The Gap 163

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Zwischennutzung

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N° 163

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AUSGABE JUNI / JULI 2017 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. | GZ 05Z036212 M


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Editorial Reden wir über Freiräume Die eigene Stadt, das eigene Dorf, das eigene Grätzl beleben, das wollen in dieser Ausgabe mehrere Charaktere. In unserer Coverstory etwa all jene Initiativen, die sich mit Zwischennutzung beschäftigen, in unserem Festivalteil die Crew von Tanz durch den Tag in Wien und die vielen kleineren Veranstalter von Festivals abseits der Großstadt. Dabei ist man, was Wien betrifft, durchaus vorsichtiger als früher. Als vor mehr als 40 Jahren der alte Schlachthof in Wien damals »zwischengenutzt« von den Wiener Festwochen, abgerissen wurde, kam es zur Besetzung und damit gleichzeitig zu einer Bewegung, die die Kunst- und Kulturszene in Wien vorantrieb. Das Wort »Besetzung« hören die heutigen Zwischennutzer nur ungern – es kommt nicht gut in Gesprächen mit privaten Bauträgern oder der Stadt. Die hat mittlerweile eine Serviceagentur eingerichtet, die beratend vermitteln will, von der Stadt selbst aber durchaus Gegenwind erhält, wenn es darum geht, stadteigene ungenutzte Gebäude zur Verfügung zu stellen. Aber man arrangiert sich – diskursiv ist gewissermaßen das neue progressiv. Diskussion und vielleicht sogar eine solche Serviceagentur wünschen sich auch die Veranstalter des Stadtfestivals Tanz durch den Tag, die sich bei der Organisation von Open Airs immer wieder mit der Bürokratie quälen. Man will urbane Impulse setzen und darüber diskutieren, wie freie Flächen in der Stadt ohne lange Amtswege genutzt werden können. Man will Flächen finden, die dauerhaft für Veranstaltungen im Freien genutzt werden können. Man will dafür in Zukunft eigentlich so etwas wie eine zusätzliche Arena finden, das sagen die Veranstalter auch selbst. Bei diesem Vorhaben gehen die großteils jungen Akteure aber gewissermaßen erwachsen vor. Sie reden, bevor sie tun. Sie verhandeln und sie wollen einen Konsens, bevor sie ihre Ideen ausleben. Man kann ihnen Mut absprechen, man kann ihnen aber eigentlich auch gratulieren. Ob die Stadt letztendlich ähnlich adult reagiert und diesen Menschen Räume für ihre Ideen gibt, bleibt offen – für die Entwicklung einer lebendigen Stadt würde man es sich, neben einer lebendigen Diskussionskultur, jedenfalls wünschen.

Yasmin Vihaus

vihaus@thegap.at • @yasmin_vihaus

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Herausgeber Thomas Weber Chefredakteurin Yasmin Vihaus Leitende Redakteure Manuel Fronhofer, Manfred Gram, Martin Mühl Art Direction Sig Ganhoer Gestaltung Sig Ganhoer, Michael MIckl Autoren dieser Ausgabe Barbara Fohringer, Manuel Fronhofer, Pia Gärtner, Manfred Gram, Kami Kleedorfer, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Magdalena Reuss, Gabriel Roland, Yasmin Vihaus, Johanna Wagner Theresa Ziegler Kolumnisten Therese Kaiser, Gabriel Roland, Martin Mühl, Illbilly Fotografen dieser Ausgabe Erli Grünzweil (Cover), Nikolaus Ostermann Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer Anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Clemens Reichholf, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Pulverturmgasse 3, 1090 Wien Geschäftsführung Martin Mühl Produktion & Medieninhaberin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien Kontakt The Gap c/o Monopol GmbH Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Monopol GmbH, Bank Austria, IBAN AT 54 1200 0515 8200 1929, BIC BKAUATWW Abonnement 10 Ausgaben; Euro 19,— www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Magazin 012

Tracing Spaces Der Wiener Nordwestbahnhof 016 Begehrtes Provisorium Zwischennutzung 022 40 – 20 – 20 – 10 4 Medien, 4 Jubiläen 028 Freude an Struktur und Zahlen Kulturaktivist Günther Friesinger 034 Die Tausendsassarin Ana Threat im Porträt 043 Best of Festivals Diese Festivals kann man machen

046 Tanz durch den Tag Erwachsen werden mit Aufwind 048 Kleines Fest, großes Engagement Wie kleine Festivals mit viel Idealismus die Szene beleben 050 Klo-Kultur auf Festivals Vom Verbindenden der Pissrinne

Erli Grünzweil, Nikolaus Ostermann, Richard Luerzer

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034 Therese Kaiser Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des Business Riot Festivals und im Internet vor allem unter Therese Terror anzutreffen. Für uns beschäftigt sie sich in dieser Ausgabe mit der Frage, wer sich eigentlich FeministIn nennen darf. Seite 010

Barbara Fohringer

046

Barbara Fohringer studierte Publizistik und Germanistik, um die Frage, was man denn damit machen könne, möglichst oft beantworten zu dürfen. Jetzt schreibt sie für The Gap unter anderem über Filme – so auch in diesem Heft in Form unserer Kinoempfehlungen. Seite 065

Nikolaus Ostermann

Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Leitweber 020 Golden Frame 052 Prosa: Cedric Weidmann 054 Gewinnen 055 Rezensionen 060 Termine

Kolumnen

Nikolaus Ostermann fotografiert für The Gap seit Jahren zahlreiche Konzerte. Für diese Ausgabe hat er Ana Threat analog porträtiert. Seite 034

Manfred Gram Manfred Gram, bekannt für seinen ausgeprägten Häusl-Schmäh, schreibt seit Jahren für The Gap und kuratiert zudem unsere Prosa-Seite. Die übernimmt in dieser Ausgabe der Schweizer Cédric Weidmann, zu lesen auf Seite 052

008 Lokaljournalismus: Martin Mühl 009 Einteiler: Gabriel Roland 010 Gender Gap: Therese Kaiser 066 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly

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Thomas Weber

ist Herausgeber von The Gap und Biorama

Markenartikler verwenden ihre Werbegelder immer seltener für Kultursponsoring. Geld fließt bevorzugt in soziale Netzwerke oder in Start-up-Spektakel. Vor allem Festivalveranstalter suchen nun neue Einnahmemöglichkeiten. ———— »Not macht erfinderisch, heißt es. Nun ist beim Festival Waves Vienna* zwar nicht die Not ausgebrochen, aber das Team um Veranstalter Thomas Heher macht sich so seine Gedanken – und zieht seine Schlüsse. Vermutlich auch, weil es nicht gelungen war, für die desjährige Veranstaltung (das Waves Vienna ist Hybrid aus Showcase Musikfestival und internationaler Fachkonferenz) einen potenten Hauptsponsor zu überzeugen oder eben, weil genau das zu schaffen als nicht besonders aussichtsreich erschien, ging Heher nun in die Offensive. »Es ist kein Geheimnis«, bekannte er via Newsletter und Facebook-Page, »Kultursponsoring wird von Jahr zu Jahr schwieriger und die Finanzierung von Kulturveranstaltungen verlangt immer mehr Kreativität. Nachdem wir bereits im letzten Jahr den Ausfall eines großen Sponsors mit einer Crowdfunding-Kampagne wettmachen konnten, haben wir uns entschieden, statt in diesem Jahr einen neuen Hauptsponsor zu suchen, eine Tombola zu veranstalten.« Soll heißen: Statt wie in der Vergangenheit zu versuchen, von einem Hauptsponsor 20.000 Euro für eine Patronanz zu bekommen, verlost das Festival nun diese bevorzugte Präsenz – unter allen Unternehmen oder auch Privatpersonen, die eines der Lose um 500 Euro kaufen. Standardleistungen wie VIP-Pässe oder Werbebanner auf der Website gibt es garantiert, über alles andere entscheidet – unter notarieller Aufsicht – eben die »Hauptsponsor-Tombola«. Ja, da kommt die Fantasie in Schwung. Eine

Hauptbühne lautend auf »Hühnerparadies Hietzing« wäre vielleicht sogar halblustig. Ich habe selbst sogar schon drüber nachgedacht, im Freundeskreis für einen runden Geburtstag zusammenzulegen. Mit etwas Glück ein eigenes Festival zum Geburtstag – das bliebe bestimmt unvergesslich. Drängt sich auch die Frage auf: »Kann dieser seelenlose Ziegelstein mehr Freunde haben als H.C. Strache?« Auch Stefan Petzner könnte seinen PopulismusReader (»Trump to Go«) derart vorstellen; oder Stefanie Sargnagel sich angetrunken einen Spaß machen. Ja, 500 Euro Werbebudget, das könnten viele Verlage sogar zur Bewerbung eines Lyrik-Bandes lockermachen. Tatsächlich versucht Heher wohl den vielen kleinen Unternehmen und Initiativen, die sich kulturaffin in seinem Umfeld tummeln, ein möglichst verlockendes Angebot zu machen. 500 von der Steuer absetzbare Euro sind keine Unsumme – und mit etwas Glück …

Win-Win-Waves Ganz geheuer ist Thomas Heher die Sache dann wohl selbst nicht. Ganz aufs eigene Glück möchte er sich nicht verlassen. Was, schließlich, wenn sich plötzlich eine Sekte oder eine radikale politische Kraft ein Los sichert? »Wir behalten uns vor, die Teilnahme von Personen oder Organisationen mit menschenverachtenden, radikalen oder verhetzenden Positionen oder Ansichten abzulehnen. In diesen Fällen wird der Kaufpreis des Loses zurückerstattet.« Bei rechtsradikalen Gruppierungen lässt sich das vielleicht noch argumentieren. Aber was, wenn die KPÖ zuschlägt, oder die JVP ihrem Listenersten und Kanzlerkandidaten kurz vor der Wahl zwei VIP-Tickets schenkt? Fragen über Fragen, über die man sich vielleicht auch

* Das Festival Waves Vienna wurde 2011 ursprünglich im unmittelbaren Umfeld von The Gap gegründet. Im zweiten Jahr seines Bestehens wurde es in eine GmbH ausgegliedert, an der u. a. auch Thomas Weber, der Autor dieser Zeilen, beteiligt ist. Waves-Vienna-Gründer Thomas Heher wiederum hat 1997 gemeinsam mit Manuel Fronhofer das Magazin The Gap gegründet. Operative Zusammenarbeit gibt es gegenwärtig allerdings keine.

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gar keine Gedanken machen muss, wenn man nicht Thomas Heher heißt. Oder selbst ein Festival veranstaltet. Denn welche Wendung auch immer das Waves-Tombola-Experiment in den nächsten Wochen und Monaten noch nimmt. Klar ist: Vor ähnlichen Problemstellungen steht ein großer Teil der Kulturlandschaft. Allerorts springen den Festivals und Symposien die Sponsoren ab, oder schrauben ihr Engagement zurück. Bei der Vienna Design Week hat sich gerade die Wirtschaftskammer Wien verabschiedet. Die Vorarlberger Poolbar rechnet damit, sich 2018 womöglich anders aufstellen zu müssen. Landauf, landab dasselbe Lamento. Das Ungewisse ist für Kulturschaffende freilich nichts Neues. Auch für diejenigen, die Strukturen schaffen und den Betrieb am Leben erhalten nicht. Und auch wenn sich das Denken in Lotteriekategorien fast ein wenig so anhört, als hätte da jemand seinen Glauben an eine langfristige und für beide Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit von Kulturarbeit und Werbewirtschaft endgültig verloren. Bekundete von der einen Seite jemand ernsthaftes Interesse, dann sähe die Sache auf der anderen Seite im Nu auch wieder anders aus. Alles ist möglich. Aber eben auch nix fix. weber@thegap.at • @th_weber

Jürgen Schmücking

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Leitweber Kultursponsoring. Oder: Die Butter aufs Brotlose

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Kunsthalle Wien

enthusiasmus. follower. diversität. sanctuary. Radikale Veränderungen prägen die politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse unserer Gegenwart. How To Live Together beschäftigt sich mit den individuellen wie gesellschaftlichen Bedingungen und Potenzialen unseres Zusammenlebens. Im Vordergrund stehen dabei die Dynamiken von Ökonomie und Politik, aber auch sich wandelnde soziale Beziehungen. Die Arbeiten von über dreißig internationalen Künstler/innen verschiedener Generationen gehen von persönlichen Erfahrungen aus und verweisen gleichzeitig auf sich verändernde Verhältnisse zwischen Privatem und Politischem, Stillstand und Bewegung, Wirklichkeit und Utopie.

How To Live Together 16 - 20 AUGUST 2017 COLOGNE

Goshka Macuga, Taus Makhacheva, Pedro Moraes, Sarah Morris, Adam Pendleton, Yvonne Rainer, Jeroen de Rijke / Willem de Rooij, Willem de Rooij, August Sander, Ritu Sarin / Tenzing Sonam, Augustas Serapinas, Jeremy Shaw, Wolfgang Tillmans, Rosemarie Trockel Museumsplatz 1 , 1070 Wien, Austria www.kunsthallewien.at

Künstler/innen: Bas Jan Ader, Kader Attia, Sven Augustijnen, Tina Barney, Cana Bilir-Meier, Ayzit Bostan, Mohamed Bourouissa, Kasper De Vos, Ieva Epnere, Aslan Gaisumov, Gelitin, Liam Gillick, Paul Graham, Johan Grimonprez, Binelde Hyrcan, Leon Kahane, Herlinde Koelbl, Armin Linke,

17 + 18 AUGUST 2017 COLOGNE

C/O POP FESTIVAL

C/O POP CONVENTION

MODERAT JAMES VINCENT MCMORROW MOTOR CITY DRUM ENSEMBLE ROMAN FLÜGEL | RADICAL FACE LA FEMME | FABER | L’AUPAIRE PERFUME GENIUS | HER | MALL GRAB FIL BO RIVA | TASH SULTANA JORDAN RAKEI | ANTHONY NAPLES ROMARE (DJ) | PEARSON SOUND VOODOO JÜRGENS … UND VIELE MEHR #COPOP17 FÖRDERER

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THE CONFERENCE FOR MUSIC | TECH SYNC | BRANDS | FESTIVALS AR | VR | 360° FILM | RADIO | STREAMING OLD STAGER | NEW TALENTS NETWORKS

TICKETS UNTER C-O-POP.DE

#COPOPCON17 PARTNER

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Martin Mühl isst sich durch Wien

Charts Johanna Weber TOP 10

Fragen, die ich nie beantworten wollte 01 Wieso hast du keine Hose an? 02 Warum wirst du denn jetzt rot? 03 Ist das da gewollt oder Dreck? 04 Das macht nach Adam Riese? 05 Aber das wissen sie bestimmt? 06 Wie viel rauchst du denn am Tag? 07 Schaffst es eh pünktlich? 08 Wie viel hast du gestern Abend ausgegeben? 09 War das jetzt ironisch gemeint? 10 Machst du Sport?

Lokaljournalismus Home Cafe: Willkommen Island

Top 03

Gründe, Jan Böhmermann zu lieben 01 Menschen, Leben, Tanzen, Welt (Oh eh oooh!) 02 Er ist ein dünner, blasser Junge 03 Das bösartige Grinsen in seinem kleinen, gemeinen Gesicht

Johanna Wagner fährt auf Fahrradwegen auf der linken Seite und freut sich sehr, wenn die Leute deswegen albern und wütend werden.

Tobias Köttl ist Sänger und Produzent des Projekts Ant Antic und hat zwei unterschiedlich geformte Ohren.

home-cafe.at

008 Auch nicht schlecht: Europa

Der Name Home Cafe scheint so generisch, wie die isländische Einrichtung mit viel Holz, Naturbildern, Teppichen und Cartoons klischeehaft – und doch ist beides auf persönliche und sympathische Weise ernst gemeint. Und das Angebot ist so gut, wie sein Ruf ihm vorauseilt. Die Geschichte von Harpa und Steff, die gemeinsam mit Harpas Kindern nicht zuletzt wegen der offenen Gesellschaft hier nach Wien kamen, mag kitschig klingen – ist aber wohl so authentisch wie die Speisen direkt. Das relativ neue Cafe-Restaurant in der Wiener Spitalgasse ist erfolgreich um Gastfreundschaft und Gemütlichkeit bemüht und bietet eine kleine, feine Karte mit in erster Linie isländischen Speisen und angenehmen Preisen. Und viel Fisch! Die Arctic Char Paté ist eine herzhafte Saibling-Pastete, serviert mit Brot und Mayonaise. Der Dried Fish ist wie der Name sagt getrockneter Fish, der in seiner fasrigen Konsistenz eher an afrikanisches Biltong denn an amerikanisches Jerky erinnert und viel öfter auf den Tisch kommen sollte. Der Fischburger mit ordentlich Knoblauchbrot ist saftig und mit Gemüse im Fischlaibchen. Ein absolutes Highlight sind die ungewöhnlich guten Meatballs auf Pasta, die mit Knoblauch-Mayonaise und Chili geradezu begeistern. Die Fischsuppe hat es für uns leider zu spät auf die Tafel, die als Karte fungiert, geschafft, um noch probiert zu werden. Bei den Getränken setzen die Betreiberinnen ebenso auf Qualität und während es beim offenen Wein gerade mal einen Zweigelt und einen Veltliner gibt, wird beim Bier auf die verbreiteten Lager oder Märzen verzichtet, dafür gibt es aber viele Biere von Brew Age vom Fass und aus der Flasche und außerdem zwei isländische EinstöckAles. Der Kaffee wird in Wien geröstet. Die meisten Speisen laden mit ihren teilweise kleineren Portionen unter 6 Euro zum durchkosten und das Home Cafe macht damit vieles richtig und lebendig, das anderswo zum leeren Klischee verkommen würde. Großartig, dass man hier auch noch so fantastisch essen kann. muehl@thegap.at • @muehlmartin

Charts Tobias Köttl TOP 10

Albums to make love to 01 Khruangbin – A Calf Born In Winter 02 BadBadNotGood – IV 03 Mariah – Utakata No Hibi 04 Elbow – Asleep In The Back 05 Nils Frahm – Felt 06 Wild Beasts – Present Tense 07 Alabama Shakes – Sound & Color 08 Rye – Woman 09 Jessy Lanza – Pull My Hair Back 10 Steve Lacy – Dark Red

Top 03

Top 5-Listen aus High Fidelity 01 Musical crimes perpetrated by Stevie Wonder in the 80s and 90s 02 Angry songs about women 03 Worst things that you have done to your partner, even if …

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Home Cafe, Spitalgasse 3, 1090 Wien. Speisen 3,50–14,90 Euro.

Andreas Jakwerth, Martin Mühl

Auch nicht schlecht: Beim schwinden der Argumente einfach mal den Tisch umwerfen.

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Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

Näheres zu den Produkten von Veronica Dreyer lässt sich unter veronicadreyer.com finden.

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Erli Grünzweil

Die Nummer Neun ist ganz einfach: eine Form übereinander geschichteter Trapeze von einem Band tailliert. Am Rücken greift ein tropfenförmiger Ausschnitt den Schwung eines weiblichen Körpers auf. Die Fläche von lachsrosa Stoff ziert nur eine Schnalle hinten und ein Ring vorne. Überdies gibt es Öffnungen für den Hals, die Arme und Beine – Nummer Neun ist nämlich ein Badeanzug. Genauer genommen ist »No.9« der neunte Badeanzug des Wiener Swimwear Labels Veronica Dreyer. Veronica Dreyer wiederum ist der Name der weiblichen Hauptrolle in Jean-Luc Godards Film »Le petit soldat«. Und Godard lässt den ihr gegenüberstehenden männlichen Hauptcharakter die bemerkenswerte These äußern, dass das Kino die eigentliche Wahrheit sei – und zwar 24-mal in der Sekunde. Demnach kann jede unserer Vorstellungen wahr werden, sooft sie sich auch verwandeln mag. Was für eine Bedeutung ein derartiger Gedanke für die Mode und das Anziehen hat, ist offensichtlich. Man stelle sich vor, wie man sich fühlt, wenn man das Tauchermesser an der Hüfte baumelnd den gleißend blauen Wogen der Südsee entsteigt, woraufhin man die Augen öffnet und sich im verträumten Palmenschatten neben dem Swimming Pool einer Villa an der Côte d’Azur befindet. Abermals öffnet man die Augen, löst den Kastlschlüssel vom Ring des Badeanzugs und macht sich auf den Weg zum in die Abendsonne getauchten Kabinenblock des Gänsehäufels. Die Konstante all dieser Fiktionen ist der Badeanzug. Eine Möglichkeit, ein solches Vorstellungsfeld zu öffnen, ist das Finden einer zeitlosen Form. Seit die Künstlerin Rosa Rendl ihrer vom Verlangen nach dem Badesee getriebenen Freundin, der Fotografin und Creative Directorin Anaïs Horn, einen im elterlichen Keller schlummernden Badeanzug (No.1) aus ihrer Hetzendorfer Abschlusskollektion geborgt hat, arbeiten die beiden unter dem Namen Veronica Dreyer an konsequent durchnummerierter Badebekleidung, die sich dem hastigen Wechsel der Geschmäcker eben nicht aussetzen will, sich dabei aber trotz beinahe strenger Reduktion der Fantasie nicht widersetzt. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab

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Einteiler Ein Badeanzug, das ist die Wahrheit

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Therese Kaiser

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus

Erst kürzlich in Leipzig: Wiederholte Beschallung unseres Airbnbs mit Klitcliques »Der Feminist«: Ich bin der ich-will-Feministinnen-fickendeshalb-bin-ich-feministisch-Feminist heißt es da, oder Ich bin der Feminist, aber dann hab ich mir die Beine abrasiert, und Coco Chanel ins Gesicht geschmiert, und auf der Akademie studiert. ———— Das ist nicht nur unterhaltsam, der Track trifft den Kern der vielleicht größten Herausforderung, der sich feministische Initiativen gegenwärtig stellen müssen. Nämlich, dass feministische Spielarten und Motive mittlerweile so divers sind, dass Bündnispolitik schwierig scheint und gleichzeitig fundierte feministische Kritik angesichts von Kleinteiligkeit (und Inhaltsleere) zu vernebeln droht. 2014 lieferten sich Hannah Lühmann und Sophie Elmenthaler einen Schlagabtausch in Die Zeit. Während Lühmann den Feminismus durch GIFs dem Untergang geweiht sieht, plädiert Elmenthaler für eine Vielfalt feministischer Kampfstile. Lässt man nun die Frage nach kapitalistischer Aneignung feministischer Bestrebungen außen vor, dann bleibt hier ein Konflikt, der vor allem um die Frage kreist, welchen Universalanspruch individuelle Erfahrungswelten haben. Wenn ich nun also bei drei Bier behaupte, ich würde alle feministischen Antworten kennen, weil ich Erfahrung 1, 2 und 3 mit zwischenmenschlichen Beziehungen, mit Sexismus im Job, mit struktureller Gewalt gemacht habe, dann könnte es sein, dass ich einem Irrglauben unterliege. Da macht es dann auch kaum einen Unterschied, wenn ich Judith Butler hernehme, um theoretisches Futter zu geben – weil ein sehr spezifisches »von-sich-Ausgehen« immer Diskurs verunmöglicht, der inklusiv ist und Platz für alternative Wahrnehmungen lässt. Ist es nun ein feministischer Akt, wenn

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ich dem Boy den Finger in den Arsch stecke? Bin ich selbstbestimmt unrasiert, selbstbestimmt rasiert, unselbstbestimmt rasiert oder unselbstbestimmt unrasiert? War das mit der Hochzeit prüde, progressiv, mutig oder eine feministische Selbstaufgabe? Die Antworten auf diese Fragen haben im feministischen Diskurs durchaus etwas verloren, aber nicht als neue Normen. Ob ich rasiert bin oder nicht, darf natürlich politisch verstanden werden – wenn ich will – aber eben nur im Kontext dessen, was für mich persönlich eine (un)rasierte Muschi bedeutet. Wenn es dann um politische Inhalte geht, dann macht es auch wenig Sinn, diese nur mit meinem ganz persönlichen Feminismus – der nie abgetrennt von anderen Wertesystemen existieren kann – zu beantworten, sondern vor allem auch anhand der Frage: Was ist die beste Lösung für eine möglichst große Gruppe an Menschen, ohne dabei andere schlechter zu stellen? So, alles klar! Unterschiedliche Kampfstile sind nicht nur in Ordnung, sie sind auch komplett natürlich und authentisch; und das liegt nicht nur an ästhetischen Präferenzen, sondern auch an inhaltlichen Auffassungsunterschieden darüber, unter welchen Bedingungen Gleichstellung der Geschlechter möglich ist. Was aber tun, wenn sich der Ichwill-Feministinnen-ficken-deshalb-bin-ich-feministisch-Feminist lautstark positioniert oder sich Personen als identitätsbildendes Element #igersfeminism auf ihrem Instagram-Account einverleiben? Schwierig. Anstatt sich ausschließlich zu überlegen, wie ich nun persönlich hierzu stehe, könnte man zusätzlich auch die Frage stellen, was das mit dem großen Ganzen zu tun hat. Ist das feministische GIF nicht nur in sich ein Konflikt, sondern schadet es auch dem groß-

en Ganzen? Lühmann würde das – zumindest 2014 – bejahen, Elmenthaler wäre anderer Meinung. Wenn wir naiv annehmen, dass Feminismus gesellschaftlichen Umbruch zur bestmöglichsten Lebensrealität aller Menschen im Fokus hat, dann gibt es durchaus etwas Spielraum. Nämlich bedeutet eine kritische Masse, unabhängig von konkreter Motivation, dass nachhaltig Druck ausgeübt werden kann. Ungleichbehandlung am Arbeitsmarkt auf Grund von Geschlecht, strukturelle Schlechterstellung auf Grund von Geschlecht, Anfeindungen und Gewalt auf Grund von Geschlecht – all das kann nur dann der Vergangenheit angehören, wenn es laut und breit genug eingefordert wird. Was nicht passieren darf: individuelle Vereinnahmung feministischer Agenda zum reinen Selbstzweck. Aber das gilt sowieso für fast alles: wenn es mir nur darum geht, mich selbst darzustellen und es mir opportunistisch komplett egal ist, ob das nun über Feminismus, Yoga oder Techno am besten funktioniert, dann habe ich sowieso ziemlich viel falsch verstanden. Sich kritisch und ernsthaft mit dem eigenem und anderen Lebensrealitäten auseinanderzusetzen, kann nie ein Fehler sein. Alle müssen, keiner will, Feminismus. kaiser@thegap.at @thereseterror

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Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des feministischen Business Riot Festivals und ist vor allem auf Instagram anzutreffen.

