double 48 – Utopische Weltentwürfe im Figurentheater

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DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater

Ausgabe 2/2023 ::: Nr. 48 ::: 20. Jahrgang ::: PREIS: 6 €

gegen den lauf der dinge Utopische Weltentwürfe im Figurentheater




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INHALTSVERZEICHNIS

E D I T O R I A L THEMA Meike Wagner Antoine Hirel

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Gegen den Lauf der Dinge. Utopische Weltentwürfe im Figurentheater Eine Postkarte in die Utopie

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Hen Queeres Puppen-Kabarett als utopische Perspektive für sexuelle Körperidentitäten

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Rafi Martin Das Unsichtbare, das uns verbindet – Schwerkraft und Magnetismus 12 Christoph Bochdansky Immer voran! 14 Warum Theater, warum Kunst in diesen Zeiten, in denen wir alle guten Grund haben, wegen der Klimakrise in Panik zu verfallen und zu rebellieren, in der Hoffnung, so die notwendige Transformation zu beschleunigen?

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„Die Geister, die ich rief …“

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Melancholischer Trost Die Utopien von Philippe Quesne und Vivarium Studio

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Sendungen von anderen Orten

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Manuela Mohr

Puppentheater und Weltraumreise Die Identitätsfrage in utopisch-dystopischen Science-Fiction-Stücken

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Junge Hoffnung Vom Suchen und Finden der Utopie

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(Un)Freiwilliges Tempolimit Eindrücke vom 23. Internationalen Figurentheaterfestival in Erlangen

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Celine Klotz

Die Kunst lebendig zu machen Gedanken zur Animation anlässlich der Jubiläen des Studiengangs Figurentheater und des FITZ in Stuttgart

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Steffen Georgi

Metabolismus als Kunstform Figur und Tanz im Leipziger Westflügel

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Mareike Gaubitz und Christina Röfer

Ein Haufen Fragen und mindestens so viele Antworten „Figure It Out“ – Showcase und Fachtagung anlässlich des 30. Jubiläums der Schaubude

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René Reith

Perspektivwechsel Zum Symposium der 7. Deutschen Figurentheaterkonferenz in Northeim

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Frank Soehnle

Schreibpraktiken des Figurentheaters in Westeuropa Die internationale Konferenz „Portrait du Marionnettiste en Auteur” in Montpellier

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Wo die Puppen (nicht) wohnen Zu Besuch in der Ausstellung „(K)ein Puppenheim” im Münchner Stadtmuseum

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Nicole Beutler Johanna Schallermayer Anke Meyer Lara Epp, Viktoria Kasprik, Eva Maria Hasler

FESTIVAL André Studt JUBILÄUM

DISKURS

AUSSTELLUNG Annika Gloystein

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INHALTSVERZEICHNIS

INSZENIERUNG Christofer Schmidt

Der ewige Wettkampf Wenn Verlorenes die Gegenwart befragt: „Mata Dora” von El Cuco Projekt

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Annika Gloystein

Papierblumen im Schaumstoffgarten Zu Besuch „Im Garten der Potiniers” bei der Ruhrtriennale

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Franziska Burger

Weltentwürfe im Miniaturmodell Utopien und Dystopien in „Civitas Cunt“ von Dubs/Schnakenberg und „Five Lines“ von Cia. Frau Trapp

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Moritz Schönbrodt

„Ich möchte nichts wissen, ich möchte herausfinden.“ Priska Praxmarer im Portrait

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SCHWEIZER FENSTER

E N G L I S H S U M M A R I E S

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NOTIZEN / FESTIVALKALENDER

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I M P R E S S U M

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Titel: Philippe Quesne, Le Jardin Des Délices / Der Garten der Lüste. Foto: © Katrin Ribbe, Ruhrtriennale 2023

Content double 48: T H E ME : Against “Business as Usual”. Utopian Worlds in Figure Theatre // Meike Wagner A postcard to utopia // Antoine Hirel Hen Queer puppet cabaret as a utopian perspective for sexual body identities // Rafi Martin The invisible factors that bind us together – gravity and magnetism // Christoph Bochdansky Always moving forward! // Nicole Beutler Why do we practice theatre and art in these times when we have every reason to panic and rebel over the climate crisis in the hope of accelerating the necessary transformations? // Johanna Schallermayer “The ghosts I summoned...” // Anke Meyer Melancholic consolation The utopias of Philippe Quesne and Vivarium Studio // Lara Epp, Viktoria Kasprik, Eva-Maria Hasler Messages from other places // Manuela Mohr Puppet theatre and space travel The question of identity in utopian-dystopian science fiction plays // Youthful hopes Searching for and finding utopia F E S T IVAL André Studt (In-)Voluntary Speed Limit Impressions of the 23rd International Figure Theatre Festival in Erlangen AN N I V E R S AR Y Celine Klotz The Art of making things alive Thoughts on animation on the occasion of the anniversary of the study programme and the FITZ in Stuttgart // Steffen Georgi Metabolism as an Art Form Figure and Dance in Leipzig's Westflügel // Mareike Gaubitz and Christina Röfer A bunch of questions and at least as many answers “Figure It Out” – Showcase and symposium on the occasion of the 30th anniversary of the Schaubude

D I S C O UR S E René Reith Change of Perspective On the symposium of the 7th German Figure Theatre Conference in

Northeim // Frank Soehle Writing Practices in Figure Theatre in Western Europe The International Conference “Portrait du Marionnettiste en Auteur” in Montpellier EX H I BI T I O N Annika Gloystein Where the dolls (don’t) live A visit to the exhibition “(K)ein Puppenheim” at the Munich City Museum STA GI N G Christofer Schmidt An eternal struggle When lost things question the present: “Mata Dora” by El Cuco Projekt // Annika Gloystein Paper flowers in the foam garden Visiting “Au jardin des Potiniers at the Ruhrtriennale” SW ISS W IND OW Franziska Burger World Designs in Miniature Models Utopias and dystopias in “Civitas Cunt” by Dubs/Schnakenberg and “Five Lines” by Cia. Frau Trapp // Moritz Schönbrodt “I don't want to know anything, I want to find out.” Priska Praxmarer in portrait

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EDITORIAL

Gegen den Lauf der Dinge Utopische Weltentwürfe im Figurentheater Wohin man schaut: Krise! Hungersnöte, Kriege, Desinformation, Klimakatastrophen. So manche*r empfindet die aktuelle Epoche als einen heftigen Orkan, bei dem kein Stein mehr sicher auf dem anderen steht. Woran kann man sich da noch halten? Wie soll es so weitergehen?    Institute entwerfen Zukunftsszenarien, in denen sie Parameter zur Berechnung möglicher Zukünfte anwenden und versuchen, damit Richtungen zu denken, die Realität werden könnten. Es gibt angenommene Situationen, in denen sich gesellschaftliche Strukturen und ihr Umgang mit Ressourcen ins Positive verändern und Worst-Case-Szenarios, die ein eher dystopisches Weltbild zeigen. Wohin wird die Reise gehen?    Noch kann man es nicht wissen. Doch zwischen all den aktuellen Krisen und Konflikten blitzt ein Hoffnungsschimmer durch den Theatervorhang. Das Theater schafft Räume, um über Realitäten und ihre Alternativen nachzudenken. Hier treffen Utopien auf Dystopien, es geht um die Sehnsucht nach dem Alten und das Streben nach etwas Neuem. Es wird geforscht, getüftelt, gebaut und verworfen. Wie schafft man es auf der Bühne, Utopien im Jetzt zu (er-)gründen und schon heute eine mögliche utopische Zukunft zu erschaffen?    Diese Ausgabe beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, Utopien im Figurentheater zu denken, zu erleben und zu leben. Meike Wagner wird von einer Postkarte in die utopische Abschweifung geschickt, während Antoine Hirel die Körperentwürfe der Puppe ‚Hen‘ als queere Utopie beschreibt. Rafi Martin beschäftigt sich dafür mit Magnetismus und Schwerkraft, die ungeplant zu Resonanzen führen. Für Christoph Bochdansky ist die Utopie steter Begleiter seiner Arbeit, die ihn auf der Suche nach Inhalten lenkt und beflügelt. Inmitten einer krisenhaften Zeit möchte Nicole Beutler über die Angst hinaus die Zukunft üben, während Johanna Schallermayer mit dem Konzept der ‚hauntology‘ die Geister der Vergangenheit in das Zukunftsdenken hineinträgt. Drei Figurentheater-Studierende – Lara Epp, Viktoria Kasprik, Eva Maria Hasler – der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart antworten auf die Frage nach der Utopie mit Kurzmeldungen vom ‚anderen Ort‘. Tröstliche Utopien findet Anke Meyer in den Stücken von Philippe Quesne. Manuela Mohr beschreibt, wie die Puppe im Weltraum nach einer utopischen Identität strebt. Dass die Suche nach Utopie schon das Ziel sein kann, verdeutlicht Anna-Maria Polke in ihrem Interview mit dem Queer Club des Theater der Jungen Welt Leipzig.    Im zweiten Teil des Hefts geben unsere Autor*innen Einblicke in das diesjährige Figurentheaterfestival im Großraum Erlangen und machen sich Gedanken zur Animation, Wandlungsfähigkeit und künstlerischen Forschung anlässlich der Jubiläen in Stuttgart, Leipzig und Berlin. Sie schildern Eindrücke von der Figurentheaterkonferenz in Northeim und berichten von vielfältigen Herangehensweisen an das Entwerfen von Stücktexten im Figurentheater, die auf der „PuppetPlays“-Tagung in Montpellier vorgestellt und diskutiert wurden. Zudem blicken wir auf die interdisziplinäre Kooperation „(K)ein Puppenheim“ im Münchner Stadtmuseum, in der u. a. die eigene Ausstellungspraxis kritisch hinterfragt wird.    Auch das Thema des Hefts wird noch einmal aufgegriffen: Christofer Schmidts Besprechung der Inszenierung „Mata Dora“ vom El Cuco Projekt zeugt vom Wunsch nach einer Welt ohne Ausbeutung, Annika Gloystein berichtet vom wohltuenden Blick auf die Natur „Im Garten der Potiniers“ und im Schweizer Fenster untersucht Franziska Burger alternative Weltentwürfe en miniature in Produktionen von Dubs/Schnakenberg und Cia Frau Trapp. Außerdem im Portrait dieser Rubrik: die Schweizer Theatermacherin und diesjährige Preisträgerin des PRIX ASSITEJ, Priska Praxmarer. Eine anregende Lektüre wünschen Meike Wagner, Anna-Maria Polke und Christina Röfer

ED I TOR I AL Theatre creates spaces for us to think more deeply about realities and their alternatives. This is where utopia and dystopia meet; it's all about yearning for the old and striving for something new. We research, tinker, build and discard. How do theatre people manage to establish utopias in the here and now and create a potential utopian future today? This edition deals with the possibilities of thinking about, experiencing and living out utopias in figure theatre. gegenüberliegende Seite: Queer Club, Qutopia – eine Versuchsanordnung. Foto: Tom Schulze

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THEMA

EINE POSTKARTE IN DIE UTOPIE Wie kommt die Utopie in unserem Alltag dazwischen? Und, was hat das Figurentheater damit zu tun? Erzählung und Performanz einer ‚besseren Welt‘ verbinden sich im Theater, um Utopien in unsere Köpfe und Körper zu pflanzen. Dabei kann das Figurentheater gerade im Hinblick auf die posthumanistische Utopie einer anderen Weltwahrnehmung und Weltbeziehung ihre besonderen Objektund Materialgefüge nutzen. V o n M e i k e W a g n e r /// Wenn ich im Büro an meinem Schreibtisch sitze, läuft vieles nach Plan. Mein Kalender gibt den Takt der Gesprächstermine, Planungstreffen und, ja, auch der Pausenzeiten vor. Da erlebe ich es als Glücksmoment, wenn für kurze Augenblicke die Abschweifung gelingt. Wenn der Blick vom Computerbildschirm wegwandert. Hin zu meiner Pinwand. Und dort lese ich dann „RESISTANCE OF THE HEART AGAINST BUSINESS AS USUAL“. Darunter zwei holzschnittartige rote Blüten, aus grünem Blättergestrüpp herausragend. Wow. Das katapultiert mich direkt in einen anderen Raum, in eine andere Zeit. Hinein in die Utopie. Schon bin ich gedanklich und emotional am utopischen Nicht-Ort, am eu-topischen, guten Ort. Und dort regiert eben nicht der Computer in Komplizenschaft mit dem Kalender, sondern Traum, Abschweifung, Fantasie, Gestrüpp, Unordnung, Freiheit!    Die eben beschriebene Postkarte hat mir John Bell vor ein paar Monaten mit lieben Grüßen zugeschickt, um sich für die reibungslose Organisation einer Tagung zu bedanken.1 Moment mal. Ist das nicht paradox? Haben nicht Computer und Kalender diese Reibungslosigkeit verursacht? Wie kommen jetzt die ‚resistance‘ und der utopische Wegweiser ins Spiel? Ist das eine doppelte Botschaft von John? Oder stammt sie doch direkt vom Großmeister der Utopie, von Peter Schumann, der seit vielen Jahren diese Postkarten und Poster mit ähnlich aus der Chrononormativität (Freeman) und Leistungsgesellschaft ausbrechenden Sprüchen und Bildern unter die Menschen bringt.2    Peter Schumann macht seit über 60 Jahren Puppentheater.3 Mit seinen großformatigen Zirkusshows, Paraden und Performances hat er seit den 1960er Jahren unermüdlich die Unterdrückungen der kapitalistischen Gesellschaft aufgedeckt und angeprangert. Kriegstreiberei als Folge von handfesten Gewinninteressen des Großkapitals, Gewaltexzesse im Namen von ‚big business‘, Klimafolgen der kapitalistischen Ausbeutung, und vieles mehr, hat er uns mit riesigen Pappmaché-Figuren drastisch vor Augen gestellt. Er und seine Frau Ilka Schumann, die vor zwei Jahren verstarb, haben sich in den Bergen von Vermont ihren eigenen guten Ort erschaffen – die Bread and Puppet Farm –, an dem sie unentwegt mit künstlerischen Mitteln eine Vision des besseren Lebens erschufen. Tausende von Künstler*innen, Aussteiger*innen, Gesellschaftsveränder*innen sind hier durch die Schule der Puppenkunst und die diskursive Schulung des ‚Trotzdem‘, des ‚Jetzt-erst-recht’, des hoffnungsvollen ‚Noch-nicht‘ (Bloch) gegangen. Viele, wie etwa auch John Bell, sind einige Jahre geblieben, und wurden zum Teil dieser künstlerisch-utopischen Arbeit.    Aber was genau macht die Utopie der Arbeit von Figurentheater wie etwa beim Bread and Puppet Theater aus? Geht es darum, Themen zu setzen, die immer wieder und wieder die Probleme dieser Welt und Auswege daraus aufzeigen? Geht es um die großen Er-

Pinwand mit Utopie. Foto: Meike Wagner

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zählungen einer besseren Welt? Oder auch um die Beharrung, das Insistieren auf einer künstlerisch-kritischen Position als utopischer Haltung? Mit dem Standbein in der Lebensrealität, mit dem Sprungbein aber hinein in die Utopie? Das Beispiel des Bread and Puppet Theater zeigt, dass die Wucht der Arbeit auch mit einer Art von ‚Geschichtlichkeit‘ zu tun hat. Wir sind massiv angerührt vom langen Atem, von der Authentizität des Widerstands und der unbeirrten Realisierung des utopischen Standpunkts. Wird Utopie hier nach all den Jahren zur Legende?   Aber interessanterweise erschöpft sich hier das utopische Potential nicht. Die Erzählungen von Bread and Puppet treffen uns immer noch.4 Sie sind politisch, aber zugleich auch durch ihre versammelnde Kraft, durch ihre tiefe humanistische Grundierung im Widerstand gegen ‚business as usual‘, gegen die Macht der Mächtigen eben auch utopisch.    Der Begriff ‚Utopie‘ wurde durch die Rezeption von Thomas Morus’ Buch „Utopia“ aus dem Jahr 1516 in Europa geprägt und verbreitet, in dem er ein utopisches Konzept einer idealen Gesellschaft auf einer fiktiven abgelegenen Insel vorschlägt und auf diese Weise seine Kritik an der englischen Gesellschaft seiner Zeit verschleiert. In seinem Buch liefert Morus eine Etymologie des Begriffs, der vom griechischen u-topia abgeleitet ist, was „Nicht-Ort“ bedeutet. Die englische Aussprache verbindet es mit einem anderen griechischen Begriff, eu-topia, dem „guten Ort“. Dies hat zu einem allgemeinen Verständnis von „Utopie“ als positivem imaginären Raum im Gegensatz zu „Dystopie“ als katastrophalem Schauplatz geführt. Spätere Konzepte verbanden Utopie5 nicht nur mit dem ‚anderen Ort‘, sondern verwiesen auf die Zukünftigkeit eines besseren Lebens, das heute schon formuliert werden kann und dadurch Anreiz zur Verwirklichung gibt in einer ‚anderen Zeit‘.    Diese zeit-räumlichen Aspekte des ‚utopischen Anderen‘ führen genau zum Theater, und auch zum Figurentheater.

Konzentrationskapelle der ungläubigen Puppenspieler mit Wartezimmer für Nimmerleinstag. Ausstellung im Stadtmuseum München 2011. Foto: Bread and Puppet Theater

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Denn die erzählerische und performative Ebene von Theater lässt sich im ‚anderen Raum‘ und am ‚anderen Ort‘ weit entfalten. Dem Theater gelingt es zuweilen, Raum und Zeit außer Kraft zu setzen, die Spieler*innen und Zuschauer*innen in andere Dimensionen zu entführen und sie eben eine utopische Welt (vorausgegriffen oder ex-territorial) erfahren zu lassen. Darin steckt ein verführerischer Kern von Eskapismus, können wir uns doch aus einer real erfahrenen Misere mittels des Theaters herausflüchten, können uns für Momente ablenken und einfach nur gut unterhalten lassen. Wobei der leichte Zugang und die Sogwirkung von Netflix-Serien hier vielleicht sogar bessere Arbeit leisten könnten…    Aber es steckt auch ein politischer Kern in der Utopie und der Erfahrung von anderen Zeiten und Räumen. Folgt man etwa Jill Dolans Gedanken zur Performativität utopischen Theaters, so wird klar, dass die Erfahrung eines vorausgeworfenen ‚besseren Lebens‘ während der Aufführung Spuren in uns hinterlässt und neue Realitäten schafft. Solche utopischen Momente nennt Dolan „utopian performatives“ („utopische Performative“):   „Utopische Performative beschreiben kleine, aber tiefgehende Momente, in denen die Performance bei den Zuschauern eine Art von Aufmerksamkeit erzeugt, die jeden ein kleines bisschen über die gegenwärtige Situation erhebt, und in uns ein hoffnungsvolles Gefühl davon erzeugt, wie eine Welt sein könnte, in der jeder Moment unseres Leben genauso emotional reich, großzügig, ästhetisch ergreifend und zwischenmenschlich intensiv erfahren werden könnte.“6    Und diese kleinen utopischen Momente haben in ihrer ästhetischen Erfahrung eine reale Wirkung, vergleichbar dem ‚Tun‘ (‚doing‘) eines performativen Sprechaktes („ich taufe dieses Schiff auf den Namen…“), denn „utopische Performative machen eine affektive Vision einer besseren Welt in ihrem ‚Tun‘ [für uns] greifbar.“7 An dieser Stelle greifen eine utopische Erzählung und ihre Performativität ineinander und lassen uns den ‚anderen Ort‘, die ‚andere Zeit‘ im ‚Hier‘ und ‚Jetzt‘ erfahren. Und diese Erfahrung macht etwas mit uns, verändert unsere Sicht, unsere Erinnerung, vielleicht auch unsere Zukunftsperspektive.    An welche Utopie könnte nun das Figurentheater anschließen? Meiner Meinung nach hat es gerade aktuell durch seine spezifische Beziehung zur Objekt- und Materialumwelt ein großes Potential, Konzepte posthumanistischer Utopie zu versinnlichen und erlebbar zu machen. Der Posthumanismus als Philosophie und Politik – traditionell mit Mediendiskursen in Beziehung gesetzt – versucht, den Menschen aus dem Zentrum der Welt zu nehmen und ihn eher als offenes System einer Vernetzung mit Natur- und Materialumwelten zu betrachten. In dieser Utopie geben die Menschen Kontrolle ab und nehmen eine Position des explorierenden, interaktiven und offen gleichberechtigten Umgangs mit dem Anderen ein. Ist das nicht genau die Rolle, die die Puppenkünstler*in einnimmt, um sich Objekt und Material anzunähern?    Der Blick geht zurück zur Postkarte. Die figurentheatrale Öffnung zu anderen Orten, anderen Zeiten kann uns eine Erfahrung geben, die Abwehrkräfte mobilisiert. RESISTANCE OF THE HEART AGAINST BUSINESS AS USUAL. 1 Zugegebenerweise hat er sich auch für die guten Gespräche und Ideen der Tagung bedankt, das geht ja dann doch wieder in Richtung Utopie, wenn man bedenkt, dass da auch Samen für eine bessere Welt gelegt worden sein könnten. 2 In meinem Besitz befindet sich auch noch ein Poster mit der Aufschrift: „RESISTANCE AGAINST THE SUPREMACY OF MONEY“ mit orangenen Blumen, das ich beim Gastspiel von Bread and Puppet im Rahmen des Internationalen Figurentheaterfestivals 2011 am Merchandise-Stand käuflich erworben habe. 3 Danke an Anke Meyer für den Hinweis auf einen rezenten Artikel zu Schumanns unverwüstlicher, über Jahrzehnte schon inspirierender Theaterarbeit. 4 Mich zuletzt eben beim Münchner Gastspiel 2011 Men of Flesh and Cardboard als es um Wikileaks und Bradley/Chelsea Mannings ‚whistle blowing‘ von US-amerikanischen Kriegsverbrechen ging. 5 Einschlägig dazu ist eben Ernst Blochs utopische Konzeption des hoffnungsvollen ‚Noch-nicht-Seins‘, die er bereits in seinem Werk Geist der Utopie (1918) anlegte und von 1938-1947 im US-Exil voll entwickelte. Vgl. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 2 Bde., Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1959. 6 Jill Dolan, Utopia in Performance. Finding Hope at the Theater, Ann Arbor: University of Michigan Press, 2005, 5. Meine Übersetzung. 7 Dolan 2005, 6. Meine Übersetzung.

Bread and Puppet Theater, Men of Flesh and Cardboard. Foto: Lee Wexler

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Hen Queeres Puppen-Kabarett als utopische Perspektive für sexuelle Körperidentitäten Benannt nach dem genderneutralen schwedischen Pronomen1 ist „Hen“ eine queere Puppenshow, die der französische Künstler Johanny Bert 2019 kreierte und die er bis heute aufführt. In seiner Performance wird der Puppenkörper aus Holz, Schaum und Stoff wie ein Puzzle verwendet. Die einzelnen Stücke werden immer wieder neu zusammengefügt, um eine neue Form, ein Bild, eine Bedeutung zu erschaffen. Der Theaterwissenschaftler Antoine Hirel beschreibt, wie dadurch die Puppe zu einer Materialisierung von neuen und utopischen Körperkonzepten wird, da sie essentielle, binäre, heteronormative Identitäten dekonstruiert und vielfache Möglichkeiten, Pluralitäten von Körpern visioniert. V o n A n t o i n e H i r e l /// Diese lustige, wohlwollend provokative Kabarettshow basiert thematisch auf der Notwendigkeit der sexuellen Befreiung von Körpern, und die Puppe verändert im Laufe der Show auf spektakuläre Weise ihr Aussehen. Wie ein Objekt, das man manipulieren kann, fügt die Puppe sich selbst Körperteile hinzu und trennt andere ab. Sie bildet einen ungeheuer plastischen Hybridkörper, bei dem ein muskulöser, trainierter Oberkörper auf hohen, glatten Beinen sitzt; bei dem die Größe der männlichen Genitalien in der Erektion exzessiv wird; bei dem man fünfzig Brüste gleichzeitig tragen kann; bei dem die Vulva zum Sprechen gebracht wird oder das Gerippe zu tanzen anfängt.

Die utopische Geste Hierbei kam mir der Gedanke, dass diese Theateraufführung etwas mit der „utopischen Geste“2 zu tun hat, von der Jill Dolan spricht. Ihrer Meinung nach „findet die Utopie (…) jetzt statt, in den Zwischenräumen gegenwärtiger Interaktionen, in flüchtigen Momenten möglicherweise besserer Möglichkeiten, als Menschen zusammen zu sein.“3 Und das gilt auch für die Puppe Hen, wenn sie das Publikum mit einer „queerphobischen“ Gesellschaft außerhalb des sicheren Theaterraums konfrontiert, in der ein Körper wie ihrer beleidigt und zu Tode geprügelt werden könnte. Aber was steht auf dem Spiel, wenn man einer queeren Puppe dabei zusieht, wie sie das „Groteske“4 unseres menschlichen Körpers und unserer Sexualität aufführt? Wie und wo manifestiert die Performance von „Hen“ eine queere Utopie?    Ich erinnere mich an ein bestimmtes Lied: „Anatomic Love“, in dem Hen dargestellt wird mit glitzernden Schuhen, ganz nackt und mit etwas, das den Anschein eines schwarzen „Fischnetz-Body“ hat, der von einem sehr muskulösen Körper mit großen Brüsten getragen wird. Hier ist eine kurze Zusammenfassung des Liedtextes:

Johanny Bert, Hen. Foto: Christopher Raynaud de Lage

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Ich, ich bin so. Anatomische Liebe. Ich liebe das. Es ist so viel erotischer ... Oh ja, leck meine Prostata. Und meine Speiseröhre. Bitte, leck meine Milz. Und die Nebenhöhlen. Ich bitte Dich, mach mir ... einen Blasenlingus5 Während des Liedes spielt Hen mit dem eigenen Körper: Der linke Arm ersetzt den Hals und hält den Körper hoch, während der Kopf langsam das rechte Bein hinunterrollt und der rechte Arm nun durch den Schritt mit dem Rumpf verbunden ist. Wenn dann im Rhythmus der Musik ein Moment der Unterbrechung eintritt, lösen sich alle Körperteile voneinander, fliegen ein Stück in der Luft und fügen sich dann wieder zu einer neuen Form zusammen. Dies erinnert uns daran, dass Hen eine Puppe ist, ein Objekt, das seine eigene trennbare und ablösbare Materialität offenbart. Und es entsteht ein Paradoxon, das darin besteht, dass ein menschlicher Körper eben nicht in der Lage ist, auf diese Weise zu agieren, sodass uns dadurch die Materialität unseres eigenen organischen Körpers bewusst wird. Körper und Sexualität sind ein politisch strategischer Punkt der Queer Studies, und Hens Körper wird in diesem ganz besonderen Moment zum Ausgangspunkt, von dem aus eine queere Utopie spürbar werden könnte. Indem die Erotik, insbesondere mit einem nicht aus Fleisch bestehenden Körper wie dem der Puppe, hinterfragt und relativiert wird, rückt die Sexualität ins Zentrum.

