The Gap 164

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Pop × Politik

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N° 164

€ 0,—

AUSGABE AUGUST / SEPTEMBER 2017 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. | GZ 05Z036212 M


22.–23. Sept. 2017 TAbAkfAbrik, LiNZ CRAFTBIERFEST.AT

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SAVe tHe DAte: 24.–25. NOV. 2017, MArX HALLE, WiEN

2.000 M2 biErkuLTur KULINARIK • SPIRITUOSEN

CRAFTBIERFEST

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Editorial Das Sommerloch hat immer Saison

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Manuel Fronhofer, Martin Mühl Chefredakteurin Yasmin Vihaus Leitende Redakteure Manfred Gram, Thomas Weber

Die Temperaturen werden heißer, die Nachrichten knapper – eine Formel, die sich in Redaktionen von tagesaktuellen Medien jährlich bewahrheitet hat. Sind politische Themen rar, müssen neue Geschichten gefunden werden, die vielleicht weniger relevant, für den Leser – auf den ersten Klick – aber nicht unbedingt weniger interessant sind. Schon bevor das Internet Katzen zu »the thing« erklärte, war Redaktionen bewusst, dass sogenannte SommerlochTiere irgendwie immer gehen, unabhängig vom Nachrichtenwert und vor allem dann, wenn sonst nichts geht. So wurde in der KurierAusgabe vom 23. August 2012 etwa über die Suche nach einem »Killerwels«, einem »Geburtsschwein« und einem Krokodil berichtet. Was in der Printausgabe vielleicht nur im Sommer passiert, hat online schon das ganze Jahr Saison. Artikel, Videos und Fotos werden viral, weil sie geklickt und geshared werden, nicht unbedingt weil sie gesellschaftspolitisch relevant sind. (Rest in peace, Harambe.) Online hat Sommerloch-Content immer Saison, denn auf ein bisschen Soft Content wollen all jene, die sich ihre Nachrichten selbst kuratieren, auch unterm Jahr nicht verzichten. Was diesen Sommer betrifft, können sich klassische Medien dafür nicht wirklich über zu wenig Themen in der Polit-Berichterstattung beklagen. In Hamburg hielt der G20-Gipfel, der in den letzten zehn Jahren übrigens nur ein Mal im Sommer stattfand, Journalisten und Medienmenschen in Atem. In Österreich stehen Journalisten unterdessen in den Startlöchern für den anstehenden Wahlkampf. Mit Letzterem beschäftigen wir uns auch in unserer aktuellen Coverstory, in der es um das Zusammenspiel zwischen Pop und Politik geht. Außerdem porträtieren wir die Kosmos-Theater-Intendantin Barbara Klein und werfen – wenn auch weniger politisch – im Rahmen einer Fotoreportage einen Blick nach Hamburg. Tier-Content sucht man in dieser Ausgabe leider vergeblich, unsere Leserinnen und Leser wissen sich aber vermutlich ohnehin selbst zu helfen.

Yasmin Vihaus

vihaus@thegap.at • @yasmin_vihaus

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Art Direction Sig Ganhoer Gestaltung Sig Ganhoer, Michael Mickl Autoren dieser Ausgabe Barbara Fohringer, Manfred Gram, Michael Kirchdorfer, Magdalena Meergraf, Simone Mathys-Parnreiter, Michael Mazohl, Thomas Nussbaumer, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Gabriel Roland, Zoran Sergievski, Tobias Siebert, Werner Sturmberger, Alexandra-Maria Toth, Jonas Vogt Kolumnisten Therese Kaiser, Gabriel Roland, Martin Mühl, Illbilly Fotografen dieser Ausgabe Erli Grünzweil (Cover), Patrick Münnich, Armin Rudelstorfer, Nikolaus Ostermann Lektorat Adalbert Gratzer, Irina Zelewitz Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Clemens Reichholf, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Pulverturmgasse 3, 1090 Wien Geschäftsführung Martin Mühl Produktion & Medieninhaberin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien Kontakt The Gap c/o Monopol GmbH Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Monopol GmbH, Bank Austria, IBAN AT 54 1200 0515 8200 1929, BIC BKAUATWW Abonnement 10 Ausgaben; Euro 19,— www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Magazin

Wahlgesänge Pop × Politik

012

020 Unendliche Weiten der Differenz Star Trek 026 Frauen brauchen Raum Barbara Klein im Porträt 030 20 Jahre Röda Jung sein in einer Kleinstadt ohne Smartphone

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034 Die Olivia-Jones-Familie Reeperbahn real 042 Leben als Game-Entwickler in Österreich Play Austria 048 20 Jahre The Gap Ein Fest in Bildern

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034 Magdalena Meergraf schreibt seit zwei Jahren für The Gap über Kultur in ihren verschiedenen Facetten und taucht dabei am liebsten in die Lebensgeschichte der Menschen dahinter ein. Für diese Ausgabe hat sie sich mit Barbara Klein, Intendantin des Kosmos Theaters, getroffen. Herausgekommen ist ein Porträt über eine Frau, die mit ihrem zivilgesellschaftlichen Kampf um öffentlichen Raum die Wiener Theaterszene ordentlich aufgemischt hat. Seite 026

Simone Mathys-Parnreiter

048

studierte Kunsthistorikerin und passionierte Generalistin. Hintergrund im Musikbereich und Vordergrund im Crowdfunding als Vertreterin der Crowdfunding-Plattform wemakeit in Österreich. Seite 020

Michael Mazohl

Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Leitweber 018 Golden Frame 044 Workstation: Harald Nussbaumer, Rene Carl Weber 050 Prosa: Jakob Pretterhofer 052 Gewinnen 053 Rezensionen 060 Termine

Kolumnen

studierte Digitale Kunst an der Angewandten zum Angeben. Er fotografiert mehr, als er schreibt, für Magazine in Österreich und Deutschland, mit dem Schwerpunkt Reportagen und Editorial Porträts. Für diese Ausgabe ließ sich der Wiener Fotograf und Autor in Hamburg einen Tag lang von der Olivia Jones Familie adoptieren. Seite 034

Zoran Sergievski hat Publizistik fertig studiert und war kurz davor, den Taxischein zu machen. Dann kam ein Sommerpraktikum bei The Gap dazwischen. Für diese Ausgabe hat er die Verstärkerkabel für die Coverstory, Termine und die Workstation besorgt. Seite 060

008 Lokaljournalismus: Martin Mühl 009 Einteiler: Gabriel Roland 010 Gender Gap: Therese Kaiser 066 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly

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K Thomas Weber

ist Herausgeber von Biorama und ehemaliger Herausgeber von The Gap

M I

Im Frühsommer hatte ich das Vergnügen, mich gleich von einer ganzen Reihe angehender junger Kolleginnen und Kollegen im Akkord interviewen lassen zu dürfen. Sie hatten sich bei FM4 um einen Moderatorenjob beworben. Die Radio-Altvorderen hatten bereits ordentlich ausgesiebt und mich für die Verbliebenen als Gast-Interviewpartner geladen, mich damit dem eigenen Redaktionsnachwuchs gewissermaßen als – grundsätzlich freundlich gestimmten – Endgegner gegenübergesetzt. Jeweils vier Minuten waren Zeit, mich wahlweise auf Deutsch oder Englisch zu befragen. Auffällig dabei war neben der hohen Professionalität aller Kandidaten vor allem eines: das große Interesse an der Frühzeit von The Gap um die Jahrtausendwende, also zu einer Zeit, als alle meine Interviewer selbst noch Kindergarten-, Vor- oder Volksschulkinder waren. Trotz des umfangreichen Themenkatalogs im Moderations-Briefing wollten letztlich alle wissen, wie das denn damals war, vor 20 Jahren. Und so erzählt man – bekennend, dass man selbst ja erst ab dem zweiten oder dritten Jahr Teil des Ganzen gewesen – halt aus dem Mesozoikum der Medienzeitalters; von Musiker-Interviews, die man vom Münzfernsprecher des Neuen Institutsgebäudes (NIG) der Hauptuni Wien aus koordiniert hat, mit Plattenfirmen, die es längst nicht mehr gibt. Neben der Erkenntnis, dass heute kein Mensch mehr »Hauptuni« sagt, und es sich kaum noch vermitteln lässt, dass es für sogenannte »Indie-Bands« einst als Tabubruch galt, sich auf die »Plattenindustrie« einzulassen, tauchte da irgendwann die für mich verblüffende Frage auf, ob es denn nun auch so was wie Nostalgie gäbe, Wehmut gar. Nun, meine Antwort wäre auch heute, da ich gerade an meinem letzten Leitartikel für The Gap sitze, die gleiche: Nein, Nostalgie, die gibt es nicht. Nur Stolz, Dinge geschaffen,

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verdammt viel Spaß dabei gehabt, durchgehalten zu haben. Und Ja, richtig gelesen: Dies hier ist mein letzter »Leitweber« für dieses Magazin, dem ich zwar beratend und als einer der Eigentümer erhalten bleibe, dessen Herausgeberschaft ich aber mit Erscheinen der aktuellen Print-Ausgabe abgebe. Diesen Entschluss habe ich meinen Kollegen bereits im Winter kundgetan, die ihn wie ich als absolut stimmigen und konsequenten Schritt einer persönlichen Entwicklung erachten. Künftig werde ich mich bevorzugt dem jüngeren Schwestermedium von The Gap widmen: dem Magazin Biorama und dessen Onlineplattform biorama.eu, wo neben Nachhaltigkeit auch Kulturthemen und ebenso ein Teil der mich seit Langem beschäftigenden Kreativszene gut aufgehoben ist. Themenvorschläge, Kontakte und vereinzelt auch Artikel werde ich The Gap aber weiterhin liefern. An dieser Stelle wird in Zukunft abwechselnd Meinungsstarkes von Manuel Fronhofer und Martin Mühl zu lesen sein, die sich die Herausgeberschaft fortan teilen. Beide garantieren Kontinuität. Bei Manuel handelt es sich um einen der beiden Gründer dieses Mediums, der bis auf eine kurze Absenz (fast hätte ich geschrieben: Abstinenz) durchgehend für The Gap aktiv war. Auch Martin Mühl ist länger als ich für The Gap tätig – viele Jahre als einer der prägenden Autoren, später als Chef vom Dienst und Chefredakteur, seit Längerem nun auch als Geschäftsführer des gesamten Medienunternehmens, das rund um The Gap gewachsen ist. Inhaltlich federführend bleibt mit Yasmin Vihaus eine vergleichsweise jugendliche Chefredakteurin – mit eindeutig popkultureller Sozialisierung und großem Interesse für Kreativwirtschaft und das Startup-Geschehen. An ihnen liegt es nun, mit The Gap und vor allem auch thegap.at weiterhin den Spagat

zu schaffen, gleichzeitig ein inspirierendes, kritisches und maßgebliches Medium wie auch ein verlässlicher Partner der Kunst-, Kultur- und Kreativbranche zu sein. Ganz klar: Leichter wird das auch in Zukunft nicht werden. Leicht war es aber auch nie – um zurück zur Frage nach der Nostalgie zu kommen und den bloß vermeintlich goldenen vordigitalen Zeiten. 20 Jahre sind eine lange Zeit, vier Interviewminuten verdammt kurz. Hätte mich allerdings einer der FM4-Bewerber auf meine Zukunft bei The Gap angesprochen, hätte ich meine Rückzugsabsicht nicht zurückgehalten. Jedenfalls: Gutes Gelingen und viel Glück – den jungen Kolleginnen und Kollegen. Und ganz besonders The Gap. weber@thegap.at • @th_weber

Jürgen Schmücking

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Leitweber Nostalgie? Nein, danke!

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R F N w


KEIN KUNSTSTÜCK: PLASTIKFLASCHEN TRENNEN!

Bezahlte Anzeige

MÜLLTRENNEN: IMMER EIN VOLLTREFFER.

Rund 5.000 Tonnen Plastikflaschen werden in Wien jährlich getrennt gesammelt und u.a. wieder zu Flaschen verarbeitet. Pro Kilogramm gesammelter PET-Flaschen spart man 2 kg Erdöl gegenüber der Neuproduktion einer PET-Flasche. Tipp: Neben Getränkeflaschen gehören auch andere Plastikflaschen, wie z.B. für Wasch- oder Reinigungsmittel, in die Gelbe Tonne. www.abfall.wien.at The Gap 164 002-011 Splitter.indd 7

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Martin Mühl isst sich durch Wien

Charts Catherina Hazotte TOP 10

Deutschrap-Songs 01 Ufo361 – Scottie Pippen 02 KIZ – Raus aus dem Amt feat. Wolfgang Wendland, MC Motherfucker 03 Jugo Ürdens – Diesdas 04 Yung Hurn + RIN – Bianco 05 Frauenarzt – Zieh dein Shirt aus 06 MC Bomber – Feiern und ficken 07 187 Straßenbande – 10 Jahre 08 Haftbefehl – 069 09 Haiyti – Playboy Cartel feat. Hustensaft Jüngling 10 SXTN – Bongzimmer

Lokaljournalismus Fischerhaus: Süditalien auf der Höhenstraße

Top 03

Deutschpunk-Zitate 01 Die Tendenz im Punkrock geht immer mehr zur Eigentumswohnung hin – Wolfgang Wendland 02 Ich trinke ein Getränk und esse ein Geäst – Wizo 03 Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland – Terrorgruppe

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Catherine Hazotte macht Werbung und schreibt über Musik und die Kreativszene in Österreich. Im Herbst erscheint ihr erstes Buch.

Charts Michael Buchinger TOP 10

Dinge, die ich nervig finde 01 Leute, die auf Rolltreppen nicht rechts stehen, sondern links 02 Passagiere, die eine Sekunde nach Boardingaufruf aufspringen 03 Menschen, die unfreundlich zu Kellnern sind 04 Entzündungen im Mund 05 Leute, die beim Reden spucken 06 Kostümpartys 07 »Du hast NUR Englisch studiert?« 08 Restaurants, in denen das einzige vegetarische Gericht »Frittiertes Gemüse mit Sauce Hollandaise« ist 09 Leberkässemmel an Sommertagen in der U-Bahn 10 Tauben

Top 03

Dinge, die alle nervig finden, ich aber eigentlich mag 01 Die Minions 02 Hausgeist Mia 03 Mich selbst Auch nicht schlecht: Pommes Österreichs bekanntester Hass-Vlogger veröffentlichte kürzlich ein Buch und einen Frizzante.

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Nach Betreiberwechseln und einem Gastspiel von Patrick Müller (Punks) letzten Sommer kocht nun im Fischerhaus an der Höhenstraße ein Italiener mit dem klingenden Namen Generoso Palladino. Dafür wurde das Fischerhaus mit seiner großen Terrasse kaum verändert und in der Küche dominiert nach wie vor der mit Holz befeuerte Ofen. Neben Bruschetta oder auch Oktopus zur Vorspeise gibt es hier unter anderem eine dick eingekochte Fischsuppe, die stark nach Kräutern und Gemüse schmeckt, vielleicht aber ein wenig mehr Fisch vertragen hätte. Oder auch Burrata, als eine von mehreren Büffelmozzarella-Vorspeisen. Diese kommt in dem Fall in Form von zugebundenen Säckchen, gefüllt mit Stracciatella (dem Käse aus Wasserbüffelkuhmilch). Bei den aktuell heißen Temperaturen eine zwar nicht leichte, aber kühlende Speise. Unter den vier »Primi Piatti« gibt es neben einem Risotto oder in Butter und Salbei (angeblich aus dem Garten des Hauses) geschwenkten Gnocchi klassischerweise Spaghetti mit gekochten Mies- und Venusmuscheln in öliger Weißweinsauce. Selbstverständlich auf den Punkt gekocht. Aus den fünf »Secondi Piatti« darf unter anderem aus Fischsuppe, Steak und Muscheln gewählt werden. Es gibt aber auch Goldbrasse oder Wolfsbarsch im Ganzen gegrillt und als süditalienische Spezialität: Gebratenen Wildhasen in Weißwein. Dieser wird mit ungewöhnlich, aber willkommen stark gekümmelten Bratkartoffeln serviert und fällt wuchtig aus. Einerseits ist die Portion wirklich groß – und auf der anderen Seite kommt das Fleisch am Knochen und versucht gar nicht erst seine Herkunft zu verstecken. Die einzelnen Speisen werden im Fischerhaus nicht überteuert angeboten, summieren sich bei mehreren Gängen aber durchaus. Die Weinkarte mit je vier Weiß- und Rotweinen (jeweils drei davon aus Italien) ist überschaubar, aber gelungen. Das Ambiente inklusive Kellnern betont südlich. muehl@thegap.at • @muehlmartin Fischerhaus, Höhenstraße / Rohrerwiese 223, 1190 Wien fischerhaus.co.at

Speisen 4,90–22 Euro

Andreas Jakwerth, Martin Mühl

Auch nicht schlecht: AMK

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Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

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Erli Grünzweil

Manchmal kann man sich nichts Ruhigeres vorstellen als blaue Punkte in einem unregelmäßigen Raster. Der eine mag etwas größer sein, der andere dafür etwas runder. Und auch wenn ihre Farbe nicht gleichmäßig ist, so scheinen die schwankenden Reihen doch friedlich auf ihrem wallenden Untergrund zu ruhen – friedlich und vor allem malerisch und auch sommerlich. Der Fluss der blauen Punkte und des weißen Stoffes ist natürlich weder zufällig noch selbstverständlich. Als Rohmaterial ist er zwar die Voraussetzung für ein Kleidungsstück, aber wie oft spricht man von Stoff und seiner Gestaltung als eigenständigem Interessensgebiet? Wer macht sich jenseits von Materialzusammenstellungen über die Herstellung von Textilien Gedanken und wer kennt TextildesignerInnen? Auch wenn ihre Erzeugnisse direkt am Körper liegen, ist die Welt der Textilerzeugung weit weg von den EndverbraucherInnen. In den letzten Jahren aber hat der Digitaldruck das Verhältnis von Bild und Textil grundlegend verändert. So hat die Digitalisierung wie in vielen anderen Sparten auch in der Modebranche Produktion und Konsum enger zusammengebracht. Im Freudentaumel der Fertigung nach individuellen Maßgaben und Vorstellungen wird oft vergessen, dass diese direkte Verbindung in den meisten Fällen alles andere als ein Ersatz für die Arbeit von DesignerInnen ist. Gleichzeitig bedeutet die Digitalisierung aber auch eine Reduktion der Mindestproduktionsmengen und damit eine massive Erweiterung des Gestaltungsfreiraumes für kleine Labels. Vor einigen Jahren wäre es für eine Marke wie Sightline noch unvorstellbar gewesen, eigens für eine Kollektion Stoffe herstellen zu lassen. Heute ist der Weg von einem Wasserfarbenentwurf zum gepunkteten Stoff einer Bundfaltenhose ungleich kürzer und ökonomisch machbar. Bei manchen kleinen Labels sind selbst entworfene Stoffe daher ein beliebter Weg geworden, sich von der Konkurrenz abzusetzen. Auch wenn sich Sightline nun die digitale Flexibilisierung des Textildrucks zunutze macht, liegen die Ursprünge des Labels im unvermittelten Kontakt zu den EndverbraucherInnen: Vivien Sakura Brandls jahrelange Erfahrung als Inhaberin des Sight Stores in Wien inspirierte sie schließlich zum eigenen Label. Textilien werden für ihre Entwürfe auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Für FW17 / 18 darf man sich auf Über Sightline kann man sich unter www.sightline.at raren japanischen Denim freuen. informieren. Die besprochene Hose und die anderen Teile der roland@thegap.at • Sommerkollektion 2017 sind noch im Sight Store in der Kirchen @wasichgsehnhab gasse 24, 1070 Wien erhältlich.

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Einteiler Punktungenau

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Therese Kaiser

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

Warum sich unsere Clubkultur verändern muss. ———— Ein heißer Wiener Sommerabend im Juli, ein vollgepacktes AU: female:pressure lud zum Austausch rund um Diversität im Club, und nicht nur am Podium, sondern auch im Publikum versammelten sich unzählige Wiener Veranstalterinnen. Gleichzeitig wurde irgendwo im Wald zu einem all-male Lineup getanzt – dass solche Veranstaltungen überhaupt noch existieren, verwundert mich ehrlich, gerade abseits von Kommerz. Aber viel wichtiger: Warum bemühen wir uns eigentlich um diverse(re) Lineups? Wenn wir davon ausgehen, dass Sichtbarkeit essenzielles Instrument ist, um (Geschlechter-)Stereotypen entgegenzuwirken und marginalisierten Gruppen Zugang zu erleichtern, dann macht es Sinn, herzuzeigen, dass elektronische Musik nicht ausschließlich wie ein weißer Mann aus Europa aussieht. Erst kürzlich wurde ich auf Facebook mit dem Argument beworfen, nur 8 % der DJs in Österreich wären weiblich, deswegen auch magere female Bookings. Eine Statistik, die natürlich nicht existiert – alleine dass sie valide aussieht, zeigt, welche Mythen durch den elektronischen Musikbereich geistern. Statistik ist ein gutes Stichwort: DJ und Produzentin Electric Indigo gab erste Einblicke in die aktuelle female:pressure-Statistik, die den Anteil von Künstlerinnen auf Festival-Line-ups erhebt. Wenig überraschend stechen in Österreich vor allem Hyperreality und das Electric Spring mit ausgeglichenen Line-ups hervor, aber das wissen wir spätestens, seit Hannah Christ mit ihrer Statistik zum Booking-Verhalten österreichischer Veranstaltungskollektive Wellen schlug. Weitere wenig überraschende Trivia hierzu: Sowohl Hyperreality als auch das Electric Spring wurden von Frauen kuratiert. Fast alle DJs, die ich persönlich kenne, sind Frauen. Aber natürlich mache ich nicht den falschen Rückschluss, 90 % aller DJs wären Personen, die sich selbst das Adjektiv »female« zuschreiben, da ich ja mitbedenke, dass sich ja mein Netzwerk entsprechend reproduziert. Männliche Veranstalter, Booker und DJs sollten sich also ebenso dessen im Klaren sein, dass ihr Bild der Realität womöglich kein objektives ist. Langer Rede kurzer Sinn:

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Ja, es gibt unzählige weibliche und non-binary DJs und Ja, es gibt tatsächlich strukturelle Zugangsbarrieren, und Ja, man kann sich auf unterschiedlichste Arten bemühen, diese Barrieren zu überwinden. Bei Hyperreality hat der Bürgerkurator eindrucksvoll gezeigt, dass ein 50-50-Line-up möglich ist und dass es nicht nur zwei Geschlechter oder nur einen Kontinent gibt. Neben der Frage nach Geschlecht sind es nämlich auch Herkunft, sexuelle Orientierung, Alter oder Klasse, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Wenn ich über Geschlecht und elektronische Musik schreibe, dann bin ich ernsthaft überzeugt, dass diese Sphäre fast noch relevanter ist als die der klassischen Erwerbsarbeit. Es geht hierbei nämlich um einen Bereich unseres Lebens, der für viele Menschen über reinen Hedonismus hinaus eine Form von Freiheit bedeutet, ein Raum, in dem wir im besten Fall alle gleich sind, in dem es egal ist, wie viel Geld wir am Konto haben, woher wir kommen, mit wem wir am liebsten schlafen oder wie wir uns gerne anziehen und dabei aussehen. Ein Raum, der sich womöglich sogar kapitalistischen Mechanismen entziehen könnte. Das ist die Utopie, die stark – auch historisch – an elektronischer Musik hängt, und dass die Realität anders aussieht, ist klar, aber auch nicht unbedingt notwendig. In meinen 15 Jahren aktiver und passiver Cluberfahrung, als Veranstalterin, DJ oder Gast, habe ich durchaus Orte gesehen, an denen diese utopischen Werte gelebt oder zumindest angestrebt werden. Und je näher an diesem Ideal, desto angenehmer die Events. Ich will am Samstagabend bei meinem Versuch, in eine andere Welt einzutauchen, keine fremde Hand an meinem Arsch haben, will mir von keinem besoffenen Mann erklären lassen, wie mein Übergang geklungen hat oder ob ich aussehe wie eine Schlampe beim Auflegen oder nicht (alles schon passiert). Und ich will mich als Frau im Club nicht ständig als Objekt, Dekoration oder »die Freundin von XY« fühlen müssen. Ich will nicht ständig nachgesagt bekommen, meine Bookings wären Ergebnis meiner Brüste, und ich will auch nicht ständig belehrt werden, von Männern, die alles besser zu wissen scheinen.

