The Gap 161 – Jubiläumsausgabe: 20 Jahre The Gap

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Nostalgie

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N° 161 — 20 Jahre The Gap

AUSGABE Februar / März 2017 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. | GZ 05Z036212 M

Leiwand seit 1997


Die Raiffeisenbank gratuliert zu 20 Jahren The Gap Magazin.

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Editorial Kulturensöhne und -töchter

Web www.thegap.at Facebook www.facebook.com / thegapmagazin Twitter @the_gap Instagram thegapmag Issuu the_gap

Herausgeber Thomas Weber Chefredakteurin Amira Ben Saoud Stv. Chefredakteurin Yasmin Vihaus

20 Jahre The Gap. Zeit zurückzublicken, Zeit nach vorne zu schauen.

Leitende Redakteure Manuel Fronhofer, Manfred Gram, Martin Mühl

Auf der einen Seite die Erinnerungen an die erste Ausgabe. Ihre Entstehungsgeschichte, die mit einem Zeitschriftenprojekt des Kulturzentrums Avalon in Allentsteig genauso verbunden ist wie mit einem Tutorium an der Publizistik zum Thema Musikkritik. Ersteres – es hieß Auswurf und sollte nur ein paar Ausgaben lang bestehen – lieferte die Inspiration, es einfach selbst mit einem Magazin zu versuchen, mit einem ganz nach den eigenen Vorstellungen. Und aus Zweiterem stammte schließlich ein großer Teil der Texte für The Gap Nummer eins. Deren Produktion verlief damals – in bester DIY-Manier werkten wir einfach drauf los – natürlich wenig professionell, bedurfte mehrerer Nachtschichten und endete darin, dass Thomas Heher, von dem die Idee zu The Gap ursprünglich gekommen war, und ich mangels adequater Speichermedien selbst zum Datenträger wurden: Mit einem Desktop-PC unter dem Arm standen wir Anfang Jänner 1997 einfach in der Digitaldruckerei im Keller der alten WU. Übrigens vergeblich: Am Ende musste die erste Ausgabe dann doch von (schlechten) Ausdrucken kopiert werden.

Gestaltung Sig Ganhoer, Erli Grünzweil, Michael Mickl

So unwahrscheinlich mir das 20-jährige Bestehen von The Gap damals wohl erschienen wäre – heute, nach guten und schlechten Phasen, würde es mich nicht wundern, wenn das nicht das letzte große Jubiläum sein sollte, das wir feiern können. Trotz aller Widrigkeiten, die die Welt und die Medienbranche zu bieten haben. Warum? Weil es viele, viele talentierte und ambitionierte Menschen gibt, die tagtäglich als Teil des Teams für The Gap stehen, und für die The Gap heutzutage auch tagtäglich inhaltlich steht: jene großen »Kulturensöhne und -töchter« des Landes (eine Wortschöpfung von Chefredakteurin Amira Ben Saoud, die auf die österreichische Bundeshymne ebenso Bezug nimmt wie auf Nazar), mit denen The Gap sich verstärkt auseinandersetzt – von der Musikerin bis zum Möbeldesigner und vom Autor bis zur Ausstellungskuratorin. Und natürlich wegen unserer Leserinnen und Leser, die alten und die neuen, die immer wieder interessiert sind an dem, was wir da tun. Danke! Für sie und – mit ein bissl Selbstvertrauen – natürlich auch für uns steht der Claim zum 20. Jubiläum von The Gap: Leiwand seit 1997.

Manuel Fronhofer

Mitbegründer von The Gap fronhofer@thegap.at • @posernerd

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Art Direction Sig Ganhoer

Cover Erli Grünzweil AutorInnen dieser Ausgabe Benjamin Agostini, Amira Ben Saoud, Barbara Fohringer, Manuel Fronhofer, Michael Kirchdorfer, Franz Lichtenegger, Martin Mühl, Nadine Obermüller, Nikolaus Ostermann, Dominik Oswald, Michaela Pichler, Gabriel Roland, Jonas Vogt, Ornella Wächter, Theresa Ziegler KontributorInnen dieser Ausgabe aus.büxen, Hannah Christ, Ondřej Cikán, Ann Cotten, Christine Dollhofer, Hannes Eder, Tha Geiszler, Gabriele Gerbasits, Thomas Gratzer, Lila John, Therese Kaiser, Christoph Kobza, Bettina Kogler, Karola Kraus, Rainer Krispel, Conny Lee, Sabrina Lehner, Ali Mahlodji, Mavi Phoenix, Stefan Redelsteiner, Rhinoplasty, Marie Ringler, Lorenz Seidler, Katharina Unger, Markus Wagner, Erwin Wurm KolumnistInnen Astrid Exner, Jonas Vogt, Gabriel Roland, Martin Mühl, Illbilly Fotografen dieser Ausgabe Erli Grünzweil, Klaus Vyhnalek Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer Anzeigen Christoph Adamek, Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Gabriel Roland, Bernadette Schmatzer, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Pulverturmgasse 3, 1090 Wien Geschäftsführung Martin Mühl Produktion & Medieninhaberin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien Kontakt The Gap c/o Monopol GmbH Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Monopol GmbH, Bank Austria, IBAN AT 54 1200 0515 8200 1929, BIC BKAUATWW Abonnement 10 Ausgaben; Euro 19,— www.thegap.at/abo Heftpreis Euro 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Inhalt Special Was war und was wird 20 Menschen über definierende Momente Von Conny Lee: Von aus.büxen: Von Hannes Eder: Von Therese Kaiser: Von Erwin Wurm: Von Bettina Kogler: Von Rainer Krispel: Von Hannah Christ: Von Lorenz Seidler: Von Ali Mahlodji: Von Katharina Unger: Von Stefan Redelsteiner: Von Ann Cotten: Von Thomas Gratzer: Von Lila John: Von Markus Wagner: Von Christine Dollhofer: Von Rhinoplasty: Von Gabriele Gerbasits: Von Marie Ringler:

Die Erwachsenen waren keine große Hilfe 021 Umgefiltert 022 Was bisher geschah 024 Crop Tops für alle! 025 Direktionsskulptur 027 Wir tanzen weiter 028 Life’s a piece of shit when you look at it 029 Was hat dich bloß so ruiniert? 030 Meine erste E-Mail-Adresse 032 Ja, wir schaffen das 035 Wir sollten Würmer füttern, Schatz! 043 Bowie im Jugendzentrum 044 Ein sich in Variationen wiederholender Tag 046 Rock ’n’ Roll für den Rabenhof 048 The Future Is Coming Soon Enough 050 Gründen aus der Studentenwohnung 052 Cinema Futures 054 We are sorry, you are welcome! 056 20 Jahre Tag der Soziokultur 058 Dann kam das geheimnisvolle Internet 059

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Die NostalgieBianca Xenia Mayer hat Powi und Publizistik in Wien studiert, schreibt über Popkultur und das Internet, seit es Beepworld gibt und lebt als freie Autorin in Berlin. Obwohl sie selbst ein paar Flohmarkt-Möbel besitzt, hat sie sich in der Coverstory kritisch mit der Vermarktung von Nostalgie auseinandergesetzt. Seite 014

Dominik Oswald schreibt seit 2013 polythematisch für The Gap, aber mit der größten Liebe zum Thema Musik. So erscheint monatlich die Kolumne »Muttersprachenpop« von ihm online. Für unsere Nostalgie / ZukunftAusgabe hat er sich dem Wiener HiFi-Plattenspieler-Hersteller Pro-Ject gewidmet Seite 060

Gabriel Roland ist ja eigentlich studierter Textildesigner und passionierter Twitterer, darf sich aber für unsere Modekolumne jedes Mal ein Kleidungsstück ganz genau ansehen. Aus Anlass des Jubiläums hat er außerdem Leute wie Erwin Wurm, Lila John oder Lorenz Seidler zu Beiträgen angeregt. Seite 018 u.a.

Ornella Wächter kam ursprünglich aus den Bergen, um das Großstadtleben kennenzulernen. Unentbehrliches Accessoire ist der Rucksack aber noch immer. Für die aktuelle Ausgabe hat sie sich angesehen, welche Festivals man im Februar und März besuchen muss. Seite 076

Industrie Warum ist gestern zum besseren Jetzt geworden? Magazin 036 Was nicht gekommen ist Zukunftsthesen der Vergangenheit 037 »Prognostiker sind keine Päpste« Zukunftsforscher Matthias Horx im Interview 039 Was kommen könnte Zukunftsthesen der Gegenwart 040 »Größenwahnsinnig waren wir schon immer« Pratersauna-Mitgründer Hennes Weiss im Interview 060 Analog ist besser Pro-Ject macht Nostalgie-Design für neue Märkte

Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Leitweber 007 Mein liebster Feind: Ondrej Cikán 012 Illustration: Tha Geiszler Lieblingswitz: Karola Kraus 064 Gewinnen 065 Rezensionen 074 Termine

Kolumnen 008 Club Status: Jonas Vogt 009 Gender Gap: Astrid Exner 010 Lokaljournalismus: Martin Mühl 011 Einteiler: Gabriel Roland 082 Know-Nothing-Gesellschaft: Illbilly

