The Gap 135

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peer / kleindienst — Einzelgänger, Eskapismus und Widerstand

Bessere Welten für Einzelgänger Einzelgänger, vom Leben geprügelt und in den eigenen Abgründen zu Hause. Die neuen Bücher von Alexander Peer (links im Bild) und Josef Kleindienst sind klar und voll von Ironie.

Franz ist Schriftsteller, nicht mehr ganz jung. Ohne jede Rücksicht auf sein sensibles Gemüt stürzt er sich in eine Beziehung mit der Amerikanerin Rebecca. Nach den ersten Treffen, die heftig und utopisch schillernd geschildert sind, drängt sich Rebeccas traumatische Vergangenheit in den Raum. Zudem mischt sich Fritz ein, der niemand Geringerer ist als der deutsche Philosoph und Schriftsteller Friedrich Nietzsche (1844–1900), zuerst als Einflüsterer von Franz, dann als eingebildeter Dritter in der stetig fataler werdenden Beziehung. Erwin lebt in einer Provinzstadt, weil ihn sein Schwager aus dem elterlichen Bauernhof geekelt hat. Er hat keine Arbeit, ist nicht vernetzt und hat keinerlei Erfahrung mit einfachen Alltagssituationen. Um ihn bei der Jobsuche zu unterstützen, schenkt ihm sein alter Vater eine ÖBB-Jahreskarte, die er nach anfänglichem Ärger intensiv nutzt. Auf einer Zugfahrt begegnet er der Polin Agnieszka und fantasiert in den folgenden Tagen aus dem kurzen Gespräch heraus ein gemeinsames Leben. Ausgestattet mit einem Verlobungsring, beginnt er sie im österreichischen Bahnnetz zu suchen. Damit wären die Ausgangssituationen von Alexander Peers Roman »Bis dass der Tod uns meidet« (Stichwort: Franz) und Josef Kleindiensts Erzählung »Freifahrt« (Stichwort: Erwin) geschildert.

Bahn-Roadmovie mit eigenwilliger Hauptfigur Kleindiensts Buch ist vordergründig humorvoll, hinterher tief tragisch. Sein Protagonist Erwin kennt keine sozialen Codes. Auf viele Fragen kann er nur mit Schweigen reagieren. Er laviert sich durch, lernt langsam, wie er mit den Menschen, die er im Zug trifft, reden kann. Trotzdem münden viele dieser Versuche in Frustration. Er bleibt hilflos. In langwieriger Kleinarbeit hat Josef Kleindienst nach dem Schreiben des Textes vor allem eines getan: gekürzt: Kaum ein Satz ist länger als eine Zeile, Verschachtelungen gibt es nicht. Sein genügsamer, eigenwilliger Charakter Erwin ist keiner, mit dem man sich identifizieren kann, dennoch sind so viele Schwächen und Unfähigkeiten an ihm nachvollziehbar und so sehr menschlich: »Plötzlich bemerkte er eine Sternschnuppe, ein flackerndes Licht zog über den Himmel. Erwin erinnerte sich, jetzt durfte man sich was wünschen. Aber er wünschte sich nichts.« Durch den markant kurzen Erzählstil gewinnt der Text an Fahrt, und die Geschichte des zurückgezogenen Erwin wird zu einem Bahn-Roadmovie mit »stilistischer« Action, wie ein schnell geschnittener Film. Josef Kleindienst, 1972 in Spittal an der Drau geboren, lebt heute in Wien. Er wird immer wieder einmal mit dem gleichnamigen ehemaligen Polizisten und Ratgeber-Autor verwechselt, wofür er auch genug Humor übrig hat. In der Erzählung »Freifahrt« spaziert der Protagonist Erwin einmal an einem Buchgeschäft vorbei und sieht dort das Buch »Der Polizist als Millionär« (vom anderen Kleindienst) in der Auslage liegen – eine doppelte Ironie. Als ganz junger Autor schrieb Kleindienst Theaterstücke. Später verschlug es ihn, nach allerlei Studien, als Deutschlektor in den Jemen, wo seine Bücher heute verboten sind. 2010 wurde Kleindienst für den Bachmann-Preis nominiert. Sein Text, der von drei Jugendlichen inmitten sexueller und psychischer Gewalt handelt, erregte die Jury so sehr, dass ein Skandal in den Medien nicht ausblieb. Im gleichen Jahr erschien bei Sonderzahl der Roman »An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben«. Im vergangenen Jahr übernahm Kleindienst eine Hauptrolle in dem preisgekrönten Independent-Film »Soldate Jeanette« (Artikel in The Gap 134). Bevor nun der Film im Herbst im Kino startet, ist Kleindienst mit »Freifahrt« auf Lesereise.

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Alexander Peers Erzählen trägt andrerseits die zarten und trickreichen Züge des 19. Jahrhunderts, ohne je behäbig zu werden. Immer dann, wenn es fast ins Pathetische geht, überrascht er mit einem Augenzwinkern. »Bis dass der Tod uns meidet« ist ein Streifzug durch die Philosophiegeschichte. Peers Buch kann auch – wie soll es anders sein bei Nietzsche – zivilisationskritisch gelesen werden. Wir wissen zu viel, wir haben zu viel gesehen und zu viel erlebt, um unser Leben auf die Reihe zu kriegen. Das Universum der Möglichkeiten hat uns besiegt. Da hilft nur noch die Philosophie: »Ach, mein Gott, acht Jahre

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