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facebook.com / businessriot instagram.com / thereseterror

D k Pamela Rußmann

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Gender Gap Ich bin der Feminist!

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Bank


Bank Austria Kunstpreis 2017 Sie möchten ein Kulturprojekt realisieren und benötigen dafür finanzielle Unterstützung? Die Lösung heißt Crowdfunding mit dem Bank Austria Kunstpreis: Auf diesem Weg stellt die Bank Austria insgesamt 100.000 Euro für die österreichische Kulturszene zur Verfügung! Starten Sie Ihre Crowdfunding-Kampagne über die Plattform „wemakeit“, die Bank Austria übernimmt dann ein Drittel des Finanzierungsbedarfs. Die Ausschreibungsdetails und Teilnahmebedingungen sind auf kunstpreis.bankaustria.at abrufbar.

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Was? Wie? Wo? • Projekte aus den Bereichen: Architektur, Ausstellung, Bühne, Comics, Design, Festival, Film, Fotografie, Kongress/Konferenz, Konzert, Kunst, Kunstvermittlung, Literatur, Musik, Publikation, Tanz, Tonträger (Audio/Video), Tournee sowie die Verknüpfung von Kunst und Kultur mit sozialem Engagement. • Crowdfunding-Webinare: 9., 18. und 30. Mai 2017 • Kick-off-Event in Wien: 10. Mai 2017 • Start der Crowdfunding-Kampagnen ab dem 23. Mai 2017 möglich.

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Wiener Nordwestbahnhof

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Tracing Spaces

Einige Areale sind nach wie vor als Logistik- und Güterumschlagplatz in Betrieb, daneben beheimaten die alten Hallen an den Ladestraßen Unternehmen und Relikte einer florierenden Vergangenheit. Das Gebiet wird jetzt, Jahre nach seiner Erbauung, zwischengenutzt und schwebt damit irgendwo im Nirvana zwischen seinem ursprünglichen Zweck und dem Plan einer zukünftigen Nutzung als Wohn-, Büro- und Freizeitgebiet – nach aktuellen Plänen soll dies ab 2020 entstehen. Das Kunstprojekt »Stadt in Bewegung – Zum Abschied eines Logistik-Areals« ermöglicht, sich auf den Abschied eines Stücks Wiener Stadtgeschichte einzustimmen.

Zwischen-Zeit

Erli Grünzweil

Die Zwischennutzung ist aber kein modernes Konstrukt der letzten Jahre, sondern begann bereits in den frühen 1920er Jahren. 1872 wurde der Betrieb des Bahnhofs und der Nordweststrecke aufgenommen, die zu einer

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der wichtigsten Handelslinien zwischen der Ostsee, Berlin, Dresden und Wien avancierte. 1924 wurde der Personenverkehr eingestellt, dabei wurde die große Halle umfunktioniert – von künstlich aufgeschütteten Skipisten im Zuge des Schneepalasts 1927 über Propaganda-Veranstaltungen der NSDAP ab 1938 und antisemitischen Ausstellungen während der NS-Zeit hat die ehemalige Bahnhofshalle so einiges gesehen. Während dem Zweiten Weltkrieg wurde sie zerstört und 1952 abgetragen. Die Gleisanlagen blieben für den Frachtverkehr aber in Betrieb und der Bahnhof blieb als Handels- und Logistikknotenpunkt damit zumindest teilweise erhalten. Über die restliche Nutzung des Areals macht man sich nun bereits seit 2008 Gedanken – damals wurden verschiedene Konzepte vorgestellt, die Umsetzung ließ allerdings auf sich warten. Erst im letzten Jahr übernahmen die LogistikKnoten Inzersdorf und Freudenau einige Kerntätigkeiten des Nordwestbahnhofs. Dieser relative Planungs-Stillstand bot dem Gelände in den letzten Jahren Raum, ein gewisses Eigenleben zu entwickeln. Die ÖBB betreiben Teile des Bahnhofsgebietes noch als Güterumschlagplatz, mittlerweile nur noch für LKWs, erweitert mit einem Pausenraum und einer Kantine, die als Überbleibsel aus einer besseren Zeit die Mitarbeiter und raren Besucher mit einem besonderen Charme umhüllen. Daneben pflegt eine alte Dame einen kleinen Garten, der wohl entstand, lange bevor Urban Gardening hip wurde. In direkter Nachbarschaft zum Grün befinden sich kleine Handelsunternehmen und eines der größten Filmausstattungslager Österreichs, Props.Co,

– eine historisch gewachsene Wunderkammer, wie man sie selten wo zu sehen bekommt.

Kunst am Zug Zwischen Containern, Logistik- und Busunternehmen, einer multikulturellen Fahrschule und dem alten Postgebäude, das die Architektur des ursprünglichen Gebiets erschließen lässt, hat sich ein Künstlerduo eingemietet, das nun dem Nordwestbahnhof die letzte Ehre erweist. »Zum Abschied eines LogistikAreals« heißt es auf dem Flyer von Michael Hieslmair und Michael Zinganel, beide ausgebildete Architekten, die den Verein »Tracing Spaces« und seit 2015 einen Projektraum am Gelände betreiben. Sie sind in das Areal verwoben, haben sich integriert und kennen das Gelände wie die LKW-Fahrer, die untertags ihre Routen abfahren. Die Begeisterung ist zu spüren, wenn sie durch die Ladestraßen streunen, Geschichten erzählen und die Vergangenheit aufrollen. »Wir wollen die Besucher auf die historische und aktuelle Bedeutung des Nordwestbahnhofs als vergessenen Ort innerhalb der Stadt hinweisen«, erzählt Michael Zinganel. Sie besuchen die Leute, sprechen mit ihnen, sammeln Erinnerungen und Bilder und versuchen so, die Geschichte des Nordwestbahnhofs möglichst lebendig zu rekonstruieren und für Besucher, kurz vor der Umwidmung des Areals, erlebbar zu machen. Gezeigt werden ihre Arbeiten direkt in ihren Projekträumen auf der Ladestraße am Gelände, die auch der Startpunkt des seit 5. Mai zugänglichen Parcours sind. Insgesamt zehn Künstlerinnen und Künstler lassen das Gebiet in den nächs-

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Das Gelände des Wiener Nordwestbahnhofs existiert irgendwo zwischen Handelsknotenpunkt und städtebaulicher Neugestaltung. Ein Künstlerduo arbeitet nun seine Geschichte auf. ———— Von außen unscheinbar, auf den ersten Blick verlassen, auf den zweiten eher heruntergekommen – besonders attraktiv wirkt das Gelände des Wiener Nordwestbahnhofs, der schon lange kein Bahnhof mehr ist, nicht. Doch hinter dieser grauen Fassade versteckt sich ein zu Unrecht in Vergessenheit geratener, geschichtsträchtiger Ort, der an jeder Ecke und hinter jeder alten Mauer eine Überraschung bereithält.

Der Wiener Nordwestbahnhof wird durch das Projekt »Tracing Spaces« über den Sommer hinweg durch einzelne Kunstwerke belebt.

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ten Wochen und Monaten auf- und hochleben. Ihre Kunstwerke treten dabei mit dem Areal in Dialog und integrieren sich teilweise so gut, dass sie gar nicht sofort erkennbar sind. In der selbsternannten »Kunsthalle«, einer überdachten, offenen und stillgelegten alten Ladeplattform, lädt ein Tischfußballtisch, befestigt im Beton der Ebene, zum Spielen ein. Die Kunstinstallation von Ina Weber ist eine Antwort auf ihre Umgebung. Die Besucher sollen sich wie in einem offenen Stadion fühlen, in dem die Massen fehlen – eine Parallele zum Bahnhofsareal. Johanna und Helmut Kandl malen das internationale Zeichen der Genfer Konvention zum Schutz für Kulturgut auf den Asphalt einer Ladestraße. Es soll abgenutzt aussehen, als wäre es schon immer hier gewesen. Und es passt, denn ein Kulturgut ist das alte Bahnhofsgelände in der Tat. Es riecht an allen Ecken und Enden nach einem alten Wien, das immer mehr überbaut wird und dem Wandel der Zeit zum Opfer fällt. Das Zeichen kann es zwar nicht schützen, aber immerhin würdigen. Scheinbar funktionslose Objekte und Abfall werden von Martin Kaltwasser eingesammelt und zu neuen Assemblagen verarbeitet. Die Kunst entsteht durch und in dem Raum, in dem sie sich befindet und gibt den Objekten neue Bedeutungen. So ist etwa eine Brücke zu einem angrenzenden Parkplatz entstanden und ein altes Becken am anderen Ende des Geländes durch gefundene Objekte erweitert worden. Surrealer geht es bei den Schienen zu: Johanna Tinzl und Katrin Hornek haben eine Zukunftsvision der Logistik-Branche

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entworfen, in der Kreuzbein-Prothesen für haltungsgeschädigte LKW-Fahrer ohne konkreten Demand produziert werden und sich in einem schwebenden Lager über der Region befinden. Laut Vision der Künstlerinnen sei eine solche Prothese, durch einen Fehler der Leap Millisecond-Einfügung im Jahr 2039, nun aus der Cloud gefallen und hat an einem Laternenmast in der Gegenwart eine Bruchlandung hingelegt. Mit dem W-Lan vor Ort verbunden, versucht die Prothese, sich in einem 13-minütigen Dialog mit einer Suchmaschine wieder mit der Cloud zu verbinden, aber es funktioniert nicht.

interessante Anreiz war, ein Glied dieser Handelskette zu werden und ernsthaft mit diesen Firmen zu kooperieren«, sagt die Künstlerin, oder besser, die Unternehmerin, denn »als Unternehmerin ist man das Epizentrum des Geschehens!« Die Güter, teilweise zu Kunstobjekten umgewandelt, werden im OnlineShop angeboten und vor Ort in Überseekisten präsentiert. Auch ihr Büro am Gelände findet Platz in einem solchen Container und kann mit einem Stapler von einer Lagerhalle zur nächsten versetzt werden.

Neugründung für den Handel

Dass das Areal und die Kunstinstallationen als lebendige Projekte erlebt werden, dafür sorgen Michael Hieslmair und Michael Zinganel. Animierende Führungen, organisierte Ausflüge und Grillfeste in Ladestraße 1 laden zu einer aktiven Partizipation ein. Die künstlerischen Arbeiten sind über das Areal verstreut platziert und laden dadurch zu einem Parcours über das Gelände ein. Er führt die Besucherinnen und Besucher an Orte, die Geschichte(n) erzählen, Vergessenes enthüllen und noch aktive Betriebe beherbergen. »Die Kunstwerke sind dabei Wegweiser, Markierungen bestimmter Funktionszonen und thematische Verstärker«, wie Michael Hieslmair und Michael Zinganel es beschreiben. Magdalena Reuss

Das LKW-Treiben, nach wie vor das Herzstück des alten Bahnhofsgeländes, steht auch im Zentrum zweier weiterer künstlerischer Arbeiten. Zara Pfeifer bringt den Berufsalltag von LKW-Fahrern auf großformatige Fotodrucke und tapeziert damit die Fassade von Lagerhallen. Gabriele Sturm geht dem Handelstreiben auf den Grund und wird im Rahmen ihres Projekts Teil des Systems von Handel und Ökonomie, das das Areal mitbestimmt. Von der Beobachterrolle hat sie in die Rolle der Händlerin gewechselt und die »nwbh hpfmbh« gegründet – als gewerblich registrierte Handelsunternehmerin arbeitet sie nun mit ihrer Handelsplattform mit den lokalen Betrieben zusammen. »Der für mich

Durch Raum und Zeit

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Das Kunstprojekt »Stadt in Bewegung – Zum Abschied eines Logistik-Areals« ist von 5. Mai bis Mitte Juli 2017 jeweils am Wochenende bzw. mit Führungen nach Vereinbarung begehbar.

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Die Natur ist dreckig genug

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Begehrtes Provisorium

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Zwischennutzung

Die Ressource Raum wird in einer wachsenden Stadt wie Wien immer begehrter. Was kann Zwischennutzung leisten, wie viel darf Raum kosten und welche Funktion sollte die Stadt selbst übernehmen? ———— Man nehme ein leerstehendes Gebäude, Eigentümer, die für einen gewissen Zeitraum ohnehin keine Nutzung dafür vorgesehen haben oder auf Genehmigungen zur Sanierung warten, aber nicht auf den Betriebskosten sitzen bleiben wollen und Menschen, die günstigen Raum suchen – so einfach könnte Zwischennutzung umgesetzt werden. Etwa dieses Rezept ging bei Lukas Böckle und Angie Schmied, damals noch Architekturstudierende, bereits 2010 auf. Mit Trust 111 entstand in der Schönbrunner Straße ein Vorzeigeprojekt, von dem heute, lange nach Ende der Nutzung, noch immer gesprochen wird. Angestoßen wurde das Projekt aus der Not: Als die Studierenden ihre Zeichensäle aufgrund der Raumknappheit an der TU verloren hatten, begaben sie sich gemeinsam auf die Suche nach günstigem Raum – erfolgreich. Aus einer einzelnen Etage wurden mehrere, am Ende durften die Studierenden fast das gesamte Haus nutzen. »Die Schönbrunner Straße hat wahnsinnig viel bewirkt. Dadurch wurde das Thema zum ersten Mal wirklich präsent in Wien. Dort waren Nutzungen möglich, die davor eher nicht denkbar waren, weil Wien einfach konservativer ist, als beispielsweise andere deutsche Städte«, erzählt Angie Schmied, eine der Mitgründerinnen von Nest, einer Agentur, die Leerstand vermitteln und aktivieren will. Mittlerweile haben sich dem Thema mehrere Akteure angenommen: Auf universitärer Ebene etwa die TU, die auf dem

leerstehenden Gelände in St. Marx, das ursprünglich für den ORF vorgesehen war, ein mobiles Stadtlabor eingerichtet hat, auf Stadtebene die Serviceagentur Kreative Räume und daneben noch viele kleine private Akteure. Beteiligt am Projekt in der Schönbrunner Straße war auch Margot Deerenberg, die mit dem Verein Paradocks aus dem alten Bundesrechenzentrum in der Marxerstraße das Packhaus formte, das heute ebenfalls als Pilotprojekt in Sachen Zwischennutzung gilt. Das ehemalige Bürogebäude beherbergt auf 2.300 Quadratmetern aktuell etwa 80 Kleinund Einzelpersonenunternehmen, in erster Linie aus der Kreativwirtschaft. Der Vertrag mit dem Immobilieneigentümer wurde gerade verlängert, mittlerweile hat Paradocks teilweise in das Haus investiert. Neben den Büros können von allen Parteien auch Gemeinschaftsräume, Besprechungszimmer und sogar ein Bewegungsraum genutzt werden. Der Preis pro Quadratmeter liegt aktuell zwischen zehn und dreizehn Euro – damit ist das Packhaus gewissermaßen die Luxus-Variante einer Zwischennutzung. An Nachfrage mangelt es dennoch nicht. »Wir haben aktuell eine lange Warteliste und bekommen jede Woche neue Anfragen«, so Veronika Kovacsova von Paradocks.

Learning by Doing Die hohe Nachfrage nach vergleichsweise günstigem Raum war letztlich auch der Grund für Lukas Böckle, Angie Schmied und Magdalena Greis, mit Nest die erste Agentur für Leerstandsnutzung ins Leben zu rufen. Seit der Gründung haben sie nun 2.500

Zwischennutzung gestaltet sich unterschiedlich: Während die Creau als kurzfristiger Ort für Kunstveranstaltungen dient (oben links) finden im Packhaus Start-ups und Kreative langfristig Platz für ihre Büros (oben rechts). Die TU Wien hat sich am Gelände in St. Marx ein Stadtlabor eingerichtet, bis über die Nutzung des Geländes entschieden wird (unten links). Die Agentur Nest bespielt auch kurzfristig Gassen­lokale, etwa für Ausstellungen, Modeschauen oder Märkte (unten rechts).

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Lisa Leutner, Marija Jociute, Lukas Preisinger, Nest Agency

Wie teuer darf Raum sein? Abstriche gehören gewissermaßen dazu – neben der temporären Verfügbarkeit werden viele Objekte auch zur Verfügung gestellt,

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» Die Schönbrunner Straße hat wahnsinnig viel bewirkt. Dadurch wurde das Thema zum ersten Mal wirklich präsent in Wien.« — Angie Schmied, Nest

weil sie für eine Vermietung aufgrund der Gegebenheiten nicht in Frage kommen. Investiert wird meist nur marginal, etwa um für die Wasser- oder Stromzufuhr eine Zwischenlösung oder für das Internet eine Zwischenlösung zu finden. Im Gegensatz zu einem klassischen Mietverhältnis fallen für die Nutzer nur die Betriebskosten und die laufenden Kosten an. Für einen Schreibtisch in der Tautenhayngasse, einem von Nest betreuten Projekt, zahlt man so nur rund 60 Euro im Monat, ein Preis, der weit unter den Angeboten von klassischen Co-Working-Spaces liegt. Reich wird die Agentur damit allerdings nicht. »Wir versuchen, einen Verwaltungsaufwand zu decken, aber der tatsächliche Aufwand wird nicht gedeckt, deshalb muss hier mit Stadtentwicklungsprojekten querfinanziert werden. Man kann den Raum sonst einfach nicht so günstig anbieten«, so Schmied. Die Frage nach den Kosten ist dabei eine recht schwierige, festlegen, was zwischengenutzter Raum kosten darf, wollen sich nur wenige. »Rechnen muss man mit mindestens drei bis vier Euro pro Quadratmeter – je nach Nutzungsdauer und Immobilie können es auch bis zu sechs Euro sein«, erklärt Christian Knapp. Er ist Teil der Serviceagentur Kreative Räume, die vor knapp einem Jahr von der Stadt Wien ins Leben gerufen wurde und als Serviceagentur Projektideen, Immobilien und Nutzer sowie private Leerstandsinitiativen zusammenführen soll und beratend tätig ist. Die Vorstellungen und Bedürfnisse der Raumsuchenden seien dabei sehr unterschiedlich – ähnlich wie die vorhandenen Räume. Neben dem Zusammenführen von Raumsuchenden,

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Anfragen gesammelt – mehr, als sie zu dritt vermitteln können. Derzeit betreut Nest zwei Häuser, zwei Geschäftslokale und die Creau, ein Zwischennutzungsprojekt in alten Stallungen nahe der Trabrennbahn. Bei allen Objekten läuft der Vertrag auf die Agentur selbst, zusätzlich werden auch Strom, Gas, Versicherung und bei Bedarf das Internet auf Nest angemeldet und dann unter den Nutzern aufgeteilt. Einfach sei das nicht immer. »Die größte Herausforderung war sicher die Creau. Dort gab es zuerst nur Sickergruben und mit der Elektrik hatten wir viele Probleme. Zwischennutzung ist eigentlich immer Learning by Doing und ein Anpassen an die Gegebenheiten«, erzählt Schmied. Bei den Bürogebäuden sei das Internet aktuell die größte Schwierigkeit, für die man noch immer keine perfekte Lösung gefunden habe. Die meisten sinnvollen Verträge haben eine zweijährige Bindung, die die Nutzungsdauer der Gebäude übersteigt. Wie lange ein Objekt zur Verfügung steht, kann im Vorfeld oft schwer abgeschätzt werden. »Wenn es um Projekte geht, bei denen eine Sanierung geplant ist, ist die Dauer der Zwischennutzung oft davon abhängig, wie schnell der Bauträger verschiedene Genehmigungen bekommt und das sind Fristen, die nicht absehbar sind. Meist wird eng kalkuliert und von der Minimalfrist ausgegangen und dann werden Verträge öfter verlängert«, erklärt Schmied.

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Die alten Pferdestallungen in der Creau werden zwei Jahre lang bespielt. Kunst- und Kulturveranstaltungen finden Platz in Pferdeboxen und am weitläufigen Gelände.

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Raumunternehmern wie Nest und Räumen steht zudem auch die Beantwortung von Fragen rund um rechtliche Themen im Vordergrund ihrer Arbeit.

Lähmende Leerstandserhebung Während Zwischennutzungsprojekte in der Umsetzung fast romantisch klingen, ist die Suche nach Raum und der Wunsch, diesen zu beleben, letztendlich auch oft ein Streitthema zwischen den Akteuren – nicht nur in Österreich. Vor rund sieben Jahren schmückten etwa Besetzer des Hamburger Gängeviertels um die Weihnachtszeit 24 Türen zu ungenutzten Gebäuden und starteten zeitgleich das Projekt »Leerstandsmelder«. Das Onlinetool sollte das Ausmaß an Leerstand in Hamburg aufzeigen, breitete sich innerhalb kürzester Zeit auf ganz Deutschland aus und ist mittlerweile auch in Wien angekommen. 295 Leerstände wurden in der österreichischen Hauptstadt bisher eingetragen – das Spektrum reicht von brachliegenden Wohngebäuden über verwaiste Geschäftslokale und Gemeindebauten bis hin zu einem ungenutzten Kino. Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit hat diese Datenbank freilich nicht, aber sie zeigt auf, dass auch auf der Immobilienseite durchaus Potenzial für mehr Nutzung da wäre. Bevor dieser Leerstand belebt werden kann, muss zunächst aber viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. »Immobilieneigentümer wollen eine Handlungs- und Planungssicherheit. Die meisten Eigentümer wissen selbst nicht, wie lange ein Gebäude leer steht«, so Christian Knapp. In den Fokusgebieten bedeutet das für die Kreativen

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Räume auch viel Klinkenputzen und Durchtelefonieren – eine Sisyphosarbeit, wie Ula Schneider zugibt. Aktuell konzentrieren sich die Kreativen Räume auf die Kreuzgasse, den Floridsdorfer Spitz sowie die Praterstraße. »Die Fokusgebiete haben sich aus der Wiener Stadtentwicklung ergeben. Wir sind in den Gebieten aktiv, wo es schon ein besonderes Interesse vom Bezirk, dem Bezirksvorsteher, Agendagruppen oder aktiven lokalen Initiativen gibt, die wir dann bei der Raumsuche unterstützen«, erklärt Christian Knapp. Neben der Erhebung von Leerstand will man sich künftig darauf konzentrieren, mit Best Practise-Beispielen mehr Anreiz zu schaffen und die oft in Zusammenhang mit Zwischennutzung erwähnte Win-Win-Situation anhand von Beispielen zu zeigen.

Was macht die Stadt? Trotz der Installierung einer eigenen Serviceagentur, die vorerst auf drei Jahre bestellt ist und mit insgesamt 450.000 Euro subventioniert wird, muss sich die Stadt Wien in Sachen Leerstandsmanagement auch Kritik gefallen lassen. Die Forderung der Öffnung der Gassenlokale steht im Raum, die Frage nach tatsächlichem Leerstand wurde durch eine Erhebung im Wo h n u n g s s e k t o r zwar geklärt, offen sind für Zwischennutzungsprojekte aber, auch im öffentlichen Sektor, bei Weitem nicht alle

Akteure. Wie es funktionieren könnte, zeigt sich am Beispiel des Sandleitenhofs, einem Gemeindebau von Wiener Wohnen, in dem Kulturprojekte wie etwa das Zoom Kindermuseum, Soho in Ottakring oder die Kunstbiennale Kiev temporär Platz fanden. Letztendlich bleibt Zwischennutzung wohl auch in den nächsten Jahren ein Phänomen, das von Best Practise-Beispielen wie diesen lebt, aber nicht zum Standardmodell im Umgang mit Leerstand werden kann – nicht zuletzt, weil die Zahl der handelnden Akteure auf der Vermittlungsseite ebenso wie die jener Immobilienbesitzer, die sich darauf einlässt, gering ist. Je begehrter die Ressource Raum in den nächsten Jahren wird, desto interessierter könnte Zwischennutzung nicht nur für Nutzer, sondern auch für die Stadt werden, bei Einführung der aktuell diskutierten Leerstandsabgabe könnte sich auch die Entscheidung für den ein oder anderen Privaten in Richtung Zwischennutzung bewegen. Best Practise-Beispiele sollte es dann genug geben. Yasmin Vihaus

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Einen bleibenden Eindruck auf der Welt zu hinterlassen, wer wünscht sich das nicht? Die einen zeugen Kinder, die anderen bauen Häuser. Manche machen Kunst. Von dieser hat bereits Horaz behauptet, dass sie Erz und damit alle bloß physischen Erzeugnisse überdauern würde. Ist also Kunst der direkte Weg in die Ewigkeit? ———— Mit seiner weit ausgreifenden Installation »The Theater of Disappearance« erweitert Adrián Villar Rojas diese Frage erheblich. Seine Arbeit, die das gesamte Kunsthaus Bregenz einnimmt, für dessen spezifische Gegebenheiten sie auch angefertigt wurde, begibt sich auf die Suche nach den Spuren menschlicher Existenz als Symptom des vorüberziehenden Einwirkens von Lebewesen überhaupt. Rojas erkennt den Zumthor-Bau als Tempel an die Kunst und die ihn hütenden KuratorInnen und TechnikerInnen als Sekte, denen er zur Umsetzung seiner Vorstellungen alles abverlangen darf und kann. So verwandelt er diesen Würfel aus Glas und Beton in eine Zeitkapsel, in der er seine Fundstücke versammelt und zu vier atmosphärischen Bühnenbildern inszeniert. Zuerst irrt man als Metapher unseres immer nur punktuellen Verständnisses von kultureller Produktion auf einer am Boden ins Riesige vergrößerten »Madonna del Parto«, die als sinnliche Wiege der westlichen Kunst fungiert, dann stolpert man durch einen archäologischen Befund, der in prähistorischer Düsternis Fossilien- Graffiti aus verschiedensten Zeiten skulptural eindrucksvoll gegenüberstellt. Im dritten Stock stößt man in dämonisch flammender Dunkelheit auf einen von einer postmodernen Tafelrunde umgebenen Monolithen, bevor man schließlich zur artifiziellen Apotheose des Menschen aufsteigt: In unnatürlichem Weiß strahlen einem die lächerlich verstümmelten Beine des David entgegen auf einem mit dem Boden in einem Guss hergestellten Altar, der die Spitze des von Rojas herausgeforderten Wagemuts des Vorarlberger Handwerks darstellt. Der Künstler fängt all diese Spuren ein und mischt sie in einer Inszenierung, durch die er uns wandeln lässt. Dabei verwirrt und entrückt er uns bewusst, um erlernte Lesarten der kulturellen Codes zu erschweren. Im Idealfall erahnen wir einen außerirdischen Blick, der alles von versteinerten Trilobiten bis zu den Filmen Wong Kar-wais unhierarchisch als Marker irdischen Lebens sieht. Rojas Bestreben ist von Skepsis, aber auch großer Liebe zu der allumfassenden Fiktion erfüllt, die wir Kultur nennen. Auf den Reisen, die den Alltag eines aufstrebenden Stars der Kunstwelt ausmachen, hat er immer wieder bemerkt, wie die ihm bekannte Landschaft an Zeichen verschwindet. Jetzt macht er die BesucherInnen des Kunsthauses Bregenz zu SchauspielerInnen in einem Theater, das bewahren will, indem es sich Fragen über das Ende stellt. Gabriel Roland

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Adrián Villar Rojas, The Theater of Disappearance, 2017, Ausstellungsansicht 3. OG, Kunsthaus Bregenz, Courtesy of Adrián Villar Rojas, Marian Goodman Gallery, New York | Paris | London und Kurimanzutto, Mexiko-Stadt

Adrián Villar Rojas Lebenszeichen

»The Theater of Disappearance« von Adrián Villar Rojas ist noch bis 27. August im Kunsthaus Bregenz zu erleben.