Der queere Körper überschreitet die Gesetze Das ist genau das, was Paul B. Preciado als „Praxis Queer“6 bezeichnet. Es ist eine Art, den Körper zu bewohnen, die heteronormative Gesetze überschreitet, in die die Körper verstrickt sind. Das ist es, was Hen buchstäblich auf der Bühne darstellt, wenn der Kopf nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern am Körper auf- und abrollt. Der Kopf ist nicht mehr der Fokuspunkt des visuellen Bildes. Was wir sehen, wenn wir sehen und hören, was Hen tut/singt, ist eine Subversion der Sexualität und der mechanischen Funktionen des Körpers. Dieser „unheimliche Effekt“7 ermöglicht es uns, Kanten und Kunstgriffe der Sexualität zu erfassen. Subversionen führen dazu, dass die Sexualität plötzlich theatralisch wird und sich von der darin enthaltenen naturalistischen Aufladung löst.

Johanny Bert, Hen. Foto: Christopher Raynaud de Lage

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Die Theatralisierung von Körpern erscheint dann als grundlegender Prozess queerer Überlebens- und Sichtbarmachungsstrategien. Maaike Bleeker sagt: „Theatralisierung kann genutzt werden, um Körper zu zeigen, die innerhalb der aktuellen symbolischen Ordnung als nicht ideal erscheinen. […] Es hilft uns, die Erscheinung von Körpern als Wirkung von Zeichen zu verstehen, Zeichen, die wir lesen und interpretieren und die ihre Bedeutung innerhalb eines Bezugsrahmens erhalten und nicht als etwas, das ihnen essentiell beigegeben ist.“8 Hens fragmentierter Puppenkörper zeigt uns Anzeichen von Hybridität innerhalb seiner Theatralisierung, und auch der Bezugsrahmen (Heteronormativität ist hier anzunehmen) wird im Text des Liedes untergraben.

Desidentifikationen In „Disidentifications“ entwickelt José Esteban Muñoz das Konzept der „Fiktion der Identität“ basierend auf der Idee, dass für eine queere Person ein Moment der Desidentifikation vom heteronormativen Bezugsrahmen entscheidend ist. Er sagt: „Hybridität erfasst die Fragmentierung und Subjektbildung von Menschen, deren Identität unterschiedliche Rassen-, Sexualitäts- und Geschlechtsidentifikationen durchkreuzt.“9 Durch die theatralische Performance ihrer „hybriden Transformationen“ fiktionalisiert die queere Puppe ihre Identität. Er fährt fort, indem er sagt: „Desidentifikationsleistungen […] erfordern einen aktiven Kern utopischer Möglichkeit.“10 Die Rolle der „Fiktion des Selbst“ ist dann entscheidend. José Esteban Muñoz definiert es so: „Das ‚wirkliche Selbst‘, das durch Fiktion entsteht, ist nicht das Selbst, das Fiktion produziert, sondern durch Fiktion produziert wird, […] und Fiktion wird zur Realität.“11 Was Hen und im weiteren Sinne die gesamte queere Subkultur tun, ist, eine Unterwanderung unseres binär männlich und weiblich fiktionalisierten Selbsts anzubieten, durch die Theatralisierung eines Systems von Zeichen und Identitäten, die bereits in das System verwickelt sind. Queere Utopie ist Subversion, Theatralität und Fiktion, und sie erscheint in dem Raum, den fragmentierte Körper hinterlassen.    Die queere Puppe absorbiert unsere heteronormativen Projektionen und gibt sie durch neue Zeichen von Subversion und Fiktion zurück. Sie gibt uns die Kraft, die queere Utopie durch unsere Augen zu erschaffen. Die Performance „Hen“ ist dann das visuelle Erlebnis eines politisch-utopischen Empowerments. Queere Utopie existiert bereits im Raum unseres Blicks. Und das bringt uns unseren eigenen Körper aus Fleisch und sexuellem Begehren, aus den unendlichen und sehr persönlichen utopischen Möglichkeiten unseres Körpers gemacht, wieder ins Blickfeld. Denn wie Sara Ahmed schlussfolgerte: „Der Körper ist nicht nur ein Objekt in der Welt“, sondern „er ist unser Standpunkt in der Welt.“12 – Übersetzung aus dem Englischen: Johanna Schallermeyer

1 Im Schwedischen wird traditionell zwischen „er“/„han“ und „sie“/„hon“ unterschieden. Als genderpolitische Maßnahme wurde 2015 offiziell das genderneutrale „hen“ eingeführt. 2 Jill Dolan. „Performance, Utopia an the ‚Utopian Performative‘“, Theatre Journal 53:3, 2001, 455. 3 Dolan 2001, 457. 4 Vgl. Mikhail M. Bakthin, Rabelais and His World, Bloomington: Indiana University Press, 1984 5 Übersetzung J.S. 6 Zitiert nach Marie Hélène Bourcier, Queer Zones, Paris: Balland, 2001, 196, Übers. J.S. 7 Sara Ahmed, “Orientations: Towards a Queer Phenomenology.” GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 12:4. London: Duke University Press, 2006, 565. 8 Maaike Bleeker, Visuality in the Theatre, the Locus of Looking. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2008, 115. 9 José Esteban Muñoz, „Disidentifications, Queer of Colors and the Performance of Politics“, in Cultural Studies of the Americas, vol. 2, Minneapolis: University of Minnesota Press, 1999, 25. 10 Muñoz 1999, 25. 11 Muñoz 1999, 20. 12 Ahmed 2006, 551.

Johanny Bert, Hen. Foto: Christopher Raynaud de Lage

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Das unsichtbare, das uns verbindet – SCHWERKRAFT UND MAGNETISMUS Rafi Martin beschreibt utopische Aspekte in seinen Projekten „The Ceremony of Weight“ und „Resonancias“. Gewicht und Schwerkraft, Meteoriten und Magnetismus treten mit uns in ein Verhältnis, das über gewohnte Erfahrungswelten hinausreicht. V o n R a f i M a r t i n /// Die erste Definition von Utopie, die ich im Wörterbuch auf Französisch, meiner Muttersprache, finde, lautet: „Ideal, politischer oder sozialer Standpunkt, der die Realität nicht berücksichtigt“. Eine Definition, die weit von einer idyllischen Vision entfernt ist! Was ist das Ideal, was ist die Realität? Anhand meiner beiden letzten Projekte, „The Ceremony of Weight“ und „Resonancias“, möchte ich euch erzählen, wie die Stoffe dieser beiden Projekte – Gewicht und Schwerkraft bei dem einen, Meteoriten und Magnetismus bei dem anderen – mich dazu eingeladen haben, ein Verhältnis zu entwerfen, das genau diese Realitäten berücksichtigt, um das zu utopisieren, was unsere Leben miteinander verbinden kann.    Um die 2020er Jahre herum wurde ein Berliner Boxclub, die Boxgirls Berlin, zu meinem zweiten Zuhause, in dem ich manchmal sogar zweimal täglich trainierte. Ich war sowohl von den Boxerinnen fasziniert, die ich dort antreffen konnte – Halbprofis, die ihre starken und geschmeidigen Körper auf Säcke warfen und die schweren Metallketten an der Hallendecke herausforderten – als auch davon, dass ich meinen Körper an Grenzen bringen konnte, die weit von dem entfernt waren, was ich kannte. Als ich mit Julika Mayer einen Dialog über Fragen der Wiederaneignung von Gewalt begann, schlug sie als Beginn ein relativ einfaches Dispositiv vor: ein Aqua Punching Bag, an dem ich mithilfe von zwei Rollen und einem Seil angehängt bin, ohne ihn je erreichen zu können. Es ist einer dieser seltenen Boxsäcke in runder Form, der mit 45 Litern Wasser gefüllt ist. Wir hängen also aneinander, diese Masse und ich, und ich kann nicht entkommen, aber ich kann sie auch nicht erreichen. Was können wir also tun? Daraus entwickelte sich eine schwebende performative Erzählung: Das Gewicht ist ein Partner, bei dem man sich nicht verstellen kann. Man muss sich immer dafür einsetzen, dass es da sein kann, um ihm zu ermöglichen, da zu sein und auch zu handeln, einen Dialog zu führen. Mit dem Gewicht zu arbeiten bedeutet, daran zu arbeiten, es zu stützen, damit es wegfliegen kann,

Rafi Martin, Resonancias. Foto: Medjoub Martin

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seine Zentrifugalkraft entfalten kann. Und dann kann ich mich im Gegenzug darauf stützen, um ebenfalls zu fliegen. Indem es reale Geschichten heraufbeschwört, lädt „The Ceremony of Weight“ dazu ein, darüber nachzudenken, was uns Kraft gibt, um – wenn auch nur flüchtige – Räume des Gleichgewichts in unserem Leben zu finden. In einem luftigen Tanz Atemzüge unter dem Gewicht unserer Existenz zu finden.   „Resonancias“ ist ein Projekt, das sich mit Meteoriten und Magnetismus beschäftigt. Es befasst sich mit den Gedanken der renommierten chilenischen Meteorologin Millarca Valenzuela, die ich mit Julika Mayer während eines fünfwöchigen Aufenthalts in der Atacama-Wüste kennengelernt hatte: „Einen Meteoriten zu finden bedeutet, in Resonanz zu gehen“. Das Erlebnis, in einer Ausstellung, die außerirdischen Steinen gewidmet war, vom Magnetismus dutzender Meteoriten buchstäblich berührt worden zu sein, brachte mich dazu, die Beziehung zum Mineral zu hinterfragen. Es ist eine Materie, deren Zeit unendlich viel länger ist als die menschliche. Die Arbeiten des Philosophen Hartmut Rosa sind aufschlussreich, wenn es darum geht, „in Resonanz zu treten“. Es geht darum, sich – wiederum auf flüchtige Weise – in einen Zustand zu versetzen, in dem man für die Welt und die Aufgaben des Managements, der Verwaltung und der Kontrolle unverfügbar ist; und für das, was der Kapitalismus von uns verlangt, in einem immer anstrengenderen Tempo zu erledigen. Hier geht es darum, eine Form des Zuhörens und der Verfügbarkeit zu finden, die es uns ermöglicht, von einem Kunstwerk, einem politischen Kampf oder einer Person berührt zu werden. Es findet sich darin eine sehr intime Geschichte der Intuition, und mit dieser Geschichte sucht Millarca Valenzuela in der Wüste nach Meteoriten. Es war notwendig, diese Themen in eine partizipative Performance umzusetzen, um mit dem Publikum Meteoriten und drei magnetische Prinzipien zu teilen, die sich sowohl in unseren sozialen Beziehungen als auch in den Körpern des Sonnensystems widerspiegeln.    Seit meiner doppelten Ausbildung in Soziologie und zeitgenössischem Figurentheater versuche ich, mit Formen zu arbeiten, die das Innenleben, die Intuition und Rituale hinterfragen. Eine Art, utopische Formen einzuladen, sich einzuschleichen und in den Realitäten Gestalt anzunehmen, aus ihnen hervorzusprudeln. – www.rafimartin.com

Rafi Martin, The Ceremony of Weight. Foto: Erich Malter © internationales Figurentheaterfestival

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immer voran! V o n C h r i s t o p h B o c h d a n s k y /// Ich sitze, grüble und krame, dann ruf ich aus, die Begeisterung ist die Utopie, sie gibt die Richtung an und zeigt geradeaus, zu dem was kommen wird. Die Begeisterung über eine Idee, die unbelastet von all der Schwerfälligkeit der Umsetzung mich vorwärts treibt, dieser Funke, der mich in Gang setzt. Alles was beflügelt, ist die Utopie. Das Himmelsreich ist die Utopie. Solche Ideen geben mir das Gefühl, ich kann das, ich habe die Erfahrung und Routine, das mach ich gleich, das hab ich gleich, da muss ich nur dies und das, und … und Schwupps sind zwei Jahre weg. Da ist sie wieder, die Zeit. Sie mischt sich immer ein. Aber was soll die Zeit, sie ist jetzt nicht wichtig, sie kümmert mich nicht, weil ich mach heute Utopie. Wieso denn nur eine Utopie, wo ich doch viele haben kann. Zum Beispiel Die Kontur ist die Utopie. Dass ich das eine vom anderen unterscheiden kann, dass sich etwas deutlich vom Hintergrund abhebt, das macht die Kontur, sie schafft Klarheit, kein verschwommenes Überfließen von einem ins Andere. Das ist wichtig für meine Betrachtung des Puppenspiels. Die Puppe sitzt genau auf der Grenze zwischen Leben und Tod, sie ist die Nicht-Lebendige, die jedoch in der Verbindung mit dem Puppenspiel eine Vorstellung vom Leben gibt. Und: Weil hier alle Grenzen ineinander fließen, muss ich hier besonders auf die Kontur achten, damit ich den Vorgang des lebendig Machens, sichtbar machen kann. Wär´ ich der König des Puppenspiels und zum Frühstück käme man und sagt: „Herr König, sie müssen regieren.“ Ich würde sagen: „Noja, wir machen heute alle was Utopisches.“ „Aber wie?“, wäre dann die Frage. Ja, ich würde in meine Lehne zurücksinken und verzweifeln, ein leises: „Ich weiß es nicht.“ Das ist alles, was ich zu sagen hätte. Da sich aber doch so einige intensiv mit Puppenspiel befassen und großartige Ideen gefunden werden, meine ich, dass in der Tätigkeit von Vielen die Utopie zu finden ist, und das Beste ist: Ich muss davon keine Ahnung haben, irgendwann werde ich sie schon sehen. – www.bochdansky.at Engel. Zeichnung: Christoph Bochdansky

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WARUM THEATER, warum Kunst in diesen Zeiten, in denen wir alle guten Grund haben, wegen der Klimakrise in Panik zu verfallen und zu rebellieren, in der Hoffnung, so die notwendige Transformation zu beschleunigen? V o n N i c o l e B e u t l e r /// Ehrfürchtig erahnen wir die Ausmaße der Krise, die auf uns zu kommt, dennoch bleibt sie schwer fassbar. Das komplexe Netzwerk von Ursache und Wirkung macht uns Menschen ziemlich hilflos. Ich möchte die Zukunft üben und über die Angst hinausdenken, über das Mögliche, über das Offensichtliche, über das, was wir schon wissen. Der Theatersaal bietet uns Raum, um zu denken, Raum für Phantasie und für langsame Veränderung. Das ist die Herausforderung unserer Zeit: Wie können wir eine Vision eines ausgewogeneren Zusammenlebens mit dem Planeten ermöglichen? Der menschliche Körper besteht aus einer viel größeren Menge nicht-menschlicher Zellen (Bakterien usw.) als menschlicher Zellen. Jede*r von uns ist daher schon ein Zusammenleben (cohabitation), vielfältig (multitude), der Individualismus ist am Ende und wird hoffnungslos überschätzt. Wir sind viele und in vielem. Die romantische Bewegung am Ende des 18. Jahrhunderts schlug eine Gegenbewegung zur Aufklärung vor, die versuchte, Mensch und Natur wieder zu integrieren, in Ehrfurcht vor der Unermesslichkeit der Natur, gegen eine rein utilitaristische Nutzung ihrer Ressourcen. Es ist an der Zeit, wieder romantisch zu werden. Erdverbunden zu sein. Vom Wissen der Einheimischen zu lernen. Zuzuhören und immer auch etwas zurückzugeben.    Mit der Trilogie „Rituals of Transformation“ (Teil 1 „Ginkgo“, Teil 2 „Atmen“, Teil 3 „Now we are Earth“) realisieren mein Team und ich eine Serie von Theaterstücken als hyperreale, sich verwandelnde Landschaften in einer Choreografie von Raum, Soundscape, Objekt, Licht, Menschen, Stimme. Die drei Teile sind inspiriert von dem alchemistischen Prozess der Goldherstellung und fungieren als Analogie, um ein besserer Mensch zu werden.    Die ökologische Dringlichkeit erfordert, dass wir unsere bequeme Distanz als Beobachter*in aufgeben und die Fähigkeit entwickeln, zu denken und zu handeln, während wir uns mitten im „Problem“ befinden. Die Choreografie, die ich vorschlagen und für die ich Raum beanspruchen möchte, ist also eine Choreografie des Raumes, des Lichts und des Klangs, der Bewegung und der Stimme. Alles ist miteinander verbunden und alles ist die Geschichte.    Bereits im Prolog 8: „METAMORPHOSIS“ haben wir die konventionelle Position der Zuschauer*innen aufgebrochen. Und mit der Trilogie verschmelzen auch die formalen Unterscheidungen zwischen Publikum/Bühne, Körper/Bühnenmaschine, menschlich/ nicht-menschlich, Denkprozess/emotionales Erleben, um neue Vorstellungsräume zu eröffnen. „Wir wollen ein Theater realisieren, das uns einen sicheren Raum und Zeit für eine lebenswichtige Übung der Vorstellungskraft bieten kann: eine Einladung, aus unserer eigenen alten/ererbten/arroganten Haltung herauszufinden und in den Chor einer neuen Art des Zusammenseins mit der Natur, den Chor der Posthumanität, einzustimmen.“ (Igor Dobricic, Dramaturg) – www.nicolebeutlerprojects.nl Nicole Beutler Projects, Ginkgo or: 56 Million Years Ago There Were Palm Trees on the North Pole. Foto: Anja Beutler

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„DIE GEISTER, DIE ICH RIEF ...“ 1 V o n J o h a n n a S c h a l l e r m a y e r /// Was bedeutet eigentlich Erinnerung? „Aufmerksam beobachten heißt: sich bestimmter Dinge gut erinnern zu können.“2 Gegenwärtigkeit kollaboriert also mit einer Retrospektive nach Edgar Allan Poe. Ein Begriff dazu: Hauntologie.    Unter Hauntologie versteht man die Vorstellung, dass die Gegenwart von verlorenen Zukünften ‚heimgesucht‘ wird. Ein Beispiel dazu: ein*e Soldat*in verschenkt ein Schmuckstück vor seinem/ihrem Einzug in den Krieg und kehrt nie zurück. Kann dieses Schmuckstück die Soldat*in nun repräsentieren und auch die verlorene Zukunft, die einst geteilt werden wollte? Dies ist das Beispiel eines elementaren hauntologischen Objektes.3 Es ist ein Wahrnehmen der Rückkehr oder das Fortbestehen von Elementen der sozialen oder kulturellen Vergangenheit, es kommt zurück wie eine Art Geist. Hauntologie ist ein Neologismus aus ‚spuken‘ (engl. ‚to haunt‘) und ‚Ontologie‘, erstmals 1993 vom französischen Philosophen Jacques Derrida in seinem Buch „Spectres of Marx“ eingeführt.4    Hauntologie erscheint als Konsequenz des Verlustes der Zukunft. Sie blickt nicht nur auf die vergangenen Erfahrungen zurück, sondern auch eben nach vorne. Wir werden von der Zukunft heimgesucht – oder zumindest von Zukünften, die nicht eingetreten sind. Besonders wichtig sind die verschiedenen Zeithorizonte, die die Hauntologie vereint. Der Einfluss der Vergangenheit, das Leben in der Gegenwart und der Wunsch nach der Zukunft stehen hierbei im Mittelpunkt. Um Utopie zu erschaffen, bedarf es frei gesagt auch der Hauntologie, deren Wirken der Vergangenheit auf die Zukunft, eine utopische Vorstellung möglich macht. Hauntologie fungiert hierbei als eine Brücke zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht. Und plötzlich erscheint die Vergangenheit nicht mehr als gesichert distanziertes Erinnerungsreservoir – wie bei der Nostalgie –, sondern kommt uns unvermutet nahe: es ist das Unheimliche, das, lange verdrängt, in der Moderne wieder hervortritt. Hauntologie ist aber mehr philosophischer Gedanke als klare Richtlinie – es ist eine Überlegung und weniger eine konkrete Vorstellung.    Hauntologie ist als Konzept ebenso im Horrorfilm vertreten. Hierbei fungiert Hauntologie als Inspiration für verschiedenstes Grauen im Filmgenre. Ein Beispiel hierfür ist die Philosophie der Heimsuchung. „Das Unterdrückte kehrt als Gespenst zurück und entfaltet seine Wirkmächtigkeit für die Gesellschaft der Gegenwart in einem spektralen Zwischenstatus.“5 Die Wirkung auf das Publikum ist hierbei nicht zu unterschätzen. Die Vorstellung spukender Objekte im Alltag löst wohl bei so manchen Zuschauer*innen eine Gänsehaut aus. Ein klassisches Prinzip des Horrors verknüpft mit theoretischen Gedanken.    Wie verhält sich nun die ‚verbaute Zukunft‘ der Hauntologie, die nur als Grusel wiederkehren kann, zu den zukunftsfrohen Hoffnungen der Utopie? Das Ringen um die Zukunft – froh oder angsteinflößend – verbindet die Hauntologie mit der Utopie, wenn auch vielleicht in ihrer dystopischen Variante. 1 Richard Donner, Die Geister, die ich rief … (1988) Hollywood, California United States: Paramount Pictures, DVD. 2 Zitate 7. „Edgar Allan Poe Zitate,“ letzter Zugriff am 22. September 2023, https://www.zitate7.de/thema/Aufmerksamkeit/. 3 Vgl. Reddit. „What is Hauntology,“ letzter Zugriff am 22. September 2023, https://www.reddit.com/r/askphilosophy/comments/alomyc/what_is_hauntology/. 4 Vgl. Mark Fisher. „What is Hauntology?“, in Film Quarterly, vol. 66, no. 1 (Fall 2012), 16-24. 16f. 5 HH-Soz-Kult. „Das Unheimliche, Gespenstische und Spukhafte“, letzter Zugriff am 25. September 2023, https://www.hsozkult.de/event/id/event75434#:~:text=Die%20Hantologie%20ist%20Derridas%20Versuch,Gegenwart%20in%20einem%20spektralen%20Zwischenstatus.

KI generierte Hauntologie. Created with IMAGINE.

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MELANCHOLISCHER TROST Die Utopien von Philippe Quesne und Vivarium Studio Bei Philippe Quesne und seinem Vivarium Studio ist nie klar, ob sich auf der Bühne gerade eine Utopie oder eine Dystopie entfaltet. So unklar wie im Leben. Punkt. Damit könnte unter der Überschrift „Utopie“ eigentlich schon alles gesagt sein über die gleichermaßen berückenden wie verstörenden Inszenierungen des französischen Ausnahmeregisseurs und seines Ensembles. Eigentlich. Doch was sich da wie entfaltet an utopisch-dystopischem Potenzial, welche Sinn- und Unsinn-Tiefen ausgelotet werden, wie alles schwankt und sich munter widerspricht, wie vor, nach oder mitten in der Apokalypse spielerische Gemeinschaften erprobt werden, deren voraussehbares Scheitern zutiefst berührt … das lässt sich auf diese Weise mitnichten abtun, wie unsere Autorin Anke Meyer meint. V o n A n k e M e y e r /// Mein Ausgangspunkt ist die kürzlich beim internationalen Figurentheaterfestival in Erlangen gezeigte postapokalyptische Vision „Farm Fatale“, koproduziert 2019 von Philippe Quesnes Vivarium Studio mit den Münchner Kammerspielen. Weniger wortkarg als andere Arbeiten des Regisseurs, auch (scheinbar) weniger mystisch verrätselt kommt dieser musikalische Bilderbogen daher. Fünf charmant staksige Vogelscheuchen, überlebende Gattung des menschengemachten Erd-Desasters, plappern – nach einem langen Schweige-Intro, bei dem ausschließlich Vogelstimmen zu hören sind, denen alle verzückt lauschen – einander und uns Zuschauenden die Ohren voll. Angesiedelt ist das Ganze in einem Landwirtschaftsambiente mit angedeuteter Strohballen- bzw. Heugabelromantik und sterilem Weiß als dominierender Hintergrundfarbe (Bühne: Philippe Quesne). Schon dieses Bild oszilliert zwischen nostalgischer Restidylle und nachapokalyptischer Tabula Rasa. Die bei jeder Aufregung mit den Händen flatternden, skurrilen Scheuchen erzeugen darin eine ebenso immense wie grundlose Zuversicht, die sich von Poesie, Sanftmut und freundlicher Sturheit nährt.    Dabei ist hier nichts mehr „natürlich“: Das durchaus philosophisch, umweltpolitisch und gemeinschaftsethisch grundierte Gequassel der Scheuchen ist stimmlich komplett elektronisch bearbeitet, das Licht scheint unwirklich hell, die Vogelstimmen kommen vom Band – und zwar nicht nur als Inszenierungsnotwendigkeit, sondern auch in der Vogelscheuchenwelt, wie bald klar wird. Denn es gibt nicht nur keine Menschen, sondern auch keine lebendigen Tiere mehr, alles ist nur noch Erinnerung und Archiv. Oder Kunst. Zuweilen auch nur künstlich, wie das Plastikschwein, die Turbo-Kuh ... Eine Ausnahme und damit Anlass zu überbordender Aufregung bildet eine einzelne (schwyzerdütsch sprechende) Biene – die aber durch Ungeschick eines der Protagonisten und zum stupenden Vergnügen des Publikums recht schnell ums Leben kommt.    Und darin kumuliert das große, durchweg unverdrossene und meist komische Scheitern dieser merkwürdigen Gesellschaft, die sich lieb hat, gute Vorsätze für den Umgang sowohl mit der Restnatur als auch miteinander fasst, die demokratische Prinzipien leben will – und beim ersten Unbekannten, der auf ihrer Farm auftaucht, in alte Menschenunsitten zurückfällt.