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Thomas Weber

ist Herausgeber von The Gap und Biorama

Leitweber Wir waren jung und brauchten kaum Geld

alt, Zivildiener und als mir die allererste Ausgabe von The Gap in die Hände fiel, ich weiß es noch genau, wartete ich an der Bar des Chelsea auf ein Bier, oder eine Packung Zigaretten, oder beides. Die beiden Gründer – Manuel Fronhofer und Thomas Heher –, die kennenzulernen mir recht bald gelang, weil sie in eben diesem Lokal verkehrten, waren unwesentlich älter, das heißt 21, 22 Jahre alt. Zwar beeindruckte mich das von den beiden Gedruckte damals wenig – das hatten wir am Gymnasium mit unserer Schülerzeitung genauso hinbekommen und dafür sogar regelmäßig Preise abgestaubt. Das Engagement der beiden aber, der offensichtliche Biss, der hinterließ durchaus Eindruck. Denn bereits für ein paar Wochen später war da gleich die nächste Ausgabe angekündigt. Und welchen Aufwand es bedeutet, so ein Druckwerk regelmäßig zu füllen, zu gestalten und vor allem: zu finanzieren, dessen war ich mir ja bewusst. Genau deshalb konzipierte ich mit Niko Alm, einem Schulfreund (ja, genau der Niko Alm), ja gerade ein Online-Magazin – eben um uns die Mühsal des Anzeigenverkaufens zu ersparen. Webspace war schließlich billig. Ein paar Monate später war dann nicht nur unser E-zine online (for Ruinporn click wellbuilt.net), sondern irgendwann erschienen dann auch erste Artikel von mir in The Gap: Buchrezensionen, Interviews mit Grissemann & Stermann und heute vergessenen Bands. Weil irgendwer all die Arbeit tun musste und von den Gründern nur Manuel Fronhofer geblieben war, war ich irgendwann plötzlich Chefredakteur. Und Anzeigenverkäufer. Ja, ganz sauber im Sinne der

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reinen journalistischen Lehre ließ sich das nie trennen. Identität stiftetet das eine. Den Druck bezahlte das andere. Das Verkaufen von Anzeigen und das Organisieren von Bandinterviews passierte mit Münzen zwischen Vorlesungen aus der Telefonzelle des Neuen Institutsgebäudes (NIG) hinter der Hauptuni heraus. Irgendwann kamen dann Niko Alm als Herausgeber und Bernhard Schmidt, heute Geschäftsführer von Virtue / Vice, als für Distribution und Anzeigenverkauf Zuständiger hinzu. Und ohne Martin Mühl und Herwig Bauer ging sowieso schon lange nichts mehr. Frauen gab’s auch im Team. Aber machen wir uns nichts vor: Bis auf Iris Kern, die sich irgendwann als Künstlerin nach Übersee verabschiedete, war The Gap lang vor allem eine Buberlpartie. 2017 bin ich objektiv betrachtet zumindest nicht mehr ganz jung. Mittlerweile folgt mir mein Sohn auf Instagram. Ich trinke bevorzugt Bio-Bier, habe aufgehört zu rauchen und höre manchmal sogar die Ö1 »Jazznacht«. Ja, die Entscheidung, auch redaktionell für einen Generationswechsel zu sorgen, irgendwann so um 2007 getroffen, war richtig. Die lange davor durchgezogene Öffnung von The Gap – weg von der einstigen Selbstbeschränkung auf Musik – hin zu Design, Kunst und Kreativökonomie genauso. Einerseits hatten sich Interessen verlagert. Und The Gap war nie ausschließlich »Produkt«, sondern zuvorderst immer auch Anliegen. Andererseits hatten sich schlicht die Koordinaten im Pop-Universum verschoben. Auch hin zu thegap.at Ja, Spielraum und Schwankungsbreite auf thegap.at sind mitunter groß und die Übergänge von Club- und Trashkultur fließend. Wer

2017 aber eine gedruckte Ausgabe von The Gap in die Hand kriegt, wird eine sorgsam selektierte Sammlung von Artikeln, Interviews und Kommentaren finden, die zeigt, was einen jetzt bewegen kann – und sollte. Und worüber viele Zeitgenossen in ein paar Wochen, Monaten und oft auch erst Jahren reden werden. Nie zuvor in seiner Geschichte war The Gap inhaltlich so gut wie in den vergangenen fünf Jahren. Zuschreiben dürfen sich das die Chefredakteure Stefan Niederwieser, Amira Ben Saoud und Yasmin Vihaus. Natürlich liegt es auch daran, dass es mit den Dreien erstmals auch Personen gab, die sich ausschließlich um The Gap kümmern und Gedanken machen konnten. Davor war es 15 Jahre de facto ein sehr, sehr aufwändiges Nebenher-Ding gewesen (mehr über die anderen Nebensachen auf monopol. at). Aber das Gespür und das Geschick von The Gap ist eben auch jenes der Genannten. Und das mit der Buberlpartie ist anno 2017 auch passé. Und 2037? – Nun. Sollte es The Gap dereinst noch geben, wird es sicher auch dann noch vom einen oder anderen als »Musikmagazin« bezeichnet werden. Gewisse Dinge ändern sich offensichtlich nie. weber@thegap.at • @th_weber

Jürgen Schmücking

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Ein paar persönliche Gedanken zu 20 Jahre The Gap. ———— 1997 war ich gerade 19 Jahre

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Lukas Beck

Mein liebster Feind Heute lieber Liebe In der heutigen Zeit, da diverse Parteien Hass, Angst und Lügen verbreiten, will ich nicht schreiben, was ich zärtlich hasse, sondern was ich zärtlich liebe, um zumindest ein kleines Gegengewicht zu erzeugen. Die Dichterinnen und Dichter im antiken Griechenland waren zugleich Komponisten. Die natürliche Melodie der Sprache wurde zur Musik gleichsam übertrieben, den Rhythmus gab das Versmaß vor. So verwandelte sich die Alltagssprache, in der man sonst die lieben Feinde beschimpft, zu etwas Höherem, und so stellte sich die Verbindung zu den Musen her. Und die Musen verhindern bis heute, sofern man sie liebt, zumindest manchmal, dass man irgendeinen möglichst verkäuflichen oder scheinbar gesellschaftspolitisch relevanten Blödsinn daherredet. Deshalb folgendes Gebet: Wir lieben Euch und wir beten zu Euch, und Eure schwarzen Augen sind Ferien von unserer

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rauhen Sterblichkeit und von den magnetischen Klauen kreischender Sirenen am schroffen Gestein verderblicher Klippen. Wir trinken Nektar und Honig, Tröpfchen auf Tröpfchen, von Euren Lilienlippen und ahnen nicht, wie viele Ihr seid, Ihr Mädchen mit dunklen Brauen, und wir wollens nicht wissen. Doch dass Eure Brust nach Veilchen duftet, das wissen wir gut. Und Eure Stimmen sind die Rosen aus Pierien. Den Rosen hören wir zu. Mit dem Atem ihrer taubenetzten Blüten errichten sie einen Windhauchtanz, Hand in Hand, in langgezogenen Beeten. Sie bauen mit den Fingerspitzen das Gerüst vor unseren Gebeten und fügen mit den Lippen an unseren Ohren, Teilchen auf Teilchen, den Duft eines jeden Gefühls und jeder Bewegung zu einem ewigen Schimmer. Mit Dille und Eppich bekränzt, mit der Wange auf Eurem Busen schauen wir Euren Duft, atmen Euer Licht, auch wenn wir sterben, für immer.

Ond�rej Cikán Ondřej Cikán, 31, lebt und arbeitet als Schriftsteller, Übersetzer und Filmregisseur in Wien. Während seines Studiums des Altgriechischen spezialisierte er sich auf die erotischen und blutigen »Schundromane« der Antike. Er ist einer der zwei Regisseure des Films »Menandros & Thaïs«. Am 3. März erscheint sein neuer postapokalyptischer Roman »Der Reisende – Band 1: Du bist die Finsternis« (Edition A).

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Jonas Vogt

schreibt an dieser Stelle über österreichische Clubkultur

Charts Mavi Phoenix TOP 10

Zitate meiner Lieblingskünstler 01 I think I’m cool. That’s all that matters. – Tyler, The Creator 02 I already am a product. – Lady Gaga 03 Das ist halt unsere Art so, weißt du, so zwischen Depression und Größenwahnsinn. – Falco 04 Of course awards matter. – Frank Ocean 05 I could never identify with that word »weak«. – Rihanna 06 Be nice to people. – Justin Bieber 07 I’m stupid, I’m ugly, I’m dumb, I smell. – Eminem 08 I’m afraid of Americans. – David Bowie 09 Fuck a vacay, I feel better at work – Big Sean 10 Beste Freind Forever – bist dabei? – Alex The Flipper

Clubstatus Der dicke Filter Nostalgie

Top 03

(Wahre) Vorurteile über Linz 01 Die Linzer Altstadt ist reidig. 02 Abseits der Landstraße geht’s um nix. 03 Linzer lästern zwar gerne über ihre eigene Stadt, sind aber äußerst aggressiv, wenn es darum geht, Linz vor anderen zu verteidigen.

Mavi Phoenix ist Sängerin, Produzentin und Rapperin.

Charts Theresa Ziegler TOP 10

Bilder in Lyrics 01 Taking my inner child I’m fighting for custody 02 Im U4 geigen die Goldfisch’ 03 Your breasts is my breakfast 04 My milkshake brings all the boys to the yard 05 Got a beach house I could sell you in Idaho 06 Hast mi gschaukelt in deim Wasserbett 07 Champagne Supernova 08 Holding hands with your heart 09 Mit Spatzen auf Kanonen schießen 10 Wrap my curls all around the world

Top 03

Sprüche meiner Oma (übersetzt) 01 Wegen eines einzelnen Strauchs stirbt keine Geiss. 02 Selten ein Schaden und kein Nutzen dabei. 03 Du siehst aus wie die Henne unter dem Schweif. Auch nicht schlecht: Stammkunde sein Theresa Ziegler heißt gern wie eine Gasse in Wien und schreibt genauso gern in Artikeln »Lo-Fi«.