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falter

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40 —— 20 —— 20 —— 10 Falter, The Message, The Gap, Vice: Vier Medienmarken mit starkem Kulturverständnis und runden Jubiläen im Jahr 2017 im Gespräch.

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Thomas Weber, The Gap: Ein Thema, das alle hier am Tisch vertretenen Medien eint, das ist – ich unterstelle das jetzt einmal – ein eigenes Kulturverständnis, das sich über die Jahre sicher auch verändert hat. Eine Veränderung, die für mich offensichtlich ist: Mit der Messbarkeit von Interesse an Kultur im Web hat sich auch das Bewusstsein herausgebildet, dass ernsthaftes Interesse an Kultur ein Minderheitending ist, weit offensichtlicher als man das vor ein paar Jahren vielleicht noch gedacht oder gehofft hätte. Kultur im klassischen Journalismus war ja oft zumindest ein Distinktionsmerkmal, mit dem man sich positionieren konnte. Dieser Zugang ist komplett verlorengegangen. Da ist der Falter heutzutage eher eine angenehm altmodische Ausnahme. Yasmin Vihaus, The Gap: Einerseits gibt es etwa bei klassischen Musikrezensionen noch immer einige Autoren, die das gerne machen und viel Herzblut reinstecken. Auf der anderen Seite fehlt aber die Masse an Lesern, die so ein Format interessiert. Wenn der Sänger von Wanda auf der Bühne einen Stromschlag bekommt und das, was es darüber zu sagen gibt, eigentlich schon in der Headline steht, dann klicken das mehr Leute an, als eine Review – egal wie gut sie geschrieben ist. Gerade auch die langen Coverstorys, die in die Tiefe gehen, hinter denen mehr Aufwand steckt und die eigentlich sehr lesenswert sind,

funktionieren online bei uns nicht so gut. Auf der anderen Seite haben wir Texte, die zwischendurch verfasst wurden, mit einer catchy Headline, die 10 Mal, 20 Mal, 50 Mal mehr geklickt werden.

Gerhard Stöger, Falter: Meinem Verständnis nach hat der Falter immer eine Art von kritischer Öffentlichkeit oder sogar eine Gegenöffentlichkeit geschaffen. Gerade auch im Kulturbereich, wobei das in der Vergangenheit vielleicht noch stärker der Fall war. Der Falter hat ja 1977 nicht damit begonnen, ein Aufdeckermedium zu sein, sondern etwas völlig Neues gemacht – nämlich die Kulturveranstaltungen der Stadt zusammenzutragen, in ein Heft zu schreiben und über dieses Heft auch politische Inhalte zu verkaufen. Wenn man die Programmeinlage dazu nimmt, ist der Falter heute nach wie vor in erster Linie ein Kulturmedium. Was das bedeutet und welchen Stellenwert das hat, ist schwer zu sagen. Beim Amadeus-Abend im Volkstheater ist mir kürzlich wieder aufgefallen, wie schwierig das mit dem Popbegriff heute ist. Bilderbuch haben es geschafft, in der Mainstream-Welt zwar nicht ganz anzukommen, aber zumindest mehr als nur anzustreifen. Trotzdem schafft es »Bungalow«, der beste Popsong der vergangenen Monate, gerade einmal für eine Woche in die Top Ten der Ö3-Charts. Voodoo Jürgens, in meinen Augen der Künstler des letzten Jahres, kennen viele gar nicht, er ist zu arg für Ö3, funktioniert beim Amadeus aber doch – den meisten Applaus des Abends gab es für seine eindrucksvolle Liveperformance. Oder das Donaufestival und die nahe am Donaufestival gebaute Clubschiene der Wiener Festwochen: Das nennt sich alles Pop, drinnen ist aber nischig-elitäres Expertenprogramm. In gewisser Weise wird Pop damit, wogegen er einst angetreten ist: Hochkultur. Pop ist präsenter denn je, scheint aber so wenig zu bedeuten wie kaum je. Entsprechend schwer fällt mir die Definition, was Pop eigentlich ist. In meiner Arbeit

habe ich irgendwann erkannt, dass es für ein Medium wie den Falter unmöglich ist, Pop in seiner Gesamtheit zu fassen, und dass es daher sinnvoll ist, sich in irgendeiner Form zu spezialisieren. Für uns lag die Spezialisierung nahe, sich genau anzusehen, was vor der eigenen Haustür passiert. Mitte der Nullerjahre tauchten Acts wie Gustav oder Sir Tralala auf, nach dem Niedergang der Wiener Elektronik der 90er entstand in diesem Bereich Neues, und im Gitarren-Underground begann sich etwas zu bilden, aus dem dann Bands wie Bilderbuch und Ja, Panik hervorgingen. Durchwegs spannende Geschichten also. Ich kann mich darauf stürzen, was vor der Haustür passiert, kann – und das ist mein Verständnis vom Journalismus – versuchen, die Welt zu erklären, nämlich das, was da passiert, einfangen, für die Leser aufbereiten und kann Kritik üben.

Daniel Shaked, The Message: Wir verdienen mit The Message keine Kohle. Was die ökonomische Sache betrifft, ist es ein Hinkebein, aber auf der anderen Seite ist das, denke ich, unser Vorteil. Wir können und machen das, auf das wir Bock haben. Wir scheißen komplett darauf, wer jetzt angesagt ist. Wir wollen in der Redaktion keine Freunderlwirtschaft zwischen dem Journalisten und dem Interviewten. Wenn man jemanden persönlich gut kennt, dann kann man Recherchezuarbeit leisten, aber das war’s. Wir sind aber auch nicht Pop. Hip-Hop hat ja den Vorteil wirklich sagen zu können: Das wird als wirklich ernsthafte Jugendkultur von niemandem sonst wahrgenommen. Nicht nur die Musik, sondern die gesamte Kultur. Wir haben sehr viel Content, der eben im Pop und Mainstream nicht gespielt wird. Hip-Hop hat ja den Vorteil, wirklich zu können: Das wird als ernsthafte Jugendkultur von niemandem sonst wahrgenommen. Nicht nur die Musik, sondern die gesamte Kultur.

» Wir verdienen mit The Message keine Kohle. Was die ökonomische Sache betrifft, ist es ein Hinkebein, aber auf der anderen Seite ist das unser Vorteil.« — Daniel Shaked, The Message

Julia Gschmeidler, The Message: Aber immer mehr gespielt wird.

4 Medien

4 Jubiläen

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Daniel Shaked, The Message: Das spricht aber auch für uns. Wir haben dabei einfach die Expertise – die meisten anderen schiffen sich dabei an, und zwar groß. Dadurch, dass bei uns keine ökonomischen Interessen im Vordergrund stehen und wir auch nicht davon getrieben sind, können wir auch Dinge machen wie etwa das allererste Voodoo-JürgensInterview. Es war uns bewusst, dass das nicht

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Gerhard Stöger, Thomas Weber, Daniel Shaked, Yasmin Vihaus, Julia Gschmeidler und Markus Lust (von links nach rechts)

per se Hip-Hop ist, aber der Typ hat mehr Hip-Hop-Elemente in dem, was er tut, als viele MCs, die auf Deutsch rappen. Es geht ja im Hip-Hop im Idealfall darum, Geschichten zu erzählen.

Daniel Shaked, The Message: Wir denken in dem, was wir contentmäßig machen mittlerweile über Österreich hinaus, vor allem, was Reviews und große Interviews mit deutschen Acts betrifft. Die gehen bei uns auch gut, weil es diese Art von kritischem Musikjournalismus, den wir hier machen, im deutschsprachigen Raum sonst nicht gibt. Markus Lust, Vice: Nicht die Themen sind wichtig, sondern die Geschichten. Weil wir vorhin Hip-Hop hatten: Wir haben gestern, ein Video online gestellt, zu T-Ser, einem jungen Rapper. Das war jetzt einen halben Tag online, hat 40.000 Views und ist immer noch der am besten geklickte Artikel. Auch deshalb, weil es nicht einfach ein »Schaut her, hier gibt es ein neues Tape«-Ding ist, sondern wir begleiten jemanden bei einem Dreh und gleichzeitig ist es ein Kommentar auf schwarze Kultur oder Subkultur in Wien. Es geht um eine relativ konkrete Geschichte, die sich da entspinnt. Und dann funktioniert so was. Zu dem anfänglichen Ding mit »Es funktioniert leider nur die Geschichte besser, in die weniger Arbeit hineinfließt«, das sehe ich zum Beispiel weniger kulturpessimistisch, weil das bei uns gar nicht so ist. Bei Vice funktionieren nicht die kurzen Artikel am

besten und auch nicht die Sex-Contents, sondern, das, was man im weitesten Sinne Politik oder Innenpolitik nennen würde, aufbereitet so wie Vice es aufbereitet. Der beste Artikel 2015 war etwa Hanna Herbsts relativ ausführliche Nacherzählung des ersten Tags, als die Flüchtlinge am Westbahnhof eintrafen. Eine ewig lange Geschichte und immer noch die am besten funktionierende von 2015.

Daniel Shaked, The Message: Ich glaube, in einer Zeit, wo im Internet alles erreichbar ist, sehen die Leute – wegen des großen Angebots – den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr und haben keine Ahnung mehr, auf was sie sich verlassen sollen. Ich glaube, dass Medien heutzutage Online oder Print mehr denn je die Funktion als Guideline in Anspruch nehmen. Markus Lust, Vice: Es sind zwei verschiedene Sachen, glaube ich. Das eine ist operativ, wie Journalisten arbeiten sollten, das andere ist trotzdem, ob wir diese Kommentarfunktion in der Gesellschaft haben oder nicht. Und mein Eindruck ist, wie gesagt, trotzdem, dass wir noch immer glauben, dass wir diese präskriptive Macht noch haben.

Gerhard Stöger, Falter: Ist der klassische Popkritiker eine aussterbende Spezies? Vermutlich schon, weil heute eh jeder Popkritiker ist. Umso wichtiger ist das vorher angesprochene Geschichtenerzählen. Eine guter Artikel kann gar nicht zu lange sein, der ist eher zu kurz. Das ist ja das Schöne an The Message, dass es die Formatierung nicht gibt und unfassbar lange Interviews möglich sind. Das steckt nicht unbedingt professioneller Journalismus dahinter, aber das Gespräch ist interessant. Und ich lese es in voller Länge. Das passiert mir auch bei guten Vice-Geschichten, die sind nicht zu lang. Thomas Weber, The Gap: Wohin wird sich Reflexion von kulturellen Themen und Sichtweisen in den nächsten Jahren entwickeln? Meine These wäre, dass sich das ganz stark in eine unkommerzielle Blog- und auch wieder Fanzine-Richtung bewegt. Gerhard Stöger, Falter: Für mich ist The Message ein schönes Beispiel: Unabhängig von

Anna Bauer

» Nicht die Themen sind wichtig, sondern die Geschichten.« — Markus Lust, Vice

Yasmin Vihaus, The Gap: Ich glaube diese Voraussetzung, dass man Texte von einer bestimmten Person immer liest und sie deshalb versteht, ist so eine Sache … Journalisten wie Karl Fluch und Christian Schachinger haben jahrelang Zeit gehabt, sich zu etablieren, haben Zeit gehabt, ihren Stil zu entwickeln, waren ewig lange beim selben Medium. Es ist die Frage, ob es solche Leute auch in Zukunft gibt, weil sich ein Medium solche Leute auch leisten können muss.

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Julia Gschmeidler, The Message: Einerseits sind wir echt auf einer Insel der Seeligen, weil wir keine Anzeigendeals haben, die wir berücksichtigen müssen, und echt alles machen können, worauf wir Lust haben. Aber natürlich hat das auch einen großen Nachteil, dass wir das alles ehrenamtlich machen, in Zeiten knapper personeller Ressourcen, wo das alles nur schwieriger wird.

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» Ist der klassische Popkritiker eine aussterbende Spezies? Vermutlich schon, weil heute eh jeder Popkritiker ist.« — Gerhard Stöger, Falter ökonomischen Zwängen gibt es da die Möglichkeit, einer Leidenschaft nachzugehen und seine Begeisterung auszuleben, wobei das hier mit einem kritischen, reflektierten Zugang verbunden ist.

Thomas Weber, The Gap: Eine der interessantesten Personen und Plattformen in Österreich – auch wenn es da nicht um Pop geht – ist meines Erachtens der Blog von Christian Köllerer mit Theater- und Opernrezensionen und Eindrücken von Studienreisen. Etwas altmodisch und klassisch im Selbstverständnis, aber doch ein Kulturblog im besten Sinn.

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Daniel Shaked, The Message: Das führt wieder auf den Punkt zurück, dass Reviews und persönliche Ansichten besonders interessant sind. Durch diese Bloggisierung oder Instagram-Typen, die diese Sachen posten, kommt eine gewisse Meinung dazu. Yasmin Vihaus, The Gap: Ich meinte vorher auch nicht, dass Meinung nicht interessant ist. Das glaube ich schon. Sondern, dass es dieses »Ich lese eine Review, bevor ich darüber nachdenke, ob ich mir eine CD kaufe« nicht mehr gibt. Meinung an sich stirbt, glaube ich, nie aus. Daniel Shaked, The Message: Ich bin da ganz das Gegenteil, ich schau mir die Rezensionen an. Es prasselt so viel auf mich ein, dass ich nicht nachkomme, mir die Sachen alle anzuhören. Da bin ich froh, wenn ich irgendwo reinschaue und die Leute sagen »großartiges Album«, dann höre ich mir das an. Aber ich bin auch kein Spotify-User, also ich bin da vielleicht überhaupt nicht repräsentativ. Gerhard Stöger, Falter: Uns fehlt das Wissen, wie heute mit Rezensionen umgegangen wird und wie man sich heute informiert. Durch meine Kinder kriege ich mit: Angehende Teenager sind schon popaffin, die hören dann halt Yung Hurn und so weiter auf dem Handy, aber niemand kauft Tonträger oder Downloads. Natürlich verkauft sich Vinyl auf niedriger Ebene gut, weil das Nerds wie ich sind. Aber der Tonträger hat letztlich doch nur auf dieser Nerd-Ebene Zukunft. Vermutlich braucht der junge Mensch dann die klas-

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sische Plattenkritik gar nicht mehr, weil der kriegt das schon irgendwie mit, das verbreitet sich dann einfach über die Timelines oder wo auch immer. Was aber offensichtlich gut funktioniert, sind so Polemiken. Beispielsweise der seltsame Bilderbuch-Verriss vom Schachinger, der inhaltlich zwar ein Schaß, aufmerksamkeitsökonomisch aber natürlich ein Coup war: Alle haben darüber geredet. Ich bin jetzt im Gespräch drauf gekommen: Ich bin eurem Modell bei The Message vermutlich recht nahe und das ist das Schöne, dass ich beim Falter frei von Klickzahlen, Wünschen der Anzeigenabteilung oder ähnlichem die Freiheit habe, Interessen nachgehen und diese zu vertiefen. Für sowas wird das Medium wohl auch geschätzt, und ich glaube schon, dass das Zukunft hat. Das Schlechteste, was man machen kann, ist, zu versuchen, leicht konsumierbar oder irgendwie smoother zu werden.

Markus Lust, Vice: Der Punkt ist, glaube ich, auch, dass man mit mehr Ecken und Kanten auch mehr gelesen wird. Und nix anderes heißt Klicks. Ich finde es schade, wenn es nicht um Klicks geht. Warum soll es um etwas anderes gehen? Also mir geht es doch darum, dass wir von möglichst vielen Leuten gelesen werden und aus dem Text entsteht ja auch online ein Diskurs. Der ist inzwischen Teil des Journalismus. Thomas Weber, The Gap: Ich finde das Beobachten von Klicks und sogar das Schielen auf viele Zugriffe nicht verwerflich, glaube allerdings, dass es manchmal durchaus auch befreiend sein kann, zu akzeptieren, dass manches halt kaum jemand liest. Natürlich hab ich den Anspruch mit meinem Tun möglichst viele Leute zu erreichen. Aber manchmal ist mir bei meinen eigenen Texten auch tatsächlich egal wie viele Leute das letztlich lesen. Wenn es einigen Leuten bei der Meinungsbildung hilft, sie auf Gedanken oder eine neue Sichtweise ins Spiel bringt, dann habe ich mein Ziel erreicht. Vielleicht sehe ich das auch ein wenig als eine Referenz auf die Gegenöffentlichkeit der Fanzinekultur, die ja auch keine Reichweite hatte und trotzdem bedeutsam war. In engen Grenzen halt.

Markus Lust, Vice: Aber Gegenöffentlichkeit ist es auch erst ab einer gewissen kritischen Masse. Thomas Weber, The Gap: Naja, der Falter schafft Gegenöffentlichkeit ja auch nicht wegen seiner 100.000 Leser, sondern weil er weit darüber hinaus reflektiert wird und weil er meinungsbildend wirkt. Die 100.000 Leute alleine wären vernachlässigbar. Ein Niavarani erreicht auf Facebook heute theoretisch 300.000 Leute, ohne dass er irgendeines dieser Medien bräuchte. Markus Lust, Vice: Ich sag ja auch nicht, dass die Voraussetzung ist, eine ähnliche Reichweite wie der Mainstream zu haben. Aber hätte der Falter 100 Leser, würde er nicht so diskutiert werden. Irgendwo gibt es da schon einen Schwellenwert, ab dem irgendwas Relevanz erlangt, nämlich auch im Diskurs. Natürlich ist das auch qualitätsabhängig. Natürlich würden andere Journalisten den Falter vielleicht weniger rezipieren, wenn er gleich viele Leser hätte, aber schlechter geschrieben wäre. Die Frage ist, von wem man redet: Ist es der einzelne Kulturredakteur? Dem sollte es tatsächlich ein bisschen egal sein dürfen, wie gut seine Sachen jetzt funktionieren. Er sollte sich aber schon damit auseinandersetzen, wenn Feedback kommt. Er sollte selbst diskursiv mit seinem Text umgehen. Bei uns gibt es eine eigene Abteilung für Activation. Das sind drei Typen, die nichts anderes machen, als zu schauen, wie gut Inhalte funktionieren und wie sie dafür sorgen, dass Inhalte besser funktionieren. Und da geht es nicht um Eingriffe in die Texte, da geht es rein um Facebook-Optimierung. Man soll ja nicht alles machen, was Klicks bringt, es geht eher darum, Sachen, die man machen will, so zu machen, dass sie Klicks bringen. Gerhard Stöger, Falter: Ich bin mittlerweile so pragmatisch, dass ich sage: Der Artikel ist gut, wenn ich zufrieden bin damit. Angewiesen sein auf Feedback, da tut man sich nichts Gutes. Der im Feedback-Sinne erfolgreichste Artikel heuer war die Falco-Titelgeschichte zum 60. Geburtstag. Da haben sich vielleicht zehn Leute die Mühe gemacht, mir zu mailen, zu smsen oder mich anzusprechen, um mir zum Text zu gratulieren. Zehn Daumen rauf sind in der Social-Media-Welt natürlich weniger als nichts, aber als konsequenter Old-School-Depp will ich in dieser Welt eben nicht stattfinden.

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falter

the message

the gap

vice

40 —— 20 —— 20 —— 10

Daniel Shaked, The Message: Du hättest den Rainhard Fendrich aufs Cover geben und eine Riesenstory über Voodoo Jürgens reinhauen müssen. Dann wäre beides gelesen worden. Gerhard Stöger, Falter: Die schönste Form von Rückmeldung ist, wenn ich merke, dass ich etwas angestoßen habe. Wenn Leute kommen und sagen, sie hören sich beispielsweise eine Platte noch mal an und verstehen sie besser. Bei Voodoo Jürgens war das so: Zwei Tage, nachdem der Artikel erschienen war, hat sich die Redakteurin eines großen deutschen TVSenders bei mir gemeldet, bei der hatte das Porträt ganz offensichtlich etwas bewirkt. Julia Gschmeidler, The Message: Ich glaube, es ist ein sehr wichtiger Indikator, zu sehen, ob eine Geschichte gut ist, wenn einen andere Medien aufgreifen, zitieren, das Ganze weiterspinnen. Thomas Weber, The Gap: Meine Beobachtung ist trotzdem, selbst wenn man eine starke Marke wie Vice auf Facebook ist, Leute sagen: »Das habe ich auf Facebook gelesen oder gesehen.« Ganz egal, wo ein Text oder Video erschienen ist. In dem Rahmen sind wir alle alt – bei jüngeren Leuten ist das noch extremer. Gerhard Stöger, Falter: Das ist ein spannender Punkt, nicht nur, was Popkritik betrifft, sondern generell: Gibt es einen Kulturbruch durch Smartphones? Ich glaube, dass die Ju-

gendlichen heute sehr viele Skills entwickeln, aber was heißt das für die Zukunft der Medien? Was bedeutet es, wenn Leute nur mehr eine Aufmerksamkeitsspanne von drei Minuten haben? Das frage ich mich auch ganz bewusst bei einem Medium wie dem Falter, dessen Grundsatz schon auch ist: Es wird kein Content verschenkt. Das führt dazu, dass der Falter als Printmedium stabil ist. Aber was passiert, wenn alle Menschen am Handy sozialisiert werden?

Daniel Shaked, The Message: Vielleicht gibt es einen neuen Coolness-Faktor, wenn die Sachen nicht online sind. Vielleicht wird es den Menschen irgendwann zu blöd, dass alles verfügbar ist. Gerhard Stöger, Falter: Ich finde es spannend, wenn man sich Yung Hurn ansieht: Das ist so der erste Smartphone-Popstar. Dessen gut gehende Songs haben vier bis fünf Millionen Youtube-Klicks. Er findet aber in klassischen Medien schon alleine deshalb nicht statt, weil er mit klassischen Medien nicht spricht. Julia Gschmeidler, The Message: Weil er auch nicht darauf angewiesen ist. Gerhard Stöger, Falter: Mavi Phoenix findet derzeit in allen Medien statt. Haut sie eine neue Single raus, die alle gut finden, hat die nach Wochen aber erst einige zehntausend Klicks auf Youtube. Das finde ich schon spannend. Thomas Weber, The Gap: Vielleicht auch ein wenig bezeichnend, dass wir über FM4 noch nicht gesprochen haben bislang. Das wäre vor ein paar Jahren noch anders gewesen. Man sieht ja aktuell, wie FM4 aktuell seine Identität sucht als etwas in die Jahre gekommenes Jugendkulturradio. Meiner Meinung nach hat man sich auch bei FM4 lange gewehrt, Yung Hurn eine Plattform zu bieten und jetzt findet das dort in meiner Wahrnehmung wie selbstverständlich statt. Daniel Shaked, The Message: Ja, um acht in der Früh »Bianco«. Gerhard Stöger, Falter: FM4 steht vor der gleichen Frage wie wir, nur sie wiegt für FM4 schwerer. Wir fragen uns, wie wir junge Menschen dazu bringen, zur Zeitung zu greifen, aber der Falter ist eben nicht in erster Linie für den jungen Menschen gemacht. Gefühlt

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hört der junge Mensch nicht mehr FM4, aber der Sender ist per Definition ein Jugendkulturradio. Habt ihr eine Ahnung, wer The Gap liest? Ich finde, bei den Medien hier am Tisch ist The Gap fast am schwierigsten greifbar. Die Artikel sind zu lang fürs schnelle Durchklicken und zu kurz, um tiefer zu gehen. Die einzige Ausnahme, die ich in letzter Zeit mitbekommen habe, war das Interview mit Maurice von Bilderbuch, das sehr früh online rauskam. Es war zwar unterredigiert, dafür aber überinteressant. Das ist einfach super: In der ganzen Länge rein damit! Maurice hat inhaltlich teils massiv übers Ziel geschossen, aber: tolle Sache. Bitte mehr davon.

Thomas Weber, The Gap: Wir wollten als The Gap lange möglichst umfassend abbilden und es ist uns auch schwergefallen, uns davon zu verabschieden. Ich hätte mir das lange Zeit nicht eingestehen können. Aber für mich ist mittlerweile eigentlich das Fleisch-Magazin ein Positivbeispiel. Obwohl das Team dort für mein Gespür manchmal zu sehr im eigenen Saft brät gelingt es dem Fleisch immer wieder gute Geschichten, gute Interviews und spezielle Zugänge zu Themen vor der eigenen Haustüre zu haben. Das wäre das Positivbeispiel. Das Negativbeispiel ist für mich leider das Ray Magazin. Ich hoffe, die Leute dort nehmen mir das jetzt nicht übel, aber das Ray gibt es eigentlich in meiner Wahrnehmung nicht mehr, weil diese leidenschaftlichen Zugänge komplett fehlen. Da habe dann auch ich die Leidenschaft dafür komplett verloren. Und online taucht das leider auch gar nicht auf.

