The Gap 131

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Fauna —— Downtempo aus Ruinen Lexikon der Angst / Oh Yeah, She Performs! / Hitman 131 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 131, NOVEMBER 2012

Kendrick Lamar. Crystal Castles. Open Music. Infografiken. Macklemore. Katharina Freuis. This Human World. Bernhard Fleischmann. Halo 4. Emeralds. Filmförderung Österreich. Im Wortwechsel: Festivals trotz Krisenstimmung – wie geht das?


Wien MuseuM karlsplatz

spiele der stadt Franz Weigl: WieWannWo (Ausschnitt) Wien, um 1960

glück, geWinn und zeitvertreib

WWW.WienMuseuM.at

25.10.2012 bis 2.4.2013

Hauptsponsor des Wien MuseuMs in kooperation Mit der universität für angeWandte kunst Wien


Leitartikel von Thomas Weber.

It’s the Finanzmarkt, Oida!   Crowdfunding, Bürgerbeteiligung und windige Bankgeschäfte: Wie die Finanzmarktaufsicht (FMA) der unkomplizierten Umsetzung guter Ideen im Weg steht. Und damit zumindest dem Wirtschaftsstandort Waldviertel schadet.

em dieser Tage ein paar Euro im Monat übrig bleiben, dem fällt es nicht leicht, sie halbwegs sinnvoll auf die Seite zu legen. Das Risiko ist hoch, dass das Geld verloren geht. Denn, das haben die wirtschaftlich turbulenten letzten Jahre gezeigt: Es gibt keine Sicherheiten. Selbst wenn der Staat für Bankeinlagen haftet, muss er sich das Geld – no, na – über Abgaben oder Kürzungen auf Umwegen zurückholen. Für die von Kriegen geschundene Großelterngeneration war all das vermutlich common sense. Uns mehrheitlich in den im Rückblick geschützt erscheinenden Verhältnissen der 80er, 90er und frühen Nuller Jahre Sozialisierten wird das erst jetzt so richtig bewusst. Sicherheit war gestern. Oder wahrscheinlich auch damals ein Trugschluss. Umso absurder, dass zwar permanent unternehmerisches Denken, private Initiative und Eigen-Engagement propagiert wird, dieses aber – findet es tatsächlich statt – unterbunden wird. Um uns vor uns selbst zu schützen, um unsere Risiken zu

Das System fickt zurück Die Aktion gäbe ein wunderbares Beispiel in Sachen Crowdfunding ab (wie die »Schwarmfinanzierung« seit ein paar Jahren genannt wird). Laut Ansicht der Finanzmarktaufsicht (FMA) haben wir es allerdings mit »verbotenen Bankgeschäften« zu tun. Und die wären zu ahnden. Nicht nur, dass wir alle erst gelernt und dafür bezahlt haben, dass auch Banken kein sicheres Händchen für den Umgang mit Geld haben. Auch die FMA hat in der Vergangenheit Investments in – wie wir heute wissen – zumindest fragwürdige Konstruktionen gutgeheißen. Ein bisschen Namedropping: Meinl European Land, Immofinanz, A-Tec. Für Anleger waren das keine allzu erfreulichen Geldgeschäfte. Nein, natürlich ist nicht die Finanzmarktaufsicht dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass sie tut, wofür sie 2002 von Gesetzes wegen geschaffen wurde – nämlich als Institution ein gesundes Misstrauen gegenüber Geldgeschäften zu

hegen. Doch sie offenbart einen Fehler im System (vermutlich nicht den einzigen), der schleunigst behoben gehört. Es muss möglich sein, auch abseits von klassischen Banken, Geld anzulegen, ohne dass diejenigen, die das Geld in sinnvolle, potenziell gewinnbringende Projekte stecken, automatisch als windige Gesellen abgeurteilt werden. Das gehört gesetzlich geregelt – wie das in den USA seit Obama I der Fall ist. Nicht zufällig lautet das entsprechende Gesetz auf den Titel JOBS Act – JOBS für »Jumpstart Our Business Startups Acts«. Gilt doch Crowdfunding in den USA als bewährte Methode, um innovative Ideen und Geschäftsmodelle auf unkonventionelle Weise zur Verwirklichung zu helfen. Das schafft Jobs und Wachstum dort, wo es wirklich sinnvoll und notwendig erscheint. Das wäre gerade auch in einer sonst von Abwanderung und Niedergang geprägten Gegend wie dem Waldviertel der Fall. Bild michael winkelmann

W

minimieren. 50.000 Euro Geldbuße oder eine Ersatzfreiheitsstrafe drohen dem »Waldviertler«-Schuhfabrikanten Heinrich Staudinger. Weil er Schwierigkeiten hatte, sich von Banken Geld zu leihen, wandte sich der Unternehmer direkt an seine Kundschaft und garantierte dieser im Gegenzug einen fixen Zinssatz. Mit Erfolg. Drei Millionen Euro kamen auf diese Weise zusammen.

Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber

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Oh Yeah, She Performs! Die Dokumentation von Miriam Unger folgt vier österreichischen Songwriterinnen auf und hinter die Bühne. Viele werden sich davon erwarten, was der Film eben nicht sein will: das Statement einer lebendigen Szene musikmachender Frauen. Wer möchte, kann darin auch die Unmöglichkeit sehen, vier Frauen zu porträtieren, ohne dass Feminismus ein Thema ist.

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Magazin fauna 018 —— Fauna läutet die kalte Jahreszeit ein: Ihr Debüt war ein Kraftakt, das Ende einer Isolationsphase im Hochsommer, das eisige Artefakt einer schwülen Zeit. Golden Frame: Catharina Freuis 022 —— Make-up hat sich wie ein Spinnennetz über einen Schminkraum gelegt,. Menschliche Transiträume verlieren in Freuis’ Fotografien kunstvoll ihre Funktion. This Human World: 20 Jahre Riot Grrrl 024 —— Zwei Jahrzehnte sind eine lange Zeit, in denen sich viele Frauen seit den ersten Riot Grrrls ihren Platz auf der Bühne und an den Reglern erkämpft haben. Wie ist der aktuelle Stand? Youki: Joven Y Alocada 026 —— Angstfreien Sex, geprägt durch Erfahrungen im Internet – das zeigt das chilenische Filmdebüt »Joven Y Alocada« beim Youki Festival in Wels. Oh Yeah, She Performs! 028 —— Ein Problem an Miriam Ungers Film ist, dass er angestrengt versucht, nicht das zu sein, was viele von ihm erwarten: ein Statement über die heimische Songwriterinnenszene. alphabet der Angst 030 —— Unser ABC der Angst hat in sich ein eigenes Mini-ABC zu Ö wie Österreich – beunruhigend, nicht wahr?

kommt bald

Kendrick Lamar 034 —— Das Major-Debüt des US-Rappers ist nichts weniger als ein moderner Klassiker, das wahrscheinlich erste grenzüberschreitende Rap-Album dieses Jahrzehnts. Neil Beloufa 036 —— Schnellkurs zum Nachwuchs-Kunststar in vier einfachen Schritten. Pulphead 3 037 —— John Jeremiah Sullivans literarische Reportagen berichten radikal subjektiv vom Ende Amerikas. Hitman Absolution 039 —— Mörderische Schleichspiele erfreuen sich im Herbst 2012 großer Beliebtheit. An der SerienErneuerung »Hitman Absolution« haben in Kopenhagen fünf österreichische Game-Entwickler mitgewirkt. Vienna Open: Open Music 042 —— Peter Kirn spricht im Rahmen von Vienna Open nicht nur über die Open Music Hardware MeeBlip, sondern über die Möglichkeiten, die durch das Teilen offener Soft- und Hardware entstehen. Infografiken 044 —— Wer im Internet mit Zahlen beeindrucken will, greift besser zur Infografik. Egal, ob animiert oder nicht animiert. Filmförderung Österreich 054 —— Österreich ist zu klein für die Töpfe des »Filmstandort Österreich« und sollte das Geld lieber gleich dem Filminstitut geben, meint Gunnar Landsgesell.


Lexikon der Angst Von der Angst vor Asymmetrie bis zu Zahntechnikern – die Liste der Dinge, vor denen man sich fürchten sollte, ist lang und schrecklich. Damit man dabei nicht den Überblick verliert, haben wir eine Alphabet der Angst zusammengestellt, das die wichtigsten Panik-Phänomene der Popkultur einmal quer in der Mitte durchschneidet und sie seziert. Horror und Diskurs, sozusagen.

030 Rubriken Leitartikel Inhalt Editorial Porträts / Impressum Fondue Fabula Rasa Unbezahlter Anzeiger Splitter Wortwechsel: Festivals trotz Krisenstimmung – wie geht das? Workstation: Karin Wasner Prosa: Arielle Cacciola Reviews Introducing: Jason Eisener Termine

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Kolumnen Fabula Rasa Zahlen, bitte Know-Nothing-Gesellschaft

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kommt bald

Bild der Ausgabe hinten : Minister Hundstorfer, rechts : Hosenmacher Stitch, unten : Der gepflegte Scheitel von The Gap-Geschäftsführer Martin Mühl. Bei Mehlspeisen und Kaffee wurden Vollpension und Prekariat diskutiert. Erfolgreich.


edit

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Dann eben doch Frauenschwerpunkt. Die Idee stand schon sehr früh fest, nur ganz anders. Alice Schwarzer wird 70. Wir gratulieren herzlich. Mussten uns aber auch schnell eingestehen, dass wir zu ihr nicht viel zu sagen hatten. Andere Themen gab es zuhauf. Nur sind sie wie die Fliegen reihenweise ausgefallen: Subkultur-Humor aus Deutschland zum Beispiel – die grandiose Fake-Doku »Fraktus« läuft in Deutschland an, ist aber in Österreich noch nicht verfügbar. Dann eben etwas zur US-Wahl unter dem Arbeitstitel »USA, die beste Nation auf Erden« mit Texten zu Trap, Dredd, den TV-Serien »Homeland« und »Revolution« und Post-Krisen-Ängsten (s.030). Leider ein schlechter Zeitpunkt. Wichtige, große, tolle, relevante Alben sind noch nicht fertig oder müssen noch geheim gehalten werden, um den Hype zu füttern. Dann eben doch Frauenschwerpunkt. Die Musik-Doku »Oh Yeah She Performs!« blieb unter den Erwartungen (s.028). Dann eben doch Frauenschwerpunkt. Aber eben ganz anders als ursprünglich geplant. Besser, weil facettenreicher, umfangreicher. Im letzten Moment schlüpfte ein unscheinbares Album über unsere kaputte Aufmerksamkeitsschwelle. Von Faunas Debüt (s.018) lassen sich weiter Netze zu den Crystal Castles (s.033), Riot Grrrl (s.024) oder den Emeralds (s.057) spinnen. Alice Schwarzer in höchsten Ehren, aber das ist uns dann doch lieber.  Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap

kontribut

ren

Nicole Schöndorfer

Mahdi Rahimi

Stil mit Schachtel — Zeilenlange Monstersätze, wer kennt diese Leidenschaft nicht? Nein? Nicole Schöndorfer kennt sie. Für die von Thomas Bernhard hat sie eine besondere Schwäche. Ein paar ihrer eigenen hat sie uns in dieser Ausgabe mit ihren Texten zu »Oh Yeah, She Performs!« und der Rezension von Melody’s Echo Chamber untergejubelt. Ihr Lebenslauf und ihre Leidenschaften sind auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich, wie etwa Vöcklabruck, Jim Jarmusch, Publizistik, Oscar Wilde, Kaffee, Anglizistik, Beatniks und »Das weiße Band«. Was aber ziemlich ungewöhnlich ist, sind die Pointen, die Nicole sehr direkt und geradlinig formuliert. Andere, auch altgediente Journalisten, drücken sich oft mit Wohlfühlvokabeln um klare Worte. Weitere angenehme Begleiterscheinungen ihres Stils sind zudem, dass Nicole spontan genug ist, um innerhalb von wenigen Stunden zum Frequency Festival für ein Jamie XX-Interview zu fahren, sie spätnachts vor schummrigen Theatern bereitwillig DVDs in die Hand gedrückt bekommt oder sich früh eingestanden hat, dass man ohne Talent besser nicht Musik macht, sondern sich aufs Hören und Schreiben verlegt, zum Beispiel von Schachtelsätzen wie diesem. 

Math Rap —Auch wenn schräg aufgesetzte Baseball-Caps seit Neuestem bei uns in der Redaktion Einzug gehalten haben, wird USRap in The Gap nicht wirklich gebührend behandelt. Deshalb haben wir Mahdi gebeten, einen Text über Kendrick Lamar zu schreiben und waren sowohl von den Superlativen als auch dem Namedropping beeindruckt. Mahdis Eltern kommen aus dem Iran, und er ist fast jedes Jahr in den USA, um Verwandte zu sehen und uns von dort mit lustigen StatusUpdates zu unterhalten. Eigentlich hat er ja nicht Rap studiert, sondern Mathematik. Er hat es aber damals schon geschafft, Avon Barksdale und Bubbles – Charaktere aus der bahnbrechenden US-Serie »The Wire« – in seine Diplomarbeit einzubauen und wahrscheinlich deswegen ein Sehr Gut bekommen. Danach war er Fahrer der Twintowas, hat aber mittlerweile einen echten Job. Wenn er nicht arbeitet, schreibt er für den Blog supercity.at und kennt sich außerdem extrem gut mit Fußball aus. Mahdi denkt in letzter Zeit täglich darüber nach, ob er beim Fortgehen auf den Rick Ross-Style (Armani-Wifebeater und Manboobs) umsteigen soll. Wir sind der Meinung: Tu es! 

TEXT jonas vogt BILD Roland Grand

TEXT stefan niederwieser BILD privat

Impressum

HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Ranya Abd El Shafy, Niko Acherer, Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, Liliane Blaha, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Andreea Dosa, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Lisa Gotthard, Manfred Gram, Dominique Gromes, Benedikt Guschlbauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Lukas Hoffmann, Peter Hoffmann, Michael Huber, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Enrico R. Lackner, Artemis Linhart, Ali Mahlodji, David Mochida Krispel, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karolina Podolecka, Christian Prenger, Mahdi Rahimi, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Tobias Riedl, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Bernhard Schmidt, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Cornelia Stastny, Roland Steiner, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Raphaela Valentini, Jonas Vogt, Ursula Winterauer, Imre Withalm, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Sandra Adler, Lara Andersen, Jasmina Bijeljinac, Lisa Schmid, Manu Uhl, Katharina Wiesler termine Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Marlene Engel / Moun10 WORKSTATION-FOTOstrecke Karin Wasner ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Monopol Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Bernhard Schmidt PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6 / III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— erscheinungsweise 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Saison 2012/13

www.tqw.at

Gestaltung — ATELIER LISKA WESLE, Wien / Berlin Foto — Gregor Titze

Das Zentrum für zeitgenössischen Tanz, Performance, Kunst und Theorie


Aufmachen.

Aufwachen.

Der Wachmacher der Szene: afri cola Anregend. Aufregend. Anders. Keine andere Cola ist wacher als afri. Mit erhöhtem Koffeingehalt bringt sie dir den Langzeitkick mit Sofortwirkung. Visionäre, Kreative und Individualisten sind wacher, schneller und unkonventioneller als

andere. afri, seit über 80 Jahren anders, ist der „flüssige Stoff“ für Menschen, die mehr vom Leben verlangen. Mit 25 Milligramm Koffein pro 100 Milliliter ist sie nicht nur stärker als andere Colas, sondern zeigt in ihrer legendären Taillen-Flasche eine unverwechselbare Persönlichkeit.

Um den Stoff C 8H10N4O2 ranken sich viele Legenden. Bewiesen wurde die anregende Wirkung von Koffein erstmals 1820 durch den Apotheker Runge. Seit dem „Coming out“ ist afri die wohl schönste Form des Koffeinkicks. Egal zu welcher Zeit und an welchem Ort: Wake up statt hangover!

www.afri.at


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ND U E

Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at

Die Vorbereitungen für die Fortsetzung von Kurt Scheuchs Erfolgsfilm »Furchtlos« laufen bereits auf Hochtouren. Die ersten Requisiten wurden schon angeliefert.

Allen sogenannten Tierschützern, die seinerzeit ein rigoroses Vorgehen gegen Problembären ablehnten, möge dieses Bild als Weckruf dienen.

Ein Puter müsste man sein. Selbst in siedendem Butterschmalz frittiert sind Erektionsprobleme für ihn kein Thema.

Ein wunderbares Beispiel für den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität, oder einfach ein weiteres beschissenes Kackfoto.

Liebes Gurkerl! Wollen wir nicht Du sagen?

Wir verwehren uns entschieden gegen diese diskriminierende Darstellung von Männern. Zitrone!


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L U MNE

Fabula Rasa »Wenn Gott uns wirklich nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann haben wir’s ihm aber ordentlich heimgezahlt.« (Voltaire)

TRAINS OF THOUGHTS 7.Dezember, 21:00

Sie sagt zu mir, schreib mir doch eine Liste mit den zehn unnötigsten Dingen und ich gebe ihr zur Deadline ab: »1. Diese Liste. 2. Diese Liste. 3. Diese Liste. 4. Diese Liste …« Ihr könnt euch den Rest denken, ihr seid ja clever genug. Warum sollte ich mich mit etwas beschäftigen, was mich nicht interessiert, was ich für nicht relevant halte? Wenn es wenigstens nervig wäre, oder hassenswert, oder man denkt, dass die Welt ohne dieses Dingens besser wäre, dann wäre da noch wenigstens etwas Sinn drinnen. Aber das Unnötige an sich macht alles weder schlechter noch besser, es ist einfach nur da und könnte eigentlich auch weg sein. Perfektion ist zwar die Kunst, etwas durch Weglassungen besser zu machen, aber an diesem Punkt ist das Unnötige doch schon lange perdú. Das Unglück hat aber noch eine weitere Ebene, oder besser: ein Echo. Noch unnötiger als etwas Unnötiges ist das Kommentieren des Unnötigen. Mails an alle die sagen, dass es nicht super ist, an alle zu antworten. Verrisse von Büchern, Musik, Filmen. Postings mit dem Wortlaut: »unnötiger Artikel« und die Antwort »Unnötiges Posting«. Moment, da fällt mir etwas auf! Themenwechsel: »dear religion, this week i dropped a man safely from space to earth while you shot a little girl in the head for wanting to go to school. yours sincerely, science.« (ricky gervais)

6. BIS 8. DEZEMBER SUB, Singergasse 6-8, Wiener Neustadt

EINTRITT FREI!

Fashion-Alert! Aus New York schwappt der neueste Mode-Trend zu uns herüber. Nach Nerd-Brillen, Uralt-Jogging-Anzügen, Kleidersammlung-Chique und Porno-Schnauzer tragen Hipster in der Weltmetropole nun Gelenksbinden, Hörgeräte und andere Heilbehelfe. Auch die ersten Rollstuhlfahrer wurden in den angesagtesten Clubs der Stadt schon gesehen. Dort sind die echten Hingucker upcoming Supermodels, die sich Mullbinden um Ellbogen oder Schultern binden oder einfach nur mal mit dem Blindenstock und dunkler Sonnenbrille rausgehen. American Apparel plant eine eigene Kollektion von gelben Binden mit drei schwarzen Punkten. Allerdings muss man aufpassen: Einfach nur Humpeln in Turnschuhen und Gehstock à la Doctor House ist zu wenig. Und man bewegt sich in den Behinderten-Behelfen so normal wie möglich, denn man will ja niemanden verspotten, sondern nur ein ästhetisches Statement setzen. 


U NBEZ

H L TER A NZEIGER

Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.

Plectrum-Stanzer

Voodoo-Nadeln

Skybeamer

Alle Jahre wieder fragt man sich: Wohin mit dem alten ÖBB-Vorteilsticket? Pickmaster hat die Lösung. Eine Zweitnutzung als Gitarrenplektrum führt Plastikkarten einer sinnvollen Zweitnutzung im Rock’n’Roll-Business zu. Die Basis ist, wie könnte es anders sein, solide Handarbeit. Mit Pickmasters »Plectrum Maker« (18 Euro) stanzen wir im Nu bis zu 5 Plektren aus einem sonst nutzlos gewordenem Kärtchen. Ein tolles Geschenk auch für Friends of Merkur oder geläuterte Mitglieder der Ikea Family. www.play.com

Gewisse Traditionen sollten einfach nicht verloren gehen. Und wesentlich stilvoller als Widersachern bloß die Krätze an den Hals zu heißen ist ohnehin der Gebrauch von VoodooNadeln. Voraussetzung ist das Vorhandensein einer Puppe oder eines leidensfähigen Mon Chi Chi. Das macht sich nicht nur gut im Handschuhfach. Laut www.voodoo-puppe.net gibt es auch das eine oder andere Liebesritual, bei dem sich die gemeine Voodoo-Nadel als hilfreich erweisen kann. Die 5 Euro 90 kann einem das durchaus wert sein.

Es muss ja nicht immer die Rätselrallye zur Kinderdisco geleiten. Jetzt, da die Nächte wieder lang, hart und dunkel geworden, spricht nichts dagegen, als Ladung mal die Losung »Follow The Sky Beamer« auszugeben. Um wohlfeile 2.400 Euro gehört einem der dabei hilfreiche »gigantische Outdoor-Beamer« Griven Sky Rose MKII DMX auch gleich. Die Strahlkraft ist enorm, der »Flower Effekt« weithin sichtbar (bis zu 10 Kilometer) und mit 2 Tagen Lieferzeit ist der 2.700-Watt-Spaß sogar was für Spätentschlossene. www.prolighting.de

MARKTFESTIVAL FÜR KUNST & DESIGN

17. & 18. NOVEMBER 2012 150 JUNGDESIGNER JUNGGASTRONOMEN / DJS WORKSHOPS / FESCH’KINO NEW: FESCH’ART »ART FOR THE BUDGET« OTTAKRINGER BRAUEREI FESCHMARKT.AT


CH

RTS

AM RAD

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Brenk Sinatra (Musiker)

TOP 10

ABERGLAUBE, DER MIR VON KLEIN AUF EINGETRICHTERT WURDE

01 Linke Hand juckt – Unerwartetes Geld 02 Rechte Hand juckt – Man gibt es schneller wieder aus 03 Rückwärts gehen und lachen – Tod in der Familie 04 Am Abend Zähne zeigen bringt Unglück 05 Doppelt auf Tür / Kopf klopfen, wenn man nochmal ins Haus muss 06 Zerbrochener Spiegel – 1 Stunde mit Aufkehren warten 07 Brot küssen bevor man es wegwirft 08 Silvester: unter dem Tischtuch Knoblauch, Münzen etc. platzieren 09 Neue Schuhe auf einem Tisch bringt Unglück 10 Knöpfe der Bettdecke Richtung Gesicht – Tod im Bekanntenkreis

TOP 5

DRUM-PROGRAMMIERUNG

01 BUMM z z z z BU BUMM TSCHACK 02 BUMM TSCHAKK TSCHAKK z BUMM TSCHACK 03 BUMM z TSCHACK z z BU BUMM TSCHACK 04 BUMM zz TSCHACK BU BUBUMM TSCHACK 05 BUMM z BU TSCHAK BU BUBUBUMM TSCHACK

twenty.twenty: Gamification

auch nicht schlecht: In einem Ben Davis-Hemd, Hennessy XO schlürfend, von Eazy E’s »It’s On«-EP schwärmen.

Im Rahmen des letzten 20.20 für das Jahr 2012 setzen wir uns in der Blogparade und am 19. November im Wiener Hub mit »Gamification: Bildung. Arbeit. Leben – Ein Spiel!« auseinander.

Cornelia Stastny (The Gap / Monopol Medien)

TOP 10

01 Tucker & Dale Vs. Evil (2010) 02 Suspiria (1977) 03 House Of 1.000 Corpses (2003) 04 All About Evil (2010) 05 Nightbreed (1990) 06 Stitches (2012) 07 Underwater Love – A Pink Musical (2011) 08 Rubber (2010) 09 Bad Taste (1987) 10 Snoop Dogg’s Hood Of Horror (2006)

TOP 5

GIPFELTRÄUME

01 Watzespitze (3.533 m) 02 Birnhorn (2.634 m) 03 Große Wildgrubenspitze (2.753 m) 04 Hochiss (2.299 m) 05 Großvenediger (3.662 m)

auch nicht schlecht: Omas Hendlsuppe bei Verkühlung.

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TEXT werner reiter / martin mühl BILD florian auer

ANOTHER TRASH OF HORROR

»Gamification« ist das neue Schlagwort, das immer mehr Lebensbereiche durchzieht. Was früher trocken, sperrig und mäßig interessant war, soll jetzt spielend leicht werden. Der Homo ludens bekommt immer mehr und immer bessere Nahrung. Wissensvermittlung erfolgt über Computerspiele, wie etwa im Physik-Lernspiel »Ludwig«, das auch im Schulunterricht eingesetzt wird. Das persönliche Fitnessprogramm wird durch Apps begleitet, die die spielerische Komponente und den Wettbewerbsgedanken betonen. Unternehmen setzen auf spielerische Elemente in ihrer Innovationstätigkeit und bei ihren Marketing-Aktivitäten. Selbst der öffentliche Raum wird immer mehr zum Spielfeld. Schnitzeljagden, Geo-Caching, Locationbased-Services und Ähnliches eröffnen neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen Menschen, Marken, Unternehmen und ihrer Umwelt. Die Errungenschaften der Computerspiele diffundieren immer mehr in die physische Welt, machen vieles leichter und vor allem zugänglicher. Wir stehen noch am Anfang dieser Entwicklung. 2020 ist möglicherweise das ganze Leben ein Spiel. Bei twenty.twenty #12 wollen wir uns damit beschäftigen, wie und in welchen Bereichen sich Spielkonzepte sinnvoll einsetzen lassen und wo die Grenzen dieser Entwicklung liegen. Was versteht ihr unter Gamification? Wo seht ihr die Grenzen der Gamification? Ändert der spielerische Zugang zu »ernsten Dingen« unseren Zugang zur Welt? Vor allem wollen wir aber wissen: Wie kann Gamification zur Lösung aktueller Probleme betragen? Wenn Menschen durch Spiele klüger und fitter werden, können sie vielleicht auch kreativer, umweltbewusster oder politisch aktiver werden? Die Keynote wird Michael G. Wagner halten. Außerdem auf dem Podium: Mario Herger und Sabine Harrer.  Eure Beiträge zur Blogparade werden in die Diskussion am 19. November 2012 einfließen. www.twentytwenty.at


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SUBOTRON/WKW pro games & arcademy Veranstaltungsreihen zur Theorie und Praxis von digitalen Spielen im MuseumsQuartier / quartier21 / Raum D, 1070 Wien subotron.com/veranstaltungen/all

Fr. 09.11.12 SUBOTRON arcademy A European Ludic Sphere? Anders Sundnes Løvlie | Associate professor at Gjøvik University College, Oslo

Politik-Fieberkurven Hurra, die Welt ist um eine Hitliste reicher. Das Politometer misst die Feuerkraft heimischer, politischer Akteure auf Facebook, Twitter und Google. Eigentlich ist das Politometer ein alter Hut. Das Ganze gibt es schon. Nur ein bisschen unübersichtlicher, mit cirka 3.800 Einträgen aus allen Bereichen des sozialen Netzes. Das Social Media Ranking war nur weniger brauchbar, wenn man sich nur für die politischen Akteure interessierte, war das Social Media Ranking weniger brauchbar. Deshalb wurde ausgewählt, nachrecherchiert und neu designt. Die Funktionsweise von beiden Services ist im Grunde dieselbe. Aber der Überblick fällt jetzt viel leichter. Auch, weil es sich nach einzelnen Gruppen ordnen lässt: Parteien, Politiker, NGOs, Medien und Bürger. Seit einem Jahr wurden bereits Daten gesammelt. Vor etwa einem halben Jahr präsentierte die APA dann ihre ots.at/ twitterlist. Die hatte nur allerdings einige Lücken, weit weniger Daten, keine Gesamtübersicht und kein Facebook. Hinter dem Politometer steht übrigens jener Mikro­mischkonzern, zu dem auch The Gap gehört. Gern gestellte Frage: Wie wichtig ist das Geplauder in diesen Netzwerken wirklich? Man ist versucht zu sagen, hoffentlich gar nicht. Immerhin steht Ober-Paintballer Strache ganz oben in der Liste. Klar ist aber, Menschen sind über die nicht mehr ganz neuen Netzwerke direkter erreichbar. Man könnte auch sagen, etwas ist immer nur in dem Maß wichtig, wie Leute glauben, dass es wichtig ist. Das Politometer misst genau das.  www.politometer.at www.facebook.com/politometer

Do. 15.11.12 SUBOTRON | WKW pro games local Märkte der Games-Industrie: Social / Browser Alex Seifert | pro3games Wolfie Christl | Data Dealer Peter Purgathofer | yourturn.fm

Fr. 23.11.12 SUBOTRON arcademy Virtuelle Realitäten: Von MMORPGs zu MUVEs Anna Felnhofer & Oswald D. Kothgassner | Universität Wien, Institut für Angewandte Psychologie

Fr. 30.11.12 SUBOTRON arcademy Go with the Flow? Das Flow-Phänomen als Game-Design-Paradigma in der Kritik Anne-Kristin Langner | Universität Hildesheim SUBOTRON/WKW pro games wird unterstützt von www.creativespace.at – Medienpartner Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien


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Lisa Schmid (The Gap / Outright)

TOP 10

TOUCHYFEELY TECHNO (FÜR TRAUMTÄNZER)

01 Channel A – From Barcelona With Love 02 Lucas Türschmann – Tough Love Edit 03 Tyson – Mr. Rain (Mano Le Tough Remix) 04 Alex Barck – Re-Set (Hannes Fischer Remix) 05 Julia Stone – This Love (Egokind Edit) 06 Frank Wiedemann & Ry Cuming – Howling (Âme Remix) 07 Peter G. – Buch der Liebe (Herr Fuchs & Frau Elster Edit) 08 The National – About Today (Marchetti Edit) 09 Asaf Avidan & The Mojos – Maybe You Are (Stefan Biniak Private Edit) 10 Of Monsters And Men – Love Love Love (Alternate Edit)

TOP 5

WIENER MUNDART

01 Bemmerl 02 Pantscherl 03 Haberer, heast! 04 Suderant 05 Saftln

auch nicht schlecht: Sonntags dem Papierfetisch frönen aka Zeitung lesen.

www.thegap.at/gewinnen Urbanears »Medis Plus« Medis sind Urbanears’ In Ear-Kopfhörer mit dem speziellen und patentierten Earclick. Dieser ermöglicht es, die Teile im Ohr einzuhängen, ohne dass sie in die Ohrmuschel gelangen, verteilt das Gewicht und klingt großartig. Ganz besonders angetan hat es uns aber das feine Schwarz, in dem Produkt und Verpackung matt glänzen. Wir verlosen 1 × Urbanears Medis Black.

»Halo 4« Fanpaket Mit »Halo 4« startet der beste aller Konsolen-Shooter in eine neue Trilogie und überzeugt dabei nicht nur mit alten Qualitäten, sondern etwa auch mit – von TV-Serien inspirierten – Koop-Episoden. Überragend! Wir verlosen 1 Fanpaket bestehend aus Limited-Edition-Spiel, Wireless Headset und einem Halo-Controller.

Logitech »UE Mobile Boombox«

Teresa Rotschopf (Musikerin)

TOP 10

DIALEKTAUSDRÜCKE MEINER KINDHEIT

01 Eacheg (dort drüben) 02 Hieseg (hier herüben) 03 Drent (drüben) 04 Docht (dort) 05 Feachtn (voriges Jahr) 06 Pidl (kleiner Bub) 07 Asegat (eine solche) 08 Hausa (Balthasar) 09 Schottsoatn (Schattseite) 10 Ros (Pferd)

TOP 5

HOBBYS MEINER FREUNDE

01 Mit Leuchtschwertern kämpfen (Emanuel) 02 Rallye fahren (Patrick) 03 Hollegha-Druckgrafiken sammeln (Michael) 04 Faltboot paddeln (Sebastian) 05 Eine Salsera sein (meine Mutter)

auch nicht schlecht: Caspar Blinky Pils.

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Die »Boombox« ist klein und wird ihrem Namen soundtechnisch jederzeit gerecht. Überall lassen sich etwa Handy oder Tablet mit dem Lautsprecher verbinden – Musikgenuss für mehr als einen wird dadurch wunschweise zum Kindergeburtstag, zur Teenager-Party oder zur silbernen Hochzeit. Ein eingebautes Mikrofon macht die Boombox außerdem zur überdimensionierten Freisprecheinrichtung. Wir verlosen 2 Stück.

Neal Stephenson »Error« Neal Stephenson entwirft in seinem neuen 1.024-Seiten-Brocken eine alternative Gegenwart und taucht gewohnt gewissenhaft in die Welt der Online-Games und Hacker ab. Dicht verwobene Handlungslinien lassen Off- und Online einen Strudel an verbrecherischen Aktionen los. Wir verlosen 3 Exemplare.

»Piranha 3DD« Der Film, der auf Deutsch nur »Piranha 2« heißt, verspricht auf der Packung »coolere Action«, »fiesere Fische« und »größere Brüste«. Bleibt nur mehr die Frage offen, ob auch wieder ein Penis abgebissen wird. Wir verlosen 3 Exemplare auf Blu-ray und in 3D.

»Hesher« Ungewöhnlich präsentiert sich »Hesher«: Der 13-jährige T.J. lebt nach dem Tod seiner Mutter gemeinsam mit seinem nicht all zu lebensfähigen Vater bei der Großmutter. Schon bald belagert ihre Couch Hesher (Joseph Gordon-Levitt), ein ungewaschener Rebell, der sich in großem Stil in ihr Leben einmischt. Und das nicht nur, aber auch zum Nachteil von T.J. Wir verlosen 2 DVDs.


Kooperation

Powered by Dulux

The Gap verschenkt ein Piece für zuhause. 860 Likes für einen echten Boicut. Wir haben einen würdigen Gewinner. WIR GRATULIEREN Es konnte nur einen geben: Nina aus Wien hat es geschafft. Sie konnte mit ihrem Bild die meisten Menschen davon überzeugen, dass sie die Richtige für einen echten Boicut ist. Ihr Foto, mit dem bezeichnenden Titel »Art«, erhielt stolze 860 Stimmen. Wie sie das geschafft hat, ist uns selbst ein Rätsel. Freunde nerven und anbetteln, meinte sie. Deshalb werden Boicut und The Gap bald an Ninas Tür klopfen – bewaffnet mit Pinsel, Rollern und jeder Menge Farben von Dulux. Das Ergebnis der Aktion könnt ihr in der nächsten Ausgabe sehen. Wir werden Boicut bei der Arbeit filmen, während er ein paar seiner größten Geheimnisse preisgibt. Also kein Grund traurig zu sein, wenn ihr nicht gewonnen habt. Einfach bis zur nächsten Ausgabe warten, ein paar Farben kaufen, Video ansehen und zu Hause selbst Hand an die Wand anlegen.

Wir liefern dir Street Art aufs Zimmer.

BILD: Arno Ebner, Matthias Hombauer, Stefan Schiermeier

the gap room service


Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger

Länder wurden schon in Sachen rebellischer Laughtivism beraten. Über den Trend zu Smiley-Revolutionen und andere Überforderungen.