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Um auch noch jenseits der 30 würdevoll feiern zu gehen, sollte man vor allem nicht ungefragt allen erzählen, dass früher alles besser war. Mensch, waren das damals Zeiten. Was haben wir getanzt, gezogen, getrunken und gevögelt. Das könnt ihr euch heute gar nicht mehr vorstellen. Und klar waren wir alle auf dieser einen Party, die im Nachhinein zum definierenden Moment einer Dekade erklärt wurde. So oder ähnlich erzählt man das seiner jungen Verwandtschaft, die gerade nach Wien zieht. Oder den jungen Menschen, die man in einer Bar beeindrucken will. Früher war immer alles besser, aber in der Clubkultur besonders. Auf die eigene Jugend blickt der Mensch durch einen dicken Nostalgiefilter. Wie berechtigt ist schwer zu sagen, auch weil sich in der Rückschau stets drei Entwicklungen überlagern: Die Welt verändert sich, die Stadt verändert sich, man selbst und sein Freundeskreis verändern sich. Vor zehn Jahren gab es noch kein Facebook, vor zehn Jahren waren die Clubs in Wien noch ganz andere, vor zehn Jahren wollten deine Bekannten noch nicht »spätestens um zwei zuhause sein«, um noch was vom Sonntag zu haben. Das hat alles seinen Anteil daran, dass das Nachtleben für dich gefühlt den Bach runtergeht. Man darf aber eben nicht vergessen, dass diese Sichtweise wahrscheinlich mehr über den eigenen Standpunkt verrät als über Wien. Es passiert ja was. Man kriegt es halt nur weniger mit. Oder es gefällt einem halt nicht, weil die jungen Leute sich partout nicht so verhalten wollen wie man sich vor 15 Jahren verhalten musste. Die sind aber nicht verpflichtet, auf die Befindlichkeiten der Älteren Rücksicht nehmen. Hat man ja selbst damals auch nicht. So spätestens Anfang Dreißig müssen auch regelmäßige Clubgänger akzeptieren, dass sich ihre Rolle ändert. Das hat durchaus auch seine Vorteile. Wenn man nicht mehr jedes Wochenende zweimal unterwegs sein muss, kann man die Nächte, in denen es passiert, viel intensiver genießen. Und es ist natürlich völlig in Ordnung, wenn man nur noch in Restaurants und auf Reunion-Partys geht. Wichtig ist dabei, die Würde zu bewahren. Und das heißt eben auch, nicht ungefragt allen zu erzählen, dass früher alles besser war. vogt@thegap.at • @L4ndvogt

Nina Keinrath, Lukas Gansterer

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Auch nicht schlecht: Seitanschnitzel vom Spar

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Astrid Exner

beschäftigt sich hier mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus

Gender Gap Girl Power Forever

AB 10. MÄRZ IM KINO If you want my future, forget my past. Diese Zeilen haben den als Spicemania in die Popgeschichte eingegangenen Wirbelwind losgetreten. Als ich noch gar keine pubertären Schweißdrüsen hatte, besaß ich schon ein Spice-Girls-Deo. Ich war für Girl Power. So richtig mit Pickerlalbum und im Fasching als Mel C verkleidet gehen. AlsT2_TheGap.indd 1997 The Gap gegründet wurde, bekam ich davon nichts mit. Wie denn auch? Meine ganze Aufmerksamkeit lag auf dem Kinostart von »Spice World«. Aber Moment mal: Wer mit mir eine Zukunft haben möchte, muss die Vergangenheit vergessen? Das ist wohl der einzige Irrtum meiner sonst unfehlbaren Kindheitsidole. Wer eine Person verstehen will, die in den 90ern mit den Spice Girls aufwuchs, muss ihre diesbezügliche Obsession sehr wohl berücksichtigen. Da kann die Sonic Youth-Heldin Kim Gordon in ihrer Autobiografie »Girl In A Band« noch so viel lästern. Natürlich waren es Kathleen Hanna und die Riot Grrrl-Bewegung, die den Boden für die Spice Girls bereiteten. Klar passt deren Grundidee nicht mit einer Marketingmaschine zusammen, die eine von Männern zusammengestellte Gruppe hervorbringt, damit diese sowohl Werbekunden als auch den Male Gaze befriedigt. All das ging allerdings Hand in Hand mit jener breiten Massenwirkung, die die Botschaft »Girl Power« in Kinderzimmer katapultierte. Wenn Kim Gordon stolz darauf ist, dass ihre Tochter auf dem Spielplatz die einzige war, die die Spice Girls nicht kannte, dann ist das eine elitäre Meinung. Nicht jeder Mensch bekommt Subkulturen und eine feministische Haltung in die Wiege gelegt. Das Mantra der Spice Girls hingegen hat sich vor 20 Jahren nachhaltig in die Gehirne von Millionen Kindern eingebrannt. Und die Kinder von damals kommen heute in berufliche, private und politische Positionen, in denen sie die Zukunft aktiv mitgestalten können. exner@thegap.at • @walzerkoenige

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www.sonypictures.at

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Martin Mühl isst sich durch Wien

Charts Christoph Kobza TOP 10

Ideen für Top 10 Charts 01 Körperknochen (von Schlüsselbein bis Boner) 02 Geschützte Werkstätten (vom Bund bis Vatikan) 03 Missverstandene Frauen (von Lohfink bis Marcos) 04 Süßigkeiten mit Palmöl (von Nutella bis KitKat) 05 Tiere für Pelz (von Fuchs bis Fledermaus) 06 -Top- (Tank-, -Gun, -less, Thomas etc.) 07 Nagellackfarben (von Taupe bis Altrosa) 08 Straßenbahnstationen (von Jonasreindl bis Gersthof) 09 Disney-Prinzessinnen (von Merida bis Arielle) 10 Momente mit Rauchen aufzuhören (von morgen bis nie)

Lokaljournalismus Varianten in Fisch

Top 03

Wäscheprogramma 01 Feinwäsche 02 Wolle 03 Schleudern / Abpumpen

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Christoph Kobza ist Teil der FM4 Musikredaktion, liebt Asti und Averna und kann nicht pfeifen.

Charts Sabrina Lehner TOP 10

Lieblings-Musikdokus 01 Control 02 Lust And Sound in West Berlin 03 Pepperoni Playboy 04 AMY 05 David Bowie – Sound and Vision 06 Searching For A Sugar Man 07 Promille Punk und Poesie 08 The Filth And The Fury 09 Frank Zappa – Eat That Question 10 Hit So Hard

Top 03 Stoffarten 01 Samt 02 Cord 03 Modal

Auch nicht schlecht: Startrampe Sabrina würde gerne auf jedes Festival fahren und nebenbei einen Secondhand-Laden eröffnen.

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Mit dem Steinthal haben sich letzten Herbst im 6. Bezirk zwei Köche darangemacht, eine Lücke der Wiener Gastronomie zu schließen: Das Lokal setzt auf qualitiv hochwertige Fisch- und Gemüseküche. Und die kommt ebenso unkonventionell, aber doch mit Anknüpfungspunkten auf die Karte. Neben Klassikern wie Fisch im Ganzen oder paniert werden hier unter anderem Variationen traditioneller Wiener Gerichte geboten. Beispiele sind Grammelknödel von der Forelle und Gulasch oder auch Butterschitzel vom Wels. Ähnliches gilt aber auch für das Gemüse mit Käferbohnengulasch und Pilz-Beuschl. Die Cremige Sauerkrautsuppe wird ihrer Bezeichnung in jeder Hinsicht gerecht und setzt darüber hinaus mit dem geräucherten Sellerie feine Nuancen. Die Fischbeuschlsuppe ist klarer und leichter und gefällt doch mit einer intensiven Fischnote. Beim Steinthal-Sarma wird der Krautwickel mit Pilzen, geräucherter Forelle oder auch Sonnenblumenkernen gefüllt und kommt mit ordentlich Sauce und Erdäpfeln auf den Teller. Die Butterschnitzel vom Wels sind ebenso intensiv gewürzt wie die Sellerie-Pastinaken-Creme ihre Zutaten geschmacklich in den Vordergrund stellt und die marinierten Roten Rüben mit einem hervorragenden Dressing überzeugen. Als Lokal setzt das Steinthal tendenziell auf helle Schlichtheit. Nicht nur auf der Facebook-Page, auch im Lokal schimmert der Musikgeschmack der Betreiber angenehm durch: So gibt es etwa seltene Plakate von Konzerten. Die Getränkekarte ist eher kurz, gefällt aber mit gut gewählten Weinen, bei denen schon der Hauswein von Raschbauer zu weiteren Gläsern motiviert, und einer kurzen, aber gelungenen Auswahl an Craft-Bieren. Und Lokale, die den Sauren Radler von sich aus auf die Karte schreiben, sind sowieso grundsympatisch. Das Steintahl und seine Köche wissen offensichtlich gute Zutaten einzukaufen und diese ungewöhnlich zu verarbeiten und dabei an bekannte Geschmäcker und Gerichte anzuschließen. Und zu wenig Fisch gibt es in Wiener Lokalen sowieso – eine absolut willkommene Ergänzung. muehl@thegap.at • @muehlmartin Steinthal, Aegidigasse 15, 1060 Wien Vorspeisen 3,90–6,90 Euro, Hauptspeisen 6,50–17,20 Euro steinthal.at

Andreas Jakwerth, Martin Mühl, Franz Reiterer, Katharina Halusa

Auch nicht schlecht: Birchermüsli und Aufweck-BJs

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Gabriel Roland

betrachtet die hiesige Modeszene Stück für Stück

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satzstück und damit zum Material für Neues. Im Bereich der Materialverwertung kann man das Recycling nennen: Aus einem Objekt wird wieder ein Material. Im Gestalterischen geschieht etwas ganz Ähnliches: Die kulturelle Bedeutung eines Gegenstandes wird erkannt und neu verarbeitet. Das ist ein in der Mode zentraler Prozess. In unserem Fall bleibt in allen Kategorien und Zuständen aber eines gleich: das Spenden von Wärme. roland@thegap.at • @wasichgsehnhab Näheres über km/a, die auch Kleidung aus Zeltplanen und Fallschirmen nähen, kann man unter kmamode.com erfahren.