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Bei uns im Sitzungszimmer hängen immer die letzten 50 Ausgaben an der Wand, und bei der letzten Redaktionssitzung des Jahres klebt Armin Thurnherr auf jedes Cover ein Post-it auf dem steht, wie sich die Hefte im Vergleich zum Jahresdurchschnitt verkauft haben. Kulturcover verkaufen sich im Falter traditionell nicht so besonders. Wir hatten im Herbst 2015 etwa Stefanie Sargnagel zur richtigen Zeit auf dem Cover, die Ausgabe war dann im Jahresdurchschnitt »minus zwei«. Man möchte meinen: Die coolste Frau der Stadt im großen Interview, jeder wird diesen Falter kaufen, aber nein, knapp unter Durchschnitt. Ein anderes Beispiel: Wir hatten letztes Jahr innerhalb von zwei Wochen Voodoo Jürgens und Rainhard Fendrich auf dem Cover. Voodoo Jürgens ist mit »minus sieben Prozent« ausgestiegen, Rainhard Fendrich mit »plus acht«. Auch das ist ein Feedback, und in diesem Fall lautet es: Der Falter-Leser hat leider ein bisschen versagt.

The Gap hat in den letzten zwei Jahren sehr unterschiedliche, teilweise sehr erfolgreiche Versuche unternommen, unter den Chefredakteurinnen Amira Ben Saoud und Yasmin Vihaus, in andere Richtungen zu gehen. Wir haben online nach wie vor – und das wurde in den letzten Jahren immer wieder kritisiert – keine Angst, vor Hingerotztem, das passt auch so. Aber wenn ich mir für The Gap etwas wünsche – und ich hab als Herausgeber im Alltag damit leider nicht immer so viel damit zu tun – , dann ist es ein leidenschaftlicher Zugang. Den gab es in den vergangenen Jahren natürlich auch immer wieder. Aber es war doch auch sehr aufreibend, alles leidenschaftlich umarmen zu wollen. Von diesem alles, davon haben wir uns verabschiedet. Und das ist befreiend.

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Die Vienna Biennale 2017 hat die Nutzung von Robotik und künstlicher Intelligenz im digitalen Zeitalter zum Thema.

Vorhang Auf! Egal ob Musik, Theater, Ausstellungen, Kabarett, Film, Literatur oder bildende Kunst, Wien hat eine vielseitige und spannende Kulturszene zu bieten, die die hohe Lebensqualität der Donaumetropole maßgeblich mitbestimmt. Sechzig Acts in vier Tagen beim Popfest Wien am Kunstplatz Karlsplatz.

Ganzjährig wird in Wien ein an kulturellen Veranstaltungen für jeden Geschmack reiches Programm geboten. Täglich heißt es „Vorhang auf!“ in den großen Wiener Theater- und Opernhäusern ebenso wie auf zahlreichen kleinen Kabarettbühnen, in denen viel kreatives und experimentelles Potenzial steckt. Im Folgenden finden Sie einen Auszug aus dem breitgefächertes Angebot der kommenden Wochen.

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Beim Festival der Bezirke lässt sich Kunst in allen Bezirken Wiens genießen.

Foto: Vincent Fournier, Votava, Getty Images

Mit dem Ziel, die Menschen zur Kultur zu bringen, werden nicht nur die etablierten Kulturinstitutionen und großen Häuser, sondern auch bewusst zahlreiche niederschwellige Angebote und kleinere Veranstaltungen als Einstieg ins Kulturleben durch die Stadt gefördert – vom Sommerkino bis hin zum Bezirksmuseum, von Kunst im öffentlichen Raum bis hin zu interkulturellen Projekten. Und die Wienerinnen und Wiener wissen das breit gefächerte und bunte Kulturangebot sehr zu schätzen.

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Festival der BezirkE

Popfest Wien

1. bis 23. Juni 2017, www.wirsindwien.com Über einen Zeitraum von 23 Tagen werden Kulturschaffende in allen 23 Wiener Bezirken vor den Vorhang gebeten, wenn es heißt: Wir sind Wien. Das Festival der Bezirke wird als großes Miteinander gesehen – interkultureller Austausch ist erwünscht, denn Vielfalt und Partizipation sind die Grundpfeiler, auf denen das Festival aufbaut.

27. bis 30. Juli 2017, www.popfest.at Zum achten Mal bietet das Popfest Wien heimischer Popmusik in den verschiedensten Ausprägungen eine vielbeachtete Plattform. Gespielt wird vier Tage und Nächte lang am Kunstplatz Karlsplatz – sowohl auf der großen Open-Air-Bühne als auch indoor in den nahegelegenen Kunst- und Kulturhäusern.

Vienna Biennale: Roboter. Arbeit. Unsere Zukunft

Weitere Infos zum Thema Kultur: www.kultur.wien.at

10 Jahre MUSA www.musa.at Das MUSA, gleich in der Nähe des Wiener Rathauses, beherbergt die Bereiche Museum, Startgalerie und Artothek. Die Sammlung des MUSA ist eine der größten ihrer Art in Österreich und umfasst derzeit 40.000 Objekte von etwa 4.500 KünstlerInnen. In Form von Ausstellungen im MUSA sind die Werke einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. 2017 feiert das MUSA sein zehnjähriges Bestehen mit mehreren Ausstellungen: Auf die Personale „Jorg Hartig. Realpop. Eine Retrospektive“, die noch bis 19. August läuft, folgt von 8. September 2017 bis 13. Jänner 2018 die Sammlungsschau „ba ≠ b+a | 10 Jahre MUSA. Aus der Sammlung der Stadt Wien“.

Architekturzentrum Wien (Az W) www.azw.at Die Antrittsausstellung der neuen Direktorin Angelika Fitz, ist eine mehrfache Premiere: Das Az W zeigt – von 1. Juni bis 11. September 2017 – die weltweit erste Überblicksausstellung zum Werk von Assemble, einem 18-köpfigen britischen Architekturkollektiv, das 2015 mit dem angesehenen Turner Prize ausgezeichnet worden ist. Von 21. Juni bis 31. Juli 2017 bewegt sich das Az W in die Stadt, konkret auf das Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs, um dort im Rahmen der Vienna Biennale unter dem Titel „Care + Repair“ ein mobiles Labor zu aktuellen Fragen der Stadtentwicklung und des Zusammenlebens zu betreiben.

KÖR – Kunst im öffentlichen Raum www.koer.or.at Oft gehen wir in der Stadt ganz selbstverständlich an Kunstobjekten vorbei – auf den Straßen, auf Plätzen oder U-Bahnstationen. Wien fördert und unterstützt Kunst im öffentlichen Raum seit 2004 ganz bewusst. Ihre Aufgabe ist die Belebung des öffentlichen Raums mit permanenten oder temporären künstlerischen Projekten. Im vergangenen Jahr wurden zwölf Projekte (acht temporäre, drei permanente und ein Wettbewerb) sowie eine Publikation in der Stadt umgesetzt und 14 neue Projekte initiiert. So werden immer wieder Orte der Kommunikation und Begegnung geschaffen sowie neue Impulse für Menschen und Kultur ermöglicht.

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Weitere Kulturtipps: Volxkino – Wiens mobiles Open-Air-Kino Juni bis September 2017 www.volxkino.at Kino wie noch nie – Open-Air am Augartenspitz 29. Juni bis 3. September 2017 www.kinowienochnie.at dotdotdot – Open-Air-Kurzfilmfestival 4. Juli bis 1. September 2017 www.dotdotdot.at Frame Out – Sommerkino im MQ 7. Juli bis 26. August 2017 www.frameout.at Jazzfest Wien 9. Juni bis 10. Juli 2017, www.jazzfest.wien Slash – Festival des fantastischen Films 21. September bis 1. Oktober 2017 www.slashfilmfestival.com Jüdisches Filmfestival 4. bis 18. Oktober 2017 www.jfw.at Viennale – Vienna International Film Festival 19. Oktober bis 2. November 2017 www.viennale.at Transition – International Queer Minorities Film Festival 9. bis 17. November 2017 www.iqmf.at Internationales Kinderfilmfestival 11. bis 19. November 2017 www.kinderfilmfestival.at This Human World – International Human Rights Film Festival 30. November bis 10. Dezember 2017 www.thishumanworld.com

Bezahlte Anzeige

21. Juni bis 1. Oktober 2017, www.viennabiennale.org Die Vienna Biennale thematisiert in ihrer zweiten Ausgabe Menschsein, Arbeiten und nachhaltige Nutzung von Robotik und künstlicher Intelligenz im digitalen Zeitalter. Mit den Mitteln von Kunst, Design und Architektur trägt die weltweit erste Mehrspartenbiennale dazu bei, Wiens Ruf als Stadt der zeitgenössischen Kunst zu festigen.

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028 Technik und Kunst als Leitmotiv: Monochrom bespielt im Rahmen des Viertelfestivals 2017 in Niederรถsterreich das das UZ Labor als Sozialen Spielraum.

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Dieter Werderitsch, Pia Streicher, eSeL

Günther Friesinger ist Künstler, Kurator und Produzent – mit seinem organisatorischen Talent und seinem Know-how über Finanzierungen ist er aber vor allem auch jemand, der anderen Projekte erst ermöglicht. ———— Es ist schwer abschätzbar, wieviele Kulturprojekte und -aktionen es nur deswegen gibt, weil Günther Friesinger mit dabei war. Der Künstler, Kurator und Produzent ist ein Organisations- und Managementtalent und kennt die heimische Förderlandschaft wie sonst wohl kaum einer. Und so macht er immer wieder den entscheidenden Unterschied, wenn es darum geht, ob aus einer Idee oder einem Wunsch ein Projekt realisiert werden kann – sei es eine Konferenz, ein Buch, ein Festival oder ein Film. Seit vielen Jahren gehört er zum fixen Ensemble von Monochrom, ist im Team der IG Kultur in Wien, Erfinder von Paraflows, einer der Veranstalter von Komm.st in der Steiermark oder meist dabei, wenn Roboter Cocktails mixen. Und das sind nur jene Projekte, die in Österreich stattfinden und an denen er als Urheber beteiligt ist. Seine jewei-

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» Ich habe für mich definiert, wie ich arbeiten möchte: Es muss mir Spaß machen, es muss mich intellektuell abholen und es muss mich finanzieren.« — Günther Friesinger

ligen Kollegen sind sich einig: Ohne Günther, sein Wissen und seine strukturierte Arbeitsweise würde es vieles davon nicht geben. Er selbst beschreibt sich als jemand, der »einfach tun muss«, der an Dinge herangeht, um sie auszuprobieren. Ziel ist es nicht, in einem bestimmten Feld zum Meister zu werden, sondern sich in verschiedenen Medienformaten auszuprobieren. Und wenn Günter von Medienformaten spricht, kann man das ruhig wörtlich nehmen. Vieles von dem was er macht liegt in einem Spannungsfeld von Kultur und Technologie und in diesem Sinn meint er nicht nur die Formate wörtlich, sondern auch die Medien. Und in den meisten Fällen spielen auch verschiedene Formen von Vermittlug eine Rolle. Er ist selbst Künstler, hat als ausgebildeter Musiker komponiert, kuratiert Festivals, arbeitet mit Theater und Musical (etwa über Udo Proksch, ausgzeichnet mit dem Nestroy-Preis), produziert Filme (etwa über den Genozid in Ruanda oder im Irak), arbeitet an Computerspielen mit, hat Fanzines mit dem Gewicht von Ziegelsteinen veröffentlicht und zig Bücher herausgegeben. Und immer eine Anekdote wert: Facebook einmal in Imagefragen beraten.

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Der Kultur-Aktivist Günther Friesinger hat Freude an Struktur und Zahlen

Medienmissverständnisse Schon während des Musikstudiums (Posaune, Komposition und Dirigieren) hat er bei Franz Rogler in Graz auch Malerei studiert, »um etwas anderes zu machen als Noten zu schreiben«. Beim Ausprobieren verschiedener Ausdrucksformen spielte naheliegender Weise in den 90er Jahren Digitales und alles mit »dem Netz« eine große Rolle. So auch in einem der ersten Projekte gemeinsam mit

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man Konzertkarten verkaufen will. Das Bildungsbürgertum fährt ab auf Mozart, Haydn, Schubert und Beethoven; Klassik und Romantik. Bruckner ist da schon schwierig zu verkaufen – außer es gelingt eine Geschichte erzählen, wie bei unseren Konzerten in Weiz, zu denen Kardinal König kam.«

schichte über 2.000 Jahre aufgebläht werden kann. »Mich hat die Struktur dahinter interessiert. Das faszinierendste für mich war dabei immer die Erfindung des Fegefeuers – und wie hier nebenbei Kapitalismus entsteht.«

Das richtige Medium

Mit 27 hat er dann beschlossen, nach Wien zu gehen, um Filmproduktion (bald abgebrochen, weil zu schulmäßig), Philospophie und Publizistik zu studieren. »Letzteres war vor allem spannend, weil ich viele Leute. mit denen ich heute noch in Verbindung bin, Ende der 90er Jahre dort in dem Allerweltstudium kennengelernt habe«. Über die Uni Wien hat er auch ein Stipendium für ein Jahr Ausbildung bei McKinsey bekommen und dort viel über Betriebswirtschaft gelernt – und auch, »dass ich das dort gelernte Denken nicht übernehmen will.« Den ihm angebotenen Job hat er nicht angenommen – aber viel Wissen für kommende Kulturprojekte mitgenommen. Und die Erkenntnis, dass für ihn viele Unternehmen mit kurzfristigen Wachtumszielen und jährlichen Gewinnbestrebungen nicht stabil werden: »Wir haben vergessen, dass Produkte mit Händen erzeugt werden. Wir produzieren Dinge mit dem Kopf und am Ende des Tages, ist das nicht im gleichen Ausmaß befriedigend.« Programmieren gelernt hat er auf der Philosphie, nachdem ihm ein Professor empfahl. Medientheorie mit diesem Wissen zu starten. Bereits 1999 hat er eine Publizistik-Einführungsvorlesung

Die Doppelrolle aus (musikalischem) Inhalt und Organisation war Teil seines Schaffens, seit er mit 15 im Musikstudium begonnen hat, Ensembles zu koordinieren, sich um Bookings, Abrechnungen und Auszahlungen zu kümmern. Er spricht in diesem Zusammenhang durchaus von einer »Freude an der Struktur und an den Zahlen«. Und natürlich hat es immer eine Rolle gespielt, dass er damit Dinge ermöglicht hat, die sonst nicht passiert wären: »Was mich interessiert hat, war die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen. Mich treibt etwas um und ich wollte die Möglichkeit haben, um das umzusetzen.« Über die Jahre haben sich die Ausdrucksformen verbreitert und es wurde immer wichtiger, das richtige Medium für die richtige Geschichte zu finden. Mit der Orchesterarbeit nicht ausgelastet – »ich war wie ein trockener Schwamm und wollte mehr wissen« – begann er nicht nur Malerei, sondern auch Theologie zu studieren, um »als Atheist zu durchschauen, wie die Kirche funktioniert«. Glaube und die Bibel als spannendes Feld für den Sohn eines Bestatters, der verstehen wollte, wie eine unglaubwürdige Ge-

E-Learning vor dem iPod

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Monochrom: Der Exot. Einem Lego-Roboter, der sich über einen selbst programmierten Chat steuern ließ und unter anderem Bilder aus einer WG – 56k-Modems ließen an Bewegtbild nicht denken – übertragen hat. Die User haben sich koordiniert, um den Roboter zu steuern – und Monochrom hatte damit sein erstes Kunstprojekt, das kuratiert und von der Secession übernommen wurde. Allerdings mussten sie beim Aufbau der Installation in der Secession feststellen, dass die Einladenden das Projekt nicht verstanden hatten: Es gab kein Internet in der Location und es war auch keines geplant. Ein in vielerlei Hinsicht Augen öffnender Moment, gerade auch, was das Medienverständnis der Kunstszene betraf. Technologie hat auch zu Günthers erstem Job geführt. Nach einer Jugend zwischen Graz und dem südoststeirischen Bauernhof der Großmutter mit viel Wald und Vieh ging er mit 15 zum Musikstudium nach Wien, mit 18 kurz nach London und kehrte dann zurück nach Graz, um zum Bundesheer zu gehen und dort Teil der Militärmusik zu werden. So konnte er Musik machen und nebenbei studieren. Bei der Pannonischen Philharmonie in Graz wurde damals ein Mitarbeiter gesucht – der mit Computern umgehen konnte. Und binnen einem Jahr war Günther Orchestermanager und organisierte unter anderem Sommerkurse und Konzerte. Er blieb dort, bis sich für ihn alles wiederholte: »Das ist das Traurige an der klassischen Musik. Man hat ein bestimmtes Repertoire … vor allem wenn

Johannes Grenzfurthner, Günther Friesinger und Franky Ablinger im Rahmen des Projekts »Creative Class Escorts« der Lord Jim Loge: Kreative kann man mieten.

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» Gerade Kulturförderungen wurden in den letzten 15 Jahren in Richtung Projektförderungen umgestellt. Es ist hier politisch gewollt, dass Projekte keine Stabilität erreichen – es sollen keine Strukturen entstehen.« — Günther Friesinger

Unis denken nicht quer 2009 hat Günther Friesinger die Uni verlassen – im Gefühl, dort gegen eine Wand zu rennen. »Es tauchten Vorgänge aus der Betriebswirtschaft auf und das Personal wurde nicht mehr als Wissenschafter, sondern als Projektmanager angesehen. Es ging viel um Administration und Verwaltung – so kann man aber nicht kreativ sein. Ich bin überzeugt, dass diese Entwicklungen eher zu Mittelmaß führen und nicht zu Spitzenleistungen. Ich finde es nach wie vor schade, dass Unis nicht quer denken. Man gibt den Leuten nicht die Zeit, die es braucht, damit Exzellenz entsteht.« Er sieht den Bedarf aber nicht nur in finanziellen Mitteln, die oft falsch eingesetzt werden: »Exzellenz schafft man nicht durch Geld, sondern durch Freiräume, die man fördert. Es hat natürlich auch mit dem Stellenwert von Wissenschaft und Forschung in Österreich zu tun, aber so wie die Universitäten ausgerichtet werden, ohne Freiräume zum Experimen-

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Kein Überblick Neben schwer überschaubaren vielen anderen Geschichten, ist Günther Friesinger maßgeblich an diesen Projekten beteiligt.

Monochrom

Die 1993 gegründete Künstlergruppe agiert von Wien aus international und verbindet ihr Interesse an Kunst, Technologie und Philosophie mit der Lust daran, Dinge zu hinterfragen. Zu den bekanntesten Projekten gehören Musical (»Udo77«), Kunstaktionen (»Blutwurst aus Eigenblut«, die Erfahrung, sich lebend beerdigen zu lassen, Festivals, Theaterstücke, Filme (»Traceroute«) oder auch Computerspiele (»Sowjet Unterzögersdorf«). www.monochrom.at

IG Kultur Wien

Definiert sich als Serviceeinrichtung für freie kulturelle Organisationen, Kulturinitiativen, Kulturschaffende und KünstlerInnen. Der Fokus liegt dabei auf dem politischen und sozialen Kontext, dass Projekte und Initiativen versuchen, aktiv mitzugestalten. Die IG Kultur steht in permanentem Austausch und Diskurs mit Politik und Verwaltung. www.igkulturwien.net

Paraflows

Ein seit 2006 jährlich im Herbst stattfindendes Festival für digitale Kunst und Kulturen. Es bietet Ausstellungen, Symposien, Workshops, Filmreihen und Konzerte und neben Günther Friesinger sind mittlerweile im Ausstellungsbereich Judith Fegerl, im Symposiumsbereich Jana Hwerwig und Judith Schoßböck, im Filmbereich Thomas Ballhausen und im Konzertbereich Andreas Stoiber Teil des Projekts. www.paraflows.at

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von Bauer live gestreamt und kurz darauf mit dem Uniradio eine E-Learning Plattform mit einem CMS selbst aufgebaut und Vorlesungen online angeboten. Unzufrieden mit Systemen. auf denen Lehrende ohne didaktisches Konzept ihre Materialien hochgeladen haben. gründete er in dieser Zeit »ein Start-up, in dem wir die Audio-Aufzeichnugen der Vorlesungen mit Inhalten angereichert haben. Das war spannend, aber wir waren zu früh dran. Erst mit dem iPod kamen später Geräte, die wir dafür gebraucht hätten. Aber Apple setzte nicht so wie wir auf Flash.« In diese Zeit fällt auch die intensivierung der Zusammenarbeit mit Monochrom, die dazu geführt hat, dass er seit 2005 deren Geschäftsführer ist, »neben Franky Ablinger, der die technische Leitung macht und Johannes Grenzfurthner, der die künstlerische Leitung innehat« ist er Teil des Kernteams. Aktuell sind sie bei der Planung des 2018 stattfindenden 25-Jahr-Jubiläums der Künstlergruppe und arbeiten an einem Musicalfilm über Tycho Brahe.

Komm.st

Hat sich seit 2011 zum Ziel gesetzt »neue Kunst an alte Orte zu bringen«. Die oststeirische Region Anger-Puch wird alljährlich mit eigens geschriebenen Theaterstücken in Gasthäusern bespielt. Darüber hinaus gibt es Ausstellungen und Begegnungen mit Kunstschaffenden, Designern oder auch Roboterbauern. Veranstaltet wird Komm.st neben Günther Friesinger vom Musiker Georg Gratzer und seinem Bruder, dem FM4- und FacebookUnterhalter Roland Gratzer. www.komm.st

Edition Mono

Monochrom erschien in den Anfangsjahren als FanzineKompendium. Das damit gesammelte PublishingKnow-how hat Monochrom schnell auch anderen zur Verfügung gestellt. Folgerichtig hat Günther Friesinger in den letzten Jahren viele, viele Bücher wie »Digital Migration«, »Linked Open Data: The Essentials« oder auch »Intimacy« herausgegeben. www.edition-mono.at

ReVersed

Nachdem Monochrom gemeinsam mit Verse Publications den Ableger eines Londoner Gamefestivals nach Wien brachte, kommt nun im Juli ein neues, eigenes Gamesformat, auf dem Entwickler selbst ihre Projekte vorstellen, begleitet von einem Game-Jam und Streams. reversed.at

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Johannes Grenzfurthner, Charlie Poulon und Günther Friesinger lassen sich auf der Roboexotica die Cocktails von Robotern mixen. tieren, wird man dort keine Elite finden – was man auch den internationalen Uni-Rankings sieht.« Heute sind die meisten seiner Tätigkeiten wie bei vielen Kulturschaffenden projektbasiert: »Das ist unter anderem der Situation geschuldet, dass Fördergeber keine Strukturen mehr möchten. Gerade Kulturförderungen wurden in den letzten 15 Jahren in Richtung Projektförderungen umgestellt. Es ist hier po-

litisch gewollt, dass Projekte keine Stabilität erreichen – es sollen keine Strukturen entstehen, weil diese erhalten werden müssten. Das ist selten dämlich.« Mehrjahres-Förderungen gibt es nur in wenigen Feldern wie im Theater. »Von 2012 bis 2016 habe ich bei einem großen EU-Projekt mitgearbeitet, das mir langfristige Planung ermöglichte – EMEE, dessen Idee es war, sich damit auseinanderzusetzen, wie man Museen spannender machen könnte.« Es hat mit einem zentraleuropäischen Bildungsbügertum zu tun, dass Museen geschlossene Systeme sind – und nicht Lebensräume. Hier könne man von Museen in den USA oder auch London lernen. So sehr er die Sicherheit langjähriger Projekte zu schätzen weiß, so sehr genießt er aber auch die Freiheit, sich seine Arbeitsbereiche frei auszusuchen.

Finanzierungsmix Bei der Finanzierung setzt er auf einen Mix aus öffentlichen Förderungen und privaten Sponsoren. »Als Kulturmanager gehört es dazu, sich um öffentliche Gelder zu bemühen – warum auch nicht, so lange es noch Geld für die freie Szene gibt. Wir arbeiten aber auch ständig mit Sponsoren.« So konnte er etwa mit dem Festival für digitale Kunst Paraflows 2013 mit dem Thema »Open Culture« den Bank Austria Kunstpreis gewinnen und hat die Bank seitdem als Förderer an Bord. In anderen Ländern wie den USA, wo Günther mit Johannes Grenzfurthner die Arse Elektronika, ein Festival zum Thema Sex, Pornographie, Science Fiction und Technologie veranstaltet, klappt die Finanzierung teilweise auch komplett über Eintritte. Für das in der Steiermark stattfindende Festival Komm.st gibt es eine

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Wissen zurückgeben Mit dem Wissen und der Erfahrung aus den vergangenen mehr als 20 Jahren ist Günther Friesinger einer der kompetentesten Ansprechpartner im Bereich von Organisation und Finanzierung im Kulturbereich. Das macht ihn zu einer gefragten Person, die viele Anfragen bekommt, Events, Bücher, Kulturreisen und andere Projekte mit seinem Knowhow zu unterstützen. »Ich hätte damals bei McKinsey bleiben können und ein Jahr rausgehen, um Unternehmen zu schlachten und dann ins Management einzusteigen. Es war für mich – Günther teilt sich den 4. Mai als Geburtstag mit ‚Star Wars‘ – eine Entscheidung zwischen der dunklen und der hellen Seite der Macht. Ich wollte mein Wissen verwenden für Projekte und Menschen, die ich spannend finde.« Für ihn hört das nicht bei seinem Wissen über die Förderlandschaft auf, sondern er findet es mehr denn je nötig, auch in der Finanzierung querzudenken, sei es mittels Crowdfunding oder anderen Modellen. Und, ja, nicht im Sinne eines Verkäufers, der jemandem etwas andrehen will, aber als Ermöglicher von Dingen und Geschichtenerzähler empfindet er durchaus Lust daran, zu verkaufen und Geschichten zu entwickeln, die Projekte ermöglichen. »Ich hatte mit meinen Projekten immer viel Glück und nun geht es für mich auch darum, etwas zurückzugeben – Offenheit ist mir wichtig und man hat die Aufgabe, auf Wissen nicht nur zu sitzen.« Deswegen hat er im Rahmen der IG Kultur das Kulturinfoservice gegründet und drei Broschüren zu den Themen Finanzierung, Kulturveranstaltungen und Vereinsorganisation herausgegeben, die dort frei beziehbar sind: »In diesen drei Heften steckt ein Großteil meines Wissens.« Ein Engagement, das neben der Auszeichnungen für seine Werke und Projekte immer wieder auch zu anderen Preisen führt. 2013 bekam er den FWF-Kunstpreis des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und den Förderungspreis der Stadt Wien – zu seiner besonderen Freude für Volksbildung.