Auch im AU werden viele dieser Themen abgehandelt, und auch hier sind es vor allem ewig gleiche Line-ups, sexuelle Belästigung im Club und der enge Fokus vieler Veranstaltungen, die dazu motiviert haben und nach wie vor motivieren, alternative Zugänge zu finden. Electric Indigo und Aiko Okamoto (female:pressure), Hannah Christ (Scheitern, Utopia 3000, femdex), Marlene Engel (Bliss, Hyperreality), Susi Rogenhofer (Gemeindebautöne, Dub Club Vienna), Hicran Ergen (Gravité) sowie Dacid Go8lin (Femme DMC) gaben Einblick in ihre persönlichen Strategien, unsere Clubkultur nachhaltig zu verändern und egalitärere Strukturen einzufordern. Während die einen vor allem darauf setzen, Neues entstehen zu lassen, abseits etablierter Institutionen, versuchen andere, eben diese umzukrempeln. Was effektiver ist, spielt keine Rolle, sondern vor allem: Dass es passieren muss, dass wir endlich aufhören müssen, Mythen um technisch wenig begabte weibliche DJs zu wiederholen oder so zu tun, als gäbe keine Schieflagen, die irgendetwas mit Geschlecht, Herkunft oder Ressourcen zu tun haben könnten. Und bis wir diese Diskussion nicht mehr führen müssen, werden wir solidarisch und kompromisslos weiter das machen, was wir am besten tun: diversere Line-ups einfordern, selbst zeigen, wie’s funktioniert und Normcore-Events boykottieren. kaiser@thegap.at @thereseterror Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des feministischen Business Riot Festivals und ist vor allem auf Instagram anzutreffen. facebook.com / businessriot instagram.com / thereseterror

Pamela Rußmann

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Gender Gap Subcultures under Pressure

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012 Erli GrĂźnzweil

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Österreich steht zwischen Bundespräsidenten- und Nationalratswahl, und das Verhältnis von Populärkultur und Politik ist immer noch schwierig. Zeit für eine Bestandsaufnahme. ———— Vor etwas mehr als einem halben Jahr ging ein kollektives Aufatmen durch die österreichische Kulturszene. Im Dezember 2016 besiegte Alexander Van der Bellen Norbert Hofer, seinen Konkurrenten um das Amt des Bundespräsidenten, im finalen zweiten Wahlgang mit 53,79 Prozent. Ein Sieg, den »die Zivilgesellschaft« für sich reklamierte. Überall im Land waren Menschen gerannt, hatten ihre Positionen in den sozialen Netzwerken dargelegt und ihre Großmütter überzeugt. Und auch Teile der Musikszene hatten sich ins Zeug gelegt. Von Wahlaufrufen von Clara

1966

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Beatniks 62 & Herbert O. – »Es ist schon spät« In der frühen Wiener Beat-Szene ist die Politik meist mehr oder weniger subtil versteckt. Ein gutes Beispiel: »Es ist schon spät« von den Beatniks mit dem Kurier-Journalisten Herbert O. Haupt. Ein weirder Endzeit-Protestsong.

Luzia oder Nazar (»Brudi VdB«) über semiselbstorganisierte »Presidential Raves« der Wiener Clubszene bis zum Auftritt von Skero und 5/8erl in Ehr’n bei »Stimmen für Van der Bellen« im Konzerthaus und Fendrichs Freigabe von »I am from Austria« für eine Kampagne hatte sich eine breite Front aus Musikern für den ehemaligen Chef der Grünen starkgemacht. Das war auch deren Sieg. Zumindest ein bisschen. Nicht immer ist das Verhältnis von Politik und Populärkultur so einfach. Im Grunde wird es bis heute immer wieder neu verhandelt. Zahlreiche Wissenschaftler, insbesondere aus den Subcultural Studies, haben in den letzten 35 Jahren versucht, es endgültig zu entwirren. Doch immer wenn Kulturtheoretiker wie Dick Hebdige oder Stuart Hall gerade damit fertig waren, Jugendkulturen und ihre Codes eindimensional politisch aufzuladen, kamen Leute wie Steve Redhead oder Sarah

1976

Die Proletenpassion Auf den Wiener Festwochen wird »Die Proletenpassion« von den Polit-Rockern Schmetterlinge uraufgeführt. Über zwei Stunden lang beschäftigt sich das mit Herrschaftsverhältnissen aus der frühen Neuzeit bis heute.

Thornton daher und zeigten überzeugend auf, dass es so einfach vielleicht nicht ist. Viele politische Kampagnen bedienen sich popkultureller Ästhetik, gerade wenn sie junge Wähler ansprechen wollen. Das ikonische »CHANGE«-Poster von Barack Obama

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» Im Zuge der Bundespräsidentenwahl haben wir die Socials österreichischer Musiker durchforstet und feststellen müssen, dass es den jungen, aber durchaus erfolgreichen Bands am notwendigen Mut fehlt.« — Isabella Khom

ist ein prototypisches Beispiel. Genau wie Celebrity Endorsements oder Polit-Auftritte auf Konzerten (wie Jeremy Corbyn auf dem Glastonbury vor ein paar Wochen) kann das, wenn die Ansprache authentisch und dezent geschieht, sehr gut funktionieren. Die Fallhöhe ist allerdings immens. In den schlechteren Fällen ist es ein bisschen so, als würde der eigene Onkel plötzlich in zerschnittenen Jeans in die Wohnung stürmen und »Ich bin motiviert vong Party her« jaulen. Das Beispiel

1979

Wiener Blutrausch Einer der wichtigsten Sampler dokumentiert die frühe Wiener Punkszene: Drahdiwaberl, Chuzpe, Minisex, Mordbuben AG, Metzlutzkas Erben mit Songs wie »Heimatland« oder »Kaiserhymne«.

ist übrigens gar nicht so weit hergeholt: Als die Neos letztes Jahr darüber nachdachten, die Wahl in der Leopoldstadt anzufechten, hängten sie im 2. Bezirk »Was ist das für 1 Schlamperei?«-Plakate auf.

Jetzt sag doch auch mal was dazu! Wir leben in hochpolitisierten Zeiten. Die beiden vergangenen Jahre brachten die WienWahl, die Flüchtlingskrise, die Bundespräsidentenwahl. Die Politik fand nicht mehr im fernen Parlament oder im noch ferneren ORF statt, sondern kroch in den Alltag, die Freizeit, die Facebook-Feeds. Und die Kulturschaffenden waren mittendrin. Dass Musiker politisch Stellung beziehen hat durchaus eine lange Tradition. Auch Östereich muss da nicht zurückstehen. Die Liste an heimischen Musikern und Musikerinnen, die sich immer mal wieder mehr oder minder politisch äußern, ist lang. Indie / ElectronicActs wie Squalloscope, Ana Threat oder Ja, Panik; HipHopper wie Kid Pex und Def Ill (letzterer spendete alle Einnahmen von seinem Album R.A.F. – Refugees ain’t Fugitive an die Flüchtlingshilfe); Austropopper wie Hubert von Goisern oder Ostbahn-Kurti. Isabella Khom, Chefredakteurin der Musikplatt-

form Noisey, sieht das allerdings ein bisschen differenzierter. Es seien meist nicht die wirklich Großen, die Stellung bezögen. »Im Zuge der Bundespräsidentenwahl haben wir die Socials österreichischer Musiker durchforstet und feststellen müssen, dass es den jungen, aber durchaus erfolgreichen Bands am notwendigen Mut fehlt.« Ab einer gewissen Bekanntheit sei es offensichtlich der entspanntere Move, sich für Neutralität zu entscheiden. Oder für ein verhältnismäßig neutrales Statement wie ein Auftritt beim Voices for Refugees, dem riesigen Benefizkonzert am Heldenplatz im Jahr 2015. Hannes Tschürtz, Ink-Music-Chef und langjähriger Beobachter der Szene, sieht das ähnlich. »Ich halte Österreich für insgesamt wenig polarisiert. Und ich denke, das gilt in einer bestimmten Weise auch für die Musikszene.« Er persönlich schätze ohnehin den subtilen Zugang: Künstlern, die nicht direkt Partei ergreifen, aber letztlich durchaus tiefgründige gesellschaftliche Kritik üben. Einen oft gar nicht so angenehmen Aspekt kann man wahrscheinlich nicht ausblenden: Natürlich hilft das alles auch ein bisschen im Aufmerksamkeits-Game. Man braucht niemandem Kalkül unterstellen, das würde wohl auch schnell durchschaut werden und nach hinten losgehen. Aber über authentische, politisches Interviews reden die Leute. Genauso wie über Deichkind in der vollen »Re-

1986

Falco – »The Sound of Music« Es beginnt in einem Wald / Alle Rechte sind bezahlt / Es es endet doch daheim / Meine Hände sind so kalt / Denn die Zeit die ging ins Land / Meine Seele ist so rein. Der Anfang des Songs wird oft als Falcos Kommentar zur Waldheim-Affäre interpretiert.

fugees Welcome«-Kluft beim Echo 2015 oder Mira Lu Kovac im »Make Feminism A Threat Again«-T-Shirt beim heurigen Amadeus. »Ich freu mich immer, wenn sich meine Bands politisch äußern, dann verkaufen die mehr Platten« sagt ein Wiener Labelchef dazu, und das auch nur halb im Scherz.

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Wir leben in hochpolarisierten Zeiten. In Wahlkämpfen fällt die Unterstützung für gewöhnlich Parteien wie SPÖ oder den Grünen zu. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. In Niederösterreich hatte Erwin Pröll die Kulturszene großzügig finanziell unterstützt und an die nur lange Leine genommen. Sie dankte es ihm, indem sie den Landeshauptmann vor Wahlen lobte oder zumindest still blieb. Die Musikszene gilt gemeinhin als »links«, und wenn man sich ihre Positionierung in den Politduellen anschaut, könnte man dem auf

1993

Lichtermeer Am 23. Jänner 1993 gehen 250.000-300.000 Menschen in Wien gegen Fremdenhass auf die Straße. Es erscheint auch ein Sampler mit weitgehend politischen Songs von EAV, Georg Danzer, Wolgang Ambros oder STS.

den ersten Blick fast zustimmen. Doch das ist vielleicht zu einfach. Während es natürlich Musiker, Bands und ganze Subszenen gibt, die man guten Gewissens links verorten kann, sind es im Normalfall eher die Fragen gesellschaftlicher Liberalität, die Musiker zumindest auf die sozialmedien Barrikaden treibt. Das ließ sich im Van-der-Bellen-Wahlkampf gut beobachten: Es ging immer um ein drohendes dumpfes, enges Österreich, mit dem offenen, rauchenden Wirtschaftsprofessor als Kontrastprogramm. Das hatte sicher seine Berechtigung, aber »links« war das nicht. Auf dieser Gefühlsebene konnte man sich dort problemlos mit bürgerlichen ÖVPlern oder Liberalen treffen. Das roch ein bisschen nach dem Versprechen von Offenheit, mit dem auch Kreisky die Kulturschaffenden und Intellektuellen dazu brachte, das berühmte Stück des Weges gemeinsam zu gehen. »Ich glaube, dass die Musikszene tendenziell links ist, trifft nicht ganz den Kern, auch wenn es einige Musikjournalisten gern so

» Ich glaube, dass die Musikszene tenden­ ziell links ist, trifft nicht ganz den Kern, auch wenn es einige Musikjournalisten gern so hätten.« — Ilias Dahimène

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hätten«, sagt Ilias Dahimène, Labelchef von Seayou Records und Futuresfuture. »Ich finde zum Beispiel die Kultur der egoistischen Selbstverwirklichung viel stärker ausgeprägt, sowohl in Pop- als auch in Subkultur.« Das

2000

Schwarz-Blau Die Donnerstagsdemonstrationen bringen auch eine Politisierung der Musik. Konzerte wie »HipHop gegen Schwarz-Blau«, die Free-Tekno-Veranstaltung »Free Republic« und zahlreiche Protestsongs.

sei eher Nietzsche und Adam Smith als Marx und Marcuse. In diesem Sinne ist es logisch, dass auch andere Parteien Kulturschaffenden ein Angebot des temporären, gemeinsamen Weges machen können. Anfang Juni gaben die Leute von Tanz Durch Den Tag nach ihrem finanziell desaströsen Aufwind-Festival eine gemeinsame Pressekonferenz mit den NEOS Wien, um die harte Regulierung des Wiener Veranstaltungswesens zu kritisieren. »Wir waren bei allen Parteien, aber die NEOS waren die einzigen, die sich wirklich dafür interessiert haben«, sagt Vereinsobmann Fabian Burger. Wenn es primär darum geht, dass man vom Staat weniger behelligt wird, finden auch Liberale und Hippies partielle Gemeinsamkeiten. Die einzige Partei, mit der kaum jemand Gemeinsamkeiten finden will, ist die FPÖ. Wie fast alle rechtspopulistischen Parteien in Europa wird die FPÖ von der Kulturszene fast frenetisch bekämpft. Reinhard Fendrich

2004

Der FM4 Protestsongcontest Anlässlich des 100-jährigen Gedenkens des Bürgerkriegs von 1934 ruft FM4 den Protestsongcontest ins Leben und gibt dem nicht unbedingt massentauglichen Protestlied seitdem jedes Jahr eine Bühne.

versuchte immer wieder, der Partei das Abspielen seiner schmalzigen Ersatz-Bundeshymne »I am from Austria« auf ihren Veranstaltungen gerichtlich zu verbieten. Aber anders als in den USA ist das in Österreich kaum möglich. Der FPÖ bleibt aktuell nur

Andreas Gabalier (der natürlich »weder links noch rechts ist«, aber Strache nach der Elefantenrunde der Wien-Wahl 2015 auf Facebook erbittert verteidigte) und natürlich die John Otti Band. Die blaue Hauskapelle besteht aus vier Brüdern aus Kärnten, beschallt seit über 20 Jahren Festln in Österreich und in Wahlkampfzeiten nahezu jede größere der FPÖ. Früher bestand Sänger Werner Otti noch darauf, dass sie eben Musikdienstleister seien. Diese Distanz (niemand kam auf

die Idee, Jazz Gitti ihren Auftritt beim Wahlkampfauftakt von Richard Lugner vorzuwerfen) fiel in den letzten Jahren zusehens. 2013 und 2015 komponierte die Band sogar jeweils den Wahlkampfsong (»Liebe ist der Weg«; »Immer wieder Österreich«).

The politics within Wir leben in hochpolitischen Zeiten. Und zwar überall um uns herum. Mit dem Satz »Das Private ist politisch« lehnte die Frauenbewegung der 70er-Jahre die Trennung zwischen Privatem und Politischen ab. Die Verortung von Politik in den Parlamenten diene nur dazu, die Machtverhältnisse auszublenden und die Entscheidungen dorthin zu schieben, wo man selbst am wenigsten Einfluss habe. Wenn alles politisch ist, ist es natürlich nicht nur das »Bitte wählt Van der Bellen«Posting, sondern auch das Line-up, das Setting, das Auftreten. Das Verständnis dafür, dass Inklusion und Diversity Maßnahmen auf vielen Ebenen bedürfen, wird zunehmend größer. Clubs werden vermehrt dazu aufgefordert, sexuelle Übergriffe auch dann nicht zu dulden, wenn sie »eh nur casual« sind und ihre Räumlichkeiten zu einem Ort mit einem Mindestmaß an Sicherheit für Frauen zu machen. Und die Abende mit reinen Männer-Line-Ups werden zum Glück auch langsam seltener. Projekte wie die Plattform Femdex gehen das Thema »Geschlechterverhältnis« offensiv an, damit es nicht bei dem einen jährlichen Apell bleibt, den dann alle teilen und der eine Woche später wieder vergessen ist. Die Webseite von Femdex bietet quasi einen »Serviceteil«: eine Datenbank mit Künstlerinnen und weiblichen DJs sowie ihre Kontaktdaten, damit man den Satz »Wir haben echt gesucht, aber es gibt in unser Richtung einfach keine Frauen« seltener hören möge. Darüber hinaus schafft Femdex aber auch Öffentlichkeit. Hannah Christ aka Minou Oram, die maßgeblich hinter Femdex steht, hat den (weitgehend erschreckenden) Frauenanteil der Bookings von Wiener Crews aus dem Bereich der elektronischen Musik untersucht und veröffentlicht. Femdex untersucht auch regelmäßig das Verhältnis der Bookings einzelner Partys und postet es in das Facebook-Event, falls die Veranstalter zustimmen.

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Links ist da, wo der Daumen rechts ist

» Ich finde zum Beispiel die Kultur der egoistischen Selbstverwirk­ lichung viel stärker ausgeprägt, sowohl in Pop- als auch in Subkultur.« — Ilias Dahimène

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Der für Wien radikalste, inhärent politische Entwurf in die Richtung war sicher Hyperreality, das Festival im Schloss Neugebäude im Rahmen der Wiener Festwochen. Mindestens 50 Prozent Acts, die sich nicht männlich identifizieren, Non-Binary-Toiletten, Musikentwürfe, die gerne mit dem Modewort »postkolonial« bezeichnet werden. Hochpolitisch, advantgardistisch, seiner Zeit voraus – allerdings auch auch sehr großzügig subventioniert. Im kommerziellen Bereich verweisen die Veranstalter darauf, dass so ein radikal großer Wurf für sie nicht möglich

»Im Präsidentschaftswahlkampf hat die Zuspitzung eine Positionierung gegen äußerst rechts leichter gemacht. Diese Motivation fehlt im Nationalratswahlkampf tendenziell.« — Hannes Tschürtz

2009

01�

#unibrennt Die Studentenproteste ziehen sich auch in die Musikszene. Bands wie Tocotronic schicken Solidaritätsbotschaften, Hans Söllner spielt im besetzten Hörsaal, Ja, Panik auf den Unistiegen.

sei. Aber das muss es vielleicht auch gar nicht. Auch kleine Schritte können helfen. Versucht man den DJ Objekt (Hessle Audio) zu booken, teilt einem die Agency freundlich die Bedingungen mit: An dem Abend müsse mindestens ein DJ, der sich nicht männlich identifiziert, auf derselben (oder einer größeren) Bühne spielen. Wer Objekt haben möchte, muss sich halt an diese Regeln halten. In der Wissenschaft gibt analog es ein als »The Pledge« bekannte Liste, auf der Wissenschaftler öffentlich bekennen können, nicht mehr an Allmale-Panels teilzunehmen. Natürlich schließen sich explizite Aussage und implizites Transportieren von Botschaften nicht aus. Klitclique machen Musik, sind aber über Themenwahl und Auftreten natürlich auch Kunst und Politik. Es gibt aber durchaus auch ein Problem am Konzept, das alles Politik ist. Man politisiert damit nämlich auch Dinge, die eventuell gar nicht politisch sein wollen. Die Lederjacken, die Machismen und das Spiel mit dem schwitzigen, leichten Sexismus von Wanda wäre dann definitiv politisch, genau sie wie das Spiel mit der »Heimat« im Schlager. Das klingt ja alles noch irgendwie in Ordnung. Aber nehmen wir mal kurz an, dass Tom Neuwirth mit seiner Bühnenpersönlichkeit Conchita Wurst gar nicht »Geschlechterstereotype hinterfragen« wollte, sondern einfach nur Spaß am großen Auftritt hätte. Wäre es dann in Ordnung, das Ganze von außen politisch aufzuladen? Beziehungsweise allgemeiner gefragt: Wer darf entscheiden, was politisch ist?