Erli Grünzweil

Decken sind dafür bekannt, Wärme und heimelige Geborgenheit zu spenden. An kalten Wintertagen kann es durchaus vorkommen, dass man ihren Schutz nur sehr ungern verlässt. Auch in der Mode hat die Decke ihren Platz: Ponchos oder Shawls etwa sind wenig mehr als Rechtecke aus Stoff und doch sind sie als sichere Zuflucht vor widrigem Wetter beliebt. Manche Menschen haben aber auch noch andere Assoziationen zur Decke: Wer jemals in einem militärischen Umfeld Betten machen musste, hat die Überdecke als Maß höchster Genauigkeit kennengelernt. Zumindest beim österreichischen Bundesheer wird großer Wert darauf gelegt, dass die graue Wolldecke mit den grünen Aufschriften »Heereseigentum« und »Fußende« genauso faltenfrei wie das Leintuch unter die Matratze geschoben wird. So eine Heeresdecke liegt auch diesem Mantel von km/a zugrunde. Zwar ist es kein österreichisches Modell, sondern eines der deutschen Bundeswehr, das auf olivgrünem Grund sechsmal die Aufschrift »Bundeseigentum« ziert, man kann sich aber leicht vorstellen, dass es dereinst ebenso Instrument großer Akribie war. Ausgemustertes Heerestextil ist von höchster Materialqualität und in großen Mengen verfügbar – ideal zur Weiterverarbeitung. Katha Harrer, die Designerin hinter km/a, will mit ihren Mänteln Geschichten weitererzählen. Dabei dreht sich alles, wie so oft in der Mode, um kulturelle Versatzstücke, die nur hier nicht als Trend aufgegriffen, sondern als konkretes Objekt weiterverwendet werden. Genauso wie die Buchstaben und Linien am Mantel aus Bedeutung und Zusammenhang gerissen werden, wird die Decke als Ganzes zum Ver-

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Einteiler Deckmantel

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Illustration

Tha Geiszler

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Tha Geiszlers großartige Illus haben wir im »Landjäger Magazin« entdeckt und sie kurzerhand gebeten, sich etwas zum Thema Zukunft zu überlegen. Ihre Illustration greift das Haar als Rarität und Luxusgut der Zukunft auf mit einer Inszenierung wie bei einem Vesperbild. »Das Weave-Bundle als sterbender Jesus oder so.«, sagt die Künstlerin. Ihre Figur ist ein Produkt einer genderlosen Zukunft – reduziert auf geometrische Formen und teils kantige, teils flüssig runde Linien. thageiszler.com

Lieblingswitz

Karola Kraus

Die Kunsthistorikerin ist aus Deutschland nach Wien gekommen, um uns Witze zu erzählen und Generaldirektorin des MUMOK zu werden. Dort ermöglicht sie Jakob Lena Knebl gerade ein Ausstellungskonzept zu verwirklichen, das Arbeiten der Künstlerin mit der Sammlung des Hauses kombiniert.

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Elfie Semotan

e n i d n o l B e n i e t ha im e m h u c r s a a W Fl e r e e l e n i e n? r e e h e t imm s u z k n d a n r a h m e j a j Kühlsc s e t t h n c n i ö n r e Es k d , n e m m o k Besuch inken will. tr

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Igor Shpilenok ©

Damit Ihnen auch sicher nichts entgeht: Der Tote-Winkel-Warner im neuen Opel Zafira.

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Die NostalgieIndustrie 014-019 Gap 161 Coverstory.indd 14

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Warum ist gestern zum besseren Jetzt geworden?

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Willkommen im Retro Schick Schock Wie überzeugt man Konsumenten, die schon alles haben? Martin Dräger ist Geschäftsführer von Unruly Deutschland, einer Agentur, die sich auf Social-Video-Kampagnen spezialisiert hat. Er beschreibt auf Lead Digital, warum viele Firmen zu nostalgiebasiertem Marketing greifen. Der wehmütige Blick in die Vergangenheit, so Dräger, rückt das Gefühl sozialer Verbundenheit in den Vordergrund, senkt die Priorität des Verbrauchers, Geld zu sparen und erleichtert so Konsumausgaben. Schlussendlich sind so auch die, die keine Lust auf Fast-Fashion haben und lieber in Qualität statt in Wegwerfware investieren, nicht vor geschickter Werbung gefeit. Drägers Überlegungen kommen nicht von irgendwoher. Der Brand-Power-Index der amerikanischen Fachzeitschrift Adweek, der Marken nach ihrem Social Media Buzz (Menge von Erwähnungen im Social Web) und Online-Suchanfragen listet, hat 2016 Korrelationen zwischen einem nostalgischen Markenbranding und einem Anstieg des Interesses in der Online-Welt erkannt. Jack Daniels konnte mit seiner »Legend«-Kampagne einen 27-prozentigen Zuwachs im BrandPower-Index erzielen. Im Clip ist Musik von Mudhoney und Joey Ramone zu hören, darüber spricht eine tiefe Stimme: »He sat in on countless legendary recordings. He played with some of the biggest names in rock’n’roll. … His name is Jack.« Auch Coca-Cola bemühte sich, ganz vorne im Nostalgie-Segment mitzuspielen und brachte 2015 »Fanta Klassik«

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in die Läden. Der in orange gehaltene Spot sollte bewusst das Narrativ einer Vergangenheit bedienen, an die sich kaum noch jemand detailliert erinnert. Die »unverkennbare Ringflasche, ja, die von damals«, wie es im Spot heißt, macht sich bestimmt auch 2017 gut in Maries Küchenregal.

Frei nach dem Motto: »Gut wie früher. Nur heute« Wo globale Unternehmen die Sehnsucht des Verbrauchers nach Nostalgie bedienen, sentimentalisieren Medienunternehmen die Jugendkultur der 90er und 80er bis zum Erbrechen. Prominentestes Beispiel: Die Facebook-Seite »BuzzFeed Rewind«, die sich dem Teilen von Retro-Inhalten verschrieben hat. Welche Zeit man Revue passieren lässt, ist relativ egal – was zählt, ist die Idee. Britney, Britney, nochmal Britney. Star Wars. Paris Hilton, 2006 mit Kim Kardashian. Harry-PotterBadewannenzubehör. Aus bloßer Selbstlosigkeit geschieht all das natürlich nicht. Mittels Listenformaten werden Erinnerungen der »Kids of the 90ies« heraufbeschworen, um möglichst viel Reichweite und Klicks zu generieren. Sie heißen »23 Dinge, die du nur kennst, wenn du ein Kind der 90er bist« oder »27 Süßigkeiten, die du kennst, wenn du in den 80er Jahren aufgewachsen bist«.

Historische vs. persönliche Nostalgie Der Begriff Nostalgie tauchte übrigens erstmals in einem medizinischen Zusammenhang auf. Der Schweizer Arzt Johannes Hofer (1662–1752) beschrieb damit in seiner Dissertation ein krank machendes Heimweh, das besonders Söldner betraf. Inzwischen versteht man darunter eine sehnsuchtsvolle Hinwendung zu vergangenen Gegenständen oder Praktiken, die sich auch hervorragend für neojournalistische Spielereien eignet. Sarah [Name von der Redaktion geändert] ist Social-Media-Redakteurin bei einem der größten Verlage Deutschlands und denkt sich regelmäßig Retro-Listen aus. Ideen generiert sie aus ihrer eigenen Vergangenheit. Jeden Tag wird in ihrer Redaktion ein Thema vorgeschlagen und umgesetzt, das zur NutzerIdentifikation beiträgt. Inhalte also, die mittels Bildern, Fotos oder Statements persönliche Aspekte des Lebens aufgreifen. Eigentlich könne man so ziemlich alles wiederverwerten, so Sarah. »Süßigkeiten, Furbys, Filmmomente aus »Kevin – Allein zu Haus«, die Spice Girls, Big Brother, No Angels. All das, was die Bravo geschrieben hat, kann problemlos recycelt werden. Die Leute klicken das.« Ermüdungserscheinungen bei den Lesern kann Sarah bislang nicht bestätigen. »Dass ein Retro-Artikel funktioniert, erkennt man immer dann, wenn sich die Leute darunter taggen«, sagt Sarah. »Es macht schon Spaß zu sehen, dass man die Leute unterhält. Auch wenn ich nicht wirklich stolz auf die Storys bin.« Trash nennt man Artikel wie diese in der Journalismusblase mit einem gewissen Augenzwinkern. Dirty – weil sie weder einen klassischen journalistischen