Essen als öffentliche Person Facebook nutzt er intensiv – aber kontrolliert. Man erfährt nur Dinge, die zur öffentlich Person passen. Und so schwer die Trennung von privaten und beruflichen Vorlieben und Interessen bei ihm sein mag, so wenig wird man über wirklich Privates hier lesen. »Ich ziehe hier klare Grenzen – aber kochen interessiert mich tatsächlich. Essen und Wein und Kunst und Kultur gehören für mich zusammen. Essen gehört zur öffentlichen Person.« Aufgrund einer Histamin-Unverträglichkeit musste er seinen Lebensstil ändern und hat begonnen, sich mit Ernährung auseinanderzusetzen. Auch Ökologie spielt hier eine große Rolle, was soweit geht, dass er zwei Saisonen selbst ein Feld bestellt hat. Fleisch kauft er nun bei einem Hof, der das Tier erst tötet,

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wenn jedes Teil davon einen fixen Abnehmer hat. Er spielt damit, Likes zu bekommen auf Essensbilder. Klare (partei-)politische Ansagen darf man sich von ihm hier selten erwarten. Auch weil er beobachten musste, wie der realpolitische Alltag Menschen mitunter schnell zum schlechteren verändert, tätigt er diese großteils lieber in anderen Zusammenhängen. Er bezeichnet sich selbst als linkslinks, wünscht sich einen linken Sozialstaat und sieht die derzeitige Kulturförderung etwa deswegen kritisch, weil viel Geld für Vorhandenes und Historisches da ist, aber wenig für Zeitgenössisches. »Das war schon mal anders, als eine Generation vor mir davon leben konnte, zeitgenössische Künstler zu sein. Das war eine Generation, die es sich leisten konnte, Verkaufen blöd zu finden.« Dabei heißt Verkaufen auch Interesse, Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Seine Reaktion darauf ist aber nicht einfach die Forderung nach mehr Geld, sondern er entwickelt Ideen für die Zusammenarbeit von etablierten Häusern mit jungen Künstlern und freien Szenen: »Man braucht die Stars von morgen und die kann es nur geben, wenn man ihnen die Möglichkeiten gibt.«

Prioritäten für Atheisten In diesem Sinn ist es Günther wichtig, dass man vom Kunst machen und Projekte durchführen auch leben kann. Es geht darum, nicht einen anderen Job machen zu müssen, um diese Dinge dann in der Freizeit zu machen. Er selbst muss oder will Anfragen auch immer wieder absagen. Etwa, wenn er das Gefühl hat, dass es uninteressant ist oder es schon Vergleichbares gibt. Seit 30 Jahren trägt der Mode- und Markenverweigerer mit dem auffallenden Bart und einem Hang zu Uniformität – »15 gleiche T-Shirts und zehn gleiche Hemden machen das Anziehen am Morgen einfach ziemlich entspannt« – in erster Linie schwarz. Er wirkt, wenn man ihm begegnet, ausgeglichen und ruhig, räumt aber auch ein, schon mal mit Leuten aneinanderzugeraten. Als Projekt- und Finanzverantwortlicher gehöre es dazu, dafür sorgen zu müssen, dass Unterlagen komplett sind oder Aufgaben rechtzeitig erledigt werden. Zusätzlich zu dem schönen Erlebnis, Ideen und Projekte gemeinsam mit anderen Menschen zu realisieren, sieht er vieles generell positiv: »Ja, ich habe eine grundsätzlich sehr positive Lebenseinstellung. Nach einem Burnout habe ich meine Prioritäten neu geordnet und mich neu aufgestellt. Als Atheist glaube ich an nicht mehr als ein Leben und diese Zeit gilt es zu nützen … und ich musste wiederholt erkennen, dass wir als Menschen sehr unbedeutend sind und unser Einfluss, die Welt zu verändern, mitunter sehr klein ist. Das hat mir aber eine große Freiheit gegeben, denn man kann sehr entspannt arbeiten, wenn man nicht unbedingt mit jeder Aktion die Welt verändern muss. Ich habe für mich definiert, wie ich arbeiten möchte und ein Projekt, dem ich mich widme, muss zwei von drei Eigenschaften haben: Es muss mir Spaß machen, es muss mich intellektuell abholen und es muss mich Martin Mühl finanzieren.«

Sie nannten ihn Spencer Nach achtjähriger Arbeit erscheint Ende Juli der erste Film, der die facettenreiche Biografie von Carlo Pedersoli und seinem Alter Ego Bud Spencer dokumentiert. Drei Facts rund um die neuerscheindende österreichische Doku ...

Zwei sind nicht zu bremsen Das Dasein als Italo-Western-Held reichte Carlo Pedersoli nicht. Nebenbei war er auch als Stuntman, Politiker, Jurist, Schwimmer, Wasserballspieler, Sänger, Komponist, Drehbuchautor, Fabrikant und Modedesigner aktiv. Ähnlich viele Jobs hatte Regisseur Karl-Martin Pold, der als Brotverkäufer, als Genmais-Forscher, als Plantagenarbeiter, als Deutschlehrer in Russland, als Fußballtrainer in einer Schule und als Eventfotograf tätig war.

Freibeuter der Meere Carlo Pedersoli war begeisterter Schwimmer. Als erster Italiener schwamm er die 100 Meter Freistil in unter einer Minute, gewann zehn Mal die italienischen Meisterschaften und nahm zwei Mal an Olympischen Spielen teil. Gewonnen hat er nicht. Grund dafür, so vermutet Schauspielkollege Mario Girotti in einem Interview, sei seine Faulheit gewesen. Als er Pedersoli im Schwimmclub besuchte, soll dieser nach nur zwei Bahnen das Training beendet haben. Ebenfalls begeisterter Schwimmer war übrigens Rainer Brandt, jener Mann, der die Spencer-Hill-Dialoge ins Deutsche übersetzt hat.

Ein Held unserer Tage Karl-Martin Pold beschäftigt sich bereits seit 30 Jahren mit Bud Spencer – sogar seine Diplomarbeit widmete sich dem Kult um die Figur. Für die Dokumentation holte er sich auch hilfe von anderen Spencer-Afficionados mit ein. Involviert waren 83 Fans mit verschiedenen Skills, vom KFZ-Techniker bis zum Übersetzer. Mehr auf: www.thegap.at / filmkulturoesterreich

Bezahlte Kooperation

Mischfinanzierung aus Förderungen von Gemeinde, Land und Bund, Eintritten und rund 50 in erster Linie lokalen Klein-Sponsoren »vom Fleischhacker bis zum Installateur«.

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Nikolaus Ostermann

Die Musikerin und Medientheoretikerin Kristina Pia Hofer alias Ana Threat kuratiert heuer gemeinsam mit Ö3-Urgestein Eberhard Forcher das Popfest Wien. Über ihre Vergangenheit in einer Anarcho-Punkband, Political Awareness und den Unterschied zwischen eigener Blase und großem Festivalbetrieb. ———— Knallroter Lidstrich unter den Augen, ein Lockenwickler, der sich hinter der Ponytolle versteckt, ein illustres Bandshirt und eine Ansteckbrosche an der Jacke – so sitzt Kristina Pia Hofer bei einer Tasse Tee im Wiener Lokal Schikaneder. Bereit, sich von Fragen durchlöchern zu lassen. Kunstfigur, Mythos, Musikerin, Produzentin, Medientheoretikerin und jetzt auch noch Popfest-Kuratorin – all das steckt hinter Hofer und ihrem Alter Ego Ana Threat. Ihr Studium der Soziologie absolvierte Hofer in Linz. Sie war bei der Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung mit von der Partie und für ihre Dissertation wurde ihr 2015 vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ein Award of Excellence verliehen. Sie publiziert zu Medientheorie, Amateurpornografie und Exploitation-Kino und spricht auf Grund eines vierjährigen Aufenthalts in China und Taiwan sogar Chinesisch. Assets, mit denen manch einer hausieren gehen würde, nicht aber Hofer. Details wie diese erwähnt sie in unserem Gespräch, wenn überhaupt, nur am Rande. Immer wieder unterrichtet sie in Wien und Linz, nicht immer ohne Gegenwind – wie etwa bei einer »Einführung in die Gender Studies für Wirtschaftswissenschaften«. »Das war eine total wahnsinnige Vorlesung für 200 Personen, die für die Teilnehmenden verpflichtend war, und in der ich von 70 % der Anwesenden gehasst wurde. Wo dann nach

der Prüfung der Ring Freiheitlicher Studenten draußen vor der Türe steht und Zettel verteilt – grad als die Leute sauer rausgehen, weil sie den Multiple-Choice-Test verschissen haben.«

Eine Frau mit dicker Hose Mit der Musik begann Ana Threat schon früh. Mit 15 ging sie als Frontfrau einer AnarchoPunkband in Linz gegen das System vor. Zur Gitarre griff sie damals noch nicht. Die Rollen waren in der ansonsten rein männlich besetzten Band klar aufgeteilt. »Ich habe daheim Gitarre gespielt, wie das Mädchen eben so machen – mit der Akustischen im Bett habe ich Balladen geschrieben«. In der Band wächst sie schließlich immer mehr in die Paraderolle der rotzigen Punksängerin hinein. Sie lernt, auf der Bühne ihre Frau zu stehen, Emanzipationsversprechen zu predigen. Eine Zeit, die sie sehr geprägt hat: »Du stehst als 15-Jährige vorne und musst die dicke Hose markieren. Und dann kommt eine Situation, wo so eine Hose echt vonnöten wäre – man wird angestrudelt, angespuckt oder sonst was –, da ist deine dicke Hose schnell weg.« Jahre später zeichnet Threat eine sattelfeste Attitüde aus, die gefärbt ist vom DIYSpirit ihrer frühen Punkerinnentage. Heute Abend proben, morgen erstes Konzert und nächsten Monat dann auf Tour – es ist dieser nicht unnostalgische Zeitgeist der 90er Jahre, der sie zu ihrem nächsten musikalischen Projekt führen sollte: »Wir haben uns im April 2009 bei einer Garagenpunk-Party kennengelernt«, erzählt Al Bird Dirt (auch bekannt als Al Bird Gore, Al Bird Sputnik und Trash-RockArchivar), »ein paar Wochen später haben wir in Wien mit The Happy Kids eine Punkband und einen DJ-Club gegründet. Bis 2012 haben

wir dann sehr viel live gespielt und gemeinsam ein paar Platten gemacht. Eine coole Zeit war das.« Während sich Al Bird Dirt und Ana Threat als The Happy Kids durch die österreichische Garagenpunkszene spielten, zeichnete sich mit Kristy And The Kraks bereits das nächste Zweierprojekt am Horizont ab: Gemeinsam mit Kate Kristal (Rabe, Dot Dash) scheppert sich Threat seitdem mit Gitarre und Schlagzeug als kleinste All-Female-Supergroup durch die österreichische Musikszene. Ende letzten Jahres veröffentlichte Ana Threat schließlich ihr erstes Soloalbum »Cold Lve« bei Cut Surface, dem Quasi-NachfolgeLabel von Totally Wired Records. »Kristinas authentische und kompromisslose Attitüde – und das mein’ ich in scharfer Abgrenzung zu Borniertheit, mehr im Sinne von unheimlich konsequent –, ihr Blick fürs Detail, ihre Fähigkeit, Ideen auch im Experiment exakt auf den Punkt zu bringen, und überhaupt ihre Hingabe und Begeisterung für die Sache – das alles in Kombination macht die Infektion mit dem Threat-Fieber für mich aus«, erklärt CutSurface-Mitgründerin Anna Pühringer. Standen bei Threats Soloprojekt anfangs vermehrt logistische Fragen, was die LiveRealisierung angeht, im Vordergrund, geht es ihr heute viel um rhythmische Aspekte. »Die größte Herausforderung war immer, wie ich meine vier Extremitäten effektiv einsetze. Und dann musste ich auch noch schauen, wie ich es auf der Bühne schaffe, mit Fußpedalen zu spielen, wenn ich 12 cm hohe BleistiftHeels anhabe.« Artifizielle Inszenierung und die Frage, was auf der Bühne alles passieren kann, ziehen sich durch die gesamte musikalische Karriere der Linzerin. Ana Threat als Solo-

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Ana Threat im Porträt

Die Tausendsassarin 012-039 The Gap 163 Story 01.indd 35

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Act stellt sich ganz bewusst gegen das konforme Popmusikverständnis. Dass Musik eine Masse bespaßen soll oder überhaupt irgendjemandem gefallen muss, steht im krassen Gegensatz zum Verständnis ihrer Auftritte als Performance für sich, quasi l’art pour l’art. »Dadurch kriegt das ganze einfach eine andere Dynamik – bei mir ist das zumindest so.« Wer ihre Soloshows kennt, weiß, dass sie vor Inszenierung nur so strotzen und dass Ana Threat ihr Ding durchzieht, komme was wolle. Inklusive dicker Hose.

Political Awareness für alle? Und nun also das Popfest. Zum achten Mal wird der Karlsplatz zum Mekka der österreichischen Popmusik – für Threat natürlich kein Neuland. Immerhin bespielte sie es bereits solo, mit den Happy Kids und mit Kristy And The Kraks – »mit irgendeinem Schas war ich immer dabei«, wie sie selbstironisch kommentiert. Doch so einen eingesessenen Festivalbetrieb abseits der Künstlerinnenperspektive kennenzulernen, ist wieder eine andere Geschichte. Ob sie das Popfest schon immer einmal kuratieren wollte? Fünfmalige Verneinung, Kopfschütteln und ein kurzes Auflachen. »Es ist eher eine Pflicht, die einem in den Schoß fällt und zu der man berufen wird.« Mit dem Annehmen dieser Pflicht und Berufung tritt sie gemeinsam mit Co-Kurator und Ö3-Urgestein Eberhard Forcher in gleichgesinnte Fußstapfen: Nach Robert Rotifer (von 2010 bis 2012) und Patrick Pulsinger (2013) wurden mit Violetta Parisini und Wolfgang Schlögl, Susanne Kirchmayr (Electric Indigo) und Stefan Trischler (Trishes) sowie Ankathie Koi und Gerhard Stöger stets gemischte Kuratorenduos bestellt. Kirchmayer und Trischler sorgten 2015 mit knapp 40 % für den höchs-

ten Frauenanteil, den das Festival je hatte. Ein Wert, der weit über dem liegt, was man aus der heimischen Festivallandschaft leider gewohnt ist. Auch im Gespräch mit Ana Threat fallen uralte Reizworte: Von intersektionalen Bemühungen, die bisher leider immer noch reine Bemühungen geblieben sind, ist da etwa die Rede. Es komme zwar langsam etwas in Bewegung, aber natürlich sei dieser Kontext wie alle anderen auch von den üblichen Strukturproblemen durchzogen. »Ich bin ja eigentlich immer gegen historische Teleologie, aber in diesem Fall wünsch’ ich mir einfach schon sehr eine progressive Entwicklung, und hoffe in Zukunft auf mehr Privilegiencheck. Aber was weiß ich, was nach den nächsten Wahlen passiert.« Das Popfest stellt Threat aber auch noch vor ganz andere Herausforderungen. Für eine Nischenkünstlerin, wie sie es ist, sei es ein Balanceakt, die ganzen verschiedenen Musikwelten unter einen Festivalhut zu bringen und die vielen aus ganz verschiedenen Ecken an das Fest herangetragenen Wünsche und Erwartungen abzuwägen, und im Idealfall produktiv mit den eigenen Anliegen zu verbinden. Nicht immer einfach: »Ich soll und muss mich mit diesem Festival an ein viel, viel breiteres Publikum richten. Das heißt für mich, dass ich im Moment sehr viel lerne. Aber mit Freude. Das Ziel ist es, diese Welten zusammenzubringen und trotzdem ein Programm zu gestalten, wo man vielleicht nicht sofort errät, welcher Act wem von uns Kuratoren hauptsächlich am Herzen gelegen ist.«

Engagement und Haltung Auch wenn sie ihn als alten Punker beschreibt, so kommen Threat und ihr Co-Kurator Eberhard Forcher doch aus unterschiedlichen

Ecken – 35 Jahre Ö3 schreien nicht gerade nach Underground. Trotzdem scheint die Zusammenarbeit harmonisch verlaufen zu sein: Berührungsängste, die sich schnell zerstreut hätten, Bands, über die man sich rasch einig war, eigene Handschriften, die trotz all der Einigkeit noch durchschimmern können. »Abgesehen davon, dass ich Kristina als extrem liebenswerten Menschen kennenlernen durfte, hat mich ihr Engagement, ihre Überzeugung, ihre politische Haltung und ihre Bereitschaft, für ihre Anliegen zu kämpfen, sehr beeindruckt«, streut Forcher seiner Kollegin Rosen. Der politische Anspruch, dem Ana Threat mit ihrer Arbeit am Popfest trotz Massen-Pleasing gerecht zu werden versucht, lockt sie aus ihrer vertrauten Komfortzone, aus der punkigen Blase zwischen Rhiz und AU, Solokünstlerin und Garagenduo: »Es ist sehr leicht, in seinem eigenen Umfeld alle möglichen Ideale hochzuhalten, auf Diversität und korrekte Abläufe zu achten. Alles, was größer und breiter ist, wird auf eine andere Art politisch. Auch repräsentationspolitisch. Das ist dann fast ein bisschen wie im Parlament zu sitzen – und das wollte ich sicher nie.« Stichwort Konsensprinzip. Und auf was freut sich Ana Threat abseits politischer und musikalischer Aspekte am Popfest ganz besonders? »Nicht mehr bei der Karlskirche für die Zählkarten anstehen zu müssen.« Michaela Pichler

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» Es ist sehr leicht, in seinem eigenen Umfeld alle möglichen Ideale hochzuhalten. Alles, was größer und breiter ist, wird auf eine andere Art politisch. Auch repräsentationspolitisch.«

Auch die achte Ausgabe des Popfests Wien widmet sich dem facettenreichen österreichischen Musikschaffen. Es findet vom 27. bis 30. Juli am und rund um den Karlsplatz statt.

» Das Popfest ist eher eine Pflicht, die einem in den Schoß fällt und zu der man berufen wird.« 012-039 The Gap 163 Story 01.indd 37

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POOLBAR FESTIVAL

GOOD VIBES GOLDEN DAYS

4./17./18. JUNI

WIEN

17. JUNI OTTAKRINGER BRAUEREI

BONAPARTE LOLA MARSH YUKNO

4. & 18. Juni → FREE MQ Hofmusik Salon

Robinson Prinz Grizzley and his Beargaroos Visuals: Farbenfratzen DJs, Lesungen, poolbarGenerator Collage/Skulptur & more

Gefördert/Stadt Feldkirch/Land Vorarlberg/BKA Kunst & Kultur/Landeshauptstadt Bregenz (poolbar-Generator)

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KULTURELLES VON NISCHEN BIS POP

Voodoo Jürgens RY X A-Wa Leyya The Notwist Fiva x JRBB Fenech-Soler Get Well Soon Allah-Las Lola Marsh MOTSA Defeater While She Sleeps

* 01. Aug./Montforthaus/Feldkirch ** Red Bull Music Academy Night: HVOB live

poolbar.at

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& many more

michaelmarte.com

Pixies* Cat Power SOHN Jake Bugg Element of Crime HVOB** Conor Oberst Rival Sons Architects The Naked and Famous

Artist/Kate Nash, poolbar 2016/ Foto/Matthias Rohmberg

7. JULI–15. AUG.

VORARLBERG

poolbar.festival

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Best Of Festivals

F E S T I VA L S P E C I A L

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Rock In Vienna

Jazzfest Wien

In seinem dritten Jahr gönnt sich das Großevent auf der Donauinsel einen zusätzlichen Festivaltag und wartet dabei mit vier Tages-Headlinern für die verschiedensten Geschmäcker auf: Macklemore & Ryan Lewis, die Kings Of Leon, Deichkind und Die Toten Hosen stehen an oberster Stelle am Festivalplakat. Und auch darunter herrscht bunte Vielfalt. 2. bis 5. Juni Wien

Helge Schneider in der Staatsoper – kann man machen. Little Steven, nicht gerade unbedeutendes Mitglied von Bruce Springsteens E Street Band und Ex-Mafioso in der Serie »Lilyhammer« – noch so ein Highlight. Dazu household names wie Herbie Hancock, George Benson oder Dee Dee Bridgewater – das Jazzfest weiß, was Jazzfans wollen. 9. bis 10. Juli Wien

Poolbar Selbst wer Schwimmbäder sonst lieber meidet – sei es aus Planschfaulheit oder Desinteresse an fremder Nackheit –, kann im alten Hallenbad in Feldkirch über den Sommer hinweg eine gute Zeit haben. Das Poolbar Festival startete vor gut 20 Jahren als künstlerische Sommerakademie und füllt von 7. Juli bis 15. August die ersten sechs Wochen der Vorarlberger Sommerferien mit Festivalfreude. Neben musikalischen Headlinern wie Pixies, Jake Bugg, The Notwist, Element Of Crime, Conor Oberst, Architects, Leyya und The Naked And Famous hat die Poolbar auch einen Kunstschwerpunkt. Im Rahmen des Festivals werden Ausstellungen und Performances gezeigt, im Rahmen von „poolbar/generator“ ist es zudem möglich, Workshops in den Bereichen Architektur, Kunst und Mode zu absolvieren. Neben Feldkirch präsentiert sich die Poolbar auch drei Mal in der Bundeshauptstadt – am 4. Juni und am 18. Juni wird das Museumsquartier bespielt, am 17. Juni übernimmt die Poolbar mit Bonaparte, Lola Marsh und Yukno die Ottakringer Brauerei, bevor Voodoo Jürgens drei Wochen später das Opening in Feldkirch übernimmt. 7. Juli bis 15. August Feldkirch

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Springfestival

Dawn

David »The Hoff« Hasselhoff stand schon als LateNight-Special für heuer fest, als das Nova Rock 2016 gerade erst am Ausklingen war. Mit Linkin Park, Blink-182, System Of A Down und Green Day gibt’s dazu ausgiebig erprobte Headliner für den größten Moshpit des Landes. Ob sich der Besucherrekord aus dem Vorjahr (180.000) noch einmal steigern lässt? 14. bis 17. Juni Nickelsdorf

Im Rahmen des Festivals für elektronische Kunst und Musik werden vier Tage lang Locations wie der Dom im Berg, das Orpheum oder die Postgarage von DJs, A/V-Künstlern und Live-Acts bespielt. Highlights sind unter anderem Sets von Modeselektor, Acid Pauli und Len Faki sowie Konzerte von Mavi Phoenix, Crack Ignaz und HVOB. 14. bis 18. Juni Graz

Salzburg ist eher Stadt der Festspiele, als Stadt der Festivals. Das Rockhouse versucht das zumindest für einen Tag zu ändern und lässt die Venue einen Tag lang von 10 Live-Acts und DJs bespielen. Zu sehen gibt es sowohl aufstrebende heimische Künstler wie Mavi Phoenix oder Flut, als auch einige Gäste aus dem Nachbarland, wie etwa Levin Goes Lightly und White Wine. 23. Juni Salzburg

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Sony Music, Jazzfest Wien, Matthias Rhomberg, Heimo Spindler, Stefan Leitner, Staatsakt, Warner Music, Ondrej Szollos, Pamela Russmann

Nova Rock

Metronome Festival Das Festival auf dem Ausstellungsgelände in Prag wird dieses Jahr zum zweiten Mal von heimischen wie internationalen Künstlern, vorwiegend aus dem Indie- und Alternative-Bereich, bespielt. Nicht verpassen sollte man in diesem Jahr beispielsweise die Konzerte von Shells, Sting, Kasabian oder den Blood Red Shoes. 23. bis 24. Juni Prag

Out Of The Woods Der Wechsel des Veranstaltungspartners brachte vergangenes Jahr einige neue Festivalformate ins burgenländische Wiesen. Zwei davon, die sich besonders bewährt haben, gehen 2017 in die nächste Runde: zum einen das Nu Forms Festival, das große Klassentreffen der Bassmusik-Community, und zum anderen das Out Of The Woods. Als »Boutique-Festival« hat sich dieses die Latte für sein Line-up besonders hoch gelegt – und, das kann man sagen, locker übersprungen. Es gibt spannendes Frisches zum Kennenlernen, gerade Aufstrebendes zum Vertiefen der Zuneigung sowie Bekanntes auf Lieblingsband-Level für den Begeisterungssturm vorab und vor Ort. Namentlich etwa Alt-J, Phoenix, Feist, Foals, Metronomy, Sohn, Declan McKenna, Drangsal und Cigarettes After Sex. Am idyllischen Gelände in Wiesen mit seiner gewachsenen, wetterfesten Infrastruktur und mehr als 40 Jahren Festivalgeschichte macht diese satte Packung Indie-Gold gleich doppelt Freude. Pro-Tipp für alle mit besonderem Durchhaltevermögen: die The-Gap-DJ-Line bei der After-Show-Party nach den Konzerten auf der Second Stage. Wir sehen uns! 20. bis 22. Juli Wiesen

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Donauinselfest Wenn das Wetter mitspielt, werden auch heuer wieder eine Million Menschen pro Tag auf die Donauinsel pilgern, um sich auf Einladung der SPÖ Wien jede Menge Gratiskonzerte, Spiralchips, Bier und einen Sonnenbrand zu genehmigen. Musikalische Highlights gibt’s wie üblich auf der FM4 / Planet.ttBühne – etwa mit Little Simz, Der Nino aus Wien, Mando Diao und Garish. 23. bis 25. Juni Wien

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Ahoi! The Full Hit …

Rock im Dorf

Das ehemalige Team des Urban Art Forms hat sich mit dem Nu-Forms-Festival zu seinen Wurzeln bekannt und lädt zum zweiten Mal zum Come-Together der internationalen Drum’n’Bass-Szene. Drei Tage lang wird das Festivalgelände in Wiesen von Acts wie Black Sun Empire, Camo & Krooked, Netsky oder Andy C bespielt. 29. Juni bis 1. Juli Wiesen