Alles ist alles, alles ist nichts Wir leben in komplexen Zeiten. Ironie, PostIronie, Post-Post-Ironie. Alles ist schwieriger geworden. Das Internet hat alles so lange

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durcheinandergewirbelt, bis sich niemand mehr so richtig auskannte. Was bedeutet es, wenn Yung Hurn und seine minderjährigen Fans auf Konzerten »Mi-chi Häu-pl!«Sprechchöre anstimmen? Und was bedeutet es, wenn gleichzeitig Martin Sellner, der Chef der österreichischen Identitären, Yung Hurn offensiv feiert? Wahrscheinlich nichts. Aber vielleicht ist auch gerade das ein Problem. Es ist nicht leicht, in der Netzkultur mit ihren zahlreichen Schichten der Ironie politische Forderungen zu finden. Es ist sehr schwierig, sich in einer Welt, wo nichts mehr so richtig ernst gemeint sein darf, genuin politisch zu äußern, ohne sich lächerlich zu machen. Und es ist natürlich verdammt einfach, sich über politische Musik lustig zu machen. Aber auch abseits der Ironie wirft gerade

2014

Conchita Wurst Eine Frau mit Bart gewinnt den Songcontest und lässt Österreich für einen Moment vielleicht ein bisschen toleranter ausschauen, als es eigentlich ist.

explizite politische Musik berechtigte Fragen auf. Was bringt das? Hat es einen Nutzen, wenn dieselben Musiker immer und immer wieder vor der FPÖ warnen? Ist das nicht einfach ein Abspulen bekannter und völlig absehbarer Positionen, das man sich auch sparen könnte? Was bringt es, wenn Gustav am Popfest die »Proletenpassion« aufführen oder Bands Arbeiterlieder re-interpretieren? Wird das nicht außerhalb eines kleinen, ohnehin bekehrten Kreises nur ironisch rezipiert? Auf der anderen Seite darf man aber natürlich auch fragen, ob es nicht auch die Aufgabe, vielleicht sogar die Pflicht der Kunst ist, sich (gesellschafts)politisch zu äußern. Von Schriftstellern wird es quasi verlangt – man

muss schon sehr gut aufpassen, wenn man nicht hinter der nächsten Ecke in den neuen Gastkommentar von Robert Menasse laufen möchte. Zu dieser Frage gibt es im Wesentlichen zwei Positionen. Die einen sagen, Kunst muss aufrütteln, den Finger in die Wunde legen. Künstler haben Freiheit, gerade weil man ihren Aussagen mehrere Ebenen zugesteht und an sie nicht dieselben Kriterien anlegt wie an andere. Der Satiriker, der Literat, der Künstler darf auf Podien wortgewaltig Unsinn reden, während man beim Politiker jedes Wort auf die Goldwaage liegt. Der Künstler hat den benefit of the doubt, und viele meinen, man hätte die Pflicht, diese Position zu nutzen. Andere meinen, Kunst müsse gar nichts. Aber das ist eben auch schon nah dran an einer künstlerischen Position.

Kurz gesagt: Es ist kompliziert Wir leben in Wahlkampf-Zeiten. Steht Österreich diesen Herbst wieder vor einer Polarisierung wie im letzten? Ja. Nein. Vielleicht. Es ist kompliziert. »Im Präsidentschaftswahlkampf hat das die Zuspitzung eine Positionierung gegen äußerst rechts‹ leichter gemacht«, sagt auch Tschürtz. »Diese Motivation fehlt im Nationalratswahlkampf tendenziell.« Redet man mit Leuten, spürt man wenig von der teilweise kämpferischen Haltung des Vorjahres, dafür viel von dem unbehaglichen Arrangieren mit dem (wahrscheinlich) Kommenden. Es gibt eine hohe Chance, dass die FPÖ in der nächsten Regierung sitzt, und jeder weiß es. Und anders als 2000, 2015 oder 2016 könnte der Szene im kommenden Wahlkampf auch der eine, gemeinsame Feind und damit auch der gemeinsame Nenner fehlen. Doch wer weiß das schon? Vielleicht kommt alles anders. Wenn es um Pop und Politik geht, ist alles kompliziert und wird wahrscheinlich auch noch komplizierter. Aber wie sollte das auch einfach sein, wenn alles politisch ist?

Jonas Vogt

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Nadine Fraczkowski The Gap 164 012-033 Story 01.indd 18

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Anne Imhof bewegt in Venedig die Seele. Mit ihrer performativen Installation »Faust«, hat die Künstlerin ein Gesamtkunstwerk geschaffen, welches einen tiefgreifenden Interpretationsspielraum hinterlässt. ———— Die Tragödie des Gelehrten Doktor Faust offenbart sich in einer deprimierenden Lebensmüdigkeit, die auf der Gier nach mehr Erkenntnis und der Unmöglichkeit, innezuhalten, beruht: westeuropäische Lebens(t)räume, der Jugend ihre Zeit mit unbegrenzter Bildung … »Und sehe, dass wir nichts wissen können!« Wie kein anderes Werk, dass sich diesjährig auf der 57. Kunstbiennale in Venedig zeigt, wird Anne Imhofs »Faust«, vielschichtig und vor allem langfristig diskutiert. »Der Bezug zur Gegenwärtigkeit ist sehr groß«, so die Kuratorin des deutschen Pavillons, Susanne Pfeffer. Die Verbindung zu Goethes Werk »Faust« auch. Im neoklassischen Raum – architektonisch 1938, von Ernst Haiger, der sich nahe dem Nationalsozialismus bewegte, neu erschaffen – passieren starke Gebärden, die sauber und langsam ausgeführt werden. Manchmal bewegt sich auch gar nichts. Dann lassen sich lebende Skulpturen – Halbstarke mit leerem Gesichtsausdruck beobachten. Anne Imhof bezeichnet sich in erster Linie als Malerin. Sie schafft Bilder, doch ihre künstlerische Praxis expandiert von der Idee der klassischen Malerei. »Faust« vereint Musik, performative Akte, neue Technologien und Gesang, um ein Bild der Gegenwart zu zeichnen. Das ist vor allem bewegend, weil es visuelle und auditive Wahrnehmungen herausfordert.

Zwischen Macht, Ohnmacht und Kontrolle Kernstück von Anne Imhofs Werk ist nicht die sterile Panzerglaskonstruktion, mit der sie die »Nazi-Ästhetik« des deutschen Pavillions durchbricht oder die, via Smartphone angewiesenen Bewegungsabläufe, die Imhof an ihre PerformerInnen sendet, sondern die PerformerInnen selbst und deren fühl- und sichtbare Ausdrucksstärke. Anne Imhof hat hier sorgfältigst ausgewählt. Unter ihnen befinden sich KünstlerInnen, PhilosophInnen, Models, MusikerInnen und TänzerInnen. Sie sind jung, aber nicht jugendlich. Schön und gebildet. Sie sagen: »Wir altern nicht!« Aber sind Imhofs Performer des Lebens müde? Wie der junge Doktor Faust, der umfassend gebildet lehrt und lebt, scheinen Imhofs PerformerInnen von Melancholie geplagt. Ihre Bewegungen sind so langsam, als wäre ihnen die Motivation abhanden gekommen. Halten Sie inne, starren Sie auf Smartphones, singen oder kratzen an den Wänden. Schnelle Bewegungsabläufe sind von kurzer Dauer, wirken teilweise sinnentleert, aber dennoch intensiv auf die BesucherInnen des Pavillons. So manche brechen in Tränen aus, andere sind selbst mit ihren Smartphones beschäftigt und halten Imhofs Versuch, ein Bild zu zeichnen, fest. Goethes »Faust« gibt seine Seele, um wieder Freud(e) empfinden zu können. Spielt Imhof in ihrem Werk mit den »Zwängen« der (west)europäischen Freiheit? So leicht beantwortbar ist es nicht. Deutliche Aspekte ihrer Arbeit sind aber Macht, Ohnmacht und Kontrolle. Kontrollierend wirkt vor allem die Glaskonstruktion im Inneren des Pavillons, die völlige Transparenz zulässt. Die BetrachterInnen sind von Imhofs PerformernInnen umgeben, während jenen wiederum kein Rückzugsort gewährt wird. Machtverschiebungen spielen sich ab, wenn der Performance und dem Blick der Biennale-BesucherInnen nicht ausgewichen werden kann. Schnelle Bewegungsabläufe, die sich kurzfristig zerstreuen, deuten auf Ohnmacht. Ebenso das Innehalten einer kürzlich angefangenen Bewegung. Im deutschen Pavillon werden eindeutig keine Seelen verkauft, sondern offenbart. Das macht Imhofs Werk so bedeutend schön. Wie die Künstlerin selbst in einem Gespräch mit dem Art Magazin sagt: »Ich bin besessen von Schönheit«. Alexandra-Maria Toth

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Eliza Douglas in Anne Imhof, Faust, 2017, deutscher Pavillon, 57. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia

Anne Imhof – Faust Vom Versuch, ein Bild zu zeichnen

Anne Imhof – Faust: 13. Mai – 26. November 2017, 57. Internationale Kunstausstellung – la Biennale di Venezia, deutscher Pavillon.

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Star Trek

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Unendliche Weiten der Differenz

Ein Weltall voller anderer

Second Look Images

Über alle Serien hinweg ist »Star Trek« oft dann am besten, wenn in einer Folge gar nicht so viel passiert. Neben den großen Kämpfen, temporalen Anomalien oder galaxien-greifenden Konflikten sind es die ruhigen Episoden, die hängenbleiben. Etwa wenn der Android Data über das Menschsein nachdenkt oder Worf als unter Menschen aufgewachsener Klingone seine Identität sucht. Wenn versucht wird zu eruieren, ob dieses seltsame Gas womöglich intelligent ist. Wenn die Crew darüber diskutiert, wie viel Freiheit man für Sicherheit aufgeben kann. Und immer wieder, wenn überlegt wird, wie man interstellare Nachbarschaft anlegt, wenn man mit den

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Aliens wenig gemeinsam hat: Wie weit geht die eigene Toleranz? Spielt man immer noch fair, wenn es der Gegner nicht tut? Darf man eine Gesellschaft gegen ihren Willen vor sich selbst bewahren, wenn man glaubt, es besser zu wissen? Heiligen Mittel auch mal Zwecke? Nun kommt nach über zwölf Jahren seit der letzten Serien-Installation der Franchise »Star Trek: Discovery«. Unsere Welt ist in dieser Zeit nicht weniger divers geworden und schon gar nicht toleranter. Ein guter Anlass für mehr »Star Trek«. Die neue Serie dürfen wir dabei ruhig an den eigenen Ansprüchen messen. Und das heißt, dass sie es besser machen muss als der Kino-Reboot der letzten Jahre.

Rebooting Stereotypes? J. J. Abrams hat für seinen 2009er-Film auf die Charaktere der ersten »Star Trek«-Serie der 1960er zurückgegriffen, die er dank dem Sci-Fi-Kunstgriff einer neuen Timeline aber anders erzählen kann. Frisch ist an dem Film allerdings wenig. Mit den Figuren hat er auch unleidige Stereotype der 60er auferstehen lassen, die »Star Trek« eigentlich schon hinter sich gelassen hatte. Abrams »Star Trek« ist eine Action-Bromance weißer Männer mit ein paar Deko-Aliens ohne Tiefgang. Der neue Captain Kirk ist derselbe Macho wie der alte, darf als Intro eine Frau betrunken blöd anmachen, mit ihrer Freundin schlafen (ups) und ein Auto zu Schrott fahren. Uhura ist als einzige Frau im Team vor allem da, um die Dynamik zwischen Kirk und Spock anzuheizen, denn das Babe steht neuerdings auf den »greenblooded bastard«. Das muss Fortschritt sein. Hoho. Ein Problem, das viele Franchises haben, die auf Kreationen der 60er zurückgehen –

siehe Marvel, DC oder James Bond: Wenige trauen sich, wie neuerdings Dr. Who, am Paradigma des weißen, männlichen Helden etwas zu ändern. Daher ist eine gänzlich neue Serie der einzige sinnvolle Weg für »Star Trek«, das außerdem im Serienformat schon immer am stärksten war. »Star Trek: Discovery« lässt den Reboot inklusive der neuen Timeline tatsächlich links liegen und deutet im Trailer an, an alten Tiefgang anschließen zu wollen. Ob es gelingen wird, dafür einen Tonfall zu finden, der fürs 21. Jahrhundert funktioniert, ist erst dann zu beantworten.

Discovery Von der Handlung sind bisher nur vage Eckdaten bekannt. »Discovery« wird zehn Jahre vor den Ereignissen der »Original Series« angesetzt. Die zentrale Figur soll erstmals nicht ein Captain, sondern der erste Offizier sein und – erst zum zweiten Mal in der Geschichte von »Star Trek« – eine Frau. Sonequa Martin-Green spielt die erste Offizierin Michael Burnham, die als Mensch unter Vulkaniern aufgewachsen ist. Ebenfalls klar ist, dass neben den Vulkaniern, die Klingonen die Stamm-Aliens der neuen Serie sein werden. Die haben – vieldiskutiert unter den Trekkies – eine visuelle Überarbeitung erhalten. »Discovery« greift damit auf zwei der beliebtesten Alien-Gesellschaften des »Star Trek«-Kanons zurück: Die logikgetriebenen Vulkanier, die gelernt haben, ihre Emotionen zu unterdrücken und die Kriegergesellschaft der Klingonen, für die Ehre alles ist. Wir dürfen gespannt sein, wie die Serie an deren Darstellung herangeht. Gerade die Klingonen sind ein gutes Beispiel für einen Bereich in dem »Star Trek« aufpassen muss: So liebevoll sie bisher dargestellt wurden, so sehr sind

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Die Nerds werden unruhig: Im September startet eine neue »Star Trek«-Serie. Wird es »Star Trek: Discovery« schaffen, ein relevanter Zeitkommentar zu werden? ———— »Star Trek« war schon immer der Streber in einem Klassenzimmer voller Nerds. »Star Trek« will Dinge richtig machen. Eine Zukunft zeigen, in der die Menschen aus ihren Fehlern gelernt haben. In der »Star Trek«-Zukunft des 23. Jahrhunderts hat die Menschheit Intoleranz und Krieg überwunden, genauso wie Geld, Religion, Hunger oder Krankheit. Die Erde ist eine humanistische, aufgeklärte, tolerante und offene Kraft im Universum. Und dieses Universum ist bevölkert von diversesten fremden Wesen und Gesellschaften, die dieses Selbstverständnis infrage stellen. Über fünf Serien und 13 Spielfilme konnte man bisher den Captains und ihren Crews zuschauen, wie sie versuchen in einer Welt voller Differenz das Richtige zu tun – und wie schwierig das ist. Es ist nämlich gar nicht so leicht, ein Streber zu sein.

» Über fünf Serien und 13 Spielfilme konnte man den Captains und ihren Crews zuschauen, wie sie versuchen, in einer Welt voller Differenz das Richtige zu tun – und wie schwierig das ist.«

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links :

Michelle Yeoh spielt als Captain Georgiou die zweite weibliche Kapitänin in einer »Star Trek«-Serie. Zentrale Figur von »Discovery« ist aber die von Sonequa Martin-Green gespielte erste Offizierin Michael Burnham, die von Vulkaniern aufgezogen und ausgebildet wurde.

Martin Luther King, Trekkie 1966 flimmerte Star Trek zum ersten Mal über die Bildschirme. Eingeschlagen hat damals weniger die fiktive Zukunft als die Realität der Gesichter, die zu sehen waren: Zu den hochrangigen Offizieren auf der Brücke gehörten neben Captain Kirk und seinen Buddies der asiatische Pilot Sulu und die afroamerikanische Kommunikationsoffizierin Uhura. Das war mehr Diversität auf Augenhöhe als man

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»Utopien sind Mangelware geworden.«

im Fernsehen bis dahin gesehen hatte. Grund genug für manche TV-Stationen in den USSüdstaaten, die Ausstrahlung von »Star Trek« zu verweigern. Auf der anderen Seite der Medaille zählte eine prominente Person zu den ersten Trekkies: Martin Luther King. Um ihn rankt sich eine besonders beliebte Anekdote der Trekkies: King traf bei einem Galadinner auf Nichelle Nicols, die Uhura spielte und outete sich ihr gegenüber als Fan, worauf sie sich bedankt und erwähnt, die Serie nach der ersten Staffel verlassen zu wollen. King, so erzählt Nichols, reagierte vehement: »Das können Sie nicht machen.« Die afroamerikanische Community in Person einer hochrangigen Offizierin auf einem Raumschiff repräsentiert zu sehen, war für King die Bildwerdung seines Kampfes um Gleichberechtigung. Um es in den Worten von

Whoopi Goldberg zu sagen, die später bei der »Next Generation« um eine Rolle bat: »I just saw a black woman on television; and she ain’t no maid!« Nichelle Nicols blieb.

I’d love to change the world, but I don’t know what to do Es ist leicht, »Star Trek« zu belächeln. Utopien sind Mangelware geworden. Sie sind nicht cool. Aber sie sind wichtig. Große Geschichten werden Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Wir nutzen sie, um uns die Welt zu erklären und wir wiederholen sie – bewusst oder unbewusst. So kommt es, dass Scharen von Millennials auf die Trump-Administration mit Zitaten aus »Harry Potter« reagieren. Wir brauchen Geschichten, die uns Bilder in den Kopf setzen, wie eine bessere Zukunft aussehen könnte, und die uns erzählen, wie der Weg dahin aussehen könnte – inklusive aller Abgründe, Ambivalenzen, Stolperfallen und Fragezeichen. Ansonsten können wir sie gar nicht ernst nehmen. Eine Utopie heute muss inspirieren und wehtun. »I’d love to change the world, but I don’t know what to do« singt Jetta im letzten »Star Trek: Discovery«-Trailer. Der Rückgriff auf eine »Ten Years After«-Nummer aus den 70ern ist retro. Das beschriebene Gefühl, das ist gegenwärtig. Wir werden sehen, was für eine Science Fiction »Discovery« daraus spinnt. Engage. Simone Mathys-Parnreiter »Star Trek: Discovery« startet am 24. September 2017 auf CBS in den USA und tags darauf bei Netflix. Alle bisherigen »Star Trek«-Serien sind auf Netflix verfügbar.

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sie meist exotistische Gegenspieler, die Qualitäten der Menschheit besonders deutlich machen sollen. Das Andere feiert sozusagen das Eigene. »Star Trek« neigt außerdem dazu, die Alien-Kulturen als homogene Gruppen zu beschreiben, die qua ihrer Natur so sind, wie sie sind – und sie sind alle mehr oder weniger gleich. Dieser Zugang, kulturelle Differenzen zu biologisieren, ist nicht gerade eine Haltung, die man sich von einer aufgeklärten Supermacht der Zukunft wünscht. Über alles weitere kann derzeit nur spekuliert werden. Aber wir wissen zumindest, wer die Hauptcharaktere sind und wer sie spielt. Hier setzt »Discovery« das Bestreben fort, Diversität nicht nur zu behaupten, sondern auch zu zeigen. Die Hauptfigur Burnham wird gespielt von der Afroamerikanerin Martin-Green, Michelle Yeoh ist Captain, Maulik Pancholy der Arzt an Bord und ein Crew-Mitglied wird ganz nebenbei schwul sein. Es ist traurig, dass man so etwas 2017 noch betonen muss. Gerade im Fall von »Star Trek«, eine Serie schon vor über 50 Jahren wegen ihrer diversen Besetzung Schlagzeilen gemacht hat.

2017 CBS Interactive / Jan Thijs, Second Look Images

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rechts :

Adve


4 Besonderheiten des InternatIonal JazzfestIval saalfelden 1. experimentierfreude

In Saalfelden am Steinernen Meer – einer Kleinstadt inmitten der Salzburger Bergwelt – treffen sich alljährlich experimentierfreudige MusikerInnen aus aller Welt. Hier wird dem Mainstream getrotzt, musikalische Individualität groß geschrieben und die Grenzen des Jazz werden alljähr­ lich neu ausgelotet.

2. Junge musik

Nicht nur in speziellen Schienen haben junge Musikinnen und junge Musik in Saalfelden einen Fixplatz. 5K HD: Schmieds Puls Mira Lu Kovacs und die 4 Burschen von Kompost 3 – die vielzi­ tierte „Supergroup“ präsentiert am Jazzfest Saalfelden erstmals ihr Album „And to in A“: Dub­ steb, Breakbeat und Prog Rock dazwischen versprechen harte und dennoch homogene Brüche. — Kjetil Møster: Den norwegischen Jazz Schwerarbeiter Kjetil Møster kennt man von seiner Ar­ beit mit dem Quartett The Core und seiner Zusammenarbeit mit Chick Corea. Nach Saalfelden bringt der Saxofonist sein aktuelles Album „When you cut into the Present“ – frei nach Bur­ roughs. Und dieser steht auch Pate für das treibenden Punk­Jazz Monster von Møster! — Weiße Wände: Free Jazz, Spoken Word, Minimal? Christian Reiner, Herbert Pirker und Karl Ritter ha­ ben hiermit kein Problem und brechen radikal Genre Grenzen auf. Ein unbedingtes Live­ Ereig­ nis: ihre Musik ist zwar auf Tonträger erhältlich, auf der Bühne und vor Publikum feiern Weiße Wände aber jedes Mal einen improvisierten Neubeginn. — Steve Lehman: Eines der vermutlich gelungensten Genre­ übergreifenden Projekte der vergangenen Jahre trägt den Titel Sélébéy­ one – veratwortlich zeichnet sich hierfür der US­amerikanische Jazz­Saxophonist Steve Leh­ man. Lehmann wildert im Hip­Hop, und hat sich mit HPrizm (Antipop Consortium) und Gaston Bandimic zwei Rapper an Bord geholt, welche im Septett mit Lehmans Band eine unglaublich energiereiche Synergie aus Jazz und Hip­Hop auf die Saalfeldener Mainstage bringen werden.

3. fünf Bühnen

Neben der Hauptbühne und den Short Cuts gibt es auch noch mehrere Bühnen mit freiem Eintritt: am Rathausplatz, auf diversen Almen oder etwa im Kunsthaus Nexus finden weitere 16 Konzerte statt, u.a. mit 5/8erl in Ehr’n, Yasmo & die Klangkantine, Global Groove Lab, Bom­ bino, Cafe Drechsler, Expressway Sketches, …

4. Jugendpauschale um € 55,—

Für Studenten wird zum ersten Mal eine Jugendpauschale angeboten: bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres kann um € 55,— ein 3­Tages­Pass in der Kategorie D erworben werden. Das Campen ist für alle drei Tage sogar kostenlos und einen 3­Tage­Pass inkl. Nächtigung im Hostel gibt es bereits um € 142,—. Buchung einfach unter reiseservice@saalfelden-leogang.at

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FOTO © KHM-MUSEUMSVERBAND

Kunsthalle Wien

»Star Trek«Newbie Guide Alle bisherigen Serien sind auf Netflix erhältlich, die Einschalttipps beziehen sich auf die dortige Episodenreihenfolge.