Mehrwert bieten, noch in der Produktion besonders aufwendig sind. Mitte 2016 war »Pokémon Go« ein besonders beliebtes Thema. »Jeden Tag haben wir dazu etwas anderes gebracht. Kommentare dafür, Kommentare dagegen. Videos beim Spielen. Die Debatte um Pokémon-Lockmittel, die Spieler an bestimmte Orte bringen sollten.« In der App kann für Geld eine Art Köder gekauft werden, der für eine bestimmte Zeit Pokémon anlockt, die dann von allen Sammlern in der Nähe gefangen werden können. Geschäfte nutzten die sogenannten Lockmodule, um mehr Kundschaft anzuziehen und dabei up-to-date, niederschwellig und cool zu wirken – wer schnell war, polierte das Image seiner Marke mit den Aktionen nicht unwesentlich auf . Ende des Sommers war der Hype wieder vorbei, das marketinggerechte Revival eines Klassikers verkam zum verhassten Smartphone-Nervfaktor. Welche Erkenntnis bleibt nach der Pokémon-Affäre? Im Marketing verkörpert die Vergangenheit ein wichtiges Mittel für das Erreichen von Unternehmenszielen. Sind Konsumentenbedürfnisse in irgendeiner Form mit der Vergangenheit verbunden, so wird diese laut der auf Marketing spezialisierten Forscherin Tina Kießling zu einem wesentlichen Ansatzpunkt für die Vermarktung von Unternehmensleistungen. Sie unterscheidet grob zwischen persönlicher und historischer Nostalgie. Einige Konsumentengruppen sind ausschließlich bezüglich ihrer eigenen Vergangenheit nostalgisch, andere verehren explizit eine nicht selbst erlebte Vergangenheit – zum Beispiel die 70er oder 80er. Auch, wenn sie damals noch gar nicht auf der Welt waren. Ein Paradox? Diese historische Nostalgie lässt sich im Gegensatz zur persönlichen nicht mit den eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen. Sie beschreibt eine positive Einstellung gegenüber Objekten und Begebenheiten aus einer nicht selbst erlebten Vergangenheit. Es gibt vielzählige Gründe, die die persönliche und historische Nostalgie eines Individuums erklären. Während sich manche ausschließlich aus dem Bedürfnis nach Wissen für eine Epoche begeistern, empfinden andere aufgrund des Wunsches nach sozialem Anschluss und hedonischer Freude eine Verbundenheit mit diesem speziellen Zeitraum. Es ist also ganz und gar nicht unüblich, vergangene Epochen zu verehren. Schließlich kann die Bewunderung für eine bestimmte Zeit früh zum Bestandteil der eigenen Identität werden, so Kießling. Man denke nur an Menschen, die Vinyls aus den 60ern sammeln und diese stolz in ihren Regalen präsentieren. Unterschiede zwischen den beiden Typen gebe es dennoch: Während für persönlich-nostalgische Menschen die Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit eher eine Flucht vor Langeweile und temporärer Unzufriedenheit darstelle, schützen sich historisch-nostalgische durch ihre Zuwendung stärker vor Überforderung oder Werteverfall.

Erli Grünzweil

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Ob Flohmarkt-Mobiliar, »Gilmore Girls« oder »Pokémon-Go« – die Vergangenheit ist ein Symptom der Gegenwart. Wirft man einen Blick hinter die Retro-Maschinerie, kann das Flüchten in Dagewesenes nicht mehr als schlichter Ausgleich zu einer »schneller werdenden Welt« abgetan werden. ———— »Früher haben die Leute einfach mehr Stil gehabt«, sagt Marie. Die Lehramtstudentin wohnt in einer Altbau-WG, ihr Zimmer hat sie mit Möbeln vom Flohmarkt eingerichtet. Das grüne Sofa mit Samtbezug, auf das sie besonders stolz ist, hat nur 50 Euro gekostet. Ihre Kleiderstange (ausnahmsweise von ikea) ist berstend voll – auch dank Second-Hand-Klamotten aus dem Humana-Store. Im Wohnzimmer steht ein alter Plattenspieler, auf dem Tisch daneben eine rote, antike Kaugummi-Maschine – »zum Anschauen!« Ergänzt wird die Kulisse von freundlichen Polaroid-Partyfotos, die an einer dünnen Leine aus Stahl an der Wand hängen. Fesch, nicht? Sich wahlweise wie die eigenen Großeltern oder die älteren Geschwister in den 90ern zu kleiden, ist in gewissen großstädtischen Milieus Normalzustand. Die retroeske Überästhetisierung des eigenen Lebens ist dabei längst nicht mehr auf den Wohn- oder Kleidungsstil von vermeintlichen Hipstern beschränkt. Werbe-, Film- sowie Medienbranche haben erkannt, dass mittels nostalgischem Markenbranding finanziell einiges zu holen ist.

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»Teenager der 2000er haben ein mächtiges Werkzeug, um anderen ihre Emotionen und nostalgische Momente zugänglich zu machen: Das Internet.«

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»Früher war alles besser!« – Nur wann soll das gewesen sein? »In unserer Zeit, in der alles überall und jederzeit verfügbar ist, ist nichts mehr besonders. Dadurch wirken tolle Entwicklungen manchmal wertlos und selbstverständlich«, so Michael Haller. Er ist Werbefilmer bei der Agentur Jung von Matt in Hamburg. »Dass jeder in Sekunden eine Nachricht nach Amerika schicken oder mit seinem Smartphone ein gestochen scharfes Bild machen kann, wird nicht mehr als Wunder gesehen, im Gegenteil. Heute schreibt man eine Nachricht nur per Hand, wenn sie eine besonders hohe Wichtigkeit hat.« Auch bei digitalen Fotos, so Haller, versucht man über Filter wieder einen analogen Look zu bekommen. Instagram hat das Konzept der Remeditation perfektioniert: Die Repräsentation eines älteren Mediums in einem neuen durch das Überlagern von Fotos mit traditionellen Filtern. Während »Repro« die bloße Reproduktion oder Aufarbeitung alter bzw. vergangener Dinge bezeichnet, bedeutet »Retro« zumeist die Kombination von alten und neuen Elementen – beispielsweise Instagram-Filter im Polaroid-Stil. Zwei Begriffe, die oft verwechselt werden. Ob der Trend wieder vorübergeht? »Ich denke, dass es Retro immer geben wird«, so Haller. »Die fokussierten Dekaden werden sich lediglich abwechseln.« Der Zukunftsforscher Werner Mittelstädt schätzt, dass der Retro-Trend »noch fünf bis zehn Jahre anhalten wird.« Die Verklärung der Vergangenheit liegt laut dem Forscher auch daran, dass sich die Menschheit in einer Zeit des nie dagewesenen und unvorstellbar schnellen Wandels befindet. »Unstabile und unsichere Arbeitsverhältnisse gepaart mit einer angespannten politischen Situation sorgen dafür, dass sich Menschen nach einem Gefühl der Sicherheit sehnen. Sie suchen nach Stabilität und Einfachheit. Nach etwas, das sie bereits kennen.« Unabhängig von der tatsächlichen Lage kann ein realistisches Gefühl für die Gegenwart verloren gehen – gerade dann, wenn die Zukunft seitens gewisser Medien als Dystopie gezeichnet wird. Dass Konsumenten bewusst nach einer nostalgieerweckenden Werbung verlangen, glaubt Haller nicht. »Um ein Produkt auf der emotionalen Ebene an den Kunden zu binden, kann man den Hebel allerdings sehr wohl nutzen.« Laut Haller entsteht Nostalgie dann besonders stark, wenn etwas in der Zukunft unmöglich wird. Es ist der verstorbene Großvater, der jede Weihnachten die Kerzen auf dem Baum angezündet hat, weswegen sich das Fest nach seinem Tod nie wieder so anfühlen wird wie früher. Diese Szene kann man dann relativ problemlos in einen Werbefilm übersetzen. So ähnlich funktioniert auch der viral gegangene Edeka-Spot, in dem eine zerrissene Familie an einem gedeckten Weihnachtstisch wiedervereint wird. Der Clip verzeichnete bis heute 54 Millionen Views. Nostalgie per se schlechtzureden, findet Haller falsch. »Allerdings muss man aufpassen, dass sie nicht die Gegenwart einnimmt.