… Of Summer. Nach seiner – trotz Regens – gelungenen Premiere 2016 mit Sigur Rós legt das Festival an der Linzer Donaulände heuer mit Arcade Fire als Headliner mehr als angemessen nach. Explosions In The Sky, Timbre Timbre (als Ersatz für Grandaddy), Steaming Satellites und Get Well Soon machen das feine Line-up komplett. Und wenn jetzt auch noch das Wetter passt … 11. Juli Linz

Das kleine gemütliche Festival in Oberösterreich überzeugt mit familiärer Atmosphäre, einem Festivalgelände im Grünen und einer guten Auswahl an ausschließlich heimischen Acts. Dieses Jahr sind unter anderem Crack Ignaz, Granada, Mavi Phoenix, Cara Cari und der Nino aus Wien zu Gast. 14. bis 15. Juli Schlierbach

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Nu Forms

Thomas Unterberger, Guy Aroch, Arne Mueseler, Stephan Flad, Gergely Csataril, Michael Hamelner

Melt Festival An einem idyllischen See nebst gigantischen Baggern, die an die Zeit des Braunkohleabbaus erinnern, wird jährlich fünf Tage lang die freundliche Koexistenz von Pop, Indie und Techno gefeiert – 24 Stunden durchgehend. Unter den Headlinern finden sich in diesem Jahr Die Antwoord, Bonobo, Richie Hawtin, M.I.A und Phoenix. 14. bis 16. Juli Gräfenhainichen

Sziget Festival Acoustic Lakeside Direkt am malerischen Sonnegger See in Kärnten treffen heimische Acts auf internationale Musiker zum akustischen Stelldichein in familiärer Atmosphäre. Ein Geheimtipp ist das Festival schon länger nicht mehr – wer ein Ticket ergattern möchte, muss schnell sein. Highlights in diesem Jahr: José Gonzales, Cari Cari und Jake Bugg. 20. bis 22. Juli Sonnegger See

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Das Festival versteht sich seit jeher nicht als reines Musikevent, sondern als Ort, an dem Kunst in den verschiedensten Facetten im Fokus steht. Das können Gaukler- und Tänzergruppen, Installationen oder Skulpturen genau so sein wie ein Zirkus oder eben die größten Headliner des Sommers. Der Claim des auf einer der Budapester Donauinseln veranstalteten Festivals – »Island Of Freedom« – ist also wörtlich zu nehmen und dank eigenem Strand gibt es auch Urlaubsfeeling! Eröffnet wird der 25. Geburtstag des Festivals von Pink, danach stehen beispielsweise PJ Harvey und Wiz Khalifa auf dem Programm. Die Gitarrenfraktion wird mit Alt-J, Interpol und Kasabian bedient. In den letzten Jahren ist auch elektronische Musik immer mehr in den Mittelpunkt gerückt: Neben EDM-Acts, die bereits Stadien füllen, wie etwa The Chainsmokers und Dimitri Vegas & Like Mike, gibt es mit Tycho, DJ Shadow oder Gus Gus aber auch gediegenes nächtliches Programm. 9. bis 16. August Budapest, Ungarn

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Bezau Beatz

Frequency

Jährlich lockt das Popfest: Mit freiem Eintritt, einer Auswahl an heimischen Live-Acts und DJs, einer Bühne direkt vor der barocken Karlskirche, sowie einigen Side-Locations wie dem Brut oder dem Prechtlsaal der TU. Bespielt werden diese unter anderem von Salute, Flut, Mono & Nikitaman und Der Nino aus Wien. 27. bis 30. Juli Wien

Das Bezau Beatz überzeugt jährlich mit einem interessanten Line-up für Jazzfans und Freunde der improvisierten Musik. Die Bühnen verteilen sich innerhalb des beschaulichen Ortes, bespielt werden etwa die Klosterkirche oder das Panoramarestaurant, unter anderem von Charlie Cunningham, Stian Westerhus und Lisa Simone! 10. bis 12. August Bezau

Wer immer schon mal jungen Burschen im ZebraOnesie beim Crowdsurfen zuschauen wollte, war bestimmt schon am Frequency. Eine ausgelassene Zeit gönnen sich dort aber nicht nur Freunde tierischer Textilien – das würde dem Line-up des Festivals nicht gerecht werden –, sondern speziell auch Fans von Bilderbuch, Mumford & Sons, Moderat, Wiz Khalifa etc. 15. bis 17. August St. Pölten

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Popfest

Neben Top Acts aus der elektronischen Musikszene überzeugt das Dimensions-Festival auch mit einer Festival-Location, die ihresgleichen sucht. Rund um eine verlassene Festung in Kroatien werden mehrere Bühnen und ein Amphitheater bespielt, Highlights sind dieses Jahr Auftritte von Grace Jones, Nina Kraviz und Floating Points. 30. August bis 3. September Pula, Kroatien

c/o Pop Das Showcase-Festival in Köln bietet eine Mischung aus lokalen Acts und internationalen Größen – der Fokus liegt dabei auf elektronischer Musik. Seit letztem Jahr ist das c/o Pop Teil der Initiative »We Are Europe«, einem Zusammenschluss von acht eurpäischen Festivals, die sich gegenseitig bei der Kuratierung unterstützen. In diesem Jahr bekommt das Festival Input vom Elevate Festival aus Graz und vom Resonate Festival aus Belgrad. Highlights im fünftägigen Musikprogramm sind etwa Moderat, Motor City Drum Ensemble, Radical Face, Roman Flügel oder Mall Grab. Neben den Konzerten findet mit der c/o-Pop-Convention zusätzlich ein Diskussionsforum statt, das sich aktuellen Themen der Musik- und Medienindustrie widmet. Die Convention soll Labelbetreibern, Musikmanagern, Festivalmachern, Medienexperten, Musikern und Agenturvertretern die Möglichkeit zur Vernetzung und zum Austausch bieten. Diskutiert werden Fragen rund um Musikvermarktung, Streaming oder Virtual Reality. Der erstmals stattfindende New Talents Day soll jungen Künstlern zudem im Rahmen von Workshops unter anderem zu den Themen Online-DIY-Marketing, Urheberrecht im Digitalen Raum oder Distribution für Labels Branchenwissen vermitteln. 16. bis 20. August, Köln

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Waves Vienna Das Club- und Showcase-Festival hat nach mehreren Stationen im ersten und zweiten Wiener Gemeindebezirk im Vorjahr mit dem Wuk (und einigen in Gehnähe gelegenen weiteren Locations) sein ideales Zuhause gefunden. Aus dem bunten Programm für 2017: Clap Your Hands Say Yeah, Forest Swords, Magic Island, Chuckamuck, At Pavillon, Tents. 28. bis 30. September Wien

Simon Brugner, Bezau Beats, Rene Huemer, Alysha Clemens, Paola Kudacki, Waves Vienna

Dimensions

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TRUST ME

14. Internationales Festival fĂźr Kurzfilm, Animation und Musikvideo 1 - 6 Juni 2017 viennashorts.com

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Tanz durch den Tag Erwachsen werden mit Aufwind

Tanz durch den Tag ist sechs Jahre nach den ersten kleinen Open Airs in Wien gewissermaßen erwachsen geworden. Dieses Jahr veranstalten sie an zwei Wochenenden von 22. bis 25. Juni und von 30. Juni bis 2. Juli ein Festival, das urbane Impulse setzen soll. ———— »Wir wollten die Stadt beleben und haben damals glaube ich einen Nerv getroffen und Bedürfnisse, die da waren, erkannt«, erzählt Jan Ernst. Gemeinsam mit einer Handvoll Leuten, die Wien lebhafter machen wollte, begann er 2010, die ersten Open Airs zu veranstalten und startete damit gewissermaßen einen Hype, der bis heute andauert. Während er von diesen Anfängen im Grünen erzählt, sitzt er an einem Tisch im Besprechungszimmer des Büros von Tanz durch den Tag im zweiten Bezirk. Rund sechs Jahre nach dem ersten Tanz im kleinen Kreis mit Freunden sind 27 Menschen – teilweise von der ursprünglichen Crew, teilweise neu dazugekommen – damit beschäftigt, ein mehrtägiges Festival auf die Beine zu stellen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, die Pläne für das rund 7.000 Quadratmeter große Gelände auf der Donauinsel, auf dem vier Bühnen Platz finden werden, sind schon fertig, das Line-up steht und die ersten Tickets wurden bereits verkauft. Aus der Bewegung von vor sechs Jahren wurde ein Verein, aus dem Verein, aus Haftungsgründen, mittlerweile eine Firma und aus den kleinen Open Airs wurde ein Festival, bei dem insgesamt fünf Locations und mehrere Bühnen bespielt werden. Nach dem klassischen Tanz durch den Tag wird in der Grellen Forelle und im Werk auch durch die Nacht getanzt, ein

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Wochenende davor lädt die Crew bei freiem Eintritt in die Creau und in den Donauhof zu Lectures, Workshops, Panels und Ausstellungen ein. Mit »Aufwind« will man nicht nur unterhalten, sondern auch eine Plattform bieten – für verschiedene involvierte Crews, Künstler und vor allem für eine Diskussion rund um die Nutzung einer Stadt.

Aufwind für alle »Wir sind schon auch ein Stück in der Realität angekommen«, gibt Fabian Burger, Obmann jenes Vereins, der für das Festival verantwortlich ist, zu. Für Tanz durch den Tag ist der Festivalname »Aufwind« gleich in mehrerlei Hinsicht Programm. Einerseits will das Kollektiv Schwierigkeiten rund um das Organisieren von Events in Wien thematisieren und damit allen Veranstaltern Aufwind geben, andererseits gibt die Gruppe damit auch dem eigenen, zuletzt pausierten, Projekt wieder Aufwind. Zwei Jahre nahm sich das Kollektiv Zeit für eine kreative Schaffenspause – vielleicht auch zum Verdauen der Erfahrungen, die bei den letzten größeren Events, 2014 auf der Donauinsel oder 2013 am Brigittenauer Sporn, gemacht wurden. Da war viel Positives, viele lachende Gesichter, viele zufriedene Gäste, viel Leben und gewissermaßen auch die Umsetzung einer Utopie: ein Festival im Freien, ohne Eintritt, ohne Konsumzwang, ohne Sponsorenlogos. Bereits 2014 entstand die Idee, gleich mehrere Tage zu feiern – mit den via Crowdfunding gesammelten rund 10.000 Euro ließ sich letztendlich ein Tag realisieren und mit Müh und Not auch durchfi-

nanzieren. Im Jahr darauf gestand man sich letztendlich ein, dass der Support der Crowd für die Deckung der, durch die immer größer werdenden Besuchermassen um ein Vielfaches steigenden Infrastrukturkosten, einfach nicht mehr reicht. Umgesetzt wurde damals stattdessen eine Demo für das, was Tanz durch den Tag seit Jahren neben der Musik und dem vielfältigen Rahmenprogramm bis heute zu kommunizieren versucht: Mehr Recht für Freiräume. Mehr Möglichkeiten, Freiraum zu nutzen.

Realität vs. Utopie Das in diesem Jahr geplante, an drei Tagen stattfindende Open Air wird erstmals kostenpflichtig sein. Ein Schritt, der zumindest teilweise gegen die ursprünglichen Grundsätze des Kollektivs verstößt. »Wir sind in manchen Bereichen sicher ein Stück aus dem Idealismus und der Fantasie-Welt herausgewachsen, aber wir versuchen den Spirit aus den Anfängen weiterzuführen und ihn so weit wie möglich in der Realität umzusetzen«, so Fabian Burger. Zwischen den kleinen Events mit rund 100 Leuten in der Anfangszeit und der Bespielung des heurigen Areals liegt nicht nur viel Herzblut und Schweiß, sondern auch die Erkenntnis, dass sich bei öffentlichen Events dieser Größe eben auch die Arbeitsprozesse und die Voraussetzungen ändern – mit diesen Veränderungen umzugehen, sieht das Team immer noch als eine der größten Herausforderungen. Auf den Utopie-Gedanken will man dennoch nicht verzichten: Mit dem von Sheri Avraham kuratierten, gratis zugänglichen Fo-

Dominik Geiger

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Alternative für »Spaßdemos« Fragt man das Kollektiv, was es in Wien braucht, fällt als erstes der Begriff der einen »Schnittstelle«, die die Organisation von Veranstaltungen im öffentlichen Raum vereinfachen würde. Im Rahmen des Forums in der Creau soll es unter anderem auch darum gehen, wie man die Kommunikation zwischen Veranstaltern und Stadt vereinfachen kann. »In anderen Städten gibt es solche Schnittstellen: In Berlin wurde beispielsweise die Clubkommission eingerichtet, in Amsterdam gibt es den Nachtbürgermeister. Das sind zwei unterschiedliche Modelle, die die Veranstaltungsszene mit der Stadtverwaltung verknüpfen. Wir möchten diskutieren, welche Modelle für Wien denkbar wären«, so Fabian Burger. Aktuell ist das Verhältnis zwischen Stadt und

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Veranstaltern angespannt. Die meisten OpenAirs werden im Moment zwar angemeldet, allerdings meist als Demonstration. Dabei bewegt man sich gewissermaßen in einem rechtlichen Graubereich. »Das gefällt dem Gesetzgeber natürlich nicht, weil es kaum Bestimmungen gibt und die Stadt danach für die Müllentsorgung aufkommen muss«, erklärt Jan Ernst die Problematik. Spricht man länger mit den Veranstaltern, hört man durchaus Verständnis für die Stadt – vor allem was die Müllproblematik, die Sicherheitsvorkehrungen und die Anrainer betrifft. Auf der Donauinsel hat man sich für das Festival etwa einen Flecken Natur gesucht, der möglichst weit vom Wohngebiet entfernt ist. Rücksicht auf die Umwelt gilt als Gebot, gleichzeitig wünscht sich das Kollektiv von der Stadt, dass der kulturelle Mehrwert, den solche Events bringen, anerkannt wird. In welcher Form und wann das passieren könnte, bleibt offen – mit Aufwind soll zumindest ein Impuls gesetzt werden. Zukunftsvision wäre ein Ort in Wien, der regelmäßig bespielt werden kann und bei dem Teile der Infrastruktur bereits vorhanden ist. Damit würde Tanz durch den Tag dann nicht nur erwachsen, sondern gewissermaßen auch sesshaft werden. Yasmin Vihaus

»Aufwind – Festival für urbane Impulse« findet an zwei Wochenenden von 22. bis 25. Juni und von 30. Juni bis 2. Juli in der Creau, im Donauhof, auf der Donauinsel, im Werk und in der Grellen Forelle statt.

» Wir wollten die Stadt beleben und haben damals glaube ich einen ziemlichen Nerv getroffen und Bedürfnisse, die da waren, erkannt.« — Jan Ernst

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rum Biotopia, das im Rahmen des AufwindFestivals eine Woche vor dem Open-Air stattfindet, will man zeigen und diskutieren, wie Zusammenleben im öffentlichen Raum anders funktionieren könnte, wie wenig es bräuchte, um die Welt ein klein wenig zu verbessern und wie nah Utopie dann doch sein kann. Am Areal der Creau, einem Zwischennutzungsprojekt in alten Pferdestallungen, werden Besucher beispielsweise eingeladen, in einer Installation in Form einer riesigen, begehbaren Plastikflasche über die Wegwerfkultur nachzudenken, können sich beim Wunschamt einen fiktiven Ausweis ausstellen lassen oder im Rahmen von Panels mehr über die Nutzungsmodelle von Freiraum in anderen Städten erfahren.

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Kleines Fest,

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Wie kleine Festivals mit viel Idealismus die Szene beleben

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Elisabeth Anna Photography, Michael Hametner

Idealismus > Budget Aber warum tun es sich Leute an, über Jahre Festivals zu organisieren, ohne daran zu verdienen? Es steckt wohl viel Idealismus dahinter, der die Kunst- und Kulturszene gerade in kleineren Gemeinden trägt und aufrechterhält. Das Fundament dieser Veranstaltungen bildet gelebtes DIY. Von der Motivation, die es braucht, um über Jahre hinweg ein Festival rein durch freiwillige Mitarbeit zu organisieren, kann Raphael Pleschounig, Mitorganisator des Acoustic Lakeside, ein Lied singen: »Wir wollen die Heimat mit unserem Charakter prägen, neben den Feuerwehrfesten und Kirtagen soll auch unsere Kultur Platz haben. Wir wollen die österreichische Musik fördern und einen Platz schaffen, wo es eben nicht ums Geld geht, sondern um die Glückseligkeit.« Diesen Zugang will Pleschounig auch mit anderen teilen. Vor wenigen Monaten hat er die Organisatoren 15 anderer kleiner Festivals nach Kärnten eingeladen, um mit ihnen über Gemeinsamkeiten im Kontext zu sprechen. Das »Netzwerk österreichischer Festivals – eine Initiative zur Vernetzung kleiner Festivals« entstand auch mit dem

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Hintergrund, es nachkommenden Generationen leichter machen zu wollen und ihnen die Möglichkeit zu geben, auf vorhandenes Knowhow zurückgreifen zu können. Die Herausforderungen fangen bei der Bürokratie an und reichen über Sicherheitsbestimmungen bis hin zu Marketingstrategien.

Die Goldene Zone Betrachtet man diese kleine, von kulturellen Initiativen und engagierten Privaten getragene Szene, sticht ein Bundesland heraus: Oberösterreich. Ob Noppen Air, Free Tree, Sonograph oder Bongo Flavour – die Liste der Veranstaltungen, die sich im Bundesland etabliert haben, ist lang. Ermöglicht werden viele dieser Festivals durch eine tighte Vereinsstruktur. »Hier sind die Bereitschaft etwas zu machen und der Zusammenhalt ziemlich groß. Das ist eine ganz bestimmte Mentalität. Die Menschen wollen Kultur nutzen und auch dafür zahlen. Und wenn es sein muss, macht man einfach selber was«, erklärt Kemal Durakovics. Er lebt eigentlich seit Jahren in Wien, veranstaltet aber von hier aus, heuer zum vierten Mal, das zweitägige Sonograph in seiner ehemaligen Heimatstadt Vöcklabruck. Neben dem Engagement hilft auch die Nähe zu den Städten und Fördermöglichkeiten wie die Kulturplattform Oberösterreich, kurz KUPF. In entlegeneren Ecken des Landes ist das Veranstalten schwieriger, aber nicht unmöglich. Man muss an dieser Stelle nur einen Blick nach Vorarlberg werfen, wo das Poolbar Festival mit einem mehrwöchigen Programm den Sommer prägt und das Dynamo Festival schon im Frühling Bands aus dem ganzen Land versammelt. Dabei kommen schon längst nicht mehr nur Vorarlberger. Ähnlich beliebt ist das Wetterleuchten in Tirol, das mit einem Festivalgelände auf 1.900 Metern Höhe gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal hat. Um Besucher müssen viele der kleineren Veranstaltungen aber aktuell ohnehin nicht mehr so sehr bangen. Neben der starken lokalen Community finden auch immer mehr Menschen von außerhalb den Weg zu den Kleinen: »Es kommen immer mehr Leute, die es klein und fein und gemütlich haben wollen. Es gibt hier fast einen Hype und es sprießen auch immer mehr diese kleineren Projekte als Alternative aus dem Boden, die eher einen ideellen Zweck verfolgen statt einen kapitalistischen.« Pia Gärtner

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Der Gedanke an Festivals birgt manchmal diesen schalen Beigeschmack – von Menschenmassen und allem, was sie so mit sich bringen. Während große Acts, viel Entertainment und Zeltmeere für die einen genau das Richtige sind, gibt es in Österreich aber genug Veranstaltungen, bei denen das Attribut »klein« groß geschrieben wird und der Idealismus den Profit übersteigt. Ein Shout-out. ———— Die Szene der kleinen Festivals mit Besucherzahlen unterhalb der 5.000 oder sogar unterhalb der 500 ist groß, Namen wie Noppen Air, Acoustic Lakeside oder Picture On schwirren seit Jahrzehnten durch die Sommerplanungsdiskussionen im Freundeskreis, andere sind eher Geheimtipps, tragen »Wiese«, »Dorf« oder »Mühle« in ihrem Namen und sorgen bei Hauptstadtkindern eher für fragende Gesichter. Was nach Provinz klingt, hat oft eine sehr spezielle musikalische Ausrichtung, kann mit einer schönen, unentdeckten Location punkten, bringt viel Liebe zum Detail mit und fördert nebenbei lokale Artists oder den Aufbau einer alternativen Szene und bietet für Großstädter nicht zuletzt die Möglichkeit eines gediegenen Kurzurlaubs mit Musikuntermalung. Und womöglich könnte man dabei das Vorurteil gegenüber dem provinziellen Kulturangebot zwischen Kirtag und Feuerwehrfest ein bisschen zerstören. »Wir wollen keinem Trend folgen, sondern explizit eine Nische bedienen. Dann hoffst du, dass du dieser Nische die richtige Aufmerksamkeit gibst und sie glücklich machst und vielleicht auch Personen darüber hinaus erreichst«, erklärt Raphael Pleschounig vom Acoustic Lakeside. Mit dem kleinen Gelände am Sonnegger See hat man eine Location gefunden, die an Idylle kaum zu überbieten ist. Rund 300 Freiwillige sind jährlich damit beschäftigt, das Festival auf die Beine zu stellen. Eine Bühne, direkt an einem kleinen See, weit weg von Großstadt und Trubel, bespielt mit akustischen Gustostückerln. Weniger romantisch begann das Kunstfestival Perspektiven am Attersee. Nachdem der Ortskern ausgestorben war, begann man mit der Zwischennutzung leerstehender Gebäude. Mittlerweile hat sich das Festival etabliert. Dass auf bereits vorhandene Infrastruktur zurückgegriffen wird, eint viele der kleinen Veranstalter. »So ein kleines Festival mitten auf die grüne Wiese zu stellen, ist quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Da ist es schon gut, wenn es wie beim C’est la Mü eine bestehende Infrastruktur gibt. Umgekehrt können wir mit dem Argument, klein und familiär zu sein, Sachen bieten, die ein großes Festival ganz bestimmt nicht hat – auch für die Künstler. Weniger Geld, aber mehr aufmerksames Publikum«, erklärt Hannes Tschürtz vom C‘est la Mü, das seinen Platz in der Cselley Mühle im Burgenland gefunden hat und dort neben einem vielfältigen Musikprogramm auch Literatur und Kleinkunst bietet. Die Kleinen werden finanziell nicht von großen Werbedeals und fetten Line-ups getragen, sondern sind auf freiwilliges Engagement und Liebe zur Sache angewiesen.

Ein Festivalguide zu großen und kleinen Festivals ist ab Seite 40 zu finden. Das Acoustic Lakeside in Kärnten findet heuer von 20. bis 22. Juli statt, das Wetterleuchten geht am 18. und 19. Juli in Tirol über die Bühne, das Sonograph Festival am 15. und 16. September in Oberösterreich.

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Vom Verbindenden der Pissrinne Klo-Kultur auf Festivals

Das Häusl ist einer der wenigen Orte, an denen wir wirklich gleich sind. So schön dieser egalitäre Gedanke auch ist – der Anblick von Dixi-Klos auf Festivals hat selten jemanden philosophisch gemacht. Dabei gibt es über die öffentliche und mobile Toilettenkultur so viel nachzudenken. ———— Wer im mobilen Klohäuschen sitzt, oder – wie die meisten – zehn Zentimeter über der Schüssel in die Hocke geht, denkt wenig an dessen Entstehungsgeschichte. Die Story ist allerdings leicht nachverfolgbar. Ein Blick zurück auf das Jahr 1973. Fred Edwards, ein in Deutschland stationierter US-Soldat, geniert sich, seine Notdurft unter seinen Kameraden zu verrichten. So genannte Donnerbalken sind eben nicht jedes Soldaten Fall. Er baut sich also sein eigenes Klohäusl – das erste in Europa. Schon dieses sieht verdächtig nach dem klassischen Dixi aus, auf dem wir heute mehr oder weniger sitzen: blaue Fiberglaswände, ein Loch, drei Herzen im Logo. Aus Edwards Marke Dixi, kombiniert mit dem Unternehmergeist von Harald Müller, der 1983 Toi Toi gründete und 14 Jahre später Dixi aufkaufte, entstand letztendlich die ADCO-Unternehmensgruppe, zu der die Toi Toi & Dixi GmbH mittlerweile gehört. Heute sind sie Weltmarktführer im Business mit mobilen Toiletten. Dabei hat das Unternehmen zwei Hauptkunden: Bauarbeiter und Besucher von Festivals oder Großveranstaltungen. Rund zwei Drittel der anschlussfreien Toiletten stehen auf Baustellen, das restliche Drittel machen Festivals und (Groß-)Veranstaltungen aus, wie Herbert Hanappi, Geschäftsführer von

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Toi Toi Österreich verrät. 3.000 mobile Toi Toi-Toiletten sind in Österreich im Einsatz, 400 davon braucht das Nova Rock, am ACDCKonzert vor zwei Jahren in Spielberg waren 750 mobile Toiletten im Einsatz. Der Trend in Sachen Häusl geht zu komfortablen Containern, teilweise mit fancy Marketing, die auf nicht einsehbaren Unterflur-Wassertanks stehen oder mittels Rohren und Pumpen an den nächstgelegenen Kanal angeschlossen sind. Die klassischen anschlussfreien Kabinen werden mit Saugschläuchen geleert, was bei Festivals oft zum Spektakel wird. »Wir bieten einen StandbyService an und stellen Personal zur Verfügung, das rasch eingreift, wenn es zu Verstopfungen oder Störungen kommt«, erklärt Hanappi. So wie uns ganz früher die Mama beim Runterspülen geholfen hat, hilft uns beim Festival eben das Toilettenpersonal.