Tröstliches In dieser wissenden Hilflosigkeit angesichts dessen, was die Quesneschen Vogelscheuchen bereits hinter sich haben, fühlten sich junge, studentische Besucher*innen des Festivals auf ganz besondere Weise „gesehen“, wie in einem anschließenden Gespräch offenkundig wurde. Und getröstet, „weil es ja vielleicht doch nicht so schlimm ist, wenn die Menschen von der Welt verschwinden. Wer weiß schon, was dann noch kommt“. Ein melancholischer Trost, der weniger durch die großen, leuchtenden Eier – quasi mystische Objekte der Vogelscheuchen und geheimnisvolle Verheißung einer Zukunft – erzeugt wird, als vielmehr durch die gelassene Heiterkeit, die unverbrüchliche Zugewandtheit, die diesen nachapokalyptischen Musik-Comic durchströmt. Und selbst das Kitschpotenzial des Schlussbildes, in dem die singende Scheuchengesellschaft ihre voluminöse, farbig leuchtende Eier-Sammlung in eine Art Baugerüst bettet und von der Bühne ins Ungewisse rollt, löst sich im poetischen Aberwitz eines möglichen Neuanfangs auf.

Garten der Lüste Die neueste Inszenierung des Vivarium Studio, „Le Jardin des Délices / Der Garten der Lüste“, jüngst bei der Ruhrtriennale zu sehen, basiert auf dem 500 Jahre alten Triptychon von Hieronymus Bosch und schließt fast direkt an diese Aufbruchsbewegung am Schluss von „Farm Fatale“ an. Eine Verlinkung, die ja nicht untypisch ist für Philippe Quesnes Arbeiten und an sich bereits Zukunftsdenken impliziert, indem jedes Ende nicht nur einen neuen Anfang ermöglicht, sondern sich zugleich darin einschreibt.    So auch hier: Ein weißer, bis auf den Mann hinter dem Lenkrad leerer Reisebus wird von sieben Menschen lautlos hereingerollt und vor dem Publikum geparkt. Klein und ein wenig verloren in der sehr hohen Halle der Duisburger Kraftzentrale schlendern die

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sechs Männer und zwei Frauen nun schweigend um den Bus herum, schwärmen gemächlich aus, heben hier und da etwas auf und betrachten es prüfend, bevor sie mit Spaten und Hacke eine Stelle am Boden bearbeiten, um dann ein riesiges weißes Ei herbeizuschleppen und es sorgfältig dort zu platzieren. Mit kleinen rituellen Gesten und gekonnt dilettantischem gemeinsamen Flötenspiel wird dieses Ei sofort aufgeladen, auch ohne Kenntnis von „Farm Fatale“ fungiert es, leicht ironisch gebrochen, wie ein spirituelles Zentrum der Aktionen. Und nicht von ungefähr erinnert es an das große Ei, in das eine Gruppe nackter Menschen drängt, in Boschs „Garten der Lüste“ – auch wenn die Kleidung und der Gestus der Theaterakteur*innen eher Bilder alter Westernfilme aufruft.

Linke Seite: Paradies? Ob die Busreisenden hier nun wegen einer Panne gestrandet sind oder schon lange ohne Sprit unterwegs, immer auf der Suche nach einem neuen Ort mit eigener Energie, oder wie Cowboys und -girls auf der Suche nach neuen Weideplätzen, spielt vielleicht keine Rolle. Es entspinnt sich jedenfalls etwas, das strukturell an ein Jazzkonzert denken lässt, in dem aus dem dissonant-harmonischen Zusammenspiel immer wieder Soli herausragen, manchmal unvermittelt, manchmal langsam eingeleitet, irgendwie erwartbar und in der jeweiligen Eigenart doch meist überraschend. Und durchweg getragen von einer gemeinsamen Energie, in die jedes noch so individuelle Solo auch wieder mündet. Dieses spielerische Sichverlieren und Wiederfinden basiert auf Absprachen und Vertrauen – und das ist es, was auch diesen Theaterabend des Vivarium Studio grundiert. Das geschieht zum einen auf der fiktiven Ebene der Reisenden, die mit kleinen Pappbechern anstoßen „auf alles, was es noch zu entdecken gibt und auf alle Wesen, die Überflutungen Philippe Quesne / Vivarium Studio, Farm Fatale. Foto: © Martin Argyroglo

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gleichen“ und sich dabei fast problemlos einig werden hinsichtlich der Sitzplätze im Bus; die darüber abstimmen, ob alle mit einem Leseoval statt Lesekreis einverstanden sind; die sich gegenseitig zuhören bei ihren poetischen, teils gesungenen Beiträgen über existenzielle Fragen und diese gestisch, oft unbeholfen exzentrisch, kommentieren, konterkarieren oder weiterführen.

Rechte Seite: Hölle? Nach von Sébastien Jacobs virtuos gesungenen und auf der Viola da Gamba begleiteten Auszügen aus Dantes Inferno zieht sich die Truppe in den Bus zurück, intoniert dort einen Chor mit Solostimmen und beginnt währenddessen, den Bus zu zerlegen und zur Bühne auf der Bühne umzufunktionieren. Die Darbietungen darin reichen vom durchsichtigen „Zaubertrick“, bei dem der „Reiseleiter“ durch eine Perücke verjüngt wird, über abstruses Opernkaraoke im roten Jumpsuit bis zu einem Labervortrag aus typischen politischen Leerfloskeln. Als eine der Frauen diesen Redner mit der Kernfrage des Abends „Sind Sie sicher, dass die Erde nicht die Hölle eines anderen Planeten ist?“ komplett aus dem Konzept bringt, bricht ein Gewitter los. Dann Geschrei, Zweikämpfe, wildes Gerenne, bis sich alle, teils halbnackt, in den Bus gerettet haben.

M i t t e lt e i l : Garten der Lüste? Dort werden neue Kostüme angelegt, Renaissance-Versatzstücke. Und ein Mönch wird zum Garten- respektive Kunstführer, der mit weit ausholendem Gestus den geistigen Hintergrund des fröhlich nackten Gewimmels vor blau-rosiger Landschaft im „Garten der Lüste“ erläutert – da hören wir allerdings nichts von der Theorie, dass Bosch eine Utopie des freien Lebens, der Lust und der Liebe in seiner extrem künstlichen Gartenlandschaft voller nackter Menschen in oft eindeutig sexuellen Posen entworfen hat, sondern der Mönch zitiert Ruysbroek, spricht von dem kleinen Stein, der ein „Funken des Kosmos ist, in dem alle Dinge leben, die Wahrheit, die Klarheit, das Leben und die brennende Liebe des Großen Ganzen“. Ein Stein, der uns „erinnern soll, dass wir Würmchen sind …“, so redet der Mönch eindringlich und zugleich geht das Gewusel der anderen weiter.    Na gut, das bringt uns zur Aufmerksamkeit für das scheinbar Unbedeutende (die ja Quesnes Arbeit kennzeichnet), also wieder ins Heute und dahin, wo es nicht so schlimm ist, wenn die Menschen aussterben, weil es weder den Planeten jucken wird noch das Universum. Dennoch weist am Ende das große weiße Ei an, ein neues Ziel, eine neue Richtung zu finden, sagt jedenfalls der Reiseleiter im Tod-Kostüm und versucht es mit Steinwurf. Es erscheint der leuchtende Umriss eines riesigen Dreiecks und die Truppe stürmt los. Mit dem Ruf „In den Berg“ verschwindet sie im Dunkel, das Dreieck schnurrt zu einem Punkt zusammen, blau leuchtend wie die Erde im All.    Und damit komme ich nun doch noch vom einen zum anderen: „Der Garten der Lüste“ ist auch ein Stück über das Theatermachen. Und das Utopische, das bei Philippe Quesne und Vivarium Studio allen dystopischen Grundsituationen zum Trotz immer wieder aufscheint und letztlich als Tröstliches sich beim Verlassen des Theaters manifestiert, ist nicht zuletzt auch der Art und Weise geschuldet, wie diese wunderbare Theatertruppe aus Paris seit 20 Jahren arbeitet – nämlich in der künstlerischen Begegnung gemeinsam ihre Themen und Stücke entwickelnd, allem Schneller, Größer, Provokanter abhold. www.vivariumstudio.fr – www.ruhrtriennale.de – www.figurentheaterfestival.de Philippe Quesne, Le Jardin Des Délices / Der Garten der Lüste. Foto: © Katrin Ribbe, Ruhrtriennale 2023

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SENDUNGEN VON Drei Figurentheater-Studierende der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst schickten uns Gedanken zu ‚Utopie‘. Sie sprechen über Inseln in getakteten Studienprogrammen, die Utopie der Figurentheater-Magier*innen und den Verdruss über utopische Verweise auf eine unbestimmte Zukunft.

Der Studiengang Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ist fest in einem System verankert, welches spätestens seit der Bologna-Reform ein effizientes, leistungsorientiertes Studieren vorsieht und den romantischen Gedanken von der Hochschule bzw. der Universität als Raum des Ausprobierens, der persönlichen Entwicklung und des selbstbestimmten Lernens begraben hat.    Wenn man einen Einblick hinter die Kulissen erlangt, sieht man allerdings, dass uns trotzdem Freiräume gewährt werden, die ansonsten sehr rar gesät sind. So haben wir beispielsweise mit unseren Schlüsseln rund um die Uhr Zugang zu fast allen Räumlichkeiten, können uns im Atelier die Nächte um die Ohren schlagen und dürfen eigenverantwortlich Maschinen und Materialien verwenden.    Was aber viel wichtiger ist: Uns wird von Seiten der Dozierenden auf Augenhöhe begegnet, was nicht nur heißt, dass wir als Künstler*innen wahrgenommen werden, die in ihrer Entwicklung begleitet werden, sondern, dass uns auch ein gewisses Mitspracherecht zuteil wird. Es wird weitestgehend auf Notengebung verzichtet, Konkurrenzgedanken werden nicht befeuert. Macht das alles den Studiengang zu einer Utopie? Ich würde ihn eher als eine kleine Insel im neoliberalen Leistungsgesellschaftsmeer bezeichnen, auf der man eine kleine Verschnaufpause abhalten kann.    In meiner Utopie gäbe es keine Aufnahmeprüfungen, generell keine Prüfungen, keine Hierarchien, keine Existenzängste, wir würden ständig alle auf die Bedürfnisse aller achten, Kommunikation wär nie ein Problem, weil alle dermaßen geschult wären in sämtlichen Kommunikationstechniken, wir könnten alle super Feedback geben und vor allem super Feedback annehmen, die Reinigungskraft würde das Dreifache verdienen, Quatsch, es gäbe gar keine Lohnarbeit mehr, natürlich wären wir frei von hegemonialer Wissensvermittlung und jeglichen Arten von Diskriminierung, weil wir mit den gesellschaftlichen Paradigmen eh schon aufgeräumt hätten usw. usw. usw.    Daneben sieht der Status Quo natürlich alt aus. Aber ein gewisses utopisches Lüftchen kann man sicher erschnuppern.

vielleicht kann figurentheater sein: eine sprache, wenn man nicht dieselben sprachen spricht, eine sprache, um zusammenzuweben und zu verbinden, eine sprache, die nicht unbedingt sprachen braucht.

Kann das U-Wort nicht mehr hören. Luftschlösser sind keine Zukunftsangelegenheit. Will das, was jetzt zählt. Das Schimäre einflechten vorbereitet durch unser Verständnis das Alles Material ist und fluid so wie wir ja auch fast nur Wasser

vielleicht kann Figurentheater sein: mach die augen und ohren weit begebe dich hinein tauche hinab lass dich sinken. mir hat mal jemand gesagt: „ihr figurenspielerinnen seid wie magierinnen, ihr macht dinge lebendig.“ ist die utopie dem figurentheater nicht inhärent?

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PUPPENTHEATER UND WELTRAUMREISE Die Identitätsfrage in utopisch-dystopischen Science-Fiction-Stücken Wer ist der Mann im Mond? Manuela Mohr skizziert in ihrem Text die Zusammenhänge zwischen Marionettentheater und Science-Fiction. Hier wurde seit dem 19. Jahrhundert immer wieder die Frage nach der Identität des ‚Menschlichen‘ als Zukunftsentwurf neu und anders gestellt. V o n M a n u e l a M o h r /// Die Science-Fiction, die sich seit dem 19. Jahrhundert als Genre etabliert hat, wird heute in erster Linie als literarisches und filmisches Phänomen wahrgenommen. Die SF präsentiert jedoch auch Themen und Fragestellungen, die auf die Theaterbühne gebracht werden können. Klassische SF-Elemente wie futuristische technische Geräte oder Außerirdische tauchen im 19. Jahrhundert nach und nach auch im Puppentheater auf. Der Grund dafür ist oft das Bedürfnis, das Repertoire zu erneuern und Werke anzubieten, die dem Geschmack und den Erwartungen des Publikums entsprechen. Es besteht großes Interesse am Mond und den Nachbarplaneten der Erde: Zum einen überzeugt der technische Fortschritt Wissenschaftler*innen und Gelehrte, dass es nun möglich sei, die Außerirdischen zu kontaktieren. Spezielle Teleskoplinsen lassen an die Existenz von Marskanälen glauben. Weiterhin beflügelt der rege Austausch zwischen Literatur und Forschung im 19. Jahrhundert die Fantasie. Fiktion und Forschung inspirieren sich gegenseitig; ihre Erfindungen und Ausdrucksweisen ähneln sich stark.    Die Weltraumreise findet im Puppentheater einen spezifischen Ausdruck der SF. Indem sie den Menschen mit dem Nicht-Menschlichen und dem Anderen konfrontiert, „hilft uns die Marionette seit langem dabei, darüber nachzudenken, was in uns ‚anders‘ ist als das Menschliche“.1 Sie bietet ein utopisches Potential, die menschliche Identität anders darzustellen und zu denken. Die Puppenspielbearbeitung der Weltraumreisen zeigt die Besonderheiten dieser Werke in Bezug auf die Identitätsfrage.    Die Marionette spielt mit den Konventionen der SF und weist gleichzeitig eine einzigartige Inszenierung der Weltraumabenteuer auf. Im SF-Genre spielt die Frage nach der Andersartigkeit (Lebewesen, Welten) eine besondere Rolle; diese schöpft im Puppentheater ihre Inspiration aus bekannten utopischen und dystopischen Weltraumszenarien der SF in Literatur und Film. Die Dramaturgie der Marionetten greift die Frage der Andersartigkeit auf, indem sie sie nach Kriterien wie der Epoche, der Ästhetik und dem kulturellen Kontext abwandelt. Bekannte Muster oder etablierte Vorstellungen kreieren so neue Vorstellungswelten.

W e lt r a u m r e i s e n v o r d e r S F In Puppenstücken, die eine Weltraumreise erzählen, finden Puppenspieler*innen und Autor*innen neue Ausdrucksmöglichkeiten bezüglich der Frage nach dem Platz des Menschen in der Welt und im Universum sowie nach der Besonderheit des Menschen. Im Handpuppenstück „Le Voyage de Guignol dans la Lune“ von Louis Josserand père kommen SF-Elemente in die Inszenierung hinein, als das Stück zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verändert wird. Das Stück erzählt, wie Guignol den Wissenschaftler Baloffet im Ballon auf den Mond begleitet. Der König und die Königin des Mondes heißen sie willkommen und offenbaren ihnen die Unannehmlichkeiten, die sie durch Rebellen erleiden. Guignol bringt ihnen die Funktionsweise der Pistole bei; er wird zum General ernannt und besiegt die Rebellen. Für das große Fest besuchen ihn Gnafron und Louison auf dem Mond.    Das Manuskript trägt das Datum „1852-1854“, nimmt aber nachträgliche Ergänzungen auf. Daher bietet dieses Stück die Möglichkeit, die Entwicklung der SF-Vorstellungswelt zu beobachten. Es folgt dem Schema von Reiseberichten über ErkundunLe Voyage de Guignol dans la Lune. Louis Josserand père, 1853–1854. Musée des Arts de la Marionnette, Lyon. Foto: Manuela Mohr

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gen wie in Mores Utopia und über koloniale Eroberungen durch Unterdrückung, Enteignung und Gewalt. Aus dieser Inspiration und der Handlung ist ersichtlich, dass utopische und dystopische Elemente im Puppentheater zusammenkommen.    Im siebten Tableau sticht die Einfügung von SF-Referenzen besonders hervor. Es wurde 1903 in Marseille zum ersten Mal aufgeführt, nachdem es kurz vorher hinzugefügt worden sein muss. Der Mond öffnet seine Augen und seinen Mund, schleckt sich das Gesicht mit seiner Zunge ab, schließt seine Augen und seinen Mund wieder und schläft wieder ein. Dann landet der Ballon auf seiner Oberfläche und Guignol schwenkt eine Fahne. Das Manuskript gibt an, dass das Licht bläulich sein muss, um einen erfolgreichen Effekt zu erzielen. Die Anspielung auf Georges Méliès' 1902 entstandenem Film „Le Voyage dans la Lune“ sind in dieser späten Ergänzung offensichtlich. Der Mond erwacht zum Leben, als Guignol und Baloffet ihn nicht sehen können; seine Mimik verändert den Verlauf der Handlung nicht. Es ist ein reines Spektakel für die Augen, das SF-Referenzen visuell verarbeitet.    Die nach und nach vorgenommenen Änderungen zeugen von dem Wunsch, das Stück zu modernisieren und dynamischer zu gestalten, indem es dem Geschmack der Zeit angepasst wird. Die Hinwendung zur SF im Stück ist auf gewisse Szenen begrenzt; dennoch reagiert das Puppentheater schnell auf die Entwicklungen in diesem Genre und ist darauf bedacht, eine passende Weltraumatmosphäre zu schaffen.    Charles Grous 1875 verfasstes Stück für Fadenpuppen „Le Voyage d'Arlequin dans la Lune“ fungiert als Übergangsstück zur SF, bleibt aber im traditionellen Schema des Märchens verankert. Mit seinem Meister Coppélius reist Arlequin zum Mond; er wird König, rettet den Prinzen und überlässt ihm den Thron. Die Distanz wird im Ballon überwunden, aber man muss einen „subaerialen“ Raumanzug anziehen, um im Weltraum zu atmen. Zu den traditionellen Reisevorbereitungen in kolonialistischen Erzählungen (Nahrung, Waffen zur Verteidigung gegen Kannibalen) kommt das sogenannte Terraforming hinzu: Coppélius nimmt Samen mit, um sie auf dem Mond zu säen. Auch hier erscheint der Mond sowohl als (zukünftiges) Paradies als auch als gefährlicher Ort, den man lieber meiden sollte. Die kosmische Reise ist eine wahre Odyssee, bei der reale Gefahren, die als wissenschaftliche Phänomene erklärt werden, neben Mythen und Legenden stehen.

Begegnungen mit anderen, Begegnungen mit dem Ich Hermann Aichers 1932 für das breite Publikum geschriebenes Stück „Die Raumrakete“ basiert auf dem Schema des Migrations- und Forschungsberichts. Der Wissenschaftler Rechenberger sucht einen Freiwilligen, der ihn in den Weltraum begleitet. Kasperl meldet sich. Sie landen auf Heliofauna, einem fruchtbaren Planeten, der von intelligenten Insekten bewohnt wird. Zwei Käfer, Borkenrat und seine Tochter Borkelinde, entdecken sie und zeigen ihnen ihre Welt. Das Ende kennt zwei Hauptversionen, in denen der Wissenschaftler deutliche Änderungen erfährt. In der einen scheint der unbekannte Planet das Schlimmste in Rechenberger zu wecken, der sich in ein monströses Wesen verwandelt, ein Stereotyp des bösen Wissenschaftlers. Rechenberger will ein Insekt gegen dessen Willen an Bord nehmen, doch seine Absichten werden enthüllt und die Erdlinge vertrieben. Kasperl landet mit dem Fallschirm bei seiner Familie. In der anderen Version zwingt Borkelinde Kasperl, sie zu heiraten. In letzter Minute wagt er es, zu protestieren, und flieht in aller Eile mit dem Gelehrten. Sie werden von einer Insektenarmee verfolgt, können sich aber auf die Erde retten.    Hermann Aicher inszeniert einen typischen Salzburger Kasperl, der weniger grobschlächtig ist als der Münchner Kasperl. Er verfeinert die Animationstechnik, um den Schwerpunkt jeder einzelnen Marionette anzupassen. Ihre Fortbewegung in kleinen Sprüngen entspricht den physikalischen Bedingungen auf Heliofauna, wo die Anziehungskraft im Vergleich zur Erde geringer ist. Die Aktivitäten, die die Bewohner von Heliofauna hauptsächlich ausüben, spiegelt sich in ihrem Körper wider: So verlängert sich der Hals der Sängerin Labiata von Zwitscherblatt je nach Tonhöhe. Im Stück sind diese transformierten Körper Teil der Erfahrung des Umgebungswechsels der Erdlinge. Die Dramaturgie motiviert also explizit diese abnormen, spektakulären Körper, die sonst ein gängiges Mittel des Spektakulären im Marionettentheater darstellen, und gibt Hinweise auf die Animationsart der Puppen. Der dehnbare Hals macht die Identität der Sängerin sofort erkennbar.    Ab der Ankunft auf Heliofauna folgt die Dramaturgie der Struktur der Entdeckungsreise. Die Landschaft auf Heliofauna lässt keinen Zweifel an der Fremdartigkeit des Planeten: Der Mond ist grün, ein Baum gähnt und blinzelt. Dennoch findet Kasperl eine Zwei Aliens des Planeten Heliofauna. Die Raumrakete. Hermann Aicher, 1932. Salzburger Marionettentheater. Foto: Salzburger Marionettentheater

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Ähnlichkeit zwischen Heliofauna und Salzburg: Die Luft erinnert ihn an seine Lieblingslokale. Seine eigene kulturelle Welt dient ihm als Referenz. Das Sammeln von Exemplaren ist ebenfalls ein Teil der Entdeckungsreise. Rechenberger will Borkenrat als Experimentierobjekt mitnehmen, doch dieser Plan scheitert. Während der Gelehrte rücksichtslos wird und diejenigen, die ihn freundlich aufgenommen haben, schlecht behandelt, erkennt Kasperl, dass sein Platz bei Gretl in Salzburg ist. Mit dem Verstreichen der Zeit kristallisiert sich also die Identität der Helden heraus. Es ist, als ob der fremde Planet das Schlechteste und das Beste im Menschen, also ihr wahres Ich, zum Vorschein bringt. Ob die Handlung also utopische oder dystopische Züge annimmt, wird in der Persönlichkeit der Figur verankert.

Der Mensch, heute und morgen Gerhard Diezmann war 1951 Gründer und Leiter des Puppentheaters in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Sein Stück „Attentat im Weltenraum“ für Stabpuppen wurde 1958 aufgeführt und ca. 1950 unter dem Titel „Die Atomrakete“ für das junge Publikum geschrieben. Ein Professor entwickelt eine neue Antriebskraft: Atomenergie. Zusammen mit Kasperl macht er sich auf den Weg zum Planetoiden Eros – der erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt und seitdem in mehreren SF-Fiktionen erwähnt wurde2 – und lässt sein Labor unter der Aufsicht des Doktors zurück. Dieser ist neidisch auf den Erfolg des Professors. Zusammen mit Tod und Teufel stellt er seine eigene Atomenergie her, mit der der Teufel die Stadt zerstört. Während der Teufel und der Doktor ihre Tat bereuen, „beruhigt“ der Tod sie: Die Menschheit wurde an diesem Tag nicht ausgelöscht, aber sie wird irgendwann etwas erfinden, das ihr zum Verhängnis wird. Das Stück nimmt hier eindeutig dystopisch-postapokalyptische Züge an.    Das Stück trägt den Untertitel „aus unserer Zeit“ und bietet zwei mögliche Enden: Tod und Teufel verschwinden, nachdem sie entlarvt wurden, oder Kasperl verurteilt sie zum ewigen Herumirren im Kosmos. Trotz der Zerstörung der Stadt bleibt der Professor dabei, dass die Kernenergie den Frieden bringen wird. Es gibt noch viel Böses, das in Gutes umgewandelt werden muss; deshalb muss eine neue Kraft erfunden werden, die niemand für schlechte Zwecke einsetzen wird. Durch die naiv klingende utopische Weltsicht des Professors stellt das Stück die Frage des Überlebenden: Werden diese nach der Katastrophe eine bessere Welt aufbauen oder die gleichen Fehler wiederholen? Was auf dem Spiel steht, ist das Wesen des Menschen. Ist das Böse dem Menschen eigen? Laut einem Außerirdischen, den die Weltraumreisenden treffen, ist „der Mensch […] dem Menschen ein Teufel“.