1966–1969

Star Trek / The Original Series

Work it, feel it! Karlsplatz #WorkitFeelit 21/6 – 10/9 2017 Work it, feel it! umkreist die Themen Arbeit und Körper in Gegenwart und Zukunft. Der Fokus der Ausstellung liegt auf den Anforderungen an den menschlichen Körper und dessen Handlungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der kapitalistischen Arbeitsorganisation und –definition sowie der zunehmenden Automatisierung. Künstler/innen Apparatus 22, Hannah Black, Danilo Correale, Juliette Goiffon / Charles Beauté, Louise Hervé / Chloé Maillet, Shawn Maximo, Sidsel Meineche Hansen, Toni Schmale, Romana Schmalisch / Robert Schlicht, Visible Solutions Termine Fr 1/9, 18 Uhr Ergonomic Futures Lecture-Performance von Tyler Coburn Mi 6/9, 18 Uhr Living Labour / Working Life Gespräch mit Barbara Mahlknecht, Sidsel Meineche Hansen u.a. Do 7/9, 18 Uhr Re-Organising Work Gespräch Im Rahmen der Vienna Biennale 2017 www.kunsthallewien.at

Das Raumschiff Enterprise in den unendlichen Weiten des Weltraums. Bromance zwischen Captain Kirk und Spock und charmante Special-Effects. Für Historiker- und NostalgikerInnen. Tipp: »The City On The Edge Of Forever« (Staffel 1, Folge 29)

1987–1994

The Next Generation »Star Trek« kommt zu sich unter der Führung von Captain Jean-Luc Picard und einer neuen Enterprise. Die philosophischste Serie hat außerdem mit den Borg eine der besten Sci-Fi-Baddies. Tipp: »The Measure Of A Man« (Staffel 2, Folge 9)

1993–1999

Deep Space 9 Willkommen in der Grauzone. Captain Sisko befehligt eine Raumstation an der Grenze der Föderation. Die Utopie wird bröckelig und »Star Trek« entdeckt die großen Story-Bögen. Tipp: »In The Pale Moonlight« (Staffel 6, Folge 19)

1995–2001 Voyager

Ein Raumschiff am anderen Ende der Welt: Hier ist alles fremd, Ressourcen sind knapp und der Weg heim ist weit. Starke Frauenfiguren unter der Führung des ersten weiblichen Captains Kathryn Janeway. Tipp: »Equinox I« und »Equinox II« (Staffel 5, Folge 25 und Staffel 6, Folge 1)

2001–2005 Enterprise

Als Prequel-Serie sozusagen die »Origin Story« des »Star Trek«-Universums: Der Weltraum ist noch neu, die Technik unerprobt. Gute Idee, wenig überzeugend umgesetzt. Tipp: »Dear Doctor« (Staffel 1, Folge 12)

Zum Nachschlagen und Vertiefen: memory-alpha.wikia.com

Credit: Shawn Maximo, SMCC (Detail), 2017, Courtesy der Künstler

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Barbara Klein im Porträt Frauen brauchen Raum

Maximimian Meergraf The Gap 164 012-033 Story 01.indd 27

da alles auf mich zukommt, hätte ich es nie gemacht«, sagt sie heute. Und dennoch hat die Theatermacherin nichts von ihrer Fröhlichkeit und Offenheit eingebüßt, gibt bereitwillig einen Einblick in ihre Lebensgeschichte.

Beginn der Schauspielkarriere Ihre Karriere begann Barbara Klein am MaxReinhardt-Seminar, ihr Studium finanzierte sie sich unter anderem als Parkplatzwächterin. Es folgten vier Jahre Schauspielerei im Volkstheater und einige TV-Rollen. Doch der künstlerische Zugang, so wie sie ihn sich vorgestellt hätte, habe gefehlt. Darunter litt die persönliche Entwicklung und Klein wanderte schließlich in die freie Szene ab. Sie gründete Mitte der 80er-Jahre mit Kollegin Krista Schweiggl die Kabarettgruppe Chin & Chilla. Kabarett war ihrer Meinung nach die beste Möglichkeit gewesen, um politisches Engagement mit Kunst zu verbinden. Über den Witz gelang es ihr, ihrem politischen Denken Ausdruck zu verleihen. Die berüchtigte Textmontage aus dieser Zeit trug etwa den Titel »Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad.« Die beiden Kabarettistinnen zählen auch zu den Mitinitiatorinnen des Frauenvolksbegehrens des Jahres 1997. »Unsere ersten Treffen fanden im Celeste statt. Die elf Forderungen haben wir dann bei mir in der Wohnung formuliert«, erinnert sich Klein. Zwar haben damals 645.000 Menschen unterschrieben, eine große Folgewirkung blieb aber bekanntlich aus. In der Schauspielerin, zu dieser Zeit alleinerziehende Mutter einer Tochter, wuchs der Wunsch nach einem öffentli-

chen Kultur- und Vernetzungsraum. Mit dem leerstehenden, baufälligen Pornokino Rondell in der Riemergasse hatte Klein auch eine Location im Auge, die ohnehin – ursprünglich auf Initiative des ehemaligen Kulturministers Rudolf Scholten – in ein Theater für freie Gruppen umgebaut hätte werden sollen.

Besetzungsaktion Im tiefsten Winter besetzte die heutige Intendantin also gemeinsam mit einem Kernteam aus rund 25 Frauen das Rondell. Wie man so eine Besetzung bestmöglich angeht? »Das erste, was man braucht, ist eine Bar«, sagt sie und lacht herzhaft. Mit Christine Nöstlinger, Robert Menasse, Elfriede Jelinek, Eva Rossmann und Alfred Dorfer konnte sie auf prominente Unterstützer bauen. Josef Hader stellte eine Heizkanone auf, um die Kälte zu lindern. Klein erzählt von den Kunstwerken, die die Gruppe aus dem Schutt kreiert hat, von Konzerten, von Performances, von durchdiskutierten Nächten und von vereitelten Räumungen. Die aufregende Stimmung während dieser zehn Tage wird in diesem Moment wieder sichtbar. »Ob sich unser Kampf am Ende lohnen würde, war ungewiss. Dennoch fanden sich wunderbarerweise immer wieder Menschen, die mit unglaublichem Erfindungsreichtum und Stehvermögen Ideen aufgriffen und unterstützten«, erzählt sie. Dabei sei es um weit mehr als das jeweilige Projekt gegangen: »Das gemeinschaftliche politische Handeln erlebten wir als identitätsstiftend und lustig.« Natürlich war auch für Konfliktstoff untereinander gesorgt, allen Vorstellungen gerecht zu werden, stellte sich als schwierig heraus: Von politisierenden Feminis-

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Barbara Klein ist Theatermacherin und Feministin. Einfach war das nicht immer. Von der Schauspielerei gewissermaßen enttäuscht, widmet sie sich dem Theater aus einer anderen Perspektive. Entstanden aus einer Bürgerbewegung und erkämpft durch Besetzungen und kreative Interventionen beschäftigt sich das von ihr mitgegründete Kosmos Theater bis heute mit Genderthematiken. Kommendes Jahr übergibt die Intendantin das Zepter – und blickt zurück. ———— Eigentlich wollte sie Päpstin werden, eröffnet Barbara Klein das Gespräch: »Weil ich fasziniert war von dem Theaterspektakel ›Katholische Messe‹. Die Kostüme, die Fremdsprache, der Geruch. Einer spricht – und alle müssen zuhören.« Genau dieser eine wollte sie sein. Dass nur Männer an diesem Schauspiel aktiv teilnehmen durften, war ihr als Kind nicht aufgefallen. Bis ihr die Eltern beibrachten, warum sie sich diesen radikalen Berufswunsch aus dem Kopf schlagen müsse. In diesem Moment, sagt die mittlerweile 63-Jährige, habe sie sich entschieden, Schauspielerin zu werden. In der gleichen Sekunde sei sie Feministin geworden, legt sie nach. An einem heißen Julitag blickt Barbara Klein auf 17 Jahre als Intendantin des Kosmos Theaters zurück. Hartnäckigkeit und Widerstandsgeist führten zur Verwirklichung ihres Traumes von einem öffentlichen Raum der Frauenkultur. Die Wienerin mobilisierte Unterstützerinnen und Unterstützer, organisierte eine Besetzungsaktion, campierte vor dem Bundeskanzleramt und setzte ihr Geld aufs Spiel. Der zivilgesellschaftliche Kampf für ein solches Projekt ist nicht selten langwierig und kräfteraubend. »Ich bin an meine Grenzen gegangen. Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, was

»Weil ich fasziniert war von dem Theaterspektakel ›Katholische Messe‹. Die Kostüme, die Fremdsprache, der Geruch. Einer spricht – und alle müssen zuhören.« — Barbara Klein

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» Das gemeinschaftliche politische Handeln erlebten wir als identitätsstiftend und lustig.« — Barbara Klein

tinnen wurde Kunst oft als Blümchenthema angesehen, umgekehrt fühlten sich Künstlerinnen vom Feminismus eingeschränkt. Die Konflikte wurden ausgetragen, »auf einem sehr hohen politischen und menschlichen Niveau«, wie sich Heidi Ambrosch – heute Frauensprecherin der KPÖ – im Buch zum 10-jährigen Jubiläum des Kosmos Theaters erinnert: »Ich habe aus dieser Zeit viel für mein Leben mitnehmen können.« Trotz der Anstrengung wurde das Rondell am Ende dem Jazz-Club Porgy & Bess zugesprochen. Doch die weiter andauernden Aktivitäten verhalfen schließlich zu einem alternativen Objekt, dem ehemaligen Kosmos Kino in der Siebensterngasse. Eine neue Etappe begann: »Wir mussten eine GmbH gründen, um von Bund und Stadt Wien das zugesagte Geld einholen zu können. Das gestaltete sich extrem mühsam, weil jede Förderstelle einen anderen Abrechnungsmodus forderte«, erinnert sich Klein. Außerdem musste sich die Schauspielerin plötzlich mit Miet- und Baurechtsfragen auseinandersetzen, denn für den Umbau, so erklärte man ihr, sei sie selbst verantwortlich. »Es war ein großes Glück, dass ich so gut vernetzt war.« Im Jahr 2000 wurde das Kosmos Theater schließlich mit der Premiere von Lilly Axters »Königinnen« eröffnet. Ein Stück, in dem die lesbischen Identitäten dreier Frauen im Mittelpunkt stehen.

Eröffnungsrede von Elfriede Jelinek In ihrer Eröffnungsrede sprach Elfriede Jelinek die später so oft zitieren Worte: »Ich frage mich, wie es möglich ist, dass Personen

immer noch für ihre Anliegen auf die Straße gehen müssen, demonstrieren müssen, Druck machen müssen, nur aufgrund ihres Seins, aufgrund der biologischen Tatsache, dass sie Frauen sind.« Eine Feststellung, die nicht an Aktualität verloren hat. Erst kürzlich diskutierten unter anderem Stefanie Sargnagel und Michael Fleischhacker bei einer Matinee im Theater in der Josefstadt darüber, warum die ewige Diskussion über den Feminismus eigentlich »so nervt«. »Viele verstehen die politische Forderung dahinter nicht«, sagt Barbara Klein dazu: »Der Begriff ist unterlegt worden mit Bildern, die nicht existieren. Wir sind ja die Schreckschrauben. Es gibt die bewusste oder auch unbewusste Tendenz, den Frauen ihre Sprache wegzunehmen, indem man sie lächerlich macht.« Wer der Meinung sei, Feminismus wäre veraltet, denke nicht nach, woher diese Einstellung komme. Umso wichtiger findet sie es, die Neuauflage des Frauenvolksbegehrens zu unterstützen – »und zwar auch dann, wenn man nicht mit allen Forderungen einverstanden ist. Es ist wichtig, dass überhaupt etwas passiert«.

Der Kampf um Förderungen Das Kosmos Theater besteht bis heute als Ort, an dem Frauen die Sprache eben nicht weggenommen wird. Allerdings befindet sich die Spielstätte in einer relativ prekären Lage. Von den Verantwortlichen der öffentlichen Hand werde das Theater nach außen hin freilich geschätzt, zu spüren bekomme man von dieser Wertschätzung aber wenig: »Wir erhalten seit Jahren die selbe niedrige Förderung, sie wird nicht an die Inflation angepasst und das be-

links oben :

Das Rondell wurde zwar dem Jazzclub Porgy & Bess zugesprochen, der andauernde zivilgesellschaftliche Kampf verhalf am Ende aber zu einem alternativen Objekt: Im Jahr 2000 wurde das Kosmos Theater mit einer Rede von Elfriede Jelinek eröffnet.

Prominente wie Josef Hader und Robert Menasse unterstützten früh die Besetzung des Rondells.

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Robert Menasse und Barbara Klein im Gespräch mit Polizisten während der Besetzung des Rondell Kinos.

rechts unten : Eva Rossmann, Barbara Klein und Elfriede Jelinek bei der Eröffnung des Kosmos Theaters im Jahr 2000.

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Good Morning, Boys and Girls

wir nicht unbehandelt lassen. Diese Zuschreibungen – Burschen tendieren zur Gewalt und Frauen sind sanft – müssen sich aufweichen, wenn wir wirkliche Gleichstellung wollen.« Die Auseinandersetzung kommt dabei ohne Gewaltbilder auf der Bühne aus. Die Figuren werden improvisatorisch über Bewegung und nicht über Text oder Psychologie entwickelt. Feministische Parolen habe es auf der Bühne des Kosmos Theaters nie zu hören gegeben, sagt Klein. Vielmehr sei es immer darum gegangen, Künstlerinnen zu unterstützen und deren Sicht auf verschiedenste Themen zu zeigen. Für die Zukunft des Kosmos Theaters wünscht sie sich neben einer Verjüngung vor allem Schwestertheater in anderen Städten,

denn bisher trägt die Institution ein Alleinstellungsmerkmal. Und für sich selbst? »Ein leerer Terminkalender und den Luxus am selben Tag zu entscheiden, was man macht«, antwortet Barbara Klein sichtlich entspannt. Reisen sei das Futter, das man für die Kunst und das Leben überhaupt brauche. In einer Kiste sammelt sie Ideen und Texte, die sich wieder hervorholen lassen. Langweilig wird ihr jedenfalls nicht. Magdalena Meergraf

Das Kosmos Theater macht gerade Sommerpause und öffnet erst im September wieder die Türen. Barbara Kleins letzte Inszenierung »Good Morning, Boys and Girls« startet am 11. Oktober.

Archiv Kosmos Theater

Ein Mal in drei Jahren inszeniert Klein selbst im Kosmos Theater ein Stück. »Good Morning, Boys and Girls« von Julie Zeh wird ihr letztes sein, denn die Intendantin geht im März 2018 in Pension – eine Nachfolge wird derzeit bereits gesucht. Das Thema ihrer letzten Inszenierung war ihr ein besonderes Anliegen: »Es geht um das ›school shootern‹, um die Burschen, die in der Schule alles niederknallen, was ihnen im Weg steht. Das ist kein flockiges Thema. Doch die geistige und zum Teil auch körperliche Isolation, die Depression und die Tendenz zur Gewalt können

» Es hat seine Wurzeln ja bekannterweise in der Frauenbewegung und wird heute als Haus mit einem Fokus auf Genderthematik betrieben. Dieser spezielle Fokus ist auch der Grund, warum das Theater von der Stadt in hohem Maße gefördert wird.« — Andreas Mailath-Pokorny

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deutet in Wahrheit permanente Kürzungen.« Aus dem Büro von Andreas Mailath-Pokorny, Stadtrat für Kultur, heißt es hingegen, das Kosmos Theater nehme einen besonderen Platz in der Theaterszene ein: »Es hat seine Wurzeln ja bekannterweise in der Frauenbewegung und wird heute als Haus mit einem Fokus auf Genderthematik betrieben. Dieser spezielle Fokus ist auch der Grund, warum das Theater von der Stadt in hohem Maße gefördert wird. Obwohl es keine Empfehlung der Theaterjury für das Theater gibt, erhält es mit 600.000 Euro aktuell eine der höchsten Förderungen in diesem Bereich, da die Bühne diesem gesellschaftlich so wichtigen Aspekt seine Tätigkeit widmet.« Mailath-Pokorny war schon vor Gründungszeiten des Theaters in der Sektion für Kunstangelegenheiten tätig. Auf die Frage nach der Zusammenarbeit mit Barbara Klein und nach einem persönlichen Theatererlebnis wollte man nicht genauer eingehen.

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KV Rรถda

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Vor 20 Jahren erkämpfte sich die junge Musikszene in Steyr ein Haus, das bis heute als Veranstaltungsort, Treffpunkt und Förderstelle für heimische Musik besteht. Im September wird gefeiert, gleichzeitig gestalten Wegbegleiter und Förderer zum Jubiläum ein Buch und einen Film. ———— »Mein Hintern gehört Steyr«, tönte Maurice vor zwei Jahren beim FM4 Überraschungskonzert von Bilderbuch im Röda. Zugegeben: Man kennt diese Ansagen von Bands, die dem jeweiligen Veranstaltungsort schmeicheln wollen. An manchen Abenden wirken sie aber doch glaubwürdig. Bilderbuch sind nicht unweit von dieser Bühne zur Schule gegangen, haben in der Region ihre ersten Konzerte besucht und gespielt, der Signature-Track »Maschin« wurde in Steyr aufgenommen. Die Musikszene in der oberösterreichischen Kleinstadt hat sich aber schon lange vor dem Hype rund um die heutigen Cashcows im österreichischen Musikbusiness gebildet. Fragt man nach den Wurzeln des Erfolgs von österreichischen Bands, landet man schnell bei Kulturinstitutionen, die Artists in ihren jungen Jahren fördern, ihnen eine Bühne, ein Publikum und eine Plattform bieten. Als eine solche Anlaufstelle gilt das Röda in Steyr seit mittlerweile 20 Jahren. Einer der Gründungsgedanken war die Schaffung von Proberäumen und Auftrittsmöglichkeiten und damit gewissermaßen auch die Bereitstellung einer Spielwiese für alle, die mit Musik experimentieren wollen. »Ohne diese Gegebenheiten gibt es keine Szene. Viele der Bands, die heute bekannt sind, wie beispielsweise

Bilderbuch, Catastrophe & Cure oder Velojet, haben hier ihre ersten Konzerte gesehen und später hier ihre ersten Bühnenerfahrungen gesammelt«, erzählt Mike Glück. Er ist Teil des Teams, dass das Röda gegründet und mitgestaltet hat, und sitzt bis heute im Vorstand. Das selbstverwaltete Haus bietet mittlerweile drei Proberäume für jeweils zwei bis drei Bands und beherbergt drei unterschiedlich große Bühnen. Bespielt werden diese sowohl von lokalen Bands als auch von internationalen Acts, die, wie Betreiber und Freunde des Lokals betonen, immer wieder gerne zurückkehren. Die deutsche Band The Notwist habe sogar Tourtermine in Österreich danach geplant, wann sie im Röda spielen können, heißt es. Geschichten wie diese gibt es viele und in fast allen steht der Spirit, den ein selbstverwaltetes, offenes Kulturhaus in einer Kleinstadt eben mit sich bringt, im Fokus.

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Jung sein in einer Kleinstadt ohne Smartphone 20 Jahre Röda

Es muss was geben Beherbergt in einer alten Tischlerei, die bis heute namensgebend ist, entstand das Röda durch eine große Community an musikhungrigen Menschen, die sich schon lange vor der Gründung gebildet hatte und aktiv Raum einforderte. Vorbilder waren mit der Kapu in Linz oder dem Schl8hof in Wels bereits vorhanden – man wusste, wie es funktionieren könnte, wenn Stadt und Land einmal überzeugt wären. Anfang der 80er Jahre herrschte Aufbruchsstimmung in Oberösterreich, getragen durch viele kulturelle und zeitkulturelle, auf Selbstgestaltung der eigenen Lebensumwelt bedachten Gruppen, die sich formier-

» Ohne diese Gegebenheiten gibt es keine Szene. Viele der Bands, die heute bekannt sind, wie beispielsweise Bilderbuch, Catastrophe & Cure oder Velojet, haben hier ihre ersten Konzerte gesehen und später hier ihre ersten Bühnenerfahrungen gesammelt.« — Mike Glück The Gap 164 012-033 Story 01.indd 31

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ten und zur Kulturplattform Oberösterreich, kurz KUPF, zusammenschlossen. Gemeinsam suchte man, durchaus erfolgreich, den Dialog mit der Politik und erkämpfte sich dabei nicht nur notwendige, wenn auch nicht immer ausreichende, Subventionen, sondern vor allem Mitspracherecht. »Es muss was geben«, später namensgebend für Film und Buch über die alternative Musikszene in Linz, war mit einigen Jahren Verzögerung auch in Steyr das Credo. Eine aktive musikalische Subkulturszene entstand nicht erst durch das Röda, umgekehrtes war der Fall. »Anfang der 90er hat es den Verein Kraftwerk gegeben. Wir haben in 14 Monaten 72 Konzerte veranstaltet – in einem Keller im Schmollgruberhaus am Steyrer Stadtplatz. Es hätte damals auch eine Alternative gegeben, in der Eisenstraße. Nur wir als junge, dumme Aufmüpfige haben uns für den Stadtplatz entschieden, weil wir gewusst haben, da gibt es garantiert Wickel und dann kommen wir irgendwann zu einem gescheiten Haus«, erinnert sich Mike Glück. Die Strategie ging nur teilweise auf, der Streit war zwar schnell da, das Haus bekam man allerdings erst, nachdem sich 450 Jugendliche rund eineinhalb Jahre später am Stadtplatz versammelten, um für die Schaffung eines Ortes zu demonstrieren, an dem, der Vision nach, alles möglich sein würde.

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Kleinstadt-Underground Teil dieser Bewegung war auch Musikvideomacher, Dokumentarfilmer und Produzent Jakob Kubizek, kürzlich mit einer Romy für die Produktion von »Ochs im Glas« ausgezeichnet. Als ihn das Röda kürzlich fragte, ob er Lust hätte, einen Film zum 20-Jahr-Jubi-

» Anfang der 90er hat es den Verein Kraftwerk gegeben. Wir haben in 14 Monaten 72 Konzerte veranstaltet – in einem Keller im Schmollgruberhaus am Steyrer Stadtplatz.« — Mike Glück läum zu machen, war er schnell überredet. Im Fokus der via Crowdfunding finanzierten Dokumentation soll nicht nur das Kulturzentrum stehen, sondern vor allem auch die Szene, aus der es entstand und die Begeisterung, mit der es getragen wurde. »Am meisten interessiert mich die damalige Underground-Szene. Ich bin mir nicht sicher, ob es die in dieser Form heute noch gibt. Es gab damals kein Internet und keine Handys. Man hat Musik über Konzerte entdeckt und man hat sich als Band über Konzerte ausprobiert. Das hat einen Ort, an dem dieses Entdecken möglich ist, auch so reizvoll gemacht«, so Kubizek, der zu dieser Zeit als Mitglied der Band Superformy, die mehr oder weniger vom steyrischen Proberaum aus durch den Song »Pop Will Save The World« einen Vertrag mit einem deutschen Major Label an Land zog. Er war selbst Teil des Teams, das die alte Tischlerei in Eigenregie in ein offenes, selbstverwaltetes Haus mit Veranstaltungsräumen und Proberäumen verwandelte. Der Mangel an Geld wurde durch

die Einsatzbereitschaft von vielen Freiwilligen ausgeglichen. Dabei hat die Vision, das Röda aufzubauen, auch den ein oder anderen in Steyr gehalten. Florian Tanzer, heute Teil des VJ-Kollektivs Luma Launisch, folgte nicht, wie zuerst geplant, dem Ruf der Großstadt, sondern verbrachte stattdessen ein Jahr auf der Baustelle. »Ich war gerade mit der Matura fertig und wollte eigentlich unbedingt nach Wien, mich ausleben und fortgehen, aber das Röda hat mich letztlich gehalten. Alle hatten so eine Freude mit diesem Haus. Die Bereitschaft war riesig, wir hatten keine professionellen Arbeiter, sondern nur ein paar ältere Kulturaktivisten, die uns angeleitet haben. Irgendwann haben DJs auf der Baustelle gespielt, damit es lustiger wird«, erzählt er heute. Nach dem Umbau war das Röda nicht nur für die dort lebenden Schüler Anzugspunkt. Viele all jener, die bei den Demonstrationen oder beim Umbau beteiligt waren und sich mittlerweile auf gen Studentenstadt gemacht hatten, kamen gern zurück. »Viele, die in Wien studiert haben, sind am Wochenende nach Steyr gekommen, um sich dort Bands anzuschauen. Diese Bands hätten auch im Flex gespielt, aber das Röda war für viele damals einfach ein ganz besonderer Ort«, schwärmt er. Mit dem Kollektiv »Sonora Superstars« organisierte Tanzer jahrelang Veranstaltungen im Haus und brachte neben klassischen Bands auch elektronische Acts nach Steyr, »obwohl am Anfang niemand verstanden hat, dass man einen DJ aus Berlin bucht, wenn man um das gleiche Geld auch eine richtige HardcoreBand, die mit echten Instrumenten spielt«, holen könnte.