N

eulich sah ich eine Doku über eine Konzerttournee von Leonard Cohen. Es gab viele Krisen, die Verstärker wollten nicht, wie sie sollten, und der sensible Sänger wollte nicht nur deshalb oft nicht vor das Publikum. Einmal verließ er während des Konzerts die Bühne und begann sich stattdessen im Backstage-Raum zu rasieren. Die Leute draußen aber warteten, bis ihr Messias wieder zurückkam. Cohen und seine magischen Lieder war ihnen so wichtig, dass sie Zeit hatten. Die Szene spielte sich 1972 ab. Heute hört man oft: Keine Zeit. Leider. Der Hinweis auf die Gehetztheit dient auch als Ausstellungstitel für eine Schau im 21er Haus in Wien, die zeigen will, was der Kunst so zum vagen Zusammenhang Überforderung, Zwangskreativität, Burn Out, Überarbeitung, Prekarisierung und nicht zu vergessen Depression einfällt. Als Leitformel dient die Diagnose des »erschöpften Selbst« von Alain Ehrenberg. Der französische Soziologe beschrieb damit ein Schuldgefühl, das sich weniger von durch Verbote gezüchteten Neurosen der verblichenen autoritären Gesellschaft nährt als durch das grassierende Leid am Unvermögen. Die Frage, die die unglücklichen Selbste nach der Liberalisierung der Sitten sowohl in Castingshows wie auch in die Arme der Psychotherapeuten und Motivationstrainer treibt, sei heute nicht mehr: Was darf ich tun, sondern was kann ich tun. In Graz beim Steirischen Herbst gab man darauf eine Antwort voller Unvereinbarkeiten. Ein 24-Stunden-Marathon lockte all die, die keine Zeit haben, etwas zu versäumen. Wer wollte, konnte um fünf Uhr in der Früh alternative Stadterkundungen mitmachen. Danach gab es Yoga für die Massen oder den Rest vom Schützenfest. Später gingen die Panels und Vorträge los, irgendwann gegen Abend wurde es dann performativer, den Abschluss bildeten oft Konzerte oder DJReihen, bevor am nächsten Morgen wieder alles von vorne losging. Schlafen können wir, wenn wir tot sind. Oder gleich auf Matratzen im »Camp« – wenn wir mal die

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sanfte Irritation über die Umdeutung des (historisch belasteten und durch rechtsfreie Zonen wie Guantanamo leider aktualisierten) Lagerbegriffs zum diesjährigen Festival-Hot Spot kurz beiseiteschieben können. Unter dem Motto »truth is concrete« gab sich im Camp vor allem eine vagabundierende Zunft aus der Interessensgemeinschaft Protest ein Stelldichein. Während man anderswo dazu mit rauchenden Theoretikerköpfen und oft lähmend langweiligen Aktivistenheldenepen rechnen muss, wurde hier vor allem der Spaß am Suppe versalzen groß geschrieben. Man konnte es schon an der Lust an den exquisiten Namenskreationen erahnen. Eine Church of Kopimism kreuzte offenbar Koptentum und Optimismus im Zeichen der Propaganda für die Segnungen von Copyleft; Telekommunisten feierten den Venture-Communism, andere ließen sich im mobilen Haarsalon Haircut Before the Party eine passende Gesichtstracht zu den Aktivismusformen der Nerds zwischen Hacktivism und Clicktivism verpassen. Srda Popovic sammelt und sichtet in Belgrad all diese Updates der politischen Subversion mit ästhetischen Mitteln. Als Direktor von canvas (Zentrum für gewaltlose Aktionen und Strategien) und als Freelance-Dissidenzberater reist er durch die Welt und befasst sich derzeit intensiv mit den arabischen Rebellionen. Auch seine eigenen erfolgreichen Erfahrungen im von ihm sogenannten Laughtivism während der Studentenproteste gegen Slobodan Milosevic bringt er ein. Damals wurde etwa eine Milosevic-Maske auf öffentlichen Plätzen den Passanten als Watschenmanngesicht präsentiert. Die Polizei wusste nicht, was sie tun sollte und rettete schließlich das Milosevic-Symbol, indem sie es im Polizeiwagen abführte – was natürlich erst recht zu Spott und Hohn in den Medien führte und sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Man könnte nun solche kleinen Triumphe über die Staatsmacht als CultureJamming-Strohfeuer abtun, das nichts bewirkt außer der Illusion, man hätte es jetzt denen oben mal so richtig gezeigt. Die radikale Kritik an der Subversionseuphorie

und am Aktionismus der Spaßguerilla, wie der Laughtivism früher hieß, hätte sogar behauptet: Gerade eure Genugtuung über den kleinen Sieg hält euch davon ab, die entscheidende Machtfrage stellen zu müssen. Ja ja, die Macht macht sich lächerlich, wie Bill Clinton damals als »I had no sex with this woman«-Heuchler, aber machen nicht gerade die aufgedeckten Schwächen und Widersprüche die großen Führer zu Menschen wie du und ich, die eben, wie auch Berlusconi, Präsidenten, Verbrecher und stinknormale Betrüger in einem sein können ist? Freilich war Bill Clinton kein Diktator wie Slobodan Milosevic, und außerdem: Milosevic musste ja dann tatsächlich gehen. Die Schaffung von aktionistischen Lose-Lose-Situationen für diktatorische Autoritäten hält Popovic deshalb nicht nur für ein Mittel, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu bekommen, sondern vor allem für ein probates Mittel, die Moral zivilgesellschaftlichen Widerstands zu stärken. Laughtivism pulverisiere die Angst vor dem Regime und scheuche die Apathie aus den Köpfen. Erst dadurch können Mut und die Kreativität der Aktivisten auch die politischen Leidenschaften der Massen wecken und eine Bewegung stiften. Was dann aber freilich trotzdem ungeklärt bleibt: Was und wohin will eigentlich der Strom der Unzufriedenen? Sind sie nicht die Vielen, deren Gemeinsamkeiten außer dem Nein zum Ist-Zustand nicht nur nicht ausgemacht sind, sondern gar nicht ausgemacht sein können? Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at

Thomas Edlinger Journalist und Kurator


ö1 schwerpunkt

:medien

Die Welt der Information – intensiv beleuchtet Ö1 Schwerpunkt von 16. – 25. November 2012

DIAGONAL »Zur Person Oscar Bronner – Zeitungsmacher, Bohemien, Entrepreneur« Samstag, 17. 11. 2012, 17.05 Uhr

RADIOKOLLEG »Die Freiheit der Medien – Pluralismus und Regulierung« Montag, 19. 11. – Donnerstag, 22. 11. 2012, jeweils 9.05 Uhr

JOURNAL-PANORAMA »Kleines Land, große Player – Medienmacht in Österreich« Montag, 19. 11. 2012, 18.25 Uhr

MAtRIx – cOMPUtER & NEUE MEDIEN »Sozialisiert im Netz – Wer ist die Netzgeneration?« Sonntag, 25. 11. 2012, 22.30 Uhr u.v.m.

Nähere Informationen in oe1.ORF.at/medien 7 Tage Ö1: Ö1 sieben Tage nachhören in oe1.ORF.at


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FAUNA – »D(r)one« — Debüt mit Knacks

downtempo aus ruinen Downtempo, das würde es nicht ganz treffen, meint Fauna gegen Ende des Interviews. Es beschreibt nur das Offensichtlichste, eine niedrige Schlagzahl. Und mit Downtempo von früher, den sanft rollenden Samplespielchen aus dem eben wach geküssten Wien der mittleren 90er, hat Faunas Debüt auf den ersten Blick wenig zu tun. Aber es gibt sie, die Gemeinsamkeiten von »D(r)one« und Downtempo. Beide sind eher kühl, in weiten Teilen instrumental und wirken manchmal recht oberflächlich. Es gab und gibt außerdem für beide internationale Vorbilder, dazu eine lose vernetzte Szene. Und während das eine Mal kurz zuvor die Fundamente des Kommunismus in sich zusammenfielen, waren es das andere Mal die Fundamente der Banken. Klar, Ereignisse von dieser Tragweite lassen sich in ihren Auswirkungen schwer vergleichen, sie beeinflussen gesellschaftliche Stimmungen im Allgemeinen und Musiker im Speziellen recht diffus. Aber beide Male wurde das Tempo gedrosselt, zumindest in einigen Bereichen, zumindest ein wenig.

Gestrandet Fauna arbeitet allein, aber nicht isoliert. Die Beats sind Skelette, die Melodien sind Irrlichter, die Stimmen aus Staub und die Synths aus kaltem Nebel. Man kennt das von anderen. So wie auch die unscharfen und gesichtslosen Bilder, die menschenleeren Videos, das Spiel mit Licht und Schatten, die Kontraste, das Gefühl die Kontrolle verloren zu haben, gestrandet zu sein, und sich mit ein paar Symbolen eine neue Geschichte bauen zu müssen. Andere sind näher dran an Dub, an HipHop oder Techno. Sie haben seltsame Namen wie Holy Other, Shlohmo, Ivvvo, Vessel, Giraffage, XXYYXX, Borealis, Balam Acab, El Txef A, Emeralds, oder auch die österreichischen Point und Chronoptimist. Sie kommen aus allen Ecken der Erde, in die Breitband-Internet noch reicht. Fauna macht trotzdem ein paar Dinge anders als der Rest. Niemand sonst bremst seine Tracks so weit herab, bis fast nur noch morphinhaltiger Ambient übrig bleibt. Und Faunas Album folgt einem losen Programm, es ist das Ergebnis des letzten Sommers, den sie abgeschirmt in ihrer Wohnung verbracht hat. Davor war ein enger Bekannter gestorben. Die Sieben auf dem Cover, die Titel haben damit zu tun – wie genau, das verrät sie natürlich nicht. Gleich nach dem Intro ertönen die Worte: »And the nightmare begins«, mit den letzten Tagen, der Ewigkeit und einer Sackgasse geht das Album zu Ende. Fauna schreibt intime und zauberhafte Songs. Aber Witchhouse und Spuk-Pop – das trifft das Debüt nicht richtig. Sagen wir also der Einfachheit halber doch Downtempo dazu, Downtempo aus Ruinen. Was ist das Böse? Nach zwei Stunden wird das Gespräch lockerer

und kommt schließlich bei Hannah Arendt und der Banalität des Bösen an, bei Theodor Adorno und der Dialektik der Aufklärung. Der Schlaf der Vernunft, das ist ein dauerndes Thema in Faunas Musik, auch in ihrem Leben. Mit 20 hatte sie Panikattacken bekommen und angefangen nachzudenken und sich mit dem Tod zu beschäftigen, wie sie selbst sagt. Man merkt schnell, dass sie es ernst meint, dass das nicht nur pathetischer Kitsch ist, die schwarze Kleidung, die elektronischen Séancen und der Tumblr-Totenkult. Oder überhaupt: Illuminaten und Satanisten. Fauna ist behutsam, wenn sie darüber redet. Aber sie kennt eben Geschichten, über den üblen Vater von Michael Jackson, über Popstars, die aus schwachen, zerrütteten Familien kommen und sich leicht kontrollieren lassen, über den enorm erfolgreichen Musikmanager Clive Davis, über den Papst. Der Teufel hat viele Gesichter, schrieb sie unlängst auf Twitter und hängte vier Fotos an. Mit ihrer Musik hat das allerdings nichts mehr zu tun, auch wenn in letzter Zeit wieder gerne versucht wurde, so zu tun, als wäre die Bühne und das Leben dieselbe Sache. Fauna liefert im Gespräch selbst einen treffenden Vergleich: der echte, bleierne Tod, dafür ist sie noch nicht bereit, für Zombies, Psychopathen und Schlitzer schon eher. Ihre Songs sind bei all ihrer Intensität ebenfalls überzeichnet, sie sind Drama, nicht das echte Leben. Bam, Augenblick, verweile. »D(r)one« erscheint auf Moun10, einem Label, das Fauna mit einer Freundin betreibt. Beide sind sich bei ihren Entscheidungen einig. Clara Luzia hat ebenfalls ein Label. Michaela Schwendtner. Electric Indigo. Patricia Enigl. Kerstin Breyer. Christina Nemec. Und Soap & Skin. Außer ihnen gibt es in Österreich keine Frauen an der Labelspitze. Es wird einem in Wien nichts geschenkt, das sagt Fauna im Interview immer wieder. Aber statt zu jammern, wollen sie lieber einfach machen. Die meisten Probleme haben damit auch gar nichts zu tun. Wenn man etwa Geld für Vinyl verbrennt, oder für ein Video, mit dem man nicht zufrieden ist. Deshalb ist man bei Moun10 ein Jahr nach Gründung vorsichtig geworden, ist zum Selbermachen übergegangen – und dazu gezwungen. Fauna war beide Male mit etwas anderem beschäftigt, erwähnt sie beiläufig. Ah, wie? Meint sie es denn da überhaupt ernst? Arbeitet sie hart genug? Um heute ein Label voranzubringen, muss man rackern, netzwerken, planen, einreichen, scouten und treffsicher hypen. Hobby, Liebhaberding, heißt es dann oft. Genau. Das wird es bleiben, heißt es dann auch oft. Nur nicht unbedingt bei Moun10. Weil Faunas Debüt trotz kleiner technischer Schwächen aus einem Guss ist, mit seherischer Überzeugungskraft, weil es Schmerz mit Hoffnung verbindet. Was kann man schon mehr verlangen? »D(r)one« von Fauna ist bereits via Moun10 erschienen. 019

Text stefan niederwieser Bild marlene engel, oun10

Faunas »D(r)one« ist ein bemerkenswertes Debüt. Weil es schwerer ist, als Frau in Österreich elektronische Musik und ein Label zu machen und weil es internationale Katastrophenmusik ganz persönlich interpretiert.


interview stefan niederwieser, jonas vogt

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»Die Line-ups der Stadt sind doch oft Zipfeltreffen.« Rana Faharani

Ad Personam —— Fauna, aka Rana Farahani, wurde in Teheran geboren und kam mit ihren Eltern dreijährig nach Wien. Wien Favoriten um genau zu sein. Später ging es in den zweiten Bezirk, das Teppichgeschäft des Vaters stand im Sechsten. 27 Jahre wohnt Rana nun schon durchgehend in Wien, war früher HipHopperin – die selbstaufgenommenen Tapes gingen bei Umzügen verloren – und einmal sogar Statistin in einem Video von Sabrina Setlur. Mit 17 oder 18 stieg sie auf Ravemädchen um, wie sie selbst sagt, trat später dem Künstlerinnenkollektiv Female Pressure bei. Auflegen hat sie sich selbst beigebracht. Produzieren auch. Labelmachen auch.

Gab es einen Moment, in dem du dir dachtest, jetzt möchte ich auch Musik machen? fauna: Ja. Aber das war erst vor einem Jahr, bei der Club Transmediale in Berlin. Während der Konzerte habe ich gemerkt, ich bin gereift, das möchte ich machen. Auch wenn es bis dahin ein steiler Weg war. Du warst davor schon DJ. Anfangs wirkt das von außen doch auch wie ein hermetischer Männerzirkel? Ist es auch. Aber das beeindruckt mich nicht. Es ist für niemanden einfach, egal ob Frau oder nicht. Man wird anfangs nicht ernst genommen. Als ich angefangen habe, hatte mein damaliger Freund Turntables zuhause und … Wer war das? Muss ich das sagen? Ich glaube wir wissen es … Aber ich glaub es nicht wichtig. Ich hab das Auflegen im Club gelernt, so arg das klingt. Probleme hatte ich dabei nicht, das liegt vielleicht auch an meinem Auftreten. Auch wenn das gedauert hat, bis ich so gefestigt war. Man hört natürlich: »Ja ja, Frauen, die auflegen« – von Leuten, die selbst Visuals machen oder DJs sind. Plattenläden sind sowieso eine Mafia, wenn du mich fragst. Namhafte DJs haben Fächer mit Neuerscheinungen. Alle anderen müssen selbst suchen. Das hat mich allerdings nie von etwas abgehalten. Aber ist dir irgendwann einmal aufgefallen, dass es in der elektronischen Musik wenige Frauen gibt? Ja klar, es kommen welche und es gehen welche, aber es bleibt überschaubar. Wenn man sich die DJ-Line-ups der Stadt anschaut, sind das doch oft Zipfeltreffen. Und wenn Frauen auflegen, ist das leider häufig Benefiz. Irgendwann konnte ich auch mit Female Pressure nichts mehr anfangen. Mit der ganzen Technoszene hab ich mittlerweile gebrochen. Mehr machen, weniger Diskussionsgruppen gründen. Soundframe ist eine Plattform, auf der viele Frauen aktiv sind, die aber um diesen Umstand nie großes Aufsehen gemacht haben. Sie machen ein Festival mit einer Selbstverständlichkeit, wie es auch für euer Label Moun10 selbstverständlich ist. Ja. Vielen anderen fehlt aber die Aggressivität. Redest du mit Moun10-Kollegin Marlene Engel über diese Themen? (Leicht genervt) Ja. Sehr viel. Wir machen uns bald Penis-Shirts. Man wird leider oft nicht ernst genommen. Wir haben viele, teilweise schlechte Erfahrungen im letzten Jahr gemacht und mussten auch feststellen, dass vier Leute nicht gleichzeitig wichtige Entscheidungen treffen können. Vinyl war ein Fehler – der Fetischismus drum herum nervt mich ja sowieso. Ich bin eher ein MP3- und WAV-Kind. Wenn ich das sage, schauen andere DJs allerdings oft weg. Habt ihr euch das Labelmachen selbst beigebracht? Wir waren einmal beim Mica, haben sonst die Devise: einfach

machen. Wir bereden uns über Skype und sind uns immer einig. Kompakt als möglichen Vertrieb haben wir zu früh angesprochen, als wir noch zu wenig herzuzeigen hatten. Aber das kommt wieder. Wie lange hast du eigentlich für dein Debüt gebraucht? Wirklich lange. Den ganzen Sommer. Den ganzen Sommer. Ich glaub, ich mach nie wieder ein Album im Sommer, das ist sehr schlimm, ich hab seither einen leichten Knacks. Ich war so schlau und habe mir schwarze Vorhänge gekauft, mich von Facebook zurückgezogen und mir bei 40 Grad eine Umgebung geschaffen, die sehr winterlich war. Auch wenn es blöd klingt, ich kann am besten kreativ sein, wenn es mir schlecht geht. Das Album ist zur Mitte hin zwar euphorisch, aber dann kommt der tiefe Fall. Hat es dir geholfen? Nein, aber ich hatte etwas zu tun, konnte etwas machen – das war wichtig. Es wird jetzt sehr schwierig, das live zu spielen, weil es doch sehr privat und vollständig von mir gemacht ist; auch die wirklich uncoolen Teile wie der Mixdown. Was ich aber eigentlich nicht betonen möchte. Mich hat es lange behindert, dass Tracks zu 100 Prozent perfekt klingen sollen. Ich habe mich jahrelang damit gefoltert, etwas Clubtaugliches zu machen. Es darf natürlich nicht unprofessionell klingen, aber es muss vor allem Seele haben. Ich will mich mit Musik wegbeamen. Musik soll dich woanders hinbringen? Ja, wo man nicht mehr da ist. Wie nennt man das? Astralreise. Das ist unglaublich, wenn Musik das schafft. Ich zünde keine Hölzer an, aber ich habe auch nichts gegen Esoterik. Ich frage Leute oft nach dem Sternzeichen – damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe (lacht), nach ihren Aszendenten. Aber Häuser … das geht mir zu weit. Ich fertige allerdings meine eigenen Schriften dazu an. Beschäftigst du dich noch mit anderen Übersinnlichkeiten? Nein. Ich beschäftige mich ziemlich viel mit dem Tod. Das brauche ich einfach. Eigentlich sollte das jeder machen, das erleichtert einem ziemlich viel. Man hört das auch auf dem Album, finde ich. Aber eher ein Horrorfilmtod, als der Tod aus Michael Hanekes Film »Amour«? Ja, dieses aufgeschlitzt werden, das hilft mir eigentlich viel mehr. Für das andere bin ich noch nicht so weit. Wie gut kennst du die Tastaturbelegung auf deinem Apple? Die kenn ich sehr gut. Derzeit mag ich Dollarzeichen. Und wie lang machst du schon keine Dreiecke mehr? Schon lange. Seit ich gesehen habe, dass die Technowelt Dreiecke entdeckt hat. Das Jahr 2012 ist ziemlich (zögert) dunkel. Ich glaube nicht an den Weltuntergang, aber ich glaube, dass sich vieles ändern wird, dass bald ein neues Bewusstsein beginnt. Kannst du das konkreter sagen? Nein, gar nicht (lacht).

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Weil die Welt noch immer nicht so ist, wie sie sein sollte:

30 Jahre Global 2000. Das GeburtstaGsfest am 16. November im wieNer wuK.


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golden frame — Catharina Freuis – Schminkraum

Der Raum als Trugbild

Ein Schminkraum, leer – ohnehin schon schaurig –, ist überzogen mit einer Schicht Make-up; weiße Kästen, beleuchtete Spiegel an den Wänden vor einem Ablagebord, rechts hinten ein Waschbecken, an der Decke scheint es eine Oberlichte zu geben, die im Ausschnitt nicht mehr erkennbar ist. Es ist ein geräumiger Umkleideraum, der über massenhaft Stauraum verfügt. Auf den ersten Blick scheint – bis auf die Make-up-Schicht – alles normal zu sein, bei genauerer Betrachtung aber wird klar, dass der Raum selbst in seiner Architektur eigenwillig unlogisch und erstarrt ist. Weshalb der viele Stauraum, warum nur ein Waschbecken? Irgendetwas stimmt nicht. Catharina Freuis erzeugt mit ihren Räumen eine eigene Form des Horrors. Was zu sehen ist, mutet oft an wie eine Szenerie von H.R. Giger oder Matthew Barney. Hinter der Normalität verbirgt sich ein Vakuum. Hier findet kein Leben statt. Es bleibt nur das Schema eines Raumes übrig, der an seiner eigenen Funktion erstickt ist. In einem anderen Bild ist ein Umkleideraum mit Spindreihen zu sehen, durch ein Fenster quellen Bahnen von frisch gelegtem Haar herein. Wieder ein anderes Werk zeigt in einem dunklen Raum, in dem nur ein Lichtkegel die Mitte beleuchtet, ebendort eine Couch mit Pölstern und Tisch davor. Auffällig ist die Tiefe dieser Räume, welche durch die Kameraposition entsteht. Freuis baut diese Räume für ihre Fotografien. Es handelt sich um akribisch geschaffene Modelle, die sie fotografiert. Die Details erzeugen die Illusion, hier könne es sich um Räume handeln, welche vom Menschen im Alltag belebt werden. Man vermutet einen »echten« Raum, im Wissen, dass es bloße Assoziation ist. Der Mensch wird zum Wunschdenken. Schmink- und Umkleideräume sind Transiträume, wo Routinen entstehen, die hier ausgespart bleiben. Die bewussten Irritationen wie Make-up, Lichteinsatz, Haarbahnen sind Störelemente, die vom Horror Vacui ablenken. Sie lenken die Aufmerksamkeit beim ersten Betrachten auf sich, ehe sie den Blick freigeben in die Tiefe des Raumes. Während die Störelemente Anhaltspunkte bilden, ist der Betrachter, wenn er sich davon gelöst hat, völlig dem leeren Raum und seiner verlorenen Funktionalität ausgeliefert. Catharina Freuis, geboren 1985, lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und an der Högskolan för Fotografi in Göteborg, Schweden. Von 16.11. bis 13.12.2012 zeigt die Startgalerie im MUSA eine Einzelausstellung von Freuis unter dem Titel »Schaustücke«. www.musa.at www.catharinafreuis.com 023

Text Erwin Uhrmann Bild Catharina Freuis

Fotografie ist ein trügerisches Medium. Wer die Werke der jungen Künstlerin Catharina Freuis betrachtet, würde nicht gleich auf die Idee kommen, dass die Künstlerin das Auge des Betrachters täuscht. Ihre Räume mit irritierenden Elementen sind Trugbilder menschenleerer Räume.


This Human World – Internationales Filmfestival der Menschenrechte — Special: 20 Jahre Riot Grrrl

Riot Grrrl made in Austria 024

Interview artemis linhart Bild Fettkakao

Sie war dringend und kurzweilig, ist nun aber schon wieder 20 Jahre her: die geschlechtsbewusste Punk-Strömung Riot Grrrl. Artemis Linhart hat drei der Organisatorinnen des »Girls Rock Camp Niederösterreich« getroffen, um mit ihnen über das Erbe dieser Subkultur zu sprechen. Mittlerweile sind die 90er-Pionierinnen von Bikini Kill und Bratmobile Flaggschiffe feministischer Musik. Aus der US-amerikanischen DIY-Punk- Szene formierte sich um sie eine Bewegung geschlechtlicher Selbstbestimmung: Riot Grrrl. Sie forderten Unabhängigkeit, Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung. Auftritte wurden genutzt, um männliche Dominanz aufzubrechen. Sie wollten eine Atmosphäre, in der sich auch Frauen sicher fühlen konnten – girls to the front. Bands, Fanzines und Netzwerke folgten. Männliche, weibliche und Transgender-Personen spielten innerhalb der queer geprägten Bewegung eine gleichbedeutende Rolle. Das Wiener Duo Plaided wurde von Riot Grrrl stark geprägt. So organisiert Veronika Eberhart (Plaided) gemeinsam mit Ulli Mayer und Sara Paloni nun unter anderem das Girls Rock Camp NÖ. Im Interview erzählen sie, wie sie seither und überhaupt das Erbe von Riot Grrrl in Österreich verwalten.

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Inwieweit hat die Bewegung Riot Grrrl euer Leben verändert? veronika eberhart: Ich habe den Begriff bzw. die Bewegung relativ spät mit 22 im Kontext des ersten Ladyfests in Wien bewusst kennengelernt. Es gab für mich zwei prägende Schlüsselmomente. Ich ging regelmäßig auf Konzerte diverser Indie-Clubs. Damit einher ging auch die regelmäßige Abwehr von Anmachen, Begrabschungen bis hin zu Belästigungen. Der Konzertbesuch alleine war eine totale Überwindung. Ich war an der Musik und nicht an einer blöden Anmache von irgendeinem besoffenen Typen interessiert. 2002, auf einem Le Tigre-Konzert in der Szene, war ein Typ, der mich blöd angemacht hat. Aber wie aus dem Nichts standen zwei Frauen vor ihm, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und haben ihn zurechtgewiesen. Ich hatte eine solche Form von Solidarisierung zuvor auf Konzerten noch nicht erlebt. Plötzlich macht es »klick« und du merkst, du bist nicht alleine. Hier geht es um mehr als um Musik. Und vor allem: Du musst dir nicht jeden Scheiß gefallen lassen. Die zweite starke Erfahrung war der Besuch von Workshops und Konzerten während des ersten Ladyfests 2004. Es war eine neue Erfahrung von gemeinsamen Lernen und Musikwahrnehmen, die definitiv etwas in mir verändert hat. Damals hab ich dann auch immer mehr Musikerinnen kennengelernt. So waren z.B. First Fatal Kiss für Julia und mich ein wichtiger Grund, selbst Musik zu machen. ulli mayer: Meine erste theoretische Berührung mit Riot Grrrl hatte ich als Redakteurin bei der Zeitschrift fiber.werkstoff zu feminismus


und popkultur, meine erste praktische Auseinandersetzung später als Teil des Organisationskollektivs des ersten Ladyfests in Wien. Beides hatte entscheidenden Einfluss auf meine Sozialisation und meine weiteren Projekte. Das inspiriert mich nach wie vor. Ist Riot Grrrl überhaupt noch aktuell für euch oder schwingt nur noch das Vermächtnis der damaligen Bewegung mit? ulli mayer: Ich verstehe Riot Grrrl vielmehr als Werkzeug, als Anleitung zur Selbstermächtigung einer subkulturellen feministischen Bewegung, die sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, junge Frauen als selbstbestimmte Akteurinnen und Kulturproduzentinnen wahrzunehmen, sie zu Kreativität, Eigeninitiative, zum Musikmachen anzuregen. Diese Inspiration ist bis heute geblieben. Sie zeigt sich in unterschiedlichen Projekten und Netzwerken, von weltweiten Girls Rock Camps, Riot Grrrl-Samplern, Büchern oder Blogs. veronika eberhart: Ich finde die ganze Geschichte, wenn wir eine solche überhaupt eingrenzen wollen, unglaublich inspirierend und stärkend. Die Riot Grrrl-Bewegung hat gezeigt, dass Performance, Musik und auf der Bühne stehen sehr viel mehr Bedeutungen haben kann als nur ein Publikum zu unterhalten. Natürlich haben das andere Bewegungen wie Punk auch schon gemacht, aber diese waren meist männlich dominiert. Es bedarf auch Mut, die Wut über die Scheiße, die einer passiert, vor einem Publikum zu katalysieren. Und diesen Mut bewundere ich. Aber Riot Grrrl vereint sehr viel in sich, nicht nur eine Musikrichtung. Es ist eine feministische Strömung, die den kapitalistischen Zugang der Musikindustrie kritisiert, naturalisierte Normen wie Körper und Gender hinterfragt, den DIY-Gedanken lebt und unterschiedliche Ausdrucksmedien wie Zines und Punk verwendet. Riot Grrrl ist für mich auch eine bewusste Solidarisierung gegenüber sexistischen Mechanismen. Die verlieren leider nicht an Aktualität. Inwiefern wird Riot Grrrl als Konzept am Girls Rock Camp NÖ vermittelt? ulli mayer: Riot Grrrl bildet einen wichtigen Kontext für das Camp, der über viele unterschiedliche Weisen hergestellt wird: So wurde z.B. Le Tigres »Keep on Livin’« zur Hymne der Instrumentenworkshops. veronika eberhart: Ich weiß nicht, was Weiblichkeit ist oder sein soll, aber ich finde, es geht mehr darum, jungen Menschen zu zeigen, dass sie aktiv und gemeinsam unglaublich viel schaffen können. Dabei geht es zum Teil um ein gewisses Genre, da E-Gitarren und Schlagzeuge noch immer kaum im Lehrplan von Mädchen vorkommen. Es geht vor allem um Empowerment und darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem junge Menschen gemeinsam etwas kreieren und in dem versucht wird, Formen von Konkurrenzen und Kategorisierungen von »Gut« oder »Schlecht« möglichst außen vor zu lassen.

Ihr plant einen Film über das Girls Rock Camp NÖ. Wie weit seid ihr mit diesem Projekt? ulli mayer: Wir sind dabei das Filmmaterial zu sichten und planen, bis zum Frühjahr 2013 eine Art Trailer oder Kurzfilm fertigzustellen. Eine Kamera, ein beobachtender Blick von außen, macht natürlich auch etwas mit der Dynamik am Camp, wobei zu unterscheiden ist, wer zu welchen Zwecken filmt, also ob wir selbst mitfilmen oder Presse präsent ist. Die Reaktionen der Teilnehmerinnen sind ganz unterschiedlich, wichtig aber ist uns, dabei aufkommende Fragen etwa von Präsentation und Repräsentation, den eigenen, selbstbestimmten Umgang mit Medien, gemeinsam zu diskutieren sowie den Rahmen geschützter Freiräume beizubehalten. Wieviel Freiraum wird den Mädchen am Camp gelassen? sarah paloni: Geschützte Freiräume, um sich abseits gesellschaftlich normierter Erwartungen und Zuschreibungen auszuprobieren und frei entfalten zu können, sind die Basis aller Aktivitäten dort. Regeln, wie in diesen Räumen miteinander umgegangen werden soll, werden gemeinsam ausgemacht und gehen stark von den Wünschen und Bedürfnissen der Teilnehmerinnen aus. Aus meiner Sicht wird dieser Freiraum v.a. in den Bandprobe-Einheiten gelebt, weil da keine Inhalte vorgegeben werden, sondern die Teilnehmerinnen ihre Musik selbst bestimmen, Ideen mitbringen und ausarbeiten, eigene Texte schreiben, das Zusammenarbeiten lernen und selbst definieren, was ihnen gefällt. Die Band-Coaches begleiten sie dabei. Wie seht ihr die Unterschiede der Riot Grrrl-Bewegung im Vergleich zwischen Österreich und den USA? ulli mayer: Naja, die USA waren Ausgangspunkt von Riot Grrrl und können somit bereits auf eine eigene, langjährige Geschichte dieser feministischen, subkulturellen Bewegung zurückblicken, die es so in Österreich nicht gegeben hat. Hier waren es dann vielleicht die ersten Frauenbanden-Feste und Ladyfeste, wo sich zehn Jahre später DIY- und Riot Grrrl-Gedanken in selbstorganisierte Veranstaltungen in Musik, Film und Kunst übersetzten und sich so etwas wie eine Szene, eine Bewegung herausbilden konnte. veronika eberhart: Ein großes Thema in den USA sind All-AgesVeranstaltungen. Da Unter-21-Jährige keinen Alkohol trinken dürfen, darf man meist unter 21 auch kein Konzert in Clubs besuchen, in denen Alkohol ausgeschenkt wird. Daher gibt es neben Club-Konzerten eine stark vernetzte DIY-Musikszene, die House-Shows und All-AgesKonzerte selbst organisieren. Für gewisse Musikschaffende war und ist es auch eine Agenda, keine Clubshows zu spielen, weil Konzerte als Teil einer Jugendkultur verstanden werden und nicht als Teil einer von Clubs und Alkohol geleiteten Industrie. Daher ist es auch möglich, in den USA abseits von Booking-Agenturen zu touren und trotzdem vor relativ vielen Leuten zu spielen, indem man sich in diesem Netzwerk bewegt und sich gegenseitig hilft. Auch die Organisation unserer US-Tour war nur durch die Hilfe dieses Netzwerk möglich. Bands wie Japanther, Grass Widow und Pink Slime haben uns sehr geholfen. Aber auch in Österreich tut sich einiges, so gründen sich immer mehr feministische Labels wie etwa Unrecords, Comfortzone oder Fettkakao. Es gab Ladyfeste, es gibt Girls Rock Camps und es gibt einen regen Austausch zwischen Musikschaffenden in Wien. Aber ich hoffe noch immer auf mehr Keller- und Wohnzimmerkonzerte! Artemis Linhart kuratiert den filmischen Rückblick zu 20 Jahre Riot Grrrl im Rahmen des diesjährigen This Human World – Internationales Filmfestival der Menschenrechte (29. November bis 9. Dezember). Nähere Infos unter: www.thishumanworld.com www.girlsrock.at www.plaided.org 025


Joven Y Alocada — Prüde Pädagogik war vorgestern

Zur Hölle mit dem Internet 026

Text klaus buchholz Bild Marialy Rivas

Das Coming-of-Age-Drama »Joven Y Alocada« entwirft eine zeitgemäße Vision von Teenagern, die innere Widersprüche mit Hilfe des Internets ausbalancieren. Unverkrampft verschränkt der Film ein kreatives, sexpositives Kino mit jugendlicher Mediennutzung. Am Morgen erholt sich Daniela auf dem nackten Oberkörper eines beliebigen Teenagers, der auf dem Boden eines beliebigen chilenischen Wohnzimmers schläft. Um sie herum liegen andere Jugendliche, die gemeinsam ihren Rausch ausschlafen. Alles deutet auf eine ausgelassene Partynacht. Plötzlich lässt die 17-jährige ihre Hand in die Hose gleiten und beginnt zu onanieren. Während sie sich selbst befriedigt, denkt sie noch nicht an den Gottesdienst, bei dem sie gleich ihre Arme zum Himmel strecken und singen wird. Noch versucht ihre streng gläubige Mutter vergeblich, sie anzurufen. Ihr Mobiltelefon vibriert leise, als Daniela dem Jungen ins Gesicht stöhnt. »Joven Y Alocado« ist das Langfilmdebüt der chilenischen Filmemacherin Marialy Rivas. Die 35-Jährige porträtiert ein Mädchen, das sich den erdrückenden Widersprüchen ihres Alltags hingibt und langsam zur Frau wird. Im Fokus steht die Bloggerin Daniela (Alicia Rodríguez). Sie führt ein Doppeldasein, von dem ihre gläubige, latent aggressive Mutter nie erfahren darf. Auf der einen Seite ist Daniela der repressiven Religiösität ihrer Familie ausgesetzt. Auf der anderen Seite führt sie ein sexuell ausschweifendes Leben und bloggt darüber. Religiöse Erbsünden klatschen auf bisexuelle Neugierde. Konservative Gewalterziehung reibt sich am digitalen Alltag lustvoller Teenager.

Coming of Age 2.0 Ihnen verspricht das Internet Freizügigkeit und Selbstdarstellung, Schutz vor der Privatsphäre bietet die Anonymität in der digitalen Masse. Rivas schafft es, gänzlich unverkrampft das Medium Internet im Kino auch als das darzustellen, was es für sehr viele Jugendliche längst ist: ein erweiterter Lebensraum, in dem sie miteinander Erfahrungen austauschen, sprich erwachsen werden. Vorbildlich für dieses Verhältnis der Selbstermächtigung ist unter anderem eine fast unscheinbare Szene im Film: Als der kleine Bruder von Daniela seiner großen Schwester erklärt, wie sie den Verlauf ihres Browsers löschen und vor der autoritären Mutter verbergen kann. 026

Wir erleben »Joven Y Alocado« aus der Perspektive der Hauptdarstellerin. Die Kamera bleibt hautnah an ihrem Körper, bei ihrem Blick und ihrer inneren Zerrissenheit. Per Gedankenstimme führt sie durch die Kapiteln des Films, die jeweils durch Blog-Einträge markiert werden. Neu ist diese Unmittelbarkeit gerade für das Coming-of-Age-Genre freilich nicht. Originell ist aber, wie hier die Entscheidungsfindung veranschaulicht wird. Das Publikum folgt den Intuitionen und Assoziationen von Daniela. Auf sie wirkt ihr digitaler Alltag selbstverständlich ein. Die Handlung wird mit Tempowechsel, Found Footage, pornografischen Inhalten, Musikvideosequenzen, Traumszenen oder jugendlichen Usern vor Webcams gebrochen, die das Geschehen kommentieren. Den Einstellungen nach erinnern die Sexszenen nicht zufällig an Internetpornografie. Die Erzählung bleibt klar, während die verschiedenen, irrationalen Reize die Hauptfigur einfärben.