Warum Marionetten? Autor*innen und Künstler*innen des Puppentheaters beginnen ab Mitte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, in ihren Werken eine SF-Vorstellungswelt zu entwickeln. Bevor sich die SF als Genre etabliert, ist die Darstellung der kosmischen Reise und der SFThematik in Puppentheaterstücken von spektakulären, kolonialistischen Reiseberichten geprägt.    Die Entdeckung von Territorien im Weltraum verbindet sich mit der Darstellung komplexer Identitätsaspekte. So zeigen die Stücke je nach Epoche, Ästhetik oder Publikum, was die Wahl der Marionette, die sich der SF bemächtigt, zu den Fragen über die Identität beiträgt: Sie spricht utopische und dystopische Problemfelder an und hinterfragt sie; sie ist ein Experimentierfeld, das zum Nachdenken anregt. Es gibt nicht nur den Raum außerhalb der Erde, sondern auch den inneren, psychologischen Raum und die sozialen und politischen Räume. Der Kosmos wird als materielle und mentale Gegebenheit verstanden.    Die Raumfahrt bringt Herausforderungen mit sich, die das Puppenspiel in besonderer Weise betreffen. Autor*innen und Puppenspieler*innen geben der SF einen dynamischen Ausdruck, der das Repertoire erweitert und traditionelle Vorstellungen mit neuen Ideenwelten verbindet. 1 Hélène Beauchamp und Flore Garcin-Marrou, „Introduction“, in Hélène Beauchamp et al. (dir.), Les Scènes philosophiques de la marionnette, Montpellier, L’Entretemps/Institut international de la Marionnette, 2016, 12. Übersetzung der Autorin. 2 Zum Beispiel in Lord Dunsanys Roman Our Distant Cousins (1929) oder in den Buck Rogers-Comics (1931).

Die Atomrakete. Gerhard Diezmann, um 1950. Staatliche Kunstsammlung Dresden. Foto: Staatliche Kunstsammlung Dresden

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junge hoffnung Vom Suchen und Finden der Utopie Unter dem Titel „Qutopia – eine Versuchsanordnung“ machten sich 14 Jugendliche im Alter von 17 bis 28 Jahren im Queer Club des Theater der Jungen Welt in Leipzig in der Spielzeit 2022/23 auf die Suche nach der Utopie. Für double führte Anna-Maria Polke ein Gespräch mit den Leiter*innen Adam Williams und Veronique Nivelle sowie den Spieler*innen Carla Bublitz, Sixtine Dromigny und Katja Peter über die gemeinsame Arbeit und die Notwendigkeit, Wunschbilder auf der Bühne zu schaffen. In eurem Stück begebt ihr euch auf die Suche nach einem utopischen Ort, den ihr „Qutopia“ nennt. Wie sieht er aus und konntet ihr mit all euren Perspektiven diese eine Utopie schaffen? Carla: Im Prozess haben wir gemerkt, dass es schwer wird, sich auf eine Utopie zu einigen. Utopie sieht für jeden anders aus. Im Stück haben wir in einer Poetry-Slam-artigen Szene Fragen nach der Utopie gestellt: Ist Utopie romantisch? Ist Utopie queer? Wie sieht Utopie überhaupt aus? Im Stück ging es eher um die Suche nach der Utopie. Wir hatten eine Reisegruppe, die durch das Stück geführt hat und auf der Suche nach dem Ort Qutopia war. Diese Gruppe bestand aus ganz unterschiedlichen Charakteren. Und es wurde nach und nach deutlich, dass jede*r etwas Anderes sucht. Und trotzdem waren sie gemeinsam auf dem Weg.

Der Weg ist das Ziel Und kommen sie in ihrem Qutopia an? Katja: Das ist die Frage. Aber sie kommen zueinander und finden sich als Freund*innen. Das ist ein Utopie-Moment. Es gab super viele Utopie-Momente in unserem Theaterstück und wir haben immer gesagt, dass die Utopie der Weg sei und nicht das Ziel. Wir hatten aber auch Momente, in denen wir von uns selber erzählt und unsere eigenen Utopie-Momente darstellen konnten. UtopieMomente wie sich frei auf der Straße bewegen zu können oder die eigene Sexualität frei auszuleben. Eigene Utopie-Momente haben wir auf Zetteln auch ans Publikum verteilt. Ich finde, dass diese Utopie-Momente nicht individuell sind, sondern eher gemeinschaftlich. Das scheint erstmal alltäglich und nicht utopisch, aber für viele Menschen ist es das leider (noch) nicht. Und das mit diesen kleinen Momenten das gute Leben für alle gefordert wird. Für mich war das gesamte Projekt ein Utopie-Moment: Das gemeinsame Erarbeiten eines Theaterstücks, der offene und partizipative Charakter des Clubs. Vero: Es war von Anfang an klar, dass es Spielende gab, die gerne eine Figur entwickeln und andere lieber performativ arbeiten wollten. Adam und ich haben lange darüber nachgedacht, wie man das vereinbaren kann. Und dann kam Adam auf die Idee dieser Reisegruppe, die so wie im Sommernachtstraum herumirrt und sucht. Sie suchen auf ganz konkreter Ebene nach einem Ort, nach Qutopia. Und obwohl sie alle nach dem vermeintlich gleichen Ort suchen, müssen sie herausfinden, dass keine*r weiß, in welche Richtung es geht. Daneben gab es eine Gruppe, die wir intern als Collagen-Gruppe bezeichnet haben. Sie taucht abwechselnd mit der Reisegruppe auf, aber behandelt das Thema Utopie auf abstrakterer, performativer Ebene. Für mich bildet diese Gruppe unseren Arbeitsprozess über die Spielzeit hinweg ab, da sie Gedanken zeigt, die wir über das Jahr hatten. Die Reisegruppe macht den gleichen Prozess durch, aber eben auf einer anderen Ebene. Hier treffen Menschen mit unterschiedlichen Grundhaltungen aufeinander und machen sich gemeinsam auf den Weg. Für mich hat dies abgebildet, was es in der Gesellschaft braucht: Trotz aller Unterschiedlichkeit der Utopien, die wir im Kopf haben, leben wir in einer Welt. Es braucht den Dialog: Wollen wir gemeinsam weitergehen, wollen wir uns auf dem Weg trennen? Können wir gemeinsam die Suche starten auch wenn wir unterschiedliche Vorstellungen im Kopf haben? Und unser Stück endet tatsächlich damit, dass die Reisegruppe am Feuer sitzt und einen utopischen Moment teilt. Sie essen Marshmallows. Und jede Person mag Marshmallows auf eine eigene Art. Das ist ja auch wieder eine Metapher dafür, wie unterschiedlich Utopie im Kopf sein kann. Im Gespräch am Feuer wird schließlich die Frage gestellt: „Woher wissen wir denn, dass wir nicht schon da sind?“

Impulse setzen und Veränderungen fordern Das hat ja ein wenig diesen Panama-Moment. Liegt die Utopie eures Stücks dann im Kleinen und bedarf nur der Sichtbarmachung? Vero: Es ist auf jeden Fall ein Teil der Inszenierung, dass es immer wieder diese utopischen Momente gibt. Aber es gibt eben auch ganz viele Szenen, die Impulse setzen oder Kritik an der Gesellschaft gegenwärtig und Wünsche für die Zukunft äußern. Zum Beispiel gibt es eine Szene, in der es um die Menschenrechte geht. Diese lesen sich leider immer noch wie eine Utopie, wurden aber

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schon 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet. Sie sind bis heute aber leider nicht umgesetzt. In dem Zuge gibt es auch Projektionen von Vorkämpfer*innen aus der queeren Szene. Wir wollten den Menschen einen Raum geben, die schon lange vor uns für ihre queere Utopie gekämpft haben und Grundlage für unsere Welt heute geschaffen haben. Trotzdem sind wir noch lange nicht am Ziel angekommen. Es ist ein Weg, den wir gehen müssen. Das ist auch das, was wir den Zuschauer*innen mitgeben wollten, diesen Gedanken von: Werde ich die Gesellschaft akzeptieren? Werde ich Veränderungen anstoßen? Sollte ich Veränderungen anstoßen? Und für mich immer die Antwort: Ja, man sollte das, was man nicht akzeptieren kann, verändern. Oder wenigstens Impulse setzen.

Es gibt auch eine Szene, die darauf basiert ist, dass sich die Spieler*innen an negativ behaftete Situationen zurückerinnerten, die sie erlebt, gesehen oder erzählt bekommen haben. Und im nächsten Schritt sollten sie diese Momente umschreiben in ein positives „Es wird einmal“. Wie wäre die gleiche Situation in einer queeren Utopie gewesen? Was wäre anders? Adam: Es gab auch im Stück Momente, die so schauderhaft waren. Als die Collagen-Gruppe den Song „Don’t Worry Be Happy“ umgeschrieben hat mit Momenten aus ihrem Leben, die richtig mies waren, sich aber dann immer ein süffisantes, von außen aufgedrücktes „Don’t Worry Be Happy“ anschloss. Ich glaube, viele kennen, dass auf schlimme Erlebnisse beschwichtigend reagiert wird. Meine Hoffnung war, dass mit diesen Momenten Leute bemerken, wie sie auf Menschen reagieren, die von Diskriminierung berichten. Tatsächlich gab es die Reaktion eines Mannes aus dem Publikum, die mich nachhaltig beeindruckt hat. Er meinte, er sei ein ‚alter weißer Mann‘ und merke erst jetzt, in welcher Position in der Gesellschaft er sei, dass er solche Erfahrungen nicht machen musste. Vero: In dem Song geht es einfach um so viele Dinge, bei denen sich junge Menschen nicht gehört fühlen. Da geht es nicht nur um queere Diskriminierungserfahrungen, da geht es um die Klimakrise, um Corona in der Schulzeit, da geht es um all diese Dinge, bei Tim, Lisa und Katja (v.l.), Queer Club, Qutopia – eine Versuchsanordnung. Foto: Tom Schulze

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denen sie gerade versuchen, Veränderungen anzustoßen und immer wieder gesagt wird, der Jugend von heute ginge es viel zu gut, sie sollen sich nicht beschweren und so ein großer Störfaktor sein. Habt ihr das Gefühl, dass eure Perspektiven im Stück bei euren Mitmenschen mehr Gehör bekommen haben und ernster genommen wurden als im Alltag? Sixtine: Unser Stück war weniger pauschalisierend, sondern das Publikum war eingeladen mit den Spielenden zu fühlen. Von daher konnte man sich vielleicht einfacher einer Perspektive annähern. Es gab keine Konfrontation, sondern eher eine gemeinsame Suche, wodurch sich Menschen weniger verschlossen haben. Wir haben uns gemeinsam mit den Zuschauenden Fragen gestellt. Katja: Ich habe schon das Gefühl, dass meine Meinung oft nicht gehört wird. Obwohl ich privilegiert bin: ich bin weiß, ich bin Studentin und komme aus einer Akademiker*innenfamilie. Aber trotzdem wird mir als queerer Person nicht so viel zugehört in der Gesellschaft. Daher hatte ich schon das Gefühl, dass dies ein Raum ist, den ich so einnehmen kann. Warum ist es eurer Meinung nach wichtig, Utopien auf der Bühne zu zeigen? Vero: Es gibt ein Zitat von bell hooks, in dem sie sagt: „The function of art is to do more than tell it like it is, it´s to imagine what is possible.“ Wir können Denkimpulse geben, Handlungsoptionen zeigen, emotionale Anknüpfungspunkte schaffen und Dialog ermöglichen. Und das ist eben genau dieses Beispiel des einen Zuschauers, der meinte, er hatte bisher keinen Blick dafür, was wir auf der Bühne gezeigt haben. Wir konnten ihm Denkimpulse geben. Er ist auch zum Nachgespräch geblieben und hat nachgefragt. Das ist auch das, was Theater kann: Zu zeigen, was sein könnte und die Fantasie anregen. Indem wir zeigen, woran wir als Gruppe gearbeitet haben, wollen wir niemandem unsere Utopie auferlegen. Vielmehr haben wir in dem Stück super viele Fragen gestellt. Daher Queer Club, Qutopia – eine Versuchsanordnung. Foto: Tom Schulze

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war es uns sehr wichtig, nach jeder Vorstellung ein Nachgespräch anzubieten, um die Perspektiven der Zuschauenden zu hören. Wo können wir neue Brücken schaffen? Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede, wo können wir zusammenkommen? So ein bisschen wie bei der Reisegruppe… Katja: Ich würde sagen, dass dieser Dialog nicht nur mit dem Publikum stattfand, sondern eben auch in unserer Gruppe. Und dafür ist die Beschäftigung mit Utopien in Jugendclubs eben super wichtig, weil sich junge Menschen in einem theatralen Prozess und auf einer kreativen Ebene damit auseinandersetzen können. Das ist politische Bildung. Wir haben gespielt, neue Rollen ausprobiert, Transformationsstrategien für uns erdacht und sind in einen kollektiven Schaffungsprozess gekommen. Ich finde es total wichtig, dass mit Jugendlichen nicht nur in der Schule oder in der Uni darüber gesprochen wird, weil es eben viel mehr Möglichkeiten für neue Lösungen gibt.

Theater von ALLEN und für alle Was ist deine Utopie für das Theater? Sixtine: Was ich mir wirklich wünschen würde, wäre eine nicht auf Druck basierte Spielart, wo es um ein Gruppengefühl und das gemeinsame Entwickeln von Stücken geht, um das Partizipative, das Raum für Respekt bietet. Katja: Ich würde mir wünschen, dass alle, die möchten, Theater spielen können. Und dass alle, die Lust haben, ihre eigenen Inhalte im Theater umsetzen können. Dass Laien mitbestimmen können, was sie spielen. Dass Menschen auf der Bühne das machen können, was sie wollen. Diese Möglichkeit hat unseren Club auch ausgemacht. Es wäre natürlich toll, wenn das Theater viel mehr in der Gesellschaft verankert wäre als Kunstform. Und dass es eben nicht so eine Hochkultur ist, sondern es alle Menschen schauen, mitmachen und Teil davon sind. Theater als Teil der Stadt. Vero: Theater als offener, niedrigschwelliger Raum auch für Menschen aus der Stadt und Stadtgesellschaft, wo sich das Theater befindet, wäre meine Utopie. Ein Theater, in dem sich die Vielfalt, die zum Beispiel unsere Leipziger Stadtgesellschaft ausmacht, wiederfindet. Damit meine ich nicht nur die Menschen auf der Bühne, sondern auch die Geschichten, die erzählt werden. Adam: Ich finde es auch total bemerkenswert, dass in unserem Club Menschen waren, die 40 Stunden gearbeitet haben und trotzdem Mittwochabends gekommen sind und ihre Wochenenden für den Club geopfert haben. Theater muss man sich auch erst einmal leisten können: ins Theater zu gehen, selbst zu spielen, die Freizeit und Energie dafür zu finden. Es gibt so viele Hürden, die von vielen Menschen nicht gesehen werden. Es muss möglich sein, dass Theater für alle zugänglich ist. Alle müssten genug Geld dafür haben oder Theater dürfte nichts kosten, was aber zu keinem Erwirtschaftungsdruck für das Theater führen dürfte. Geld ist allgemein ein Problem und ich sehe, dass sich die Situation zuspitzt. Ich glaube, dass sich immer weniger Menschen leisten können, ins Theater zu gehen oder zu spielen. Vero: Unsere Clubs sind zwar kostenlos, aber es gibt ja noch andere Hürden: Wie komme ich an den Ort? Immer wieder gibt es Überlegungen, ob wir kleine Satelliten schaffen können, um noch mehr Menschen zu erreichen. Das knüpft an so viele verschiedene Aspekte an. Der Traum wäre natürlich, dass alle Menschen, die möchten, zu uns kommen können oder wir überall sein könnten – wie kleine Theaterinseln. Ich glaube auch, dass prozessorientiertes Arbeiten, Partizipation und das demokratische Miteinander sehr viel Utopisches haben. Das ist alles in einer Form anstrengend und zeitintensiv und benötigt viele Ressourcen, aber es ist sehr wichtig und am Ende zahlt es sich aus. – www.theaterderjungenweltleipzig.de Tim, Queer Club, Qutopia – eine Versuchsanordnung. Foto: Tom Schulze

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(UN)freiwilliges tempolimit Eindrücke vom 23. Internationalen Figurentheaterfestival in Erlangen Vom 12. bis 21. Mai 2023 fand das internationale Figurentheaterfestival in Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach nach pandemiebedingter Digitalausgabe wieder in Präsenz statt und präsentierte ein gewohnt vielfältiges Programm. Doch lässt sich nahtlos anknüpfen an die Zeit vor der welterschütternden Zäsur der letzten Jahre? Und welchen Umgang findet die Kunst mit den andauernden multiplen Krisen unserer Zeit? André Studt teilt seine Beobachtungen zur diesjährigen Festivalausgabe. V o n A n d r é S t u d t /// Endlich: Nach vier Jahren ist man mit den Festivalaktivitäten zurück in den Theatern, den eigens errichteten Spielstätten, im öffentlichen Raum, den Kneipen und Restaurants und fragt sich: Was geht? Lässt sich – nach der erzwungenen Distanznahme per Videocalls und anderen Mediatisierungen der Existenz – so etwas wie eine Sehnsucht nach Liveness, nach Begegnung und Austausch erkennen und neu kultivieren? Die erste Festival-Woche zeigte ungewohnte Lücken im Parkett; das, was ‚früher‘ schnell ausverkauft gewesen wäre, gibt es nur noch als Erinnerung. Es scheinen sich viele Dinge geändert zu haben. Das Festival hat dies zu spüren bekommen …    Unsere Welt heute ist aufgeregter (und aufregender?) geworden: Die recht kurze pandemische Stille, in der allein das höllische Flattern der Absperrbänder auf Spielplätzen und öffentlichen Sitzgelegenheiten zu vernehmen war, wurde recht bald vom Geschrei hyperindividualisierter Zeitgenossen mit Rundumahnung und -meinung übertönt. In diesem haben sich vorwiegend destruktive Kräfte gesammelt, deren politisches Potential aktuell hinreicht, aus der Krise einen profitablen Dauerzustand zu machen, in dem allein Verweigerung die Grundmelodie zu sein scheint. Das Thema Gesundheit war gestern, heute bestimmen Klima, Konsum, Kolonialismus und Krieg die Agenda. Wenn man morgen wach wird, könnte noch ein weiteres Thema, eine andere Krise dazugekommen sein, ohne dass man wüsste, auf welche Seite der Debatte man sich sortiert. Unsere Gesellschaft leidet – wie aktuelle sozialwissenschaftliche Studien zeigen – unter massiven Erschöpfungssymptomen; uns fehlen aktuell psychologische Ressourcen, um der einigermaßen ohnmächtig erfahrenen Gegenwart ein positives Bild, eine empowernde Erzählung entgegen zu setzen. Statt mit Vollgas in die Zukunft zu brausen (wenn diese viel zu viel CO2 ausstoßende Metapher überhaupt noch erlaubt ist), verharrt man in einem ziemlich angespannten Zustand des Gebremst-Seins und empfindet dieses als Schicksal, das stets Andere bestimmt haben oder wo Andere immer schuldig sind.    Was davon verhandelt das Festival? Oder genauer: Gelingt es der Kunst des Genres, diese Gegenwart lust- und freudvoll künstlerisch zu verarbeiten, um sie dann engagiert, kritisch und intervenierend zu kommentieren? Gibt es klare Positionierungen eines Unbehagens, einer (Gegen-)Wut angesichts der allgemeinen Erregbarkeit? Oder ist die Kunst an anderen Dingen interessiert, weil sie vielleicht zu langsam in ihren eigenen Verarbeitungsprozessen ist – und demnach eigenwillige Fragen stellt, die spannender als darauf denkbare Antworten sind? Was darf man überhaupt erwarten angesichts gewachsener Sensibilitäten des Darstellens, Repräsentierens, Reden und Denkens dies- und jenseits der Szene? Berliner Ensemble, Brechts Gespenster. Foto: Erich Malter © internationales figuren.theater.festival

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W i d e r s p r ü c h e a u s h a lt e n Der Schrecken, den der Krieg in Europa aktuell verbreitet, ist nicht nachzuvollziehen. Und dennoch kommen bei der Betrachtung von „Ikarus“ – einer Freiluft-Auftragsarbeit der russischen Gruppe Akhe, die dem Festival und Erlangen schon über Dekaden verbunden ist – grobe Ahnungen auf, mit welchen Gewalten sich der Mensch dort auseinanderzusetzen hat. Dass Akhe Schwierigkeiten bekommen würde, im Russland der Gegenwart weiter Kunst machen zu können, war nach der auf dem Festival 2019 gezeigten Trilogie (v. a. in „Diktatur“ – einer radikalen Abrechnung mit dem Putin-Regime) erwartbar. Mittlerweile befinden sich die Akteure des Ingenieurtheaters im Exil in Finnland und Frankreich; sie lassen nicht ab von ihrem Theater, das immer wieder atemberaubende Bilder des aufstrebenden und dennoch fallenden Menschen zeigt; man hat Mitgefühl für den Stürzenden, ja, aber auch Angst, von explodierenden und herumfliegenden Bühnenteilen selbst in Mitleidenschaft gezogen zu werden – die allgemeine Ergriffenheit nach Ende der Aufführung hatte etwas Selbstbezogenes.   Denn der Krieg gegen die Ukraine geht weiter, weil jemand mit aller Kraft um Jahrhunderte zurück will. In diesem Gestern träfe man vielleicht auf „Brechts Gespenster“, auch wenn diese viel zu wenig Bezug zu den Krisen der Gegenwart haben. Im Gastspiel des Berliner Ensembles sagt die Brecht-Puppe dem Publikum, was Brecht wohl immer von seinen Zuschauer*innen wollte: man möge lernen, in Widersprüchen zu denken … Es ist eine schaurige Pointe, dass es während der Aufführung zu einem Feueralarm kam, weil die Nebelmixtur des BE scheinbar inkompatibel mit den mittelfränkischen Feuermeldern im Theater gewesen ist (so wie es gesellschaftlich auch unterschiedliche Einschätzungen zum Umgang mit Putins Russland gibt). Nun stand man faktisch unschlüssig vor dem Theater; die das Klingeln des Eisernen Vorhangs begleitende Stimmeneinspielung, die einen aus dem Theater komplimentierte, erinnerte an die „The last voice“ von Frankie goes to Hollywood und steigerte die allgemeine Neigung zur Fiktionalisierung. Aber das war keine Übung … Jedenfalls waren die Puppen ‚drollig‘ (so eine aufgeschnappte Vokabel beim ordnungsgemäßen Verlassen des Theaters nach dem tatsächlichen Ende der Aufführung). Die Gemütlichkeit der Verhältnisse ebnet ideologische Differenzen einfach ein. Akhe, Ikarus. Foto: Erich Malter © internationales figuren.theater.festival

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Selber um das Schöne kümmern Immerhin waren hier mal animierte Puppen zu sehen. Demgegenüber scheint es, dass der Umgang mit ihnen nebensächlicher geworden ist und dafür Dinge, Objekte oder die objekthafte Zurichtung der Performenden mehr Aufmerksamkeit bekommt. Oder man hat sichtbar vom Willen nach Haltung gezeichnete Darsteller*innen vor sich, die wie in „GINKGO“ von Nicole Beutler Projects (s. auch S. 15 im vorliegenden Heft) Abschied von der Gegenwart nehmen und uns Zuschauende dazu einladen, mit ihnen und ihren Projekten die Zukunft zu denken. Dazu müsste man sich jedoch zuerst durch die fünf Phasen der Trauer (nach Kübler-Ross) arbeiten, um in Akzeptanz offen für ein Neues zu sein. Da die Menschen im Publikum (und wohl auch die Produzierenden) noch nicht soweit sind, stellt sich die Frage, ob die szenisch verhandelten Probleme (Müll, Klima, Ungleichheit etc.) als didaktischer Trash – sinnig verkitscht durch einen vielstimmigen Chor, der Mozarts Lacrimosa intonierte, und enigmatisches Theremin – oder als Einladung zur nachhaltigen Auseinandersetzung gemeint waren. Immerhin bekam man am Ausgang ein Samenpapier, welches die Ankündigung der nächsten Folge (Premiere im Oktober 2023) enthielt, in die Hand gedrückt. Wenn einen die Kunst ratlos macht, so muss man sich um das Schöne eben selber kümmern.    Dass es sich in einer posthumanen Welt irgendwie noch leben lässt, zeigen uns die Vogelscheuchen der „Farm Fatale“ von Philipe Quesne (s. auch S. 17ff. im vorliegenden Heft). In ihrem Dasein sind das Zwitschern Oben: Puppentheater Ljubljana, Still Life. Foto: Georg Pöhlein © internationales figuren.theater.festival Unten: Andrea Salustri, Materia. Foto: Georg Pöhlein © internationales figuren.theater.festival

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der Vögel oder Musik nur noch als Archivalien verfügbar – und der (menschliche?) Großagrarier von Nebenan darf ganz konkret „Arschloch“ genannt werden. Der Clou dieser Produktion liegt einerseits im hintersinnigen Humor, der nie zynisch wird, auch wenn die Umstände dazu Anlass genug böten. Anderseits widmen sich die Figuren in aller Ruhe den aufgeworfenen Fragen und Motiven; hier herrscht eine bewusste Entschleunigung im Sinne einer nachvollziehbaren, zwischen Szene und Publikum kommunizierenden Ordnung der Dramaturgie.