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»All das, was die Bravo geschrieben hat, kann problemlos recycelt werden. Die Leute klicken das.« — Sarah, Social-Media-Redakteurin

Das Gras war damals nicht grüner und es hat Gründe, warum man sich von seinem Partner getrennt hat. Nostalgie auf Produktebene ist da ungefährlicher. Das Cola in der Retro-Flasche schmeckt gleich wie das in der normalen und das Traumauto aus den 70ern sieht schön aus, schluckt aber 30 Liter. Es kann sein, dass man einen Fehlkauf macht, aber ansonsten ändert sich aus emotionaler Perspektive nicht viel.« Nostalgie, so Haller, wirke oftmals wie ein Filter, der Kleinigkeiten in der Vergangenheit eine riesen Bedeutung schenkt. »Sie ist es aber auch, die einen über schwierige Zeiten bringt und einen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt.« Anders als die medial geteilte Vergangenheit ist die private Nostalgie eine eher einsame Angelegenheit. Dass Menschen vor allem in traurigen Zeiten nostalgisch werden, kann als eine Art natürlicher Abwehrmechanismus gewertet werden. »Vergangene Zeiten«, schreibt Kießling in ihrer Forschungsarbeit, »bieten einen Zufluchtsort vor einer Reiz- und Rollenvielfalt und vor einer schnell wechselnden, als unpersönlich, wert- oder stillos empfundenen Gegenwart.« Werbung und journalistische Produkte können im effektivsten Fall für den gewünschten Wohlfühl-Effekt sorgen. Obwohl es das Nostalgie-Konstrukt nicht erst seit gestern gibt, unterscheidet sich der omnipräsente Trend heute in einem wesentlichen Merkmal von den Gefühlen von damals. Teenager der 2000er haben ein mächtiges Werkzeug, um anderen ihre Emotionen und nostalgische Momente zugänglich zu machen: Das Internet. Auf Social-Media-Kanälen wird das Ich nach außen getragen und durch das geprägt, was es online teilt. Memes, Videos und Artikel über alte Serien haben jeden Tag die Chance, ihr virales Potenzial zu entfalten. Marie hat sich heute Abend mit zwei

Freunden verabredet, sie wollen die neuen Folgen von »Gilmore Girls« streamen. Die erste Folge ist erschienen, als Marie sechs war. Den Countdown, den verschiedenste Medien auf Social Media gefahren haben, hat sie genervt. »Jede Seite hatte ein Quiz über das Liebesleben von Lorelai. Das ganze Internet war voll damit.« Und nicht nur das: Am 5. Oktober verwandelte Netflix mehr als 200 Cafés in den USA und Kanada in »Luke‘s Diner«. Eine Werbemaßnahme wie aus dem Lehrbuch. Filme via Fire Stick streamen – aber gleichzeitig Angst vor Amazons Macht haben. Wohnen wie die eigenen Großeltern – und dabei in Echtzeit via Twitter informiert werden. Es macht den Anschein, als hätte die westeuropäische Bevölkerung im vergangenen Jahrzehnt genug Technik gesehen, um sich wieder nach lackierten Möbeln der Nachkriegszeit zu sehnen. Dort, wo in den frühen 2000erJahren Mittelschichtskinder nach dem neuesten Nokia-Modell schrien, steht heute ein Biedermeier-Schrank auf dem Wunschzettel. Ein schlichtes Prestigeobjekt, das im Überfluss des Postkapitalismus auffällig nach Bildung und Expertentum riecht. Die alte Regel gilt also immer noch: Anders zu sein, als die anderen – selbst wenn es bedeutet, sich durch historische Nostalgie soziale Anerkennung zu erschleichen. Trotz aller Bemühungen schafft die permanente Wiederbelebung und Imitation der Vergangenheit lediglich eine kurzzeitige Verblendung. Fakt ist: Es gibt sie nicht, die gute alte Zeit. Zumindest nicht so, wie sie das gängige Narrativ darstellt. Kein Sepia-Filter, keine italienische Karottenhose, keine FujiSofortbildkamera in Neuauflage und kein lieblos programmiertes Pokémon-Revival wird sie den Menschen zurückbringen. Bianca Xenia Mayer

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20 große Söhne und Töchter aus dem The Gap-Umfeld erzählen von einschneidenden Erlebnissen und persönlichen Schlüsselmomenten ihrer Vergangenheit – und Zukunft. ———— Es klingt schrecklich banal: Aber ohne Menschen, die mit ihrem kreativen Schaffen, mit ihren Überlegungen und mit ihrer Kritik die Kultur und den Diskurs in diesem Land vorantreiben, hätten wir hier nichts zu berichten. Womit wir uns 2017 – 20 Jahre nach der Gründung von The Gap als Fanzine für Musik und Film – mehr denn je beschäftigen, sind großartige Ideen und Leistungen, deren UrheberInnen Österreich ihr Zuhause nennen. Warum wir das tun, hat nichts mit einem nationalistisch motivierten Pflichtgefühl zu tun, ganz im Gegenteil: Vieles, was hier vielleicht seine Wurzel hat, reüssiert international und denkt grenzüberschreitend. Der Grund ist, dass so viel – sei es in Musik oder bildender Kunst, im Start-Up-Bereich oder in einmaliger Projektarbeit – passiert, das eine kontinuierliche mediale Auseinandersetzung und Aufbereitung braucht. Unsere Jubiläumsausgabe ist daher nicht zuletzt den Menschen gewidmet, die mit Herzblut und Verstand Wichtiges zu ihrer Auffassung des Kulturbegriffs tun, die Szenen voranbringen, die verbinden aber auch polarisieren. 20 von ihnen haben wir daher gebeten, einen Beitrag für unsere Jubiläumsausgabe zu gestalten. Ganz persönlich soll es darum gehen, was für einzelne VorreiterInnen und GestalterInnen wichtige Schlüsselerlebnisse waren – oder sein werden. Momentaufnahmen aus der Vergangenheit stehen Utopien aus und Wünschen für die Zukunft gegenüber. In diesem Sinne: Auf die nächsten 20 leiwanden Jahre! Amira Ben Saoud

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DOKUMENTATION: Amira Ben Saoud, Manuel Fronhofer, Martin Mühl, Gabriel Roland, Yasmin Vihaus, Thomas Weber

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Vergangenheit

Die Erwachsenen waren keine große Hilfe

Andreas Hartner 020-035 Gap 161 Story.indd 21

» Dann kam der Game Boy. Und ich wollte einen, mehr als alles andere.«

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Meine Geschichte mit Videospielen ist eine Geschichte der Frustration. Mein erster Kontakt mit Games war unser Commodore 64 im Kindergartenalter. Dieser geheimnisvolle Kasten bereitete meinen Brüdern endlose Stunden Unterhaltung, mir hingegen begegnete er nur mit einem herablassend blinkenden Cursor. Ich konnte zwar schon ein bisschen lesen damals, aber der Eingabesprache Basic war ich nicht mächtig. Meine Brüder waren damals schon erwachsen und nur an den Wochenenden daheim. Nur wenn sie mir halfen, bot das renitente Gerät auch mir seine Dienste. Werktags musste ich also damit Vorlieb nehmen, durch die Mappe mit den riesigen 5 ¼ Disketten zu blättern und die Bilder auf den Games zu bestaunen. Es war ein ludisches Verhungern vor vollem Teller. Dann kam der Game Boy. Und ich wollte einen, mehr als alles andere. Und ich habe etwas bekommen, das so ausgesehen hat wie einer. Auf jemanden, der noch nie einen Game Boy in Händen gehalten hatte, hat dieses Gerät mit dem despektierlichen Namen »Game Child« wahrscheinlich sehr überzeugend gewirkt. Tatsächlich hat ein Game Child aber mit einem Game Boy so viel zu tun wie Brokkoli mit einer Schoko-Nougat-Eiscreme-Torte. Man konnte darauf ein einziges Spiel spielen, das auf einem winzigen lcd-Bildschirm ablief, ähnlich den Tricotronics. Ich hatte Fußball. Ein Game Child ist nicht so gut wie ein Game Boy, aber besser als nichts. Deshalb habe ich viele Stunden damit verbracht. Langweilige Stunden, begleitet von hämischem Piepsen – das einzige Geräusch, zu dem das vermaledeite Game Child fähig war. Dann irgendwann hatte eine Freundin diese wundervolle Maschine namens Super Nintendo Entertainment System. Der schnauzbärtige Klempner mit der roten Latzhose auf dem Bildschirm, der kleine Ninten-

do-Controller, mit dem sie ihn steuerte, die Musik dazu, das alles hat mich augenblicklich verzaubert. Der Besitz dieser Konsole war von da an mein sehnlichster Wunsch und ich setzte große Hoffnung in das herannahende Weihnachten. Und wirklich, unter dem leuchtenden Baum, da lag ein Paket für mich und es enthielt eine Gaming-Konsole: einen Sega Mega Drive. Der italienische Schnauzbart-Klempner kommt aber nicht zu Kindern mit einem Sega Mega Drive. Für Kinder mit einem Sega Mega Drive gibt es den blauen Igel auf Speed. Das Höllentempo von Sonic the Hedgehog zwingt einen dazu, immer und immer wieder von vorne anzufangen und sein Gaming zu perfektionieren, um es irgendwie durch das Level zu schaffen. Und manchmal war das so frustrierend für mich, dass ich einfach aufhören wollte zu spielen. Aber dann habe ich trotzdem weitergemacht. Weder dieses nervige Game auf der falschen Konsole noch das geistlose Game Child konnten meinen Videospieldrang niederzwingen und der Commodore-Kasten mit seinem blinkenden »Du kannst mich nicht bedienen«-Cursor hat mich erst recht angestachelt. Deshalb genieße ich es heute, Videospiele zu spielen so oft ich kann und ich habe nicht vor, damit jemals aufzuhören. Aber: Nur die Spiele, die ich will auf den Konsolen meiner Wahl. Niemals wieder Sonic the Hedgehog oder Game Child. Und Basic beherrsche ich immer noch nicht.

Conny Lee arbeitet als Games-Redakteurin bei Radio FM4, unter anderem für FM4 Extraleben, die monatliche Sendung über Videospiele. Außerdem produziert und moderiert sie Sendungen im Tagesprogramm.