Generationswechsel Dabei ist Florian Tanzer einer jener Wegbegleiter, die in den 20 Jahren zwischen Anfangseuphorie und dem diesjährigen Jubiläum zwischendurch in eine andere Richtung abgebogen sind. Nach vielen Jahren Arbeit für den Verein wandte er sich irgendwann zumindest teilweise ab, nicht zuletzt weil man sich programmatisch nicht immer einig war. Der Weg vom Verein, getragen allein durch Freiwillige, zur Veranstaltungsvenue, die regelmäßig bespielt wird und sich professionell organisieren muss, ist nicht immer

Das Röda wurde von Freiwilligen in Handarbeit renoviert.

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3 Gründe, in »Die beste aller Welten« einzutauchen Am 8. September startet der erste Langfilm von Adrian Goiginger in österreichischen Kinos. Der 25-jährige Regisseur arbeitet dabei seine Kindheit, geprägt von der Drogenabhängigkeit seiner Mutter, auf. Dabei ist »Die beste aller Welten« nicht nur ein weiterer Drogenfilm, viel mehr geht es um Liebe, Familie und die Wahrnehmung eines Kindes, das keine Vorurteile hat. Drei Gründe, warum es sich lohnt.

Die Perspektive wechseln

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einfach. Ehrenamtlichkeit wird schwieriger, sobald manche Tätigkeiten bezahlt werden, gleichzeitig werden auch basisdemokratische Abstimmungen schwieriger, je mehr Menschen beteiligt sind. Wird eine kulturelle Einrichtung in einer Kleinstadt 20 Jahre alt, so kommt es fast zwangsläufig zu einem laufenden Generationswechsel. Während sich die einen nach der Schule Richtung Großstadt aufmachen und nur für einige wenige Veranstaltungen zurückkehren, rücken junge Leute nach. »Es war sicher auch ein Problem, dass sich irgendwann fast zu viele Menschen mit dem Röda identifiziert haben. Es können eben auch nicht 100 Leute bei The Notwist Backstage sitzen«, gibt Tanzer heute lachend zu. Die von ihm und den Sonora Superstars ins Leben gerufene Veranstaltung Easter Megadance besteht bis heute, wenn auch nicht mehr unter seiner Organisation. Damit identifizieren kann er sich nur mehr teilweise, aber das sei in Ordnung. Übernommen hat das Event Michael Weiler, der bei der jährlichen Osterveranstaltung seine ersten DJ-Erfahrungen sammeln konnte, heute mittlerweile ebenfalls in Wien lebt, aber wie so viele Röda-Besucher immer noch gerne nach Steyr zurückkehrt. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass er jener Community etwas zurückgeben will, durch die er die Liebe zur elektronischen Musik entdeckt hat. Neben größeren Acts gibt die Osterveranstaltung auch Locals die Möglichkeit, sich auf einer großen Bühne vor knapp 500 Leuten zu beweisen. Bei seinen Bookings achtet Weiler heute auch darauf, auch DJs aus der Umgebung zu buchen. Schwierig sei das nicht, wie er sagt, denn rund um das Röda habe sich eine große Community gebildet – auch weil das dortige Beisl jederzeit als Spielwiese und Probebühne dient. Während die Röda-»Urväter« vor allem von den Zeiten des Aufbaus schwärmen, erzählen die, die nachkommen, mit einer ähnlichen Begeisterung von ihrer »musikalischen

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» Es war sicher auch ein Problem, dass sich irgendwann fast zu viele Menschen mit dem Röda identifiziert haben. Es können eben auch nicht 100 Leute bei The Notwist Backstage sitzen.« — Mike Glück Sozialisierung«, wie es Michael Weiler oder Max Atteneder von Catastrophe & Cure nennen. »Das Röda ist so etwas wie mein Wohnzimmer, wenn ich in Steyr bin. Ich habe hier meine ersten Konzerte gesehen und es ist die erste Bühne, auf der ich sehnlichst spielen wollte«, erzählt Max Atteneder. Auch er lebt mittlerweile nicht mehr in Steyr, die Bühne im Veranstaltungszentrum seiner Jugendzeiten ist für ihn aber noch immer etwas Besonderes, auf und vor die er vor allem aufgrund der familiären Atmosphäre und des Umgangs miteinander gerne zurückkehrt. »Dieser Schuppen gehört einfach schwer unterstützt«, schließt der Keyboarder von Catastrophe & Cure und spricht damit aus, was in allen Interviews rund um das Röda deutlich wurde. Yasmin Vihaus

Das Röda feiert am 9. September 2017 beim jährlichen Werhgrabenfest sein 20-Jahr-Jubiläum. Im Rahmen der Feier wird auch ein Buch rund um die Geschichte der Kulturinstitution präsentiert, Ende des Jahres folgt zudem ein Film von Jakob Kubizek.

Abenteuergeist entwickeln Adrian ist Abenteurer und nimmt den Zuseher mit in seine eigene Welt, in der aus einem Streit mit Erwachsenen ein wilder Kampf mit einem Monster im Wald wird, einer Welt, in der man alles werden und sein darf, einer Welt, die durch Zaubertränke und Zaubersprüche noch zauberhafter gemacht wird, und einer Welt, in die man flüchten kann, wenn einen die Realität überwältigt. Adrians Abenteuergeist vermittelt dabei eine erfrischende kindliche Leichtigkeit und das Bedürfnis, sich als Zuseher in so manches gedankliche Abenteuer zu flüchten.

Aus dem SchwarzWeiSS-Denken ausbrechen Während Drogenabhängigkeit in unserer Gesellschaft schnell stigmatisiert ist, zeichnet der Film ein Bild von Adrians drogenabhängiger Mutter Helga, das ganz anders ist, als man es erwarten würde. Die Sucht ist präsent, viel präsenter ist allerdings Helgas liebevoller Umgang mit ihrem Sohn. Adrian spielt neben einer Gruppe von heroinabhängigen Menschen in großteils friedlicher Koexistenz, bereitet mit seiner Mutter Zaubertränke zu und pflegt sie, als sie plötzlich aufgrund ihres Entzugs krank wird. Dabei wird die Sucht von Helga und ihrem Lebensgefährten nicht verharmlost. Der Film zeigt viel mehr auf, dass Sucht zwar das Leben beeinflusst, aber nicht vollends bestimmt.

Mehr auf: thegap.at / filmkulturoesterreich

Bezahlte Kooperation

Für Konzerte ist das Röda nach außen in erster Linie bekannt.

Der Film lädt Besucher ein, die Welt aus der Perspektive des 7-jährigen Adrian Goiginger zu betrachten. Dabei darf man dem von Hauptdarsteller Jeremy Miliker verkörpertem Bub nicht nur in seine eigene, verträumte und stets auf Abenteuer ausgerichtete Gedankenwelt folgen, durch die Kameraperspektive befindet man sich stets auf Augenhöhe des Kindes und nicht auf der der Erwachsenen. Das verändert das Filmerlebnis und bringt zusätzliche Authentizität.

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Reeperbahn real

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Mit drei Stunden Hair- und Make-up-Styling bereitet sich Eve Champagne auf den Abend vor: Der Kiez-Tour mit einer Touristengruppe folgen Auftritte im Olivia Jones Show Club.

Auf Hamburgs legendenbildender Partymeile tänzelt eine Gruppe der begabtesten Travestieund Revuekünstlerinnen rund um die »Bürgermeisterin von St. Pauli« Olivia Jones auf dem schmalen Pfad zwischen Erotik und Stand-upComedy. ———— Lindenberg, Glamour zwischen Rock’n’Roll, Striptease und Prostitution. 930 Meter halbseidener, hedonistischer Boulevard im Herzen der Elbmetropole, angetrieben von Alkohol und Kokain. St. Pauli, anno dazumal das Pflaster der Laster für Seemänner, heute ein Disneyland für Erwachsene auf Städtetrip. Kaum Einheimische verirren sich nachts hierher. Untertags hat die Reeperbahn den Charme eines geschlossenen Fachmarktzentrums. Einige, die es nicht ins Bett geschafft haben, schlafen auf den Gehsteigen ihren Rausch aus. Andere haben wohl kein eigenes Bett. Daneben werden vereinzelt Touristengruppen an den Schaufenstern vorbeigeschleift. Die Ehemänner versuchen verstohlen einen Blick auf irgendetwas Schlüpfriges zu erhaschen. Das billige Puff zwischen McDonald’s und Apotheke wirbt mit Sex um 39,90 Euro und zeigt eine überlebensgroße Nackte, die lasziv die Hände zwischen ihre gespreizten Schenkel presst. Der Laden hat auch schon geöffnet, für die Bordelle ist jetzt Hauptverkehrszeit. Das zeigen auch die Bankomaten am Eck. Es sind übrigens die mit den höchsten Umsätzen Deutschlands. Man muss in die kleinen Gassen abbiegen, um ein wenig annehmbaren Charme zu entdecken; etwa in die Hein-Hoyer-Straße gegenüber der Polizeiwache. Hier bilden alte

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» Äuglein schenken, Tittchen schwenken, immer an die Gage denken.« — Eve Champagne

Häuser doch so etwas wie Flair, mit kleinen Läden im Erdgeschoß. Gentrifizierungscafé vis-à-vis des grellpinken Erotik-Shop-Sex-Kinos. Dieses offeriert eine »große Filmauswahl, Accessoires und Kontaktraum« für YouPornÜberdrüssige und erlebnisorientierte Kundschaft.

Wohngemeinschaft auf High Heels Burlesque-Tänzerin Eve Champagne lebt hier gemeinsam mit Drag-Queen Veuve Noir in einer ehemaligen Wohnung von Reeperbahn-Star Olivia Jones. Klingt nach schriller Dauerparty, ist aber gewöhnlicher WGAlltag mit sockenbeladenem Wäscheständer und Kaffeetassen in der Abwasch. Eve und Veuve machen sich für den Abend zurecht, Kiez-Touren für Touristen, danach Auftritte in Olivias »Show Club« samt Bespaßung der Gäste. Zurechtmachen, das kann bei einer Burlesque-Tänzerin und einer Dragqueen

schonmal dauern. Ungeschminkt macht Eve beinahe den unscheinbaren Eindruck eines »Mädchens von nebenan«, erst Schicht für Schicht Make-up, mindestens vier Grün- und Blautöne um die Augen und künstliche Wimpern machen sie zu der Kunstfigur, die später bejubelt wird. Fragt man sie, warum die Reeperbahn bei Tag so unattraktiv ist, antwortet sie unverblümt mit: »So wie ich es bin?« Als Kind sei Eve eklatant hässlich gewesen, dürr, die Pubertät habe sehr spät eingesetzt, »ohne Titten, ohne Arsch – dafür bin ich jetzt mit 32 noch straff «, sagt sie selbst. Eve hatte bereits an der Reeperbahn getanzt, als Olivia Jones sie vor sechs Jahren zum Aushängeschild ihres neuen »Olivia Jones Show Club« machte. Sie ist damit die »einzige biologisch echte Frau« der Familie. Ihre Mitbewohnerin und Busenfreundin Veuve Noir wurde nach einem Casting von Olivia adoptiert – als »unerfahrene, aber talentierteste Dragqueen«. Beiden gemeinsam ist der unbeständige Drang nach der Freiheit und dem Wunsch, dem eigenen Way of Life zu folgen. Dazu bot ihnen nur Hamburg die Möglichkeit und mit dazu eine Bühne, die letztendlich ihren Lebensunterhalt sichert. Eve ist mit dem Make-up fertig, starrt nun etwas länger in den geöffneten Kleiderschrank. »Ich hab nichts auszuziehen«, schmunzelt sie und entscheidet sich für ein schlichtes, regensicheres Tour-Outfit in Schwarz. Danach bindet sie das Mieder von Veuve zu einer Wespentaille. Bevor es los auf den Kiez geht, gibt es noch Kaffee und

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037 Backstage im »Show Club« wechselt Eve zwischen vier Bühnenoutfits mit bis zu dreißig Einzelteilen.

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Zigaretten in der schreiend pinken Gemeinschaftsküche. Ein straffer Tagesablauf, ein durchgeplantes Arbeitsprogramm – ist das nicht im Prinzip gelebtes Spießertum? »Ne, das nenne ich Disziplin«, antwortet Eve, »Äuglein schenken, Tittchen schwenken, immer an die Gage denken«. Mit einem der 23 Paar High Heels geht es los auf den Kiez.

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Emanzipation in Vibrationsstufen Eves Kieztouren, Freitag und Samstag, sind regelmäßig ausgebucht. 32 Plätze werden zu zwei Drittel von Frauen belegt. Dennoch wendet sich Eve ganz zu Beginn an die Männer: »Keine Sorge Jungs, ich ziehe mich später in der Show für euch aus, da könnt ihr mich dann blickficken.« So lasziv und verführerisch Eves äußerliche Erscheinung auch sein mag, verbal führt sie einen Vorschlaghammer. Eine ungemein tiefe, kraftvolle Stimme haut zielsicher dorthin, wo es weh tut – gerade den Männern. »Die meisten Männer haben Angst vor mir. Auch ungeschminkt, weil da habe ich genauso eine große Fresse. Ich freue mich immer, wenn sich einer traut, mich in einer Bar anzusprechen – dann frage ich, ob ich ihm einen ausgeben darf«, erzählt sie später. Die Tour macht Stopp in der »Boutique Bizarre«, dem »größten Erotikkaufhaus Deutschlands«. Eve arbeitet hier Teilzeit als »Beziehungshygieneartikelberaterin« und berät in allen Angelegenheiten, die »Herz und Körperöffnungen begehren«. Da gibt es Vibrierendes, Saugendes, Flutschendes. Ihr blute jedes Mal das Herz, wenn Frauen, egal welchen Alters, bei ihr nach »etwas für unten herum« fragen. Als ob es egal wäre, ob klitoral, vaginal, anal. Als ob es nicht das natürlichste der Welt sei, sich selbst auch »dort unten« zu kennen, zu wissen, was gefällt und was nicht.

In der Boutique Bizarre, Europas größtem Erotikfachmarkt, zeigt Eve Trends der klitoralen, vaginalen und analen Freunden.

» Keine Sorge Jungs, ich ziehe mich später in der Show für euch aus, da könnt ihr mich dann blickficken.« — Eve Champagne Zur Selbstbestimmtheit der Frau gehöre auch und vor allem die selbstbestimmte Sexualität. »Vibratoren verbessern immer die Beziehung: Zum Partner, innerhalb einer Gruppe oder zu sich selbst«, endet ihr Plädoyer. Nach allerlei Anekdoten führt die Tour zu einem Abstecher in das Kiez-Museum, wo zwischen Ausstellungstafeln der Gruppe ein Mischgetränk aus Bier und Wein angeboten wird. Ja, Bier und Wein in einer Flasche, den Markennamen »Sin No. 8« tragend. Wenn

schon Sünde, dann auch Kultursünde. Geschmacklich soll es an einen Hugo-Spritzer erinnern. Der nächste Stopp führt in einen SM-Keller. Museal, ein Showroom mit Fuckmachine, Fuckhead, Gynäkologenstuhl, Latexpuppe und -gartenzwerg. Die Tour endet an der großen Freiheit vor Olivias »Show Club«. Jetzt, als es dunkel wird, beginnt der Kiez sein wahres Gesicht zu zeigen. Die Hässlichkeit wird von überbordenden Leuchtreklamen überstrahlt.

Olivia Jones und die »Zwillinge« Barbie Stupid und Lee Jackson begrüßen jeden Gast, innige Körperkontakte und Selfies inklusive.

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Mit einem langgezogenen »Jetzt wird es Burleeeeeesque!« moderieren Barbie und Lee Eves Auftritt an. Eve räkelt sich, streift und wirft lasziv ab, was ihr vielschichtiges Outfit zu bieten hat. Das Publikum geht mit, die Musik wird schneller, am Ende lässt Eve im Gejohle ihre Brüste rotieren.

Showbusiness mit Selfie-to-go Im Eingangsbereich des Clubs lehnt Olivia Jones an einem Barhocker. Olivia hat sich zu Beginn des Jahres ihre Oberschenkelknochen um sechs Zentimeter auf eine Körpergröße von 1,95 Meter kürzen lassen. Eine Tortur mit einem langen und komplizierten Heilungsprozess. Heute kann sie wieder ohne Krücken gehen, lediglich auf High Heels verzichtet sie. Mittlerweile betreibt die »Bürgermeisterin von St. Pauli« drei Läden an der Großen Freiheit, zusätzlich noch einen direkt auf der Reeperbahn. »Damit betreiben wir hier an der Großen Freiheit Denkmalschutz«, erklärt sie. Olivia Jones sei es immer ein Anliegen, den ursprünglichen Charakter der übernommenen Etablissements im Kontext der Reeperbahn möglichst ursprünglich zu erhalten. Nicht nur Olivia unterhält die Gäste, die ganze Olivia-Jones-Familie macht Stimmung. Auf 14-Zentimeter-High-Heels, mit 40-Zentimeter-Perücken stolzieren sie wie Hünen mit

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» Das war immer mein Traum, der Applaus auf der Bühne und dass mich die Leute im Kiez grüßen. Beides habe ich geschafft.« — Eve Champagne Glitzerlipstick durch die Menge. Jeder Gast wird begrüßt, als wäre er der einzige. Jedes Selfie wird mitgemacht, als wäre es das erste. Das sei auch einer ihrer wichtigsten, selbstauferlegten Bildungsaufträge: »Wir wollen den Leuten die Angst vor schwulen Männern nehmen«, erklärt Eve und Olivia ergänzt: »Wenn die gut getankt haben, dann werden sie sogar richtig zutraulich. Aber das gehört zum Job.« Direkt beim Eingang posiert die Dragqueen Jamina. »Na, haben wir Dich schon feucht gemacht?«, raunt sie einem gestandenen Bayern

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Eves wichtigste Botschaft: »Jede Frau ist schön, sie soll ihre Vorzüge zeigen und nutzen.« Ob umgekehrt auch jeder Mann schön ist? »Nee, aber Männer fühlen sich schön«, antwortet sie mit einem Grinsen. entgegen. Jamina hat an der Hamburger Schule für Comedy eine professionelle Ausbildung genossen. Feucht ist an diesem Abend jedenfalls das Wetter; unerbittlicher Starkregen drängt die Gäste im Außenbereich unter das Dach des Biergartens zusammen. Hamburger Badewetter, das die Gäste nicht fernhält. Der Club füllt sich und auch die Gäste, moderaten Getränkepreisen zum Dank. Ein Bier um vier Euro, am teuersten der Moët um 120 Euro.

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Beschallt wird mit Schlagern und Oldies, der eine oder andere Gay-Pride-Klassiker eingestreut. Als Show-Act wachsen Barbie Stupid und Lee Jackson, die Zwillinge, die nur zwölf Jahre auseinander sind und als Stand-up-Comedians performen, noch einige Zentimeter. Souverän lassen sie ihre Pointen knallen. Das Publikum johlt und klopft auf die Schenkel, bis es »burleeeeesque« wird und Eve Cham-

pagne durch die Menge auf die Bühne tänzelt. Aus 30 Teilen setzt sich das opulente 30erJahre-Outfit zusammen, jede Schicht wird von Eve dazu genutzt, die Lust am Ausziehen zu zelebrieren. An einem dieser Bühnenoutfits arbeitet Schneiderin Katja Rinné bis zu drei Wochen. Dass am Outfit alles sitzt, davon überzeugt sich auch Olivia im BackstageBereich. Besonders an den Nippeln, denn zum Höhepunkt der Show müssen die Busendreher mit den Goldquasten fest sitzen. Barbie und Lee verabschieden Eve mit einem StereoPopoklatscher von der Bühne, der noch Stunden später sichtbar ist. Eve schwärmt danach: »Das war immer mein Traum, der Applaus auf der Bühne und dass mich die Leute im Kiez grüßen. Beides habe ich geschafft.« So geht es weiter bis zur Dämmerung. Wer es schafft, wankt hinunter zum nahegelegenen Fischmarkt. Dort trifft eine Hundertschaft Betrunkener von der Reeperbahn auf ein paar Dutzend Hamburger Marktstandler. Sie schiebt sich Fischbrötchen hinein und kauft noch schnell einen 5-Kilo-Obstkorb oder einen 10-Kilo-Sack Hartweizengriespasta, die zumindest stabilisierend wirken. Junggesellenabschiede und Freundeskreise zerfallen vor der imposanten Kulisse der vom Sonnenaufgang in Lachsrosa getauchten Elbphilharmonie. Wer an der Elbe ein Taxi erwischt, kann sich glücklich schätzen. Wer nicht, taumelt zurück hinauf in Richtung Reeperbahn ... bis dort um 14 Uhr Michael Mazohl aufgeräumt wird.

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Play Austria Leben als Game-Entwickler in Österreich

Spiele zu entwickeln ist heute ein hochprofessioneller Bürojob –Leidenschaft für Games ist aber weiterhin wichtig.