Internet-kino Der Film wird immer wieder zum abstrakten Mosaik, das die alltägliche Suche im Internet plastisch macht. Jugendliche Mediennutzung wirkt so besonders nachvollziehbar. Und mit ihr das Erforschen der eigenen Sexualität, die parallel dazu durch das Internet geprägt wird. So steht »Joven Y Alocado« den sexuellen Bedürfnissen seiner Teenager sehr aufrichtig gegenüber. Statt dem selbstverständlich expliziten Sex wird die Gewalt repressiver Erziehung problematisiert. All das verortet den Film dann wieder dort, wo er herkommt – in seiner jugendlichen Zielgruppe. Denn als Vorlage diente der gleichnamige echte Blog der 21-jährigen Camilla Gutierrez. Mit ihr erarbeitete die Regisseurin das Drehbuch. Ihr ganz persönliches, widersprüchliches Erwachsenwerden wurde so zu einem beispielhaften Gegenwartskino, das angstfreien Sex hat.

»Joven Y Alocada« (»Young And Wild«) wird im Rahmen des Internationalen Jugend-Medien-Festivals Youki (20.–24. November) gezeigt. Nähere Infos unter: www.youki.at


WOLL-LUST AM MIT DEM NEUEN VOLVO V40

Mehr Infos auf facebook.com/volvocaraustria 17./18. November 2012 Ottakringer Brauerei, 1160 Wien

In Kooperation mit


Oh Yeah, She Performs! Von heimischen Singer-Songwriterinnen

Wenn Frauen Gitarrengurte tragen Vier Frauen, keine kollektive Attitüde. Regisseurin Mirjam Unger hat einen On-und-Off-Stage-Film gedreht, der genau das nicht sein will, was sich viele davon versprechen werden – ein progressives Girl-PowerGewitter in einer männerdominierten Musikszene.

»Oh Yeah, She Performs!« liefert einen ruhigen und entspannten Einblick in das individuelle Leben und Schaffen von vier der derzeit präsentesten Frauen im österreichischen Indie-Musikzirkel – Luise Pop, Teresa Rotschopf, Gustav und Clara Luzia. Grundsätzlich hat der Film damit schon eine wichtige Funktion erfüllt – er dokumentiert kreative Prozesse, die man sonst nicht zu Gesicht bekommen würde und hat alleine deswegen das Prädikat »unterhaltsam« verdient. Die meist von Hand gehaltene Kamera folgt den Musikerinnen und ihren Bandmitgliedern oftmals stillschweigend durch sämtliche Backstage-Bereiche, vom kuscheligen Wiener Rhiz über das überrannte Donauinselfest bis hin zu abgefuckten Clubs inmitten von New York und Prag. Aufnahmestudios in alten Bauernhäusern und unschönen Kellern werden offenbart, Auftritte aller Art gezeigt und zwischendurch Schulzeit-Anekdoten bei einem Spaziergang im Regen erzählt. Idyllisch – zumindest scheint das die nicht ganz selbstverständliche Intention der Regisseurin zu sein, während sie mit ausgedehnten und langwierigen Szenen dem Publikum jede Menge Freiraum für persönliche Interpretationen und eigene Gedanken lässt.

Vision ja, Ziel nein

Text Nicole schöndorfer Bild mobile film

Nun kann man dies ja finden, wie man möchte. Oder aber auch nicht. Es kann einem Film natürlich eine sehr sympathische Note verleihen, wenn in minutenlangen, statischen Aufnahmen Stimmung aufgebaut wird, wenn einfach draufgehalten wird, oder die Kamera für das nackte Auge normalerweise unsichtbare Zuckungen im Mundwinkel und winzige Ansätze von Lachfältchen offenbart. Andererseits ist das gerade bei einer Musikdokumentation mit Vision ein zweischneidiges Unterfangen. Die vier Porträts werden in langen, stillen Einstellungen mit einer diffusen und nur gelegentlich aufblitzenden Message einem neugierigen Publikum präsentiert. Anders gesagt, es passiert einfach nicht viel in »Oh Yeah, She Performs!«. Da hilft auch das Ausrufezeichen hinter dem Titel nichts. Mirjam Unger scheint mit ihrem heiß ersehnten Beitrag zum österreichischen Musikfilmerbe 028


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4 Frauen, 1 Performancefilm Luise Pop 01 —— Drei Frontfrauen und ein Mann am Schlagzeug – gespielt wird bei Luise Pop nicht nur auf Tasten und Saiten, sondern auch mit geschlechterspezifischen Stereotypen. Aktuelles Album: »Time Is A Habit« (2012). Teresa Rotschopf 02 —— Bekannt wurde sie als Gesicht der Disco-Pop-Band Bunny Lake, mittlerweile steht sie auf ihren ganz eigenen langen Beinen und tourt mit ihrer Familie um die Welt. Kommendes Album: »Messiah« (2013). Gustav 03 —— Zarte Melodien treffen auf harte Fakten – Die Bühnenperformances von Eva Jantschitsch strotzen vor Exzentrik und Selbstironie und gleichen beinahe politischem Kabarett. Zuletzt: »Verlass Die Stadt« (2008). Clara Luzia 04 —— Die Band um Drahtzieherin Clara Humpel hat es wohl ihrer ungezwungenen Natürlichkeit zu verdanken, dass sie mittlerweile richtig große Hallen (über)füllt. Aktuelles Album: »Falling Into Place« (2011). kein definierbares Ziel zu verfolgen. Zweifelsohne gibt es wunderschöne Sequenzen auf und hinter der Bühne und jede Menge nettes anekdotisches Geplauder über unbezahlte Rechnungen und gestürmte Release-Konzerte, aber leider fehlt es an Dichte und Informationsgehalt.

überlick mit tücken Die Erwartungshaltung wird zwar nicht geschürt, ist aber verständlich: Der Film könnte ja einen Überblick über eine in Österreich blühende, nein, wuchernde und von Frauen immer dichter belagerte Singer-Songwriter-Szene im DIY-Bereich darstellen. Macht ja sonst niemand. Vier von unzähligen Talenten sind es geworden. Hat der Film nicht mehr vertragen? Knappe hundert Minuten könnten zu kurz sein, um ein halbwegs angemessenes Bild eines Szenenphänomens einzufangen. Jüngere Musikdokus über Wien machten es andersrum, »Vinyl – Tales From The Vienna Underground« oder »Left Fields« sind übervoll mit O-Tönen und Gesichtern. Ihnen fehlte es zwar sicher nicht an Material, aber an Struktur und Ziel. »Es muss was geben« zeigt wie es gehen kann, wenn mehr als ein Dutzend PunkLeistungsträger der Linzer Szene der 80er einen sehr kurzweiligen Film ergeben, der zwar ebenfalls ausfranst, aber immer seinen Fokus behält. Der Film von Miriam Unger macht das nicht. Nun kann man ihm schlecht vorwerfen, dass er keine Szene abbilden will, dass er kein Manifest sein will. Nur, Platz hätte es noch viel gegeben. Soap & Skin, Paperbird, Eloui, Violetta Parisini und Electric Indigo sind nur ein paar Künstlerinnen, denen eine filmische Würdigung ebenfalls exzellent zu Gesicht stehen würde. Fortsetzung folgt aber leider eher nicht.

wenig frisur, viel schweiss Wesentlich nachvollziehbarer und offensichtlicher sind jedenfalls die Gemeinsamkeiten, die die (niemals gemeinsam gezeigten) Musikerinnen Luise Pop, Teresa Rotschopf, Gustav und Clara Luzia einen, und die sich in ähnlichen Aussagen und Ansichten äußern. Erstens sind sie alle weiblich – um mit dem Einfachsten anzufangen. Zwei-

tens machen sie alle ihre eigene, im Sinne von selbst geschriebene, selbst aufgenommene sowie selbst produzierte Musik und drittens finden sie es alle irgendwie komisch, dass diese beiden Umstände in der heutigen Zeit noch extra erwähnt werden müssen – oder dass eine richtig gute Schlagzeugerin für viele immer noch irgendwie ein obskures Paradoxon darstellt. Weitreichende GitarrenExpertise, literweise Schweiß und ungestylte Haare müssten doch mittlerweile auch bei Frauen schon lange wieder als unspektakulär gelten. Möchte man meinen …

anti-anti-feminismus Den Feminismus wollen sie sich aber nicht total auf die Fahnen schreiben, wie es Vera Kropf von Luise Pop in einer Rauchpause während einer gemütlichen Wohnzimmer-Session vor ihrer entzückenden Blümchentapete so schön auf den Punkt bringt. Sie sei ja deshalb kein asexuelles Wesen, auch wenn sie mit Surf-Pop und Wollpullunder-Hemd-Outfit ihre äußerlichen Reize eher bedeckt hält. Teresa Rotschopf, das ehemalige Aushängeschild von Bunny Lake, die bevorzugt in knallengen, glitzernden Leggings und Minikleidern auf der Bühne steht, scheint da ihren oberflächlichen Gegenpol zu verkörpern. Oder Gustav, die sich schminkt und gleichzeitig als einzige politisch deklariert. Ist das heute noch bemerkenswert? Nicht einmal vor zehn Jahren. Wie unterschiedlich auch immer sich die vier Künstlerinnen in der Öffentlichkeit präsentieren, ihre Attitüde bleibt dieselbe – es gibt sie nicht. Sie alle machen ihre Musik, »weil sie sie machen wollen und weil sie sie eben so machen wollen, wie sie sie machen wollen«. Was genau sie aber damit erreichen wollen, wissen sie nicht beziehungsweise wollen sie das auch nicht wirklich wissen. Und ob damit auch noble, weltverbessernde Ziele wie die feministische Eroberung der Männerdomäne Musikbusiness mit einhergehen, darüber sollen sich doch bitte weiterhin alle anderen den Kopf zerbrechen. Mirjam Unger zum Beispiel. »Oh Yeah, She Performs!« läuft ab 9. November 029


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lexikon der angst Was uns das Fürchten lehrt

Text michael kirchdorfer Bild Concorde Video, Warner, Concorde Video, Fotoos Van Robin, Vice, Michael Eisenriegler / bundespraesident.in

Angst essen Seele auf? Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst. Diese klugen Worte von Franklin D. Rosevelt sind kompletter Irrsinn, haben wir festgestellt. Bester Beweis: unser Alphabet der Angst. Michael Kirchdorfer weiß, wovor man sich wirklich fürchten muss.

Ja – Angst ist sehr real. Sie hat einen festen Boden unter den Füßen. Privat, gesellschaftlich, in der Popkultur. Fest steht: Wir alle haben Angst. Um uns abzusichern, verweigern wir uns der Angst, nehmen Medikamente, machen Therapien, Yoga, Selbstfindungskurse oder vielleicht sogar Kunst. Wir werden vom Leiden und von den Ängsten anderer angezogen wie Motten vom Licht – vielleicht, weil die fremden Ängste den unseren ähneln, oder aber, weil sie die eigene zu verkleinern scheint. Romane, Songs, Filme, Theaterstücke, Installationen, Videospiele – sie alle spielen mit unseren Ängsten, mit Perspektiven und dem Auge des Betrachters. Ängste sind ständig da, in uns und um uns – und trotzdem ist darüber reden stets auch ein Tabubruch. Die Inspiration für unser Alphabet der Angst wurde von 45 Studenten aus Berlin und Halle zusammen getragen, die sich gemeinsam mit ihren Professoren in einem alten Gutshaus inmitten dunkler Wälder einsperrten, um ihren real existierenden oder frei erfundenen Ängsten nachzugehen. Lexikalisch definiert, mit ausdrucksstarken Illustrationen versehen und im Kontext einer textlich-visuellen Auseinandersetzung publiziert, ist das eben erschienene »Taschenlexikon der Angst« (Schmidt-Hermann Verlag) bizarr, lustig, besorgniserregend und real in seiner Irrealität. Fast so sehr wie unser eigenes – HorrorSoundeffekt an – Alphabet der Angst. asymmetriphobie Wenn der morgendliche Blick in den Spiegel zum Horrortrip wird, muss das nicht unbedingt heißen, dass man hässlich ist – sondern einfach nur ziemlich irre. Asymmetriphobiker haben eine Heidenangst vor allem, das keine Symmetrie aufweist – seien es schiefe Nasen, ungleich lange Augenbrauen oder ausgefranste Emo-Frisuren. Lösungsansätze: Apple-Produkte, eine Schönheits-OP für sich und seine Freunde oder ein Besuch beim Analytiker des Vertrauens.

bateman, patrick Lass dir gesagt sein: Dein austauschbares Hipster-Leben aus dekadenten Partys, bedeutungslosem Sex und superreinem Koks muss nicht im Suizid enden. Nimm dir ein Beispiel an Patrick Bateman, dem sympathischen Yup030


pie aus Breat Easton Ellis’ Meisterwerk »American Psycho«, und lass einfach mal deine ganze Erste-Welt-Frustration raus, bevor du durchdrehst. Wenn Phil Collins hören, Visitenkarten vergleichen und Models Rohrreiniger in ihre Vaginas pumpen deinem Leben keinen Sinn geben sollten, kannst du immer noch damit anfangen, die Welt zu retten. clock tow e r Existenzangst deluxe: Das Point-and-Click Adventure »Clock Tower« von 1995 lehrt dich permanente Panik. Ein durchgeknallter Psychopath namens Scissorman hat es sich zum Ziel gesetzt, dich brutal zu ermorden. Deine Aufgabe: Überleben und fliehen. Immer wieder verfällt man in Panik oder muss im Fluchtmodus dem Scissorman entkommen. An jeder erdenklichen Stelle kann deine letzte Stunde geschlagen haben. dubst e p Das metaphysische Unbehagen hat sich vor etwa zehn Jahren in Süd-London einquartiert und ist unter dem Namen Dubstep in die Welt ausgezogen, um mit 145 bpm deinen Überlebenswillen im Stroboskop-Licht auszutesten. Wer keinen epileptischen Anfall bekommen hat, hat sich fortan mit der Frage quälen müssen, warum danach auch noch Twostep, Halfstep und Post-Dubstep einem still und heimlich die Jugend aus dem Körper gezehrt haben. elementart e i lc h e n Der 1998 erschienen Kultroman des französischen Islamophobikers Michel Houellebecq wirkt auch heute noch hervorragend als natürliches Depressivum für alle, die ihre Existenz einmal so richtig in Frage stellen wollen. Das Drama der Menschheit wird hier kalt und kurz erklärt: Der Materialismus hat alle Werte zersetzt, die 68er-Bewegung brachte nichts als Geschlechtskrankheiten und der Teufel liegt in der Freiheit des Individuums begraben. Der einzige Ausweg: Die Auslöschung der Geschlechtlichkeit. Denn ohne Penis und Vagina lebt es sich glücklicher. forever alo n e g u y Memes sind hip, cool und lustig. Ganz besonders der Forever Alone Guy. Er sagt dir: Wach auf, keiner liebt dich und deine um Verständnis und Mitleid winselnde Art. Weinerliche Facebook-Postings lassen sich mit ihm ideal beantworten, denn immerhin vermittelt er zugleich abwertende Distanz und existentielle Nähe. Nur insgeheim wissen wir, dass dieser aufgedunsene, mitleidserregende Wurm in jedem von uns steckt. Deshalb drücken wir stattdessen manchmal sogar auf Like. gangnam s t y l e K-Pop könnte zum Unwort des Jahres 2012 avancieren – denn mit »Gangnam Style« sind die Grenzen des guten Geschmacks verschoben worden. Der weltbekannte Trash des hypermanischen Rappers Psy rüttelt an den Grundfesten von Adornos Musiktheorie. Man kann es drehen und wenden wie man will – Gangnam Style ist nicht lustig. Trotzdem la-

chen wir über den dicken Koreaner mit den schicken Tanzbewegungen, der mit unserem Zynismus Millionen verdient, während bei uns der Exekutor im Rudolfsheim-FünfhausStyle an der Tür klopft.

se, künstlerische Eitelkeit und Fegefeuer in einem. Dabei werden bloßgestellte Wunden offen gelegt, vor denen man am liebsten die Augen verschließen möchte – da jeder instinktiv weiß, dass man hier an einem Projekt teilnimmt, das auch einen selbst früher oder später einholen wird.

homeland Umgedrehte amerikanische Soldaten, die aus dem Irak heimkehren, um ihr Mutterland lol von innen zu zerstören. Eine Hauptdarstel- Auf den ersten Blick ist »League Of Legends« lerin, die ihre manisch-depressiven Psycho- – unter Game-Nerds umgangssprachlich »LoL« sen dafür nutzt, Recht und Ordnung wie- – ein MMORPG wie jedes andere. Auf den derherzustellen. Man weiß nicht, was mehr zweiten Blick wird es schon spannender, da Angst macht – Die Paranoia im Außen, die in es nicht so quietschbunt wie »World Of War»Homeland« als unsäglicher »Krieg gegen den craft« ist und sein dummes Spielprinzip mit Terror« publikumsgerecht inszeniert wird, einer Ernsthaftigkeit vorgetragen wird, die oder der Wahnsinn im Inneren, der mit der Mainstream-Kiddies abschreckt. Auf den dritbipolaren CIA-Agentin Carrie Mathison eine ten Blick bemerkt man dann, das man seine heroisch-heldenhafte Note zugesprochen be- Partnerin, seine Freunde und seinen Arbeitskommt. platz verloren hat, da man die letzten Monate damit verbrachte, sein Leben zugunsten einer instagram Bildschirmexistenz vor die Hund gehen zu Die unscharfen Handycam-Fotos, die man lassen. Wer zuletzt lolt, lolt am besten. mit seinem überteuerten iPhone schießt, in sozialen Netzwerken mit seinen Freunden zu teilen, ist eine Sache. Diese Ausgeburten der Alltagsödnis mit Retro-Farbfiltern noch eine Spur unschärfer zu machen und dabei so zu tun, als ob man zum Fotokünstler avanciert wäre, wird einem schon bald noch viel peinlicher sein. Seriously: Instagram ist das furchteinflößendste Massenphänomen seit dem Tamagotchi.

melancholia Hätten Depression und Wahnsinn nicht die Namen, die sie tragen – man würde sie »Lars« und »von Trier« nennen wollen. »Melancholia« erzählt die Geschichte einer gescheiterten Hochzeit, von Lügen, Liebe und Verrat – und dann geht langsam und unaufhaltsam die Welt unter. Die cineastische Meditation über existentielle Leere, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ist Abstraktion und Exempel zugleich: Große Kunst, die uns mit der joy division Der Post-Punk von Joy Division mag musik- Erkenntnis, das keine Erlösung naht, herzhaft geschichtlich tief mit der No-Future-Ästhetik auf die Fresse haut. der frühen 80er verwachsen sein – dennoch neverland trifft er heute genauso eisig-monolithisch ins Herz wie vor 30 Jahren. Beziehungen werden Das ewige Kind im Mann ist aus dem Häusimmer in die Brüche gehen und Liebende chen: Es gibt einen Ort, da wirst du niemals sich stets verraten: »Why is it something so alt, da bist du nie allein. Es gibt keinen Verrat, good just can’t function anymore?« Ganz keine Lügen, keine Angst. Was für die Nazis schlimm wird es, wenn man in der ganzen Neuschwabenland war, war für Michael JackTraurigkeit auch noch eine Lösung raushört son Neverland: Ein Wirklichkeit gewordener, – nur weil sich Ian Curtis an einem Strick in in sich stimmiger Irrsinn, der zwar auf Außenseiner kleinen Wohnung irgendwo in Man- stehende abschreckend wirkt, für die eigene chester vor der Angst davonstahl. Welt aber dem Sinn des Lebens erschreckend nahe kommt. kirche der angst österreich Aktionskünstler und Nichtraucher Christoph Schlingensief hat seinem Lungenkrebs ein »Österreich ist ja auch das Keimbecken der Oratorium gewidmet: »Eine Kirche der Angst Wahnsinnigen!«, schreibt mir eine Freundin vor dem Fremden in Mir« ist Requiem, Mes- aus Weimar. Deshalb verdient sich dieses 031


kleine Land auch sein eigenes A–Z, findet sie – und schreibt mir folgende Liste: Amstetten / Bernhard / Czeschka / Deix / Esterhazy-Torte / Fritzl / Gemeindebau / Hitler / Inzest / Jungbauernfest / Kronen-Zeitung / Leistungsträger / Musil / Novotny / Ortstafeln / Parteibuch / Qualtinger / Raiffeisen / Schubert / Trakl / Unschuldsvermutung / Vielvölkerstaat / Wittgenstein / Xenophob / Ybbs an der Donau / Zillertaler Schürzenjäger. Die Freundin aus Weimar weiß, wovor sie Angst hat. peevee (m d p v ) Für jene, denen LSD zu blumig und Meth zu gesund erscheint, gibt es endlich Erlösung: Methylendioxypyrovaleron, kurz MDPV oder auch »Peevee« genannt. Die Designerdroge, die Hauptbestandteil diverser legaler Badesalz-Mischungen ist, weckt den Charles Manson in euch. In Internetforen erzählen sich User von »Schattenmenschen«, die aus den Ecken ihrer Wände herauslugen und Würmern unter der Haut. Horrortrip gefällig?

quarktas c h e Mit den Numerus-Clausus-Flüchtigen ist auch sie eingetroffen: Die Quarktasche. Als Synonym für die fortschreitende Germanisierung unserer Gesellschaft bereitet sie dem hauptberuflichen Österreicher Unverständnis, Ärger – und Angst. Wenn dann noch Hackfleisch, Hefe und Saure Sahne in den Einkaufskorb wandern, greift sich auch die weltgewandteste Supermarktverkäuferin an die Aprikose. retroma n i a Wer authentisch sein will, ist Retro. Alles ist ja bereits gesagt und getan worden. Heute tun wir nicht einmal mehr so, als wäre das falsch. Wir hängen in der Wiederholungsschleife fest. Wenn das Beste, was die Gegenwart zu bieten hat, eine Glorifizierung der Vergangenheit ist, steht es wirklich schlecht um uns. steampu n k Bleich geschminkte Gesichter, dunkle Lederanzüge, viktorianische Korsettromantik und Retro-Futurismus nah an der Grenze zur NSÄsthetik machen Steampunk zu dem, was es ist: einem peinlichen Eskapismus für Leute, die sich vor der Zukunft von Heute fürchten. Cyberpunks würden die Jungs und Mädels mit ihrem Datasetten-Modem vermöbeln. 032

tweenwave Tweenwave ist die dominierende Musikrichtung der Zehnerjahre; sie kombiniert poppige Kack-Beats mit Vocals, die so klingen, als ob jemand abwechselnd auf ein Mikro scheißen und furzen würde. Justin Bieber und Rebecca Black haben die »Southpark«-Folge, in der Tweenwave zum neuen Trend erhoben wurde, eine Spur ernster genommen als der Rest. Dahinter steckt aber auch die Angst, dass einen eines Tages nichts mehr begeistert. Pffffffrzzzzzt! urzeitkrebse Yps ist wieder zurück! Und mit ihm die Urzeitkrebse. Eine Packung Nahrung und eine Packung Mikroben laden dich dazu ein, eine Reise zurück in die Kindheit zu machen, damit diese Angst vor der Gegenwart verschwindet. Nur verschlucken sollte man die Urzeitkrebse nicht, Ridley Scotts »Prometheus« zeigt, wohin das führen kann.

vice Hochqualitativer Journalismus zeigt dir, wie uncool du eigentlich bist. Die Wichsvorlagen in der Mitte sind eigentlich Modestrecken. Die Interviews dienen dazu, deine Einfältigkeit bloßzustellen. Albumkritiken machen dir klar, wie langweilig es in deiner Mittdreißiger-Studenten-WG ist. Do’s und Dont’s werden wie auf Cäsarenwahn im Kolosseum vergeben. Und dann bekommst du auch noch erklärt, warum Arsch die neue Muschi ist. Wie soll man da keine Angst bekommen?

an uns nennt sich Alprazolam und wird unter dem Namen Xanax weltweit millionenfach geschluckt. Das angstlösende Sedativum macht die Welt eine Spur freundlicher – und deprimierte Hausfrauen, melancholische Metzger und grantige Pensionisten zu wohlig gurrenden Kätzchen. youtube Youtube bringt nicht nur Fernsehanstalten ins Schwitzen und Urheberrechts-Vertreter zum staunen. Nein – es ist der Grund, warum Angst immer siegen wird. Youtube setzt da an, wo Fernsehen aufhört. Es entzaubert die Welt mit einem Mausklick. Das Panoptikum aus Trash, Musikclips, Filmtrailern und jugendlichen Selbstdarstellern ist das MTV von heute.

zahntechniker Seien wir uns ehrlich: Zahntechniker sind Menschen, die Unbehagen auslösen. Eigentlich sollte man eine Partei gründen, deren einziger Grundsatz es ist, alles Schlechte im Leben auf sie zu schieben. Immerhin macht Österreichs oberster Zahntechniker HC Strache genau das mit Ausländern. Deshalb: Für Österreich, gegen Zahntechniker. Oder so.

witchhouse Witchhouse war vorbei, noch bevor es überhaupt angefangen hatte. Zombie-Rave, Horrorsamples, Drones, Angstschweiß, Aleister Crowley-Zitate, okkulte Symbole und Dreiecke – das war schneller austauschbar als man nur Alt+T drücken konnte. Angst konnte man dennoch bekommen – das neueste Ding zu verpassen, wie sehr jeder meinte, sein Sätzchen dazu abgeben zu müssen, oder wenn man eine dieser Bands einmal live erlebte. xanax Die Angst ist die ständige Suche nach der Sicherheit. Jeder trägt eine Angst in sich. Das weiß auch die Pharmalobby. Deren Geschenk

Das »Taschenlexikon der Angst« ist bereits im Verlag Hermann Schmidt Mainz erschienen.


crystal castles — Drittes Album der Electropunk-Nihilisten

Es geht sich alles aus

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Stellen wir uns einen jungen europäischen Großstadtbewohner im Jahr 2012 vor – nennen wir ihn der Einfachheit halber Alex. Alex weiß, dass Krise ist. Er liest es ständig auf den zwei Nachrichtenportalen, die er besucht. Aber seine Halbtagsanstellung bei einer Agentur und / oder seinen Gastro-Job hat das bislang nicht beeinträchtigt. Im Fernsehen beschwören Politiker und Notenbanker tägliche ökonomische Untergangsszenarien herauf. Und doch weiß Alex, dass er sich das neue iPhone kaufen, am nächsten Wochenende gute Drogen nehmen und über Silvester nach Kopenhagen fliegen wird. Alex hat – materiell gesehen – ein sehr gutes Leben. Wenn man weder Familie noch Hund hat, braucht man nicht viel Geld, und im Notfall kann man immer noch die Eltern anpumpen. Warum sollte er, dessen ökonomische Sozialisation nach 2005 begann, in eine Große Depression verfallen? Er kennt es ja nicht anders. Ja, die fetten Jahre sind vorbei. Dass wissen wir, weil wir es ständig hören. Wir wissen, dass unsere Pension nichts hergeben wird und in drei Jahren auch keine Pragmatisierung auf uns wartet. Aber das schreckt uns nicht wirklich, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass sich alles irgendwie ausgeht. Und das versetzt uns in einen Zustand der Ambivalenz: Es wird wahrscheinlich nicht besser. Aber solange es sich ok anfühlt, kann man durchaus mal schauen, was das Morgen bringt.

Wohin es gehen soll, weiSS niemand Das Electro-(Punk)-Duo Crystal Castles steht gemeinsam mit The XX für die späten Nuller Jahre wie niemand sonst. Nicht nur, dass sie die Blogosphäre, das Verschwimmen von Genregrenzen und die Remix-Kultur verstanden haben. Alice Glass und Ethan Kath repräsentieren das oben beschriebende ambivalente Lebensgefühl der urbanen Twentysomethings. Sie sind jung, gutaussehend, übersättigt und

gelangweilt. Sie behaupten nicht, dass sie wüssten, wo es hingehen soll. Sie erwarten wenig und werden trotzdem enttäuscht. Selten wurde das besser visualisiert als auf dem Cover des Crystal Castles-Debüt, auf dem die Bandmitglieder sprichtwörtlich herumhingen und man nicht sagen konnte, ob sie jetzt gleich nach Hause gehen oder dem DJ nochmal eine Chance geben werden. Dieser Tage erscheint »III«, das dritte Album der Kanadier. Und wie auch bei The XX ist die Frage weniger, ob es gut ist. Natürlich versöhnen Crystal Castles immer noch Punk mit 90er-Jahre-Techno, und natürlich singt Alice immer noch so, dass man nie weiß, ob sie verliebt oder verzweifelt ist. Die Frage ist eher, ob sich das Ganze nicht überlebt hat. Zu einem Anachronismus wird, dem Ausdruck eines Lebensgefühls, das es nicht mehr gibt. Die eingesetzten Mittel sind von den vorherigen Alben bekannt: Verfremdete Stimmen, rückwärts abgespielte Vocals, übersteuerte Noise-Elemente, Stakkato-Synthies. Ja, es ist eindeutig more of the same, schon wieder, das Gefühl hatte man heuer oft. Und doch schaffen es Crystal Castles immer noch, durch Unbestimmtheit zu glänzen. Zu Stücken wie »Wrath Of God« lässt es sich im Grunde genauso gut allein im Zimmer hocken wie voller Adrenalin in einer Menge stehen, genauso gut lächeln wie deprimiert sein. Zu »Affection« kann man seinen Partner küssen, aber auch weinen, weil er nicht mehr da ist. Und bei »Violent Youth« glänzt »III« wie zu besten Crystal Castles-Zeiten. Mit der konsequenten Weigerung, sich festzulegen, durchwegs Ja oder Nein zu sagen, fängt die Band immer noch eine Grundgefühl ein. Das Gefühl, dass man nicht wirklich weiß, was man vom Ist-Zustand halten soll, von den Alternativen aber auch nicht überzeugt ist. Und sich deshalb einfach treiben lässt. Hey – es könnte ja wirklich schlimmer sein.

»III« von Crystal Castles erscheint am 12. November via Universal. 033

Text jonas vogt Bild universal

Crystal Castles sind auf ihrem dritten Album noch gelangweilter, noch übersättigter und sehen noch besser aus. Auch wenn man das schon einige Male gehört hat, kann man sich der Mischung aus Wut und Lethargie schwer entziehen.


Jeder Mensch hat irgendeine Geschichte zu erzählen. Manche bevorzugen fremde Geschichten, manche extrem persönliche. Manche nutzen die Außenansicht, andere die Ich-Perspektive. Geschichten können langweilig, lustig, interessant oder völlig sinnlos sein. Aber eines haben alle guten Geschichten gemeinsam: Der Zuhörer muss einen Bezug zur Story finden. Letztes Jahr erschien »Section 80«, das Debüt des US-Rappers Kendrick Lamar. Das Album war, trotz zwei, drei eher schwachen Nummern, außergewöhnlich gut, vor allem in punkto Lyrics und Rapskills. Lamar verwandelte darauf Eindrücke vom Leben und Aufwachsen in Compton in kunstvoll gestrickte Storys, blieb aber immer in der Außenperspektive. Man erfuhr wenig von Kendrick selbst, viel mehr über seine Generation – eine Generation der 80er, mit den Protagonisten Tammy und Keisha, um die herum er eine Story baute. Auch auf Kendrick Lamars neuem Album »Good Kid m.A.A.d City« (wobei m.A.A.d. als Akronym für »my angry adolescence divided« steht) geht es um Compton, einen Stadtteil von L.A., dem N.W.A. schon früh ein musikalisches Denkmal setzten, das noch heute ein Synonym für West-Coast-Rap ist. Was sich geändert hat, ist die Perspektive. Hier geht es um Kendrick, den Blick in sein Inneres, das Aufwachsen in Compton und eine unglaublich ehrliche und offene Anerkennung seiner Ängste, Probleme und Schwächen. Allein diese Offenheit ist ungewöhnlich. Doch bei Kendrick kommt dazu, dass er wahrscheinlich der talentierteste MC seiner Generation ist. Er verbindet das Storytelling von Nas, das Spiel mit Metaphern von 2Pac mit den Double-Time-Raps von E-40 und dem makellosen Flowswitch von Andre 3000.

eine geschichte die jeder versteht

Kendrick Lamar — Guter Junge, wilde Stadt

Compton State 034 Of Mind

Text Mahdi Rahimi Bild universal

Kendrick Lamar erzählt auf seinem Major-Debüt »Good Kid m.A.A.d City« seine ganz persönliche Geschichte. Exzellente Produktion, hervorragende Rapskills und ein konsequentes Ja zum Leben machen es zu einem modernen Klassiker des HipHop.

Der Ablauf der Story ist zweigeteilt und mehr »Boyz n the Hood« als »Menace II Society«: Kendrick ist der eigentlich gute Junge, der in einer verrückten Stadt aufwächst, wo der Junge eine leichte Beute ist. Der amüsante erste Teil, wo er mit den Jungs im Auto seiner Mutter umherstreift, beim Sex zu früh kommt und ihn sein Vater wegen Dominosteinen nervt, endet mit dem Track »Good Kid«. Der deutlich düsterere zweite Teil wird mit »m.A.A.d City« von Comptons Most Wanted MC Eiht eingeleitet und handelt von Alkoholismus und Abhängigkeit, der Angst vor dem und ums Leben und dem Mangel an Selbstwertgefühl. Die Art zu erzählen erinnert an Scarfaces »Mr. Scarface Is Back« und Biggies Debüt »Ready To Die«. Doch während bei beiden Alben am Ende der Selbstmord stand, bleibt Kendrick bei einem deutlichen Ja zum Leben. Auch abseits dieser authentischen Innenansicht bietet »Good Kid m.A.A.d City« so einiges: eine gute Geschichte, großartige Lyrics und Features, einen absoluten Sommerhit (»Swimming Pools«) und, trotz zwölf verschiedenen Producern, eine kohärente Produktion. Vor allem die Komposition ist bemerkenswert: Jede Nummer ergibt erst im Zusammenhang mit der vorherigen und nachkommenden Nummer wirklich Sinn. Das macht das Album zu einem modernen Klassiker des HipHop, zum wahrscheinlich ersten grenzüberschreitenden Rap-Album dieses Jahrzehnts. So wie eben »Illmatic« von Nas, »The Chronic« von Dr. Dre und »36 Chambers« von Wu-Tang Grenzen überschritten. Es waren Alben, die man als Rap-Fan einfach nicht schlecht finden konnte. Nicht umsonst feiern Rap-Ideologen verschiedenster Richtungen – unter anderem 50 Cent, Drake und Flying Lotus – das Album bei jeder Gelegenheit. Kendrick Lamar hat es geschafft, eine Geschichte zu erzählen, die jeder nachvollziehen kann. Vom Aufwachsen, Älterwerden und Irgendwie-doch-nicht-ganz-Erwachsen-Werden. Und die Geschichte endet versöhnlich. Die Abschlussnummer »Compton« wird zu einem Manifest. Einer Standortbestimmung von dem, was, woher und wer Kendrick eben ist: Ein guter Junge aus einer wilden Stadt. »Good Kid m.A.A.d City« von Kendrick Lamar ist via Interscope/ Universal erschienen.

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STELL DICH DEINEM WAHNSINN! BER M E V O N AB 29. HANDEL IM

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Neïl Beloufa — Ein Kunst-Shootingstar-Schnellkurs

Das Geheimnis meines Erfolgs 036 Neïl Beloufa ist ein Shootingstar, für sein Alter ein Superlativ der Kunstszene, der scheinbar alles richtig gemacht hat. Nach Studium in Paris, Valencia und New York waren seine Arbeiten auf zwei der exklusivsten Kunstmessen der Welt zu sehen: der Art Basel Miami und der Frieze in London. Erfolgreich Künstler sein in fünf Schritten.

Text denise sumi Bild Courtesy: the artist and ZERO …, Milan. Photo: Luke Banks

1. das andere und das exotische ins blickfeld rücken Gerade hat Neïl Beloufa (*1985) eine große monografische Einzelausstellung im Palais de Tokyo in Paris, einem von Regierung und Stadt finanzierten Ausstellungsraum und angesagte Adresse für zeitgenössische Kunst. Auch dort thematisiert der Franzose mit algerischen Wurzeln Gesellschaftskritisches in seinen Video-Installationen. Es sind Reflexionen über westliche Bilder gegenüber dem geografisch Fremden – Algerien und Afrika – und dem zeitlich Fremden – Zukunft und Vergangenheit. Großen Themen wie Klimawandel, rasante technische Umbrüche und neue Gesellschaftsmodelle können mit Blick auf das Andere im hermetisch abgeschlossenen Galerieraum betrachtet werden. Fabelhafte Welten und märchenhafte Erzählungen bedienen die Vorstellung vom Exotischen.

2. willkommene systemkritik Nun ist es bekannt, dass das Andere, das Exotische nicht immer erwünscht ist. Es schafft Probleme. Illegale afrikanische Einwanderung wird in Frankreich mit Abschiebung bekämpft. Und das algerischfranzösische Verhältnis ist von der Kolonialgeschichte vernebelt. Nicht nur Grenzen, sondern auch Geschichte und die Erinnerungskultur trennen Kontinente. Indem man nun die Identität der Länder in postkolonialer Tradition beleuchtet, gibt man sich als staatliche Institution offen, gesellschaftskritisch und füttert den gutbürgerlichen Museumsbesucher. Der weiß: Das Thema nordafrikanische Identität wird vom jungen französischen Künstler reflektiert – ein Prozess ist im Gange. Hier wird Kritik in abgemilderter Form vom Kunstsystem in kontrollierten Häppchen zubereitet.