Gemeinsam Pipi machen Das Schamgefühl bei Pipikacka, ob gegenüber Mama oder Festival-Arbeitern, ist aber anerzogen. Man denke ans antike Rom, als beim gemeinsamen Latrinenbesuch Geschäfte verhandelt wurden. Eine Gesellschaft muss stark ausdifferenziert sein, um einen derart intimen Raum wie die private Toilette überhaupt zur Verfügung zu stellen. Festivals sind in dieser Hinsicht aber eine ganz eigene Gesellschaft. Auf ein eigenes Klo zu verzichten, fällt hier vergleichsweise leicht. Dass wir heute bei Großveranstaltungen weniger Hemmungen haben, neben Bier, Regen und Bands auch das Häusl zu teilen, hat laut Dr. Martina Padberg

einen guten Grund: »Gerade auf Festivals gibt es diese Pissoir-Rinnen, die von Männern unheimlich ungehemmt benutzt werden, auch mit der Akzeptanz, dass alle anderen Blickmöglichkeit haben. Wenn ein bestimmtes Erlebnis oder eine Erfahrung die Menschen stark miteinander verbindet – und das ist in gewisser Weise auf einem Festival genauso wie im Krieg – scheinen solche Schamgrenzen ein Stück weit einzubrechen.« Martina Padberg ist Co-Kuratorin der Wanderausstellung »Besetzt! Geschichten im stillen Örtchen«. Präsentiert wird dabei eine kulturgeschichtliche Abhandlung der Toilette, ausgestellt in Dixiklos. Momentan stehen diese im Museum für Kommunikation in Nürnberg.

Politikum Klo Im 19. Jahrhundert entstand das Konzept der modernen öffentlichen Toilette. Die Gendertrennung wurde aber erst später notwendig. »Die Überlegung, dass sich auch Frauen so lange in der Öffentlichkeit aufhalten, dass sie die Möglichkeit brauchen, eine Toilette aufzusuchen, war erst der nächste Schritt«, sagt Martina Padberg. Noch heute gäbe es Länder wie Afghanistan, in denen es für Frauen keinen Zugang zu allgemeinen Klos gibt, um sie bewusst vom öffentlichen Leben auszuschließen. Doch auch abseits solcher Extreme gibt es gerade beim Thema Toilette, Öffentlichkeit und Gender Aufholbedarf. Die binäre Gendertrennung von Toiletten wird immerhin mancherorts schon infrage gestellt und anderweitig gelöst. Das anschlussfreie Toilettenhäuschen gilt dabei eigentlich als

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Häusl-Marketing Das Problem bei der Zivilisierung des Wildpinklers ist der Ruf des mitunter zweifelhaften Komforts, der dem klassischen anschlussfreien Toilettenhäuschen vorauseilt. Man kann den Klokonzernen aber nicht vorwerfen, sie würden ihr Angebot nicht weiterentwickeln wollen. Die ADCO-Unternehmensgruppe hat ein neues Projekt in Aufrag gegeben, das sich John Privy nennt – John

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wie Porta John, das englischsprachige DixiKlo, und Privy, ein altmodisches englisches Wort fürs Outdoor-Klo. Dafür hat man sich die Unterdruck-Spülung von Flugzeugen abgeschaut. John Privy arbeitet aber nicht nur mit Unterdruck, sondern auch mit einem zielgruppenorientierten Marketing-Konzept – bestehend aus Festivalfotos mit tief stehender Sonne und dem euphemistischen Claim »Enjoy… The Crowd… The Feeling…« Die Orthografie des Toilettenmarketings hat anscheinend viel mit drei Punkten zu tun. Festival-Besucher nutzen auch ohne Werbung naturgemäß irgendwann eines der ToilettenAngebote. Die spezielle Beziehung zwischen Klohäuschen und Festivals wird jetzt aber auch von den Herstellern selbst als besonders inszeniert. Man soll nicht nur müssen müssen, sondern müssen wollen. Im Sommer soll das neue Vakuumsystem bei der Beachvolleyball-WM auf der Donauinsel erstmals getestet werden, Besucher von Festivals wie dem Primavera kamen eventuell schon in Kontakt mit der hippen Klo-Variante. Während mehr Komfort zu begrüßen ist und dessen Vermarktung uns immerhin ein Lächeln ins Gesicht zaubert, haben Unternehmen in diesem Bereich natürlich einen Vorteil: Die Nachfrage dürfte konstant gleich bleiben. Theresa Ziegler

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Unisex-Pionier. Der Quasi-Monopolist Toi Toi bewirbt aber auch im Jahr 2017 die SuperiorLine seiner Sanitärcontainer noch mit »Für Sie… betörend feminin« und »Für Ihn… konsequent männlich«. Nichtsdestotrotz zählt auf Festivals meistens weniger die Politik der Klohäuschen als ihre Logistik. »Da gibt es eine Berechnungsmatrix mit vielen Faktoren, unter anderem: Anzahl der Personen, Dauer und Art der Veranstaltung, wie viel getrunken wird, weiblicher und männlicher Anteil am Publikum«, erklärt Hanappi. Damit errechne man gemeinsam mit dem Veranstalter und der zuständigen Behörde eine Stückzahl. Außerdem wird die richtige Positionierung der Toiletten im Vorfeld geplant. Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Körperfunktionen. Nur schlechtes Wetter könne man nicht vorhersehen, was schon mal zu einer überdimensionierten Anzahl an Toiletten führe, meint Hanappi. Wenn bei der Klosituation allerdings das Angebot weit unter der Nachfrage liegt, verfällt der Mensch wohl in Unmut oder Wildnis. Beides will kein Veranstalter.

» Die Überlegung, dass sich auch Frauen so lange in der Öffentlichkeit aufhalten, dass sie die Möglichkeit brauchen, eine Toilette aufzusuchen, war erst der nächste Schritt.«

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Prosa — Cédr ic W eidmann

Bruchstellen Der Schweizer Autor Cédric Weidmann hat dieses Jahr den Wartholz Literaturpreis gewonnen. Die Geschichte, die er für uns geschrieben hat, macht deutlich, warum: Präzise, unaufgeregt und mit feiner Humorklinge nimmt sich der 25-Jährige die Welt zur Brust.

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Der Nostalgische Club Für eine Weile führte ich mit einer Gruppe Freunden regelmässig einen Nostalgischen Club. Er bestand etwa zwei Jahre. Ich würde nicht sagen, dass mir besonders viel »daran lag«, zumindest nicht so, wie es anderen wohl erging. Aber ich hatte seit meiner ersten Wohnung eine Tradition aus Lesegruppen und Pokerrunden geführt und am Anfang meiner Dreißiger gemerkt, dass ich gar keine Menschen treffen konnte, ohne einen besonderen Vorwand zu haben. Es scheint mir bis heute die einzige Alternative zu den Pflichtbesuchen, die mir nie besonders lagen. Zu jedem Treffen nahm jemand einen Gegenstand aus seiner Jugend mit und erzählte, während er durch die Hände wanderte, was er damit verband. Nicht immer war das sehr überraschend. In den ersten Monaten betrachteten wir VHS-Rekorder, Filmposter und Hörspielkassetten oder die milchigen Gläser angestaubter Bongs und lauschten absehbaren Erzählungen aus Sommernächten oder Schulferien. Die meisten von uns befanden sich am Ende ihres Studiums oder richteten sich mit ihrer ersten Arbeit ein und standen unter dem unsichtbaren Stress junger Jahre, worunter das Sozialleben bekanntlich leidet. Das bedeutete, dass man aufmunternd lächelte und sich auch sonst Mühe gab zu zeigen, dass man die Runde aus bloßer Höflichkeit besuchte. Zu aller Erstaunen geschah schon am ersten Abend etwas, das uns aus dem Konzept brachte. Unter uns verbreitete sich rasch eine Stimmung, die uns in Erregung versetzte – man schob die linke Hand über die rechte, obwohl es an den eigenen Grossvater erinnerte, wies den Alkohol zurück und beugte sich lächerlich weit über die Tischplatte, um einander beim Sprechen anzusehen – was ich hier nicht besser als mit »verzweifelte Eintracht« bezeichnen kann. Sie äußerte sich zuerst darin, dass dumme Sprüche vom Tisch wie verbannt schienen, als wäre der ganze Anlass nie witzig gemeint gewesen, und weiter in der entwürdigenden Form, wie man sich durch Nicken zustimmte: Als wüsste nicht jeder, wie lächerlich es aussah, jemandem zuzunicken, wenn er vom Pfadfinderlager berichtete. Wir schämten uns ein wenig, wie sehr uns der Gedanke an ein nächtliches Feuer im Wald, der Geruch von nas-

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sem Holz oder Goldmelissensirup in Verwirrung stürzte. Bei vielen Dingen, «Goldmelissensirup» etwa, war ich mir nicht ganz sicher, ob ich vor jenem Abend schon einmal welchen getrunken hatte – aber ich nickte ganz selbstverständlich mit, als eine Freundin ihn mit uns teilte und erklärte, wie sie ihn am selbstgebastelten Stand verkauft hätte. Ich fürchtete mich zuweilen, jemand könnte unerwartet die Wohnung betreten, der nicht in unseren Club eingeweiht war, und würde uns für völlig verrückt halten und sich über das Pathos wundern, das man sich gegenseitig zuwarf. Denn aus ganzen Sätzen wurden abgehackte Phrasen, mit denen man nur ein Seufzen unterdrückte: »Diese Nächte …« oder »Das Zurückspulen, die vielen hundert Stunden, bis man das zurückgespult hat, immer – !«. Das alles hat bestimmt mit unserem Aufwachsen zu tun, aber davon verstehe ich wenig. Ich hatte auch nicht sonderlich Lust, mich damit zu beschäftigen, weil mich an den Abenden meist der Gedanke an meinen Nachbarn ablenkte. Ich habe ihn kennengelernt, weil er kurz nach meinem Einzug an die Wohnungstür klopfte und stammelte: «Entschuldige, ich habe nicht gedacht, dass hier jemand lebt.» Mir fiel es damals nicht auf, aber seither habe ich mich oft gefragt, mit welcher Absicht er an die Tür geklopft haben mochte, wenn er dahinter niemanden erwartete. Wir kamen ins Gespräch, verstanden uns auf Anhieb und einigten uns auf einen konzentrierten Austausch von Aufmerksamkeiten, mit denen wir uns gegenseitig Respekt zollten, kurz: wir teilten uns ziemlich bald ein Gewehr. Da das Gewehr gepflegt und bei trockener Raumtemperatur gelagert werden musste, stand es abwechselnd für jeweils drei Monate in seiner und in meiner Küche. Ich habe eine starke Verbindung dazu, aber ich würde nicht sagen, dass ich ein »Waffennarr« bin. Ich war nicht einmal mit Gewehren aufgewachsen, wie es für Schweizer Kinder vom Land üblich ist, und einen Waffenschein hatte ich erst kürzlich erworben. Eigentlich war es nur dieses eine, das es mir so angetan hatte. Es glänzte silbern zwischen einem

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An einem Abend drehte sich der Schlüssel im Schloss und der Nachbar, der von Zeit zu Zeit nach dem Rechten sah, betrat meine Wohnung. Als sein Blick auf unseren dubiosen Kreis fiel, zog er verblüfft die Augenbrauen hoch und entschuldigte sich, dass er niemanden erwartet hätte. Meine Freunde baten ihn zu Tisch, und er stahl sich kurz in die Küche, um das Gewehr zu holen. »Ich erinnere mich genau daran, wie ich dieses Gewehr aus einer Scheune gestohlen habe, als mich vor Jahren eine krankhafte Eifersucht überfiel…« Ich musste mich abwenden, weil ich nicht ertragen konnte, ihn meine Freunde so anlügen zu sehen. Vielleicht dachte er nur, wir spielten ein Spiel. Doch die Anwesenden glaubten der Geschichte, sie horchten und nickten und schüttelten zum ersten Mal die Köpfe. Es fiel mir dabei auf – und deswegen mag man mich für einen »schlechten Menschenkenner« halten –, dass viele meiner Freunde sehr jung waren, jünger als ich gedacht hätte, vielleicht sogar jünger als nötig, und dass einige von ihnen, die ausnahmslos geseufzt hatten, meine »Welt« nie erfahren haben konnten. Der Nachbar wurde ein regelmäßiger Gast, seither aber sah ich den Abenden mit Unlust entgegen. Die Eintracht wich einer Begeisterung, die sich nun zu überbieten versuchte. Auch wenn nicht gerade Scherze gemacht wurden, so bemerkte ich doch einen zynischen Ton, und auch das Gewehr, so ahnte ich zugleich, war wohl eine überteuerte Fälschung. Aber da ich mich nicht erinnern konnte, wo und wann wir es gekauft hatten, blieb mir nichts anderes übrig, als es mit Misstrauen zu betrachten, wenn es in der Küche stand.

Cédric Weidmann Cédric Weidmann, Jahrgang 1991 gilt seit Längerem schon als Supertalent in der Literaturszene. Vor allem, weil der Schweizer Germanistik- und VWL-Student einen sehr scharfen Blick auf die Dinge des Alltags und der Gegenwart hat. Die Schnittstelle zwischen Literatur und Ökonomie interessiert ihn eigenen Angaben zu Folge besonders. Für seinen Text »Kinder klauen« wurde Weidmann kürzlich mit dem Wartholz Literaturpreis ausgezeichnet. Warum: Weil er damit eine »Persiflage auf die Brutalität und Brüchigkeit gesellschaftlich gesichert scheinender Strukturen« niederschrieb. Mehr vom Autor auf cedricweidmann.ch. Manfred Gram

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Basilikum und der Alu-Sammlung, und wenn ich Gläser trocknete, betrachtete ich es im Abstand von mindestens, ich würde sagen, zwei oder einem Meter.

Ich würde nicht sagen, dass ich den Nostalgischen Club »vermisse«, aber manchmal werde ich angefragt, es noch einmal zu versuchen. Und es war schon eine »wichtige Zeit«, aber, wie gesagt, mir lag nicht viel daran, und ich bin froh, dass sie vorbei ist.

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Die komplette Brenner-Box Mit dem Brenner hat nicht nur Wolf Haas eine sprachlich eigentümliche Krimireihe geschaffen, sondern auch der österreichische Film und Josef Hader eine Bandbreite gern gesehener Filme spendiert bekommen, die sich ähneln und doch unterschiedliche Schwerpunkte zwischen Melancholie und Humor setzen. Wir verlosen drei Exemplare der DVD-Box.

Die Hölle Stefan Ruzowitzky hat mit »Die Hölle« einen Wien-Thriller gedreht, der sich um Action und Dramatik bemüht. Eine junge türkischstämmige Taxifahrerin beobachtet einen Mord an einer Prostituierten und wird daraufhin selbst zur Gejagten. Selten wurde die Stadt in so schönes Neonlicht getaucht. Wir verlosen zwei DVDs.

Injustice 2 »Injustice 2« ist die Fortsetzung des Kampfspiels, in dem die Superhelden des DC-Universums schlagkräftig gegeneinander antreten. Zu den klassischen Favoriten wie Batman, Superman oder Blue Beetle gesellen sich neue Schurken wie Atrocitus, Gorilla Grodd und Deadshot. Lasst die Spiele beginnen! Wir verlosen eine PS4-Version des Spiels.

Die Taschendiebin »Oldboy«-Regisseur Park Chan-wook hat mit »Die Taschendiebin« lose das Buch »Fingersmith« von Sarah Waters verfilmt und erzählt damit – aus mehren Perspektiven – die Geschichte von Sookee, die als Hausmädchen für eine reiche Erbin engagiert wird. Es geht um Liebesgeschichten, erotische Literatur und schöne Bilder. Wir verlosen drei DVDs.

Hacksaw Ridge Mel Gibson und der Krieg. In seinem neuesten Film erzählt der Regisseur mit dem Hang zur großen Geste die Geschichte eines Soldaten während des Zweiten Weltkriegs, der den Dienst an der Waffe verweigert – sich aber als Sanitäter in der Schlacht tatkräftig beteiligt. Wir verlosen drei Pakete bestehend aus DVD und Kappe.

The Girl With All The Gifts Gemma Arterton spielt die Hauptrolle in diesem dystopischen PostApokalypse-Film von Colm McCarthy. Der Film handelt in einer Zukunft, in der ein Pilz einen Großteil der Menschen zu einer Art Zombies mit großem Fleischhunger hat mutieren lassen. Eine hinreißende Annäherung an das Genre. Wir verlosen drei DVDs.

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Rezensionen Musik Wandl

Christian Stantchev

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Debütalbum heißt meistens, dass da ein Newcomer ist. So dehnbar dieses Wort auch sein mag, bei Wandl kann man nicht wirklich von jemandem sprechen, den wir gerade erst kennenlernen. Unter anderem drei EPs und »Geld Leben«, das Lovechild mit Crack Ignaz, hat uns die Produktionswut des gebürtigen St. Pöltners schon geschenkt. Beats von ihm bringen uns nicht erst jetzt in Verzückung. Während der Produktionsphase für sein erstes echtes Album schrieb er in Hamburg für einen Freund und dessen Regie-Abschlussprüfung die Musik zum Stück »Der gestohlene Gott«. Im Jenseits eines normalen Schlaf-Wach-Rhythmus macht Wandl tagsüber Beats für die Bühne und nachts für sein Gesellenstück »It’s All Good Tho«. Ein Album zwischen Cola-Rausch und tagelangem Schlafen. Smooth-Jazz-Schemata auf cloudy Federkernmatratzen und verhauchtem Gesang – »It’s All Good Tho« ist ein Album zum Liebemachen. Wenn der Wandl euch nicht zusammenbringt, dann wird das leider nichts mehr. Auf seiner Debüt-LP bleibt der Süßi wie gewohnt im Spagat zwischen Cloud und R&B. Wenn man in »Window Color« noch ein bisschen »Hotbox« raushört, ist »Honey Soldja« Post-Jazz und »Fever« eine experimentelle 2000er-Ballade, in der sich Wandls Stimme besonders sweet präsentiert. Wandl sucht seinen Sound in der binären Opposition zwischen Oldschool und Future. Und er findet ihn zwischen Vintage-Pianos und gläsernen Klangschalen. Ein bisschen massiver wird es, wenn Brudi Cid Rim in »Hell« vorbeischaut. Die Wandl-Beats macht aber eben diese detaillierte Trippyness aus. Sein eigenes Beat-Paradigma hat er sich da geschaffen – noch vor dem ersten Album. Auf diesem kann Wandl seinen Sound also ruhig ein bisschen hin- und herbiegen und noch mehr mit Introvertierheit liebäugeln. Vom vorantreibenden Zug früherer Songs wie »Done« und mancher weniger zarter »Geld Leben«-Beats löst er sich nämlich und verwandelt ihn in Schweben. Für immer kann man leider nicht auf der Wandl-Wolke bleiben, dafür hat die Realität zu viel Gravitationskraft. Aber am Ende zählt, welche süße Sphäre uns Wandl da beschert. Und die ist good tho. Theresa Ziegler

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It’s All Good Tho — Affine

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Se of

Rezensionen Musik

Ant Antic

Die Buben im Pelz

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Dumpfe Laute, im Untergrund brodelnd, Bässe, Murmeln. Die befremdlichen Sounds von »Mantis«, dem Opener von »Wealth«, haben etwa 20 Sekunden Inkubationszeit, um an die Oberfläche zu dringen, sich von den Ohren in den Kopf zu arbeiten und durch die Gehirnwindungen, Adern und Muskelfasern. Danach erschließen sie sich den ganzen Körper des Hörers. Spätestens jetzt ist klar: Da kommt man nicht mehr raus, mit Ant Antic angesteckt. Der »Blood Sugar« schnellt von so viel ear candy sofort in die Höhe, dazu kommen allergische Reaktionen vom »Histamine«. Auf ihrem Debüt changieren Tobias Koett und Marco Kleebauer (Leyya, Karma Art), zwischen elektronischem und im wahrsten Sinne organischem Sounddesign hin und her. Wahrscheinlich sind die elf Songs deshalb auch so stark physisch spürbar. Die von Welt- und Herzschmerz belastete Künstlerseele verarbeitet auf »Wealth« nämlich ganz arge Gefühle, kommt dabei aber ohne Klischees aus. Mit unverkennbarer Stimme singt Koett die größtenteils melancholischen Texte und hilft sich dabei mit recht poetischen, originellen Metaphern. In »4 Pole«, dem wohl zornigsten Song des Albums, wird die ausgereifte textliche Brillanz mit der Ansage »I don’t care if you fuck off or fuck me« auf die Spitze getrieben. Generell würzen die beiden ihre Songs mit außergewöhnlichen Klängen, als wären sie das Salt Bae der elektronischen Tanzmusik, streuen hier und da unerwartete Schmankerl ein und machen das Ganze so nicht nur spür-, sondern auch tanzbar. Der Puls bleibt aber gemäßigt, Hektik scheint ein Fremdwort zu sein. »Wealth« ist ein wirklich kohärentes Debüt mit starkem Signature-Sound, was vielleicht daran liegt, dass Koett und Kleebauer beide keine unbeschriebenen Blätter mehr sind und sich wunderbar ergänzen. Zu viele Köche waren hier nicht am Werk. Wenn Produktionskompetenz auf instrumentales Know-how trifft und dabei eine klare Vision entsteht, ist es auch nicht nötig, sich durch zu viel äußeren Einfluss vom Kurs abbringen zu lassen. Nur der Wiener Maximilian Walch (Monophobe), der auch schon bei früheren Projekten mit Kleebauer zusammengearbeitet hat, hat bei drei der Songs mitgemischt. Pia Gärtner

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Katzenfestung — Noise Appeal Ein Leben nach der Überholspur, ein Leben nach dem Überalbum, nach der vielleicht besten Idee überhaupt. Nach dem so grandios gelungenen Verwienerischen von »The Velvet Underground & Nico« bleibt eigentlich nur die Auflösung, das Sich-Ergeben in anderen Projekten, im Reinhalten des Namens, von dem nur in Zusammenhang mit dieser einmaligen Idee gesprochen werden darf. Oder das krasse Gegenteil. Die Flucht nach vorne. Den Namen mit eigenem Leben zu füllen. Den vermeintlichen Mief der – wenn auch innovativen – Kopie abstreifen. Das erste gemeinsame Album von Christian Fuchs und David Pfister ohne Coverversionen. Das darf man sich auch einmal trauen. »Katzenfestung« ist die Abkehr vom Reed- und Cale’schen drogen-naiven Coolness-Rock, von Welthymnen wie »Venus im Pelz« und das Eröffnen von neuen Möglichkeiten. Die Buben im Pelz spielen nicht nur mit dem Rockbegriff, sie deklinieren ihn auch beinhart in vielen Facetten durch. Sie setzen das Wienerische, die Sprache der Stunde, einem dafür nie da gewesenen Klangbild aus. Das neue Album klingt nach Stoner-Rock aus kalifornischen Wüsten (»Katzenfestung«), nach Cold-Wave-Postpunk (»Delirium«) oder auch nach College-Rock amerikanischer Nineties-Nerds, wie etwa im vielleicht besten Song »Endloser Summer«. Und auch bei den langsamen Stücken, die – quasi typisch für die Texter – vom dystopischen Untergang handeln (»Die Geisterstadt der lebenden Toten«), brodelt großbuchstabierter Rock unter der Oberfläche, die Sehnsuchtsgitarren sind verzerrt. Den Images, die Fuchs und Pfister seit Jahren in ihren nicht nur deutschsprachigen Projekten kultivierten, bleiben sie auch hier treu, sie dividieren demzufolge auch ihren Leadgesang stets auseinander: Christian Fuchs als pathosgeschwängerter Macker-Drama-King, David Pfister als dadaistischer Haudrauf. Zur Auflockerung dessen dürfen Altbekannte nicht fehlen: Teresa Rotschopf, Voodoo Jürgens und Monsterheart leihen ihre charismatischen Stimmen, Sir Tralala seine Geige. Dann muss man sich auch gar nicht mehr hinter dieser Festung aus Katzen verstecken. Hinter dieser Wall of Sound auch nicht. Dominik Oswald

Erli Grünzweil, Klaus Pichler

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Wealth — Seayou

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presents

Series on the Practice of Digital Games

MuseumsQuartier / Q21 / Raum D, 1070 Wien

PROGRAM MAY – JUNE 2017

WUK

ac 5. Aug Shell

Thu. 04.05.17, 19h

LIVE PITCH OF AUSTRIAN GAMES #9: STUDENT PROJECTS “Endless Dream” FH Salzburg “INEO” HTL Spengergasse “Phoenix” FH Salzburg “Shattered” SAE Institute Vienna “StreamBreak” FH Salzburg

Thu. 18.05.17, 19h

“THIS WAR OF MINE”- PROMOTING THE GAME LIKE NO OTHER ON A MARKET LIKE NO OTHER Patryk Grzeszczuk Head of marketing at 11 bit studios, Warsaw PL

ALL ROADS LEAD TO ROME: AN ALTERNATE TAKE ON INDIE DEVELOPMENT

Barry Meade Commercial Director Fireproof Studios, Guildford UK

Unterstützt von der Wirtschaftskammer Wien

subotron.com/veranstaltungen/pro-games

Thu. 01.06.17, 19h

rbuch 26. Aug Bilde

B Open Air 12.Aug HVO

Medienpartner:

06.Dez 054-059 The Gap 163 Reviews.indd 57

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in Tabakfabrik L

rgens Voodoo Jü

Arena

r Gasomete

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Vienna Biennale

2017

Robots. Work. Our Future 21.6. – 1.10.2017 The first Biennale for art, design, and architecture

Camo & Krooked Mosaik — RAM

Partners

MAK Angewandte Kunsthalle Wien Az W Vienna Business Agency

Austrian Museum of Applied Arts / Contemporary Art University of Applied Arts Vienna

Architekturzentrum Wien

Research Partner

AIT

Digital Content Partner

Sponsors

Project Sponsors

Nach drei Jahren erscheint dieser Tage ein neues Album von Camo & Krooked. Drei Tracks sind schon vorab als Teaser veröffentlicht worden und haben definitiv Lust auf mehr gemacht. Die weltweit aktive und gut vernetzte Drum-&-Bass-Community hat jedenfalls schon länger über »Mosaik« spekuliert, denn Camo & Krooked sind nicht irgendein Produzentenduo. Sie gelten als die internationalen Vordenker des Genres, die durch ihren eklektischen Stil die Grenzen von Drum & Bass immer wieder neu ausloten und diese auch aufbrechen. Zweifelsfrei kann gesagt werden, dass Camo & Krooked einer der erfolgreichsten Musikexporte Österreichs im Bereich Elektronik sind seit Kruder & Dorfmeister. Reini »Camo« Rietsch und Markus »Krooked« Wagner sind zwei total entspannte und sympathische Jungs – außer sie basteln im Studio oder stehen gerade auf einer Bühne. Denn sobald es Richtung Mischpult oder Mixer geht, schalten sie automatisch auf »Music Mode«: Nichts wird dem Zufall überlassen, jedes noch so kleine Soundschnipsel muss exakt passen. Die beiden gelten als detailverliebt und pedantisch. Aber genauso sind sie für ihre stilistische Offenheit bekannt, das hat sich mit der Zeit zu ihrem Markenzeichen entwickelt. Und diesen Weg setzen sie auf »Mosaik« konsequent fort: Ob soulig-zarte Vocals (»Black Or White«), balladeske Hooks (»Slow Down«) oder cinematische Soundgebilde (»Witchdoctor«), die vielfältigen musikalischen Einflüsse stehen immer im Kontext ihrer musikalischen Heimat Drum & Bass. Auch ihre Produktionsmethode spiegelt die Offenheit Camo & Krooked entwerfen in getrennten, aber baugleichen Heimstudios die Tracks, dann schicken sie sich Soundfiles zu, geben einander Feedback, spielen neue Elemente dazu oder bauen die Songs einfach um. Am Ende setzen die Burschen alle Bits and Pieces gemeinsam zusammen und finalisieren die vielschich­ tige Collage – fertig ist das Meisterwerk namens »Mosaik«. Kami Kleedorfer