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Zukunft

Im gesellschaftlichen Lebensumfeld gibt es viele Faktoren, die Entstehungsprozesse mit unterschiedlicher Intensität beeinflussen. Nicht alle sind regulierbar. Die von uns gewählten Einflussfaktoren lauten (Aus-)Blick, Sehnsucht, Ungewissheit, Beschleunigung, Unzeitlichkeit, Nostalgie, Dichte und Großmaßstäblichkeit. Zukünftig maßstabsgebende Maschinen wurden via www mit diesen Faktoren gespeist und aus den Ergebnissen mittels kognitiver Filter eine grafische Textur erzeugt. Die Darstellung all dessen eröffnet einen transzendenten Blick in die Zukunft und die unvorhersehbaren, wenngleich auch gewissen Veränderungen, welche es zu begreifen geben wird. Die Beschleunigung der Existenz in die Unzeitlichkeit bewegt sich in einem sich stets verdichtenden Gefüge aus Momenten. Wachsam wird beobachtet und die Sehnsucht nach dem Gewissen lässt den Blick verschwimmen.

» Die Beschleunigung der Existenz in die Unzeitlichkeit bewegt sich in einem sich stets verdichtenden Gefüge aus Momenten.«

aus.büxen ist ein Wiener Kollektiv, bestehend aus den Studierenden und Absolvierenden der Architektur an der TU Wien, Tina Anzinger, Klara Hrubicek, Christopher Rieke, Markus Steiner, Astrid Strak und Klaus-Michael Urban. Fokus und Forschungsgebiet sind Interventionen im öffentlichen Stadtraum. Das Kollektiv zeichnet unter anderem für das Mobile Stadtlabor der TU Wien mitverantwortlich. aus.büxen versteht seine Projekte als Experiment einer offenen Arbeitsweise, mit der eine informelle Form des städtischen Diskurses angeregt werden soll.

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Vergangenheit

1997 ... das tippt sich jetzt beinah schon etwas sperrig, so lange ist das bereits her. Obwohl, auch nur der Wimpernschlag einer Libelle, so im Lauf der Welt. Vor 20 Jahren also. Da gab es ja nix, bzw. fast nix von dem Zeug, das uns heute mehrere Stunden pro Tag wegfrisst. Die Erfinder von Youtube und WhatsApp waren grad aus der Mittelschule raus, die von Facebook, Spotify und Instagram hatten grad erst damit begonnen. Damals hatte unsereins also Zeit und konnte Magazine gründen. Oder in meinem Fall mit Radio FM4 daran arbeiten, Blue Danube Radio (bdr) zur Gänze zu übernehmen. Mein Lieblings-Coup: mit Ster-und Grissemann eine Morningshow (»FM4–Morgengrauen«) wochenweise voraufzunehmen und damit zwischen 5 und 6 Uhr früh die bdr-Tagesquoten in den Schatten zu stellen. 2000 war die Mission erfüllt, rund um die Uhr die etwas andere Musik, die etwas anderen Inhalte waren im Äther, FM4 war ein 24-Stunden-Sender – und über Österreichs Grenzen hinaus eine Marke. On- und Off-Air. Wermutstropfen daran: Der bis heute reichweitenstärkste Radiosender des Landes (Ö3, Anm. der Redaktion) verabschiedete sich bei der Gelegenheit sicherheitshalber von Musik aus Österreich. Die heimische Musikszene benötigte beinahe 20 Jahre, um sich davon zu erholen. Da gab’s immer noch kein iPhone. Ja noch nichtmal einen iPod (Pod, nicht Pad!), der iTunes Store ließ noch vier Jahre auf sich warten. Aber Internet gab es. Und Donnerstags-Demos gegen eine ungeliebte SchwarzBlau-Regierung. Ohne Flashmob, trotzdem zehntausende DemonstrantInnen jede Woche. Einen Innenminister, der sich darüber jetzt bitte keine Berichterstattung mehr wünschte – und enttäuscht wurde. Spätere Lobbying-Versuche sollten ihm weltweite Bekanntheit und eine Fussfessel einbringen. Ich kannte damals niemanden, der sich selbst oder sein Essen fotografiert hat. Auch keinen, der sich das angesehen hätte.

Als unter dem Kürzel mp3 die Revolution der Musikwelt um die Ecke geschlichen kam, konnte sich keiner ausmalen, welch brachiale Veränderung das bis dahin bekannte Musikgeschäft dadurch erfahren sollte. Schon gar nicht eine fettgefressene Musikindustrie, die eben ein Jahrzehnt lang den gesamten Musikkatalog dieser Welt nochmal auf CD verkauft hatte. Fans zahlten kurioserweise bis Anfang der Nullerjahre für die Musik ihrer Heroes, in Unkenntnis von Alternativen übrigens ganz ohne Sudern und Raunzen. Damit war bald Schluß. Statt Platten oder CDs zu kaufen, begann man, Files zu sharen. Das war aufregend, innovativ, voll anti-kapitalistisch, den MajorKonzernen den Mittelfinger gezeigt – und der Überlebensfähigkeit unzähliger kleinerer Indie-Labels gleich mit. Klar, Vielfalt im Netz und alles gratis ist wunderbar, die Einkommenssituation der KünstlerInnen weniger. Der Mittelfinger bahnte sich bald den Weg ins eigene Auge, als z. B. Konzertkarten plötzlich das Vielfache eines Albums kosteten. Andere Kultursparten wie Literatur und Film waren mit etwas Verspätung nicht minder von den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung betroffen. Hämische Journalisten-Kommentare à la »da muss man sich halt neue Geschäfts-

modelle ausdenken« hab ich mir dann sehr oft während meiner Universal Music-Jahre angehört. Eh. Dass Medienunternehmen die nächsten in der Reihe waren, bedeutet mir übrigens keine Genugtuung. Mittel und Wege zur Verbesserung der Rahmenbedingungen gesucht und erkämpft zu haben, allerdings schon. Etwa mit Spotify das Musikstreaming frühzeitig nach Österreich geholt zu haben. Oder mit der ifpi (dem Verband der Musikproduzenten) in einem jahrelangen Prozess sowohl die Festplattenabgabe als auch eine Mindestquote für heimische Musik in orfProgrammen durchzusetzen. Und etwas, woran sich kaum mehr jemand erinnert: gegen 2007 / 2008, und somit meilenweit vor Netflix und Amazon, war Österreich Dank Innovationsbereitschaft einiger Macher aus Medienund Mobilfunkunternehmen für kurze Zeit weltweit führend im Streaming von Bewegtbild. MobileTV hieß das, mit meinen Mitstreitern durfte ich mit UrbanTV und LaLaTV zwei originäre 24-h-Sender dafür bauen. Lief leider nur für ein paar Jahre, weil eindeutig zu früh dran gewesen, und nicht zuletzt durch eine Fehleinschätzung des damaligen HandyWeltmarktführers Nokia gekillt. Deren Technischer Direktor weigerte sich, Geräte mit größeren Displays zu bauen und begründete das 2008 in einem Meeting folgendermaßen: »Wissen Sie, ich glaube nicht an die Zukunft von Bewegtbild auf mobilen Geräten!«

Hannes Eder wurde anfangs als Musiker (The Bates), Journalist und Leiter der Ö3Jugendredaktionen auffällig. In Folge war er Mitbegründer und Programmchef von FM4, ORF Zentralbetriebsrat und im ORF-Stiftungsrat und Werbeagentur-Besitzer. Von 2003 bis 2016 war er CEO von Universal Music, seit 2007 Präsident der IFPI. Derzeit betätigt er sich – »in den großen Ferien« – als Business Angel.

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Was bisher geschah ...

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Zukunft

Crop Tops für alle!

Pamela Rußmann

Donnerstag Abend, Stammtisch. Irgendjemand bespricht eine seichte Liebeskomödie: Übliche Geschichte, Girl verliebt sich in Boy, Boy verhält sich inkorrekt, Girl interessiert sich nicht mehr für den Boy. Solche Liebesgeschichten laufen die Kinos auf und ab, immer die selbe Botschaft: Die Würde von Menschen ist unantastbar, und es gibt in Liebesbeziehungen keine schwächere Position, aus der heraus emotionale Gewalt ertragen werden muss. Die erste Runde geleert, jetzt wird’s politisch – wobei, das war es sowieso immer. Eine Statistik zeigt auf, dass immer noch 18% aller Frauen weltweit keinen Zugang zu gratis Hygieneprodukten haben. Kaum vorstellbar, wie es wäre, müssten wir monatlich für Hygieneprodukte bezahlen, oder überhaupt: Für Verhütung aufkommen! Einwurf: Könnt ihr euch noch erinnern, als Frauen die gesamte Last der Empfängnisverhütung tragen mussten? Nostalgisch werden Geschichten getauscht, zu Pille und Pflaster und Spirale, alle darauf ausgelegt, unseren Uterus unter Kontrolle zu halten, während Männer höchstens mal Kondome ins Verhütungsspiel brachten. Könnt ihr euch noch erinnern, als Frauen gleichzeitig ihre Selbstbestimmungsrechte verteidigen mussten? Und weibliche Sexualität vor allem an »Huren« und »Heiligen« abgehandelt wurde? Und wütende Mobs Gruselbilder vor Abtreibungskliniken hochhielten? Was für eine Welt! Auf der anderen Seite werden in kleiner Runde Bewerbungsschreiben bewertet. Wir machen uns einen Spaß daraus, uns vorzustellen, wie die Bewerber_innen wohl aussehen könnten. Aus standardisierten CVs lässt sich nämlich nicht ablesen, wem man dann beim Bewerbungsgespräch gegenüberstehen wird. Man stelle sich vor, es gäbe ein Bild hierzu, und es würde nach Aussehen, Herkunft, Geschlecht oder Alter entscheiden, wer zu einem persönlichen Gespräch geladen wird. Crazy! Als die Kanzlerin und die Sozialministerin damals den Vorschlag brachten, Bewerbungsschreiben zu anonymisieren, und gleichzeitig verpflichtende Quoten für börsennotierte Unternehmen einführten, war die Aufregung groß. Die Opposition stellte sich quer, und vor allem die Männer schienen Amok zu laufen. Kaum vorstellbar, dass sich jemals irgendwer ernsthaft gegen gleichberechtigte Partizipation