Staunen als Motiv Ein basales Prinzip dieser Ordnung bietet das Motiv des Staunens: Entweder im Umgang mit dem Material wie bspw. in der Show „Materia“ von Andrea Salustri, der auf vielfältige Weise Styropor zu animieren weiß und immer, wenn man dachte, das sei nun auserzählt, passierte doch noch etwas. In „Mycelium“ ist es ein Hefeteig, der Annina Mosimann u. a. über den weiblichen Körper nachdenken und überraschende Pointen setzen lässt. Oder im Umgang mit einem oder mehreren Requisiten, welche zu einem Partner der Wiedererkennung auf Seiten des Publikums und eines artistischen Dialogs auf der Szene werden: Während „Stickman“ von Darragh McLoughlin im Sinne eines very-meta-well-made-play die Zuschauenden direkt adressiert und in die Narration einbindet, entspinnt „nowhere“ von Cristiana Casadio mit verschiedenen Alltagsgegenständen einen Bilderreigen, der autonom entziffert werden darf. Was man sieht und so erfährt, ist erst einmal richtig. In dieser Aufzählung von Produktionen, die sich ganz unaufgeregt mit einer gefundenen Sache auseinandersetzen, darf mein persönliches Highlight nicht fehlen: „Still Life“ vom Puppentheater Ljubljana (s. auch double Nr. 45) probiert sich daran, das Leben (auch wenn es vergangen und nur als Präparat zuhanden ist) zu bewahren. Nachdem im dokumentarischen Stil Statements von Koryphäen der Taxidermie und Ebay-Rechnungen der erworbenen Tierkörper zur Sprache kamen und so eine rationale Distanz zu den Objekten modelliert wurde, ging es dann in der Animation um die Hasen und ihre Habitate – spätestens im dritten Modell, wo ein Hase intensiv nach etwas Verborgenem scharrte, beklagte ich in den Fängen der Fallhöhe zweifelnd mein Mensch-Sein, welches selten die unbedingte Intensität dieses Hasen hatte …    Diese Zweifel, die man auch angesichts der eingangs erwähnten Krisen-Gemengelage bekommen kann, waren jedoch spätestens am letzten Tag des Festivals obsolet: Olivier Grossetête hatte in einer Festivalwoche gemeinsam mit der Erlanger Stadtgesellschaft das Mittelsegment des Erlanger Schlosses aus Kartonagen nachgebaut. Dieses wurde feierlich vor dem Original als Double errichtet und beleuchtet, blieb eine Nacht stehen, um dann in einem Happening am letzten Festivaltag von den Erbauer*innen wieder eingerissen zu werden. Diese Arbeit ist nicht nur eine passende Metapher der Vergänglichkeit des Theaters bzw. der Auszeit, die ein Festival temporär organisiert, sie zeigt gleichermaßen auf die vorhandenen Potentiale der Zivilgesellschaft und wird zur Ekstase des Erlebens, wenn Hunderte Erlanger*innen auf den Ruinen des gemeinsam Erschaffenen herumtrampeln, um diese schleunigst in die bereitstehenden Altpapier-Container zu entsorgen. Nach knapp zwei Stunden liegt der Platz wieder so da, wie er gewöhnlich an einem Sonntag ist – aber aus der Energie dieser Stunden (und manch einer hier unerwähnt gebliebenen Produktion des Festivals: es war dann doch noch viel los!) lässt sich Hoffnung schöpfen. – www.figurentheaterfestival.de Olivier Grossetête, Ephemeral Buildings – Partizipative Monumentalbauten aus Kartonage. Foto: Georg Pöhlein © internationales Figurentheaterfestival

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DIE KUNST LEBENDIG ZU MACHEN Gedanken zur Animation anlässlich der Jubiläen des Studiengangs Figurentheater und des FITZ in Stuttgart 40 Jahre „Theater animierter Formen“! Nicht nur das FITZ hat mit seiner Änderung des Namenszusatzes vor rund zwei Jahren eine Akzentverschiebung vorgenommen. Der Studiengang Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart hat sich im Laufe der Zeit ebenfalls stetig gewandelt und jüngst das Hauptfach von „Materialtraining“ in „Animation“ umbenannt. Der Auseinandersetzung mit diesem Begriff waren auch die Lecture-Performances anlässlich der Geburtstagsfeier beider Institutionen Anfang des Jahres gewidmet, die Celine Klotz zum nachfolgenden Text inspiriert haben. V o n C e l i n e K l o t z /// Eine erste Assoziation mit Animation ist vielleicht der Trickfilm, in dem ebenso wie im Figurentheater Animation im wörtlichen Sinn, also Belebung stattfindet. Animation als Aktivierung oder Realisierung von Aktivität zu verstehen, findet eine theoretische Entsprechung bereits bei Aristoteles, mit dessen Lebenskonzeption sich Animation als prozessualer Vollzug von Lebendigkeit verstehen lässt.    Bei Aristoteles zeichnet sich Lebendiges durch sein realisiertes Vermögen zu Bewegung aus, das auch der Assoziation mit dem Trickfilm zugrunde liegt. Hier ist ebenso wie im Kontext des Figurentheaters das In-Bewegung-Versetzen oder Zur-BewegungVerhelfen von Unbewegtem zentral.

Figur im Fenster. Foto: Celine Klotz

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Motivation (im Sinne von Bewegung oder als Summe der Gründe für intentionales Handeln), Aktivierung (als Realisierung eines gegebenen Vermögens, das ein Passives erfordert) und Manipulation (im wörtlichen Sinn als Handhabung) sind zwar notwendige Momente, aber keine hinreichende Bestimmung der Animation, wie sie im Figurentheater erscheint: Ihre spezifische Differenz besteht in der Abwägung und Explikation des Verhältnisses zwischen Subjekt und Objekt oder Mensch und Welt.

‚Sich in den Dienst der Dinge stellen‘ als emanzipatorische Umkehrung „In den Augen der einen ist die Handlungsfähigkeit ein Attribut der Person […]; in den Augen der anderen ist [sie] der Effekt von Diskursbedingungen, die aus diesem Grunde nicht auch ihren Gebrauch kontrollieren müssen; sie ist keine transzendentale Kategorie, sondern eine kontingente und zerbrechliche Möglichkeit.“1 Das Beispiel des Löwenmenschen, einer 4000 Jahre alten Höhlenmalerei, die im Rahmen der Stuttgarter Geburtstagsfeier zur historischen Rekonstruktion der Kunstform herangezogen wird, zeigt – als rituelles oder spielerisches, durch seine fantastische Dimension jedenfalls außeralltägliches figürliches Artefakt –, dass Animation (oder mindestens Figuren) ein genuin menschliches Mittel für die Aushandlung des Verhältnisses zwischen sich und der Welt darstellt.    Animation und Figurentheater bauen implizit gerade auf der Entsagung der aufklärerischen Konzeption des Subjekts als autonomem Handlungsträger auf: ‚Sich in den Dienst der Dinge stellen‘ kann als emanzipatorische Umkehrung der anthropozentrischen und zweckrational-verwertungslogischen Subjekt-Objekt-Dualität verstanden werden. Während letzterer spätestens seit der Aufklärung eine normative Dimension innewohnen, kehrt das Figurentheater durch die Fokusverschiebung hin zum Objekt die in der technisierten Moderne etablierte Priorität des menschlichen Subjekts vor dem dinglichen Objekt um, legt seine Kontingenz offen und stellt die Passungsrichtung des Verhältnisses zwischen Mensch und Welt zur Disposition.    Mit der Umkehrung der Passungsrichtung findet auch eine des Kräfteverhältnisses zwischen dem in seiner Aktivität idealisierten Subjekt und dem in seiner Passivität entwerteten Objekt statt. Mit der praktischen Explikation vollzieht sich eine subversive Aufwertung des buchstäblich prekären, das heißt unzureichenden und konstitutiv unabgeschlossenen Mensch-Welt-Verhältnisses. Die Angewiesenheit von Animation auf mindestens zwei Beteiligte, von denen mindestens eine*r belebt sein muss, lässt Animation auch als Realisierung einer potentiellen Relationalität, ihre Aushandlung oder ein basales In-Beziehung-(Ver)Setzen erscheinen. Die Redewendung „Ce que je regarde me regarde“ ist treffend in ihrer Doppeldeutigkeit: Sie kann ebenso mit „Was ich anschaue, schaut mich an“ wie mit „Was ich anschaue, geht mich an“ übersetzt werden. Auch über diese Annäherung erscheint Animation als Realisierung sowie Explikation der Möglichkeit eines (nie nur physischen) Berührtwerdens oder Betroffenseins.    Eben jenes ist es, das unter den politischen Bedingungen einer geteilten, aber nicht gemeinsamen Gegenwart emanzipatorische, vielleicht sogar utopische Potentiale eröffnet: Das Herstellen von Verbindung und Ausloten von Verbundensein ist in einer Gesellschaft, die alltäglich Vereinzelung bedingt, eine mindestens subversive Praxis, die den Blick für andere Weisen der Bezugnahme öffnen kann.

Auf 40 weitere Jahre der Unabgeschlossenheit! „Gibt es eine Möglichkeit, anderswo oder anders zu sein, ohne unsere Komplizenschaft mit dem Gesetz zu leugnen, gegen das wir uns wenden? Eine solche Möglichkeit würde eine andere Art von Wendung erfordern, […] eine solche Wendung erfordert die Bereitschaft, nicht zu sein – eine kritische Desubjektivation –, um das Gesetz als weniger mächtig zu exponieren, als es zu sein scheint.“2 Mit seiner praktischen Kritik der absoluten Priorität des Subjekts vor dem Objekt stellt sich das Figurentheater gegen eine lange metaphysische und in die Tradition der Dekonstruktion, auf die im Einzelnen meist eine Erweiterung oder Umdeutung des Theoriegegenstands folgt. Und da Definitionen mit der Dekonstruktion ohnehin unvereinbar sind, sollte ein ungeklärter Begriff der Animation für das Fach kein Problem sein. Die definitorische Unvollständigkeit oder Unabgeschlossenheit des Animationsbegriffs kann stattdessen als Ausgangspunkt für die künstlerische und gesellschaftliche Übersetzung ihrer theoretisch angelegten Potentiale dienen.    Im Proben zentral Entwickeln und Austesten, im Vollzug Herstellen und Verwirklichen von Verbundensein, ist Figurentheater auch ein Spiel mit und um Anerkennung: Mit der wechselseitigen zwischen Subjekt und Objekt und um die Anerkennung der Möglichkeit des Berührens und Berührtwerdens vom Anderen. Damit lässt sich das Figurentheater als unmittelbare Offenlegung desjenigen verstehen, was alle unter der Kategorie des Menschlichen versammelten Individuen, aber auch diese mit ihrer nicht-menschlichen, belebten Umgebung eint: Einer Verletzlichkeit, die es zu schützen gilt. – www.hmdk-stuttgart.de – www.fitz-stuttgart.de 1 Judith Butler: Für ein sorgfältiges Lesen, in Benhabib et al.: Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt 1993, S. 128. 2 Judith Butler: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt 2001, S. 122.

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METABOLISMUS ALS KUNSTFORM Figur und Tanz im Leipziger Westflügel Im Juni feierte der Leipziger Westflügel sein 20-jähriges Bestehen mit einem Festival: „Twist it! Figur und Tanz“ bot Kunst, Fachaustausch, Party und eine utopische Vision wider der künstlerischen Erstarrung. V o n S t e f f e n G e o r g i /// Hummer sind faszinierende Tiere. Sorgt doch in ihrem Organismus ein Enzym dafür, dass sie ein Leben lang wachsen – und dabei nicht nur nicht älter, also schwächer, sondern im Gegenteil größer, kräftiger, mithin fruchtbarer werden. Das heißt, mikrobiologisch betrachtet altern diese Tiere nicht! Die Natur, so scheint´s, widerspricht sich selbst, postuliert eine Umkehrung des gemeinhin natürlichen Lebenslaufs in Form regelmäßiger Regeneration und Häutung. Unzählige Male entledigen sich Hummer dafür ihres alten, zu eng gewordenen Exoskeletts, auf dass ihnen ein neues wachse. Metabolismus offeriert sich als Daseinsgarantie; das Abstreifen zu eng gewordener Hüllen als Voraussetzung für Beweglichkeit und Wachstum. Fürs Weiterleben schlechthin.    Im Juni feierte der Westflügel, das in Leipzig ansässige internationale Produktionszentrum für Figurentheater, sein 20-jähriges Bestehen mit einem Festival. „Twist it! Figur und Tanz“ hieß das und bot, wie es sich für ein solches Geburtstags-Festival gehört, einiges an Kunst, Fachaustausch und – nicht zu vergessen – Party. Und natürlich ist auch an dieser Stelle noch einmal hervorzuheben, wie sehr es der Westflügel vermochte, in diesen zwei Dekaden seines Bestehens zu einer Instanz mit einiger Strahlkraft zu werden. Im Theatergefüge der Stadt Leipzig. Und, weit darüber hinaus reichend, für die Kunstform, der man sich am Westflügel verschrieben hat. Nun klingt „Instanz“ immer etwas nach Unbeweglichkeit, nach Statik. Und das allein schon, weil beides (Unbeweglichkeit, Statik) Gefahren sind, die Instanzen, zumal mit fortschreitenden Jahren, geradezu naturgemäß drohen. Das, was einst in Bewegung versetzte, hemmt jetzt die Bewegung; reduziert sie zu einem Auf-der-Stelle-treten. Dagegen hilft nur eins: regelmäßige Regeneration und Häutung. Metabolismus als Kunstform.    Im Westflügel scheint man das zu wissen. Von Anfang an wurde hier Figurentheater immer wieder gezielt in einen interdisziplinären Kontext gestellt, mit anderen Kunstformen konfrontiert und fusioniert. Dass das auch „Twist it! Figur und Tanz“ – schon der

Jan Jedenak, Untiefe. Foto: Dana Ersing

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Titel zeigt es ja – programmatisch fortführte, ist nur konsequent. Das in Bezug setzen, die Konfrontation und Fusion von Elementen zweier Kunstformen (hier: Figurentheater/Tanz) war der gemeinsame Fixpunkt aller fünf auf dem Festival gezeigten Inszenierungen. Wobei sich Tanz in seiner „reinsten“ Form im Stück „I am not in a Room“ offenbarte. Die Westflügel-Produktion von Wilde & Vogel gibt für eine kontemplative Stunde der Dichtung Emily Dickinsons (1830-1886) Raum. Und wenn deren Poesie den Geist der Inszenierung ausmacht, so ist es der Tänzer Kai Chun Chuang, der ihr Herz und Rückgrat zugleich gibt. Denn wenn Tanz heißt, mittels der Bewegung im Raum diesen Raum zu weiten, den Raum (sprich: dessen Beengung) zu verlassen da vergessen zu machen, so ist zu konstatieren, dass genau das Kai Chun Chuang mit Bravour gelingt. „I am not in a Room“ (Choreografie: Rose Breuss) zeigt, wie konkret und unmittelbar die Abstraktion sein kann, mit der sich Sprache in Bewegung übersetzt. Und das meint auch, in die Bewegungen jener Spinnenfinger-Wesen, die hier dank Figurenspieler Michael Vogel wieder und wieder die Bühne okkupieren und mit Chun Chuang interagieren. Als skelettierte Rudimente einer gespenstischen Bedrohung.    Von der auf ihre Art auch jene Wesen künden, die in „Les Arrière-Mondes“ (Companie Mossoux-Bonté, Belgien; Regie/Choreographie: Patrick Bonté und Nicole Mossoux) ihren Auftritt haben. Es sind die „ewigen Überlebenden der Geschichte“, die als Untote aus dem Bühnendunkel ins fahle Licht treten. Sechs Gestalten in wechselnden Erscheinungsbildern, allesamt wie aus Menschenver-

satzstücken geschaffen, surreal-grotesk kostümierte Artefakte, die einen Geistertanz zaghaft stilisierter Schritte vorführen, bevor die Dunkelheit sie erneut verschluckt.    Einen Tanz in Fesseln wiederum vollführt „Le Poids de l'âme – tout est provisoire“ von Chiara Marchese. Das titelgebende Gewicht der Seele (Poids de l'âme) wird vermessen und gewogen in einem Geflecht aus Wolle, Plastik, Klebeband. Die Materialien, die helfen könnten Schutz und Halt zu bieten, fesseln, beengen und strangulieren zugleich. Die große, dünndrahtige Puppe die Marchese bald heimsucht, ist da keine Hilfe. Der gemeinsame Tanz bleibt ein Seiltanz über dem Abgrund, eingesponnen im leeren Raum, in den Seilen hängend. „I´m lost!“ sagt Marchese einmal inmitten ihres Spiels und es klingt wie ein Auflachen in dieser auf bitterkomische Weise berührenden Inszenierung.    Weit bodenständiger, trotz Fixierung aufs Jenseitige, kommt da „Der Reigen – ein überaus schönes Lied vom Tod“ daher. Die Koproduktion des Westflügels mit dem Wiener Figurenspieler (und langjährigen Westflügel-Gefährten) Christoph Bochdansky, markiert im Festivalprogramm quasi das Narrenstück in Form eines gern auch mal krachledernen Totentanzes. Eine Theatersause über die letzten Dinge, über Tod und Teufel, Mensch und Puppe. Und über die Vergänglichkeit, von der nichts und niemand ausgenommen ist.    Und dann ist da ja noch dieser Hummer. Dieser menschengroße Hummer, in den sich Jan Jedenak verwandelt. In „Untiefe. A depthless place“ (Regie: Jonas Klinkenberg), einem Solo, in dem lange kaum mehr geschieht, als dass Jedenak in ein schwarzes Loch, in einen auf den Bühnenboden projizierten Abgrund schaut. Ihn still umspielt, umtanzt, umgarnt. Hineinstürzen oder zurückweichen? Das ist die eine mögliche Frage, die sich auftut. Die andere: Was ist dieser „depthless place“ eigentlich? Ist der Blick in ihn hinein „nur“ einer in die eigene Seele? Oder doch einer auf die Zukunft menschlicher Existenz insgesamt, die bodenlos, abgründig und dunkel vor uns liegt?    „Untiefe“ hütet sich glücklicherweise vor jedweder Antwort. Und bietet stattdessen eine so ironisch diabolische wie fantastisch utopische Vision an: Die Metamorphose zum Hummer als Befreiung aus der Erstarrung – und das heißt hier, aus dem oft allzu engen und statischen Skelett menschlicher Wahrnehmungsschemata. Die Kunst macht´s möglich! Und was Hummer angeht – die können bis zu 100 Jahre alt werden. Anders gesagt: Der Westflügel hat noch einiges vor sich. – www.westfluegel.de Links: Figurentheater Wilde & Vogel, I am not in a Room. Foto: Dana Ersing Mitte: Compagnie Mossoux-Bonté, Les Arrière-Mondes. Foto: Julien Lambert Rechts: Christoph Bochdansky, COV Compagnie Off Verticality, Figurentheater Wilde & Vogel, Der Reigen. Ein überaus schönes Lied vom Tod. Foto: Dana Ersing

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ein haufen fragen und mindestens so viele antworten „Figure It Out“ – Showcase und Fachtagung anlässlich des 30. Jubiläums der Schaubude Vom 2. bis 11. Juni 2023 lud die Schaubude anlässlich ihres 30-jährigen Jubiläums zu Showcase und Diskussionsveranstaltungen nach Berlin ein und schuf unterschiedlichste Austauschund Begegnungsmomente zwischen Künstler*innen und (Fach-)Publikum. Das zentrale Thema: Künstlerische Forschung. Christina Röfer (Showcase) und Mareike Gaubitz (Fachtage) berichten für double von ihren Eindrücken. Vo n M a r e i k e G a u b i t z u n d C h r i s t i n a R ö f e r /// „Figure It Out“ – der Name der wandernden Veranstaltungsreihe, die von der Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater ins Leben gerufen wurde und letztes Jahr im Leipziger Westflügel Premiere feierte, lässt sich als Aufforderung an das Publikum, künstlerischer Ansporn und programmatische Setzung der Initiator*innen gleichermaßen verstehen. Das zehntägige Festivalprogramm der diesjährigen Berliner Ausgabe vereinte mit Installationen, Tryouts, Showings und einer Fachtagung eine Vielfalt an Präsentations- und Diskussionsformaten und trug damit auch der im Laufe der letzten Jahre immer stärkeren Ausrichtung des Hauses als Forschungs- und Produktionsstätte Rechnung; ging doch ein großer Teil der gezeigten Produktionen aus Forschungsresidenzen an der Schaubude oder ihren Partnerhäusern FITZ und Westflügel hervor.

Irgendwo dazwischen ... Den Auftakt machte die Numen Company mit der Inszenierung „Hero“. Im Dämmerlicht erscheint zunächst der Umriss einer schwarz gekleideten Gestalt. Fast verloren wirkt Tibo Gebert als Performer in dem überwiegend dunklen, sehr reduziert gehaltenen Bühnenraum, bis er einen Bezugspunkt findet: eine lebensgroße Kinderpuppe, mit der er, zunächst noch zögerlich, in Kontakt tritt. In einem Wechselspiel von gegenseitiger Annäherung und Abkehr, von spielerischer Neugier und schmerzlich scheinender Konfrontation handeln die beiden Körper im weiteren Verlauf ihre Beziehung zueinander aus: sie zeigen sich sanft und verletzlich, dann wieder schroffer und fordernder. Langsam und konzentriert entfalten sich die Bewegungen zu beinahe tänzerischer Interaktion, bei der nicht immer klar ist, wie die Machtverhältnisse verteilt sind und wer wen antreibt. Die so entstehenden Bilder evozieren mehr Assoziationen, als dass sie eine eindeutige Handlung vermitteln und setzen mit dieser Offenheit einen gelungenen Startpunkt für die sich in den Folgetagen des Festivals eröffnenden Spielräume. Schaubude Berlin. Foto: Silke Haueiß

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Die Leipziger Konstellation Schroffke! präsentierte mit „Undin“ ein an Hans Christian Andersens Erzählung von der kleinen Meerjungfrau angelehntes Klangstück, in dem die Geschichte aus queerfeministischer Perspektive vornehmlich durch Sound und Geräusche erzählt wird. Die Performer*innen Franz Schrörs und Liesbeth Nenoff erschaffen mit Hilfe von Stimme, verschiedenen Objekten sowie einer Loopstation eine akustisch mal lebendig gurgelnde, mal sachte wabernde Unterwasserwelt, in der sie sich spielerisch forschend auf die Suche nach der Märchengestalt begeben. Wenn sie etwa ein Mikrofon in den auf der Bühnenmitte angedeuteten Brunnen hinunterlassen oder sich in einer raumgreifenden Fadeninstallation verstricken (Ein Algenmeer? Ein Fischernetz?) wird das Mischwesen aus Mensch und Tier punktuell erahnbar. Erst am Ende nimmt es einen konkreteren Umriss an, überrascht mit einem Fischkopf auf nacktem Körper und entzieht sich damit geschickt wieder gängigen Zuschreibungen und Lesarten. So interessant diese Versuchsanordnung im Kern auch ist: Die vielen Ideen und Möglichkeiten, die das Laborsetting birgt, lassen das Stück mitunter lang werden.

... und quer durch Raum und Zeit Auch der digitale Raum wurde Teil des Festivalgeschehens. In „Der erste Kontakt“ lud Anna Kpok auf Gather.Town in eine futuristische Pixelwelt ein und forderte das Publikum zum Handeln auf: Um das Leben auf der Erde zu retten, sollen die Menschen auf den Kontakt mit Außerirdischen vorbereitet werden und die Zukunft des Planeten sichern. Beim Erforschen der Spielwelt und Lösen verschiedener Aufgaben gerät die Gruppe von Teilnehmer*innen in diesem interaktiven Live-Online-Multiplayer-Theater-Game allmählich in ein kollektives Aushandeln von Fragen des Zusammenlebens und danach, was den Menschen eigentlich ausmacht.    Cora Sachs hingegen versetzte das Publikum in „Unter Schmerzen sollst du gebären“, dem ersten Teil ihrer Trilogie „Anatomie der guten Hoffnung“, zurück ins Mittelalter, als der Geburtsvorgang zum Politikum wurde und die Kirche begann, Hebammen aufgrund ihres exklusiven Fachwissens systematisch zu verfolgen. Dem titelgebenden Bibelzitat zufolge handelten diese angeblich gegen den Willen Gottes, indem sie die Geburt medizinisch begleiteten und erleichterten. Quacksalbernde Männer übernahmen die Kontrolle über den Mutterleib mit der Folge, dass die Gesundheitsrisiken für Frau und Kind im Verlauf von Schwangerschaft und Geburt eklatant anstiegen. Sachs‘ umfangreich recherchierte Inszenierung liefert diesen geschichtlichen Abriss in rasantem Tempo. Solo-Performer Pablo Konrad verbindet körperlich fordernden Slapstick mit virtuosem Puppenspiel und rechnet als halbnacktes Riesenbaby mit Schaumstofftotenschädel mit der kirchlichen Institution und dem Patriarchat ab. Das ist kurzweilig und, mit Blick auf die kontinuierliche Fortschreibung dieser Machtgefüge bis in die heutige Zeit, extrem schwer erträglich zugleich.