Thomas Unterberger

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Zeit fĂźr Vielseitigkeit. Jetzt 6 Wochen testen DiePresse.com/sonntagstest

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LIVE @ RKH

ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

Termine Musik

RUSSIAN GENTLEMEN CLUB

07.06.2017

© Michael Winkelmann

KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

20 Jahre The Gap

Brian Wilson 23 war Brian Wilson, als er halt mal schnell ein Jahrhundertalbum rausbrachte. Letztes Jahr wurde »Pet Sounds« 50 und der Ober-Beach-Boy ging nochmal damit auf Tour, die wegen großer Nachfrage verlängert wird. Dabei wird dem kompletten Album in seiner ursprünglichen Song-Reihenfolge gehuldigt, gefolgt von einem Best-of des restlichen Wilson-Œuvres. Übrigens: Die anderen Beach Boys kommen am 12. Juni ebenfalls in die Wiener Stadthalle. Auf den zeitlosen Sound sind alle Veteranen stolz. Nur nicht gemeinsam. 20. Juli Wien, Stadthalle

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Theresa Ziegler

Erli Gruenzweil, Barracuda Music, Melt Booking, Poolbar Festival, Tim Saccenti, Arcadia Live

1997 war nicht nur das Jahr, in dem Titanic-Leo starb (#neverforget), sondern auch das, in dem The Gap geboren wurde. In 20 Jahren sind viele Acts zu Lieblingen geworden. Unser letztes Covergirl Mavi Phoenix und alle Menschen um Wolfgang Möstl gehören zum Beispiel dazu. Bei unserer großen Geburtstagsparty darf sich jeder mal überlegen, wie Longtime die Love mit The Gap schon ist, während Mavi, Mile Me Deaf, Euroteuro und Ana Threat uns ein Ständchen singen. Es wird nicht nur uns ein Fest sein! 16. Juni Wien, Fluc

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Termine Musik 20 Years The Message Neben Leos Filmtod und The Gaps Geburt war 1997 auch für den österreichischen Hip-Hop spannend: Das Magazin The Message kam im selben Jahr zur Welt und lässt sich nun mit feinen Rapund DJ-Acts feiern. Haiyti aka Robbery und Juicy Gay sind nicht nur für The-Message-Leser Stars. T-Ser aus Salzburg und die Mundart-Rapper Kreiml & Samurai sind auch mit dabei. Und das ist noch lange nicht alles. 10. Juni Wien, Grelle Forelle

highlights Fr. 02.06. Kabarett

Alf Poier: The Making of Dada

Mi. 07.06. Comedy & Magic

Marc Haller: Erwin aus der Schweiz – Reloaded

Do. 08.06. Kabarett

Lola Marsh

BlöZinger: bis morgen

Das Indie-Pop-Duo aus Tel Aviv lebt den Millennial Dream: schon nach einer EP weltweit präsent sein. Mit »Wishing Girl«, Ukulele und Lana-Del-Rey-Attitüde haben sie sich in die internationalen Medien gepfiffen. Am 9. Juni kommt ihr Debüt­album »Remember Roses«. 17. Juni Wien, Ottakringer Brauerei — 11. August Feldkirch, Poolbar Festival — 12. August Wattens, Wiesenrock Festival

Fr. 09.–Sa. 10.06. Kabarett

Stermann & Grisse­ mann: Gags, Gags, Gags!

Devendra Banhart In einer Homestory in Devendra Banharts Haus in Los Angeles erzählte er kürzlich viel über das Sich-Übergeben auf der heimeligen Kloschüssel mit Flauschbezug. Jetzt geht es dem amerikanisch-venezolanischen Singer-Songwriter aber wohl wieder besser. Unterwegs fühlt er sich nach zehn Jahren Dauertour eh mehr daheim. Den Beach-Sound L.A.s hat er auch auf der Bühne dabei. 15. Juli Wien, Wuk

Of Montreal Kaum hat man sich ein neues Album von Of Montreal angehört, windet sich Kevin Barnes in eine ganz andere Richtung und klingt komplett unerwartet. So geschehen nach dem tanzbaren »Innocence Reaches« mit einer Hymne gegen Misogynie (»It’s Different For Girls«) und der neuen EP »Rune Husk« mit Prog- und BowieSongwriting. Nach 14 Alben kommt da ein Kaleidoskop an Sounds zusammen. 18. Juli Wien, Fluc

Mo. 12.06. Punkrock

Sum 41

Sa. 08.07. Rock

Apocalyptica: Plays Metallica By Four Cellos

So. 09.07. summer sessions

Cat Power solo

Di. 11.07. Open Air

Arcade Fire / Explosions In The Sky / Timber Timbre / Steaming Satellites / Get Well Soon

Bild: CAA

Der Beatmaker aus Los Angeles machte kürzlich einem Ausflug ins Regiefach. Nach der Kontroverse um »Kuso« am Sundance Festival besucht Flying Lotus nach sechs langen Jahren jetzt wieder Wien. Natürlich in Begleitung basslastiger Kollegen: Brainfeeders Grammy-Stolz Thundercat, der Wiener Welt-Tourer Dorian Concept und Elektro-Jazzer Jameszoo aus den Niederlanden sind mit dabei. 22. Juni Wien, Arena

Bild: Udo Leitner

Flying Lotus

Mi. 19.07. summer sessions

Axel Prahl & Das Inselorchester

Mo. 24.07. summer sessions

Da Billi Jean is ned mei Bua

Kiefer Sutherland Wer in acht Staffeln »24« gegen Terroristen gekämpft hat, freut sich sicher mal auf eine Tour mit Gitarre und Easy-Going-Americana. Zusammen mit Jude Cole hat Sutherland auch das Independent-Label Ironworks gegründet und sein Album »Down In A Hole« geschrieben. Freundschaft > TV-Terroristen. 10. Juni Wien, Wuk

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Fr. 11.08. summer sessions

Art Brut

Guns ’N Roses

In den 2000ern durchlebten Art Brut einen kleinen Hype. Wenn das Bestof-Album aber schon vier Jahre alt ist, ist es Zeit fürs nächste Schmankerl: ein Akustikkonzert. Sänger Eddie Argos und Gitarrist Ian Catskilkin treten im Rahmen der Konzertreihe in der Galerie Gugging als Duo auf. Formed a new band quasi. 11. Juni Gugging, Galerie Gugging

»Fat Axl«-Memes, gebrochenes Bein, Reunion, Krankenstandsvertretung bei AC/DC – Axl Rose hatte ein 2016 mit Höhen und Tiefen. Dieses Jahr wird genauso aufregend: Im Herbst, nach der »Not In This Lifetime«-Tour, bespielen Guns ’N Roses mit The Who Südamerika. Haters gonna hate! 10. Juli Wien, Ernst-Happel-Stadion

Billy Bragg solo

Sa. 12.08. Sommer am Dom

10 Jahre LaBrass­ Banda / Folkshilfe

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Veritas Kartenbüro, oö. Raiffeisenbanken und oeticket.

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Termine Kunst

Bruce Davidson Die Galerie Westlicht zeigt diesen Sommer die bisher umfassendste Retrospektive von Bruce David­son, einem der führenden Vertreter der humanistischen Fotografie. Davidson hat mit seinen Serien über Jugend- und Subkulturen das Genre der Reportage maßgeblich geprägt. Als Ehrengast der fünften Ausgabe des Vienna Photo Book Festivals ist er bereits am 10. und 11. Juni in Wien. 15. Juni bis 13. August Wien, Westlicht

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Vienna Biennale »Roboter. Arbeit. Unsere Zukunft« – so lautet der Untertitel der Vienna Biennale 2017. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen Kunst, Design und Architektur als Beiträge zur sozial nachhaltigen, einem neuen Humanismus verpflichteten Gestaltung des digitalen Zeitalters. Ausstellungsorte sind das MAK, die Universität für angewandte Kunst, die Kunsthalle Wien Karlsplatz und das Architekturzentrum Wien – mit Ausstellungen wie »Hello, Robot – Design zwischen Mensch und Maschine«, »Design For Agency – Handlungsmacht gestalten« oder »Work It, Feel It!« 21. Juni bis 1. Oktober Wien, diverse Locations

33⅓ – Cover Art Mit dem Plattencover widmet sich die Sommer­ ausstellung im Kunstraum Nestroyhof einer Querschnittsmaterie von Fotografie, bildender Kunst und Musik. Unter den 250 Exponaten: Bob Dylan, Grace Jones und André Heller, Fotografen wie Lee Friedlander und Annie Leibovitz sowie Designer wie Hipgnosis und Roger Dean. Viele der gezeigten Covers gelten heute als Kunst- und Kultobjekte. 22. Juni bis 7. Oktober Kunstraum Neytroyhof

Fischerspooner Mit »Emerge« landeten Warren Fischer und Casey Spooner aka Fischerspooner Anfang der Nullerjahre einen internationalen Clubhit. Zu dieser Zeit hatten sie mit ihrem opulenten Kunst-, Musik- und Performance-Projekt auch in der zugeknöpften, elitären Kunstszene New Yorks längst Spuren hinterlassen. Das queer-lustvolle Universum der beiden präsentiert die Ausstellung »Sir« nun erstmals im Mumok. Sie baut auf einer Fotoserie von Yuki James auf, die Spooner und andere Personen in unterschiedlichen Charakterinszenierungen in Spooners früherer Wohnung zeigt. Betont männliche Nacktheit trifft auf häusliches Interieur, öffentliche Inszenierung auf privaten Raum. 30. Juni bis 29. Oktober Wien, Mumok

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Anna Artaker »The Pencil Of Nature«, der Titel von Anna Artakers Ausstellung von Naturselbstdrucken, ist angelehnt an eine Publikation William Henry Fox Talbots, in der er Mitte des 19. Jahrhunderts ein fotografisches Verfahren völlig ohne Kamera vorstellte. Für seine Fotogramme presste Talbot Pflanzen mittels Glasplatten auf präpariertes Papier, um unter Einwirkung des Sonnenlichts negative Schattenrisse zu erzeugen. Auf diese »Geburt der Fotografie aus dem Geiste der Botanik« beziehen sich Artakers Naturselbstdrucke, die wie Fotogramme auch auf einer Berührung mit der Natur beruhen. Die Ästhetik in Artakers Kunst entsteht aus dem Zusammenspiel von Konturen, Kontrast und Schatten. Sie konzentriert sich dabei auf das Wesentliche: die Pflanze selbst. bis 16. Juli Wien, Kunstforum

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Termine Festivals

Identities Seit 1994 gibt es das Queer Film Festival Identities bereits. Die Eröffnung der diesjährigen Ausgabe findet am 8. Juni im Gartenbaukino statt, danach bringt das Festival zehn Tage lang mit rund 90 Filmen aus der ganzen Welt Identitätsvielfalt auf die Leinwände des Filmcasinos und des Metro Kinos – ein Best-of des aktuellen Queer Cinema. 8. bis 18. Juni Wien

Feschmarkt VIS Vienna Shorts Mit verknapptem Namen und einem Tag weniger Laufzeit erneuert sich das Vienna Shorts Festival im Sinne seines Sujets. Denn genau um die Kürze der audio-visuellen Schmankerl im österreichischen und internationalen Wettbewerb geht es hier. 101 Filme gehen in den Kategorien Fiction & Documentary, Animation Avantgarde, Österreich und Musikvideo (in der Jury: Amira Ben Saoud, The-GapChefredakteurin a. D.) ins Rennen. Erstmals im Filmcasino und in drei weiteren Kinos frönt man der Knappheit – mit Neuentdeckungen und preisgekrönten Shorts wie dem Berlinale-Gewinner »Small Town« (Bild). 1. bis 6. Juni Wien

Impulstanz Festival Das Festival für zeitgenössischen Tanz mit Mut zur Kontroverse zeigt sich höchst international. Schon 2014 interpretierte Dada Masilo die »Schwanensee«-Choreografie neu, heuer hat die Südafrikanerin am französischen Ballett »Giselle« gewirkt. Europäisch-afrikanisch ist auch das Solostück »Somewhere At The Beginning« mit der senegalesischen Tänzerin Germaine Acogny, inszeniert vom französischen Regisseur Mikaël Serre. Österreichische Choreografie ist zum Beispiel mit Amanda Piñas und Daniel Zimmermans »War« und Simon Mayers »Sons Of Sissy« (Bild) vertreten. 13. Juli bis 13. August Wien

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Manuel Fronhofer, Theresa Ziegler

Ulrich Dertschei, Curtas Metragens CRL, Rania Moslam

Sommerszene Salzburg

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Neben Produktdesign, Mode, Kunst und feschem Food geht es beim Feschmarkt auch darum, wie viele Wortspiele mit »fesch« einem einfallen. Die Veranstalter haben aber noch immer gute Ideen, wie sie den Lieblingsmarkt der Kreativszene in der Ottakringer Brauerei noch fescher machen können. Zum Beispiel mit Kräuterworkshops und einem eigenen Kakteenmarkt. 9. bis 11. Juni Wien

An fünf verschiedenen Schauplätzen sind im Rahmen des International Performing Arts Fes­ tivals zehn Produktionen, drei davon eigens für die Sommerszene konzipiert, zu sehen. Virtuose Tanzabende, witzige Performances und mitreißendes Schauspiel sollen die thematische Vielfalt und ästhetische Bandbreite der performativen Künste abbilden. 20. Juni bis 2. Juli Salzburg

Kino wie noch nie Das Sommerkino am Augartenspitz bringt alljährlichen Open-Air-Filmgenuss mit FilmarchivAustria- und Viennale-Gütesiegel. Über ein Monat lang wird das Areal im zweiten Wiener Gemeinde­ bezirk bespielt. Neben hochkarätigem Kino ist auch für adäquate Verpflegung gesorgt: Die Grünstern-Gartenküche setzt auf Regionales in Bio-Qualität. Und wenn’s mal regnet, können die Filme jeweils am Folgetag bei ihrer Wiederholung im Metro Kino nachgeholt werden. 29. Juni bis 3. September Wien

Festival der Regionen Unter dem Motto »Ungebetene Gäste« be­ schäftigt sich das alle zwei Jahre abseits städtischer Ballungsräume und Kulturzentren stattfindende Festival der Regionen heuer den Themen Flucht, Bewegung, Gastfreundschaft und Ressentiments sowie der künstlerischen Auseinandersetzung mit diesen. Station macht es diesmal in Marchtrenk im Bezirk Wels-Land. 30. Juni bis 9. Juli Marchtrenk

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Klassik, Jazz, Rock, Pop oder Alternative. Leidenschaftliche Musikberichterstattung eröffnet Perspektiven. Täglich im STANDARD und auf derStandard.at.

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N HERZLICHE CH S GLÜCKWUNÄUM! ZUM JUBIL

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Termine Kino Jean Ziegler – Der Optimismus des Willens Regie: Nicolas Wadimoff ———— Nicolas Wadimoff begleitet den 82-jährigen Globalisierungskritiker und Menschenrechtler Ziegler und zeichnet das Porträt eines Mannes, der es selbst im hohen Alter noch zum Ziel hat, unsere Welt zu ändern. Politisches Kino, das inspiriert. Start: 2. Juni

Born To Be Blue Regie: Arman T. Riahi ———— Benny (Faris Endris Rahoma) und Marko (Aleksandar Petrovic) sind Wiener mit Migrationshinter- und Bobo-Vordergrund. Beide wohnen im (fiktiven) Grätzl Rudolfsgrund. Der eine Schauspieler, der andere Betreiber einer Werbeagentur, eint beide die Erfolgslosigkeit und das Umfeld, das von ihnen verlangt, mehr das eigene Migrantendasein in den Vordergrund zu rücken, etwa wenn Benny beim Vorsprechen nur Klischeerollen à la Taxifahrer angeboten bekommt. Als eine Fernsehredakteurin (Doris Schretzmayer) auf der Suche nach einer »gscheiten Gschicht« auf die beiden aufmerksam wird, beschließen diese, ihr die harten Gangster vorzuspielen. Das hat turbulente Folgen für Benny und Marko. Und für die Rudolfsgrund-Bewohner. »Die Migrantigen« wird eure Sommerkomödie, ihr wisst es nur noch nicht. Start: 9. Juni

Die Verführten Regie: Sofia Coppola ———— Sofia Coppola ist mit dem Remake von »Betrogen« zurück. In »Die Verführten« kommt der verletzte Soldat John McBurney (Colin Farrell) ins von Miss Martha (Nicole Kidman) geleitete Mädcheninternat. Spannungen zwischen ihm und den anderen Bewohnerinnen sind natürlich vorprogrammiert. U. a. mit Kirsten Dunst. Start: 29. Juni

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Die Migrantigen

Regie: Robert Budreau ———— Geschichten über Aufstieg und Fall sind mit dem Pop-Business eng verknüpft. In »Born To Be Blue« gibt Ethan Hawke den Jazzmusiker Chet Baker, dessen Leben zwischen musikalischen Höhen- und drogeninduzierten Tiefflügen verlief und der dank seiner Frau Jane (Carmen Ejogo) zu einem Neuanfang inspiriert wurde. Start: 9. Juni

Girls Night Out Regie: Lucia Aniello ———— Fünf Freundinnen (u. a. Scarlett Johansson, Kate McKinnon und Ilana Glazer) bringen beim gemeinsamen Junggesellinnenabschied versehentlich einen Stripper um. Nun ist Zusammenhalt angesagt, da weitere Eskapaden nicht ausgeschlossen werden können. Für Fans von »Bridesmaids« und mit Top-Besetzung. Start: 30. Juni

Barbara Fohringer

Golden Girls Filmproduktion, Polyfilm

Mit siebzehn

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I Am Not Your Negro Regie: Raoul Peck ———— Als Grundlage des Films diente ein unvollendetes Manuskript des 1987 verstorbenen afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin, der in seinen Arbeiten meist Themen wie Rassismus und Homosexualität aufgriff. »I Am Not Your Negro« erzählt seine Biografie und Baldwin wiederum erzählt auf Basis dreier Einzelschicksale (Medgar Evers, Malcom X und Martin Luther King Jr.) die Situation von people of color in den USA. Ausgehend davon präsentiert Peck weitere Szenen weißer Gewalt, die zwischen 1890 und 1914 stattgefunden haben, und liefert somit einen wichtigen Beitrag für die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Rassismus. »Es geht nicht darum, was mit schwarzen Menschen passiert. Die eigentliche Frage ist: Was passiert mit diesem Land?«, sagte Baldwin 1968 – und das mag heute aktueller sein denn je. Start: 15. Juni

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Regie: André Téchiné ———— »Man ist nicht ernsthaft, wenn man 17 Jahre alt ist«, schrieb Arthur Rimbaud in seinem Gedicht, auf das sich der Titel des Films bezieht. Der Franzose André Téchiné erzählt in dem Drama die aggressiv aufgeladene Beziehung der beiden Burschen Damien (Kacey Mottet Klein) und Tom (Corentin Fila). Start: 30. Juni

Valerian und die Stadt der tausend Planeten Regie: Luc Besson ———— Die Agenten Valérian (Dane DeHaan) und Laureline (Cara Delevingne) haben unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Beziehung – er will mehr als sie –, beide wollen aber den Planeten Alpha, auf dem tausend unterschiedliche Spezies leben, retten. Luc Bessons Film basiert auf dem Comic »Valérian et Laureline«. Start: 20. Juli

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Illbilly

frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus

Ich habe, abgesehen von Film-, Musik- und Buchrezensionen in meinem ganzen Leben noch nie einen Produkttest verfasst. Das nun Kommende wird also eine Premiere, die ich meiner neuen Chefredakteurin zu verdanken habe. Ihr Vorgängerin, die ich sehr mochte, hat sich den Besen, mit dem sie die Redaktionsstube durchfegte urplötzlich geschnappt und ist mit ihm unter schallendem, sardonischen Gelächter einfach beim Fenster rausgeflogen. Mehr weiß ich jetzt leider auch nicht über ihren Verbleib. Und darf dazu auch nichts schreiben. Die neue Chefin jedenfalls hat es aber auch voll drauf. Weil sie mir nicht sagen will: »Mein Lieber, deine Kolumne ist ein Furzi, schreib gefälligst was anderes, sonst dreh ich dich ab, wie die gute alte Tante ›Die Zeit‹ diesen Martenstein längst abdrehen sollte«, hat sie mir einfach mit den Worten, »schreib bitte etwas drüber« ein Technik-Gadget aufs Auge gedrückt. Wie gesagt, außer Film-, Musik- und Buchrezensionen kann ich eigentlich nichts. Darin habe ich es aber mittlerweile sogar zu einer derartigen Perfektion gebracht, dass ich Filme gar nicht mehr sehen, Musik nicht mehr hören und Bücher nicht lesen muss, um mir ein kompetentes Urteil zu bilden und dieses dann in geschmeidigen Worten unter eine immer (leider) kleiner werdende Premiumtrippel-A-Leserschicht zu schmurseln. So weit so gut. Das Wort »schmurseln« habe ich gerade frisch erfunden. Ich finde es klingt fein und beschreibt die Tätigkeit, jemanden etwas unterzuschieben, von dem man überzeugt ist, dass es gut sei, allerdings auch weiß wie es zu Stande gekommen ist. Egalo, lattico. Um den Faden nicht zu verlieren. Mein neue Chefredakteurin hat mir ein »ELF emmit« zum Testen gegeben. Das ist SelbstoptmierungsGadget, das man ans Handy anstöpselt und – jetzt wird es spooky – der Hirnleistung ein bisschen auf die Sprünge hilft. Das »ELF emmit« hat nicht nur eine deppa-

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ten Namen, sondern es schaut auch nicht sonderlich knackig aus. Wie ein zu klein geratener, weißer Haarreifen. Anders als mein eben erfundenes Verb »schmurseln« kann jeder, den es interessiert und in Grundzügen die Kulturtechnik der Suchmaschinenbedienung beherrscht, herausfinden wie die neuartige Gerätschaft, dieser letzte Schrei am Selbstvermessungsfirmament aussieht. Jedenfalls hat das Ding, das ich testen soll fünf Modi parat und hilft wenn man schlafen will, aber auch beim Meditieren und beim Minimieren des Stresslevels. Es kann aber auch anders und steigert die Konzentration und sendet im fünften Modus Impulse ans Gehirn, die das Lernen erleichtern. Ich kann mich üblicherweise nicht so ganz super konzentrieren. Ich hab mir nämlich im Laufe der Jahre ein bisschen ein Erwachsenen ADHS antrainiert. My Focus is Locus sozusagen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich mir - um das alles zu kompensieren - auch noch ein Hobbytourettesyndrom dazu fantasierte. Ich rede of wie ein Bierkutscher und mach komische Geräusche. Zum Beispiel ein schrilles und langes: Blimlilimilimiblimilimliiblimblbibmbibibimi!!! Das kann dann schon manchmal komisch auf die unmittelbare Umgebung wirken. Vor allem weil ich ja echt nicht weiß, was ich oft gerade wollte. Das Hobbytourette stört mich übrigens weniger, als dieses ständige Abschweifen. Dauernd kommt mir nämlich was anderes in den Sinn und ich vergesse das Wichtige. Eben war ich noch bei »ELF« schon bin ich bei »Zwölf« und hab mir Gedanken über die Zahl gemacht und wo sie überall vorkommt. Zwölftonmusik. Zwölffingerdarm. Zwölf Apostel. Zwölf Stämme Israels. Fünf Minuten vor Zwölf. Immer übrigens, wenn jemand sagt es sei »Fünf Minuten vor Zwölf«, muss ich an den bekannten Udo Jürgens Song gleichen Namens denken. »Super Nummer«, schmunzel ich dann in mich hinein, aber ich bin mir nicht hundert Pro sicher, ob die

nicht ein wenig geschmurselt ist. Schön ist übrigens auch Rio Reisers Song »Jetzt schlägt’s Dreizehn.« Das aber nur am Rande. Eben war ich übrigens auf YouTube, weil ich wissen wollte, ob es auch einen Song mit Vierzehn gibt. Ich hab nicht genau geschaut, aber es kursiert ein Video von einer Band namens Vierzehn, die eine deutsche Version von Pink Floyds »Another Brick In The Wall« trällert. »Hey! Lehrer! Lasst uns doch in Ruh’! Stein um Stein mauert ihr uns langsam ein.« Tja. Kannte ich nicht. Was ich sagen wollte. Dieses ELF-Selbstoptimierungsding hab ich jetzt übrigens die ganze Zeit aufgehabt. Und zwar im »Improve Focus«-Modus. Und gerne würde ich jetzt ein bisschen schimpfen auf die ganzen Quantifizierungsbrauser, die mit ihren Wearables im EgoVermessungswahn alles und jeden mit ihren unnötigen Daten vollkleistern. Aber ich muss schon sagen, dass der »ELF emmit« spitze ist. Ich kann ihn nur wärmstens empfehlen. Ich habe dieses Kolümnchen nämlich jetzt in knapp einer Stunde runtergenudelt, beinahe schon weggeschmurselt, möchte ich sagen. Ich kann es nur jedem Blogger und YouTuber wärmstens empfehlen. Es ist das beste und schönste Ding der Welt und hat mein Leben verändert. Und das hat nichts damit zu tun, dass mir die neue Chefin im Genick sitzt und es fünf Minuten vor Drucktermin ist. www.facebook.com / illbilly

Jakob Kirchmayr

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Know-Nothing-Gesellschaft Mein Fokus ist Lokus

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