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zu anderen Ländern wie Deutschland oder Frankreich, in denen es auch große Publisher (Koch, …) gibt, oder den USA, wo Entwickler teilweise überhaupt nur den Heimmarkt im Blick haben. In letzter Zeit sind diese Strukturen aber im Wandel und auch in anderen Ländern sehen sich immer mehr Studios international um Aufträge um. Es ist deswegen auch typisch, dass in Österreich die größeren Studios eher marktorientierte Spiele und bekannte Marken umsetzen, als eigene Marken zu entwickeln. Die Spiele sind weniger für klassische Core-Gamer gedacht als mehr für einen breiten Markt mit vielen mobilen Games oder Free-to-play-Titeln.

Untereinander hilfsbereit Johanna Schober beschreibt die heimische Szene als »dynamisch und hilfsbereit, mit einer großen Bereitschaft, sich auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen.« Es gibt zwar Geheimhaltungsverträge während der Entwicklung, die eingehalten werden müssen, darüber hinaus besteht aber eine große Bereitschaft zum Erfahrungs- und Wissensaustausch. Und dies auf vielen Ebenen: »Es gibt einen regen Austausch auch zwischen größeren Studios, Game Jams und Studierenden-Projekten.« Nachdem die Szene lange Zeit von den ehemals großen Studios wie JoWood oder auch Games That Matter, ehemals Rockstar

Vienna, und ihren Mitarbeiten, die mittlerweile in vielen verschiedenen Unternehmen arbeiten, dominiert wurde, gibt es heute auch eine jüngere Generation, die nachkommt. Der internationale Wettstreit um Aufträge ist in den letzten beiden Jahrzehnten durchaus größer geworden und es reicht nicht mehr, den Auftraggebern eine gute Idee zu präsentieren – »spielbare Demos sind meist mindestens nötig«. Hier tragen zum einen die Studios selbst das Risiko von Vorentwicklungen – »auf der anderen Seite sind die Werkzeuge, Tools und Programme besser geworden und es ist heute möglich, schneller und einfacher Prototypen zu entwickeln«. Prototypen, die oft dank Publisherwünschen und Marktentscheidungen nur bedingt mit dem Endprodukt zu tun haben. Ein globaler Trend der vergangenen Jahre sind Outsourcing und sogenannte virtuelle Studios, in denen die Entwickler nicht an einem Ort sitzen und die Leistungen wie bestimmte Modelle, Landschaften, Story oder auch Musik von verschiedenen Lieferanten zukaufen. Heimische Studios sind hier manchmal Auftraggeber – es gibt aber auch welche, die sich auf bestimme Leistungen spezialisiert haben und international zuliefern.

Erwartungshaltung Was ein erfolgreiches Spiel auszeichnet, ist für Johanna Schober leicht auszumachen: »Ein Spiel, das jemand gern spielt! Wenn jemand

Julie Brass

Im September präsentieren auf der Play Austria im Semperdepot an die 40 heimische Entwickler ihre Spiele. Wir haben Johanna Schober von Sproing gefragt, wie sie arbeiten. ———— Die österreiche Spieleentwickler-Community ist zu einem Teil durch Abwesenheiten geprägt: Es gibt hier, bis auf Ausnahmen, keine Niederlassungen von großen internationalen Branchen-Unternehmen. Johanna Schober, als COO für das operative Geschäft bei Sproing verantwortlich, meint dazu: »Das ist schon augenfällig und ein Grund dafür, warum die Szene klein strukturiert ist.« Bis letztes Jahr war Sproing der größte heimische Entwickler, musste aber im Zuge einer geordneten Insolvenz verkleinern, um neu zu starten. Mit rund 60 Mitarbeitern ist aktuell nun wohl das steirische Unternehmen Bongfish der rein zahlenmäßig größte Entwickler. Grundsätzlich kommen Studios in erster Linie auf zwei Wegen zu Aufträgen: Entweder sie entwickeln eine Spielidee, die sie dann Publishern, die diese auf den Markt bringen, anbieten – oder sie nehmen an Ausschreibungen der Publisher um die Entwicklung bestimmter Titel teil. Ohne große Unternehmen, Publisher und Auftraggeber im Land ist der Blick nach außen eine gemeinsame Eigenschaft der heimische Szene: »Die Studios müssen offen sein und sich international ausrichten«, fasst Johanna Schober dies zusammen. Dies ist durchaus ein Unterschied

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gerne Candy Crush spielt, hat niemand anderer das Recht, dem zu widersprechen oder das blöd zu finden.« Ein pragmatischer Zugang. Sie sieht hier aber in erster Linie eine gewisse Erwartungshaltung aufseiten der Konsumenten, die eher Spiele kaufen, die sie verstehen und kennen, als sich auf Experimente einzulassen. Eine Regel, der bis auf wenige Ausnahmen mit selten wirklich erfolgreichen Indie-Spielen auch die Appstores mit ihren Empfehlungen folgen: »Die großen Appstores sind weniger technisch fortschrittlich, als man annehmen mag. Empfehlungssysteme, wie man sie von Onlineshops kennt, gibt es teilweise nicht. Hier geht es um gute Kontakte oder das Erfüllen von Erwartungen, um gefeaturt zu werden.« In den letzten zehn Jahren haben deswegen viele Entwickler

Play Austria

» Die großen Appstores sind weniger fortschrittlich, als man annehmen mag. Empfehlungssysteme, wie man sie von Onlineshops kennt, gibt es nicht. Hier geht es um gute Kontakte oder das Erfüllen von Erwartungen.« — Johanna Schober selbst versucht, eine Community aufzubauen und ihre Titel an die Spieler zu bringen. Der Wunsch der Entwickler, ohne Publisher über Facebook und mobil direkt zu verkaufen, sei verständlich, habe aber in den wenigsten Fällen zu Erfolgen geführt. Eine dieser Ausnahmen ist das heimische Game »Blek«. Von Denis and Davor Mikan in Österreich programmiert, wurde es über eine Million Mal

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heruntergeladen. Diese Treffer werden aber in einem gesättigten Markt immer weniger.

Gute Ausbildung Zufrieden und »happy« zeugt sich Johanna Schober mit der Ausbildungssituation in Österreich. Es gibt immer gute Juniors – »das Training findet dann on the Job statt«. Die meisten FHs bieten in Österreich im GamesBereich ein breites Bachelorstudium an, an das im Master dann eine Spezialisierung angeschlossen wird. Unerlässlich ist für Johanna Schober, dass »die Studierenden an allen FHs in Projektarbeiten kollaborieren und im Team arbeiten müssen. Es ist extrem wichtig, zu sehen, wie man zusammenarbeitet, gemeinsam Ziele definiert oder auch mit Konflikten umgeht.« Teilweise kommt es auch zum einem Austausch über Branchen hinweg – Fertigkeiten von Spielentwicklern sind in anderen Bereichen gefragt. Dazu gehören natürlich Animationen, die auch im Filmbereich Einsatz finden, oder etwa User-Interface-Design in jeglicher Software-Entwicklung oder auch spielerische Methoden beim Lernen oder in der Mitarbeiterführung: »Hier kommt es manchmal schon zu einem Kampf um die besten Köpfe und einzelne Entwickler wählen nach der Gamesbranche schon mal den fixeren Entwickler-Posten in einer Bank.« Um in einem Spielstudio mitzuarbeiten braucht es »Einsatz und Leidenschaft für das Produkt – und nach einer Professionionalisierung der Branche ist es auch nicht mehr üblich, dass Leute unter den Tischen schlafen«. Martin Mühl

Jogi Neufelds Subotron ist eine Anlaufstelle für Spieler im Wiener MuseumsQuartier. Jahrelang gab es dort den Shop für Retro-Spiele, der offensichtlich gemacht hat, dass digitale Spiele hier als Teil der Kultur verstanden werden. Weiterhin gibt es mehrmals im Monat Vorträge, Präsentationen und Diskussionsveranstaltungen, die die heimische Szene im Blick haben und Interessierten Einblick geben. In die Spiele, in den heimischen wirtschaftlichen Hintergrund oder auch in internationale Entwicklungen.

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Johanna Schober ist COO von Sproing

Am Freitag, 15., und Samstag, 16. September 2017, findet im Wiener Semperdepot Play Austria statt – ein Gaming-Event auf dem sich heimische Entwickler, Ausbildungsstätten und Initiativen präsentieren und zur Vernetzung einladen.

Mit Play Austria versammelt Subotron nun erstmals die gesamte Szene zu einem zweitägigen Events, lässt Studios und Entwickler ihre Spiele zeigen, Ausbildungsstätten präsentieren und Initiativen ihre Fokus vermitteln. Aktivitäten und Games von Entwicklerstudios, Ausbildungsstätten, ForscherInnen und Initiativen aus ganz Österreich kennenlernen und sich mit den kreativen Köpfen austauschen. Auf der »Let’s Play Stage« finden informative Talks und Diskussionen zum Thema Digitale Spiele statt. Eine Ausstellung zur Games-History und interaktive Do-it-yourself-Stationen runden das abwechslungsreiche Rahmenprogramm ab und laden das Publikum ein, selbst kreativ zu werden. Mit dabei sind unter anderem Entwicklerstudios wie Sproing, Broken Rules, Kunabi Brother und Wideshot, sowie die HTL Spengergasse, die TU Wien und die Fachhochschulen Hagenberg und Salzburg.

Play Austria 15. und 16. September, Semperdepot Wien playaustria.com Disclaimer: The Gap ist Medienpartner der Play Austria und Monopol hat die Website und das Messeheft von Play Austria produziert.

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Workstation Menschen am Arbeitsplatz

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Patrick Münnich Zoran Sergievski

Harald Nussbaumer, 30, Bogner Veranstaltungs-GmbH Eigentlich gärtnerte Harald lange hauptberuflich und ab Herbst ist er Lehrer. Trotzdem hat er die Gäste in Wiesen immer »mit Liebe verköstigt«. – immer­ hin wuchs Harald »mehr oder weniger« am Festivalgelände auf. Sein Onkel ist damals auf die Idee gekommen, am Gelände einen Ofen zu bauen und Pizzen zu verkaufen. Mit fünf Jahren half Harald da erstmals aus, schälte Zwiebeln und Knoblauch. Er empfand das immer als familiär. In der Jugend setzte sich das fort, seine Ferialjobs waren in Wiesen. Die legendären »Dukaten Chips« (am Foto) gehören einfach dazu, meint er für jeden WiesenBesucher vollkommen nachvollziehbar. Einmal versalzte er eine Portion der Chips bei einer jungen Frau »ein bissl, weil i so verträumt war«. Die Kundin fragte nach, ob der Koch verliebt sei. Harald dazu lachend: »Ja, mittlerweile samma verheiratet und haben ein Kind.« wiesen.at

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René Carl Weber, 40, und Uwe Schrögendorfer, 40, Caterer beim Ahoi! The Full Hit Of Summer, Mehrweg Gastronomy Linz Das Portfolio von René Webers Team umfasst unter anderem das Linzer In-Lokal Arkadenhof, wo Uwe Schrögendorfer Küchenchef ist. Außerdem betreibt seine Firma Traditionsgasthäuser, Bars und Familienrestaurants. Naheliegend, dass der Posthof die zwei heuer als Caterer für ihr Festival an der Donau­ lände engagierte. Die beiden Köche standen persönlich am Herd: »Ich bin grundsätzlich immer selber vor Ort«, sagt Weber. Insgesamt sei es »sehr gut« gegangen. Weber kennt auch anstrengendere Events. Wenn man etwa »auf der großen Wiese steht und dann geht der Strom nicht«. Ist der Chef selbst Festivalgänger? Weber schmunzelt: »Aus dem Alter bin ich raus. Wenn ich Zeit habe, gehe ich auf Clubkonzerte.« mehrweg-gastro.at

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Ein Fest in Bildern 20 Jahre the Gap

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Sich zum runden Geburtstag mal ordentlich gönnen: Mavi Phoenix, Mile Me Deaf, Euroteuro und Ana Threat auf den Bühnen, In Dada Social und die Redaktion an den DJ-Pulten und ihr im Publikum – es hätte nicht schöner sein können! Die große Party anlässlich 20 Jahre The Gap fand am 16. Juni 2017 im Fluc statt.

Mile Me Deaf sorgten für fröhliche Farben und ein breites Spektrum an willkommenen Melodien und Klängen.

Chefredakteurin Yasmin Vihaus begrüßte mit Martin Mühl und Manuel Fronhofer die Gäste.

Die Party-Organisatoren Kevin Reiterer und Manuel Fronhofer standen um 8 Uhr früh, Stunden nach Sonnenaufgang, noch immer motiviert an der gleichen Stelle.

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Euroteuro bescherten der Party mit ihrem ausgelassenen Konzert einen weiteren Höhepunkt.

Nikolaus Ostermann, Armin Rudelstorfer, Katharina Jauk

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Illbilly the K.I.T.T. las zur Einstimmung beinahe überraschend sanfte Sex-Kolumnen.

Die Möglichkeit, Mavi Phoenix im kleinen Club-Kontext zu sehen, wollten sich nur wenige Partygäste entgehen lassen.

Ana Threat versammelte mit ihrer Solo-Perfomance schon früh zahlreiche Zuhörer vor der Bühne.

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Prosa — Ja kob Pr etter hofer

Geschwisterhiebe Eine Hand, ein Bein und zwei (Halb-)Brüder, die sich nicht leiden können. Jakob Pretterhofer, Drehbuchautor und Schriftsteller, erzählt eine Geschichte über ungleiche Geschwister und einem Krieg, der ein Leben lang dauert.

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Der Einarmige und der Einbeinige Mein Großvater hatte nur einen Arm, und er mochte mich nicht. Ihm fehlte der linke Arm, weil er ihn sich 1945 selbst knapp unterhalb der Schulter abgehackt hatte. Seinen Halbbruder, den Franz, den Einbeinigen, mochte er auch nicht. Dem Franz fehlte das Bein nur angenehm metaphorisch und nicht unangenehm körperlich. Der Einbeinige war ein trickreicher Mittelstürmer, bekannt für seine gefinkelten Haken und seinen Eiertanz mit dem Ball. Er wurde Einbeiniger genannt, weil er den Ball ausschließlich mit dem linken Fuß kickte. Den Franz mochten alle, und erfolgreich war er noch dazu. Mein Großvater war gar nicht erfolgreich, und niemand mochte ihn, vielleicht, weil er auch niemanden mochte. Den Erfolg hätte mein Großvater dem Franz noch verzeihen können, aber mein Großvater machte seinen Halbbruder (ihre Nieren und alles rundherum hatten dieselbe Mutter, aber unterschiedliche Väter) dafür verantwortlich, nur einen Arm zu haben, obwohl er ihn sich selbst abgehackt hatte. Die Krieg war vorbei, aber an seinem Tisch fand er noch immer statt. Vielleicht merkte er, wie er mir damit Angst machte, und mochte mich deswegen nicht. Wie erfolgreich hätte er mit zwei Armen sein können, fragte er mich jeden Abend, wenn ich im Sommer mehrere Wochen bei ihm verbrachte. Ich saß mit ihm in der Küche, er trank Spritzer und am Küchentisch war der Krieg noch lange nicht vorbei und die Erfolglosigkeit noch lange nicht überwunden. Immer wieder erzählte er von seinem einzigen Sieg, die Stadt war Wien, der Geruch miefig und der Schweiß frisch, wie er meinem Großvater den Rücken hinunter rann und auf den Ringboden tropfte, während das Publikum rief, die Catcher sollten sich gegenseitig die Därme herausreißen und daran aufhängen oder sich gegenseitig die Herzen herausreißen und in die Brust scheißen, und dann hat das Publikum gelacht und

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in ein Salzstangerl gebissen und einen großen Schluck Bier getrunken und mein Großvater, der Einarmige, hat sich gedacht, hätte ich nur einen zweiten Arm, ich würde es euch zeigen. Mein Großvater war lang und dürr und nannte sich Der lange Napoleon, weil er, wenn er den Kopf eines anderen Kämpfers in die Mangel nahm und ihn mit seiner einen und einzigen, seiner rechten Ellbogenbeuge, gegen die Rippen presste und dem Kontrahenten so die Luft aus der Lunge würgte, noch Zeit dazu fand, die Hand in die speziell genähte Einlassung des Ringergewandes zu stecken und sich so wie der kleine, der französische Napoleon, über den schmerzenden Bauch zu streicheln. Und dann saß sein Bruder im Publikum, und Schaum trat meinem Großvater vor den Mund und er schmiss seinen Kontrahenten zu Boden und würgte diesen, bis der blau anlief, und das Publikum johlte und mein Großvater siegte. Bis 1944 mochten sich die beiden. Die Mutter war krank, der Ältere kümmerte sich um sie, der Jüngere half ihm dabei. Dann sollte der Franz in den Krieg, der Einbeinige, das große Fußballtalent, aber der wollte nicht in den Krieg. Eine Lösung musste her, der Krieg konnte nicht mehr so lange dauern, laut sagen durfte man das nicht, aber sie ahnten es. Zeit schinden war angesagt. Der Franz musste sich also verletzen, gerade so, dass er der Truppe nicht von Nutzen war, aber auch so, dass er weiterhin der Einbeinige, der Fußballer bleiben konnte, und auch so, dass ihm niemand anmerken konnte, dass er sich selbst verletzt hatte. Zu diesem Zwecke hat man sich vor allem ins Café Weber und ins Café Bürgerhof begeben, dort sind die Soldaten mit eingegipsten Armen und ausgerenkten Schultern und infizierten Wunden aneinandergereiht gesessen. Es gab je nach Bezirk andere Methoden der Selbstverletzung, bei der Erdbergerischen Variante wurde ein Kochlöffel in die Höhlung neben der Kniescheibe angesetzt und mit dem Draufschlagen auf den Stiel ein Meniskusriss erzielt, bei der Simmeringer Variante sprang eine zweite Person auf das ausgestreckte Bein des Verletzungswilligen, um Knie- oder Sprunggelenk anzuknacksen.

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Jakob Pretterhofer Der gebürtige Grazer Jakob Pretterhofer (Jg. 1985) lebt seit 2005 in Wien. Hier studierte er an der Fimakademie und arbeitet mittlerweile als Filmdramaturg und Drehbuchautor. Zudem veröffentlichte er vor Kurzem sein beachtenswertes, literarisches Debüt »Tagwache« (Luftschacht Verlag). Darin begibt sich Pretterhofer ins Bundesheermilieu und dringt mit einer hochsensiblen Coming-of-Age-Story tief in die prägenden, hierarchischen Strukturen der Staatsinstitution ein. Pretterhofer gelingt dabei das Kunststück, eine Story zu entwickeln, die ohne olivgrüne Bundesheer-Klischees auskommt und in klaren, knappen Sätzen die Geschichte einer alten und neuen Katastrophe erzählt.

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Der Einbeinige hat sich mehrmals hintereinander den Arm brechen lassen, die Beine sollten unversehrt bleiben. Aber sie sind ihm draufgekommen. Er wurde wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt, acht Jahre Zuchthaus und Verlust der Wehrfähigkeit lauteten das Urteil. Die letzten Kriegsmonate überlebte er, weil er eingekerkert war. Das nachgereichte Todesurteil wurde nicht vollstreckt. Jetzt war mein Großvater auf sich alleine gestellt, die Mutter wurde kränklicher, das Essen war rar, und bald sollte auch mein Großvater eingezogen werden, auch er wollte nicht. Er dachte an seinen Bruder, an das Café Bürgerhof und das Café Weber, die Erdbergerische und die Simmeringer Variante, aber die Cafés wurden mittler­weile bespitzelt und die Varianten waren amtsbekannt. Die Oberfeldrichter sprachen von einer Wiener Selbstverstümmelungsseuche. Mein Großvater wusste nicht weiter. Am nächsten Morgen war es soweit, der Krieg wartete, ein letztes Mal Holz hacken im Hinterhof, für den Ofen der Mutter, er dachte nicht nach, das Blut schoss heraus und er wurde ins Lazarett gebracht. Links nebenan reicherte einer seinen Urin mit Blut an, rechts nebenan steckten sich zwei immer wieder gegenseitig mit der Syphilis an. Es funktionierte, mein Großvater wurde nicht an die Front geschickt. Aber fünf Tage später war der Krieg vorbei. Der Arm war umsonst abgehackt worden. Einige Jahre später spendete mein Großvater seinem Bruder eine Niere, gerade weil er ihn so gehasst hat. Weil er hat gewusst, dass dem Einbeinigen nichts mehr schmerzen wird als von einem verhassten, erfolglosen, einarmigen Menschen gerettet worden zu sein und so ihm, dem verhassten Bruder, zu Dank verpflichtet sein zu müssen. Und mein Großvater hatte sich so das Anrecht erwirkt, seinem Halbbruder bei jedem Treffen sein eigenes Unglück vorhalten zu können. Es war die größte Freude in seinem Leben. Warum er mich nicht mochte, habe ich nie herausgefunden.

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Filmpremiere The Dark Tower

Gewinnen thegap.at/gewinnen

Hasbro Super Soaker

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Gewin

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Idris Elba und Matthew McConaughey treffen einander in dieser Stephen-King-Adaption zum ultimativen Duell zwischen Gut und Böse. Fantasy, Western, Science-Fiction, Horror – »The Dark Tower« mischt die Genres meisterlich. Das Internet dreht jedenfalls schon mal durch. Und wir auch.

Mi., 9. August 2017, 20 Uhr UCI Kinowelt Millennium City Am Handelskai, 1200 Wien Wir verlosen 40 � 2 Tickets für die Premiere von »The Dark Tower«. Der Film wird in englisch­ sprachiger Originalversion gezeigt. Die Gewinnspielteilnahme ist bis 6. August 2017 unter thegap.at/gewinnen möglich. In Kooperation mit

KINOWELT

Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich unter der angegebenen Adresse erfolgen. Die Gewinner werden bis 7. August 2017 per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist aus­ geschlossen. Mitarbeiter des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.

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Hasbro erneuert aktuell im Sommer die Modellpalette der neuesten Nerf Super Soaker Spritzpistolen. Mit dabei der Floodinator – dem mit 2-Liter-Wassertank nicht so schnell das Nass ausgeht. Oder der H2OPS Tornado Scream mit dem »Pressure Tech«-Pumpsystem und zwei spiralförmigen Nebenstrählen und dessen kleinerer Version Squall Surge. Wir verlosen je eines dieser drei neuen Modelle.

Planet der Affen Mit »Planet der Affen: Survival« läuft am 3. August der Abschluss der aktuellen Trilogie in den Kinos an. Ceasar und seine Affen stehen nun endgültig einer Armee von Menschen gegenüber und müssen ihren Weg finden, mit dem militärischen Konflikt umzugehen. Wir verlosen anlässlich des Kinostarts zwei Fan-Pakete bestehend aus den Comics »Planet der Affen Zeitwende 1 – Exodus« und »Planet der Affen Zeitwende 2 – Kataklysmus«, je einer Kappe und einem Flaschenöffner.

