters haben

von Mithu Sanyal über die Vulva, einer

sich über die Jahre verändert. Verschiedene

Ausstellung über Mutterschaft von Jasmin

Preis-Modelle wurden erprobt: Die Start-

Schädler und Joana Gomez, Workshops zu

rampe gewährte Auszubildenden und Stu-

Jungfernhäutchen und Wechseljahren und

dierenden im ersten Jahr sowie FSJler*innen

female DJ-Kollektive schmissen zum Aus-

freien Eintritt, zusätzlich gab es ein festes

klang eine Party. Das Festival war Ausdruck

Kontingent an Freikarten für Inhaber*innen

der Zusammenarbeit mit queeren und

der Bonuscard Kultur und eine Nachbar-

feministischen Initiativen, Aktionen und

schaftskarte. Anwohner*innen des Bezirks

Institutionen wie Queerfem, den Queer-

Stuttgart-Süd zahlten zwölf Euro, Be-

denkern, La Fuchsia Kollektiva etc.

wohner*innen anderer Stadtteile konnten sich in die Nachbarschaft einkaufen. Unterstützer*innen bezahlten freiwillig dreißig Euro. Auch diverse Abonnements für Performance, Tanz oder Mitglieder der Kulturgemeinschaft wurden aufgelegt. Seit 2021 haben Besucher*innen die Wahl, mehr oder weniger für ihr Theaterticket zu bezahlen. Sie können sich für einen von fünf Wahlpreisen zwischen ein und dreißig Euro entscheiden – entsprechend ihrer aktuellen Möglichkeiten. So ermöglicht das solidarische Preissystem Theaterbesuche unabhängig von der individuellen finanziellen Situation.

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Z

Zacke 43, 59 Das Theater ist untergebracht im Depot der „Zacke“, einer Zahnradbahn, die allabendlich ins Foyer des Theaters einfährt und dort parkt. Die 1984 von Regula Gerber und Alexander Seer gegründete Theatergruppe Rampe zog 1992 in den ehemaligen Zahnradbahnhof an der Filderstraße im Stuttgarter Süden ein. Mit Hilfe von Stadt und Land war das neue Theatergebäude gefunden und auf Initiative von SSB-Vorstands­­­sprecher Dr. Roland Batzill und dem damaligen ­O berbürgermeister Manfred Rommel umgebaut worden. Seither fahren Abend für Abend zwei ZackeBahnen ins Foyer, um in der Schwarzwaldhalle zu übernachten. Diese zumeist friedliche Koexistenz von Theaterbetrieb

Zacke, Einfahrt in die Rampe

und Betriebsgelände eines öffentlichen Verkehrsmittels dürfte einmalig sein. Seit 1884 klettert die Zacke vom Marienplatz aus den Hügel hinauf in den 200 Meter höher gelegenen Stadtbezirk Degerloch und bewältigt dabei auf 2,2 Kilometern bis zu 17,8 Prozent S ­ teigung. Die Stuttgarter Zacke ist die einzige Zahnradbahn Deutschlands, die hauptsächlich dem ganz normalen täglichen Berufsverkehr einer Großstadt dient. Planmäßig sind immer zwei Wagen im Einsatz, die jährlich 33 000 Kilometer zurücklegen. Das geht an die Substanz. Seit dem 8. Oktober 2022 sind neue Niederflurbahnen im Einsatz, um die Zacke barriere­ärmer zu machen. Dem ging eine zweijährige staubige und laute Bauphase voraus, die dem Theaterbetrieb einiges an Geduld, Toleranz und Improvisations­ geschick abverlangte.

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Dominique Brewing


Mitarbeitende

Künstlerische Leitung

Veranstaltungstechnik

Marie Bues (2013 – 2021),

Robin Burkhardt (2013 – 2017), Simon

Martina Grohmann (2013 – 2023)

Kraemer (2014), Max Kirks (2015 – 2017),

Geschäftsführung

Benjamin Böttle (2017 – 2018), Sebastian Fürst (2017 – 2022), Christoph Schmitz

Franziska Stulle (2013 – 2023),

(2018 – 2023), Timo Kleinemeier (2019 – 2022),

Julian Bogenfeld (2017 – 2018)

Hannes Brugger (2022 – 2023), Markus

Referent*in der Geschäftsführung

Schäfer (2022 – 2023)

Florian Rzepkowski (2013 – 2017),

Bühnenbau, Werkstattleitung

Kati Trinkner (2018 – 2023)

Stephen Herter (2001 – 2023)