3. DIY-Ästhetik und mixed media Nicht nur Systemkritik, sondern auch seine Do-It-Yourself-Ästhetik mit Holz, Hammer und Nägeln macht uns den erfolgreichen Künstler sympathisch. Gezimmerte Wände, Bänke und lose herumliegende Holzstücke verleihen dem sonst so weißen Ausstellungsraum eine Baumhütten- oder Skateboardpark-Romantik. Die Luxusdiamanten 036

auf dem Totenkopf von Damien Hirst sind passé. Komm, wir bauen eine neue Stadt(-Installation)!

4. bitte zitieren! In der Kunst wird immer ohne Gänsefüßchen und ohne Anhang zitiert. Vermutlich, weil es sich meistens um kreative Neuinterpretationen von schon bestehender Kunst handelt. Das bedeutet auch, dass oft nur Kunstkenner diese Zitate entziffern können. Der vermeintliche Bretterverschlag entpuppt sich als Hommage an Bauhausarchitektur oder die russischen Konstruktivisten, und diese eine spezielle Kamerafahrt eben als Hommage an ein B-Movie oder stilbildendes Theaterstück.

5. hybride kunstwerke schaffen Fassen wir zusammen: Ein Hammer, vier Nägel, etwas Holz, einen Ausländer filmen und auf das Holzstück projizieren und irgendwo noch ein Zitat-Ratespiel einbauen. So einfach ist es dann doch nicht: Neïl Beloufa schafft hybride Kunstwerke, in denen mehrere Realitätsebenen und Zeitebenen miteinander verknüpft werden. Objekte im Film tauchen plötzlich im Galerieraum wieder auf. Das Verhältnis von Fiktion und Dokumentation in den Filmen ist unklar, das Verhältnis der Bühnen und des realen Raumes im Film und in der Galerie selbst ist verwoben. Erwartungshaltungen der Protagonisten im Film und des Betrachters im Galerieraum – irgendwie verwoben. Das hybride Kunstwerk schafft ein Netz von Informationen, es macht Verweise und verknüpft Emotionen und Fakten zu neuen Realitäten. Erfolgreich Künstler sein in fünf Schritten – unmöglich. Erfolgreich Kunst anschauen – möglich!

Neïl Beloufa »Les inoubliables prises d’autonomie« ist im Palais de Tokyo in Paris bis 11. Februar 2013 zu sehen. »Documents are flat 4« eröffnet im Kunstraum Innsbruck am 10. November um 12.30 Uhr und ist bis 22. November 2012 zu sehen.


Eine seiner literarischen Reportagen hat J.J. Sullivan dem späten Axl Rose und Guns’n’Roses, der letzten richtig großen ironiefreien Stadionrockband, gewidmet.

John Jeremiah Sullivan / »Pulp Head« — Das Ende Amerikas

Ende Amerika 037 Natürlich müsste man ein Buch wie »Pulp Head« eigentlich im Original lesen. Aber hey, wenn es schon in der deutschen Übersetzung vor einem liegt, dann ist das convenience. Hier geht es schließlich um Amerika. Wenn auch um das Ende Amerikas, wie der Untertitel verspricht. Wenn dessen Doppeldeutigkeit allerdings die melancholische Erwartung des Niedergangs einer Weltmacht vermuten lässt, provoziert diese bloß eine voreilige Interpretation und bedient den deutschsprachigen Buchmarkt mit vorgeblichem Antiamerikanismus. Tatsächlich ist John Jeremiah Sullivan wohl ein liberaler Patriot, der sein Land ebenso schätzt wie er seine Mitmenschen achtet. Und seine Texte künden auch nicht wirklich vom »Ende Amerikas«.

samt überarbeitet wurden) besucht der Autor ein christliches Rockfestival und mischt sich unter die Jesusjünger um herauszufinden, was diese Kids so treibt. Der Atheist Sullivan berichtet über seine eigene »Jesus-Phase«, erklärt beiläufig doch schlüssig, warum Musik mit dem vordergründigen Anspruch, christliche Inhalte zu verbreiten, nie große Kunst sein kann und schafft es so, den Gottesanbetern unglaublich nahe zu kommen. Seine Schilderungen sind dabei nie profan. Vermutlich, weil hier Subjekt auf Subjekt trifft und diese Konstellation unglaubliche Nähe ermöglicht. Beachtlich: Wenn Sullivan sich selbst und seine Vita einbringt, dann ist das mit keiner Silbe selbstverliebte Ego-Show, sondern stets sachdienlich. Dieser Autor lässt sich einfach mit Haut und Haaren auf seine Geschichten ein.

Radikal subjektiv

bekifft in disney world

Die einst selbstbewusst auf den Schwingen des American Dream getragenen White-Anglo-Saxon-Protestants allerdings, die als White Trash ins Bodenlose rutschen, und deren American Eagle hat er dennoch gnadenlos im Visier. Sullivans Waffe: eine Gabe, die richtigen Details ohne überhöhten Symbolismus fürs Ganze stehen zu lassen; ein wacher Verstand; fundierte Recherche; die für einen Journalisten eigentlich selbstverständliche Bereitschaft, die eigenen Vorurteile zumindest zu hinterfragen und ein unverwechselbarer, radikal-subjektiver Stil. Dabei schont er sich auch selbst nicht (wenn er etwa aus dem Leben seiner Familie erzählt) und erkundet ein Amerika abseits der Metropolen, das weiße Hinterland, also gewissermaßen auch topografisch das Ende Amerikas. Die Seele Amerikas, wenn man so will.

Groß auch: Sullivan schildert, wie er es mit seiner und einer befreundeten Familie drei Tage lang in Disney World aushält – dank eines Online-Forums, das Orte und Freiräume listet, an denen man in diesem rundum durchkontrollierten Ressort kiffen kann. Dass einem eine Reportage über den späten Axl Rose, die auf einer Spurensuche am Ort seiner Jugend, Angelesenem und ein paar Konzertbesuchen basiert, neue Sichtweisen dieser »letzten großen ironiefreien Rockband« liefert, hätte zumindest ich nie gedacht. Nicht ein einziges Mal lässt sich Sullivan zum Zynismus hinreißen. Immer achtet er sein Gegenüber, meißelt aus dem vermeintlich Objektiven das einzigartige Subjekt. Nie ist er neutral teilnehmender Beobachter. Selbst wenn er die Fans eines Reality Show-Entertainers, den er auf Tour begleitet und zum Essen lädt, »Wichser« schimpft, bleibt das würdevoll. Sullivan ist einer, der die Menschen liebt und achtet. Ein großer Autor.

ein gonzo-blick aufs ganze All das könnte schnell gewöhnlich geraten. Was Sullivans literarische Reportagen allerdings so besonders macht, zeigt am klarsten »Auf diesen Rock will ich meine Kirche bauen« (ursprünglich unter dem Titel »Upon This Rock« im Magazin GQ erschienen). Im ersten und stärksten der abgedruckten Texte (die für die Buchpublikation alle-

»Pulp Head. Vom Ende Amerikas« von John Jeremiah Sullivan ist im Suhrkamp Verlag erschienen. 037

Text Thomas Weber Bild ross halfin

Für »Pulp Head«, seine Geschichten über die amerikanische Alltagskultur, wird John Jeremiah Sullivan in seiner Heimat gefeiert. Zu Recht. Seine essayistischen Reportagen sind äußerst amüsant, klug und Pulp-Non-Fiction im besten Sinn.


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© Ilkka Halso, Museum of Nature, Kitka-river, 2004


»Hitman Absolution« Fünf österreichische Game-Entwickler über ihre Arbeit in Kopenhagen

Wenn 200 Mitarbeiter nicht ausreichen Welche Österreicher sind maßgeblich an »Hitman« beteiligt und was ist ihre Aufgabe? Hannes Seifert ist Executive Producer / Production Director, Board Member und verantwortlich für alle IO-Produkte. Markus Friedl ist Producer (Lead Producer ist Hakan Abrak). Er war für den gesamten Environment Art-Bereich verantwortlich, sprich die komplette Level-Produktion inhouse und extern. Außerdem für Audio und war hauptverantwortlich für alle lokalisierten Versionen. Julian Kenning war Character Art Consultant und ist nun Outsourcing Line Producer. Außerdem noch Bernhard List, der als Editor und Capture Artist Szenen für Ingame Cutscenes, Intro und Marketing-Material eingefangen hat. Und dann natürlich Martin Filipp, unser Production Manager und damit zuständig für eigentlich eh alles. Kanntet ihr euch alle schon vorher oder wie ist dieses Team in so einer internationalen Branche entstanden? hannes seifert: Lustigerweise haben wir alle fünf schon früher zusammengearbeitet. Martin, Markus und Bernhard haben ihre Laufbahn in der Spieleindustrie bei Neo Software begonnen, einem Unternehmen, bei dem wir alle schon gearbeitet haben. Danach haben manche von uns bis heute gemeinsam gearbeitet, manche getrennt Karriere gemacht. markus friedl: Wir kennen uns alle schon seit einigen Jahren aus unserer gemeinsamen Zeit in Österreich. Die Spieleindustrie ist weltweit wie eine große Familie. Man begegnet sich in den Jahren selten nur einmal und es ergeben sich immer wieder Möglichkeiten, mit alten Bekannten und Freunden an neuen Projekten zu arbeiten. Und das ist sehr gut so. Wie setzt sich das Team von »Hitman Absolution« generell zusammen? Sind das in erster Linie Leute, die die Marke seit Langem kennen, oder neu Hinzugekommene wie ihr? markus friedl: Es gibt Leute im Team, die seit dem ersten »Hitman«-Teil dabei sind. Das Team ist aber absichtlich gemischt.

Dies ist wichtig, um eine solide Basis dafür zu haben, jeden Titel im Vergleich zu den Vorgängern weiterentwickeln und verbessern zu können und das Feedback aus unserer treuen Fangemeinde richtig zu interpretieren. Für viele Mitglieder des Teams, das übrigens sehr international ist, ist es aber auch der erste Kontakt mit »Hitman«. Diese wiederum bringen neue Ansätze, Ideen und frische Perspektiven in die Produktion ein, auf die gerade ein »Hitman«-Titel nicht verzichten kann. Alles in allem haben wir wohl einen wirklich ausgewogenen Mix aus diesen Leuten im Team. Martin Filipp und Hannes Seifert hatten schon zuvor mit internationalen Projekten zu tun, bei denen einzelne Teile des Spiels weit verstreut entstanden. Julian Kenning ist nun bei »Hitman« für die Zusammenführung dieser Teile zuständig. Was sind für einen Entwickler die Vorteile einer solchen Produktionsweise? hannes seifert: Julian und Bernhard waren ebenfalls bei Games That Matter (wo »Cursed Mountain« auf diese Weise entwickelt wurde). Julian hat bei »Hitman: Absolution« als Character Consultant geholfen, den hohen Standard der einzelnen Figuren zu erreichen. Jetzt koordiniert er die Produktion mit unseren externen Partnern bei weiteren Projekten. Wir sind für ein AAA-Studio mit 200 Leuten relativ klein. Insgesamt haben an »Hitman: Absolution« aber rund 1.200 Personen mitgearbeitet. Die Herausforderungen sind dabei immer dieselben: Wir wollen unseren eigenen Mitarbeitern langfristige Karrieren und Möglichkeiten bieten und nicht nach Projekten massenhaft abbauen. Das funktioniert nur, wenn wir mit starken, kreativen Partnern und Lieferanten zusammenarbeiten, die die notwendige Bandbreite während der entscheidenden Monate liefern. markus friedl: Die Zusammenarbeit mit starken und erfahrenen externen Partnern ist für eine Videospielproduktion in der Größenordnung von »Hitman: Absolution« absolut notwendig und in jeder Hinsicht vorteilhaft. Sie bietet uns die nötige Flexibilität in Bezug auf Bandbreite, Zeit und Spezialisierung und hilft auch, interne Prozesse laufend zu evaluieren und zu optimieren. Auch macht es ganz einfach

interview martin mühl Bild IO Interactive / Square Enix

Einige der Köpfe hinter Neo, Rockstar Vienna und Games That Matter arbeiten derzeit in Kopenhagen bei IO Interactive. Kurz vor dem Release von »Hitman Absolution« haben wir sie zum E-Mail-Interview erreicht.


Hannes Seifert, Markus Friedl und Martin Filipp: Drei der mindestens fünf Österreicher die bei IO Interactive in Kopehagen das neue »Hitman«-Spiel entwickelt haben.

eine Unmenge Spaß, mit Partnern aus aller Welt zusammenzuarbeiten und davon zu lernen, gelegentlich über den Tellerrand des eigenen Studios hinauszusehen. Hannes, du warst in Wien an den Unternehmen, für die du gearbeitet hast, beteiligt. Wie ist die neue Arbeitssituation für dich? hannes seifert: Square Enix ist ein großartiges Unternehmen für Entwickler, weil wir hier unabhängige kreative Freiheit haben. Natürlich müssen wir Ergebnisse liefern, ergo hohe Bewertungen und hohe Verkäufe. Aber solange wir profitabel arbeiten sind wir völlig unabhängig. IO ist neben den Japanischen Studios das einzige im Konzern, welches ausschließlich an eigenen Marken arbeitet. Das ist sehr spannend. »Hitman« tritt diesen Herbst im Bereich der mörderischen Schleichgames – bei denen man auch auf Action setzen kann – gegen harte Konkurrenz wie das beliebte »Assassin’s Creed 3« und die neue Marke »Dishonoured« an. Wie habt ihr als Entwickler versucht, »Hitman« da zu positionieren? hannes seifert: Mit »Hitman« sind wir in der glücklichen Position, an einem Franchise zu arbeiten, das mit Erscheinen des ersten »Hitman«-Titels im Jahr 2000 den Grundstein zu einem ganzen Genre gelegt hat. Nicht umsonst nennen wir Agent 47 den Original Assassin. Und man kann natürlich sehr stolz sein, wenn man auf die letzten zwölf Jahre blickt. »Hitman« hat dank Millionen von Fans den Status einer wahren Videospiel-Ikone. Ein Franchise, das z.B. mit Büchern, Comics, Action-Figuren und einer Hollywood-Filmumsetzung schon lange ein fester Bestandteil der großen AAA-Marken unserer Branche ist. Uns freut es natürlich immer, wenn andere Entwickler durch unsere Arbeit inspiriert werden. 040

Andere Square Enix-Entwickler sind bekannt für ihre typisch japanischen Spiele wie etwas die »Final Fantasy«-Reihe. Ist »Hitman« etwas typisch europäisches? Gibt es noch Spiele für bestimmte Märkte oder müssen große Titel international funktionieren? hannes seifert: Es ist eigentlich eine einfache Rechnung: wenn man den Anspruch hat, an einem AAA-Titel zu arbeiten, muss er einfach auf globaler Ebene funktionieren. Immer bessere Hardware führt auch zu immer höheren Entwicklungskosten, die schon lange locker mit Hollywood-Blockbustern mithalten können. Einen weltweiten Flop mit vielen Millionen Dollar Entwicklungskosten kann sich eigentlich niemand mehr leisten. Die Kaufentscheidung für Spieler ist im Gegensatz zu früheren Zeiten enorm schwer geworden, da es einfach eine gewaltige Masse an Top-Games gibt. Es gilt also Wege als Entwickler zu finden, um aus der Masse an AAA-Games herauszustechen, aber im gleichen Atemzug auch eine breite Masse an Käufern anzusprechen. Keine leichte Aufgabe. Werdet ihr fünf nach »Hitman Absolution« in Kopenhagen und bei IO Interactive bleiben? markus friedl: Ich persönlich bin seit mittlerweile über sechs Jahren bei IO Interactive und »Hitman: Absolution« ist mein drittes Projekt. Das Arbeitsumfeld, das uns IO Interactive und Square Enix hier in Kopenhagen bietet, ist einzigartig. Ich denke, meine Kollegen sehen das genauso und ich freue mich sehr auf die nächsten gemeinsamen Projekte. hannes seifert: Wir arbeiten hier für und mit einem großartigen Team und sind nicht nur für ein Projekt hergekommen. Wir haben auch schon gemeinsam andere Projekte hier gemacht und freuen uns schon sehr auf die zukünftigen.


»Hitman Absolution« Neue technische Features verbessern das mörderische Schleich-Original

Töten als Antwort Untermauert mit bemerkenswerter Narration, verbesserter Engine und dem neuen Instinct Mode tritt der Spieler abermals als Auftragskiller in Aktion. Serientradition bewahren, daneben ordentlich Neuerungen integrieren – kann das gut gehen? Die »Hitman«-Serie wird fortgesetzt und versucht den Spagat. Profi- und Auftragskiller Agent 47 tritt abermals in Aktion, und der Spieler hat wieder die Wahl zwischen verdecktem Vorgehen und direkter Konfrontation. Die Furcht, zügellose Action könnte nun im Vordergrund stehen, war nachvollziehbar, letzten Endes jedoch umsonst. Obgleich sich die Möglichkeiten, mit roher Gewalt vorzugehen, erhöht haben, muss Agent 47 für plumpes Vorgehen bezahlen. Eine gute Bewertung ist nicht für Ruhm und Ehre allein; der Ausbau sämtlicher Eigenschaften bedarf wertvoller Punkte – geschickte, diskrete Spieler kommen deshalb schneller voran. Bereits die erste Mission von »Hitman Absolution« zeigt, wohin die Serie geht – narrativ und spielerisch. Diana Burnwood, die Kontaktfrau der Agency, ist abtrünnig und daher zu eliminieren; die Tatsache, dass eine nahestehende Person sterben soll und die daraus folgende Verantwortung für den Killer stimmen nachdenklich. Erfreulicherweise begnügen sich Entwickler IO Interactive nicht damit, dem Auge mit detailverliebten Umgebungen zu schmeicheln – die Anzahl an interaktiven Gegenständen wurde beträchtlich erhöht. Noch interessanter ist die verbesserte (Physik-)Engine, die Erstaunliches leistet: Kaum ein Passant gleicht dem anderen, und die Menschenmenge scheint tatsächlich zu leben, reagiert individuell und intelligent auf Aktionen des Hitman. Das macht unauffälliges Vorgehen nicht gerade leicht – und die offene Konfrontation schwerer als je zuvor. Der spielerische Anspruch wird durch einstellbare Schwierigkeitsgrade relativiert, der Frust dadurch stets in erträglichen Grenzen gehalten. Auffälligste Neuerung ist der Instinct Mode, der bei Bedarf aktiviert wird. Ähnlich dem Detektivmodus in »Batman: Arkham City« erscheinen wichtige Personen oder Objekte gelblich, sind dadurch sogar hinter Wänden oder anderen Hindernissen sichtbar. Die größte Anerkennung wurde schon immer dem lautlosen, diskreten Killer zuteil. Das ist Serientradition, der »Absolution« erfreulicherweise die Treue hält. Während in früheren Teilen letztlich eine Liste von Zielpersonen abzuarbeiten war, begnügt sich »Hitman Absolution« nicht mehr mit dem Töten allein. Der geklonte Profikiller ist auch auf der Suche nach Antworten; da kommt es naturgemäß schnell zu Interessenskonflikten mit dem Auftraggeber – wer will schon einen Attentäter, der zweifelt und hinterfragt? Für Mehrspieler wird es den neuen Onlinemodus Contracts geben, ein Tool zum Erstellen eigener Missionen mit individuell festgelegten Aufgaben. Eine spannende Erweiterung, dank der »Hitman Absolution« auch längerfristig interessant bleiben könnte. »Hitman Absolution« erscheint am 20. November für Xbox 360, PS3 und PC.

»Dishonored: Die Maske des Zorns« Das Ego-Stealth-Game überzeugt mit variantenreichem Gameplay

Magisches Schleichen Die Spielesaison ist von Fortsetzungen geprägt. »Dishonored« versucht sich als neue Marke zwischen Ego-Shooter und Schleich-Spiel zu positionieren. Im Schatten großer und teilweise bereits ausgereizter Marken erweitert »Dishonored« das Prinzip Action und Schleichen um entscheidende Nuancen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ego-Shootern liegt der Reiz am Schleich-Genre vor allem in der engen Verzahnung von überlegtem Vorgehen und kompromissloser Gewalt. In der taktischen Verlangsamung ruht zu großen Teilen auch der Nervenkitzel, der Reihen wie »Hitman«, »Splinter Cell« oder »Assassin’s Creed« so erfolgreich machte. »Dishonored« ist im heurigen Herbst eine der wenigen neuen Marken und schlägt in dieselbe Kerbe, verleiht dem Genre mit seiner offenen, am Steampunk orientierten Welt jedoch neue Impulse in Spielmechanik und Leveldesign. Zur Story: Corvo Atano ist ein treuer Diener. Fälschlicherweise des Mordes bezichtigt, versucht der Leibwächter der Kaiserin das alte Machtgleichgewicht wiederherzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen eröffnet das Leveldesign in »Dishonored« eine Vielzahl an Möglichkeiten über kleinere und größere Umwege. Neben einer freien Routenwahl durch Seitengassen, Kanäle oder über Dächer, entscheidet auch das Auftreten des Charakters an sich. So besteht stets die Möglichkeit, seine Widersacher zu töten, zu betäuben oder durch Ablenkung gänzlich zu umgehen. Eine Entscheidung, die abhängig vom Grad der eingesetzten Brutalität auch Einfluss auf zukünftige Handlungen, Gesprächsoptionen und die Spielwelt an sich hat.

Herr über Entscheidungen Obwohl eindeutig ein Hybrid aus Ego-Shooter und Stealth-Adventure, favorisiert »Dishonored« eindeutig das Schleichkonzept. Magische Fähigkeiten lassen den Spieler durch Wände blicken, die Zeit einfrieren oder größere Distanzen per Teleport überbrücken. Selbst die kurzzeitige Verwandlung in eine Ratte oder einen Fisch sind möglich. Auf der anderen Seite bieten Waffen und Angriffszauber ein probates Mittel, um selbst größere Gegnerscharen aus dem Weg zu räumen. Munition kostet aber und Atano steckt nur wenige Treffer ein. Die gewählte Vorgehensweise schlägt sich auch in der Charakterspezialisierung nieder, diese erreicht jedoch nie die Tiefe eines Rollenspiels. Wie nur wenige Titel bietet »Dishonored« das Gefühl, Herr über seine Entscheidungen zu sein. Einzig in seiner Konsequenz ist es zu oft nachlässig. Das Stehlen von Wertsachen bleibt selbst in Anwesenheit der Betroffenen ohne Auswirkungen und auch Atano selbst wirkt blass. Der Charakter ist stumm, sein Schicksal fast belanglos. Und das in einer Welt, in der es dermaßen auf das Treffen eigener Entscheidungen ankommt, in der ständige Konflikte das Erlebte vorantreiben. »Dishonored« ist bereits für PS3, Xbox 360 und PC erhältlich.

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Kooperation — Open Music im Rahmen des Vienna Open Festival

Schaltkreise, Platinen und andere Werkzeuge von Open Music 042 Peter Kirn, einer der Entwickler der Open Music Hardware MeeBlip, spricht bei Vienna Open über legal manipulierbare Musik-Hard- und Software.

Du entwickelst und verkaufst MeeBlip, ein MusikHardware-Gerät. Was für ein Instrument ist das und wie macht man damit Musik? peter kirn: MeeBlip ist ein digitaler HardwareSynthesizer, ein monophones Musikinstrument. Die Leute verwenden es, um damit Musik zu machen und Sounds zu erzeugen, wie etwa Basslines, Hauptmelodien, Soundeffekte, Schlagzeug-Töne und was immer ihnen einfällt. Wie viele aktuelle Synthesizer, ist MeeBlip von klassischen elektro- ler in unserer nischen und Vintage-Instrumenten inspiriert. Der Zugang zu synthe- Community kretischen Klängen ist ein traditioneller, genannt subtraktive Synthese. iert haben. ManBeeinflusst sind wir aber auch vom modernen Wunsch nach einzigar- che haben bei Null tigeren, schmutzigeren digitalen Sounds. Weil er mit günstigen, sim- angefangen und ihre plen Mikroprozessoren betrieben wird, können wir auf der gesamten eigenen Schaltplatten Geschichte von Chip-Synthesizern aufbauen, wie jenen aus dem Com- hergestellt. Die Leute hamodore 64 Computer. ben wunderbare Gehäuse Inwiefern kann man MeeBlip als »offen« bezeichnen? gestaltet, die wir uns nie Wir glauben an die Prinzipien, die von der Open Source Hardware- vorstellen hätten können. Sie Bewegung festgelegt wurden. Hardware, Schaltplatte, Bedienelemen- sind von unseren Source Codes te und Firmware kann man alle online finden. (Wir verwenden eine ausgegangen, um zu lernen, wie Quelle namens GitHub.) Sie alle laufen unter offener Lizenzvergabe, der Synthesizer funktioniert und die den Leuten im Grunde erlaubt, alles zu tun, was sie wollen – sogar, haben dann neue Ideen und Modifies zu verkaufen. Die einzige Voraussetzung ist, dass sie jede Modifi- zierungen vorgeschlagen. Manche von zierung, die sie vornehmen, auch teilen. Die Lizenzvergabe für Open ihnen haben sogar fast gänzlich neue InSource Hardware entwickelt sich erst noch, aber wir verwenden eine strumente gebaut. Shwan Rudiman zum Kombination aus Copyleft GPLv3 und Creative Commons-Lizenzen, Beispiel hat eine Version gebaut, die auf eiohne jegliche kommerzielle Einschränkungen. Wir schöpfen außer- nem Ständer befestigt ist, mehr als eine Note dem aus offenen Designs. Die originalen Designelemente von Mee- gleichzeitig spielen kann und sich mit analoBlip – und das ganze Konzept, einen Synthesizer auf dieser Art von gen, modularen Synthesizern zusammenschließt. Chip zu aufzubauen – kommen von dem in Polen geborenen und in Wir stehen aber gerade erst am Anfang. Es geht Österreich lebenden Ingenieur Jarek Ziembicki und seinem AVRSYN darum, mehr DIY-Optionen für fortgeschrittene BeSynthesizer. Wir erkennen Jareks Verdienste in unserem Quell-Code nutzer anzubieten und ihnen beizubringen, wie man an, unser Ingenieur James Grahame hat darauf aufgebaut und das den MeeBlip-Code hacken und modifizieren kann, soGanze erweitert. Wir sind große Fans von Jareks Arbeit und wir glau- dass sie ihre Ideen verwirklichen und den Synthesizer an ihre eigenen Zwecke anpassen können. Außerdem wollen ben, dass diese Art des Sharings hilft, sich zu entwickeln. Ihr habt mehr als Tausend MeeBlips verkauft. Wie werden diese ge- wir mittels MeeBlip mehr Leuten Sounddesign, -theorie und nutzt und weiterentwickelt? Gibt es Varianten, die dich selbst über- -synthese näher bringen, sodass mehr Musiker Zugang zu dieser Technologie erhalten. rascht haben? In erster Linie machen die Leute auf diesen Instrumenten Musik, Open Music ist ein ziemlich großes Thema. Was ist deine Defivon Dance-Basslines bis zu experimentellen Tracks. Das ist auch wirk- nition der Verbindung zwischen Musik und offener Hardware? lich, was wir wollten: Wir glauben, dass Open Design nicht nur für Musik hat immer schon Vorteile daraus gezogen, Ideen zu verHobbyisten oder Geeks sein muss, sondern es etwas sein kann, das breiten und zu modifizieren, von Folk-Traditionen über Klassik bis bessere Instrumente für alle bereitstellt. Das war auch das Ziel für uns hin zu Pop. Instrumenten-Technologie tendiert dazu, auf die gleiche selbst – ich liebe Synthesizer, ich liebe es, Instrumente selbst zu spie- Weise zu funktionieren. In der Sound-Synthese haben Designer oft len und andere Menschen spielen zu lassen. Aber wir waren erstaunt Schaltdiagramme geteilt und von anderen Designern gelernt, bevor über einige der Modifizierungen, die ein paar unerschrockene Künst- Open Source überhaupt ein Begriff war. In letzter Zeit sind einige


bekannte Instrumente offener geworden, wenn auch nicht wirklich Open Source. Korg teilte Schaltdiagramme aus seiner Monotron-Linie – als Anerkennung der frühen Geschichte des Teilens solcher Designs in dieser Industrie, sodass Benutzer ihre Geräte reparieren, modifizieren und von ihnen lernen können. Das unabhängige Instrument Monome teilt Schaltbilder und essentielle Software, die bestimmt, wie das Gerät gespielt wird. Mithilfe der Open Source-Lizenzen haben wir jetzt die Möglichkeit, klarer zu werden. Wir können versichern, dass Code und Schaltbilder den Benutzern zur Verfügung gestellt werden. Wir können erklären, welche Möglichkeiten sie haben, wenn sie harte Arbeit in Modifizierungen investieren. Manchmal ist es ungemein motivierend, nicht um Erlaubnis fragen zu müssen. Ohne diese Klarheit können Musiker eventuell nicht sicher sein, ob es ihnen erlaubt ist, ihre Arbeit zu teilen – wovon wir aber glauben, dass es wichtig ist. Im Fall von MeeBlip wollen wir also helfen, indem wir mit gutem Beispiel voran gehen – gemeinsam mit einer Handvoll anderer Instrumente wie dem Shruthi von Mutable Instruments oder der Arduino-Hardware. Diese Art von Lizenz ist vielleicht nicht die richtige für jedes Projekt oder jede Person. Aber wir denken, es war die richtige für MeeBlip. Was dürfen sich Teilnehmer von deinem Workshop im November erwarten? Ich werde einen Vortrag darüber halten, wie es ist, ein Geschäft mit Open Source Hardware zu führen. Im Workshop konzentriere ich mich auf Software, um sicherzugehen, dass jeder Zugang hat – auch ohne ein MeeBlip zu kaufen. Wie bei meinen Auftritten werde ich gratis Werkzeuge wie PD und Processing kombinieren, um audiovisuelle Performance-Instrumente zu entwickeln. Ich verwende MeeBlip als Beispiel dafür, was passiert, wenn man den Computer und Hardware zusammenschließt: gratis Software und gratis Hardware, um daraus eine Vorrichtung für offene Musik zu basteln. Ich versuche, diese Dinge weniger aus ideologischen sondern mehr aus praktischen Sehnsüchten heraus zu tun. Vielleicht auch deshalb, weil die praktische Anwendung, das tatsächliche Musikmachen, das ist, was mich begeistert. Was auch immer die Philosophie dahinter ist, offen zu sein – es bedeutet, dass man Musikinstrumente herstellen kann, die flexibler sind, leichter anzuwenden, leichter zu verbreiten und auf eine Art persönlicher und befriedigender. Letztlich geht es bei Open Source also mehr darum, unsere Liebe zur Musik mit anderen zu teilen.

MeeBlip ist eine Design- und Geschäftskooperation von Peter Kirn (createdigitalmusic.com) und dem Techniker James Grahame. Am 14. und 15. November ist es im Rahmen von Vienna Open zu sehen. www.viennaopen.net 043

Interview Martin Mühl (Übersetzung: Lisa Schmid) Bild Peter Kirn

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Infografiken — Ein Boom für animierte Daten

Die Rache der Tortendiagramme 044

Text Peter Stuiber Bild die gestalten verlag

Ob bei Nachrichten, Infotainment, Werbung oder politischer Propaganda: Immer öfter prägen animierte Infografiken unser Bild von der Wirklichkeit. Ihr Potenzial ist ebenso groß wie ihre Tücken. Infografik – wie das schon klingt! Da denkt man unweigerlich an Wirtschaftskunde-Schulbücher, BIPund Arbeitslosenstatistiken, Powerpoint-Präsentationen, Wahlabende mit Wählerstromanalyse oder die Wettervorhersage-Karten. Kein Wunder, dass die Infografik als Stiefkind gilt, denn vordergründig lässt sie den Gestaltern nur wenig kreativen Spielraum. Sie ist die Pflicht und nicht die Kür. Ein ausgewiesener Infografiker genießt ungefähr das gleiche Image wie ein Architekt, der nur Wartehäuschen für öffentliche Verkehrsmittel entwirft. Auch wenn wir alle von den Wartehäuschen mehr betroffen sein könnten als vom Designer-Einfamilienhaus, das medial abgefeiert wird.

prägnant Doch das verstaubte Image beginnt zu bröckeln, denn die animierte Infografik ist dabei, Fernsehen, Internet und Smartphones zu erobern. Und sie bietet Kreativen enorme Entfaltungsmöglichkeiten, die weit über Balken- und Tortendiagramme hinausgehen. Das beweisen die Beispiele, die die beiden deutschen Grafikdesigner Tim Finke und Sebastian Manger in ihrem Buch »Informotion« versammelt haben, das erstmals einen Überblick über das neue Feld verschafft. Historische 044

Parallelen fallen sofort auf: So wie es in der Zwischenkriegszeit Otto Neurath, dem Erfinder der Wiener »Bildstatistik«, um die breitenwirksame Vermittlung wirtschaftlicher und sozialer Phänomene ging, so massiv ist der heutige Einsatz bei einem Thema wie Umweltschutz. Die Überfischung im Meer oder die Verstrahlung durch Fukushima lässt sich in einem kurzen Film eben wesentlich prägnanter darstellen als mit Worten oder Zahlen. Sebastian Manger: »In animierten Infografiken können die Informationen neben dem gewohnten visuellen Kanal auch noch in Form von Sound und Voice Over auf den auditiven Kanal verteilt werden. Das Ohr nimmt dem Auge also etwas Arbeit ab. Enorm wichtig dabei ist aber, in welcher zeitlichen Abfolge das geschieht. Unser Gehirn ist in der Lage, parallel zu arbeiten. Visuelle und auditive Ereignisse müssen, sofern sie zusammengehören, zeitgleich stattfinden, sodass im Gehirn keine Denkbarriere entsteht. Richtig und exakt eingesetzt, kann also in der gleichen Zeit mehr wahrgenommen werden.« Weitere grundlegende Regeln müssten unbedingt beherrschen werden, fordern die Autoren, zum Beispiel das Wissen um die exakte bildliche Wiedergabe von Zahlenwerten oder, was man weglassen könne und was nicht. Stefan Fichtel, Co-Herausgeber des Buches, nennt zusätzlich Fragen, die man sich als Gestalter oder Redakteur stellen müsse:


»Woher kommt das Datenmaterial und wer hat es ausgewählt? Worin besteht die Geschichte? Was ist die Kernbotschaft? Wie gestalte ich eine gängige Handlung? Sind meine Vergleiche angemessen und verständlich genug, um sofort verstanden zu werden?« Man sieht schon: Es geht nicht um rein gestalterische Entscheidungen, sondern um redaktionelles, journalistisches Arbeiten.

knackig Beim Gestalterischen allein können schon genug Fehler passieren. »Die technischen Möglichkeiten laden natürlich dazu ein, ein wahres Feuerwerk abzufackeln, aber dabei die Kernaussage der Grafik aus dem Auge zu verlieren«, so Tim Finke. »Wenn man sich einige der als Infografik getaggten Filme auf Youtube oder Vimeo ansieht, hat man am Ende das Gefühl, gut unterhalten worden zu sein, aber ob man auch viel mitnimmt, hängt eben von der richtigen Mischung ab.« Sein Kollege Sebastian Manger ergänzt: »Dem Betrachter steht ja nur eine begrenzte Zeitspanne zur Verfügung, um die Informationen aufzunehmen. Daher gilt hier die Reduktion bei animierter Infografik viel mehr als im Print, wo uns dazu quasi alle Zeit der Welt bleibt.« Dass bei animierten Infografiken oft gerne übers Ziel geschossen wird, hat allerdings nicht nur damit zu tun, dass Grafiker sich nicht zu beherrschen wüssten. Grund dafür ist der zunehmende Einsatz in Infotainment und Werbung, wo das seriöse Image der traditionellen Infografik mithelfen soll, Werbebotschaften möglichst objektiv erscheinen zu lassen. Wenn etwa eine Bank ihre Investmentstrategie mit in die Höhe schießenden Balkendiagrammen bildlich vor Augen führt, kommt das ebenso verführerisch rüber wie der Autohersteller, der die technischen Raffinessen eines neuen Modells in einem dynamischen Mix aus Grafik und Film zum Ausdruck bringt. Das ist klarerweise legitim. Doch die Grenzen zwischen seriöser Information und Infotainment sind ebenso fließend wie die zwischen Online-Redakteur und Grafiker, Werbefilmer und Multimedia-Designer.