Sin City 1 & 2 »Sin City 1« und »Sin City 2« kommen nun erstmals im Doppelpack als DVD und Blu-Ray auf den Markt. Mit der Verfilmung der Graphic Novels von Frank Miller starteten Regisseur Robert Rodriguez, Frank Miller selbst und Gastregisseur Quentin Tarantino einen Reigen von ästhetischen Stilmitteln, die zwischen Grafik und Film angesiedelt sind und fortan immer wieder zu sehen waren. Ganz Frank Miller sind die Männer hier harte Machos, die Frauen schön, aber gefährlich – und »Sin City« ein düsteres Vergnügen. Wir verlosen drei Blu-Ray-Boxen.

Logan Wir trauen uns nicht zu wetten, ob »Logan« der letzte Wolverine-Film war, aber James Mangold ist damit ohne Zweifel eine willkommen andere Superheldenfilm-Interpretation gelungen. Dieser Logan ist alt und müde und er will nicht mehr kämpfen. In einem Wüstenkaff sogt er für den alternden Xavier – bis die alten Kämpfe in Form einer jungen Mutantin, um die er sich zu kümmern hat, von Neuem starten. Ein melancholischer, geradliniger Actionfilm. Wir verlosen drei DVDs.

A Cure For Wellness Gore Verbinski kann in »A Cure For Wellness« nicht verstecken, dass er ein Faible für Figurentypen hat, das er üblicherweise in der »Fluch der Karibik«-Reihe auslebt. Der ziemlich großartige Dane DeHaan spielt diesmal den Mitarbeiter eines großen Unternehmens, der den in einer Klinik in den Alpen verschollenen Gründer zurückholen soll. Doch schon bald wird klar, dass die Klinik so manch mysteriöses Geheimnis birgt. Wir verlosen drei DVDs.

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Rezensionen Musik 5K HD

Grundlagenarbeit wurde schon im vergangenen Jahr geleistet, damals wurden noch unter der Flagge Kompost 3 feat Mira Lu Kovacs die EP »MeM« und »Anthem« auf Laubrecords veröffentlicht. Die Richtung war vorgezeichnet: Jazz, ja, Pop, natürlich – weiters Elektronik, Funk, Distortion und Noise. Mira Lu Kovacs (Gesang), Manu Mayr (Kontra- und E-Bass), Martin Eberle (Trompete, Flügelhorn), Benny Omerzell (Keyboards, Klavier) und Lukas König (Schlagzeug, Percussion und Synthesizer) firmieren nun also unter dem Namen 5K HD (englisch ausgesprochen) und veröffentlichen mit »And To In A« ihr erstes Full-Length-Album auf Seayou Records. 5K und HD kennt der Laie als Begriffe aus der Monitortechnik, es wird hiermit die Bildauflösung und die daraus resultierende Bildschärfe definiert. Auch 5K HD lösen Musik sehr fein und ziseliert auf, Auflösung wird jedoch hier auch im Sinne von Auslöschung verstanden. Die fünf Musikerinnen und Musiker bewegen sich gekonnt kalkuliert in der Dualität zwischen den Polen Ruhe und Sturm – an zentraler Stelle des Albums steht so auch das siebenminütige »Not A Love Song«. Ein anfangs melancholisches Duett aus Stimme und Spielzeugpiano schlägt ansatzlos ins Noise-Gewitter um, These und Antithese lösen sich am Ende in der Synthese auf; diese musikalische Dialektik zieht sich gleichsam als roter Faden durch das Album. Attack und Release als eine treibende Kraft findet auch in den übrigen neun Tracks von »And To In A« statt. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Band im weiten Feld zeitgenössischer Musik: dass jedes der Bandmitglieder eine sehr persönliche Sprache im Umgang mit seinem Instrument gefunden hat. Das Experimentelle in Rhythmik, Tonsatz und Form lässt aber keinesfalls den Pop-Appeal zu kurz kommen. Man höre etwa »Patience« mit seinem wunderbar schweren Pathos, das verspielt gefrickelte »Gimme«, direkt aus der Weilheimer Schule, oder auch »Ice Bird« (vermutlich Inspiration für die schöne Covergestaltung von Schorsch Feier­feil), welches aus mindestens fünf Teilen besteht und nichtsdestotrotz durchgehend herzerweichend groovt. Absolute Empfehlung! (VÖ: 26. August 2017) Thomas Nussbaumer

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Astrid Knie

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And To In A — Seayou Records

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Rezensionen Musik

Aivery

Alvvays

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Es wurde schon gemunkelt in der Hauptstadt, da kündige sich etwas Größeres rund um die Dreierformation Aivery an. Das erste große Ding – ein Debütalbum. Ohne Pauken und Trompeten, dafür aber mit viel Energie und einem Händchen für melodiöse Komplexität präsentieren sie sich auf »Because«, das im September bei Siluh Records erscheint. Franziska Schwarz (Bass, Vocals), Jasmin Rilke (Guitar, Vocals) und Doris Zimmermann (Drums) haben ganz genaue Vorstellungen vom Aivery-Sound, vom Sollen und vom Müssen, von Instrumentierung und von Kohärenz. Gemeinsam mit Mario Zangl, der sonst als Mile-Me-DeafGitarrist und Numavi-Records-Mensch in Erscheinung tritt, entstand das gute Stück im hitzigen Grazer Sommer letzten Jahres. Die Titel der Songs lesen sich wie ein offensiver Rundumschlag gegen alles und jeden, von »Disregard« geht es über »Don’t Dare« zu »Not Sorry«. Mit aufgeladenen Gitarrenriffs, einer Prise Distortion und einer ordentlichen Portion Anger zieht sich dieser Groll kontinuierlich durch das Album. Ohne Kompromisse. Da darf der Hang zur vermollten Dissonanz auch nicht fehlen. Gekonnt eingesetzt wird das auch auf der ersten Singleund Video-Auskoppelung »Disregard«, in der sich die fast schon tänzelnden Offbeat-Strophen im vor Riffs triefenden Refrain auflösen. Während im Video die Kamera durch einen grünen Palmendschungel stapft, predigt Schwarz »Fake it until you have it all«, der Ignoranz und hingebungsvollen Missbilligung frönend. Auf »Because« wird einem definitiv nicht langweilig. Und Aivery müssen sich auf keinen Fall für etwas entschuldigen – sorry, not sorry eben. In knackigen neun Songs und 30 Minuten wird das Dagegensein durchdekliniert, form follows function. Denn: »Because« ist ein bisschen Math-Rock, dann wieder Grunge, irgendwo glaubt man sogar Brian Molkos klagenden Placebo-Gesang zu erhaschen. Doch Aivery lassen sich nicht in eine Schublade samt Riot-Grrrl-Stempel quetschen. Warum nicht? Wie schon der Albumtitel verrät: Weil halt. (VÖ: 1. September 2017) Michaela Pichler

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Antisocialites — Transgressive Records Die kanadische Band Alvvays baut auf ihrem zweiten Album »Antisocialites« eine Traumlandschaft aus dem lieblichen Gesang von Frontfrau Molly Rankin und heiteren Surf-Gitarren. Dazu gibt es – als antagonistisches Element – melodramatische Einsichten wie »There is no turning back after what’s been said«. Bereits die erste Singleauskopplung »In Undertow« ist ein verträumter Indie-Hit für heiße Sommertage am See. Rankins Stimme ist, wie schon auf dem selbstbetitelten Debütalbum, eine Oase zum Sich-Fallenlassen. Allerdings haben sich Alvvays nun von den roheren Nummern, für die sie 2014 gefeiert wurden, weitestgehend verabschiedet und auf sanftere Wege begeben – mehr Dreampop und weniger kratzende Gitarren. Ein Süß­warenladen des Indierocks, so scheint es. Und wie passend, dass ein Song den Namen »Lollipop (Ode To Jim)« trägt. Der Höhepunkt des Albums ist das vorletzte Stück »Saved By A Waif«. Treibend genug, um nicht im Bett liegen zu bleiben, und trotzdem kein bisschen an der träumerischen Charakteristik sparend. Schöner könnte es fast nicht mehr werden. Die Refrains zum Mitsingen, wie sie auf »Alvvays« zuhauf zu finden waren, vermisst man nur marginal, denn zum Mitpfeiffen reichen die neuen Melodien auf jeden Fall. Ja, man muss es so sagen: »Antisocialites« ist ein klassisches Sommeralbum für Menschen, die ein wenig zu viel nachdenken. Deshalb ein gut gemeinter Vorschlag: Das Rad aus dem Keller holen, die Badeklamotten einpacken, zum nächste See fahren und sich wünschen, dieser Tag wäre forever and alvvays. (VÖ: 08. September 2017) Tobias Siebert

Tina Bauer, Transgressive Records, Guy Aroch

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Because — Siluh Records

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Rezensionen Musik

Arcade Fire

Everything Now — Sony Music

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Bueronardin

29.9. A City 8.10. Full of 2017 Design

Abgesehen von einer Parade durch die bunten Straßen New Orleans, die Arcade Fire in Gedenken an David Bowie initiierten, ist es vier Jahre lang eher ruhig gewesen um die Kanadier. Dann tauchte vor einigen Wochen wie aus dem Nichts die Single »Everything Now« auf. Im dazugehörigen Musikvideo präsentiert sich die sechsköpfige Band in einer menschenleeren Wüste und Sänger Win Butler zerlegt mit allerhand Pathos und Abba-Gedächtnismelodie die heutige Mentalität des permanenten, alles umfassenden Besitzenwollens. Was sich in musikalischer Hinsicht auf dem Vorgängeralbum »Reflektor« bereits angekündigt hat, wird dabei zum Höhepunkt getrieben: Arcade Fire – immer wieder als größte Band der Welt bezeichnet – machen sich selbst zu Ikonen der Tanzfläche. Auf ihrem fünften Album »Everything Now« wird sich am Sein im Jetzt abgearbeitet und gefragt: Wie wollen wir leben? Man mag bezweifeln, dass die heutigen Werte und Ideale zu einem glücklichen Dasein führen, aber ein glückliches Dasein, was ist das schon? Und wenn es das nicht gibt, wie kommen wir da raus? In »Creature Comfort« wird der Versuch eines Suizids beschrieben, den ein Fan in einer Badewanne herbeiführen will – mit Unterstützung des ersten Albums der Band – »Funeral«. Die eigene Musik als Exitstrategie sehen – größer geht es wohl kaum. Zum fünften Mal haben es Arcade Fire geschafft, sich und ihre Musik neu zu finden. Diesmal: Pop und noch mal Pop. Es gelingt der Band dabei abermals, ihre Diversität zu entfalten. Ob Synthiepop (»Electric Blue«) oder treibender Rocksong mit Streichern im Hintergrund (»Infinite Content«) – Arcade Fire sind Meister vieler Fächer. Das zeigt auch die finale Conclusio des Albums: »We Don’t Deserve Love«. Eine Resignationserklärung mit hymnischer Umarmungskraft. Eines kann die kanadische Band schließlich par excellence: Hymnen schreiben. Hymnen von heute für heute. In 15 Jahren Bandgeschichte haben sie es hingegen nicht »geschafft«, den einen, singulären Überhit zu schreiben, auf den man sie reduzieren könnte, wie es oft bei anderen Bands ihrer Art geschieht. Und das macht sie vielleicht wirklich zur größten Band der Welt. (VÖ: 28. Juli 2017) Tobias Siebert

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Rezensionen Musik

Ansa Sauermann

Grizzly Bear

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Die Fähigkeit zu differenzieren ist des Pudels Kern dessen, was sich deutscher Pop nennt. Die Gleichschaltung der Labels, generell bessere Rezeption durch Zeitgeist und Fernsehen, machen es noch schwerer, Musik zuzuordnen, ihr hässliche Buzzwords wie »Authentizität« zu geben. Zuschreibungen und die Einteilung, ob Künstler »gut« oder »böse«, weil nur kommerziell oder doch noch so halb für eine Indieklientel passend und okay, bestimmen über szenischen Gedeih oder Verderb. Daher muss a priori festgehalten werden: Ansa Sauermann ist ein Guter. Selbst wenn man nach dessen erster EP »Foto« noch daran zweifeln durfte, spätestens mit der großen EP »Reise« aus dem Vorjahr, die in Explosivität an, na ja, Mando Diao und in Songstruktur an, na ja, Wanda erinnert, hat der Dresdner durchaus einen Stein im Brett der Indiegirls und -boys. Dass sein reguläres Debüt von den Wanda-Masterminds Stefan Redelsteiner und Paul Gallister begleitet wurde, passt da gut rein. Und dass er nach ostdeutschem Bruce Springsteen klingen soll, ist zwar weit hergeholt, aber nicht komplett abwegig. Ungeachtet dessen: Ja, die Hits aus dem Vorjahr, allen voran »Reise« und »Geist«, sind auch auf »Weiße Liebe« zu finden. Sichere Nummern, offen bleibt, ob da nicht noch mehr kommt. Eine Frage, die Ansa nun mit – Austropop-Witz: sein Album ist eine »Ansa Scheib’n« – auch beantwortet. Was da kommt, ist emanzipierter poppiger Rock ’n’ Roll, per definitionem nicht frei von Einfluss, aber durchaus inspiriert und nicht kopiert. Zahlreiche Ausprägungen des an ebensolchen nicht armen Genres werden durchexerziert, mal straighter, mal hymnischer, aber immer der Sauermann-CI verpflichtet. Orchestral-pompös – das kann der Gallister halt – wird es dann mit dem Schlussakkord, dem Insiderhit »So weit«. Nicht nur dort ist das Thema »Liebe und andere Drogen« textliches Leitmotiv, nur das etwas überbemühte »Tal der Ahnungslosen« erzählt Politisches. Ansa Sauermann positioniert sich klar zwischen »Menschen Leben Tanzen Welt« und Diskurspop. Quasi als niveauvolles Getaway aus der Intellektualitätsfalle. Tut ja auch mal gut. (VÖ: 28. August 2017) Dominik Oswald

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Painted Ruins — RCA Records Fünf Jahre sind vergangen, seit Grizzly Bear mit dem Referenz-Album »Shields« in den Olymp der kontemporären Gitarrengötter aufgestiegen sind. Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Andererseits ist es auch verständlich, dass nach der geschehenen Heiligsprechung durch Medien und Fans ein Rückzug folgen musste. Das Nachfolgealbum heißt nun »Painted Ruins« und es ist sehr, sehr gut. Die Aufnahmen erfolgten in New York und Los Angeles, wo mittlerweile auch drei der vier Mitglieder des ursprünglich in Brooklyn formierten Quartetts leben. Die gemalten Ruinen erweisen sich als Küstenlandschaften mit besonderer Hingabe zu jenen Dingen, die im Schatten verborgen liegen. Die in ihrer Struktur sehr runden und umso sommertauglicheren Songs leuchten im Licht eines Küsten-Sonnenuntergangs um elf Uhr abends. Eine leise Melancholie durchhaucht bereits den Opener »Wasted Actress«. Die Single »Mourning Sound« spendiert der Platte ihren ersten Höhepunkt. Der an New Order erinnernde Song besticht mit unglaublich schönen Unterwasser-Synthie-Sounds und epischem New-Wave-Gedrumme. »Three Rings« klingt so mystisch und atmosphärisch, dass es ein geheimer Soundtrack-Wunsch für die neue »Twin Peaks«-Staffel ist. »Sky Took Hold« lässt die Platte energetisch aufgeladen auslaufen: »Your mind is racing, the time just froze« ist das besungene Kredo, wenn die Nadel die letzte Rille durchlaufen hat. Mit dem Umzug von der Ost- an die Westküste sowie einem Labelwechsel von Warp zu RCA scheint sich auch ein künstlerischer Wandel vollzogen zu haben. Waren »Veckatimest« und »Shields« in ihrer experimentellen Herangehensweise zur Popmusik näher an dem typischen BrooklynBaltimore-Sound, wie ihn Bands wie Animal Collective oder Beach House praktizieren, klingt »Painted Ruins« wie die Konsequenz aus den mittlerweile zu Ende gedachten Westküsten-Songzyklen der 60er-Jahre. Die Platte liegt damit aber auch näher an der kalifornischen Küste, die bereits Bands wie die Byrds, die Beach Boys oder Buffalo Springfield für sich beansprucht haben. »Painted Ruins» ist das Album für den Urlaub am Meer – in einer dunklen, einsamen Höhle. Michael Kirchdorfer

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Angelo Laira, Tom Hines

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Weiße Liebe — Sony Music

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Rezensionen Musik

Lukas Lauermann

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How I Remember Now I Remember How

AB 11. AUGUST IM KINO

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Lukas Lauermann spielt Cello – in zahllosen Formationen und mit den unterschiedlichsten Musikerinnen und Musikern, neuerdings auch solo. Mit »How I Remember Now I Remember How« gibt es nun ein Tondokument dieser innigen Liebesbeziehung. Es handelt sich dabei aber nicht um einen Sammelband einzelner Stücke, es ist vielmehr ein Konzeptalbum im Plural: Drauf finden sich Cello-Drones, die dem Zyklus »Augen die innen äußere Dinge denken« zugeordnet sind. »Where Is Where I Am Not Any More« (Tracks 13–15) ist dagegen ein dreiteiliges Cello-Solostück. In diesen beiden Zyklen formuliert Lauermann Gedanken, Ideen und Empfindungen, die sich zwar sprachlich triggern, aber dann doch besser ohne Worte formulieren lassen. Viele der Stücke haben einen literarischen Hintergrund und basieren auf einzelnen Phrasen oder Sätzen, die ihn nicht mehr losgelassen haben. Besonders deutlich ist das beim Zyklus »Words« bei dem es sich genau wie bei »Sterile Pressions« um stärker konzeptuell angelegte Nummern handelt. Letztgenannte sind Improvisationen rund um spezifische Spieltechniken, »Words« ist dem Versuch einer konstruierten Annäherung an gesprochene Sprache geschuldet. Die einzelnen Zyklen stehen zwar für sich, aber nicht unverbunden nebeneinander, sondern überlappen und ergänzen einander durch die Schaffung klanglich markanter Kontraste. Ihr gemeinsamer thematischer Nenner ist wohl nichts weniger als das Leben und all seine Fragen und Facetten. Was im einzelnen Stück minimalistisch wirken mag, beschreibt Lauermann selbst glaubhaft als Reduktion, aber nicht im Sinne einer Aussparung, sondern eines Sich-Vertiefens in spezifische Inhalte. Damit schafft er Räume zum Nachspüren und Wachträumen. Es ist ein bisschen so etwas, wie der Soundtrack zu jener Phase zwischen Wachsein und Schlafen, in der die sicher geglaubte Alltagswelt ein Stück weit wegrückt und all das, was sie unterdrücken muss, um alltäglich sein zu können, sich seinen Weg nach oben bahnt. Dass ist manchmal schroff und sperrig, dann aber wieder ergreifend und wunderschön, ohne zu verkitschen oder zu langweilen. (VÖ: 12. August 2017) Werner Sturmberger

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Andreas Jakwerth, Frederik Jehle

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Rezensionen Musik Arcade Fire

Everything Now

VÖ: 28.07.17

Das ausgesprochen tanzbare neue Arcade-FireAlbum wurde von der Band in Zusammenarbeit mit Thomas Bangalter und Steve Mackey produziert.

Everything Everything A Fever Dream

VÖ: 18.08.17

Die erste Single „Can’t Do“ ist vielversprechend und spricht für das Gesamtwerk „A Fever Dream“ bereits das vierte Album der Band.

Zimt

Glückstiraden — Tapete

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Wenn Schlagzeuge dominant treiben, das Keyboard schleppend scheppert und der Gesang auf Lo-Fi gemischt ist, werden Assoziationen wach, die so abgedroschen wie passend, so verrucht und dennoch gewissermaßen »geil« sind. Bei jeder Gruppe, die so musiziert – und da sind Zimt aus Augsburg keine Ausnahme, aber auch keine Regel –, rufen die 80er-Jahre an und verlangen ihre Musik zurück. Wobei: Bei Zimt wünschen sie Glück und bedanken sich über eine Neuinterpretation ihrer größten Würfe. Die Gruppe bedient sich an Versatzstücken, klingt nach deutschem New Wave, Underground-Welle, nach einer Indie-Version von Ideal, nach bayrischen Young Marble Giants, denken diese aber loser als etwa The XX. Große Fußstapfen, viel Platz im Referenzkasten des guten Geschmacks. Und auch wenn es so scheint, als würden die Schatten der Vergangenheit wie Damoklesschwerter über der Gruppe schweben, steckt in »Glückstiraden« – natürlich durchaus ironisch zu verstehen, weil zum Glücklichsein gibt’s an sich wenig Grund –, wenig Aufgewärmtes. Der Kern liegt in der Modernisierung, das Album wäre nur 2017 denkbar. Vor allem was Attitüde und Autarkie betrifft. Den Harmonien entnimmt man fachfrauliche popkulturelle Kundigkeit, der – um wieder Vergleiche herzustellen, so funktioniert das Rezipiententum – zwischen mittleren Lassie Singers und frühen Die Heiterkeit changierende weibliche Zwiegesang entpuppt sich als das Album tragend, als Alleinstellungsmerkmal. Und ja, es sind hauptsächlich Lieder über Liebe und Müßiggang, über das Noch-nicht-bereit-Sein und Dolcefarniente. Nicht umsonst schälen sich auch der harmonieverliebte Indie-Smashhit »Schwaches Herz«, das fiebrig-bunte »Noch nicht bereit« und das trägromantische »Tag verschenken« sozusagen als Must-Hears heraus. Als Quintessenzen eines durchgängig sympathisch hörbaren Albums, das in seiner Gesamtheit nun doch sein Titelversprechen einlöst und zu freudigem Mitwippen und ekstatischem Applaus animiert. Und für eine Gruppe, die sich – quod erat demonstrandum – vor allem mit großen Vorbildern misst, ist das ein ziemliches Kompliment. Verdient. (VÖ: 25. August 2017) Dominik Oswald

Casper

Lang lebe der Tod

VÖ: 01.09.17

Es ist da! Das neue Meisterstück mit Volltreffern wie dem epischen Titelsong „Lang lebe der Tod“ und dem mitreißenden „Keine Angst“.

Foo Fighters

Concrete And Gold

VÖ: 15.09.17

Wie bereits beim vorab veröffentlichten Song „Run“ vereinen sich auf „Concrete And Gold“ harte Gitarrenriffs mit großen, komplexen Melodiestrukturen.