Hinein ins Denklabor Neben dem hier nur ausschnitthaft umrissenen Programm geladener Inszenierungen waren noch viele weitere künstlerische Forschungsprojekte in unterschiedlichen Stadien zu sehen. Was sich in diesen Präsentationen bereits eindrücklich zeigte und erfahren Schroffke!, Undin. Foto: Thilo Neubacher

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ließ, umriss Dr. Melanie Hinz zum Auftakt der Fachtagung „Mit Kunst forschen?“ in ihrem Vortrag „Ein Ding der hundert Möglichkeiten“ aus wissenschaftlicher Sicht. Mit Ihrem Überblick über das weite und mitunter kontrovers diskutierte Feld der künstlerischen Forschung warf sie viele Fragen auf, die in den folgenden Fachtagen diskutiert und vielfach erweitert wurden, und die doch nicht abschließend beantwortet werden können: Wo fängt künstlerische Forschung an? Wer darf forschen? Wie sehen sinnvolle Förderstrukturen für diese Art künstlerischen Arbeitens aus?    Eindrücklich zeigte sich beim spielerischen Kennenlernen, angeleitet von den Gestalter*innen der Tagung Beate Absalon und Sebastian Köthe, wie viele unterschiedliche Perspektiven vertreten waren: Neben Künstler*innen waren Veranstalter*innen, Kulturjournalist*innen, Theaterpädagog*innen und Wissenschaftler*innen zugegen. Um eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden, stellte das Moderationsteam zunächst verschiedene Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens vor. Von der Beobachtung und der Analyse, über die Forschungsfrage, verschiedene Textformen wie Kritik, Essay und Peer-Review bis hin zum Labor wurden die einzelnen Arbeitsweisen wissenschaftlicher Auseinandersetzungen zusammengefasst und im Gespräch reflektiert. Können wissenschaftliche Methoden in künstlerischen Arbeiten angewendet werden? Was wären Methoden des künstlerischen Forschens, speziell im Figurentheater? Was unterscheidet künstlerisches Forschen von Recherchen, die ohnehin Teil der künstlerischen Praxis sind, wie z. B. Materialrecherchen? Was sind eigentlich die Parameter künstlerischer Forschung – welchen Rahmen braucht es und mit welchem Ziel wird künstlerisch geforscht? Welche Räume und Formate kann es dafür geben? Besonders mit den letzten Fragen entspann sich eine bemerkenswerte Diskussion, die aus den unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmenden heraus entstand. So stellten einerseits die anwesenden Veranstalter*innen fest, dass die Offenheit in Bezug auf Fragen von Zielpublikum (für wen wird eigentlich geforscht?) und Ergebnis (was kann präsentiert werden und wie?) zu Produktionen führt, die nicht ohne Kontext gezeigt werden können, da sie Gefahr laufen, in einem überwiegend selbstreferenziellen Rahmen stecken zu bleiben, ohne auf größere Zusammenhänge zu verweisen. Andererseits ist es für die Künstler*innen besonders fruchtbar, Zeit und Raum für prozesshaftes und ergebnisoffenes Arbeiten zu haben – dafür braucht es Produktionszentren, entsprechende Fördermittel und vor allem auch die Möglichkeit, Forschungsstände zu zeigen, um Feedback einzuholen und sich auszutauschen. Ersteres war während der Pandemie dank der eingesetzten Fördermittel gegeben, jedoch fehlte der Austausch. Umso deutlicher wurde, wie bedeutsam die Gespräche auf der Fachtagung mit ihren diversen Akteur*innen für alle waren und dass der Aufbau einer Netzwerkstruktur für künstlerisch Forschende ein weiterer wichtiger Schritt wäre. Nach diesem sehr diskussionsintensiven Einstieg ging es weiter mit einer „Unconference“. Hierfür fassten die Teilnehmenden ihre Fragen und Themenwünsche in einem Programm zusammen, für das sich kleinere Gesprächsrunden bildeten, um die ausgewählten Schwerpunkte zu vertiefen.    Der nächste Morgen startete dann mit einem weiteren anregenden Format: Die Teilnehmenden reflektierten im kreativen Miteinander ihre Beschäftigung mit künstlerischer Forschung in sogenannten Zines, also kleinen selbstgebastelten Magazinen, die im Schaubuden-Blog „Theater der Dinge“ einsehbar sind. Beim „Salon für Künstlerische Forschung“ am Abend wurden verschiedenste Experimente, Kurzformate und szenische (Labor-)Anordnungen gezeigt. Auch hier spiegelte sich die Bandbreite des kuratierten Gesamtprogramms: Irgendwo zwischen (szenischer) Installation, analogem und digitalem Raum, Figurentheater und Film wirbelte das Fachpublikum durch Raum und Zeit – ein krönender Abschluss für das inspirierende Denklabor. – www.schaubude.berlin – www.theaterderdinge.com Fachaustausch. Foto: Lea Röwer

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PERSPEKTIVWECHSEL Zum Symposium der 7. Deutschen Figurentheaterkonferenz in Northeim Vom 18. bis 20. August 2023 trafen sich unterschiedliche Akteur*innen des Figurentheaters auf dem Symposium der 7. Deutschen Figurentheaterkonferenz in Northeim. Die vom Verband Deutscher Puppentheater, der UNIMA Deutschland und dem Theater der Nacht veranstaltete Konferenz stand dieses Jahr unter der Überschrift „Aus anderer Perspektive“. V o n R e n é R e i t h /// Am Eröffnungsabend rollten die raumgreifenden und funkensprühenden Flugmaschinen des Walk Acts „Firebirds“ vom Theater Titanick über den Marktplatz. Mit ihren gekonnt slapstickhaft scheiternden Flugversuchen führten die Pilot*innen die große Publikumsgruppe zum Theater der Nacht. Die weiteren künstlerischen Beiträge, die den theoretischen Impulsen auf dem Symposium gegenübergestellt waren, blieben oft ähnlich spektakelhaft. Sie zeigten eine eher einseitige Ästhetik des Genres Figurentheater, das in den Vorträgen wesentlich differenzierter dargestellt und diskutiert wurde.    Einen facettenreichen Vortrag hielt die geschäftsführende Museumsdirektorin des KOLK17 in Lübeck, Dr. Antonia Napp. Sie näherte sich dem Thema „Perspektivwechsel“ anhand der Provenienzforschung innerhalb des Projektes „Who’s talking?“. Hierfür wurde das Depot der Figurentheatersammlung 2021 für die Forschungsprojekte von sechs internationalen Künstler*innen unterschiedlicher Sparten geöffnet, die anschließend in einer digitalen Ausstellung präsentiert wurden.    Auf Grundlage des entstandenen Austausches und der Anschlussfragen wird derzeit mit den Künstler*innen die Ausstellungsgestaltung der neuen Räume im Museum konzipiert.    Eine Perspektive aus der Puppenspiel-Praxis bot die ungarische Puppenspielerin und Präsidentin der Initiative „FreeSZFE“ Kata Castó, die eine allgemein formulierte Kritik an der Bedeutungsgenese in Inszenierungsprozessen übte und sich für eine stärkere Klarheit und direkte Artikulation von Positionen aussprach. Im gleichen Panel gab die Puppenspielerin und Theaterwissenschaftlerin Silke Technau, Mitbegründerin des KOBALT Figurentheaters in Lübeck, einen Einblick in unterschiedliche eigene Inszenierungsprozesse. Als Forschungsschwerpunkt kristallisierte sich die Interaktion interdisziplinärer szenischer Mittel, wie das komplexe Zusammenspiel von Szenografie, Film und Puppe heraus. Ebenfalls mit einem interdisziplinären Interesse habe ich aus tanzwissenschaftlicher und choreografischer Perspektive Inszenierungen von rieselndem Schnee vorgestellt. Beispielhaft ist hierfür die Inszenierung „Die Schneekönigin*“ von systemrhizoma, die unter meiner künstlerischen Leitung entstanden ist. Mit der Befragung von Sehvorgängen, die auf Körper ausgerichtet werden, drehte sich meine Analyse um die Zusammenhänge zwischen Tanz-Figuren und solchen im Figurentheater.    Im abschließenden Plenum zeigte sich die Bedeutung von Perspektivwechseln als Bereitschaft und Fähigkeit, sich in andere Denkweisen und in Denkweisen Anderer hineinzuversetzen. Hervorzuheben war dabei die kritische Reflexion einer Idealisierung von Harmonie, der eine konstruktive Anerkennung von Unterschieden entgegengesetzt wurde. Diese lässt sich am Ende dieses Symposiums sowohl auf die praktische Arbeit des Inszenierens und Spielens als auch für die Reflexion von (politischen) Voraussetzungen für künstlerische Arbeit im internationalen Vergleich beziehen. – www.unima.de - www.vdp-ev.de – www.theater-der-nacht.de Ulrike Seybold, Dr. Antonia Napp, René Reith, Kata Csató, Stephan Schlafke, Silke Technau (v.l.), Symposium im Theater der Nacht. Foto: Lydia Boenisch

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SCHREI BPRAKTIKEN DES FIGURENTHEATERS IN WESTEUROPA Die internationale Konferenz „Portrait du Marionnettiste en Auteur“ in Montpellier Das Forschungsprojekt „PuppetPlays“ der Universität in Montpellier unter der Leitung von Didier Plassard widmet sich der Literatur von Theatertexten für das Figurentheater. Ein gewaltiges Unternehmen, unterstützt durch die Europäische Union. Die erste Konferenz richtete den Fokus 2021 auf Theaterliteratur von Autor*innen, die zweite widmete sich nun Stücken, die von Theatermacher*innen entwickelt wurden: Traditionelle und mündlich überlieferte Spieltexte, Variationen und Adaptionen sowie Gemeinschaftsarbeiten, die im Probenprozess entstanden. V o n F r a n k S o e h n l e /// Wann werden Texte ausgewählt und aus welchem Grund? Was bedeutet das für die Wahl der Mittel und die Besetzung? Wie werden die Stücke notiert? Was bleibt, wenn sie nicht mehr gespielt werden und wie könnten Institutionen wie Hochschulen bei der Bewahrung und Bewertung dieses Theatererbes beteiligt sein?    Vom 23. bis 25. Mai 2023 begleitete dieser Fragenkatalog die 45 Vorträge, Künstler*innengespräche und Diskussionen zwischen Theaterschaffenden und Wissenschaftler*innen. Nun hat Text im Theater mit Dingen, Puppen, Figuren und Materialien eine so vielfältige Bedeutung und wird in so verschiedenen Formen und Qualitäten eingesetzt, dass eine Zusammenfassung schwerfällt. Das spiegelte auch die Mischung aus wissenschaftlichen Beiträgen und Arbeitsberichten verschiedener Theater, von denen nachfolgend nur einige kurz vorgestellt werden können, und machte den Marathon aus Worten spannend und inspirierend für beide Seiten.    Didier Plassard konzentrierte in seiner Keynote die Fragestellung und den Stand der Dinge des „PuppetPlays“ Projekts. Ein Theatertext sei ein klassisches Festhalten von „linguistischer Realität und kristallisierter Sprache“. Das direkte Weitergeben von Stücken und Abläufen über Generationen von Puppenspieler*innen habe ein Festhalten jedoch oft nicht nötig gemacht. Die bisherigen Textsammlungen seien somit „eher Flugsand als Felsen“. Könne man sagen, dass es kaum Literatur für Figurentheater gibt und dadurch die Ausführenden automatisch zu Autor*innen geworden sind? Wie umgehen mit der visuellen Dimension des Figurentheaters, welche seine wichtige Stellung in der Entwicklung des Theaters im 20. Jahrhundert unterstreicht?

Vom Schreiben, dem Speichern und der Stille Das erste Künstlergespräch bestritt Bruno Leone (IT). Am Anfang seiner Stückentwicklungen steht eine Recherche; es folgt der Figurenbau, woraus szenische Ideen entstehen. Proben sind bei ihm technische Proben, das Spiel wird im Kopf imaginiert. „PULCHI, SHAKE & SPEARE“ entstand als Vermischung von Shakespeare Charakteren mit Pulcinella und Punch Figuren, bei welcher er die Sprache Shakespeares in die Pulcinellas übersetzte, um so „ein Konzentrat großer Literatur in Kurzform“ entstehen zu lassen. Am Abend waren Ausschnitte daraus live zu erleben.    Der Künstler Mervyn Millar (GB) sprach über die steigende Anerkennung von Figurentheater durch große Westend-Produktionen in London. Am Beispiel von „War Horse“ der Handspring Puppet Company erklärte er die emotionale Bindung des Publikums zur Tierfigur, die auf Bewegung und nicht auf gesprochenem Text beruht. Das zeigte sich schon im Probenprozess: Je mehr die Pferdefiguren zu leben begannen, desto mehr Text wurde vom Autor gestrichen.    Carole Guidicelli (FR) stellte die Arbeit von Philippe Genty vor und erörterte Interpretationen und persönliche Hintergründe sowie die Verbindung seiner Rollen mit seiner Biografie. Dabei legte sie den Fokus auf die Verwendung von Träumen und Kindheitserinnerungen. Genty nennt sie „Visual paradoxes“: Viele Traumbilder können benannt und dechiffriert werden, wie Symbole oder Teile eines Puzzles. Oft sind seine Stücke daher notiert wie Träume.    Shaday Larios (ES) macht dokumentarisches Objekttheater und hat mit zwei Kolleg*innen die Detektiv-Agentur der Objekte „El Solar“ gegründet, die nach Auftrag an unterschiedlichsten Orten über Dokumente und Objekte arbeitet. Meist in Zusammenarbeit mit Betroffenen, entstehen Installationen oder Präsentationen in Vortragsform. Die gesammelten Zitate auf Papier, Tonbandaufnahmen oder Interviews ergeben den Text.

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Das Duo Meinhardt & Krauss (DE) berichtete über seine Arbeit mit Robotern in Verbindung mit dem menschlichen Körper. Über „automatisches Schreiben“ im Team wurden zum Teil Texte für Stücke entwickelt, in anderen nutzten sie Zitate. Die Programmierung der Roboter lieferte wiederum Strukturen, die für Sound, Bewegung und Dramaturgie weiterverwendet werden konnten.    Renaud Herbin (FR) folgt in seiner künstlerischen Arbeit dem Material und nennt das „follow the flow – suivre le mouvement“. Bei vielen Projekten hat er ohne Text gearbeitet – aus Angst vor zu konkreten Worten. Später verstand er den Text als Material: Die Arbeit mit einem Tänzer führte beispielsweise über Beschreibungen der Bewegungen zu Textmaterial in poetischer Form.    Hana Ribi (CH) referierte über die Tradition des sozialkritischen Figurentheaters der Schweiz. Stark abstrahiertes Marionettentheater in den 1920er und 30er Jahren mit Texten von Jakob Flach und Adaptionen von Klassikern, positionierte sich klar gegen den Krieg. Auch Fred Schneckenburgers Puppencabaret und seine scharfen, poetischen Texte sowie spezielle Ästhetik wurden vorgestellt.    Mascha Erbeldings (DE) Vortrag „Hamlet und wir – Hamlet als Inspiration für Figurentheater“, verglich Textversionen verschiedener Bühnen aus verschiedenen Epochen. Sie entwickelte unter den Hauptthemen Komödie, Manipulation, Leben und Tod, Wahnsinn, dem Erscheinen des Geistes und dem Thema des Erwachsenwerdens spezifische Zugänge des Figurentheaters.    Der runde Tisch „Schreiben mit Licht“, befasste sich mit dem Schattentheater. Jean-Pierre Lescot (F) sprach über die Dunkelheit, aus der die Schatten kommen; für ihn die Stimmen der Toten. Für Michèle Augustin (F) bringt die spezielle Energie des Schattenspiels eine neue Perspektive und lässt eine andere Wahrnehmung von Zeit entstehen. Wenn die zweidimensionale Bildwelt nicht linear erzählt, entstehen dadurch neue Möglichkeiten für Texte?

Ein wichtiges Unternehmen So vielfältig wie die künstlerischen Herangehensweisen und Diskussionsbeiträge, so reichhaltig ist auch das Forschungsprojekt selbst: PuppetPlays.eu ist online und besteht mittlerweile aus 490 Figurentheater Texten, darunter 113 aus Deutschland. Englische Übersetzungen sind in Arbeit. Filter zu Jahr, Rollen, Titel, Autor*innen, Figurenart, Themen, dramaturgischen Aspekten und vielen anderen Suchbegriffen ermöglichen das Auffinden von Textmaterial und Sekundärinformationen, teilweise auch mit Bildmaterial und Filmausschnitten. Ein großartiges Archiv am Beginn also – und eine wunderbare Inspirationsquelle zwischen gestern und heute. – https://puppetplays.www.univ-montp3.fr/ Florence Thérond, Carole Guidicelli, Lars Rebehn und Francesca Di Fazio bei der PuppetPlays Konferenz. Foto: © PuppetPlays

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WO DIE PUPPEN (NICHT ) WOHNEN Zu Besuch in der Ausstellung „(K)ein Puppenheim“ im Münchner Stadtmuseum

Die Sonderausstellung „(K)ein Puppenheim. Alte Rollenspiele und neue Menschenbilder“ (22.04.2023–07.01.2024) im Münchner Stadtmuseum verbindet gekonnt die Sammlung Puppentheater / Schaustellerei mit Gegenwartskunst aus der Sammlung Goetz und Arbeiten aus der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums. Dieser Dialog mit Arbeiten zeitgenössischer Kunst ermöglicht einen neuen Blick auf Exponate der Dauerausstellung, die fast 40 Jahre im Münchner Stadtmuseum zu sehen war. V o n A n n i k a G l o y s t e i n /// Ein roter Theatervorhang bildet den Eingang. Durch diese Projektion (aus der Filminstallation „Floating Food“ von der Künstlerin Ulrike Ottinger) auf einen weißen Lamellenvorhang gelangt man in die Sonderausstellung. Diese Gleichzeitigkeit von Doppelung und Ergänzung könnte als Entree nicht passender sein, sollen doch hier neue Perspektiven auf die Sammlung geboten werden. So heißt es in der Einführung: „Das Kooperationsprojekt hinterfragt spielerisch die bislang nach Objektgattungen geografisch und chronologisch gegliederte Dauerausstellung Puppentheater / Schaustellerei, die von 1984 bis 2022 in diesem Räumen zu sehen war. Im Zusammenspiel mit Interventionen in die vorhandene Architektur eröffnen sich neue Perspektiven und Freiheiten, die einen Blick in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Münchner Stadtmuseums zugleich gewähren.“ Exponate aus der Sammlung Goetz und aus der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums sollen in einen Dialog mit den vorhandenen Objekten treten. Ein in 13 thematische Bereiche gegliederter Parcours führt durch die Ausstellungsräume. Installationsansichten von (K)ein Puppenheim. Alte Rollenspiele und neue Menschenbilder. Foto: © Münchner Stadtmuseum

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AUSSTELLUNG

Die Puppe als Projektionsfläche für Identitäten und Sehnsüchte ... Gleich im ersten Raum „Rollenspiele und Menschenbilder“ präsentiert sich die simple wie eindrückliche Arbeit „Machine Readable Puppenheim“ des Münchner Künstlers Florian Freier, die extra für die Ausstellung entstanden ist. An der Wand neben der großen Vitrine mit über 400 Puppenköpfen vom 18. bis 20. Jahrhundert hängen über 50 Plakate mit je einem Puppenkopf aus dieser Sammlung und dazugehörige Angaben wie Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit und Stimmung, die von einer Gesichtserkennungssoftware analysiert wurden. Es ist spannend, welche – vermeintlich objektiven – Zuschreibungen die Algorithmen den Puppengesichtern gegeben haben. Manches Ergebnis macht stutzig, so wie dieses: 18 % männlich, 28 % falsches Lächeln, 43 Jahre, 63 % weiß und eine Stimmung von 100 % verängstigt. Dies sind die Werte zum Puppenkopf, der gängig als „Teufel“ bezeichnet wird. Der, der Angst und Schrecken verbreiten soll, hat einen verängstigten Gesichtsausdruck? Und tatsächlich: Denkt man sich die Hörner und die rote Farbe weg, käme man nicht auf die teuflische Assoziation. Was Kategorisierungen und vorurteilsbehaftete Wahrnehmung bedeutet, zeigt sich auch in der Animation dieser Puppenköpfe auf einem Monitor. Mit der Betätigung eines Pedals kann man sie bekannte Popsongs singen hören. Zuweilen ist es komisch und auch ein wenig gruselig, wenn die Stimmen von Elton John oder Tina Turner aus den Mündern dieser Puppen klingen und sich sogar ihre Augenbrauen im Takt der Musik bewegen.    Mit Freiers „Puppen-Steckbriefen“ korrespondieren auf der gegenüberliegenden Wand Porträtfotografien von August Sander, Gillian Wearing, Laurie Simmons und Cindy Sherman, die Fragen nach menschlicher Selbstinszenierung und Rollenzuschreibung aufwerfen.

... aber auch für Vorurteile und Rassismen Das Kapitel „Licht und Schatten. Schwarz und Weiß“ weist nicht nur auf die Verwendung von Schatten- und Silhouettenfiguren hin, es geht vor allem um das Reflektieren rassistischer Stereotype. Die Vitrine mit Figuren des Münchner Marionettentheaters aus dem 19. Jahrhundert zu Franz von Poccis Stück „Casperl unter den Wilden“ mit rassistischen Gedankenmustern aus der Kolonialzeit, bis 2022 Teil der Dauerausstellung, wird nun durch die Audio-Installation „Dieses wahre innere Afrika“ vom Kulturanthropologen Julian Warner kommentiert. Weitere reflektierte Arbeiten sind in direkter Nachbarschaft zu sehen: Figuren und Videoarbeiten von William Kentridge und der südafrikanischen Handspring Puppet Company sowie der Film „Fall Frum Grace. Miss Pipi's Blue Tale“ der Afroamerikanerin Kara Walker, der mit Schattenrissen die Geschichte der Sklaverei in den USA thematisiert.    Im Bereich „Kriegsspiele“ sind ebenfalls eindrucksvolle Filme zu sehen: Die israelische Künstlerin Yael Bartana erweckt in ihrer filmischen Animation „Entartete Kunst lebt“ Otto Dix‘ Gemälde „Kriegskrüppel“ zum Leben und der ägyptische Künstler Wael Shawky setzt sich in „Cabaret Crusades“ mittels Marionetten aus Glas mit der Geschichte der Kreuzzüge auseinander.    Eine Fülle an Exponaten gilt es zu entdecken. Sie greifen Teile der Sammlung auf, kommentieren mal deutlich, mal eher versteckt. Immer wieder erscheint an den Ausstellungsstücken ein Buch-Symbol, das auf ausführliche Hintergrundinformationen im kostenlosen Begleitheft hinweist. QR-Codes am Boden weisen auf die multimediale Web-App und ihre vertiefenden Inhalte hin. Verschiedene Stationen laden dazu ein, aktiv zu werden: Sei es Puppenköpfe zu ertasten, ein Puppenhaus mit all seinen Bewohner*innen zu bespielen, einen Schalter zu betätigen, der einen lebensgroßen Clown sich vor Lachen auf seinem Stuhl schütteln lässt oder der ein Zoetrop in Bewegung und damit die Einzelbilder eines Pferdes in der Trommel zum Laufen bringt.    Man verlässt die Ausstellung auf gleichem Wege wie man gekommen ist, betätigt noch einmal das Pedal und lässt einen animierten Puppenkopf mit Glatze und Zahnlücke „Sexy and I Know It“ laut durch die Ausstellung singen.    Voller neuer Eindrücke und ein wenig wehmütig, ob der baldigen Schließung des Hauses, geht man durch den „Theatervorhang“ hinaus. Dass die bevorstehende Generalsanierung bis voraussichtlich 2031 zum Anlass für die Sonderausstellung genommen wurde, zeigt den Willen zur Erprobung neuer Ausstellungskonzepte und macht neugierig, wie die Sammlung Puppentheater / Schaustellerei danach präsentiert wird. Aber erstmal wird der Besuch der Sonderausstellung noch bis zum 7. Januar 2024 dringend empfohlen! – www.muenchner-stadtmuseum.de Installationsansichten von (K)ein Puppenheim. Alte Rollenspiele und neue Menschenbilder. Foto: © Münchner Stadtmuseum