Produktionsleitung

FSJ-Kultur

Aliki Schäfer (2013 – 2015, 6 TAGE FREI

Lea Oelschläger (2015), Anne Sehl (2016),

2016 – 2017), Rahel Häseler (2015 – 2017),

Lucas Oettinger (2015 – 2016), Marina

Silinee Damsa-Ard (verschiedene Projekte,

Buneta (2016 – 2017), Clemens Rusche (2016),

2018 – 2022), Monika Kebieche-Loreth

Deborah Simon (2017), Moritz Martin

(2018), Klara Fritz (2018 – 2019), Laura

(2017 – 2018), Klara Fritz (2017 – 2018), Erna

Oppenhäuser (6 TAGE FREI 2018 – 2022),

Schmidt-Oehm (2018 – 2019), Charlotte Goes

Siri Thiermann (2019 – 2023)

(2018 – 2019), Alexander Weidle (2019 –

Künstlerisches Betriebsbüro

2020), Anna Widmann (2019 – 2020), Fenna

Anna Bakinovskaia (2020 – 2022)

Kröger (2020 – 2021), Amir Natanaeel

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Saadat (2020 – 2021), Clara Krieger (2021 –

Anna Katharina Winkler (Referentin, 2013 – 2014), Hannah Buchheister (Referentin, 2014), Sarah Theilacker (2014 – 2017), Olaf Nachtwey

2022), Emma Sulz (2021 – 2022), Aliya Yargici (2022 – 2023), Julie Raquet (2022), Sarah Stoll (2023)

(2017 – 2018), Kathrin Stärk (2018 – 2023)

Praktikum Regie

Dramaturgie, Mitarbeit in der künstlerischen Leitung

Lucia Obst (2013 – 2014), Marco Niehoff (2014), Mia Göhring (2014), Alban Mondschein (2015), Tobias Tönjes (2015),

Paula Kohlmann (2018 – 2023)

Emma Mary Hall (TECHNÉ 2017)

Regie-, Ausstattungs- und Produktionsassistenz

Praktikum Technik Marina Landrichter (2013 – 2014), Cem

Sarah Brodbeck (2015 – 2016), Marina

Yeginer (2013 – 2014), Andreas Beck (2014),

Landrichter (2015), Tobias Tönjes (2016 –

Fabio Sancar (2015), Niclas Tempelhof

2019), Silinee Damsa-Ard (2017), Pierre-

(2015), Anne Klöppel (2015 – 2016), Paul

Marcel Balazs (2019), Marlis Wiedemann

Schnell (2016), Michael Guserle (2017 – 2018),

(2019 – 2020), Theresa Bürkle (2021)

Mohannad Binyamin Saadat (2020)

Technische Leitung Joscha Eckert (2013 – 2017), Robin Burkhardt (2018 – 2019), Max Kirks (2019 – 2023)

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Mitarbeitende

Praktikum Produktion

Mitarbeit Technik

Leonie Liebler (2013 – 2014), Marco Niehoff

Manuel Giesek, Charlotte Goes, Danilo

(2014), Kathrin Kröner (2014), Aileen Kern

Knierim, Simon ­Kraemer, Moritz Martin,

(2015), Klara Kazenmaier (2015),

Lucas Oettinger, Jan-Moritz O ­ lbricht,

Tanja Schak (2015), Jenny Glauner (2015)

Tanja Höhne, Tobias Tönjes

Praktikum Öffentlichkeitsarbeit

Werkstatt / Büro

Hannah Buchheister (2013 – 2014), Sebastian

Mohannad Binyamin Saadat

Beeskow (2014 – 2015), Inga Schwörer

Beratung zur solidarischen Institution

(2015), Julia Ott (2015), Maximilian Fischer

Rex Osa-Aghedo

(2015), Julia Kern (2016), Christian Popp (2016), Fabian Metzger (2016), Isumi Naka (2017), Stefanie Dengler (2017), Sebastian Gall (2017), Andjelka Bilbija (2017 – 2018), Ninke Marie Gebhardt (2018), Abena Wilhelmi (2018 – 2019), Julene Paulina Jäger (2019), Tanja Seid (2019), Rebecca Linder (2019), Marlis Wiedemann (2020)

Archiv Ninke Marie Gebhardt

Kasse Hannah Buchheister, Theresa Bürkle, Sofia Falsone, Claudia Frank, Hannah Keller, Louisa Köninger, Lieko Schulze, Patricia Neligan, Konstantina Poulidis, Erna Schmidt-Oehm, Fabienne Dumont, Charlotte Goes, Moritz Martin

Mitarbeit Produktion Fabienne Dumont, Olena Abramian, Lutfi Alio, Neel Becker, Jasien Bitzer, Anne Brüssan, Frank Ebner, Enia Wegmann, Klara Fritz, Laura Galeano-Ochoa, Franziska Goth, Ahmad Hasan, Felix Heimbach, Julene Jäger, Anton Kis, Irena Lange-Ebock, Helga Lazar, Rebecca Linder, Inge Liss, Angela Milosevic, Pastenaci Philine, Lukas Schega, Anne Sehl, Julian Tresowski, Maya von Langsdorff