Shout Out Louds Ease My Mind

VÖ: 22.09.17

Mit Album Nummer fünf kehren die Stockholmer zu ihren musikalischen Wurzeln zurück: warmer, melancholischer Indie-Pop/Rock.

www.sonymusic.at The Gap 164 052-059 Reviews.indd 59

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Termine Musik

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ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

WIENER BLOND

UND DAS ORIGINAL WIENER SALONENSEMBLE

29.09.2017

Wiener Blond © Konstantin Reyer

KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

Waves Vienna Unter dem Motto »East meets West« kommen Künstler über alle Weltmeere herbei: Clap Your Hands Say Yeah (Bild) sind Headliner, Lubomyr Melnyk (Ukraine) steuert Pianotöne bei und Fans des gepflegten Noise freuen sich auf Skip Skip Ben Ben (Taiwan). The Gap hostet einen Abend mit Cari Cari, Azizi Gibson, Zeal & Ardor und Gavlyn. Das Waves hat es außerdem wieder geschafft: 47 Crowdfunderinnen und Crowdfunder trugen 15.105 Euro zusammen, eine Bank brachte 5000 Euro bei. 28. bis 30. September Wien, WUK

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Zoran Sergievski

HVOB sind längst über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. So touren sie auch diesen Sommer um die Welt, spielten schon in Tiflis, Mumbai und Kiew. Zwischendurch hat das Electronica-Duo dennoch Zeit gefunden, das Checkfest auf die Beine zu stellen. Im finalen Line-up sind etwa Recondite und Mumford&-Sons-Gitarrist Winston Marshall (rechts im Bild, gemeinsam mit HVOB). Mit ihm bespielten HVOB heuer schon das Melt Festival. Außerdem geben sich Stimming und Weval die Ehre. 12. August Wien, Arena

Lukas Gansterer, Waves Vienna, Maria Mochnacz, Coley Brown, Hanslauer, Capitol Records, Roland Faistenberger

Checkfest

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Termine Musik PJ Harvey

highlights Fr. 08.09. Rock / Soul

Paul Weller

Die Grande Dame des Indie-Punk-Songwritings nahm sich schon immer der großen Themen an. Auf ihrem aktuellen Album »The Hope Six Demolition Project« geißelt sie zum Beispiel Walmart, Gentrifizierung und Krieg. Der Clip zu »The Wheel« zeigt fesselnde Bilder von der Balkanroute. Hochbrisante Polit-Hymnen, die Wut zu tanzbarem Widerstand machen. 10. August Wien, Gasometer

Kanadas Multitalent mit der Schlafzimmerstimme führt gerade »This Old Dog« Gassi. Seine neue Scheibe setzt auf bewährte Funk-Jazz-Rhythmen ebenso wie sanfte Klaviermelodien und Blues- wie Country-Einsprengsel – Pop eben. BBC Radio 6 Music feiert die Platte als eines der 20 Must-Hear-Alben des Jahres. 15. August Wien, Arena

Bild: Tom Beard

Mac DeMarco

Fr. 15.09. Singer / Songwriter

Jeremy Loops

Sa. 16.09. Indierock

Portugal. The Man

Global 2000 Geburtstagsfest 35 Jahre Umweltschutz in Österreich: Das beginnt mit der Hainburger Au, führt über die Hilfe für die »Tschernobyl-Kinder« bis hin zum aktuellen Kampf gegen das Pestizid Glyphosat. Global 2000 feiert sein Jubiläum nun standesgemäß. Dafür hat sich die Öko-NGO Mono und Nikitamann, Attwenger (Bild), Neonschwarz und mehr eingeladen. 16. September Wien, Arena

Mi. 20.09. Singer / Songwriter

Tori Amos

Do. 28.09. Satire

Die Tagespresse Show

Fr. 29.09. LiteraturSalon

Eva Menasse: Tiere für Fortgeschrittene

Mi. 04.10. LiteraturSalon

Beth Ditto Gossip sind tot, lang lebe Beth Ditto! Sie lebe mehr als je zuvor! Ditto crasht die Tristesse, die sich nach Äonen des faden, gleichförmigen Hirnlos-Pops eingestellt hat. Mit dem Album »Fake Sugar« zollt die queer-quirlige Sängerin den Legenden des Glamrock Tribut, ohne altbacken zu wirken. Gut so. Mehr Walküren braucht die Musikwelt. 28. September Wien, Arena

Robert Menasse: Die Hauptstadt

Sa. 07.10. Kabarett

Urban Priol: gesternheutemorgen

Sa. 14.10. Theater

Jedermann! mit Philipp Hochmair

Sofa Surfers Bild: Heike Blenk

Die Wiener Weltband Sofa Surfers gibt es seit 1996. Das Debüt »Transit« erschien 1997. Nun, 20 Lenze und diverse SoundtrackArbeiten (u. a. für vier Brenner-Filme) später, zeigen sie sich in gewohnter Frische mit dem neuen Werk »20«. Wie immer sind sie damit genretechnisch kaum fassbar, aber packend. Das Quintett ist momentan auf »20 Jahre Tour«. 6. Oktober Wien, Flex

So. 15.10. HipHop

Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi

Preoccupations

Portugal. The Man

Im Februar feierte der Teenbeat Club zehn Jahre legendärer Konzert­ nächte. Markus Gratzl verewigte seine DIY-Konzertreihe sogar in einer sehenswerten Doku. Jetzt ist endgültig Schluss: Zum Finale spielen die kanadischen Postpunker Preoccupations (vormals Viet Cong) auf. 8. August Wien, Chelsea

Woodstock ist schon ein paar Jahrzehnte her, hält sich aber wacker als Metapher für Festivals und Rebellion. Deshalb brennt ja auf dem Cover des gleichnamigen neuen Werks von Portugal. The Man ein Auto. Feuer und Flamme für diese Band. 16. September Linz, Posthof — 17. September Wien, Ottakringer Brauerei

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Mi. 18.10. LiteraturSalon

Tori Amos Die Bardin und Pianistin Tori Amos ist zurück und präsentiert ihre neue Scheibe »Native Invader«. Darin wendet sich die Amerikanerin thematisch der Umweltzerstörung zu. Gefällt Donald Trump weniger, uns umso mehr. 20. September Linz, Posthof — 1. Oktober Wien, Konzerthaus

Simon Beckett: Totenfang

Mo. 23.10. Singer / Songwriter

Fink

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Veritas Karten­ büro, oeticket und alle oberöster­ reichischen Raiffeisenbanken.

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Termine Kunst

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Instructions For Happiness Vergesst alle Katastrophen, vergesst alles Leid, vergesst euer ganz persönliches Pech. Seid einfach glücklich! Wie das geht? Im 21er Haus liefern Skulpturen, Installationen und andere Kunstwerke entsprechende Antworten und Anleitungen. Lesen muss man sie halt. Die Ausstellung »Instructions For Happiness« läuft bereits. Bis 5. November Wien, 21er Haus

Erwin Wurm Der Mann ist unermüdlich: Erwin Wurm, neben Brigitte Kowanz im Österreich-Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig dabei, hat für eine Schau im Belvedere eine ganze Reihe neuer performativer Skulpturen erschaffen. Thema sind Alltagsgegenstände und Architektur. Wer mit den Glücksanleitungen durch ist, geht einfach weiter zu Wurm. Bis 10. September Wien, 21er Haus

World Press Photo 2017 Einer im Anzug macht einen Ausfallschritt. Er schreit, der linke Zeigefinger ist drohend erhoben. In der rechten Hand hält er eine Pistole. Hinter ihm liegt der russische Botschafter in der Türkei – tot. Es ist das World Press Photo 2017. Dieses und andere ausgewählte Bilder sind bald wieder in Wien zu sehen. 15. September bis 22. Oktober Wien, Westlicht

Ineke Hans. Was ist Loos? Ineke Hans setzt sich mit sozialen Aspekten von Funktionalität und Design auseinander. In der Gegenwart darf da der Bezug zur Digitalisierung nicht fehlen. So wird der Plan eines ihrer Objekte, ein in Wien produzierter Sessel, über Open Source kostenfrei verfügbar sein. Davor ist das Sitzmöbel im Rahmen der Ausstellung noch live zu sehen. 28. September bis 12. November Wien, Kunsthalle am Karlsplatz

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Ganz Wien. Eine Pop-Tour. Let’s do the Time Warp again, Doc Brown! Vom Karlsplatz aus geht es sechs Monate lang zu Hotspots aus sechs Jahrzehnten der Musikmetropole Wien. Mit von der Partie sind Falcos unsterbliches Stammlokal U4, das Studio von Kruder & Dorfmeister, das Rhiz und viele Archivschätze. Zu sehen sind Plattencover, Bühnen­outfits und andere Devotionalien. Außerdem gibt es an 40 Stationen Lieder und andere Tondokumente zu hören. Alle Sinne auf! 14. September 2017 bis 25. März 2018 Wien, Wien Museum

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Termine Festivals

Werden Roboter und Programme bald fühlen können? Und wenn ja, kommen sie in Hass oder Frieden? Nehmen sie uns den Job weg? Kurzum: Sind sie Lebenspartner oder Todfeind? Welche Chancen birgt künstliche Intelligenz? Diese und andere Fragen zu »Artificial Intelligence – Das andere Ich« sind Gegenstand der Ars Electronica 2017. Hackathons werden passenderweise mit gedankengesteuerten Apps und Geräten experimentieren. 7. bis 11. September Linz

Baba, 08 / 15-Kino-Sommerevents! Servus, Slash! Das Festival des fantastischen Films geht endlich in die nächste Runde. Es ist im subkulturellen Kalender seit 2010 nimmer wegzudenken. Als Stargast wird diesmal Kultfigur, Regisseur und Schauspieler John Waters eingeflogen. Der Vorverkauf für die 40 gewohnt exquisiten B-Movies, Horror-Shorts und Sci-Fi-Trickfilme startet am 8. September. Eröffnungsfilm ist das Remake von »Es« (Bild). 21. September bis 1. Oktober Wien, Filmcasino

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Ars Electronica

Slash

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Zoran Sergievski

Steirischer Herbst Zum Glück gibt es den Steirischen Herbst. Mit ihm hat sich seit 1968 ein Festival abseits des Wasserkopfs Wien etabliert, das Performer, Wissenschaft und engagierte Durchschnittsbürger aus aller Welt in und um Graz zusammenbringt. Die 50. Ausgabe des Kunstgipfels steht im Zeichen einer Zwischenbilanz nach einem halben Jahrhundert. »Where Are We Now?« lautet daher die offizielle Leitfrage. Heuer warten die dänische Choreografin Mette Ingvartsen, der deutsche Techno-Pianist Hauschka und orientalische Kunst im Süden. 22. September bis 15. Oktober Steiermark

Wien Museum, 2017 Warner Bros, slash Filmfestival, Jens Sethzman

Herbstgold Ein neues Musik- und Gastrofest lockt ins Burgenland. Im Schloss Esterházy werden neben regionalen Winzern Klangkünstler aufwarten. Der Schwerpunkt liegt auf Gipsy Music, Klassik und Jazz. Erwartet werden unter anderem Magnifico aus Slowenien, Andreas Ottensamer von den Berliner Philharmonikern, das RSO Wien und Julius Drake. 6. bis 16. September Eisenstadt, Schlosspark

Parallel Vienna Verlassene Gebäude und Räume in der Innenstadt erwachen kurz wieder zum Leben. Sie werden zu Galerien, Ateliers, Werkräumen. Diese urbane Kurzzeit-Parallelgesellschaft bietet etablierten wie aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern Platz, sich unter einem Dach der interessierten Öffentlichkeit zu zeigen. 19. bis 24. September Wien, Alte Sigmund-Freud-Uni

Vienna Design Week 2016 diskutierten Zugereiste in der Zentagasse, glorifizierten Hipster-Glas von Agnieszka Bar und lag der Mars in Margareten. 2017 ist die Wahl der Vienna Design Week ausgerechnet auf den kleinen Arbeiterbezirk Rudolfsheim-Fünfhaus gefallen. Welche Formschätze sich wohl zwischen Westbahnhof, Schmelz und Wienfluss verbergen? 29. September bis 8. Oktober Wien, 15. Bezirk

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Termine Kino

Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt

Regie: Nikolaj Arcel ———— Stephen-King-Fans kommen ab 11. August auf ihre Kosten, wenn »Der dunkle Turm« von Nikolaj Arcel, der auf Kings achtbändiger gleichnamiger Fantasy-Reihe basiert, in die heimischen Kinos kommt. Revolvermann Roland Deschain (Idris Elba) versucht mithilfe des elfjährigen Jake Chambers (Tom Taylor) die Welt zu retten – und dafür muss er den dunklen Turm schützen, den Walter O’Dim alias der Mann in Schwarz (Matthew McConaughey) zerstören will. Die Verfilmung war zehn Jahre in Planung, da der Stoff äußerst umfangreich ist und verschiedene Genregrenzen aufhebt; eine Serie soll ebenso demnächst erscheinen. Für die Rolle des Roland Deschains waren unter anderem Javier Bardem, Daniel Graig und Christian Bale vorgesehen. Start: 11. August 2017

Die Liebhaberin Regie: Lukas Valenta Rinner Den Großen Spielfilmpreis der Diagonale konnte Lukas Valenta Rinner für »Die Liebhaberin« schon mit nach Hause nehmen – seinen Film über ein Hausmädchen im Dienste einer reichen Familie, dessen Sehnsucht sich alsbald auf das in der Nachbarschaft befindliche Nudistencamp richtet. Eindrucksvoll. Start: 01. September 2017

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Der dunkle Turm

Regie: Arne Feldhusen Karl Schmidt, Fans des Musikers / Autors Sven Regener bereits als Nebenfigur aus »Herr Lehmann« bekannt, ist zurück und tritt in Regeners ebenso erfolgreichem und nun verfilmtem Roman »Magical Mystery« als ehemaliger Junkie, der seine Freunde auf einen Roadtrip begleitet, in den Vordergrund. Start: 31. August 2017

Die dritte Option Regie: Thomas Fürhapter Anhand verschiedener Einzelschicksale und mit Hilfe nachgesprochener Interviews wirft Thomas Für­hapter einen Blick auf die Auswirkungen der Pränatal­ diagnostik und stößt dadurch einen Diskurs über Normierung und Lebensoptimierung in unserer Zeit. Interessante Doku über ein zeitgemäßes Thema an. Start: 15. September 2017

Barbara Fohringer

Sony Pictures, Polyfilm

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Die beste aller Welten Regie: Adrian Goiginger ———— Mama nimmt Drogen, aber dennoch ihre Mutterrolle ernst. So kurz und knapp könnte man das Langfilmdebüt des aus Salzburg stammenden Regisseurs Adrian Goiginger umschreiben. In »Die beste aller Welten« hat er, inspiriert durch seine eigene Kindheit, die Prädikate wie »normal« und »langweilig« wohl nicht verdient hat, seiner 2012 an Krebs verstorbenen Mutter Helga (Verena Altenberger) ein filmisches Denkmal gesetzt. Diese hat, wie im Film aus der Sicht des siebenjährigen Adrian (Jeremy Miliker) ersichtlich wird, trotz ihrer Drogenabhängigkeit und Depressionen alles getan, um ihrem Kind Liebe und Geborgenheit zu schenken. »Die beste aller Welten« gewann bisher Preise auf der Diagonale und beim Filmfestival in Moskau – Verena Altenberger wurde als beste Darstellerin ausgezeichnet. Start: 8. September 2017

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Regie: Andrés Muschietti Gegruselt werden darf sich im Herbst bei der Neuauflage des Klassikers »Es« von Stephen King. Dieses Mal wird der Horrorclown Pennywise (Bill Skarsgård) von Andrés Muschietti in Szene gesetzt und treibt sein Unwesen im Maine der 1980er-Jahre. Sieben Kinder stellen sich gegen ihn. Start: 22. September 2017

Chuzpe Regie: Peter Ily Huemer Huemer setzt in der Doku »Chuzpe« der gleichnamigen Punkband, die Ende der 1970er-Jahre die »tote Stadt« Wien mit ihrer Musik belebte, ein Denkmal. Er lässt Leute aus der damaligen Szene zu Wort kommen und rückt das Untergrund-Gefühl dieser Zeit in den Vordergrund. Für Musik- als auch für Filmfans. Start: 29. September 2017

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Illbilly

frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus.

Nicht so gerne gehe ich zum Friseur. Ich verstehe auch bis heute nicht, dass man dort gefragt wird, welche Frisur, welcher Schnitt es denn sein solle. Ich denke mir dann immer, das muss doch der komische Heinzi mit dem originellen Fleshtunnel im Ohrwaschel und die zutätowierte Betty, die den ganzen Tag nichts anderes machen als mit menschlichen Schädelformen und deren Kapillarauswüchsen zu arbeiten, am besten wissen. Ich antworte dann immer: »Ein Mal Hitlerjunge Quex trifft Der Name der Rose bitte«, aber üblicherweise werde ich dann nur von zwei leeren, stumpfen Friseuraugenpaaren ungläubig angestarrt. So, als ob ich geradewegs gebeten hätte, mir doch während oder nach der Kopfwäsche freundlicherweise einen runterzuholen. Sie wissen einfach nicht, was ich meine. Bei meinem letzten Friseurbesuch war allerdings alles anders. Üblicherweise pflege ich – wie jeder Mensch mit Resten an Würde –, Salons mit affigen Namen zu meiden. Etliche Kolumnen ago habe ich das ausgebreitet. Auch weil es eine sichere Pointe ist, sich über Intercoiffeure lustig zu machen, die ihre Arbeitsstätten »Haari Krishna«, »Hairybert« oder »Haarmonika“ nennen. Aber als ich den Laden »Shaby Schnitt – Vintage Saloon« passierte, konnte ich kein Auge mehr zudrücken und war sehr neugierig geworden, was da drinnen vor sich geht. »Shaby Schnitt«?! Da ist ja auf jeder Ebene irgendwie alles falsch. Ich glaube, die meinten »shabby«, da das Wort »shaby« als Vokabel so nicht auf die Schnelle aufzutreiben war. Seinen Salon – wenn auch falsch – damit zu bewerben, dass einem dort »schäbige« Schnitte verpasst werden, finde ich bei allem Respekt zur Selbstironie und Verneigungen vorm Retrokult dann doch schon weit über der Grenze zur Selbstbeschädigung. Und so was hat meine vollste Sympathie. Ich stell mir jedenfalls vor, wie dort versucht wird, einem mit einer quietschenden, rostigen Schere aus den 1950er-Jahren das Haupthaar zu fassonieren. Oder auch wie am

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Rasiermesser fürs Feintuning im Nackenbereich noch das Blut vom Vorgänger klebt. Im ganzen Raum hängt Hepatitis-Alarm in der Luft. Vielleicht kann man sich da drinnen auch auf ganz patscherte Vintage-Art ein bissi mit HIV anstecken. Das Friseurvölkchen gilt ja gemeinhin als ein sehr lebenslustiger und fickfreundlicher Schlag. Und will man auf Vintage-Art alles richtig machen, wenn man seine Cessna im zwischenbeinigen Nildelta oder im SchokoGrand-Canyon zur Landung bringen versucht, hat man üblicherweise keinen Sicherheitsfallschirm umgeschnallt. So oder so, erregte der Laden meine Neugierde. Und nur um auf Nummer Sicher zu gehen, schaute ich noch mal schnell nach, ob »shaby« vielleicht doch eine tiefere Bedeutung hat. Man braucht ja beim Friseur immer auch ein wenig Smalltalkfutter. Das Urban Dictionary wusste mehr. Für »shaby« sind dort zwei Erklärungen angeführt. Einerseits versteht man darunter einen ekligen, übel riechenden Flatus, der lange zurückgehalten wurde und unter Krümmungen Entladung erfährt. Wohl vergleichbar mit einem schwefelig duftenden Eierschas. Andererseits ist »shaby« auch ein Akronym für »stays hot after boning you«. Das ist ein bisschen sehr sexistisch und mir jetzt zu platt, hier ins Detail zu gehen. Deswegen füge ich dem Akronym einfach eine neue Bedeutung zu und behaupte, dass »shaby« auch für »stays hard after boning you« steht. Es ist ja kaum etwas nervenzerfetzender, als eine Erektion, die aus irgendwelchen Gründen innert weniger Augenblicke in sich zusammenfällt wie ein nicht korrekt zubereitetes Soufflé. Oder am Ende gar platzt wie die Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende und der amerikanische Immo-Markt Ende der Nullerjahre. Hart bleiben heißt also die Devise. Stay shaby Baby! Aber bitte auch nicht ewig, weil hat man zum Beispiel über mehrere Stunden einen Harten im Unterhöschen, vor allem unmotiviert, ist es gut möglich, dass es sich dabei um Priapismus handelt.

Die Dauererektion ist nach dem griechischen Gott Priapos benannt. Der war das Kind von Aphrodite und Dionysos oder Adonis – da mich bitte jetzt nicht festnageln, ich will es auch nicht googeln. Priapos war jedenfalls ein bisschen entstellt, weswegen er von seiner schönen Mutter Aphrodite gleich nach der Geburt verstoßen worden ist. Zur augenfälligsten Entstellung Priapos’ zählte ein überdimensioniertes Geschlechtsteil. Ein Riesending, bei dem gemeinhin instinktiv jeder einmal die Augen weit aufreißt und kopfschüttelnd dann Nein sagt. So was kann und will man nicht wirklich drinnen haben. Egal wo. Übrigens, ein Grund für Priapismus kann ein Biss der hochgiftigen brasilianischen Wanderspinne sein. Man kann sich nur maximal zwei Stunden über diese Auswirkung erfreuen, danach fällt man entweder tot um, oder – wenn man mit dem Leben davon kommt – nimmt das Pimpi fürchterlichen Schaden und wird fürderhin schwer bis gar nicht mehr hart. Wenn’s gut geht kriegt man einen Achtelsteifen zusammen. Wenn’s ganz super ist, vielleicht einen halbangenehmen. Mit derartigen Informationen und Assoziationen aus dem Bereich der Wirrwarrerotik aufgeladen, stattete ich also dem Friseursalon »Shaby Schnitt« einen Besuch ab. Drinnen alles auf 1920er. So vintage, dass nicht einmal mehr meine Oma dabei war. Aber sie beherrschen ihr Metier, denn den Hitlerjunge-Quex-trifft-DerName-der-Rose-Schnitt kriegten die hin, ohne mit der Wimper zu zucken, und wussten, was gemeint ist. Deswegen kriegt der Vintage Saloon von mir jetzt fünf Sterne. Ende. facebook.com / illbilly

Jakob Kirchmayr

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Know-Nothing-Gesellschaft Stay shaby, Baby!

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Danke an: The Gap 164 060-068 Termine.indd 67

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