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INSZENIERUNG

DER EWIGE WETTKAMPF Wenn Verlorenes die Gegenwart befragt: „Mata Dora“ von El Cuco Projekt V o n C h r i s t o f e r S c h m i d t /// In Köln haucht El Cuco Projekt einer ausgestorbenen Wildrindart neues Leben ein und schickt sie vom Jenseits auf den Tennisplatz. Zwischen sportlichem Eifer und idyllischen Weidemomenten entspinnt sich eine amüsantmelancholische Performance.    Lange wurde das Bild dieses berühmten Rückschlagsports von Persönlichkeiten wie Serena Williams oder Steffi Graf geprägt. Doch inzwischen stehen neue Stars am Tennishimmel bereit: Zwei besonders aufstrebende Spielerinnen präsentieren Sonia Franken und Gonzalo Barahona (El Cuco Projekt) in ihrem aktuellen Tanzperformance-Projekt „Mata Dora – ein tierisches Sportereignis“. Die Titelgebenden Protagonistinnen Mata und Dora sind Chimären aus Mensch und Kuh. Sie tragen hyperrealistische Masken, die dem in Europa ausgestorbenen Auerochsen (Bos Primigenius) nachempfunden sind. Kopfabwärts sind ihre menschlichen Körper in moderne Sportoutfits gehüllt.    Zu Beginn ertönt Vogelgezwitscher, Mata und Dora entspannen in der Horizontalen. Auch das Summen imaginärer Fliegen stört sie nicht. Ihr herrliches Nichtstun entfaltet einen kontemplativen Sog, bis ein lauter Knall den Frieden stört. Eine Tasche fällt vom Theaterhimmel und die neugierigen Hybridwesen, die gerade noch innig beieinander geschlummert haben, stehen sich konfrontativ gegenüber. Jede mit einer Hand am Tragegriff dieses metallisch glänzenden Objekts.    Licht und Sound kreieren eine geheimnisvoll düstere Atmosphäre, bis allmählich das Innere der Tasche hervorgeholt wird. Den Anfang machen zwei Goldmedaillen, die beim Aufeinanderschlagen das Geräusch einer Kuhglocke erzeugen und gleichzeitig das Startsignal für ein Duell liefern. Es folgt eine Trophäe, die einen Auerochsen im Stil der berühmten Oscar-Statue zeigt, dann zwei Tennisschläger – das Match beginnt!    Der dazugehörige Ball wird akustisch und pantomimisch erzeugt. Dabei mischen sich unter die Schlaggeräusche Sounds (Komposition: Jörg Ritzenhoff), die mal an Naturlaute wie das Hämmern eines Spechtes erinnern, mal an die Brutalität zivilisatorischen Fortschritts wie die Schüsse eines Maschinengewehrs. Das Bewegungsrepertoire der beiden Performerinnen Jimin Seo und Margherita Dello Sbarba changiert permanent zwischen Wiederkäuer und Homo athleticus. Auf mehreren Ebenen erfolgt so eine Kontrastierung von harmonischem Urzustand mit entfremdetem Kulturdasein – das mag plakativ wirken, doch durch den immer wiederkehrenden Humor der Inszenierung entsteht Raum für komplexere Lesarten.    Die Absurdität menschlicher Wettkampflust wird ebenso offenbar, wie die traurige Gewissheit, dass uns neben dem friedlichen Miteinander (sofern es je da war), auch der Auerochse abhandengekommen ist – wobei abhandengekommen zu euphemistisch ist: er wurde gejagt und ausgerottet. In dieser unmöglichen Begegnung mit seinem Bühnen-Antlitz wächst die Sehnsucht nach Wiedergutmachung. Der utopische Wunsch nach einer Welt ohne Ausbeutung, Konkurrenzkampf und undurchsichtige Spielregeln nimmt hier für kurze Zeit Gestalt an.    Allerdings bleibt unklar, ob es Mata und Dora am Ende der Performance besser ergeht als ihren Vorfahren: Die zuvor an die Tennisschläger gekoppelten Geräusche emanzipieren sich. Verwirrt und mit dem Rücken zum Publikum suchen die beiden nach der Quelle der nun folgenden Sounds, die sich anhören, wie das Verriegeln eines Tores und ein Bolzenschuss. Oder war es vielleicht doch nur der Aufschlag eines Balls? – www.elcucoprojekt.com El Cuco Projekt, Mata Dora. Foto: Julia Franken

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INSZENIERUNG

PAPIERBLUMEN IM SCHAUMSTOFFGARTEN Zu Besuch „Im Garten der Potiniers“ bei der Ruhrtriennale Vo n A n n i k a G l o y s t e i n /// Die Versuchung ist groß über die Schaumstoffoberfläche zu streichen, die abgeknickte Papierblume wiederaufzurichten, die umherliegenden Kügelchen aufzusammeln. Doch wie uns bei der Einführung erzählt wurde, haben Berge nun mal keine Hände und daher müssen die unter der Platte bleiben. Es bleibt, alles mit dem Blick abzutasten. „Im Garten der Potiniers / Au jardin des Potiniers“ sitzt das Publikum inmitten eines Wimmelbildes, in einer Pop-up-Landschaft, einer lebendigen Installation der französisch-belgischen Compagnie Ersatz und der Quebecer Theatergruppe Création Dans la Chambre. Gebückt habe ich mich unter die Platte begeben, meinen Kopf durch das Loch gesteckt und auf dem Drehhocker Platz genommen. Um mich herum erstreckt sich eine bunte Landschaft aus Schaumstoff. Der Boden vor mir beginnt sich zu heben und zu senken, er scheint zu atmen. Die Augen wandern umher. Wo wird sich wohl als nächstes etwas bewegen? Wird dieser Knubbel da vorne auch noch zum Protagonisten? Die Papieransammlung da hinten hat sich schließlich auch gerade in eine Blume verwandelt. Ein aufmerksames, gebanntes Schauen bestimmt die 50-minütige wortlose Vorstellung für Menschen ab 7 Jahren. Doch nichts bewegt sich von Geisterhand. An jeder der sechs Platten ist ein Mitglied des künstlerischen Teams damit beschäftigt, an verschiedenen versteckten Fäden zu ziehen, damit der Garten vor unseren Augen zum Leben erwacht. Aus dem Augenwinkel sehe ich immer wieder die hochkonzentrierte Spielerin meiner Gartenparzelle, die gleichzeitig mit den Anderen versteckte Mechanismen auslöst, die einen staunen lassen: Die Blüte an einer Drahtfeder schleudert bunte Kügelchen durch die Luft. Palmen richten sich auf, kleine Blumen entfalten sich und vergehen wieder, woanders blühen welche auf, beginnen im Dunkeln zu leuchten. Tiere gibt es in diesem Garten auch. Da fliegt an einem langen Stab geführt ein Mobile mit weißen Papierfetzen über unsere Köpfe hinweg und erinnert an vorbeiziehende Vogelschwärme. An einer Metallfeder streift ein propellerartiges Wesen über den Schaumstoffrasen, nähert sich einer Drahtblume und versinkt in der Blüte. Es summt und surrt, als könnte man die elektrische Ladung hören, die die Hummel zur Blume führt. Menschen spielen in diesem Setting keine Rolle. Wir sind nur die stummen Zeug*innen eines Bergmassivs.    Der Hocker, auf dem jede*r sitzt, ist zwar drehbar, aber es gibt trotzdem keinen Rundumblick. Jedes Loch hat an einer Stelle einen Bergvorsprung, eine Schaumstoffummantelung. Sie definiert den eigenen Blickwinkel auf den Gartenausschnitt und separiert durch ihre Anordnung die Berge voneinander. Ich muss mich schon recken und verdrehen, um einen anderen Kopf zu erspähen. Auf der Fläche zwischen uns zieht ein Schaumstoff-Etwas an uns vorbei, unsere Blicke treffen sich und ein Lächeln fliegt von Berg zu Berg.    Die Schönheit und Zerbrechlichkeit der Natur lässt sich auch in einem völlig unnatürlichen Setting erfahren. Und wenn dann nach der Vorstellung vor PACT Zollverein ein Insekt an mir vorbeifliegt, hat sich der Blick auf die Umwelt sensibilisiert. Möge er lange anhalten! – www.ruhrtriennale.de – www.espacejungle.com Compagnie Ersatz, Création Dans la Chambre, Im Garten der Potiniers / Au jardin des Potiniers. Foto: Blandine Soulage

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SCHWEIZER FENSTER

WELTENTWÜRFE IM MINIATURMODELL Utopien und Dystopien in „Civitas Cunt“ von Dubs/Schnakenberg und „Five Lines“ von Cia. Frau Trapp Gleich zwei Produktionen von (teilweise) in der Schweiz angesiedelten Kollektiven setzen sich anhand von Miniaturmodellen mit Gedanken zu unserer jetzigen Welt auseinander, indem sie eine Utopie bzw. eine Dystopie entwerfen und durchspielen. Im Zentrum steht dabei jeweils die Frage: Was wäre, wenn? Vo n F r a n z i s k a B u r g e r /// Wie würde eine Stadt aussehen, die von Frauen entworfen wurde? Wäre sie barrierefreier, sicherer, mehr auf das gemeinschaftliche Leben ausgerichtet als die jetzigen – naja, mehrheitlich von Männern entworfenen – Städte?    Diese Frage steht am Schluss der Produktion „Civitas Cunt – Stadt der Frauen“, kreiert von Dubs/Schnakenberg. Doch wird sie letztlich offen bleiben müssen, denn die im Stück vorgestellten Entwürfe sind – im ursprünglichen Sinne des Wortes Utopie, abgeleitet von altgriechisch οὐ ou „nicht“ und τόπος tópos „Ort, Stelle“ – nicht existierende Orte, beziehungsweise „Nicht-Orte“.

Stadtutopie Auch wenn diese Orte nicht existieren ist klar, dass sie keine gegen das Patriarchat gerichteten Wunschvorstellungen des 21. Jahrhunderts sind, sondern die Idee mindestens seit dem frühen 15. Jahrhundert zirkuliert: Die Produktion orientiert sich am 1405 entstandenen Werk „Das Buch von der Stadt der Frauen“, verfasst von der französischen Schriftstellerin und Philosophin Christine de Pizan, einer der ersten Frauen in der westlichen Welt, die von ihrem literarischen Schaffen leben konnte. Die Figur der de Pizan tritt auch zu Beginn der Produktion von Dubs/Schnakenberg auf: Eine Figur, gestaltet nach dem Vorbild höfischer Frauen im Mittelalter, der drei Frauen der Moderne entgegen treten, denen de Pizan Baustoffe mitgeben möchte, um die Stadt ihrer Wunschvorstellung gestalten zu können. Anhand dieser drei fiktiven Biografien werden die Herausforderungen von patriarchal gestalteten Stadtlandschaften und Gesellschaften genauer beleuchtet.    Im Massstab 1:50 entwerfen Petra Schnakenberg (Szenografie und Spiel) und Chantal Dubs (Spiel) kleine Miniaturwelten, die sie nicht nur als Szenerie für ihr Spiel nutzen, sondern die selbst auch Teil des Gedankenspiels sind. Dubs und Schnakenberg begleiten dabei mit Handykameras, deren Bilder auf eine Leinwand über der Bühne projiziert werden, die Frauen und ihre jeweiligen Geschichten. Welchen Einfluss hatte das Patriarchat auf ihre Biografien? Was fehlte ihnen, damit sie sich entfalten, Anerkennung erhalten, sich beruflich und persönlich weiterentwickeln konnten? Welche Zwänge, aber auch welche Voraussetzungen bildeten die Architektur und die soziale Komponente des Raumes? Der Fokus liegt dabei auf der Perspektive von Frauen, die den Grossteil der Care-Arbeit übernehmen, die von Termin zu Termin eilen, um frühzeitig das Kind von der Kita abzuholen und dabei auf die eigene Dubs/Schnakenberg, Civitas Cunt. Foto: Johanna Saxen

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SCHWEIZER FENSTER

Karriere verzichten müssen. So werden drei Portraits von Frauen und ihren jeweiligen (Stadt-)Biografien gezeichnet, beginnend in den 1950ern bis Heute und mit einem Ausblick in eine utopische Zukunft in Form der Civitas Cunt: Eine Stadt, geformt wie eine Vulva. Und damit ein Sinnbild, das nicht nur all den phallischen Denkmälern und Gebäuden entgegengestellt wird, die heute unsere Stadtbilder dominieren, sondern auch der Denkweise, die dahinter steht.

Dystopische Zukunft Eine ähnliche Inszenierungstechnik wählen auch das Schweizerisch-Spanische Kollektiv Frau Trapp in der Produktion „Five Lines“ (Regie: Natalia Barraza). Auf mehreren Tischen werden Miniatur-Szenarien aufgebaut, die im Verlauf der Aufführung als Spielorte der verschiedenen Szenen fungieren. Ein Team aus mehreren Personen, die mit Kamera ausgerüstet sind, filmen jeweils die von den Spieler*innen manipulierten Figürchen. Von Spieler und Musiker Matteo Frau werden die Aufnahmen live geschnitten. Das technische Zusammenspiel mehrerer Kameras ermöglicht erst, das Stück vor einem grösseren Publikum umsetzen zu können. Die Gruppe selbst bezeichnet ihre Herangehensweise als „Live Kino-Theater“.    Statt einer Utopie zeigen Frau Trapp allerdings eine Dystopie: Eine Welt nach dem Klimakollaps, in der Leben nur noch in Städten unter der Erdoberfläche möglich ist und Sicherheit über Freiheit gestellt werden muss, wenn man in ihr überleben möchte. Die Zuschauenden folgen dabei einer kleinen Gruppe von Freund*innen – darunter ein Liebespaar –, die durch die Geschehnisse gespalten werden: in eine Gruppe, die vor dem herrschenden Regime flüchtet und zu Gejagten wird sowie einen Musiker, für den die Musik an erster Stelle steht. Um diese weiterhin praktizieren zu können, akzeptiert er erst sein Leben im Regime, doch gelingt ihm am Ende ebenfalls die Flucht.    Das Spiel rund um die Frage „Was wäre, wenn?“ rückt hier den Negativ-Entwurf ins Zentrum: Was passiert, wenn wir nichts tun, wenn wir die Klimakrise einfach fortschreiten lassen? In was für einer Welt leben wir dann, im Jahr 2040?

M i n i at u r w e lt e n Miniaturwelten ermöglichen das Nachdenken und Erproben von anderen Welten. Die Spielenden selbst fungieren dabei als Weltenbauer*innen, als Gestalter*innen ihrer eigenen Wunsch- und Albtraumvorstellungen. Es fällt bei den genannten Beispielen auf, dass beide Gruppen sich selbst jeweils als zentrales Element miteingefügt haben: Frau Trapp haben die Figuren nach ihren eigenen Fotos gestaltet, bei „Civitas Cunt“ durchbrechen Dubs und Schnakenberg wiederholt das Spiel, um ihre eigene(n) Geschichte(n) einfliessen zu lassen. Die Integration des eigenen Selbst in das Spiel mit Miniaturwelten erlaubt zweierlei: Durch die Schaffung einer räumlichen Distanz können die Performer*innen eine Aussenperspektive einnehmen und sich selbst und die eigene Position in einem grösseren Ganzen (Klimakrise, Patriarchat, Gesellschaft, Zukunft, …) reflektieren. Zugleich kann in Form der Miniaturwelt die ganz eigene Vision einer idealen oder albtraumartigen Welt ausgelebt und greifbarer gemacht werden.    Die beiden Produktionen rufen dabei etwas in Erinnerung: Auch wenn die Miniaturwelten harmlos und frei von jeglichen im Spiel thematisierten Konsequenzen scheinen mögen, beginnt doch die Entwicklung eines jeden Gebäudes, jeder Stadt oder Strahlenschutzanlage erst als solche: als Entwurf. – www.petraschnakenberg.com - www.frautrapp.com Cia. Frau Trapp, Five lines. Foto: © Cia. Frau Trapp

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„Ich möchte nichts wissen, ich möchte herausfinden.“ Priska Praxmarer im Portrait Die freischaffende Theatermacherin Priska Praxmarer wurde dieses Jahr mit dem PRIX ASSITEJ Schweiz für ihr Engagement als Kulturschaffende ausgezeichnet. Moritz Schönbrodt hat mit ihr gesprochen und sie für double portraitiert. V o n M o r i t z S c h ö n b r o d t /// „Wochenlang haben wir Spaghetti gefressen. Rein in die Stadt, spielen, raus aus der Stadt, proben, rein in die Stadt, wieder spielen. Das Geld ging für den Sprit drauf. Der Rest für Spaghetti.“ – Ihre erste Reise als Straßenkünstlerin ist für Priska Praxmarer eine Erfahrung, die für die Autodidaktin in Sachen Puppenspiel prägend sein wird. Zum Puppentheater wird sie allerdings erst später kommen und das zunächst aus ganz pragmatischen Gründen.    Als Priska Praxmarer ihr Diplom in Sozialpädagogik macht, ist ihr schon klar, dass sie in diesem Beruf wohl kaum arbeiten wird. Seit ihrer Jugend macht sie Theaterprojekte, besucht Kurse z. B. bei Walter Hess und in der Mimenschule Ilg in Zürich. Statt an ihrer Diplomarbeit zu schreiben, sieht sie sich lieber die Schweizer Varieté-Theatergruppe Karl‘s kühne Gassenschau an, wo sie im Regen unter einer gemeinsamen Decke Elli Huckenbeck kennenlernt, mit der sie später auf Tour durch Deutschland, Frankreich und Italien gehen wird. Sie probieren sich mit wandelbaren, abstrakten Kostümen in den Innenstädten aus. Es ist eine harte Schule, das Straßentheater. Praxmarer erfährt hier vor allem zweierlei: Da ist zum einen die Aufregung, die Angst vor dem Auftritt, und gleichzeitig der Drang weiterzumachen, der sie bis heute antreibt. Zum anderen beginnt sie zu verstehen, was es bedeutet, mit dem Publikum in einen gemeinsamen Rhythmus, einen Atem zu kommen.    Danach arbeitet sie ein Jahr als Theaterpädagogin, bevor sie Teil des Circolino Pipistrello, einem Mitspielzirkus, wird. Auf einen Schlag lernt sie dort Traktor zu fahren, ein Zweimastzelt aufzubauen, Bass zu spielen und Nummern zu kreieren und einen Zirkuswagen zu renovieren.    Im Zirkus machen alle alles – und auch danach wirkt Praxmarer in verschiedenen Bereichen. Die Autodidaktin arbeitet mit bildender Kunst im Panoptikum Pazzo, macht Performances, Bewegungs-, Tanz- und Improvisationstheater.

Mit Pragmatismus zur Puppe 2004 lernt sie in einer Produktion Dirk Vittinghoff kennen. Die beiden treffen sich in ihrer künstlerischen Sprache und beginnen von da an, weiter miteinander zu arbeiten.    Für eine seiner nächsten Produktionen soll sie Puppen bauen, weil mehr Figuren auf der Bühne gebraucht werden, als Spielende zur Verfügung stehen. Schnell wird aus der ursprünglich ökonomischen Entscheidung, Puppen und Schauspielende gleichberechtigt auf der Bühne spielen zu lassen, das Arbeitsprinzip für Praxmarer und Vittinghoff.    In der Folge entstehen Stücke in unterschiedlichen Konstellationen. Kinderstücke produzieren sie gemeinsam mit Vivianne Mösli als „Die Nachbarn“. Bei Erwachsenenproduktionen stößt Praxmarer zur Gruppe um Armin Kopp, Philippe Nauer und Dirk Vittinghoff dazu.    Vittinghoff ist jeweils für Regie, Lichtkonzept und Technik zuständig, Praxmarer kümmert sich um Puppenbau und -spiel. Konzepte und Dramaturgie erarbeiten sie in der Gruppe, oft lassen sie sich von vorhandenen Strukturen inspirieren, wie in „Der Gurkenkönig“ nach Christine Nöstlingers „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ oder „Bern sehen und sterben“, das vom Film „Brügge sehen… und sterben?“ inspiriert wurde. Steht die Dramaturgie fest, beginnt Praxmarer mit dem Puppenbau. Sie versucht zunächst „die Seele der Figur zu fassen“ indem sie im Netz recherchiert, Gebrauchtwarenläden und ihren eigenen Fundus durchwühlt. Ihre Puppen entwickelt sie dann aus der Figur und dem Material heraus in der Werkstatt. Sind die Puppen gebaut, folgt auf ein freies Ausprobieren mit ihnen ein stringenter Probenprozess, in dem die Szenen entlang der Dramaturgie entwickelt werden. Hier trifft es sich, dass Praxmarer und Vittinghoff sich in einer gemeinsamen Sprache gefunden und einen ähnlichen Umgang mit Figuren haben.    Auf diese Weise entsteht auch das internationale multidisziplinäre Projekt „Blood Kiss“ mit dem Danstheater AYA aus den Niederlanden und Nauer, Praxmarer und Vittinghoff.

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SCHWEIZER FENSTER

2018 werden sie mit „Fünf Gründe, warum Delfine böse Tiere sind“ zum Schweizer Theatertreffen eingeladen.    Auch in anderen Konstellationen arbeitet Praxmarer: etwa als Regisseurin, Theaterpädagogin, als beratendes Auge von Außen oder auch als bildende Künstlerin, z. B. für die Ausstellung „Anverwandeln von Welt“ in der Villa Wild in Muri (CH).

„W e r ’ s g e s e h e n h at, hat’s gesehen“ Praxmarer ist mit Leib und Seele Theaterschaffende. Was sie fasziniert, ist, mit wenigen Mitteln viel zu erzählen. Das kommt ihr als Teil der Freien Szene natürlich zugute – viele ihrer Bühnenbilder lassen sich in ihrem Auto transportieren – doch auch abseits der Transportfrage schätzt sie die Freie Szene als Inspirationsort sehr, schließlich bedienen sich auch die staatlichen Häuser immer wieder dort. Auf die entsprechende angemessene Mittelverteilung wartet sie ein Berufsleben lang. Sicher ist sie nicht die einzige.    Das Theater als ein Ort des Moments und damit des Vergänglichen ist von jeher Triebfeder ihrer Kunst: „Wer’s gesehen hat, hat’s gesehen – es ist Theater und ansonsten weg.“    Dass nicht nur das Theater vergänglich ist, wird ihr 2022 schmerzlich vor Augen geführt. Ihr langjähriger Arbeits- und Lebenspartner Dirk Vittinghoff stirbt im Alter von 62 Jahren.    Wie oft trifft man im Leben einen Menschen, mit dem man so viel teilen kann? Der Humor, die künstlerische Sprache – Vittinghoffs Tod ist ein großer Verlust für Praxmarer, und das nicht nur auf Arbeitsebene. Noch spielt sie Stücke, die beide zusammen entwickelt haben und noch kommt seine Stimme an einigen Stellen aus dem Off, wenn sie spielt.    Doch neue Projekte sind in Planung. Aktuell steckt sie in einem Recherche-Projekt mit dem Theater Sgaramusch und dem TheaterBlau.    „Ich lebe noch immer dasselbe Leben, aber es ist ein anderes Leben“, sagt sie, ganz im Sinne ihres Lebens- und Arbeitsprinzips: „Ich möchte nichts wissen, ich möchte herausfinden.“    Für ihr „langjähriges Engagement als Kulturschaffende in der freien Theaterszene“ erhält Praxmarer nun im Jahr 2023 den PRIX ASSITEJ Schweiz. – www.assitej.ch Priska Praxmarer in Bern sehen und sterben. Foto: Yoshiko Kusano

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ENGLISH SUMMARIES

S U MM A R I E S T H EM E OF D OUB LE 48:

introduced in 1993 by the French philosopher Jacques Derrida in his book “Spectres of Marx”. It is a perception of the return or persistence of elements of the social or cultural past that return to haunt us like ghosts.

A p o s t ca rd t o ut opia (p. 6–8) How does utopia intervene in our everyday lives? And what has that got to do with figure theatre? Telling stories and performing a “better world” come together in theatre to plant utopias in our heads. Here figure theatre can use its particular relationships to objects and materials, especially in regard to posthumanistic utopias of a different perception of the world and how we relate to it, as Meike Wagner states in her article.

Mel ancholi c consol ati on The utopias of Philippe Quesne and his Vivarium Studio (p. 17–19) On the basis of the two productions “Farm Fatale” and “Le Jardin des Délices”, Anke Meyer shows that despite all the basic dystopian situations in the works of Philippe Quesne and his Vivarium Studio, the utopian always appears and ultimately manifests itself as something comforting when we leave the theatre. This is not least due to the way in which this theatre company from Paris has been developing its themes and plays in their collaborative artistic encounters over the past 20 years.

Hen Queer puppet cabaret as a utopian perspective for sexual body identities (p. 9–11) Named after the gender-neutral swedish pronoun “Hen” is a queer puppet show created in 2019 (and still performed) by the French artist Johanny Bert. The theatre scholar Antoine Hirel describes how the continual rearrangement of puppet bodies is turned into a materialisation of new and utopian concepts on the body, since it deconstructs essential, binary, heteronormative identities and envisions pluralities of bodies.

Messages from other pl aces (p. 20) Lara Epp, Viktoria Kasprik and Eva-Maria Hasler, three students of figure theatre from the Stuttgart University of Music and Performing Arts, have sent us their thoughts on ’utopia’. They talk about islands in scheduled study programmes, the utopia of figure theatre magicians and their exasperation with utopian references to an unspecified future.

Th e i n v i sible fact ors t h at b i n d us t oget h e r – gr av i t y a n d m agn e t ism

Puppet theatre and space travel The question of identity in utopian-dystopian science fiction plays (p. 21–23) Who is the man in the moon? In her article Manuela Mohr outlines the connections between marionette theatre and science fiction. Here the question of the identity of the ’human’ as a blueprint for the future has been repeatedly posed anew and in different ways since the 19th century. In numerous puppet plays, the author highlights aspects of science fiction that work with the specific potential of the puppet as an embodiment of the ’other’.

(p. 12–13) Rafi Martin describes utopian aspects in his projects “The Ceremony of Weight” and “Resonancias”. Weight and gravity, meteorites and magnetism enter into a relationship with us that reaches out beyond familiar worlds of experience. The artist seeks to work with forms that question inner life, intuition and ritual. A way of inviting utopian forms to creep in and take shape in realities; and spring out of them.

Youthful hopes

A lways m ovin g forwa rd ! (p. 14) Christoph Bochdansky sits, ponders and rummages around. Then he exclaims that enthusiasm is utopia: it gives a direction and points straight ahead to what is to come. Enthusiasm for an idea that propels us forward, unburdened by all the difficulties of implementation – this is what sparks us off. Everything that inspires us is utopia. But since so many people are intensively involved in puppetry, utopia must be found in what they do.

Searching for and finding Utopia (p. 24–27) Under the title “Qutopia – an experimental arrangement”, in the 2022/23 season fourteen young people aged between 17 and 28 from the Queer Club of the Theater der Jungen Welt in Leipzig set out in search of utopia. For double, AnnaMaria Polke talked to the directors Adam Williams and Veronique Nivelle as well as the performers Carla Bublitz, Sixtine Dromigny and Katja Peter about their joint work and the necessity of creating ideal images on stage.

W h y d o we pract ice t h e at re

SUMMARY OF THE SECTI ONS

and art in these times when we have every reason to panic and rebel over the climate crisis in the hope of accelerating the necessary transformations? (p. 15) Nicole Beutler wants to practice the future and think beyond fear, beyond the possible, beyond the obvious, beyond what we already know. The theatre offers space to think, space for imagination and for gradual change. This is the challenge of our time: how can we bring about a vision of a more balanced coexistence with the planet?