Reinigung Olcay Dogan, Nicole Frank, Julia Glattbach, Gülsüm Soyucok

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Impressum

Im Schatten der Zahnradbahn Vol. 2 Theater Rampe 2013 – 23 Herausgegeben von Theater Rampe

2023 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

Verlag

Fotografien

Theater der Zeit

Dominique Brewing

Verlagsleiter Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.tdz.de

Redaktion Kathrin Stärk

Sonstige Abbildungen Luzie Marquardt (S. 2/3), Lucia Obst (S. 7) Simon Berger* (S. 18), Mercuryal XX* (S. 29), Marek Studzinski* (S. 34), Chandan Chaurasia* (S. 37), chuttersnap* (S. 40), Thomas Dumortier* (S. 53), Noah Silliman*

Lektorat Nicole Gronemeyer

Gestaltung studiopanorama.de

(S. 58), Lubov Birina* (S. 64), Stanislav Ferrao* (S. 68), Zinko Hein* (S. 76), Ion Fet* (S. 80), Gemma Evans* (S. 85), Gabriel* (S. 89), Pedro Mealha* (S. 93), Mirko Fabian* (S. 99), Mike Yukhtenko* (S. 102), freewalking-tour-salzburg* (S. 107) Jan Willem* (S. 111), Kristina Tripkovic* (S. 117),

Umschlagabbildung Dominique Brewing

Druck

Mathias Reding* (S. 123), NASA* (S. 127), Sergey Nikolaev* (S. 132), Ben Wicks* (S. 136), panorama (S. 137), Florian Model (S. 142/143), Harald Völkl (S. 150/151), Felix Grünschloß (S. 187) * via unsplash.com

Druckhaus Sportflieger Printed in Germany ISBN 978-3-95749-467-2 (Paperback)

Abbildung rechts: Team des Theater Rampe 2019

ISBN 978-3-95749-476-4 (ePDF)

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DNKE RMPE

NORA ODER EIN ALTENHEIM

DIE B RIEFFREU NDSC HAFT 110

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21/22/23.12.2021

PERFORMANCE VON FOLLOW US

MAR KUS&MARKUS THEATERKOLLEKTIV 110

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STUTTGART PREMIERE 30.3.22 110

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Eine Produktion von Markus&Markus Theaterkollektiv gefördert durch den Fonds Darstellende Künste in Koproduktion mit LOT Braunschweig, Pavillon Hannover, Sophiensaele Berlin, ROXY Birsfelden, Theater Rampe Stuttgart, Lichthof Hamburg. In Kooperation mit dem Mousonturm Frankfurt, Schwankhalle Bremen und Pathos München.

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MIT FREISCHWIMMEN

VON GRUPPE CIS

ON TO UR

NAH AM WASSER GEBAUT

PERFORMANCE VON DIE SOZIALE FIKTION & FRIENDS

STUTTGART-TERMINE: 27. + 28.10.2022

PREMIERE: 09.11.2022 TERMINE: 10.–12.11.2022

TANZPERFORMANCE AUS DER STREET CULTURE VON DONYA AHMADIFAR

IN KOPRODUKTION MIT FREISCHWIMMEN

WEM GEHÖRT DAS THEATER

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PREMIERE 22.04.23 WEITERE PERFORMANCES 27.–29.04.23


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THEAAAATTER RAAAMPEEEEEEEE Im Gebäude eines Theaters mag man einiges erwarten – aber eine Zahn­radbahn dürfte selbst hartgesottene Theatergänger*innen überra­ schen. Schon der Ort ist programmatisch für das Theater Rampe. Hier mischen sich Theater und Popkultur, Tanz und Schauspiel, Nachbarschaft und globale Perspektiven. Mehr und mehr ­ent­wickelte sich das Theater Rampe zu einem Stadttheater neuen Typs, in dem die Über­gänge zwischen zeitge­nössischen Theater­texten und Performances der freien Darstellenden Künsten fließend sind. 2023 steht in der Rampe ein Leitungswechsel an. Ein guter Moment, um innezuhalten. Künstlerische Wegbegleiter*innen, Freund*innen und Partner*innen erinnern in persönlichen Abschiedsbriefen die ver­ gangenen zehn ­Jahre, schreiben Ideen fort oder blicken in die Zukunft. Eine Sammlung von Briefen, die keinen ­Anfang und kein Ende kennt. Denn Abschied nehmen heißt auch weitermachen, weiterarbeiten, weiterdenken.


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