»In einer Analyse von 121 Infografiken in TV-Newssendungen, die wir in der Vorbereitung zum Buch durchgeführt haben, betrug die durchschnittliche Präsenz ca. elf Sekunden.« Kann man die globale Finanzkrise oder das Budgetdefizit Griechenlands in elf Sekunden erklären? Die Antwort lautet wohl: Man muss, ob man will oder nicht. So komplex kann ein Thema gar nicht sein, dass es nicht auf durchaus kluge Weise in einer animierten Grafik vermittelt werden kann. Das beweisen die unzähligen Wissenschaftssendungen, die in den vergangenen zehn Jahren entstanden sind, und die die rasante Wissensexplosion in unserer heutigen Gesellschaft meist verdaulich präsentieren, siehe Discovery Channel oder Arte. Dass sich animierte Infografiken in Zeiten von Social Media und Twitter-Aufmerksamkeitsspannen hervorragend eignen, politische Inhalte zu transportieren, haben nicht nur Obamas Wahlkampfstrategen verstanden. Animierte Infografiken boomen als politische Waffe, sie entlarven die Steuerpläne der Gegner und untermauern das eigene Handeln, sie sind unterhaltsamer als 99,9 Prozent aller politischen Reden und noch dazu kürzer. Während in Österreich Karl Blecha damit beauftragt wird, am sozialdemokratischen Parteiprogramm für die Zukunft zu basteln (wer liest eigentlich Parteiprogramme?), macht man sich anderswo Gedanken, wie man gezielt animierte Infografiken als »Propaganda« an Leute vermittelt, die sich täglich durch die Beiträge von 300 Facebook-Freunden wühlen und 1.000 SMS pro Monat verschicken. Vielleicht sollten die heimischen Politiker mal bei Otto Neurath nachschlagen?

das buch

kurz

»Informotion« von Sebastian Manger und Tim Finke ist im Gestalten Verlag erschienen und enthält neben Beispielen animierter Infografik, die mittels Zugangscode auch online angesehen werden können, Tipps für Gestalter. Eine wichtige Rolle spielen dabei etwa die klassischen Regeln der Gestalttheorie, aber auch Grundlegendes zur bildlichen Umsetzung von Daten, Storyline, Animation, Einsatz von Farben und Typografie. Eine satte Einführung ins Thema, für Grafiker ebenso wie für »Medienversteher«.

Wie überall im Medienbereich ist Zeit auch bei der animierten Infografik der entscheidende Faktor. Es gebe aber keine Faustregel, wie lange die Aufmerksamkeit der Betrachter dauere, so Manger und Finke:

www.sebastianmanger.de www.formdusche.de 045


eva Fischer

der wortwechsel. vier personen zur frage:

sound:frame

Festival trotz Krisenstimmung, wie geht das?

Festivals haben weit mehr zu bieten als ein paar feierwütigen Hormonschleudern einen unvergesslichen Sommertrip ohne Aufsichtspersonen zu bescheren. Es gibt Festivals für jeden Geschmack: in Stadt-, Land- und Flussausführung, indoor wie outdoor, für Massen oder Familien, Pflichtveranstaltungen und Geheimtipps, für die künstlerische Elite oder den avantgardistischen Untergrund. Sie sind zugleich Anlass und Selbstzweck, vor allem aber Dreh- und Angelpunkt von gesellschaftlichem Diskurs. Ein Festival, das alles richtig macht, bietet Raum für Reflexion von Zeitgenössischem, denkt outside the box, provoziert, beschreitet neue Wege und stellt Weichen für die Zukunft. Wo sonst kann man an derart gebündelten progressiven Gedankenexperimenten teilhaben? Kulturfestivals haben eine essentielle Funktion für die Gesellschaft. Eine Funktion, die zunehmend bedroht ist. Denn spätestens, wenn es um die Finanzierung geht, prallt diese tragende Rolle auf den harten Boden der Realität: Krisenstimmung & Co. machen auch vor Festivals nicht halt und haben in den letzten Jahren zu einem massiven Rückzug großer Sponsoren geführt. Wenn Banken jetzt Rücklagen bilden müssen und sich aus ihrer Kulturarbeit zurückziehen, dann sind das unmittelbare Auswirkungen der Krise. Festivaldirektoren werden zunehmend zu Fundraisern, statt inhaltlichen Steuermännern. Kunstund Kulturbudgets haben häufig eine schlecht organisierte Lobby und fallen leichter als andere dem Rotstift zum Opfer – dabei tun gerade in Krisenzeiten Kürzungen im Kunst- und Kulturbereich nur vermeintlich am wenigsten weh. Im internationalen Vergleich (etwa wenn man gen Süden blickt, wo drastische Budgetkürzungen an der Tagesordnung sind) befinden wir uns hierzulande zwar noch auf einer Insel der Seligen. Aber wie steht es um die Zukunft der österreichischen Festivallandschaft in diesem zunehmend rauen Klima? Was braucht ein Festival, damit es in Zeiten, in denen immer weniger private und öffentliche Gelder für Kultur zur Verfügung stehen, überlebt oder gar floriert? Welche Lösungsansätze gibt es? Und was bedeutet diese Entwicklung für unsere Gesellschaft und das kulturelle Leben vor Ort? The Gap wird das Thema auf www.thegap.at weiter verfolgen. 046

text lisa schmid dokumentation Lisa Schmid, Stefan Niederwieser

So wichtig der kulturelle Beitrag auch ist, den Festivals für die Gesellschaft leisten: Die krisenbedingte Abwanderung der großen Sponsoren gefährdet seit heute diesen Beitrag.

»Krise kann einen erden« — Man traut es sich angesichts der prekären Realität beinahe nicht zu sagen, aber die Krise kann auch Chancen mit sich bringen. Zumindest hat sie uns dazu gebracht, 2012 mit dem Thema »Substructions« einen für uns wichtigen Schritt zu gehen. Nach Jahren der Wagnisse haben wir uns »gesund geschrumpft«, unsere Ziele den Rahmenbedingungen noch konkreter angepasst, jeden Euro drei Mal umgedreht. Die Krise kann einen erden. Wir haben die Essenz von sound:frame aus einem größeren Ganzen herausgeschält und uns Fragen gestellt wie: Braucht es fünf Flyer oder genügt auch einer? Muss ich wirklich überbezahlte Headliner ins Programm buchen oder freut sich unser Publikum auch über tolle Newcomer? Wo liegen unsere Prioritäten? Was wollen wir inhaltlich erreichen? Der wichtigste Punkt ist wahrscheinlich, dass es zu jeder Zeit Menschen und Institutionen gab, die uns unterstützt haben – vor allem auch ohne Geld, durch ehrenamtliche Arbeit, Kooperationen und Warensponsoring. Das ist unser Sicherheitsnetz, unsere Community, ohne die es nicht funktionieren würde. So schön dieses »Kollektive« auch ist, so schnell bringt mich die Realität gerade an diesem Punkt immer wieder zu dem Schluss: Hör auf mit dem Festival und such dir endlich einen »richtigen« Job! Doch dann denke ich an unser tolles Team und an den Enthusiasmus; daran, wie spannend es ist, einmal im Jahr so viele großartige Künstler zusammenzubringen. Und vor allem denke ich an unsere Crowd, die ebenfalls daran glaubt, und es toll findet, dass da etwas passiert in ihrer Stadt.  Mag.ª Eva Fischer, 29, ist u.a. Kuratorin und künstlerische Leiterin des sound:frame Festivals und Lehrbeauftragte für »Audiovisuelle Medien« an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.


paul gessl

Musikfestival Grafenegg

barbara pichler

diagonale

thomas heher

»Starker politischer Wille notwendig« — Festivals und Krisen existieren beide seit Langem mit- und nebeneinander. Deshalb stellt sich für mich die Frage nicht, ob es Festivals trotz Krisenstimmung geben kann. Es gab sie, es gibt sie und es wird sie auch weiterhin zur gleichen Zeit und im gleichen Raum geben. Fest steht, dass man in Österreich keinen Kulturbetrieb allein aus Drittmittel durch Sponsoren und Förderer etablieren und positionieren kann. Dafür waren und sind ein starker politischer Wille und die Unterstützung durch die öffentliche Hand notwendig. Kunst und Kultur müssen ihren Platz in der Gesellschaft haben, sie werden für die Gesellschaft, für Menschen gemacht. Sei es als Regulativ, als Bildungseinrichtung, als reine Unterhaltung oder um Prozesse in Gang zu bringen. Das Musikfestival Grafenegg ist weder elitär noch exklusiv, wir versuchen, musikalische Hochkultur der Gesellschaft möglichst barrierefrei zugänglich zu machen. Diese Offenheit schätzen auch unsere Partner aus der Wirtschaft. In dieser Haltung finden sie sich wieder und gehen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit uns in die Zukunft. Ohne Sponsoren und Förderer wäre der Gestaltungsspielraum wesentlich kleiner. Unsere sieben Hauptsponsoren sowie der Freundesverein des Musikfestivals Grafenegg bieten uns zusätzlichen wirtschaftlichen Nährboden, eine wirtschaftliche Freiheit, aus der Neues und Außergewöhnliches entstehen kann. Unser Composer in Residence-Programm beispielsweise, das neben einer Auftragskomposition auch einen Workshop für Komponisten vorsieht, wäre ohne diese Drittmittel schwer möglich. 

»Commitment der Kulturpolitik« — Festivalkultur ist zumindest im Filmbereich etwas, wo man innerhalb weniger Tage nicht ausreichend Einnahmen generieren kann, um eine professionell geplante Veranstaltung abzudecken. Das ist nur möglich, wenn es weiterhin öffentliche Förderungen gibt, daran führt kein Weg vorbei. Die Diagonale ist dabei in vielerlei Hinsicht ein privilegiertes Beispiel, weil wir dank unserer vielen Partner und Sponsoren nicht nur von Förderungen abhängig sind. Trotzdem wäre es unmöglich, ein Festival dieser Größenordnung und mit diesem qualitativen Anspruch zu veranstalten, wenn es keine Leistungsbereitschaft vonseiten der Kulturpolitik gäbe. Wenn dieses Angebot, das dabei für Publikum wie auch für Filmschaffende entsteht, für die Kulturpolitik nicht relevant genug ist, dann hat man ein Problem: Dann werden die Veranstaltungen entweder der Reihe nach eingehen, weil es einfach unmöglich ist, ein Festival nur aus privaten Mitteln zu finanzieren, oder sie werden ihre qualitative Latte deutlich niedriger legen und weiterhin auch mit (Selbst-)Ausbeutung und absolut prekären Arbeitsverhältnissen leben müssen. Lösungsansätze gehen also immer Hand in Hand mit einem deutlichen Commitment, das von der Kulturpolitik kommen muss. In der Filmbranche fällt außerdem auf, wie wenig Festivals als Verbreitungsmaßnahme und vor allem als Diskursraum mitgedacht werden. Das heißt, es geht im Grunde immer darum, zuallererst eine andere Form von Bewusstsein und Wertschätzung für diese Arbeit und ihre Bedeutung für eine aktive und kritische Filmkultur zu schaffen. 

»Unverwechselbarkeit erreichen — Wir haben 2011 sozusagen mitten in der Krise gestartet und hatten von Beginn an stark um Sponsoren zu kämpfen. Daher ist uns die Situation, dass wir nur von Jahr zu Jahr planen, vertraut. Neben dem Clubfestival gibt es auch den Konferenz-Teil, der sich in erster Linie an Leute aus der Musikbranche richtet und für den wir auch Unterstützung von öffentlicher Hand erhalten. Zusätzlich müssen wir einerseits Partner aus der Privatwirtschaft an Bord holen, andererseits wird der Konferenz-Teil durch das Clubfestival querfinanziert. Förderungen machen etwa 15 % unseres Gesamtbudgets aus, den größten Fördergeber stellt die Stadt Wien. Der Bund stellt »traditionellerweise« keine Mittel zur Verfügung. Da kommt vermutlich wieder die absurde Unterscheidung zwischen U- und E-Musik zum Tragen und wir Us ziehen den Kürzeren. Weitere 55 % des Budgets decken Sponsoren ab, der Rest kommt aus dem Ticketverkauf. Für Sponsoren ist natürlich der Werbewert, den sie für das eingesetzte Budget erhalten, entscheidend. Je nach Unternehmen und deren Sponsoring-Planung trägt auch das Image des Festivals, und nicht zuletzt wer dahinter steht, zur Entscheidungsfindung bei. Es wird wohl in Zukunft noch wichtiger sein, eine Unverwechselbarkeit, einen fixen Platz in der Festivallandschaft und letztlich eine USP zu erreichen. Nur mit einem scharfen Profil und einer Vision, wo es mit dem Festival hingehen soll, können sich Sponsoren ein Bild machen, ob die Veranstaltung zu ihrer Kommunikationsstrategie passt und eine für beide Seiten fruchtbare Partnerschaft entstehen kann. 

» Nur mit einem scharfen Profil und einer Vision.« (Thomas Heher)

Paul A. Gessl, 51, ist Geschäftsführer der Niederösterreichischen Kulturwirtschaft sowie Geschäftsführer des Musikfestival Grafenegg und des Tonkünstler-Orchesters in NÖ.

Barbara Pichler, 44, ist Kuratorin, Publizistin und Filmvermittlerin. Seit 2009 leitet sie die Diagonale, das Festival des österreichischen Films.

waves vienna

Thomas Heher, 38, ist Festivalleiter des Waves Vienna – Music Festival & Conference. Über den Dachkonzern Super-Fi besteht eine lose Verbindung zwischen Waves Vienna und diesem Magazin.

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bild Karin Wasner text stefan kluger


Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Norbert Tlusti, 51, Maßschneider und Federnschmücker

Federn! Als er vor vielen Jahren mit einer Show-Truppe unterwegs war, kam er zum ersten Mal mit ihnen in Kontakt. Bei seinen Auftritten waren sie fester Bestandteil, jedoch nur in unbefriedigender Qualität vorhanden. Deshalb legte Norbert Tlusti selbst Hand an und gründete 1992 das Atelier Renato & Co. Seitdem kombiniert der Maßschneider und Federnschmücker beide Handwerke und erschafft Unikate für Auftraggeber rund um den Globus: sogar New Yorks Met, das Opernhaus von Sydney und Queen Elisabeth zählten bereits zu seinen Kunden. Alle Produktionen würden exakt nach den Vorstellungen der Besteller angefertigt, seien sie auch noch so ausgefallen. Dabei scheinen manche Aufträge zu Beginn kaum umsetzbar, andere gar unüberwindlich zu sein. »Das erfordert Durchhaltevermögen, Fachwissen und harte Arbeit«, sagt Tlusti. Seine nächsten Ziele: Lieferungen nach London, Paris und Las Vegas. .


Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Kitty Willenbruch, ewige 25, Burlesque-Tänzerin und Moderatorin

Frivol, nicht kitschig und obszön! So präsentiert sich Madame Kitty Willenbruch, Wiens erste Burlesque-Tänzerin und Betreiberin der Salon Kitty Revue. Jeden zweiten Samstag im Monat heizt sie in der Varieté-Bar Arena ihrem Publikum ein; die gleichnamige Fernsehsendung wird dort gedreht und von Willenbruch moderiert. Jener Ort ist ihre zweite Heimat geworden, erzählt die ewig Junggebliebene. Julia Wank, so ihr bürgerlicher Name, die ansonsten als Model und Schauspielerin arbeitet, freut sich über den breiten Zuspruch: Theaterpublikum, Gaukler, Normalos – sie alle kommen in ihre Show und genießen. »Die Subkultur lebt und der Kommerz bedient sich daran.« Beides miteinander zu verbinden sei immer ihr Traum gewesen. »Auf diesem wunderschönen Plätzchen Erde hat er sich erfüllt.«



Prosa von Ariell Cacciola

die amerikanische autorin ariell cacciola war im essl museum und traf auf das gemälde einer kuh des gugginger künstlers franz kamlander. daraus entstand ein text über die gefahren und tücken von mensch und natur.

Kühe fliegen und steigen lassen

als ich an den abgrund kam, konnte ich nicht zurück Aus dem Englischen von Marlon del Mestre Als wir noch Kinder waren, erzählte unser Lehrer uns eine Geschichte über einen Riesen und seinen blauen blauen Ochsen. Die Fußspuren, die sie hinterließen, füllten sich mit Wasser und wurden zu den Great Lakes. Lügen – alles Lügen. Als wir noch Kinder waren, malte ich Bilder von Adlern und von Luftballons mit lachenden Gesichtern. Natürlich mit Buntstiften – immer acht Stück in einer kleinen Pappschachtel. Als wir noch Kinder waren, hatte ich Windpocken und lief drei Tage lang nackt im Haus herum. Mein Körper bedeckt mit Zinksalbe, meine Haut glitschig und rosa. Jetzt sind wir keine Kinder mehr. Das Fenster reicht vom Boden im Erdgeschoss bis zur Decke im 1. Stock. Es ist so breit wie die Wand selbst. Das Wasser, das außen an ihm herunterrinnt, verschleiert meine Sicht aufs Tal. Genau erkennen kann ich sie nicht. Sie sehen eher aus wie ineinander verlaufende schwarze und weiße Acrylfarben. Traurige Kreaturen – die Kühe – und sie wissen gar nicht, dass man ihnen die Kehlen aufschlitzen wird, damit ihr Blut über ihre Malerpalettenkörper fließt. Gerade

jetzt sind sie fett und zufrieden, und aus ihrer Milch wird die sahnige Eiscreme gemacht, die im Sommer oben auf dem Hügel verkauft wird. Ich bin alleine in dem Haus und nachts höre ich Geräusche. Man hat mich vor den Hillbillies gewarnt, die auf der anderen Straßenseite leben, und vor ihrer verschrobenen Liebe zu ihren Schrotflinten. Vor den Bären, die die Hinterhöfe besuchen. Man hat mir gesagt, ich solle die Hintertüre verschlossen halten, damit sie nicht ins Haus kämen. Man hat mich vor den einbrechenden Erdlöchern auf der Straße gewarnt. Mir gesagt, dass passiere, wenn es regnet. Das Rinnsal außen am Fenster versiegt. Die Wolken sind noch immer grau, das Tal neblig. Ich gehe aus der Hintertür und verschließe sie hinter mir. Unter meinen Stiefeln matscht das Gras und der Dünger, der irgendwo abseits steht, riecht scheußlich. Das Haus steht auf einem 20 Hektar großen Grundstück, das sich bis hoch in die Berge erstreckt. Auf den Schildern am Eingang steht: betreten verboten. Ich komme an einem Stapel Brennholz vorbei, der jetzt durchweicht ist und nicht den mindesten Funken fangen könnte. Die Axt liegt auf der Erde. Ich hebe die Axt auf und nehme sie mit. Zwanzig Minuten bin ich gelaufen. Mein Gesicht ist feucht vom Tau, aber meine Jacke behalte ich an, weil

ich sie nicht tragen will. Die Axt baumelt leblos von meiner Hand. Links von mir liegt das Gerippe eines gestohlenen Sportwagens. Abgerissen bis auf die nackten Knochen, das Gestell rostig und befleckt. Es ist ein Teil der Landschaft geworden. Ich sehe die Holzbohlen, die zurückgelassen worden sind. Sie liegen parallel zueinander über einem kleinen Wasserlauf, der einen Teil des Pfades schneidet, den sie benutzt haben, um das Auto hierher zu bringen. Ich sehe durch das Loch, wo einst die Windschutzscheibe war. Innen ist alles von Blättern bedeckt. Sie sind nass vom Regen und haben diesen Fäulnisgeruch an sich. Ich sehe Käfer krabbeln und irgendetwas unter dem Laub rüttelt sie lebendig. An einem Ort, der von Kreaturen nur so durchkrochen sein muss, sind die einzigen Geräusche die ich höre, dennoch nur die der Lebenswelt in dem Auto. Die Bäume sind lang und dünn. Wenn der Frühling kommt, werden sie satt und grün sein. Die Sonne wird sich durchkämpfen müssen, um einzelne Strahlen seliger Wärme zu spenden. Noch, jetzt ist der Wald kalt wie ein Grab. Die gefallenen Blätter verdecken den Boden. Ich kann die raue Erde nur sehen, wenn ich mit meinem Stiefel durch den Laubschleier scharre. Ich bleibe stehen und sehe auf, denn irgendetwas ist da. Die Rehe sind nicht wie


Ad Personam: Ariell Cacciola Ariell Cacciola ist Schriftstellerin und Übersetzerin und lebt in New York. Geschichten von ihr wurden in The Brooklyn Rail, Words Without Borders, Publishers Weekly oder in der zweisprachigen Anthologie »Wort für Wort/Word for Word« (Ugly Duckling Press) veröffentlicht. Auch die hier abgedruckte Geschichte findet sich in einer Anthologie wieder. »Literatur im Museum« (Limbus Verlag) versammelt die Texte von sieben Autoren – darunter etwa Linda Stift, Philip Traun oder Johannes Gelich, die auf Einladung von Erwin Uhrmann das Essl Museum und all seine Räumlichkeiten erkunden durften. Ariell Cacciola inspirierte dabei das Werk des Gugginger Malers Franz Kamlander, der Kühe zu seinem Leitmotiv erkoren hat. Derzeit arbeitet die Autorin übrigens an manfred gram ihrem ersten Roman.

die Rehe, die auf Familien-Zeltplätzen nach Essen suchen, die sich schreienden Kindern nähern. Diese Rehe sind Beutetiere. Sie werden von der Wildnis gejagt. Sie werden von Menschen gejagt. Als ich mich umdrehe, sehe ich zwei von ihnen so geräuschlos wie nur möglich dastehen, ich sehe ihre Augen – animalisch, düster, Pupillen groß wie Halb-Dollar-Münzen. Erschrocken fliehen sie zurück ins nackte Gehölz. Ich bin jetzt allein. Es ist eher ein großer Raum als ein Gebäude. Von den Elementen getrennt, nur durch das abgesunkene, knittrige Dach und die bröckelnden Wände an allen vier Seiten. Die Holztür hängt halb aus den Angeln, verkantet, so dass jede Seite in eine andere Richtung weist. Ich nehme die Axt – bis jetzt ein nutzloses Anhängsel – und hacke in die Tür. Sie ist nicht dick und fällt leicht in sich zusammen. Trotzdem bleiben splittrige Reste, die lose am Rahmen hängen. Meine Jacke verfängt sich, als ich hindurchgehe und ich hänge sofort fest. Meine Jacke will sich nicht lösen und die Befreiung liegt bei mir. Grüne Bierflaschen liegen auf dem Fußboden verstreut und das Ödnisbild von wandernden Steppenhexen wird von leeren Tankstellensnack-Tüten ausgefüllt, die auf dem Boden herumrascheln. Ich kann nicht sagen, ob das ganze Essen von Menschen gegessen wurde, oder ob auch die Bären sich ihren Teil geholt haben. Der Raum ist ruinenhaft. Hier übernachten sie, wenn sie jagen. Während ich durch den Raum gehe, höre ich das Knirschen von grünem Glas, das unter meinen Stiefeln zerbricht. Ich nehme die Axt und klopfe mit der stumpfen Seite gegen sie, löse die Smaragdkristalle von den Sohlen. Ich denke an die Kühe, und wie weit ich nun von ihnen entfernt bin. In den Bergen gibt es keine. Nur die wilden, hungrigen Tiere leben hier. Die fetten und zufriedenen haben ein anderes Schicksal. Jetzt höre ich ein leises Pochen, das zu heftigem Getrommel anwächst. Es hat wieder zu regnen begonnen. Meine Jacke ist am Türrahmen nicht zerrissen und ich bin froh darüber. Die einzigen Überbleibsel des Ärgers bleiben Dreck und Flecken auf dem Ärmel. Ich lasse die Axt zu Boden fallen und warte. Ich weiß nicht wie lange es her ist, seit es wieder zu Pladdern begonnen hat. Das schräge Dach hat ein Loch und der Regen fließt hindurch und verwandelt den Dreck- in Matschboden. Ich gehe auf die andere Seite, um trocken zu bleiben. Ich grabe meine Fingernägel in die Erde, unsicher, wonach sie suchen. Ich mag das Druckgefühl nicht, verursacht durch die Sandigkeit. Ich bin alleine, hier in dieser Delinquentenzelle. Ich fühle, wie mir der Regen hinunter auf den Kopf tropft. Ich blicke auf und er läuft hinunter auf meine Stirn. Ich bewege mich nicht. Ich weiß nicht warum. Mein Körper zittert vor Kälte und ich stehe endlich auf, um mir die Wärme meiner Jacke zu bewahren. Die Axt liegt da und sie ist nass. Sie sieht silbern schimmernd aus.

Der Griff ist dunkelbraun geworden, weil das Holz sich vollgesaugt hat. Von draußen her kann ich etwas hören, etwas, das lebt. Es muss ein Bär sein, der zurückkehrt zum Gelage. Ich blicke auf den Körper des Bären. Er ist blutig und schlaff. Er liegt mit weit geöffnetem Maul auf der Erde. Ich will das Blut nicht mit meiner Jacke oder an meiner Hose abwischen, also lasse ich die Axt zurück, verschmiert und tropfend, in der Hoffnung, dass der Regen sie rein waschen wird. Mein Haar hängt herunter und ich entschließe mich, es mit dem dicken Gummiband, das ich an meinem Handgelenk trage, zurückzubinden. Mein Haar ist glatt und braun und fällt über die ganze Länge meines Rückens. Manche Leute sagen, es erinnere sie an ein Pferd, wild, und wenn die Sonne scheint, glänzt es. Wie der Griff der Axt, ist mein Haar dunkel vom Regen und ich kann fühlen, dass die kleinen Härchen meiner Augenbrauen feucht sind. Meine Stiefel haben sich irgendwie zu einem Teil meines Körpers ausgewachsen und ich fühle mich wohler, stolziere über den rutschigen Untergrund. Mein Schritt wird schneller. Ich beschleunige, eile durch den Wald, beachte die Umgebung nicht. Ich kümmere mich nicht um die Bäume, oder den Regen, oder den toten Bärenkörper, der entfernt hinter mir auf der Erde liegt. Ich nehme an, die Jäger werden ihn nehmen. Sie werden behaupten, er gehöre ihnen und sie werden Geschichten erzählen, wie sie den Bären erlegt haben, all das, während sie zu seinem ausgestopften Körper in ihrem Heim aufblicken. Ich kenne diesen Ort nicht, aber vor mir kann ich helles helles Gelb sehen. Es ist Absperrband, das von einem Baum zum anderen gespannt war. Es ist geschunden vom Wetter, von der Natur und ihren Elementen. Es ist ein verhärmtes Lächeln mitten im Nirgendwo. Es ist, als seien die Vögel weggeflogen. Es ist kein Laut hier und der Regen hat aufgehört. Ich bemerke eine weite Öffnung in der Erde. Je näher ich komme, desto lauter beginne ich das Geräusch fließenden Wassers zu hören. Es muss ein Bach sein. Als ich an den Abgrund gehe, sehe ich sie dort unten. Ich muss daran denken, wie wir Kinder waren, als man uns Geschichten erzählte, und wir wiederholten sie: there was a cat and a fiddle and the cow jumped over the moon.

Ihr Körper ist erbärmlich und passt nicht zu den Bergen oder dem Wald. Die Kuh ist tot. Sie ist unter den Erdmassen eingequetscht und Laub bedeckt Teile ihrer Leiche. Ich sehe sie in dem reißenden Strom liegen, der sich durch den Boden schneidet und sie vom Rest ihres Körpers trennt. Die Kuh ist in den Abgrund gestürzt, und ich trauere nicht um sie.


Kolumne: Film in Österreich von Gunnar Landsgesell

360 / Die Vermessung der Welt

big dreams   Ein neuer Fördertopf sollte großes Kino ins Land holen. Is se filmworld too small in Austria?

A

nfang Oktober lud eine Gruppe prominenter Filmschaffender zur Pressekonferenz ins Cafe Landtmann, um vor den Budgetverhandlungen der Regierung wieder mal Druck zu machen. Die Forderung nach mehr Geld ist mittlerweile so alt wie die Liste heimischer Festivalerfolge lang. Ganz erfolglos ist die Branche aber auch mit ihren Forderungen nicht. Vor zwei Jahren wurde nach deutschem Vorbild ein brandneuer Fördertopf eingerichtet: FISA steht für »Filmstandort Österreich«, bietet als Spitzenfinanzierung die letzte Summe Geld, die Projekten für ihre Realisierung fehlt und sollte, so die Erwartungen, große internationale Produktionen, am besten mit Tom Cruise, in die Alpennation holen. Tom Cruise kam zwar nicht, oder zumindest nicht noch einmal. Er hatte schon 2010 für den Agentenfilm »Knight And Day« ganz ohne FISA die Salzburger Altstadt mit zwölf Filmminuten beehrt. Die Zielrichtung war aber mit dem neuen Fördermodell gesteckt: In Österreich sollte mehr »großes Kino« möglich werden, das Filmschaffen sollte sich weiter internati-

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onalisieren und die heimischen Produzenten stärker kapitalisiert werden. Das Problem daran: In Österreich existiert gar keine Filmindustrie. Viele kleine engagierte Produktionsfirmen arbeiten emsig vor sich hin, während ein Bruchteil von ihnen sich über ökonomisch wichtige Fernsehaufträge glücklich schätzen darf. Nicht wenige von ihnen sind international auf Festivals mit ihrer künstlerischen Vision erfolgreich. Dafür steht Österreich. Wozu also FISA? Vielleicht für die folgenden zwei raren Großprojekte, die mit FISA ins Land geholt werden konnten: »360«, eine sehr freie Adaption von »Der Reigen«, die inhaltlich irgendwie aus dem Ruder lief. Was von Schnitzlers entlarvender Parabel über Macht und Verführung blieb, genügte auch für einen Skandal nicht. Was blieb, sind die Schatten von Anthony Hopkins, Jude Law und Rachel Weisz in einem von Österreich mitfinanzierten Film. Zwar brachte die Mitwirkung beteiligter österreichischer Departments am Film wichtige internationale Erfahrung, aber sonst? Welche Impulse von »360« ausgingen, bleibt unklar. Die zweite Großproduktion, ebenfalls mit einem 10-Mio.-Budget ausgestattet, ist der Kehlmann-Bestseller »Die Vermessung der Welt«. Detlev Buck, ein Jongleur kleiner, satirischer LokalKoloritgeschichten wie »Karniggels« und »Männerpension«, hat hier einen historischen Stoff verfilmt, der selbst nicht weiß, was er mit seinen Protagonisten nun anstellen soll. So müssen die Forscher Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß mal ernst parlieren, dann wieder Wuchteln schieben, während die parodistischen Züge diesen Film beharrlich

sabotieren, anstatt ihn zu konturieren. Für einen durchgeknallten Euro-Blockbuster zu verhalten, erweist sich »Die Vermessung der Welt« für eine Buck’sche Farce als zu staatstragend. Dabei hatten zehn oder mehr Fördereinrichtungen sicherlich nur eines vor Augen: die Versprechung vom großen Kino. Auf welche Weise die österreichische Filmkultur dabei mitspielen soll, bleibt unklar. Zwei Jahre später ist also Zeit, Bilanz zu ziehen. Sie fällt nüchtern aus. Hollywood produziert auch weiterhin kostengünstig in Rumänien oder Budapest; Produzenten kapitalisieren sich weiterhin über das Fernsehen; und FISA finanziert in einer Doppelstruktur »kleine« Filme parallel zum Österreichischen Filminstitut. Was also spricht dagegen, mit den für die Branche so wichtigen FISA-Mitteln gleich das Filminstitut zu stärken? Denn schon jetzt kann FISA als Spitzenfinanzierer nur dort aktiv sein, wo intakte Basisförderungen quasi vorfinanzieren. Solange diese aber unterfinanziert sind, erweist sich FISA selbst in finanzieller Hinsicht falsch kalkuliert. Salzburg holte sich Tom Cruise übrigens für 300.000 Euro ins Land.

Gunnar Landsgesell landsgesell@thegap.at


dear lovely people, we had an awesome time with you! thanks a lot to lovely 10.800 festival visitors, 517 awesome delegates from 30 countries and of course to 139 fabulous acts from 27 countries! see you next year from 03.–06.10.2013

tickets & info: www.wavesvienna.com



A B HIER : REZENS ONEN

The Soft Moon Zeros (Captured Tracks)

Mein finsteres Herz

BILD Julie Bonato

Das zweite Album von The Soft Moon vertont abermals die kältesten Seiten des Postpunk. Passenderweise heißt es »Zeros« – es ist ein sinnloses Leben. Luis Vasquez ist ein Freund der Reduktion und der selbstauferlegten Limitierung. Im Artwork für sein Projekt The Soft Moon hat er bislang gerne den Minimalismus, die klaren Linien und die schlichten geometrischen Formen des russischen Konstruktivismus bemüht, sein musikalisches Vokabular ist ein klar definiertes und mit voller Absicht begrenztes: Der eigenbrötlerische Musikant aus Oakland, der sich nur auf Tour so recht für das Zusammenspiel mit anderen Menschen erwärmen kann, bezieht sich mit The Soft Moon ausdrücklich auf die Schattenseiten der Musikgeschichte zwischen den späten 70ern und den frühen 80ern – es geht hier also wieder einmal um die Aufarbeitung von schmerzgeplagtem Postpunk und No Wave, dessen vorderste Absicht oder Dringlichkeit es war, die Isolation und die Zerfurchung der Seele zu vertonen bzw. der Angst und Klaustrophobie im eigenen dünnen Körper ein schmales Ventil zu geben. Joy Division heißen hier so – wie so oft in den letzten zehn Jahren – die Vorbilder, oder auch Suicide und Chrome. So wie es diese beiden Duos schon vor über 30 Jahren getan haben, werden bei The Soft Moon der böse Geist der Maschine, ihr Fauchen und ihr Zischen beschworen. Luis Vasquez lässt die Synthesizer monoton zwitschern und zieht kalte Nebelwände auf, der Beat rumpelt stoisch und schlägt mit scharfer Präzision Narben ins Herz. Der Gesang, sofern es denn einen gibt, ist meist ein nicht entschlüsselbares, wortloses Stöhnen, Flüstern oder Kreischen. »Zeros« ist das schon zweite Album von The Soft Moon, der Sound des Projekts hat sich im Vergleich zum Vorgänger kaum verändert: Während das Debüt noch ein wenig vom Charakter des Herumprobierens geprägt war, ist die neue Platte jetzt eine selbstbewusste und konzentrierte Übung in Verzweiflung und Verweigerung. Ein schwarzer Monolith, der trotz seiner überdeutlichen Bezugnahme auf alte Muster so weihevoll und eigenständig in der Eiswüste, die unser Leben ist, herumsteht, wie kaum irgendetwas anderes sonst im Moment. 08/10 Philipp L’heritier 057


Rez

Emeralds Just To Feel Anything (Editions Mego)

Angst, Magie und diese verflixte Post-Ironie

musik

Erdbeerschnitzel Tender Leaf (Mirau / Word & Sound)

Ich bin so wild nach deinem Erdbeerschnitzel

Die Emeralds bieten eine ideale Projektionsfläche, eine endlose Neustartschleife. Noch dazu bündeln sie einige der zentralen Ideen von heute in ihrer Musik.

Der Mainzer Beatbastler Erdbeerschnitzel öffnet die Fenster seines House und lässt ordentlich frische Luft herein.