(p. 28–49) The second part of the issue starts with a report from this year's edition of the international Figure Theatre Festival in the Erlangen, Nuremberg, Fürth and Schwabach area. As André Studt observes the festival and its artists needed a run-up to pick up speed once more after the digital edition during the pandemic and in regard to addressing the ongoing multiple crises of our time. Celine Klotz reflects on animation in her text “The Art of making things alive” on the occasion of the anniversary of the FITZ and the Stuttgart course in figure theatre. In doing so, she emphasises the subversive and sometimes utopian potentials that can be developed by creating a bond between people and objects in theatre. In Leipzig, the Westflügel also celebrated its anniversary and, as part of the “Twist it! Figure and Dance” festival, demonstrated not only the range of the

"Th e gh o st s I sum m on ed ..." (p. 16) Johanna Schallermayer, a student of theatre studies, concerns herself with the concept of hauntology, a neologism made up of ’to haunt‘ and ’ontology‘, first

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ENGLISH SUMMARIES

genre but also its mutability as an artistic principle. In his article, Steffen Georgi summarises: “Metabolism as an art form”. Mareike Gaubitz and Christina Röfer visited the anniversary of the Berlin Schaubude. “Figure it out”: The title of the series of events could be understood as an invitation to the audience, artistic incentive and programmatic setting of the initiators. In addition to a diverse cross-section of contemporary figure and object theatre in the showings, artists and (professional) audiences were invited to reflect, discuss and (artistically) research together. René Reith describes impressions from the symposium of the 7th German Figure Theatre Conference in Northeim and reports on various viewpoints on the genre, which were presented under the theme “Change of Perspective”. The second conference in the large-scale archive project “PuppetPlays" took place in Montpellier. Frank Soehnle summarises some of the enormously diverse approaches to designing play texts in puppet theatre that were discussed there. Annika Gloystein visited the interdisciplinary cooperation “(K)ein Puppenheim” (“(Not) A Doll’s House”) at the Munich City Museum and tells us how it succeeds here in critically revising its own exhibition practice. The theme of the issue is taken up once again: Christofer Schmidt's review of the production “Mata Dora” by El Cuco Project, in which two specimens of what is in fact an extinct wild cattle species engage in an absurd tennis match that questions human life according to today's rules. The show ultimately testifies to the desire for a world without exploitation. At the Ruhrtriennale, Annika Gloystein went to the “living installation” of the French-Belgian Compagnie Ersatz and the Quebec theatre group Création Dans la Chambre and reports on the soothing view of nature “Au jardin des Potiniers”. And in the Swiss Window, Franziska Burger examines alternative world designs en miniature in the productions “Civitas Cunt" by Dubs/Schnakenberg and “Five Lines” by Cia. Frau Trapp. Also in the portrait in this section: Moritz Schönbrodt traces the many years of work of Priska Praxmarer, the Swiss theatre-maker and this year’s winner of the PRIX ASSITEJ.

Olivier Grossetête, Ephemeral Buildings – Partizipative Monumentalbauten aus Kartonage. Foto: Georg Pöhlein © internationales Figurentheaterfestival

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NOTIZEN

FESTIVALS Theater der Dinge schaut in seiner nächsten Ausgabe darauf, wo sich aktuell Spielräume / Wiggle Rooms öffnen und schließen. Es präsentiert Inszenierungen, Theater Games und Installationen, die auf das spielerische Moment als künstlerischen Motor vertrauen. Vom 3. bis 9. November 2023 sind Künstler*innen aus Belgien, Finnland, Frankreich, Katalonien, der Schweiz, Taiwan, Tschechien und Deutschland nach Berlin eingeladen. Die künstlerischen Positionen werden auch in diesem Jahr gerahmt von einem Diskursprogramm, das mit Gesprächen, Vorträgen und Workshops das Festival mit vielschichtigen Denkanstößen begleitet. – www.schaubude.berlin Das internationale Theaterfestival UNIDRAM findet vom 7. bis 11. November 2023 bereits zum 29. Mal statt. Ausgerichtet vom T-Werk in Potsdam widmet es sich in diesem Jahr den Assoziationsräumen von „Zuhause“. Dabei versammelt es eine Vielzahl performativer Arbeiten junger, experimentierfreudiger Künstler*innen, die immer wieder neue, faszinierende Bilder- und Theaterwelten entstehen lassen. Mehr als 70 Künstler*innen aus Belgien, Deutschland, Tschechien, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich präsentieren ihre Inszenierungen. Fünf der elf eingeladenen Produktionen sind zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. – www.unidram.de Im französischen Tournefeuille findet vom 21. bis 26. November 2023 eine neue Ausgabe von Marionnettissimo. Festival international de marionnette et de formes animées statt. An sechs Tagen fungiert das jährlich stattfindende Festival als Schaufenster für die zeitgenössische Puppenspielkunst und richtet sich mit seinem Programm an Kinder, Familien, Erwachsene, neugieriges und erfahrenes Publikum. Zudem engagiert sich Marionnettissimo ganzjährig mit Workshops und kulturellen Bildungsaktionen für die Figurentheaterszene. – www.marionnettissimo.com Vom 17. bis 27. November veranstaltet das TaT – Theater am Torbogen in Rottenburg bereits zum dritten Mal die UNIKATE. Das Festival richtet sich sowohl an erwachsenes als auch an junges Publikum und lädt nicht nur herausragende Künstler*innen ein, sondern veranstaltet auch zahlreiche Publikumsgespräche, die unter dem Label „Come togetherle“ firmieren. – www.tat-rottenburg.de Zum 13. Mal präsentiert das Theater Mummpitz mit Panoptikum – Europäisch-Bayerisches Kindertheaterfestival hochkarätiges Theater für junges Publikum. Vom 6. bis 11. Februar 2024 gibt es Figuren- und Objekttheater, aber auch Tanz und Schauspiel für jedes Alter und jeden Geschmack. Das Festival wurde mit dem EFFE Label (Europe for Festivals, Festivals for Europe) als eines von „Europe’s finest festivals“ ausgezeichnet. – www.festivalpanoptikum.de

TAGUNGEN / KONFERENZEN Vom 18. bis 27. August 2023 fand die 7. Deutsche Figurentheaterkonferenz von UNIMA und VDP in Northeim statt. In diesem Jahr fragte das dazugehörige Symposium danach, wie die Figurentheaterszene angesichts aktueller gesellschaftlicher Umbrüche zu einem gelingenden „Perspektivwechsel“ – so das Thema der Konferenz – beitragen könnte. Außerdem gab es zahlreiche Workshops, die Arbeits- und Werksgesprächsreihe „Meet the Master“ sowie die siebte Ausgabe des internationalen Festivals „Mit Hand & Fuß“. – www.unima.de; www.vdp-ev.de Am 19.11.2023 richtet der Studiengang Figurentheater der HMDK Stuttgart den Diskurstag „Die Dinge und Wir“ aus, bei dem der Frage nachgegangen wird, was unser Verhältnis zu den Dingen ist. Neben der Klärung und Ver-

ortung von Begriffen geht es auch um praktische Bezüge zu den Dingen, die nicht nur für die Bühnenkunst, sondern auch für die sich schnell verändernden Gesellschaften von großer Relevanz sind. Die Veranstaltung richtet sich an interessierte Gäste und die Beteiligten des Studiengangs. Sie findet in den Räumlichkeiten des Studiengangs im Urbanplatz 2 zwischen 12:00 und 16:00 Uhr statt. – www.hmdk-stuttgart.de Die Auftaktveranstaltung des vom Bundesverband Freie Darstellende Künste ermöglichten und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten Projekts „KompleXX Figurentheater“ findet am 8. Mai 2024 beim Festival FIDENA in Bochum statt. KompleXX Figurentheater ist Teil des Programms „Verbindungen fördern“ und steht für eine weitreichende Vernetzung der gesamten Puppen-, Figuren- und Objekttheaterszene. In Laboren und Arbeitstreffen wird die Erforschung des Genres Figurentheater als eigenständige, transdisziplinäre Kunstform vorangetrieben. Durch gemeinsame Aktionen leistet das Bündnis Überzeugungsarbeit bei Vertreter*innen der Kultur-, Bildungs- und Sozialpolitik, um grundlegende Verbesserungen der Ausbildungs-, Arbeitsund Produktionsbedingungen im Figurentheater anzustoßen. Hervorgegangen ist das Bündnis aus dem Masterplan Figurentheater. Diese Initiative eruiert seit 2019 die Bedarfe der Szene, setzt kulturpolitische Impulse und bündelt die Kräfte des Genres. Informationen werden über alle gängigen Kanäle von VDP, UNIMA und dfp geteilt. – www.darstellende-kuenste.de

JUBILÄUM Vom 9. bis zum 24. September feierte das FUNDUS Theater 20 Jahre Forschungstheater mit einem großen Jubiläumsprogramm. Dabei wurde u. a. Sand auf dem Platz der Kinderrechte erforscht, in die Vergangenheit und Zukunft geblickt und eine erste Lesung aus dem neuen Forschungsbuch für Kinder und Erwachsene „Verändert die Welt!“ veranstaltet. Mit seinen innovativen Ansätzen in den Bereichen Partizipation und Forschung liefert das Theater bundesweit und international wichtige Impulse für die Darstellenden Künste. – www.fundus-theater.de

PREISE Der 48. Fritz-Wortelmann-Preis der Stadt Bochum wurde am 17. September im Bochumer Rathaus vergeben. In der Kategorie Erwachsene Amateure gewann Pamela Banchetti mit „Oh mein schöner Schnurrbart!“. In der Kategorie Schultheater & Jugendclubs zeichnete die Jury die Produktion „Butter Käse Brot – Wir sagen tschüss!“ aus – eine Kooperation der Schaubude Berlin mit TUSCH Berlin und der Humboldthain Grundschule unter künstlerischer Leitung und Regie von Elisabeth Graaf und Laura Marleen Kreutz. Beide Preise sind mit 4.000 Euro dotiert. In der Kategorie Professioneller Nachwuchs gewann Lukas Schneider mit dem Beitrag „Scaena Corpus. Mann und Puppe nehmen Maß“. Damit verbunden ist eine Einladung zur FIDENA 2024 sowie eine Trophäe, die von Schauspieler Dietmar Bär überreicht wurde. – www.fidena.de Der Verlag Theater der Zeit hat den diesjährigen Martin-Linzer-Theaterpreis an die Seebühne Hiddensee verliehen. Die Seebühne Hiddensee ist 1997 aus dem Figurentheater „Homunkulus“ in Berlin hervorgegangen und feierte im September 25-jähriges Bestehen. – www.hiddenseebuehne.de Das in Nürnberg ansässige theater Salz + Pfeffer wurde für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert, der am 23. und 24. November 2023 in Düsseldorf verliehen wird. Dieser Preis wird vom Bundesumweltministerium, dem DIHK und dem WWF an besonders vorbildliche Unter-

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nehmen vergeben, die sich im Bereich der Nachhaltigkeit engagieren. – www.nachhaltigkeitspreis.de Der Ehrenpreis „Die spielende Hand“, der vom VDP seit 1993 vergeben wird, wurde am 20. Juni an den Fonds Darstellende Künste verliehen. Matthias Träger überreichte die undotierte Auszeichnung an Christina Röfer und Steffen Klewar (stellvertretend für das Team der Geschäftsstelle). In seiner Laudatio wies er darauf hin, wie sehr sich der Fonds Darstellende Künste während der Corona-Pandemie durch seine Förderprogramme im Rahmen von „Neustart Kultur“ als besondere Stütze der gesamten Puppen- und Figurentheaterszene erwiesen hat. – www.vdp-ev.de

PUBLIKATIONEN In „More-Than-Human Choreography. Handling Things Between Logistics and Entanglement“ untersucht Moritz Frischkorn, wie Dinge und Menschen im globalen Kontext der großen Beschleunigung mehr denn je in Bewegung geraten. Dabei wirft er einen neuen Blick auf aktuelle Praktiken der darstellenden Künste, die mit Alltagsgegenständen auf und jenseits der Bühne umgehen. Er kontrastiert diese Praktiken mit dem Geschäftsfeld der Logistik und untersucht die ästhetischen und ethischen Belange der Bewegung von Dingen. – www.transcript-verlag.de Der Sammelband „Requisiten. Die Inszenierung von Objekten auf der ‚Bühne der Kunst’“, herausgegeben von Joanna Olchawa und Julia Saviello, beleuchtet die Materialität und Medialität von Requisiten und ihr Verhältnis zu den Betrachter*innen. Erschienen im kunstwissenschaftlichen Fachverlag ad picturam, kann das Buch unter einer Open Source Lizenz kostenlos heruntergeladen werden. Die Beiträge stammen u. a. von Birgit Wiens, Astrid Schenka, Kathi Loch und Sascha Förster. – www.books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum Mit dem Sammelband „Puppet and Spirit: Ritual, Religion, and Performing Objects. Volume I Sacred Roots: Material Entities, Consecrating Acts, Priestly Puppeteers“ zielen Claudia Orenstein und Tim Cusack darauf ab, die vielen Arten von Beziehungen zwischen Puppen und der immateriellen Welt zu erforschen. In diesem ersten Band geht es um traditionelle Praktiken, bei denen Puppen, Devotionalien und ähnliche Gegenstände verwendet werden, die heilige Aspekte aufweisen oder rituelle Funktionen erfüllen. Mit Blick auf Aufführungstraditionen und Artefakte aus China, Indonesien, Korea, Mali, Brasilien, Iran, Deutschland und anderen Ländern bieten die Aufsätze von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen eine Reihe nützlicher Modelle und kritischer Vokabeln, um die rituellen und spirituellen Aspekte des Puppenspiels anzusprechen. – www.routledge.com Im Dokumentarroman „Eine Puppe packt aus“ vermischt Klaus Thaler absurdes Puppenspiel mit realer Geschichte rund um den Mauerfall. Dabei lässt er eine Handpuppe – Zorro, der Bär – seine Biografie erzählen. Ein Märchenbilderbuch deutsch-deutscher Aufklärung von Lessing bis Corona, erschienen im Verlag Theater der Zeit. – www.tdz.de/shop Das AB _ _ _ _ _ (Aktionsbündnis _ _ _ _ _) und das KJTZ haben gemeinsam eine Publikation erarbeitet: „Diskriminierungskritische Perspektiven: Eine Handreichung für Theatermacher*innen. Vol.1“. Die Präsentation der Handreichung in Buchform fand am 25. April 2023 im Rahmen von AUGENBLICK MAL! statt, allerdings ist die erste Auflage bereits vergriffen. Interessierte können sich für die 2. Auflage per E-Mail an Nikola Schellmann wenden (n.schellmann@kjtz.de). – www.jungespublikum.de


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NOTIZEN

Im Dezember 2023 erscheint „Puppe50. Fünf Jahrzehnte Puppenspielkunst an der HfS Ernst Busch Berlin“ im Verlag Theater der Zeit, herausgegeben von Jörg Lehmann. Das Buch zum Jubiläum ist ein Innehalten nach fünf Jahrzehnten Ausbildung, eine Bestandsaufnahme in Wort und Bild. Mit Beiträgen von Thomas Oberender, Enikö Szasz, Kathi Loch, Gerd Taube, Cecilia de la Jara, Markus Joss, Katja Kollmann, Robert Schuster, Andrea TrallesBarck, Mathias Becker, John von Düffel, Rimini Protokoll u.a. – www.tdz.de/shop

AUSSTELLUNGEN Das FUNDUS THEATER | Forschungstheater in Hamburg eröffnet Kindern wie Erwachsenen eine Forschungsreise mit Dingen ihrer Wahl aus dem Fundus in der Ausstellung „Die Versammlung der Dinge“. An interaktiven Stationen können den gewählten Objekten ihre Möglichkeiten entlockt werden. Ihre Eigenschaften werden erkundet und eine jeweils neue Versammlung der Dinge entsteht auf der Bühne. Zu der Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der nicht nur eine wissenschaftliche Begleitung und Vertiefung des Projektes „Die Versammlung der Dinge“ bietet, sondern einen Einblick in die verschiedenen Entscheidungsprozesse im Verlauf der Stückentwicklung gibt. – www.fundus-theater.de Die bis 2022 im Münchner Stadtmuseum präsentierte Dauerausstellung Puppentheater/Schaustellerei kann nun in einem virtuellen Rundgang online besucht werden. Vertiefende Informationen zu ausgewählten Objekten sowie Hörstücke und Detailaufnahmen bereichern das visuelle Erlebnis und setzen Schlaglichter. Zudem wird der Gebäudekomplex des Münchner Stadtmuseums baulich und konzeptionell für die Zukunft gerüstet und umfassend umgebaut. Vor seiner Schließung am 8. Januar 2024 feiert das Museum zwei Monate lang Abschied. – www.muenchner-stadtmuseum.de

PERSONELLES Die Figurenspielerin und Regisseurin Iris Meinhardt wird neue Leiterin des Internationalen Schattentheaterfestivals in Schwäbisch Gmünd. Damit folgt sie auf die im Februar 2023 überraschend verstorbene Sybille Hirzel. Die nächste . Ausgabe des Festivals ist für den Zeitraum 11. bis 17. Oktober 2024 geplant. – www.schwaebisch-gmuend.de/schattentheater-festival Sibylle Tröster, Intendantin des Theaters Waidspeicher e.V. in Erfurt, hat ihren Vertrag bis 2027 verlängert. Sie leitet außerdem weiterhin das Internationale Puppentheaterfestival Synergura. Die nächste Ausgabe des Festivals findet vom 5. bis 9. Juni 2024 statt. – www.waidspeicher.de Seit Anfang der Spielzeit 2023/24 hat Susanne Koschig die Leitung des Puppentheaters Gera übernommen. Die gebürtige Thüringerin, die seit 2014 als Dramaturgin am Theater Waidspeicher in Erfurt tätig war, freut sich auf die neuen Aufgaben die vor ihr liegen: „Ich möchte an die hervorragende Arbeit, die meine Vorgängerin Sabine Schramm geleistet hat, anknüpfen und vor allem die Sichtbarkeit des Puppentheaters als Theaterform, die sich an alle Altersgruppen wendet, in den Mittelpunkt meiner Arbeit stellen.“ – www.theater-altenburg-gera.de

GESTORBEN Am 9. August 2023 verstarb Harald Sperlich vom Hohenloher Figurentheater im Alter von 69 Jahren. Er stammte aus einer Puppenspielerfamilie und leitete mit seiner Frau Johanna das Hohenloher Figurentheater, das

seit 1974 unterschiedliche Produktionen für Kinder und Erwachsene entwickelte und auf zahlreichen Gastspieltourneen im In- und Ausland vertreten war. – www.vdp-ev.de

07.11.–12.11.2023 Leipzig (Deutschland) euro-scene Leipzig www.euro-scene.de

Die renommierte südafrikanische Schriftstellerin, Dramatikerin und Kritikerin Jane Taylor ist im September 2023 gestorben. Bekannt als Expertin auf dem Gebiet des Puppenspiels und der Objektperformance war sie bis 2022 Mitglied der UNIMA Research Commission und publizierte u. a. zu William Kentridge und der Handspring Puppet Company. Ein ausführlicher Nachruf findet sich auf der Website der UNIMA International. – www.unima.org

11.11.–26.11.2023 Barcelona & andere katalanische Städte (Spanien) elPetit. Festival Internacional D’Arts Per A La Primera Infància www.elpetit.cat

Rüdiger Koch, Gründungs- und langjähriges Vorstandsmitglied des Papiertheater-Forums (Hanauer Papiertheater Schloss Philippsruhe e.V.), ehemaliger technischer Leiter der Schaubude Berlin und begeisterter Papiertheatermacher ist am 16. September 2023 nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Der 1967 geborene Diplom-Ingenieur für Theatertechnik beschäftigte sich seit seinem 15. Lebensjahr in Ausstellungen, Workshops und Vorstellungen mit dem Phänomen Papiertheater. – www.papiertheater.eu

SONSTIGES Inmitten der Lübecker Altstadt wächst eine Institution, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein größtenteils denkmalgeschütztes Ensemble von fünf Häusern mit einem modernen Theater und einem Museum für Puppen-, Figuren- und Objekttheater zu beleben. Mit dem Richtfest am Theatergebäude feierte KOLK 17 Figurentheater & Museum am 8. September einen besonderen Meilenstein. Grußworte im Rahmen der Veranstaltung sprachen u. a. Matthias Träger, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Deutscher Puppentheater (VDP) und Angelika Pauels aus dem Vorstand der Union Internationale de la Marionnette (UNIMA) Deutschland. Eine Eröffnung ist für Ende 2024 geplant.

FESTIVALKALENDER 29.10.–05.11.2023 Mainz (Deutschland) No Strings Attached www.no-strings-attached.de 02.11.–04.11.2023 Dülmen (Deutschland) Figurentheatertage Dülmen www.profi-ev.de

17.11.–27.11.2023 Rottenburg (Deutschland) UNIKATE Tage des Figurentheaters www.tat-rottenburg.de 21.11.–26.11.2023 Tournefeuille (Frankreich) Marionnettissimo. Festival international de marionnette et de formes animées www.marionnettissimo.com 06.02.–11.02.2024 Nürnberg (Deutschland) Panoptikum – Europäisch-Bayerisches Kindertheaterfestival www.festival-panoptikum.de 10.02.–25.02.2024 Göttingen (Deutschland) Göttinger Figurentheatertage www.figurentheatertage.goettingen.de 12.03.–22.03.2024 München (Deutschland) KUCKUCK. Theaterfestival für Anfänge(r) www.kuckuckfestival.com 23.04.–28.04.2024 Stuttgart (Deutschland) 31. Internationales Trickfilm-Festival www.itfs.de 02.05.–10.05.2024 Hohenems (Österreich) Homunculus 33 www.homunculus.info 07.05.2024–15.05.2024 Bochum, Dortmund, Herne (Deutschland) FIDENA – Figurentheater der Nationen www.fidena.de

03.11.–05.11.2023 Eupen (Belgien) fiGUMA Festival www.alter-schlachthof.be

05.06.–09.06.2024 Erfurt (Deutschland) Synergura. Internationales Puppentheaterfestival www.waidspeicher.de

03.11.–09.11.2023 Berlin (Deutschland) Theater der Dinge 2023 www.schaubude.berlin 07.11.–11.11.2023 Potsdam (Deutschland) Unidram. Internationales Theaterfestival www.unidram.de

18.06.–23.06.2024 Baden (Schweiz) FIGURA Theaterfestival www.figura-festival.ch

07.11.–12.11.2023 Saarbrücken (Deutschland) Loostik. Deutsch-französisches Festival für junges Publikum www.loostik.eu

16. 10.–27.10.2024 München (Deutschland) Wunder. Internationales Figurentheaterfestival www.wunderpunktfestival.de

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IMPRESSUM

AUTOR*INNEN Nicole Beutler, Choreografin, Regisseurin, künstlerische Leiterin, Amsterdam Christoph Bochdansky, Figurentheaterkünstler, Wien Franziska Burger, Theaterwissenschaftlerin und Dozentin an der Hochschule der Künste Bern Lara Epp, Figurentheaterstudierende, Stuttgart Mareike Gaubitz, Leitung des Dokumentations- und Forschungszentrums am dfp, Bochum Steffen Georgi, Journalist, freier Autor, Film- und Theaterkritiker, Leipzig Annika Gloystein, Theaterwissenschaftlerin und Kulturmanagerin, Erlangen Eva Maria Hasler, Figurentheaterstudierende, Stuttgart Antoine Hirel, Regieassistent und Theaterwissenschaftler, Paris Viktoria Kasprik, Figurentheaterstudierende, Stuttgart Celine Klotz, Philosophiestudentin und freie Referentin für politische Bildung, Stuttgart Rafi Martin, Figurentheaterkünstler, Stuttgart Anke Meyer, Kuratorin und Autorin, Braunschweig Dr. Manuela Mohr, Literaturwissenschaftlerin, Straßburg Anna-Maria Polke, Dramaturgin, Gelsenkirchen René Reith, Choreograf*in, Performancekünstler*in und Tanzwissenschaftler*in, Hamburg Christina Röfer, Theaterwissenschaftlerin und Mitarbeiterin beim Fonds Darstellende Künste, Berlin Johanna Schallermayer, Theaterwissenschaftlerin, München Christofer Schmidt, Dramaturg dfp und Freie Szene, Bochum Moritz Schönbrodt, Puppentheaterschaffender und Autor, Biel/Bienne Frank Soehnle, Regisseur und Figurenspieler, Tübingen André Studt, Dozent für pragmatische Theaterwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. Meike Wagner, Theaterwissenschaftlerin, München Übersetzungen Summaries: Roy Kift Korrektorat: Annika Gloystein, Christofer Schmidt

Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater – Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding, Annika Gloystein, Anna-Maria Polke (Thema), Christina Röfer (verantw.), Johanna Schallermayer (red. Mitarbeit), Dr. Meike Wagner (Thema) Redaktionsbüro: Christofer Schmidt Redaktion Schweizer Fenster: Franziska Burger, Jacqueline Surer Beirat: Silvia Brendenal, Christoph Lepschy, Anke Meyer, Dr. Gerd Taube Redaktionsanschrift: Redaktionsanschrift: Redaktion double, Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Str. 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.477 20, redaktionsbuero@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) – als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20, anzeigen@fidena.de Druck: Druckhaus Sportflieger, Berlin Alle Rechte bei den Autor*innen und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autor*innen ihre individuelle Form der Umsetzung. Die Artikel der Rubrik „Schweizer Fenster“ folgen der Orthografie des Schweizer Hochdeutschs. Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. August 2023. Double 49 erscheint im April 2024. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 28. Januar 2024. Das Thema des nächsten Hefts ist „Zeitgenössischer Circus und Figurentheater“. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de

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