Vor einem Jahr blickten die Kinder der »Midnight City« im gleichnamigen M83-Video in eine ungewisse und blass schillernde Zukunft, standen im Zentrum der Tabula Rasa, an einem Neuanfang, vor einem Aufbruch ins Ungewisse, um sie die strahlende Nacht. Andere Videos zündeten Leuchtfeuer, Signallampen zur Orientierung, Menschen vermummten sich darin oder inszenierten namenlose Aufstände. Letztes Jahr, da war die Chillwave zerbrochen, aber schlafwandlerisch in Hauntologic Pop übergegangen. Das Spiel mit den Geistern der Vergangenheit war also noch nicht vorüber und die Suche nach den Sounds für die Träume vom Gestern. Zum Glück waren da aber auch noch Alben, die das Wort Retro von jedem muffigen Beigeschmack befreiten. Sie spiegelten den Sound des Kapitalismus gegen sich selbst, seine Zeichen und Symbole, sie transzendierten sie und schufen daraus großartige Musik, und ja, damit auch Kunst – James Ferraro, Destroyer, Oneohtrix Point Never und Oval gleichermaßen. Die Leitbegriffe der beginnenden Zehner Jahren auch hier: Marktversagen, Gedächtnis und Wiederaufbau. Auch die Emeralds übersetzen Zeitgeist in aufregende Töne. »Just To Feel Anything« fängt die von Nostalgie besoffenen Tage ganz heißkalt ein, ihre Nervosität, ihre Risse und Dissonanzen, Angst und Magie, nur um irgendetwas zu fühlen, wie die Band das im Albumtitel ausdrückt. Ihre weichen Synths, gefühligen Gitarren-Soli, Arpeggios, kühle Ambientflächen und drahtigen Beats, all das muss man wohl irgendwie postironisch sehen – eine Haltung, über die zwar sehr viel geschwafelt wird, aber die man selten genug irgendwo wirklich finden kann. Hier bitte. Es sind Sounds und Melodien, in denen man nicht mehr daheim ist, die aber ihre Bedeutung trotzdem nicht verloren haben. Dass die 80er gar nicht so total cool waren wie viele glauben möchten, das muss man für das Trio aus der trostlosen Industriebrache Cleveland, Ohio sicher nicht wiederholen. Stattdessen fühlt man sich in den sieben überlangen Tracks geborgen und gestrandet zugleich. Aber wie. 08/10 Stefan Niederwieser

Häh? Erdbeerschnitzel? Viel findet man zu diesem Producer nicht im Netz. Außer den paar obligatorischen Tracks und kleineren Features natürlich. Man stößt auch auf einige kuriose Youtube-Filmchen – ein von Erdbeerschnitzel mit nasaler Stimme übersprochenes Video einer Sozialporno-Doku, die das Leben eines deutschen Alleinunterhalters zeigt und andere bearbeitete Clips von Massen-Dompteuren wie David Guetta und DJ Tiesto, die deepe Erdbeerschnitzel-Tracks spielen. So weit, so lustig. Tim Keiling aka Erdbeerschnitzel ist also Teil der Spaßfraktion? Weit gefehlt. Er lässt was seinen Online-Auftritt angeht zwar keinen mittelguten Witz vorbeiflattern, aber soundseitig ist sein Output alles andere als halblustig. Auf dem zweiten Album des deutschen Produzenten wird erlesene und vor allem vielseitige Housemusik geboten. Im Schnitzel-Universum drehen sich alle Soundplaneten um die Sonne Deepness. Die Tracks auf »Tender Leaf« sind zwar deep und dicht, aber trauen sich auf ihrer Fahrt auch mal nach Funkytown abzubiegen – das allerdings ohne über irgendwelche Schwächen hinwegtäuschen zu wollen oder sich irgendeinem Dancefloor-Diktat unterzuordnen. Überhaupt scheren die Stücke des Albums gerne mal in Richtung Broken Beats, Soul, R’n’B, Disco oder gar Funk aus. Gerade das macht die Musik so spannend. Im Grunde ist das zwar noch Deep House, wie er aktuell noch immer die Tanzflächen dieser Welt dominiert, aber Erdbeerschnitzel dreht seinen House-Entwurf weiter als andere Produzenten. Der Track »Wait« klingt etwa so als hätte Frank Ocean seine HouseAder entdeckt oder als würde in »Hello« der Post-Dubstep von Mount Kimbie einen Blick um die Ecke riskieren. Erdbeerschnitzel sucht nach Schnittmengen der Genres und verkreuzt die Stile gekonnt zu innovativer Clubmusik. Alle Schnitzel-Tracks eint dabei ihre angenehme Unaufgeregtheit, trotzdem ersticken sie nicht an zuviel Understatement. Ein Album wie ein Rettungspaket für den oftmals redundanten House unserer Tage. 07/10 maximilian zeller

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Rez

B. Fleischmann I’m Not Ready For The Grave Yet (Morr)

musik

Macklemore & Ryan Lewis The Heist (Macklemore)

Prediger und Second-Hand-Diva Ave, morituri

BILD Leonardo Greco, Mirau, Julia Mätzl, Macklemore

Fleischmanns Neue schickt viel lieber Schauer über die Haut, als darunter zu gehen. Eine Platte wie ein Spaziergang durch kaltes Wasser. Geschichten, die sich im Kopf zu Bildern formen, und Fleischmanns gehauchter Gesang lassen glauben, »I’m Not Ready For The Grave Yet« könnte eine herzerwärmende Platte werden. Ganz so ist es nicht. Diskussionen um Genrebezeichnungen wären hier genauso unangebracht wie solche um die Komplexität der Songs – »I’m Not Ready For The Grave Yet« will als Ganzes betrachtet werden. Das heißt nicht, dass keine Hits darauf zu finden sind. »Don’t Follow«, der Opener, rumpelt unverkennlich los und gibt sich als gute Wegbeschreibung für die nächste Dreiviertelstunde. Die Gitarren, eingebettet in kühles, elektronisches Geflicker, schaffen eine gewisse Distanz zum Hörer und machen es schwierig, in die Musik einzutauchen. Das Album vermittelt eine unaufgeregte Nüchternheit, die man Herrn Fleischmann ohne Weiteres als Coolness abkauft. Man kann nun noch so viel aufgezwungene Ignoranz an den Tag legen, das Gefühl, das alles schon einmal gehört zu haben, lässt einen nicht los. Kenner der Vorgängeralben werden wissen, woher dieses Gefühl kommt, andere erinnern sich an The Notwist oder vielleicht sogar an »Kid A«. Als ein Fleischmannsches Werk ist es definitiv erkennbar, allerdings weiß man in ein paar Jahren nicht mehr, auf welchem Album dieser eine Song jetzt wirklich war. Fleischmann ist bereits beim neunten Longplayer angekommen, dem ersten seit vier Jahren, hat auf der zweiten Platte »Welcome Tourist« seinen Sound gefunden, diesen etwas verfeinert, aber nie wirklich weiterentwickelt. Seine Texte sind da schon etwas fortschrittlicher. Fleischmann macht sich Gedanken über Dinge, die einen wohl erst jenseits der 40 beschäftigen. Kommt da jemand in die Jahre? Man hört ihm jedenfalls gerne zu und manchmal nickt man verständnisvoll, wenn man das nicht sowieso schon des Beats wegen macht. 07/10 benjamin agostini

Rapper Macklemore und sein Produzent Ryan Lewis bringen hymnischen Conscious Rap mithilfe von smartem Indie-Pop auf den Punkt und pflegt unsere Bildungsbürgerseelen. Macklemore ist ein schillernder Prediger, dem man nicht böse sein will. Er stellt die Widersprüche seines Glamours und seine Schwächen zur Diskussion und solidarisiert sich so mit dir. Der knapp 30-jährige Rapper aus Seattle reimt direkt von der Seele – weitestgehend kitschfrei. Zweifelsohne liegt das an seinem großen Talent als selbstkritischer Dramatiker. Sein David-Bowie-meets-Kanye-Shit muss dabei hymnisch, dramatisch und manchmal sehr witzig, aber niemals zu plump sein. Sein Produzent Ryan Lewis packt den freundlichen Rapper wahlweise auf zeitgerechte Synthie-Beats, ausgereifte Piano-Balladen, Indie-Electro oder sogar R’n’B-Variationen im Stil von The XX oder The Weeknd. Macklemore greift klassische Genre-Stoffe auf, um sie in differenzierte Predigten zu verwickeln. Er nutzt Kindheitserinnerungen, um an Sneakers Konsumkritik zu üben, diskutiert die Zwänge des Kapitalismus oder singt einen Lobgesang auf nachhaltigen Second-Hand-Swag. Während seine Reime es mit der obersten Rap-Liga aufnehmen können, erinnert sein Modebewusstsein an einschlägige Fashionblogs. Die Rolle der predigenden Pop-Diva ist ungewöhnlich für US-amerikanischen HipHop, auch für sogenannten Hipster-Rap. Das geht weit über die Exzentrik eines Kanye West hinaus. Macklemore weiß und thematisiert das. Er hadert damit, wenn er Black Music für sich beansprucht, um Außenseiter zu repräsentieren (»A Wake«): »White privilege, white guilt, at the same damn time«. Den politischen Höhepunkt bildet dann »Same Love«, eine intelligente Ballade für gleichgeschlechtliche Liebe. Er nimmt sein HipHop-Gewissen beim Wort. Der Leitspruch »One Love« gilt für alle Liebenden. Der abwechslungsreiche und dennoch sehr leichte Indie-Pop auf »The Heist« ist ideal, um seine frohen Botschaften zu verkünden. So macht der Conscious Rap von Macklemore zwar große Gesten, die sind aber durchwegs eingängig, originell und clever – und zu Recht schwer angesagt. 07/10 Klaus Buchholz 059


Rez

Melody’s Echo Chamber Melody’s Echo Chamber (Fat Possum)

musik

Tamaryn Tender New Signs (Mexican Summer)

Kammerpsychedelikum Als ihre zuckersüßen Songs anfingen, sie selbst anzuöden, bat Melody Prochet Tame Impala-Mastermind Kevin Parker, ihren Sound einmal etwas aufzurütteln. Voilà! An elitären Musik-Konservatorien in klassischer Violine und Gesang ausgebildet, hat sich Melody Prochet lange Zeit hinter kollektivem KammerchorSingsang versteckt, ehe sie in Paris mit experimenteller Indie-Musik in Kontakt kam und schließlich eine Band namens My Bee’s Garden gründete – eine eher harmlose, poppige Angelegenheit. Bienchen, Blümchen und Melody oder so. Als sich aber auf Prochets Wunsch Tame Impalas Kevin Parker einmischte, war es plötzlich (fast) vorbei mit dem Süßholzraspeln. Das klingt nun brachialer, als es wirklich ist, aber das Debüt von Melody’s Echo Chamber hat von Anfang an viel an Kuriositäten zu bieten. So manifestiert die exzellente Lead-Off-Single »I Follow You« gleich ruck-zuck jenes Kriterium, das die besten Songs der selbstbetitelten LP ausmacht – die aufregende Synthese aus Schönheit, Zerbrechlichkeit und ein klein wenig gesundem Dreck, der merklich durch Parkers Mitwirken auf sämtliche Instrumente abgeklopft wurde. Entzückender Dream-Pop trifft auch in »Crystallized« auf etwas sprödes Psychedelic-Getön, das in dieser Form irgendwie an Radiohead 2003 und »There, There« erinnert, doch dann – elektronisches Riffgewitter bis zum Fade-Out. »You Won’t Be Missing That Part Of Me« wiegt mit Synths über einem legerem Drumbeat alles Rundherum in angenehmen Halbschlaf und darf sich an Vergleichen mit den wunderbaren Beach House erfreuen. Das atmosphärisch-rockige »Endless Shore« klingt sogar nach einer musikalischen Realisierung von glitzernden, in Zeitlupe brechenden Wellen. Genau auf diese natürlich wirkende Art brechen auch die kraftvollen Drums und hin und wieder relativ harten Saitenhiebe an der zärtlich-fragilen Stimme Prochets (»Mount Hopeless«) – fast schon ein kleines Naturschauspiel, das Ganze. Eh nur fast. Die paar kleinen Schwächen, die unter all den schimmernden Perlen nicht allzu herausragend erscheinen, verzeiht man klarerweise. Außerdem – so viel (beinahe) perfekte Harmonie gleich beim ersten Album hinzubekommen wäre ja auch kitschig, oder? 07/10 Nicole Schöndorfer

060

Eros und Thanatos Shoegaze in Winterstiefeln: Tamaryn orchestrieren auf ihrem zweiten Album »Tender New Signs« die Lust am Leiden. Menschen scheitern – an sich selbst, an der Liebe, am sozialen Handeln, am System ihrer subjektiven Realität. Klar wird das oft erst kurz vor oder nach dem Zusammenbruch jener Grundlagen, die zuvor wie Säulen das persönliche Leben als Fundament zu stützen schienen. Trotzdem liegt in der Kunst des Scheiterns auch etwas Hymnenhaftes verborgen. Es sind diese vagen Wahrheiten, die aus einer Variation von Leid entstanden und die in einer anderen Variation von Leid münden: Wie süße Träume, deren bitterer Nachgeschmack einen durch den Tag begleitet. Vom Leid und der dazugehörigen Sehnsucht kann auch die New Yorker Band Tamaryn wunderschöne Lieder singen. Die neun Songs auf ihrem zweiten Album »Tender New Signs« klingen nach zuckersüßem Teenager-Geburtstag und existentieller Endzwanziger-Melancholie. Eindringliche, längst zerbrochene Märchen verwandeln sich in Phantasmagorien aus Eros und Thanatos. Sängerin Tamaryn Brown hat nicht nur ihren Vornamen zum Bandnamen erklärt. Schon im ersten Track »I’m Gone« gibt ihre ätherischlaszive Stimme die strikte Trennlinie vor, innerhalb derer sich die Gruppe bewegt. Musik und Worte wirken wie zwei parallel zueinander ablaufende Klangkörper. Das Spiel mit der Dissonanz funktioniert nicht immer – aber dort, wo es funktioniert, kommt überlebensgroßer Glanz zum Vorschein: Tracks wie »Heavenly Bodies«, »Prizma« und »Violet’s In A Pool« sind wie sterbende Sterne, die monolithisch am Nachthimmel leuchten. »Tender New Signs« lebt davon, das Scheitern zur schlafwandelnden Kunst zu verklären. Es ist eine Platte wie der Gemütszustand, der nach dem Niedergang kommt: Die Vielzahl der verronnenen Möglichkeiten als musikalische Noten, die Variation der unfertigen Geschichten als betörende Stimme. Ein Treibsand, in dem man sich wohl wissend untergehen lässt. 07/10 Michael kirchdorfer


Rez

Various Artists Watergate X (Watergate Music)

Schleusen Mukke

BILD Diane Sagnier, Mexican summer, watergate music, Paul COx

Zehn Jahre Watergate bedeutet zehn Jahre Qualitätssicherung an der Spree. Trotz vieler Scherereien. Dafür sagen Künstler, Freunde und Resident-DJs danke. Eine volle Dekade zu bestehen ist für einen Berliner Club eine amtliche Zeitspanne. Gilt in der Hauptstadt der Clubmusik doch die Faustregel, dass nach vier Jahren alles wieder die Spree runterrinnt. Das Watergate jedoch hat sich fest einzementiert an der weithin sichtbaren Oberbaum-Brücke. Jedes Wochenende pilgern Technotouristen in dieses ehemalige Zentralfestamt des Minimal Techno, das für seine lichtgewaltige LED-Decke am Mainfloor und seinen Ausblick bekannt ist. Der Film »Feiern« wurde gedreht. Kreuzberg wurde ein Stück weit gentrifiziert. Heute hat das Watergate 18 feste Mitarbeiter. Und fürchtet sich davor, dass Berlin zum neuen Ballermann wird. Über die Jahre hat das Watergate einen beachtlichen Reigen an Acts geholt, eine eigene Agency sowie ein dazugehöriges Label gegründet und eine eigene Mix-Serie gestartet. Zehn Jahre nach Eröffnung gibt es eine hauseigene Compilation mit 29 exklusiven Tracks. Von Freunden, für Freunde. Das Spektrum ist dabei breitgefächert und so unterschiedlich wie die Abende im Watergate. Alle haben einen gemeinsamen Fokus: Dem Watergate ein Ständchen zu spielen. Neben Arschbomben wie DJ Sneaks »Battle Over« und zeitgemäßen Techhouse-Entwürfen von Mathias Kadens »Sion« werden zu großen Teilen die Feingeister auf die Tanzfläche gerufen. Erinnerungen an die ersten Sonnenstrahlen über dem Wasser, der Blick auf die glitzernden Wellenkämme der Spree sind in manchen Stücken beinahe greifbar. Ryan Crossons »Lost« oder Matthias Meyers »Fallin’« erzählen derartige Geschichten von Nächten und Tagen, die sich in Klängen, Tönen, Rhythmen und Atmosphären verfestigen. Die Collector’s Box-Edition enthält außer den 29 Tracks eine DVD mit Interviews, ein Fotobuch mit Flyern und Bildern, eine Dreifach-LP mit ausgewählten Tracks, Poster und einer Gästelisten-Eintrittskarte. Bleibt nicht viel mehr zu sagen als »Gratuliere!« und zu wünschen, dass die GEMA-Pläne mit ihren absurden Wegelagerertarifen für deutsche Clubs sehr bald die Spree runter rinnt. 07/10 johannes piller

musik

Scott Walker Bish Bosch (4AD)

Garten der Lüste Diese Orchesterlieder fallen aus der Zeit. Sie sind fremd und finster, ein rätselhaftes Ungetüm, noch mehr als bisher. Er ist nicht unbedingt zugänglicher geworden. Scott Walker – ehemals Boyband-Blondschopf in den 60ern – hat schon länger seine Kappe tief ins Gesicht gezogen und macht seither neue Musik. Oder Neue Musik. Jedenfalls etwas, das es vorher noch nicht gab. Wie »Farmer In The City« zum Beispiel. Man bekommt diesen dunklen Brocken nicht mehr aus dem Kopf. Knapp 20 Jahre später steht man immer noch so ratlos davor wie die Affen vor Kubricks Odyssey-Monolith. Seither konnte man Scott Walker in der Dokumentation »30 Century Man« dabei zusehen, wie er totes Schweinefleisch schlagen lässt, um einen ganz bestimmten Sound einzufangen. Man weiß, wie weit er für eine Vision geht, mit welcher Präzision und unglaublichen Liebe zum Detail. Auf »Bish Bosch« ließ er mit Meißel, langen Macheten und einem enormen Saxophon musizieren. Das ist zwar seltsam genug, um damit auf einer Party ein paar Lacher zu ernten, bei Scott Walker aber todernst gemeint. Hier gibt es keine Effekte ohne Bedeutung, hier hat alles ein Ziel, ist übervoll mit Sinn. Selbst die Stille, die sich auf »Bish Bosch« so weit ausgebreitet und tief eingenistet hat. Geblieben ist Walkers extrem artifizieller, gespreizter und entpersonalisierter Gesang. Er erinnert immer mehr an Oper, die Worte stehen fast immer im Mittelpunkt, die Arrangements malen dazu opulente, dunkle Stimmungen. Der Wind trägt einen fauligen Geruch herüber. »Ich bin von Diktatoren fasziniert. Ich weiß nicht warum – das ist Sache eines Analysten«, meint Scott Walker in dem äußerst ausführlichen Begleittext. Sterzing in Südtirol, Nazis, ein katholischer Pfarrer und eine Rattenlinie sind gleichermaßen Teil des Albums wie der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu, Donald Rumsfeld und Epidemien. Scott Walkers merkwürdiger Garten der Lüste fällt dabei ähnlich aus der Zeit wie Hieronymus Boschs gleichnamiger Triptychon. Ob in den fremdartigen Orchesterliedern vielleicht doch ein hoffnungsvoller Kern versteckt ist, kann wohl erst nach langer Text-Ton-Analyse beantwortet werden. Aber auch wenn nicht, macht das »Bish Bosch« kein Jota weniger mächtig, eigenständig oder beeindruckend. 07/10 stefan niederwieser 061


Rez

Mu s i k

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Katharina Seidler (FM4, The Gap)

A.R. Kane Complete Singles Collection (One Little Indian) — A.R. Kane sind ein seltsame Singularität inmitten der 80er. Dream Pop, Sampling, Shoegaze und sogar House verknoten sich auf dem BestOf des Duos aus East London.

Blonder Engel Sympathy For The Angel (No Food Factory) — Beim Protestsongcontest und auf Youtube hat er mit seinem launigen »Nespresso«-Song schon für Aufsehen gesorgt, jetzt folgt ein ganzes Album.

Tim Burgess Oh No I Love You (Ogenesis) Der Charlatans Sänger trifft auf Lambchops Kurt Wagner, der dem Album zu einen gekonnten (Alternative-)Nashville-Charme verhilft. 07/10 gerald c. stocker

06/10 gerald c. stocker

07/10 stefan niederwieser

TOP 10

PIANOPOPLOVE

01 Phantom Ghost – Dreams Of Plush 02 Islands – Hallways 03 Cat Power – Ruin 04 Amanda Palmer – Want It Back 05 Childish Gambino – Outside 06 Soap & Skin – Wonder 07 Ja, Panik – The Evening Sun 08 Breakbot feat. Irfane – Baby I’m Yours 09 Yukari Fresh – Raymond (Erobique Remix) 10 Faith No More – Easy

TOP 5

HOT CHIP BETEILIGUNGEN

01 Booji Boy High – Twist Myself Again 02 Kano – All + All Together feat. Hot Chip 03 About Group – Repair Man 04 Joe Goddard feat. Valentina – Gabriel 05 Grovesnor – Drive Your Car (Grovesnor’s Rebel Quarter Version)

Rebekka Karijord We Become Ourselves (Control Freak Kitten / Sony) — Es liegt nur ein schmaler Grat zwischen balladesk und depressiv, zwischen mysteriös und unheimlich. Rebekka Karijord wandelt mit ihrem vierten Album unsicher auf ebendiesem.

Land Of Light Land Of Light (ESP Institute) — Jazz-Ambient trifft Thai-Massage, oder umgekehrt. Einschläfernde, sowie höhepunktund beatlose, auf Albumlänge aufgeblasene Klänge.

Lapalux Some Other Time (Brainfeeder) — Lapalux’ neuester Streich: elektronisch blubbernder, wohlklingender Einheitsbrei; mit viel Liebe zubereitet. 07/10 lisa schmid

01/10 kevin reiterer

04/10 nicole schöndorfer

auch nicht schlecht: Maria Minerva – The Sound

Nurredin Nurbachsch

Mogwai A Wrenched Virile Lore (Rock Action) — Dieses Remix-Album ist nicht nur etwas für Kenner und Liebhaber der originalen Klanginstallationen. 06/10 gerald c. stocker

(The Gap)

TOP 10

Moneybrother This Is Where Life Is (Motor) — Drei Jahre nach »Real Control« endlich ein neues Moneybrother-Album. Auch ohne die Hintergrundgeschichte (»Aufgenommen in sieben verschiedenen Städten auf der ganzen Welt«) ein Genuss. 07/10 rainer krispel

Oskar Offermann Do Pilots Still Dream Of Flying? (White) — Offermann blickt hinter den Horizont und zeichnet dort sein eigene House-Blaupause. 07/10 johannes piller

JUKE TO MAKE YOUR FOOTWORK JITTER! 01 RP Boo – Off Da Hook 02 Tha Pope – All The Things 03 DJ Nate – Make ’Em Run 04 DJ Spinn – Crazy ’n’ Deranged 05 DJ Rashad – Shake, Bounce, Drop, Twerk 06 DJ Roc – Killa Combo 07 DJ Spinn – Bob That Back 08 Traxman – Compute Funk 09 DJ Rashad – Teknitian 10 Jlin – Asylum

auch nicht schlecht:

The Secret Agnus Dei (Southern Lord / Trost) — Gar nicht aus dem hohen Norden, sondern aus Triest kommen The Secret. Ob des deftigen Crust-Punk/Hardcore/BlackMetal-Mixes doch überraschend. düster und beeindruckend. 07/10 werner

The Moody Blues – Nights In White Satin

schröttner

TOP 5

LEFTFIELD GRIND!

01 Anaal Nathrakh – More Of Fire Than Blood 02 Napalm Death – Quarantined 03 Anal Cunt – 88 Song EP (Side 1) 04 Nasum – The Smallest Man 05 The Flying Luttenbachers – Murder Machine Muzak

Rone Tohu Bohu (Infiné) — Rone ist erwachsen geworden und erweitert einmal mehr das französische Elektro-Repertoire, diesmal um trancige Träumereien. 07/10 lisa schmid

Sigha Living With Ghosts (Hotflush) — High-End Basstechno. Break. Silence. Wummern. Repeat. Starkes LP-Debüt. London und Berlin. 08/10 kevin reiterer


Jason Collett Reckon (Arts & Crafts) — Das durchwachsene sechste Soloalbum des kanadischen SingerSongwriters und Broken-Social-Scene-Musikers, begleitet von einer »Best Of«-CD.

Bernhard Eder Post Breakup Coffee (Tron) — Ein Album, das die Trennung schon im Titel führt und aus dem Ende einer Liebe das Beste macht: berührende Songs voller Survival-Melancholie. 07/10 rainer krispel

06/10 rainer krispel

musik

Goodtime Boys What’s Left To Let Go (Bridge 9) — Wow! Die Waliser untermauern mit den neuen Songs ihren Status, eine der spannendsten Hardcore-Bands unserer Tage zu sein. Post-Metalcore wie er kaum besser sein könnte.

Harlequin’s Glance Ashore (Lindo) — Österreichischer Folk, der sich nicht hinter seinen großen Vorbildern verstecken muss, aber auch nicht aus ihrem Schatten tritt. 06/10 gerald c. stocker

08/10 werner schröttner

A Life, A Song, A Cigarette Tideland (Siluh) — Zurück in die Vergangenheit: »Tideland« eröffnet keine neuen Eindrücke, malt die alten aber in schönen Farben neu. 06/10 michael kirchdorfer

Lindstrøm Smalhans (Smalltown Supersound) — Mit seinem vierten Album formuliert der norwegische Produzent eine nunmehr kaum überraschende Definition von sich selbst: Neo-Disco und kosmisches Zwitschern in purer, kondensierter Form.

Madness Oui Oui Si Si Ja Ja Da Da (Cooking Vinyl) — Das zehnte Studioalbum zeigt die prototypische Londoner Band in klassischer Form. Kenntnisreiches, britisches Pop-Entertainment in full effect, amüsant und anregend.

Ital Tek Nebula Dance (Planet Mu) — Wie weit können sich einzelne Spuren voneinander entfernen und dann doch einen schlüssigen Footwork-BassTrap-Dub-Step-Hybrid ergeben? Weit. Ganz weit. 06/10 stefan niederwieser

Mauracher Super Seven (Fabrique) — So einleuchtend hat Hubert Mauracher bislang noch nie geklungen. Statt Indiepop-Hit-Eifer entdeckt er mit Sonia Sawoff seine Experimentierfreude. 06/10 stefan niederwieser

06/10 rainer krispel

Memory Tapes Grace / Confusion (Carpark) — Memory Tapes ist der wohl beste Bandname dieses jungen Jahrzehnts, eine ideale Projektionsfläche, eine endlose Wunderschleife. »Grace / Confusion« ist das nicht. 05/10 stefan niederwieser

06/10 philipp l‘heritier

Proxy Music From The Eastblock Jungle Part 1 (Turbo) — Proxys StadionDistortion-Rave eignet sich höchstwahrscheinlich besser zum Remixen als für eine Homelistening-Session. Der rote Faden fehlt, roter Pegel nicht. 06/10 kevin reiterer

Race Horses Furniture (PIAS / Rough Trade) — Ein bisschen Morrissey-Zynismus, ein bisschen QueenGlamour, ein bisschen Soft Cell-Synthies – die walisischen Rennpferdchen treiben es kunterbunt und bittersüß.

Sinkane Mars (City Slang) — Sinkane feiert eine entspannte Party mit Aussteigern, Einsteigern und Umsteigern. Bald macht er bei Humboldt den 06/10 Afrobeat-Aufklärer.

Various Artists Delta Swamp Rock Volume 2 (Soul Jazz) — Nach »Coun­ try Soul Sisters« eine weitere freudenspendende, thematisch nicht allzu weit entfernte Compilation aus den Labors von Soul Jazz Records.

stefan niederwieser

07/10 rainer krispel

Rangleklods Beekeeper (Ink) — Nach seinem WavesAuftritt redeten alle über Rangleklods. »Beekeeper« verspricht noch mehr. 08/10 sandra adler

Christopher Rau Two (Smallville) — Rau setzt seinen Deephouse-Entwurf fort, untermauert seine Ruf als Experte des Genres, doch schafft es aber nicht die Erwartungen zu erfüllen. 06/10 johannes piller

07/10 nicole schöndorfer

Billy Roisz Walking The Monkey (Editions Mego) — Geht ein Affe mit einer österreichischen Film- und SoundKünstlerin spazieren … Roisz’ erstes Soloalbum steigt dramatisch ein, spart sich dann aber die Pointe. 05/10 stefan niederwieser

Wankelmut Wankelmoods Vol. 1 (Get Physical / Poesie Musik) — Nach seinem Soundcloud-Hit »One Day« bringt Berlins neue Koryphäe der elektronischen Tanzmusik seine langersehnte erste Mix-Compilation auf den Markt. 06/10 lisa schmid

Wintersleep Hello Hum (Affairs Of The Heart) — Surren die Kanadier in der ersten Hälfte noch fleißig durch die Boxen, verkriechen sie sich in der zweiten wie die Igel zum Winterschlaf – aufregend und inkonsequent. 05/10 nicole schöndorfer

Chelsea Wolfe Unknown Rooms: A Collection Of Acoustic Songs (Sargent House) — Chelsea Wolfe macht den Soundtrack für die herbstliche Waldhütte – auf hexenhafte Art kreiert sie einfache, akustische SongSkelette. 07/10 katharina wiesler

063

01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk

Rez


Rez Paradies: Liebe (von Ulrich Seidl; mit Margarethe Tiesel, Inge Maux, Peter Kazungu, Dunja Sowinetz) — Schon mit der Eingangssequenz von »Paradies: Liebe«, dem ersten Film seiner Paradies-Trilogie, stilisiert sich Ulrich Seidl einmal mehr zum Schausteller. In Großaufnahmen sehen wir in die Gesichter geistig beeinträchtigter Menschen, die in einem Autodrom durcheinander fahren. Vor einer tropisch bemalten Wand steht Margarethe Tiesel als übergewichtige Behindertenbetreuerin mittleren Alters. Ist das für die Figurenzeichnung relevant? Nein, aber effektvoll. Noch sind wir im gewöhnlichen Österreich. Ein paar Szenen später liegt Tiesel am Strand von Kenia. Das Tourismusparadies ist absurd, das Erbe der Kolonialgeschichte schwer, die sozialen Gegensätze schreiend. Sehnsüchtig lässt sie sich auf käufliche Liebe ein. Übrig bleiben Lügen, Enttäuschungen und Wut. Die aufrichtigen Dialoge und nackten Durchschnittskörper der Darstellerinnen wirken dabei sehr erfrischend. Ermüdend wirkt, wie Seidl seine Frauen akzentuiert. Die Zuspitzungen stecken etwa in den Details von Schauspielerin Inge Maux: Ihre selbstbewusste Lust ist wohltuend, ihr Tigerbikini und ihr Exotismus sind aufdringlich. Wie gewohnt thematisiert und strapaziert Seidl Klischees in widersprüchlichen Kulissen. Das Kino als Schauplatz marginalisierter Menschen und Themen ist gut und wichtig. So aber langsam fad. 07/10 Klaus Buchholz Marina Abramovic: The Artist Is Present (von Matthew Akers) — An Marina Abramovic nicht vorbeizukommen ist Kern ihres künstlerischen Schaffens. Die serbische Performance-Ikone prägt seit den 70ern die Kunst mit dem gnadenlosen Einsatz ihres Körpers. So sehr ihr Werk beharrlich Grenzen der Belastbarkeit auslotet, so überraschend gediegen ist diese Dokumentation geraten. So dient der Film zunächst der Marke Abramovic. Im Zentrum steht die gleichnamige Performance im MoMA New York (2010): Drei Monate lang hindurch saß sie wortlos auf einem Stuhl und die Besucher konnten gegenüber von ihr Platz nehmen, um sie zu erfahren. Der Film teilt diese eindringlichen Erfahrungen, legt Biografie, Vision, Alltag und Liebesleben der Künstlerin nahe. Trotz seiner gewöhnlichen Inszenierung und distanzlosen Überhöhung schafft es Regisseur Matthew Akers, die Künstlerin sehr nahbar zu machen. Hier macht das einnehmende Charisma von Marina Abramovic den Film sehenswert. 06/10 Klaus Buchholz Seven Psychopaths (von Martin McDonagh; mit Colin Farrell, Sam Rockwell, Woody Harrelson, Christopher Walken, Tom Waits) — Drehbuchautor Marty (Colin Farrell) klammert sich lieber an eine Schnapsflasche als an seinen Notizblock. Die Charaktere für sein neuestes Skript »Seven Psychopaths« schaut er sich aus der Unterwelt L.A.’s ab: ein cholerischer Mafiaboss (Woody Harrelson), ein alternder Killer, der ständig ein Kaninchen mit sich herumträgt (Tom Waits), sowie zwei professionelle Hunde-Kidnapper (Sam Rockwell und Christopher Walken). Letztere passen zu »Seven Psychopaths« wie die Faust aufs irr zuckende Auge. Zu Recht ist Walken für seine Brillanz als furchteinflößender Wahnsinniger bekannt. Auch Regisseur Martin McDonaghs Name steht, seit Filmen wie »Brügge sehen … und sterben?« und »Six Shooter«, für Programm. So dominieren hier – wenig überraschend – banale ästhetische Gangster-Rhetorik und blutige Schusswechsel. Einige der Sprüche und PlotWendungen tragen zu dick auf, verleiten aber allemal zum Grinsen. Lediglich, dass der Film in der zweiten Hälfte auf eine Meta-Ebene abgleitet, dämpft das Vergnügen leicht. 08/10 Leo Dworschak 064

Film

Die Lebenden (von Barbara Albert; mit Anna Fischer, Winfried Glatzeder, Hanns Schuschnig, Almut Zilcher)

Die Schuldigen und die Toten Barbara Albert schickt sich an, das Gewissen einer Familie zu erforschen. Doch hinter Mauern des Schweigens warten nur Schuld und Tod. Auf Familienbesuch in Wien findet die österreichisch-rumänische Studentin Sita (Anna Fischer) durch Zufall ein Foto ihres Großvaters in einer SS-Uniform. »Du willst also über ihn urteilen? Willst du, dass er schuldig oder unschuldig ist?«, wird Sita bei ihren Recherchen in Warschau gefragt. Sita will wissen, was los ist. Antwort auf ihre eigenen Fragen will ihr aber niemand geben. Der kurze Ausflug nach Wien wächst sich zu einer Forschungsreise aus; erforscht wird das kollektive Gewissen und die dunkle Geschichte der eigenen Familie. »Die Siebenbürger waren doch alle bei der SS«, tut Sitas Vater Lenzi (August Zirner) aufkeimende Zweifel am Großvater (super: Hanns Schuschnig) ab. Er löst damit mehr aus als ihm lieb ist. Die Schuld ist Leitmotiv in Barbara Alberts »Die Lebenden«. Stringent folgt die Handlung der Protagonistin Sita. Dabei mäandert Sita aber besonders am Anfang stark zwischen Nebenschauplätzen der Gegenwart (Sushi-Bar, Castingshow), die für die vergangenheitsbezogene Story bald keine Rolle mehr spielen. Es wird nicht klar, ob es Albert mehr um Identitätssuche, Vergangenheitsbewältigung oder die Verdrängung innerhalb der Familie geht. Bis die Geschichte an Fahrt und Fokussiertheit gewinnt, ist viel Laufzeit verspielt. Über Berlin nach Wien, Warschau und Auschwitz reist Sita bis nach Siebenbürgen. Bahnhöfe und fahrende Züge sind tragische Lückenfüller und Zwischenschnittbilder. Eine Romanze mit dem jüdischen Kunststudenten Joquin versucht, eine Metaebene in die monotone Vergangenheitsbewältigung einzuziehen. Aber von der Beziehung bleibt im Laufe des Films weniger übrig als eine eindringliche Sexszene zu Beginn vermuten lässt. Je tiefer Sita in ihrer Suche versinkt, desto stärker blockt sie Joquin aus ihrem Leben aus. Angst vor Sippenhaftung und Kollektivschuld treibt Sita an, und lässt sie schließlich auch fündig werden. Ein rosiger Lichtblick in der trägen Erzählung ist jener Moment, als sie im Krankenbett erfährt, dass sie ein Loch in der Herzkammerscheidewand hat. Der Herzfehler ist vererbt, aber heilbar. »Die Lebenden« ist ein vergangenheitsbezogener Film, aber treibend und nach vorne inszeniert. Beispielhaft ist der Umgang mit dem Thema, ein klein wenig Lockerheit hätte aber auch nicht geschadet. 06/10 Martin Riedl


Rez

Film

The Perks Of Being A Wallflower (von Stephen Chbosky; mit Logan Lerman, Emma Watson, Ezra Miller, Nina Dobrev, Paul Rudd)

Vielleicht lieber morgen Stephen Chbosky ist ein Highschool-Film gelungen, dessen Charme man sich beinah nicht entziehen kann. Dieser Film ist eine Zeitreise in eine Ära, in der es keine Smartphones gab, sondern Mixtapes. Er beginnt mit einer Fahrt durch einen Tunnel. Die hypnotische Folge der Lichter zieht einen gleichsam zurück in den kindlichen Zustand, in dem Tunnel noch Auslöser schierer Faszination waren. Und schon befinden wir uns in der Highschool, jenem Ur-Ort der Kinogeschichte. Regisseur Stephen Chbosky hatte – so sagt er – immer schon einen Film vor Augen, als er seinen Roman »The Perks Of Being A Wallflower« (1999) schrieb. Mit Hilfe von John Malkovichs Produktionsfirma Mr. Mudd (»Juno«, »Ghost World«) und Andrew Dunns präziser Kamera setzte er diesen Plan nun in die Tat um. Im Zentrum der Geschichte steht der überschüchterne Brainiac Charlie (Logan Lerman), der einem nicht weiter spezifizierten Freund in Briefform die Leiden seines uncoolen Daseins klagt. Doch schlägt auch diesem Mauerblümchen die Gunst der Stunde, als er sich ein Herz fasst, um den Spaßvogel Patrick (Ezra Miller) anzusprechen. Er und seine Stiefschwester Sam (Emma Watson) führen Charlie in den Club der mis-picked toys ein. Das Außenseitertum wird zu einem verbindenden Element, das die Gruppe schließlich aber alles andere als eint: Dem Mainstream kann man sich auf unterschiedliche Weise entgegensetzen. Der Typus des Misfits hat selbst für Hollywood-Verhältnisse einen sehr langen Bart. Was den Film hier aber auszeichnet, ist der gebrochene Blick, der die Jugend sowohl verklärt als auch entkitscht. So, als wolle hier bewiesen werden, dass Klischees nicht bloß an der Oberfläche kratzen, sondern auch tief bis an die Gründe der Persönlichkeit reichen können. Eben dorthin, wo der Selbstwerdungsprozess beginnt. Wo aber im Verborgenen auch die Tabus und verdrängten Traumata lauern. Ergo schöpft der Film seine Möglichkeiten, die Grenzen des Klischeehaften aufzuweichen, voll aus. Er erzählt von Figuren, die nicht wie aus dem Leben gegriffen wirken müssen, weil sie ihre Künstlichkeit offen zur Schau tragen. Dieser Effekt wird vom facettenreichen Spiel noch verstärkt. Vor allem Logan Lerman verdichtet diesen Charlie derart plastisch, dass man fast meinen könnte, er wachse aus der Leinwand. »The Perks Of Being A Wallflower« ist ein sehr empfehlenswertes Stück Coming-of-Age. 07/10 Lena Stölzl


Rez

Introducing Jason Eisener

Frankreich privat – Die sexuellen Geheimnisse einer Familie (Pierrot Le Fou) von Jean-Marc Barr, Pascal Arnold; mit Mathias Melloul, Valerie Maes, Leila Denio auf DVD

Jason Eisener hilft, das ExploitationKino wiederzubeleben – weil er es ernst nimmt, mit gnadenlosem Humor. Der Nachwuchsregisseur Jason Eisener sieht es gern, wenn sich marginalisierte Geschöpfe an der Mehrheitsgesellschaft rächen. Seien es nun Obdachlose oder Christbäume. Das wussten auch namhafte Festivals wie Sundance zu honorieren, als er 2008 dort seinen Kurzfilm »Treevenge« erfolgreich präsentierte. Diesen 16-minütigen SplatterSpaß widmet er den vergessenen Opfern der Weihnachtsfeiertage. In bester Torture-HorrorManier werden wehrlose Tannenbäume mit allerlei Werkzeug malträtiert. Im Weihnachtswahn lachen und foltern die Täter – bis die Natur umso grausamer zurückschlägt. Christbaumschmuck schlitzt Kehlen auf, überzogene Minen schreien durcheinander. Die Schauspieler überspitzen gnadenlos, die Einstellungswechsel sind hektisch, der Schnitt peitscht die Schockszenen vor sich her und der düstere Soundtrack bricht die Weihnachtsromantik. Es ist augenscheinlich: Eisener versteht sein Handwerk und dieses als Würdigung des großen US-Exploitation-Kinos der 70er Jahre. 2011 kam schließlich sein Langfilmdebüt »Hobo With A Shotgun« in die Kinos. Ein misshandelter Obdachloser rächt sich per Schrotflinte an den Gangstern einer korrupten Stadt. Der nun schon 68-jährige Rutger Hauer spielt ihn zum Fürchten gut. Der an sich flachen Figur verleiht er überraschende, bedrohliche Tiefe. Dabei kommt ihm die erbarmungslose Optik Eiseners entgegen. Der Wahnwitz seiner Hommage drückt so lange auf die Kunstblutwunden, bis das Lachen im Hals feststeckt. Dass Eisener es ernst meint, erkannte auch Robert Rodriguez: Die Vorlage für »Hobo With A Shotgun« war ein fiktiver Trailer. Dieser gewann 2007 die Gunst von Rodriguez und den Fake-Trailer-Wettbewerb um die Promotion für dessen »Grindhouse«-Filme.  »Hobo With A Shotgun« (Universum) ist bereits auf DVD erschienen, »Treevenge« z.B. auf www.vimeo.com abrufbar. TEXT Klaus Buchholz BILD Universum Film

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Martha Marcy May Marlene (Cine Project) von Sean Durkin; mit Elizabeth Olsen, John Hawkes, Sarah Paulson auf DVD und Blu-ray

Shame (Prokino) von Steve McQueen; mit Michael Fassbender, Carey Mulligan, James Badge Dale auf DVD und Blu-ray

DVD

Das Regie-Duo Jean-Marc Barr und Pascal Arnold hat richtig erkannt, dass auch 2012 noch genügend Raum zwischen Porno, Spiel- und Kunstfilm ist. Sex wird hier aber nicht primär gezeigt, um den Betrachter zu erregen, sondern weil Sex auch emotional und narrativ Thema des Films ist. Claire, Mutter einer Familie mit beinahe erwachsenen Kindern, wird in die Schule beordert, weil ihr Sohn Romain dabei erwischt wurde, als er sich während des Unterrichts mit dem Handy beim Onanieren filmt. Sie nimmt das zum Anlass, um mehr über die Sexualität ihrer Familie zu erfahren, nicht um Geheimnisse und Begierden offen zu legen, sondern sich als Mutter darum zu kümmern, wie um ein Dach über dem Kopf oder genügend Essen am Tisch. Trotz expliziter Darstellung gibt es keine Orgasmen oder gar Cum-Shots. Worum es geht, ist Sex als Lebensaspekt, der grundsätzlich positiv und Grund zur Freude ist. Ausgelassen werden deswegen prinzipiell Probleme die damit zu tun haben – außer keinen Sex zu haben. Das ist eine Lücke, die offen bleibt. Großartig bescheuert ist auch der deutsche Titelzusatz »Frankreich privat«. 07/10 Martin Mühl Das Leben in einer Sekte ist für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar. In erster Linie liegt das am Versuch einer Gemeinschaft, den Einblick in Alltag und Zusammenleben mit allen Mitteln zu unterbinden. Durch gezieltes Abschotten vom Rest der Welt entstehen Parallelwelten mit gänzlich eigenen Wertesystemen. In »Martha Marcy May Marlene« wechselt Regiedebütant Sean Durkin geschickt zwischen den beiden Lebenswelten Marthas (Elizabeth Olsen), die nach dem Lossagen aus einer Sekte Zuflucht bei ihrer bürgerlichen Schwester sucht. Bald wird jedoch klar, dass Martha nur schwer aus ihrer früheren Lebensrealität ausbrechen kann. So verschwimmen zusehends die Ebenen und Rückblenden werden zur Realität. Ein zumeist subtiler und stark gespielter Film, der 2011 mit dem Regiepreis für das beste Drama beim Sundance Festival ausgezeichnet wurde. 08/10 Reiner Kapeller Auch in ihrer zweiten Zusammenarbeit verlassen sich Regisseur Steve McQueen und Hauptdarsteller Michael Fassbender aufeinander. Sie entwerfen ein im Gegensatz zum Debüt »Hunger« wohlbekanntes Bild, begeistern aber mit hoher Präzision der Inszenierung und erwartbar hoher Schauspielleistung. Deutlich gewöhnlicher leider die Story, die sich zum Ende hin – aus Mangel an erzählerischen Alternativen? – etwas bemüht zuspitzt: Brandon ist ein erfolgreicher New Yorker Geschäftsmann (schade, dass sich so wenige Filmemacher dafür interessieren, was das im Detail bedeutet) und getrieben von Pornografie und Sex. Brandons Zustand wird als Krankheit inszeniert, aus der es keinen Ausweg gibt, über die der Protagonist keine Kontrolle hat. Auch als seine Schwester bei ihm auftaucht, lässt er sich von dem Störfaktor nur bedingt aus seinen Routinen werfen, was naheliegend zu Konflikten führt. »Shame« hat über das Sujet Sexsucht und urbane Einsamkeit nicht viel zu sagen, als Film aber ist er anziehend, gelungen und sehenswert. 08/10 Martin Mühl Während 2009 mit den Romanverfilmungen von Stieg Larsson das europäische Kino angenehm verdunkelt wurde, schreckte eine vergleichbar schattige Trilogie das britische Fernsehen auf: »Red Riding«. Unter dem Titel »Yorkshire Killer« ist die Reihe glücklicherweise nun im deutschsprachigen Fernsehen angekommen. Der vorbildhafte Thriller-Dreiteiler überzeugt auf ganzer Linie mit undurchschaubaren Drehbüchern, kreativer Regie, scharfkantigen Charakteren und ihren furchtlosen Schauspielern. Sie geraten in die Abgründe eines Polizeikorruptionssumpfs und bleiben mindestens vernarbt zurück. Von Mitte der 70er bis Anfang der 80er Jahre ist die Story angesiedelt und wirft ihren Schatten auf Yorkshire. Brutale Männerbündelei klatscht jegliche Heimatromantik an die Wand. So langfristig reiben Fernsehkrimis nur selten auf. 08/10

Yorkshire Killer (Studiocanal) David Peace, Tony Grisoni; mit Mark Addy, Sean Bean, Jim Carter, Paddy Considine auf DVD klaus buchholz

Auf www.thegap.at außerdem Reviews von »The Cold Light Of Day«, »Dark Shadows« , »Gianni und die Frauen« , »La Soga – Unschuldig geboren«, »Der Mann mit der Stahlkralle«, »Men in Black 3«, »Piranha 2 3D«, »Resident Evil: Afterlife«, »Screwed – Krieg im Knast«


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Timur Vermes Er ist wieder da (Eichborn)

Herta Müller Vater telefoniert mit den Fliegen 01 (Hanser) — Literanaturnobelpreisträgern kann man sich auf vielen Wegen nähern. Über die Lyrik ist einer davon. Im Falle von Herta Müller, die 2009 diese hohe Weihe erfahren hat, ist dies hochgradig empfehlenswert. Aus ausgeschnittenen Zeitungsschnipseln collagiert sie Gedichte, die sich einschneiden. Kisten mit abertausenden ausgeschnittenen Worten hortet die Autorin, zwei Lyrikbände hat sie damit bereits gefüllt. Warum sie das macht, erzählte sie auf der Frankfurter Buchmesse: »Ich kann nicht kochen – vielleicht ist das die Kompensation.« Müller puzzelt also ihre Welt zusammen, so lange, bis im Inhalt und Optik einen anspringen. Die Metrik ordentlich durchgeschüttelt ist und sich keck ein Reim anschleicht. Wobei natürlich auch die Möglichkeit bestünde, dass bei so manchem rätselhaften Vers, der Montage-Zufall Regie geführt hat. »Hinter den Details sah man der Lüge frei ins Dekolleté / Mehlweiß ging sie bis zum großen Zeh.« Dennoch, ihre literarischen Themen von Verlust und Entwurzelung, Heimweh und Flucht sind immer präsent. 07/10 Manfred Gram

HihiHitler Der Gröfaz ist wieder da. Timur Vermes lässt Hitler wieder auferstehen und schreibt eine bittere Satire auf die (deutsche) Unterhaltungsindustrie.

Jean Claude Ellena Der geträumte Duft 02 (Insel) — Monsieur Ellena ist eine »Nase«. Der Franzose ist Chefparfümeur für Hermès und kreierte im Laufe seiner Karriere einige der bekanntesten Parfüms der Gegenwart. Als »Mozart der Düfte« wird er bezeichnet. Übertrieben? Mag sein, griffig ist der Vergleich trotzdem, denn komponiert wird in der Musik ebenso wie in der Welt der wohlriechenden Essenzen. Jean Claude Ellena veröffentlicht nun Tagebuchaufzeichnungen, die Einblick in ein Lebensjahr (2010) des heute 65-Jährigen geben. Ein Jahr, in dem er zwei Parfüms kreierte und dafür geschäftig durch die Welt reiste. Das scheint vordergründig so etwas wie eine ziemliche Very-SpecialInterest-Publikation zu sein. Ein Geschenkbuch für Freaks, für Menschen, die nie im Leben Deos mit 72-Stunden-Wirkungsdauer kaufen würden. Doch die Aufzeichnungen entpuppen sich als kurzweiliger Ausflug in einen Kosmos, der über den Geruchssinn definiert wird. Ellena schwadroniert über seine veränderten Herangehensweisen, wenn er einen Duft zusammenstellt, erzählt über seine neue Arbeitsphilosophie, die sich aufs Wesentliche konzentriert und kann sich dabei mit Begeisterung in Details versenken. Selten wird man unterhaltsamer über 20 verschiedene Arten Bergamotte lesen als hier und irgendwie erhält man auch eine Ahnung davon, wie es ist, wenn man verborgene oder gar geheime Gerüche wahrnimmt; z. B. im Flugzeug: »Das Parfüm schafft es nur mit Mühe, den Zigarettengeruch zu überdecken, der ihre Kleider durchdringt. Ihr Mann neben ihr wird in regelmäßigen Abständen von einem Schluckauf durchgeschüttelt, bei dem der Geruch von schlecht verdautem Knoblauch entweicht.« 07/10 Manfred Gram Patrick Findeis Wo wir uns finden 03 (DVA) — Wie in seinem Debütroman »Kein schöner Land« entfacht der Neo-Berliner eine kleinstädtische Hölle aus Lügen und vergebener Liebesmüh. Diesmal heißen sie Josef und Siegfried Dix: Ein nunmehr pensionierter Gießer, letzterer ein Lebensspieler und sein Sohn. Siggis Mutter starb, als er geboren wurde, und Josef, damals bereits von Anna getrennt, wird sich und seiner Umwelt dies nie verzeihen. Findeis schachtelt seinen Roman in drei Teile: in zweien spielt Siggi den allwissenden 068

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Es musste ja sein, einmal kommt er zurück, zumindest literarisch – denn mit dem Titel »Er ist wieder da« kann auch im Anbetracht des sehr gelungenen Covers nur einer gemeint sein: Adolf Hitler. Nun, der deutsche Autor Timur Vermes lässt Hitler nach einem äußerst langen Schlaf – seit 1945 bis heute – wieder erwachen. Hitler schaut noch ganz gut erhalten aus und hat, sofern das möglich ist, noch nicht den Verstand verloren. Das macht ihn nach wie vor gefährlich. Der Autor lässt Hitler in Berlin in der Nähe des ehemaligen Führerpunkers erwachen. Kein Krieg, keine Partei, keine Eva und kein Goebbels. Nur Tausende von Ausländern und Angela Merkels Politik. Schnell wird ihm klar, dass er wieder von vorne beginnen muss. Sein erster Weg führt ihn zu einem Kiosk, wo er mit dem Nötigsten versorgt wird. Hitler hantelt sich weiter, von Station zu Station, bis er in einer Talkshow landet und dort die Quote macht. Er hat neue Fans, die ihn für einen großartigen Schauspieler und Doppelgänger halten, der rund um die Uhr in seiner Rolle bleibt. Plötzlich steht auch eine neuerliche Parteigründung im Raum. Natürlich geht man als Leser mit Vorbehalt an die Sache ran. Immerhin ist Deutschland ein Staat mit einer Verfassung und Gesetzen, die besagen was zu tun ist, taucht ein Kriegsverbrecher aus dem 3. Reich wieder auf. Mitunter gibt es auch noch die EU, die in so einem Fall einschreiten würde. So viel einmal zur Realität. Ansonsten lässt sich der Autor zu einem »interessanten« Experiment hinreißen: So lange jeder Mensch glaubt, es handle sich um einen Hitler-Imitator, funktioniert das Spiel auf der Bühne wie im Leben, sofern die Hitler-Masche als Kunst gewertet wird. Soll man nun dieses Buch lesen? Ich glaube schon, da es ganz einfach offenlegt, wie schlimm es um unsere Gesellschaft steht, dass der wohl bestialischste Diktator des 20. Jahrhunderts auch nur eine Minute frei herumlaufen könnte und auch um zu sehen, wie schlüpfrig und nach Quoten heischend unsere Medien heutzutage arbeiten. Hitler als Stichwortgeber für einen türkischen Comedian in einer TVShow. Hitler als Grimme-Preisträger für seine Kritik am kraftlosen und lahmen Partei­apparat der NSDAP. Manchmal muss man auch lachen, nicht weil Hitler per se witzig ist, sondern weil der Autor Sinn für Humor besitzt, wenn er mit »Er ist wieder da« eine satirische, politisch unkorrekte Absage auf die Verwertungsmechanismen der Unterhaltungsindustrie und die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten 25 Jahre verfasst. 07/10 Martin G. Wanko 01

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Erzähler um die Geschehnisse, die seinem Vater widerfuhren und dessen bedrückende Gegenwart in Richtung Armut begleiten; im mittleren Teil ist es ein anonymer, der die Perspektive von Josefs Widersachers Karl einnimmt. Mit diesem Schachzug erfahren wir das Matt der Handelnden: Josef, der Anna die Welt zu Füßen legen will; Anna, die Haushaltshilfe von Grams’ Elternhaus; Grams, in Anna verliebter Freund von Karl; Karl und Grams, die Anna traktieren, um Josef zu verlassen. Und schließlich die Gegenwartserzählung: Siggi lieh sich eine Unsumme von seinem Vater, flieht nach L.A., wo seine Freundin arbeitet – und verlässt sie, den Mutterverlust nie verarbeitet. Ein dunkel ansteigendes Drama um Schulderbe und Beziehungsbrüche. 07/10 Roland Steiner Wolfgang Hermann Abschied ohne Ende 04 (LangenMüller) — Wenn es um Empathie geht, ist der Vorarlberger Autor eine sichere Bank: Diesmal dekliniert er sanft-präzise den Verlust eines Kindes. Der 16-jährige Fabius liegt tot in seinem Bett – ob einer Grippe? Erst kurz davor hat ihn sein Vater, der medialen Kunstwelt und vor allem der Primärerfahrung über Natur aufgeschlossener Universitätsdozent, von der Kindsmutter aus der Provinz in die Hauptstadt übernommen. Bei Fabius gab es keinerlei Anzeichen für dessen Ableben: er gewöhnte sich gut ein, wurde beliebt, seine Freundin Julia liebte ihn. Dass ihn die Schule nicht interessierte, nahm der Vater hin. Was aber tun mit diesem Schmerz: dem Tod? Immerhin hatte sich Anna vom Vater getrennt, als Fabius ein Jahr jung war; immerhin erleidet der Vater einen Herzinfarkt nach Fabius Tod; immerhin – was war da noch? Sohn und Vater verbindet eine seelische Labilität, Sinnlichkeit für das Außerfaktische. Wolfgang Hermanns poetische Einfühlsamkeit vermittelt in Erinnerungsskizzen und Landschaftsallegorien den Prozess des Überwindens eines Verlustes, der eigentlich unsagbar ist, einen Schmerz und Krieg mit sich selbst, der kalt-düster ist – und doch Frieden ermöglicht: wie das Zulassen von Gesellschaft Trauer erleichtert. 09/10 Roland Steiner

Werner Spies Mein Glück 05 (Hanser) — »Mein Glück« von Werner Spies wie Labsal auf offene Wunden. Werner Spies lehrte in der Düsseldorfer Kunstakademie, war Direktor des Museums für Moderne Kunst in Paris und über 30 Jahre Paris-Korrespondent und Autor der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Er lernte auf sehr sympathische Art die Großen seiner Zeit kennen. Max Ernst, Samuel Beckett, Pablo Picasso und viele mehr. Aus Werner Spies sprudeln Namen und Wissen wie aus einem niemals versiegenden Quell. Spies braucht keine Absätze, er reiht Sätze aneinander, und wird trotzdem nie einfältig: Sein subtiler Blick zurück in die 60er Jahre, von Eugène Ionesco über Nathalie Sarraute bis zu Jeanne-Claude und Christo, seine Berichterstattungen darüber sind Meilensteine im deutschen Feuilleton. Durch seine sehr eigene Betrachtung der Kunst gab er dem Künstler und auch dem Leser seit jeher viel zurück. Aber natürlich, viele Weggefährten Spies‘ haben bereits das Zeitliche gesegnet, doch auch hier hält der Autor Contenance: Sein ungeschönter Blick in den Tod ist weder lustig noch traurig, sondern stimmig und wie Spies’ ganzes Leben, nicht ohne Neugier. LeseTipp: Bis Weihnachten jeden Abend 20 Seiten, da bleibt viel hängen! 09/10 Martin G. Wanko

#12: Gamification: „Bildung. Arbeit. Leben. – Ein Spiel!“ Keynote: Michael G. Wagner Michael G. Wagner ist Associate Professor für Digital Media und Leiter des Digital Media Program am Antoinette Westphal College of Media Arts & Design an der Drexel University. „Gamification“ ist das neue Schlagwort, das immer mehr Lebensbereiche durchzieht. Was früher trocken, sperrig und mäßig interessant war, soll jetzt spielend leicht werden. Der Homo Ludens bekommt immer mehr und immer bessere Nahrung. Wissensvermittlung erfolgt über Computerspiele, wie etwa im Physik-Lernspiel Ludwig (www.playludwig.com), das auch im Schulunterricht eingesetzt wird. Das persönliche Fitnessprogramm wird durch Apps begleitet, die die spielerische Komponente und den Wettbewerbsgedanken betonen. Unternehmen setzen auf spielerische Elemente in ihrer Innovationstätigkeit und bei ihren Marketing-Aktivitäten. Selbst der öffentliche Raum wird immer mehr zum Spielfeld. Schnitzeljagden, Geo-Caching, location-based Services und ähnliches eröffnen neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen Menschen, Marken, Unternehmen und ihrer Umwelt. Die Errungenschaften der Computerspiele diffundieren immer mehr in die physische Welt, machen vieles leichter und vor allem zugänglicher. Wir stehen noch am Anfang dieser Entwicklung. 2020 ist möglicherweise das ganze Leben ein Spiel.

19.11.2012 – Einlass 18:30 Uhr – Beginn 19:00 Uhr The Hub Vienna, vienna.the-hub.net Wien 7., Lindengasse 56/ Top 18 –19 Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussionsplattform Zukunftsszenarien einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.

www.twentytwenty.at | www.facebook.com / exploring2020 | www.twitter.com / exploring2020


Rez Anthony Bourdain, Joel Rose, Langdon Foss, José Villarrubia Get Jiro! 01 (DC Vertigo) — Gute Comics müssen keineswegs immer geistreiche Comics sein. Andererseits müssen sie auch nicht dumm sein. »Get Jiro!« wandert auf dem schmalen Grat zwischen idiotischem Actionspektakel und spitzfindiger Kulturkritik. Man stelle sich eine nahe Zukunft vor, in der Köche zu Gangbossen geworden sind und ganz L.A., das ausschließlich von Gaumenfreuden und deren Erfüllung gelenkt wird, kontrollieren. Ja, klingt doof und spaßig, ist es auch. Ergänzt man diese Basis mit einem einzelgängerischen Itamae, zwei rivalisierenden Gangs, einigen Actionsequenzen und esoterischem Wissen um die Magie des Kochens, dann hat man »Get Jiro!«. Anthony Bourdain, seines Zeichens anerkannter Koch, und Co-Autor Joel Rose benutzen Foss’ und Villarrubias klare und farbenstarke Visualisierung als elegantes, simples Vehikel für eine ebenso elegante und simple Story. Zügig und unmissverständlich ist das Tempo, der Humor passend und punktgenau, die Message schlicht, vor allem aber nicht aufdringlich. 07/10 Nuri Nurbachsch

Gary Panter Dal Tokyo (Fantagraphics Books)

Picturepunkfuture Gary Panter ist ein wenig besungener Held einer Zeit, in der es keine Helden geben konnte und durfte. »Dal Tokyo« versammelt einige der wegweisendsten Strips des einflussreichen Künstlers.

Nina Bunjevac Heartless 02 (Conundrum Press) — Comics sind sowohl universell, aber vor allem auch (in den besten Fällen) Produkte eines spezifischen, kulturellen Codes, der mittels formeller und programmatischer Universalität für Uneingeweihte verständlich gemacht wird. Ein Beweis dafür war zum Beispiel die »Warburger« Anthologie des slowenischen Kollektiv Stripburger. Ein anderes exzellentes Beispiel sind die Werke von Nina Bunjevac. In Kanada geboren, aber in Serbien aufgewachsen und jetzt in Toronto ansässig, spiegeln ihre Arbeiten die Metaeinflüsse dieser unterschiedlichen regionalen Kulturen, die zu ihren persönlichen Einflüssen wurden. So entdeckt man neben amerikanischem Film Noir und französischer Nouvelle Vague vor allem Spuren des jugoslawischen Kino des Black Wave. Aus ihrem trockenen Realismus ragt eine Brücke aus Pop Art-Versatzstücken. In Summe ist Bunjevac dadurch eine markante Stimme internationaler Comic-Kultur, ihre Erzählungen sind zynisch und herzlich zugleich. Höchst erfreulich also, ihren bisherigen Output als »Heartless« in gesammelter Form genießen zu können. 08/10 Nuri Nurbachsch Osamu Tezuka Message To Adolf 03 (Vertical Inc.) — Es kann nicht oft genug wiederholt werden, welchen Stellenwert Osamu Tezuka nicht nur für Mange und Anime, sondern auch für Comics weltweit hat. Dennoch war er immer auch ein Produkt seiner eigenen Zeit und Geschichte. »Adolf« – in der neuesten Übersetzung von Vertical »Message To Adolf« genannt – ist eine von Tezukas ernsthaftesten Werken. Anhand dreier Figuren namens Adolf – eine davon Adolf Hitler selbst – erforscht er auf zutiefst menschliche Art und Weise die Auswirkungen von Propaganda, Vorurteilen und Hass in Deutschland und Japan kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. »Message To Adolf« ist dabei zugänglich und einfach gestrickt. Darin liegt auch die Schwäche: Ein Thema mit solchem Gewicht bricht manchmal durch das lockere Storytelling und muss mit einiger Anstrengung wieder hervorgeholt werden. Aber die vielschichtigen Charaktere und Emotionen, die Tezuka mit der gleichen Leichtigkeit auf die Bühne stellt, machen es wieder wett. Wie bei so vielen anderen Arbeiten von Tezuka, muss auch hier das Prädikat »Meisterwerk« angewandt werden, wenn auch immer in Relation zur Person Osamu Tezuka selbst. 09/10 Nuri Nurbachsch 070

Comics

Mars ist rot. Mars ist wütend. Benannt nach dem römischen Gott des Krieges. Der Stern des Ares. Der Planet von Angaraka. Falls sich etwas von dieser Mythologie des Roten Planeten in »Dal Tokyo« niedergeschlagen hat, dann nur im expressionistischen Wirbelsturm von Panters ikonischen Illustrationen. Er hat »Dal Tokyo« auf dem Mars entstehen lassen. Dallas und Tokio, von texanischen und japanischen Marsarbeitern in einer nahen Zukunft wiedererbaut als Kollision aus Maschinen und Organen einer fremdartigen Symbiose von Notwendigkeit und Inkonsequenz. Hier lebt eine Schar an Figuren, alle Teil einer vollständigen Welt. Im Grunde ist dieser urbane Zukunftshybrid auf dem Erdnachbarn aber nur die Leinwand für wahre Punk-Kunst. Panter schoss den Grundstein von »Dal Tokyo« bereits in seinen frühen Zwanzigern in den Orbit seiner Fantasmen, doch erst 1983 manifestierte sich das Weltallgespenst in Atomen und Molekülen. Als Meteoriten aus Dal Tokyo schlugen die Comics Strips im L.A. Reader ein. Hier verfolgte Panter noch seine Emulation einer Handlung. Trotzdem zerschmettert Panters elektrischer Stil jegliche Konformität. Es ist, als ob er sein eigenes Rozz-Tox Manifesto, in dem er zur Kommerzialisierung der Kunst als subvertierende Handlung gegenüber dem Mainstream aufrief, in Bilder gebracht hätte. Der ewige Schrei des Punk: Erkennst du mich nicht an, erkenne ich dich nicht an und nehme alles, was dir heilig ist, und mache es für dich unkenntlich zu meinem. Die Story läuft aus dem Ruder, immer mehr wird »Dal Tokyo« zur freien Assoziation, Nebeneinanderstellung von Texten und Bildern aus einer marsianischen Psyche. Und im letzten Strip aus dem Jahr 1984 explodiert das Bild in alchemistisch anmutenden Formen. Dann ruhte »Dal Tokyo«, bis es als radioaktives Monster für das japanische Magazin Riddim 1996 wieder zurückkam. Panter schwankte zehn Jahre lang zwischen den Überresten einer Geschichte und freier Bildsprache hin und her, bis 2007 der letzte »Dal Tokyo« Strip erschienen war. Rückblickend scheint »Dal Tokyo« eine versuchte Pathologie einer sozialen Malaise gewesen zu sein. Aber wo hier die Krankheit angesiedelt ist und wie die Pathogenese verlief, lässt sich außerhalb Panters Verstand nicht rekonstruieren. Was bleibt ist diese Sammlung an Momentaufnahmen purer Energie von einem, ja, vielleicht dem einzigen echten Punkvisualisten unserer Zeit. Zwischen kryptischem Humor und fordernder Bildkonjugation steht hier ein Himmelskörper nicht nur moderner Comic-Kultur, sondern aller darstellenden Künste. 10/10 nuri nurbachsch 01

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Die glanzvolle Rückkehr des Master Chief »Halo 4«, der Neustart der Serie, überzeugt mit alten Qualitäten, Konzentration auf den Erkundungsaspekt und Abstand zum Military Background. Allgemein wird das Ende der Konsolengeneration ausgerufen und tatsächlich kommen fast ausschließlich Fortsetzungen auf den Markt. Bei Microsoft tut sich einiges mit SmartGlass: Anlässlich von Windows 8 rücken PC, Konsole, Tablet und Mobiles näher zusammen und die Xbox mit ihren bekannten und neuen Services in den Unterhaltungs-Mittelpunkt. Bis auf einige Details wirkt das Konzept beinahe überraschend schlüssig und nahezu zwingend. In Sachen Games ist der alles überstrahlende Software-Titel »Halo 4« natürlich alles andere als neu, aber von beeindruckender Qualität. 343 Industries wurde mit dem Neustart der Serie beauftragt und überzeugt dabei nicht nur beim Gameplay. Dass dieses ausgesprochen hochwertig sein muss war klar, denn es war immer die große Stärke eines »Halo«Spiels. In wenig anderen Konsolen-Shootern war die Steuerung derart präzise und die unterschiedlichen Waffen so fein ausbalanciert. Das Spiel gab und gibt perfektes Feedback und dem Spieler die Kontrolle. »Halo 4« ist der Start einer neuen Trilogie, die abermals den Master Chief in den Mittelpunkt stellt. Gemeinsam mit der weiblichen KI Cortana erwacht dieser auf einem Raumschiff, das wieder einmal dabei ist abzustürzen. Das gemeinsame Ziel zur Erde zurückzukehren, um Cortanas Leben zu verlängern, wird durch andere Aufgaben von höchster Wichtigkeit unterbrochen: Wenig überraschend treffen die beiden auf feindliche Lebensformen mit neuen Technologien. Wie im ersten Teil rückt hier atmosphärisch die Erkundung neuer Territorien und geschichtlicher Zusammenhänge in der Vordergrund, während alles Militärische eine geringere Rolle spielt. So geht es zwar immer wieder um die (militärische) Herkunft des Master Chief, als Einzelkämpfer spielt aber das Heer und seine Strukturen eine angenehm kleine Rolle. Keine Frage, das Setting ist gigantisch, die technische Präsentation am neuesten Stand. Verzichten müssen Spieler weiterhin auf übermäßig gescriptete Events (siehe »Call Of Duty«) oder die Möglichkeit, eigene Pfade oder Nebenaufgaben zu finden. In dieser Hinsicht bleibt »Halo« oldschool und reduziert. Mit dabei sind aber selbstverständlich wieder der beliebte MultiplayerMode und Spartan Ops, ein neues episodenhaftes Koop-Spiel, inspiriert von TV-Serien. Ein rundes, hochwertiges Paket, das »Halo« für viele wieder zum besten aller Konsolen-Shooter macht. 09/10 martin mühl

Halo 4 (343 Industries / Microsoft); Xbox 360; www.halo4.com 071


Rez Chaos auf Deponia 01 (Daedalic Entertainment); PC/Mac; www.deponia. de — »Chaos auf Deponia« ist nach »Deponia« bereits der zweite von drei Teilen der AdventureReihe der deutschen Daedalic Studios. Nach wie vor versucht der tendenziell überhebliche und egoistische Rufus den namensgebenden Müllplaneten vor der Zerstörung durch den militärischen Beamtenapparat Organon zu bewahren. Neben anspruchsvollen und zugleich logischen Rätseln ist es vor allem der Humor, der den Kern eines guten Point-and-Click-Adventures ausmacht. Davon hat »Chaos auf Deponia« in seiner abgedrehten Art reichlich. Selbst wenn manche Dialoge aufgesetzt wirken, eine derartige Fülle an Ideen und Einfällen hat man so schon lange nicht mehr gesehen. Indem das Spiel Situationen absurd auf die Spitze treibt und liebevolle Charaktere präsentiert, fühlt man sich immer wieder an die Genialität der Lucas-ArtsAdventures (»Monkey Island«, »Indiana Jones«, »Day Of The Tentacle«) erinnert. Ein größeres Kompliment kann man einem Adventure-Game eigentlich nicht machen. 09/10 Reiner Kapeller FIFA 13 02 (EA Sports); PS3 getestet, Xbox 360, PC, Wii, PS2, PSP, 3DS, PS Vita; www.ea.com/de/fifa-13 — Die Serie »FIFA« hat sich in den letzten Jahren erstaunlich gesteigert. Seit Kurzem haben die Entwickler von EA Sports Kanada sogar die starke Konkurrenz (»Pro Evolution Soccer«, Konami) hinter sich gelassen. In »FIFA 13« stecken erwartungsgemäß keine großen Neuerungen; zahlreiche Verbesserungen machen es aber zum besten Fußballspiel überhaupt. Es gibt nun endlich einen ausführlichen Trainingsmodus, der das Absolvieren diverser Übungen mit Erfahrungspunkten belohnt – ohne die geht’s scheinbar in keinem Genre mehr. Daneben fällt schnell die variantenreich und klug agierende KI auf; die in höheren Spielstufen selbst Profis in die Knie zu zwingen vermag. Bei Flanken und Pässen dann die wichtigste Änderung: Spieler nehmen Bälle je nach Können unterschiedlich an oder verstolpern schon mal, wenn sie aus vollem Lauf den Ball aufnehmen. Das sorgt für erheblich mehr Realismus, erschwert aber auch gelegentlich den Spielfluss. Letzteres ist aber der Preis, den man für eine anspruchsvolle Simulation zu bezahlen hat – und »FIFA 13« macht mit all seinen Verbesserungen einen beherzten Schritt in diese Richtung. 09/10 Stefan Kluger

Forza Horizon 03 (Micosoft); Xbox 360; www.forzamotorsport.net — Unzählige Rennspiele haben in den letzten Jahren versucht, in ihrer Präsentation an Musiklifestyle und Rockfestivals anzuknüpfen. Nun auch die technisch perfekte, aber bisher etwas sterile »Forza«Reihe, die sich in »Horizon« zugänglicher denn je gibt. In einer offenen Rennspielwelt nimmt man an einem Renn-Festival teil und muss sich gegen allerlei Gegner durchsetzen. Das Prinzip ist bekannt, wurde aber ziemlich überzeugend umgesetzt; »For-

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za« kommt damit beinahe an die in den letzten Jahren so großartigen Codemasters-Renntitel heran. Die Grafik ist beeindruckend und das Gameplay tendenziell nach wie vor anspruchsvoll. Wer falsch bremst oder lenkt, wird hier keine Rennen gewinnen. Unter anderem genau das macht das Spielerlebnis aber intensiv und die Rennen spannend. Als Spieler ist man gefordert und wird – im Falle eines Erfolgs – durchaus auch mit entsprechenden Erfolgsgefühlen belohnt. Dafür, dass »Horizon« eigentlich nichts neu macht, sondern nur aus anderen Spielen und der eigenen Reihe Bekanntes perfektioniert, ist das Ergebnis absolut begeisternd.

gestanden, doch das Spiel landet irgendwo dazwischen und ist weder Action- noch Rollenspiel. 04/10 Harald Koberg

Resident Evil 6 08 (Capcom); PS3 getestet, Xbox 360; www.residentevil.com — Mühsam schleppt sich die einstige Survival-Horror-Referenz von einer Ballerei zur nächsten. Dann doch lieber die Filme ansehen. Die sind zwar mindestens genauso hohl, dafür kann man sich da aber zurücklehnen. 04/10 Reiner Kapeller Das Testament des Sherlock Holmes 09 (Koch); PS3 getestet, Xbox 360, PC; www.sherlockholmes-thegame.com — Sherlock Holmes ist vermutlich der klassischste aller Detektive. Seine Abenteuer im ausgehenden 19. Jahrhundert sind legendär. Spiele, die seinen Namen tragen, sind dagegen meist bieder und spröde. »Das Testament des Sherlock Holmes« ist da keine Ausnahme. 05/10

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Frozen Synapse 04 (Mode7); PC; www.frozensynapse.com — Viele Möglichkeiten gibt es ja nicht. Die Wege und Blickwinkel der Einheiten können geplant und im Probedurchlauf überprüft werden. Dazu noch ein paar Optionen wie »Ducken« oder »Gegner ignorieren« und das war’s. Aber dann geht es los mit Überlegungen wie: »Der Gegner denkt wohl, dass ich denke, dass er …«. Und schon entfaltet sich die Genialität von »Frozen Synapse«. Häuserecken und ein Blick in die richtige Richtung machen den Unterschied, wenn nach der Planungsphase nur tatenlos zugesehen werden kann, wie die Einheiten sich gegenseitig abpassen und eliminieren. Die NPCs sind dabei noch recht berechenbar, auch wenn in etlichen Offline-Missionen schon herausfordernde Erfahrungen gesammelt werden können, die später einiges an Ärger ersparen. Denn jeder Zug, der vom Gegner vorhergesehen wurde, nagt am Ego und motiviert zu immer neuen Runden – vorzugsweise gegen Freunde, die sich gerne einmal ordentlich ärgern. Und um langfristigen Spaß sicherzustellen gibt es bei einem Kauf des Spiels auch gleich zwei Lizenzen, um auch ganz sicher irgendjemanden zu motivieren, sich der kurzweiligen Taktikschlacht zu stellen. 07/10 Harald Koberg

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Trauma 10 (Head Up); PC; www.traumagame.com — Ein visuell und akustisch faszinierender, aber letztendlich unabgeschlossener Point-and-Click-Spaziergang durch die Träume einer Trauma-Patientin. 06/10 Harald Koberg

WRC 3: FIA World Rally Championship 11 (Milestone); PS3 getestet, Xbox 360; www.wrcthegame.com — Nur nicht entmutigen lassen! Hinter dieser bockharten Rallye-Simulation steckt ein klasse Spiel. Es zahlt sich aus, dran zu bleiben. 06/10 Reiner Kapeller

Xcom Enemy Unknown 12 (2K); Xbox 360 getestet, PS3, PC; www.xcom.com — »Xcom« übersetzt oldschool Strategie-Spiele in eine modernere Hülle. Storytechnisch ist das Spiel dabei eine Klischee-Ansammlung sondergleichen: Außerirdische greifen die Erde an! Der Spieler muss nun spieltypisch Ressourcen verwalten, Einheiten bilden, Technologien entwickeln – und in rundenbasierten Kämpfen auf dem gesamten Globus gegen die Eindringlinge antreten. Vor allem diese Kämpfe haben aber nur mehr recht wenig mit klassischen Karten zu tun, wie man sie aus Spielen seit mehreren Jahrzehnten kennt. Stattdessen bewegt man die Figuren in 3D über 3D-Schauplätze – zu einem Third-Person-Shooter wird zwar genügend Abstand gehalten, die Stoßrichtung ist aber klar. »Xcom« will dabei gar kein Action-Spiel sein und spielt in der Präsentation gekonnt mit einem gewissen RetroCharme. Für die meisten Spieler wird dann auch weiterhin das rundenbasierte Gameplay ausschlaggebend sein – und dies stammt immerhin von den Entwicklern von »Civilization«. »Xcom« überzeugt mit hoher Komplexität, nicht unähnlich »Advanced Wars« wir vor einigen Jahren. Für Strategie-Freunde ist »Xcom« damit das wichtigste Spiel seit längerer Zeit und auch für alle anderen ein ungewöhnliches Highlight. 08/10 Martin Mühl

Hell Yeah! Wrath Of The Dead Rabbit 05 (Sega); Xbox Live Arcade getestet, PSN, PC; www. sega.com/hellyeah — Auf Böse getrimmter Plattformer mit vielen bunten Totenköpfen und der Verbindung von unernstem Horror mit Kitsch. Kurzweilig. 07/10 Martin Mühl NBA2k13 06 (2K); Xbox 360 getestet, PS3, Wii, PC, PSP; 2ksports.com/games/nba2k13 — Nach wie vor steht die Franchise »NBA2k« für Basketball der Extraklasse. Ein paar neue Einfälle und Spielmodi hätten es aber schon sein dürfen. So bleibt (fast) alles beim Alten, nur eben eine Spur besser. Anfänger planen einige Stunden Einarbeitungszeit ein. 08/10 Stefan Kluger

Of Orcs And Men 07 (Cyanide); PS3 getestet, Xbox 360, PC; www. cyanide-studio.com/games/of-orcs-and-men — Mehrere Stühle wären für Ork und Goblin bereit-

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TEXT sandra adler BILD Bank Austria Kunstforum, Andre Schönherr, Deuticke / Margit Marnull, ART Design FELDKIRCH, Marko Lipus, Ulrike Königshofer, VBK

Einfachheit kennzeichnet die ursprünglichste bildnerische Ausdrucksform – die Zeichnung. Die puristischen grafischen Werke aus der Bank Austria Kunstsammlung verstärken diesen Aspekt. Sie stehen in expressionistischer, informeller oder konzeptueller Tradition und stammen aus der Zeit von 1970 bis heute. Vertretene Künstler sind u.a. Christian Ludwig Attersee, Günter Brus, Adolf Frohner und Bruno Gironcoli. 28. November 2012 bis 10. Februar 2013 Wien, Bank Austria Kunstforum; www.bankaustria-kunstforum.at

Collected #3: Drawing The Line – Zeichnungen

TERMINE KULTUR


TERMINE

KULTUR

Freeride Film Festival Zur Einstimmung und – für die Wagemutigen – zur Inspiration für die anstehende Wintersaison zeigt das Freeride Film Festival bewegte Bilder von Ridern und ihr Können auf den Brettern, die ihnen die Welt bedeuten. Ein Eindruck des Lifestyles und atemberaubende Naturaufnahmen aus den Alpen, den Rockies und anderen Gebirgen werden zwangsläufig mitvermittelt. 9. bis 10. November, jeweils 20.00 Uhr Innsbruck, Metropol Kino — 14. bis 15. November, jeweils 19.00 Uhr Wien, WUK; www.freeridefilmfestival.at

Tacheles: Realistik tötet Fantasie? Als Kind hat man sie noch – Fantasie, mit der man sich in fremde, exotische Welten träumt. Diese Kreativität geht vielen mit dem Erwachsenwerden verloren, dabei ist sie als Hauptkapital der wachsenden Kreativ-Industrie gefragter denn je. Psychoanalytikerin Rotraud Perner, Schriftstellerin Julya Rabinovich und Manfred Wagner von der Universität für Angewandte Kunst Wien diskutieren das Verhältnis von Fantasie und Realistik. 14. November, 19.00 Uhr Wien, Klang Theater

ArtDesign Feldkirch Wie der Name schon sagt, gibt es auf der Messe Kunst und anspruchsvolles Design zu sehen und zu kaufen. Der Übergang zwischen den beiden Bereichen ist oft fließend. In Feldkirch kann man die aktuellsten Entwicklungen sehen, vergleichen und erleben – z.B. selbst einen Thonet-Stuhl bauen. 9. bis 11. November Feldkirch, Reichenfeld-Areal; www.feldkirch.at/artdesign

Karte und Gebiet Nach zähen Verhandlungen um die Aufführungsrechte war das Theater Garage X schließlich erfolgreich: Ali M. Abdullah und Hannah Lioba adaptierten Michel Houellebecqs Roman »La carte et le territoire« für die Bühne. Das Buch bzw. Stück erzählt die Geschichte des Pariser Künstlers Jed Martin und seziert anhand dieser die Mechanismen und zwischenmenschlichen Beziehungen im Kunstbetrieb. 21., 22. und 30. November, 20.00 Uhr Wien, Garage X Theater Petersplatz; www.garage-x.at

Ulrike Königshofer // SOSka Group Während Ulrike Königshofer in ihrer Einzelausstellung »Die Rückseite des Sehens« mit Fotografien, Videos und Apparaturen die Wahrnehmung und ihre Subjektivität hinterfragt, widmet sich die SOSka-Gruppenausstellung dem Thema »Shelter«: privaten und öffentlichen Schutzbauten aus Kriegs- und Krisenzeiten, darunter die Flaktürme Wiens oder die vom albanischen Diktator Enver Hoxha erbauten Bunker, die heute für verschiedenste Zwecke genutzt werden. Ausstellung: 7. November bis 15. Dezember, Eröffnung: 6. November, 18.00 Uhr Wien, Das Weisse Haus; www.dasweissehaus.at

Thomas Feuerstein: Candylab Künstler, Wissenschaftler, Alchemist – all das ist Thomas Feuerstein in seinem »Candylab«. Seine Installationen bzw. Apparate führen chemische Prozesse aus und reflektieren parallel künstlerische und kreative Vorgänge. Sprache in Schrift und Form interessiert ihn bei »Pancreas«. »Nahrung fürs Gehirn« wörtlich genommen lässt seine Bauchspeicheldrüse der westlichen Kultur deren bedeutende Schriften – ja, was? Abbauen? Verdauen? Verwerten? Das sind die Fragen, die Thomas Feuerstein stellt. 18. November bis 17. Februar Krems, Kunsthalle; www.kunsthalle.at 075


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Termine

Gal e r i e n

Mike Parr, The Emetics (Primary Vomit): I am Sick of Art (Red, Yellow and Blue) Red, 1977 © Mike Parr, Courtesy the artist & Anna Schwartz Gallery

Mladen Stilinović: »Korupcija«, 2011; Kollage auf Karton, 21 � 33 cm

Antonio de Felipe: »Too much … born in the USA (inspired by Bruce Springsteen)«, 2009; Acryl auf Leinwand, 130 � 130 cm

Mladen Stilinović: Insulting Anarchy

Antonio de Felipe – LPOP Es müssen nicht immer Andy und Roy sein – auch Spanien hat einen Pop-Art-Star. Antonio de Felipe verwendet Motive aus der Werbung, bekannten Comics oder bedient sich der Ikonen aus Film- und Musikwelt, um plakative Bilder und Skulpturen im Geiste der klassischen Pop Art zu schaffen. Er adaptiert Klassiker der Kunstgeschichte ebenso wie legendäre Plattencover, um sie – oft mit einem ordentlichen Schäufelchen Ironie – zu knallbunten Emblemen zu montieren. Bubblegum, Hotdogs, Madonna und Mickey Mouse eifern quietschfidel mit Velazques’ »Chris­ tus« oder Munchs »Schrei« um die Wette. Warhol und Lichtenstein werden zu Referenzstellen – und in der Pop Art scheint noch längst nicht das letzte Wort gesprochen. bis 10. Februar, Stadtgalerie Klagenfurt

Das Vorhaben, sich wider die Konvention einer Ausstellungssituation zu stellen, ist Mladen Stilinović nicht gelungen: Irgendwie greifen die sich stilistisch wie thematisch auf den ersten Blick unterscheidenden Arbeiten doch ineinander. Eine Beleidigung für diese anarchistische Intention – und doch unverfroren. In vielseitigen künstlerischen Methoden äußert sich der Kroate zu Kunst und Ideologie, zu politischen Situationen, nicht zuletzt aufgrund der prekären politischen Vergangenheit seines Heimatlandes. »Ich arbeite aus der Position einer toten Ameise heraus« meint er. Es ist ein Kampf: für den Zerfall des Systems, für die künstlerische Freiheit, die harten Ideologien mit Ironie gegenübertritt. bis 7. Jänner, Galerie Martin Janda

Kärnten

Vorarlberg

Niederösterreich

Wien

Michael Seyer bis 3.Februar Alpen-Adria Galerie Klagenfurt Dialog II bis 10. Dezember Kunst:Werk, St. Pölten

TEXT Margit Emesz BILD Antonio de Felipe, Galerie Martin Janda

Oberösterreich

Elisabeth Sonneck bis 14.Jänner Galerie Brunnhofer, Linz

Salzburg

Cameron Martin bis 12. Jänner Galerie Nicolaus Ruzicska, Salzburg Gilbert & George. London Pictures bis 19. Januar Galerie Ropac, Salzburg Villa Kast

Steiermark

Die Gärten in der Exosphäre. Dichtungen und Bild-Dichtungen von Günter Brus bis 3. Februar Neue Galerie Graz

Tirol

Der Spiegel des Narziss – Vom mythologischen Halbgott zum Massenphänomen bis 10. Februar Galerie im Taxispalais, Innsbruck

Salon d’amour. Subversives. Hautnah. bis 14.Dezember Kunstverein Bregenz

Matthias Hermann 270 West 17th Street #20c NY, NY 10011 bis 20. Dezember Galerie Steineck Nadim Vardag bis 12. Jänner Galerie Kargl A Room With A View – Der abstrakte und der reale Raum in der Fotografie bis 7. Dezember Bäckerstrasse 4 – Plattform für junge Kunst Benjamin Hirte bis 30. Dezember Galerie Layr Disturbances bis 5. Jänner Musa Best of Rankin bis 31. Dezember Photographers Limited Editions Marlene Hausegger. Détournements bis 10. Jänner Projektraum Viktor Bucher Elfie Semotan bis 12. Jänner Galerie Senn Recommended by … Aktuelle Tendenzen in der polnischen Foto- und Videoszene bis 8. Dezember Fotogalerie Wien Zwischenspiel bis 7. Februar Vertikale Galerie Verbund-Zentrale

MIKE PARR Edelweiß 7. November 2012 bis 24. Februar 2013

Mike Parr, geboren 1945 in Australien, gehört zu den radikalsten Performancekünstlern der zeitgenössischen Kunst. Seine Kunst ist vom Trauma geprägt, mit nur einem Arm geboren worden zu sein und dreht sich ausgehend von der Identität des Künstlers um die psychosozialen Dimensionen des Selbst und der Gemeinschaft. Mike Parr arbeitet in seinen provokanten Auftritten, in denen er die Grenzen des eigenen Körpers und seine physische Leistungsfähigkeit bis hin zur Selbstverletzung austestet, mit Schock, Schmerz, Ekel und Tabu, um das Publikum zu aktivieren und zur Diskussion über Kunst und Ethik anzuregen.

Mike Parr, aus der Performance-Serie: 100 Breaths, 1992, Collection of the artist

Mike Parr, Adult Intelligence, 2011, from the series Cutting Tongue, Collection of Jennifer Arnold & Alan Luckie

tägl, 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 21 Uhr Museumsplatz 1, 1070 Wien www.kunsthallewien.at


TERMINE

FESTI V A L S

4 Fragen an Alexander Syllaba (Cinema Paradiso) Alfred Polgar hat einmal gesagt: »Ich gehe ins Kino und verleugne mein Leben«. Denken Sie, die Leute flüchten sich gerade in Krisenzeiten vermehrt in Traumwelten? Wenn man sich die Zahlen der Kinobranche weltweit anschaut, dann war beispielsweise in den USA das letzte Jahr das von den Besucherzahlen her erfolgreichste ever. Offensichtlich ist das Kino also in Zeiten der Krise eine Unterhaltungs- und auch Kunstform, wo die Menschen gerne auch hingehen, sich ablenken lassen. Wie bewerten Sie den Standort St. Pölten, der sich öfters mal anhören muss, ein eher verschlafenes Nest als eine weltoffene Metropole zu sein? Faktum ist: Es ist keine Großstadt, maximal eine Kleinstadt. Die Menschen sind mittlerweile froh, dass es so etwas wie das Cinema Paradiso gibt, das auch urbanes und internationales Flair hierher bringt. Wie ist denn die Stimmung zwischen Ihnen und Ingrid Huber heute, bald drei Jahre, nachdem Hollywood Megaplex Klage gegen das Cinema Paradiso eingereicht hat, weil Sie angeblich mehr Kommerz- als Programmkino betreiben? Zum Glück habe ich keine Beziehung zu dieser Dame – hätte ich eine, wäre ich wohl ein sehr unglücklicher Mann. Was ist rückblickend Ihr Resümee über die Entwicklungen in der Filmlandschaft? Natürlich ist das ganze Thema der Digitalisierung für kleine Kinos ein schwieriges, weil diese es kaum schaffen, die riesigen Investitionen zu  stemmen. »10 Jahre Cinema Paradiso« wird den ganzen November mit Filmen, Konzerten und Musicals in St. Pölten gefeiert. 078

»Leben eben« und »wien. berlin.«, zu sehen in der Galerie Ulrike Hrobsky und der Vienna Travelgallery

Eyes On Was haben Wien, Berlin, Bratislava, Budapest, Luxemburg und Paris gemeinsam? Im Rahmen des europäischen Monats der Fotografie dürfen sie sich alle gleichzeitig den Titel »Fotohauptstadt« an die Brust heften. Von ihrer Schokoladenseite zeigen sich dabei auch die Wiener Kunst- und Fotogalerien mit Ausstellungen, die der ästhetischen Bauchnabelschau gewidmet sind und mit dem Thema Fotografie selbst spielen, wie beispielsweise »Foto-Automaten-Kunst« im Kunsthaus Wien. Eine Stadt ist entzückt, kommt die nonverbale Kunstform doch einem der urwienerischsten Wesenszüge entgegen: dem »nur schaun«. 30. Oktober bis 30. November Wien, diverse Locations


TERMINE

FESTI V A L S Jack Smith als »Flaming Creature« in seinem gleichnamigen ZensurSkandal der 1960er.

Da hüpft das Visualisten-Herz: Insgesamt 181 Galerien (darunter aber auch die Veterinärmedizinische Uni mit der Ausstellung »Sehen Sie aus wie Ihr Hund?«) nehmen am Eyes On teil. Und nein, das hat die Praktikantin mit der Hand gezählt.

Jack Smith im Filmmuseum Wer das Superstardom sozusagen erfunden und die allerersten queeren Gehversuche in der Filmszene gemacht hat, dem müssten nach heutiger Logik die Massen zu Füßen liegen. Jack Smith, Pionier der Camp-Ästhetik, hat all das – und galt zu Lebzeiten doch mehr als exzentrischer Nerd. Seine Filme, schauspielerischen Leistungen und legendären, mehrstündigen Theaterperformances rangierten im New York der 60er stets zwischen Skandal und Zensur. Zur coolen Sau, die er immer schon war, wurde der revolutionäre PerformanceKünstler aber erst posthum erklärt. Da half es auch nichts, Andy Warhol damals zum Busenfreund zu haben. 16. bis 29. November Wien, Filmmuseum

TEXT Lisa Schmid BILD Cinema Paradiso, Andrea Freiberger, Opocensky Strasas, Filmmuseum, Pete Ionian

181 Feschmarkt

Nichts für Klaustro­ phobiker, dafür umso mehr für Schöngeister und Cineasten.

Unser allerliebster Designmarkt in Wien geht in die dritte Saison. Der Zeitpunkt ist natürlich ideal, um sich selbst vorzumachen, dass man hingeht, um Weihnachtsgeschenke für Verwandte zu suchen, nur um an Ende mit Sackerln voller kleiner Wunder heimzukommen, die man jetzt doch lieber für sich selbst braucht. Einleuchtend, wer nämlich Indie­ design sagt, muss auch Feschmarkt sagen. 17. bis 18. November Wien, Ottakringer Brauerei

Frontale

Großspurige Filmpreisverleihungen gibt es zuhauf. Mitten im Industriegebiet Wiener Neustadts will das Frontale-Filmfestival jungen Filmemachern mit möglichst wenig Tamtam eine Bühne bieten. Von Low- bis No-Budget ist alles erlaubt. Was Anhänger der DIYSzene freuen dürfte: Erstmals wird neben dem besten Kurzfilm auch der beste Handykamerafilm prämiert. 6. bis 8. Dezember Wiener Neustadt, Sub

Vienna Gallery Weekend

Cineastic Gondolas Leute in einen engen Raum zu sperren, aus dem es für die Länge eines Kurzfilms kein Entkommen gibt – das war schon immer die Vision von Christof Murr. Diese setzt der Veranstalter der »Lange Nacht der experimentellen Schwebefahrten« nun zum zweiten Mal in die Realität um. Den Fokus legt er dabei wieder auf Animationsfilme aufstrebender Filmkünstler, die man sich gemeinsam mit anderen Filmbegeisterten freischwebend – in einer Gondel – zu Gemüte führt. Auch die eindrucksvolle Bergkulisse bleibt nicht verschont, sondern wird mit Visuals beleuchtet. Österreichische Berggipfelkultur mal anders, mit Musik und Glanz, ganz ohne »Schifoahn« oder »Finger im Po«. 8. Dezember Lech am Arlberg, Rüpfikopfbahn

Wien verwandelt sich für ein Wochenende in ein wahres Schlaraffenland für Kunstliebhaber: Als verlängerter und komprimierter Ast des Eyes On zeigen knapp 40 Galerien in nur zwei Tagen Exposés von internationalen Künstlern. Schöngeister will man mit Ausstellungen mit so klingenden Namen wie »Leben eben« oder »Die Nacht ist in den Tag verliebt« anlocken. 23. bis 25. November Wien, diverse Locations

Freischwimmer

»Die neoliberale Verwertungsgesellschaft ist schon lange in der Kunst angekommen«, moniert das fahrende Festival rund um den heißesten Scheiß aus Theater, Performance und Live. »Ausbrennen« heißt da etwa das Live-Hörspiel / Konzert von Luise Voigt. Das Motto des Festivals lautet übrigens »Verwertet euch!«, eine Ode an die künstlerische Ich-AG. 9. bis 17. November Wien, Brut 079


jeunesse jazz+ experimental

TERMINE

M U SIK

Porgy & Bess | Riemergasse 11 | 1010 Wien

wolfgang mitterer special 27.11. Di | 20:30 | »All that Jazz« Open till late

Wolfgang Mitterer Elektronik Max Nagl Saxophon, Klarinette Peter Herbert Kontrabass Wolfgang Reisinger Schlagzeug, Perkussion

19:15 | Meet the artists

Ute Pinter im Gespräch mit den Künstlern

29.11. Do | 20:30 | »Fast Forward. 20:21« reluctant games

Streichquartett des Klangforum Wien Wolfgang Mitterer Klavier, Elektronik

30.11. Fr | 20:30 | »Jazz & beyond« Box Blocks

Marc Ducret Gitarre Herbert Pirker Schlagzeug Wolfgang Mitterer Elektronik Callrider Beatsupport

nice price! drei-tage-pass

eur 10,– | 18,– eur 18,– | 34,–

(< 26 Jahre | Erwachsene)

Thee Silver Mount Zion Postrock Museum Gedächtniskapelle stellt am Blue Bird Festival aus.

Blue Bird Festival Eine kleine Sensation ist es schon. Das Blue Bird Festival war bisher ja schon mit heimlichen Helden des Songwriting gespickt. Trotzdem ist der Schwerpunkt zum kanadischen Constellation-Label mehr, als wir hoffen konnten. Silver Mount Zion werden ebenso wie Do Make Say Think zu Gast sein. Postrock-­ Gigantentreffen, wenn man so will. Auch sonst wurde mit viel Liebe ausgewählt und kuratiert. Die Viennale ist erstmals Kooperationspartner. Da singen wir mit den Trashmen: »B-B-B-Bird Bird Bird – The Bird is the Word!«. 21. bis 24. November Wien, Porgy & Bess

ALMA

Vollmondkonzert mit Visuals

7.11.

Mi | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn EUR 12,– | 14,– (VVK | AK)

BU Soap & Skin kann mit Blicken allein Kristalle schleifen. Zu sehen in den Kristallwelten in Wattens.

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FM Riese – Forward Music Festival saison 2012|13

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(01) 505 63 56 www.jeunesse.at

Konzerne werden zu immer wichtigeren Impulsgebern für das kulturelle Leben. Neuerdings Swarovski. In den Tiroler Kristallwelten wird ohnehin schon länger die Verschränkung von Kunst und glitzernden Steinen vorangetrieben, die Klangspuren Schwaz waren regelmäßig zu Gast. Beim FM Riese werden nun Genre­ überschreitungen zwischen Pop, Electronica und Neuer Musik versucht. Das Line-up ist mutig, experimentelle Musiker wie Denseland, Brandt Brauer Frick oder Soap & Skin sind zu Gast. Man darf ein in jeglicher Hinsicht schillerndes Event erwarten. 22. bis 24. November Wattens, Swarovski Kristallwelten

TEXT Lisa Schmid BILD Monika Holzner, Mosz Records, Cooperative Music, Tom Oldham, City Slang, Sebastian Freudenschuss, Fargo Records


TERMINE

M U SIK

highlights nov./dez.

Beach House Die Monarchen des Dream-Pop sind live, nun ja, nicht wirklich eine Wucht, eher ein unaufhaltsame Welle. Die Songs des Duos umspülen das Herz, bedecken es langsam und tragen es an Orte fort, die man vorher nicht kannte. Da bleibt kein Herz und kein Auge trocken. Das ist auch deshalb so erstaunlich, weil ihre Musik eigentlich vollkommen unaufregend gestrickt ist. Entwaffnend. 13. November Wien, Flex

Sa. 10.11. // 20:00 Pop-Satire

Die FM4 Ombudsmann Dienstreise feat. Love & Fist

Mo. 12.11. // 20:00 Alternative

Tindersticks

Mi. 14.11. // 20:00 Songwriter/Folk

Dry The River

Dry the River / Esteban’s

Als Dry The River vergangenes Jahr beim Waves Vienna im Flex gespielt haben, waren sie noch ein Geheimtipp, in England füllen sie seit ihrem Albumdebüt »Shallow Bed« mittelgroße Hallen. Ob ihr Booker genau nachgesehen hat, als er Chelsea gelesen hat? Einen besseren, weil intimeren Rahmen für ihren euphorischen Folkrock gibt es jedenfalls kaum. 14. November Linz, Posthof — 20. November Wien, Chelsea

Do. 15.11. // 20:00 Kabarett

Helmut Schleich: Nicht mit mir!

Why?

Bandleader Yoni Wolf ist der lebende Beweis, dass man mit den richtigen Beats trotz saublödem Bandnamen erfolgreich sein kann. Why? ist er seither sicher hunderte Male gefragt worden. Vor fast zehn Jahren war sein Weißbrot-Rap noch eine außergewöhnliche Sache. Heute schätzt man seine textliche Finesse, seine Beat-Texturen und an den Namen hat man sich auch gewöhnt. 20. November Wien, Arena

Mo. 19.11. // 20:00 Metal

W.A.S.P.

Do. 22.11. // 20:00 Singer/Songwriter

Philipp Poisel / Florian Ostertag

Sa. 24.11. // 20:00 LiteraturSalon

Jack by The Gap Nach einem exzellenten Einstand mit The New Tower Generation lädt Jackmaster Jack wieder in Wiens besten kleinsten Club, das Morisson. Dieses Mal: Phil Madeiski, Guerillero der Wiener Dancemusic, und »Mister Mate« Thomas Stieler von Polynom. Die darf sich eigentlich kein seriöser Elektronik-Jünger entgehen lassen, Moogle und Laminat sowieso nicht. 30. November Wien, Morisson Club

Two Gallants Saddle Creek … als das Label vor 20 Jahren gegründet wurde, war noch nicht abzusehen, dass Alternative Country zu einem der prägendsten Stile der Nuller Jahre wird. Die Two Gallants kamen 2006 dazu und bieten all das, was man sich von aufgeklärten Waldschraten erwartet. 5. Dezember Graz, PPC — 6. Dezember Salzburg, Rockhouse — 7. Dezember Dornbirn, Conrad Sohm — 8. Dezember Linz, Posthof — 9. Dezember Wien, Flex

Martin Walker: Delikatessen

Mi. 28. – Do. 29.11. // 20:00 Kabarett

maschek:

111111 – Ein phänomenaler Fernsehtag

Di. 04. – Fr. 07.12. // 20:00 Impro

13. Österreichische TheatersportMeisterschaften

Sa. 08.12. // 20:00 Indie-Rock

Two Gallants

Mi. 12.12. // 20:00 Kabarett

Gunkl & Uta Köbernick:

Bock auf Kultur

Boy Omega

The Soft Moon

Es ist wieder an der Zeit, die berühmteste Philanthropin Österreichs zu unterstützen. Alle Einnahmen gehen an den Verein Ute Bock. Gehet hin und tut Gutes. Macht es. Echt jetzt. bis 3. Dezember Wien, all over the place (Rote Bar, U4, Camera, The Loft, Pratersauna, Ostklub, Chelsea, Fluc, B72, Brut, Schikaneder, Kabarett Niedermair, Theater Akzent, Schutzhaus Zukunft, Garage X)

Die Biografie von Boy Omega ist arg. Er wird in einer schwedischen Kommune geboren, hat einen verkrüppelten Fuß, wird Skateboard-Profi und schreibt Songs am Fließband. Kein Wunder, dass so jemand viel zu erzählen hat. 15. November Innsbruck, Propolis — 16. November Lustenau, Carini Saal — 17. November Aflenz, Sublime — 18. November Wien, B72

Du wolltest immer schon mal die düstere Stimmung eines Goth/MetalKonzerts erleben, aber hattest dann doch zu viel Schiss vor langhaarigen Headbangern mit Fledermaus-Appetit? Kein Problem, bei Konzerten von The Soft Moon bekommst du es mit existenzieller Angst zu tun, ohne dass du dir um deinen schmächtigen Leib Sorgen machen musst. 2. Dezember Wien, Rhiz

Sonnenschein und die Welt

Do. 13.12. // 20:00 Kabarett

Das Rainald Grebe Konzert Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at


Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.

Kleine Wunschliste ans Christkind

illustration Jakob Kirchmayr

E

igentlich wollte ich in dieser Kolumne zwei Witze zum Besten geben. Ein – wie man so schön sagt – sehr lieber Kollege von mir hat nämlich einen Schwiegervater in Amerika, der sich in den 60er Jahren zwei Gags rechtlich schützen ließ und die nun gesichert mit Copyright in der Library of Congress in Washington vor sich hinreifen. Dummerweise gestaltete sich die Eruierung der Pointen als etwas schwierig. Weder mein Kollege noch dessen Frau haben nämlich die Punchlines der zwei Witze genau im Kopf. Weswegen ich hier nun ankündige, dass ich das beim nächsten Mal nachhole. Obgleich ich doch bereits jetzt ein wenig skeptisch bin. So besonders super können die geschützten Gags wohl auch nicht sein, wenn sie nicht einmal enge Verwandte präsent haben. Erschwerend kommt hinzu, dass ich keine Witze erzählen kann. Da bin ich mir sicher, weil ich kenne nämlich nur drei. Zwei harmlose und einen kurzen, der in vier Zeilen drei Tabus bricht und zur Sorte »Bist-du-deppat-das-hat-der-jetzt-abernicht-echt-gesagt-oder?« gehört. Ich kann aber auch ohne Witze zu erzählen Tabus brechen. Zum Beispiel jetzt gleich über Weihnachten. Ich versuche seit jeher saisonneutral zu schreiben. Also wenn Ostern vor der Tür steht, werde ich mir kaum Gedanken zum Eierfärben machen. Gedanken zum Eierfärben kann man sich eigentlich immer machen. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass es simple Gemüter unabhängig von den kalendarischen Gegebenheiten immer ein wenig am Zwerchfell kitzelt, wenn sie erzählt kriegen, wie eine von der Natur mit der Gabe der experimentellen Wollust gesegnete Mamsell einem brünstigen Eierbären die hohe Kunst der hypobaren Sugillation am Skrotum vorexerziert. Oder etwas volkstümlicher: Ihm am Sackerl die Goggerl blaugrün knutschfleckt. Das ist knapp vor Weihnachten ebenso von zeitloser Tiefe wie Ende September oder Anfang Februar. Da beginnen sich nämlich die ersten Menschen lautstark darüber zu empören, dass Weihnachten, respektive Ostern immer früher in den Supermärkten beworben wird. Ich finde diese Zeitgenossen ja hochgradig

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unsympathisch und könnte ihre Kritik vielleicht einen Deut ernster nehmen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass der kleinste gemeinsame Nenner dieser saisonalen Tugendwächter eine von Scheinheiligkeit ummantelte Masse an widerlichem, von bösartiger Fadesse getriebenen Stumpfsinn ist. Mein Ekel vor diesem Menschenschlag und seiner Berechenbarkeit ist mittlerweile so groß, dass ich seit drei, vier Jahren bereits Mitte Oktober Briefe ans Christkind verfasse, um mich innerlich zu beruhigen. Für heuer habe ich ein paar schöne Sachen auf kariertes Papier gekritzelt. An erster Stelle: Ein Lebensmittelskandal bei Lidl. Damit ich endlich das Wortspiel »Spiel mir das Lidl vom Tod« anbringen kann. Wobei ich nun schon bemerken möchte, dass es gar nicht einmal so ungefährlich ist, was man da so ins Universum schickt. Vor zwei Jahren schrieb ich nämlich: »Bitte mach, dass bald eine Verfilmung von Daniel Kehlmanns Bestsellerroman ›Die Vermessung der Welt‹ ins Kino kommt.« Obwohl ich weiß, dass Literaturverfilmungen, selbst von Superbüchern, in neun von zehn Fällen gacki und einmal richtig gacki sind, hab ich das nicht aus Boshaftigkeit gemacht. Vielmehr wollte ich einfach nur wissen, ob der Titel in abgewandelter Form – wie damals, als das Buch erschien – wieder und immer wieder in Print- und Online-Headlines auftaucht. »Die Vermessung der digitalen Welt«, »Die Vermessung der Welt 4.0.«, »Die Vermessung der Wall Street«, »Die Vermessung des Goldes«, »Der Weltvermesser« etc. etc. etc. Nun, nein muss man sagen. Der Schmäh wurde ausgereizt, als das Buch aktuell war, bei der Verfilmung war dem genug. Danke Christkind, für diese Erkenntnis und mach bitte meinen zweiten Wunsch wahr. Jeder Journalist, der 2013 eine Abwandlung des Filmtitels »Ziemlich beste Freunde« verwendet, soll einen Schlaganfall kriegen, der Berufsunfähigkeit und striktes Alkoholverbot bewirkt. Weiters wünsche ich heuer, mehr Entscheidungsstärke unterm Baum zu finden. Warum, darüber könnte ich ziemlich viel schreiben, oder auch nicht, aber ich kann schon gut leben mit meiner Entscheidungsschwäche. Beim Pizzaessen bestelle ich immer Quatro Stagioni und wenn ich Tee kaufe, entscheide ich mich für den »Selection Pack« von Twinings, da sind fünf Schwarzteesorten zu je fünf Beuteln

drinnen. Super. Zu Quatro Stagioni fällt mir übrigens einer von den drei Witzen ein, die ich kann. Mit Verdi und U-Bahn geht der, aber ich werde ihn nicht erzählen, stattdessen will ich lieber meinen nächsten Wunsch Kund tun: Ich brauch eine bessere Aussprache bitte. Ab und an belle ich wie ein Hund beim Reden und in Englisch hab ich neuerdings komische Aussetzer. Ich treib mich deswegen des Nächtens auf diversen Wörterbuchseiten herum und hör mir die Aussprache-Soundfiles von einzelnen Wörtern an. Manchmal auch von sehr vulgären, weil es mir infantile Freude macht, von der Computerstimme oder einem Native Speaker Begrifflichkeiten wie cocksucker oder pussy eater um die Ohren geschlagen zu kriegen. Ich hör mir das aber auch auf Deutsch an und lach mich oft ziemlich schief. Vor allem, weil die Frauenstimme auf leo.org »Muschi« nicht richtig ausspricht. Sie sagt immer [die muski] und ich denke dann meist an die drei Muskitiere, summe die alte Volksweise »Muski denn, muski denn, zum Städtele hinaus“« und hab deswegen ganz unbescheiden noch einen vierten Wunsch ans Christkind formuliert. Neue Wörter für das weibliche und männliche Geschlechtsorgan. Ein paar Ideen dazu wären schon aufgeschrieben. Für die Herren etwa: 1. Knoblauchpresse; 2. Herausgeber; 3. Knick-Name; 4. Kevin Luzia; 5. Bügelstation. Und für die Damen: 1. Bananengarage; 2. Offenes Geheimnis; 3. Amazon.com; 4. Big Bass; 5. Bügelstation. Dass Bügelstation zweimal vorkommt, hat übrigens einfache Gender-Gründe. Die führe ich das nächste Mal genauer aus, dann erzähle ich vielleicht auch den Witz zu Bügelstation, der mit »geht ein Mann mit einbandagiertem Kopf in die Bäckerei« beginnt.

Illbilly The K.I.T.T. www.facebook.com/ illbilly


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Demner, Merlicek & Bergmann

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Bis 2050 sollen die EU-weiten CO2-Emissionen im Transportbereich um 95% reduziert werden. Dieses Ziel könnte durch einen Umstieg auf Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft erreicht werden.

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Die OMV betreibt heute schon in Wien Österreichs erste Wasserstofftankstelle. Und sorgt so für freie Fahrt, wenn die ersten Wasserstoffautos in Serie gehen.

t elt d e We S e di en Si tdeccke td ent elen el ppe D pp Do t a ch auff omv.a V au OMV d r OM de Wo nehmen die Kinder nur die Energie her? Sicher auch von der OMV. Denn was immer sie vorhaben, die OMV sorgt heute schon für die Energie von morgen. Für Österreich und ganz Europa.

Mehr bewegen. Mehr Zukunft.


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