am Arbeitsmarkt quer gelegt hat. Wobei: immer noch gibt es Dinosaurier, die gerne betonen, die Frau wäre dazu geboren, um zu gebären. Solche Fanatiker finden sich manchmal am Stephansplatz. Zu zehnt schreiten sie dann im Kreis, halten Schilder hoch, »Frauenkarenz jetzt!« und »Kinder brauchen ihre Mamis!«. Erst kürzlich hat die Stadt Wien eine psychosoziale Helpline eingerichtet, um hier Hilfestellung leisten zu können. Woher ist deine Jacke? Schreit es mir über den Tisch. Die ist Vintage, schreie ich zurück, aus irgendeinem Shop, in dem es noch Kleidung gibt, die für Frauen oder Männer gemacht wurde. LOL! Damals, als Männer noch keine Crop Tops getragen haben und Frauen lächerliche Templates vor die Füße geworfen wurden. Wie frei es sich anfühlt, sozialisierte Geschlechterdifferenzierungen abzulegen. Wie frei es sich anfühlt, in dieser Welt zu leben.

Therese Kaiser ist Mitgründerin der Sorority, einer Initiative zur Vernetzung von Frauen über Branchen hinweg, die zum Ziel hat, unsere Zukunft so oder so ähnlich aussehen zu lassen.

Therese Kaiser, Feminismus

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01 — 05 marCH 2017 Graz / aUstria

#elevatefestival elevate.at

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ALLES GUTE ZUM

20ER 16TEN! AUS DEM

Wir gratulieren herzlich zum 20-jährigen Bestehen und erlauben uns, mit unseren jüngst beim „European Beer Star“-Wettbewerb vergoldeten Sorten Ottakringer Helles und Gold Fassl Pils auf euch anzustoßen. Prost!

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Erwin Wurm lebt und arbeitet in Wien und Limberg, ist international ausgestellter KĂźnstler und unter anderem fĂźr seine One Minute Sculptures bekannt.

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Zukunft

Bettina Kogler ist seit mehr als 15 Jahren im Bereich Tanz und Performance veranstalterisch tätig. Ab Jänner 2018 übernimmt sie die künstlerische Leitung von Tanzquartier Wien. Derzeit programmiert sie WUK Performing Arts und ist Performance-Kuratorin für das Donaufestival 2017.

Wir schreiben das Jahr 2047, ich habe mein siebtes Lebensjahrzehnt etwas überschritten, bin aber ganz gut in Form. Das Abspulen der zehn Kilometer langen Joggingstrecke drei Mal pro Woche, mein Yogatraining und das US-amerikanische Muskeltraining, das ich in den letzten 40 Jahren regelmäßig betrieben habe, haben sich doch ausgezahlt, denke ich, während ich ohne Unterwäsche in meinen Jogginganzug schlüpfe und mich auf den Weg zu einem Nacktrave der österreichischen Künstlerin Doris Uhlich mache. Ich freue mich darüber, dass dieses Format in der Zwischenzeit so populär ist und nicht mehr als Provokation wahrgenommen wird. Die Zeiten von Sexismus und Voyeurismus haben wir, Buddha sei Dank, längst hinter uns gelassen. Der Saal ist zum Bersten voll und energiegeladen. Die Grenzen zwischen TänzerInnen und Publikum verschwimmen. Partizipation muss man heute niemandem mehr erklären. Der 90-jährige Karl Regensburger, der noch immer das alljährliche Sommertanzfestival veranstaltet, ist auch da und ravt. Es gibt ein ständiges Kommen und Gehen. Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen entspricht der verkürzten Unterschenkelmuskulatur von High-Heels-TrägerInnen. Etwas wehmütig denke ich an die alten Tage zurück, an denen das Publikum hochkonzentriert und nahezu reglos auf der Tribüne saß und so auch eine Stunde ausharren konnte. Aber naja, früher war auch nicht alles besser … Es war ein langer Weg bis sich die Erkenntnis der Neurowissenschaften, dass Tanz zur Lösung der meisten Probleme beiträgt, durchgesetzt und eine gesellschaftliche Revolution bewirkt hat. Aggressionen, Burnout, Panikattacken, Depressionen und Melancholie – alles haben wir mit choreografischen

Mitteln hinter uns gelassen. Was folgte, war ein richtiger Hype. Der Beruf der Choreografin, der Tänzerin, der Performerin hat extrem an Bedeutung gewonnen und genießt heute hohe Aufmerksamkeit. Es gibt für alles eine Spielstätte. Tanz ist längst nicht mehr von Subventionen abhängig, sondern erwirtschaftet Gewinne. Besucherzahlen spielen keine Rolle mehr in einer Zeit, in der man Securitys braucht, um die Ein- und Ausgangssituation zu koordinieren. Ich bin froh, dass Wien diesen Trend rechtzeitig erkannt und alles getan hat, um die universitäre Ausbildungssituation für Tanz grundsätzlich zu überdenken. Heute liegen wir hier im globalen Vergleich ganz vorne. Gesellschaftlich hat sich die Akzeptanz einer Vielfalt von Körpern durchgesetzt. Die Diversity-Proteste der 2020er-Jahre haben sich eben doch bezahlt gemacht. Der Choreograf und Tänzer Michael Turinsky hat in dieser Zeit das itz, ein inklusives Tanztrainingszentrum gegründet, das heute nicht mehr wegzudenken ist. Und die Zeiten von Jérôme Bels Diversity-Shows sind auch vorbei, denn auch Diversity ist längst selbstverständlich.

» Die Zeiten von Sexismus und Voyeurismus haben wir, Buddha sei Dank, längst hinter uns gelassen.«

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Elsa Okazaki

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Wir tanzen weiter

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Life’s a piece of shit when you look at it*

Marion Holy

Erweckungserlebnisse? I had a few. Welche, die – polytoxisch befördert – die Welt auf den Kopf stellten, um nach dem Aufwachen mit anderen ungustiösen Dingen im Klo runtergespült zu werden. Zweifellos aber führten zahllose Konzerterlebnisse, mit allen Sinnen durchlebte Nächte, deren heftige Aufregungen und Anregungen – erfahren in der Kapu, im Landgraf, in der Stadtwerkstatt, im Chelsea, in den Stätten des nicht nur süddeutschen Hardcore-Wunders – zu einem prekären Leben mit Musik und einem damit verbundenen »Kulturbegriff«. Einem Kulturbegriff als Tool, die Wirklichkeit zu formen, zu einem anderen Leben, zu einer anderen Verteilung der Güter, zu einer besseren Welt. 1983: Ausflug zu den kanadischen D.O.A. in die Wiener Arena. Im bis heute nominell »besetzten«, selbstverwalteten Punktopia angekommen, jubilierte das 15-jährige Selbst. D.O.A. brauchten keine Punkuniform – sie hatten dennoch eine Optik, die sagte: anders! –, um ihren geilen Sound zu spielen. Die Arena schmeckte wie »the lunatics have taken over the asylum«. (»Gute Wahnsinnige«, wichtig festzuhalten, seit der 45. Präsident der USA im Amt ist!) Über 30 Jahre später wurde ich 2015 zum Obmann des Vereins Forum Wien Arena gewählt. Ein Verein, der seit vier Jahrzehnten als Erbe der Besetzung des Wiener Auslandsund Inlandschlachthofes in den 1970ern die Arena betreibt. Zwei Jahre bestimmten Themen und Probleme meinen Alltag, die mich als Musik- und Kulturarbeiter mein Erwachsenenleben lang beschäftigten und die auch in mein früheres Schreiben für The Gap einflossen. Themen, die nicht nur mich im Dauerzustand manischer Depression hielten, vertraut

aus den »kleineren« Linzer Häusern Kapu und Stadtwerkstatt in meinen 20ern: Selbstbestimmung, Kollektiv, Hierarchielosigkeit, die Anforderungen eines Veranstaltungsbetriebs, Vereinsstrukturen und Hilfsbetriebe, Förderstrukturen, der (Nicht-)Dialog mit einer Stadtpolitik mit anderen Problemen und Prioritäten. Das Dilemma, sich der zum keimfreien Eventainment neigenden Musikund Kulturindustrie scheinbar nicht versagen zu können … Ansprüche vs. Wirklichkeiten. Zunehmend abstrakte Bekenntnisse zu Nichtkommerzialität, zum Luxus des Inhalts, während der gewaltige Druck, ordentliche Umsätze produzieren zu müssen, alles flachmacht. Mensch hat keine Zeit mit Crass die Frage zu stellen »Do they owe us a living?«, weil mensch soviel owed. Die Musik und die Kultur, ihre Tröstungen, sind noch da, aber beim Balancieren mit unauflösbaren Widersprüchen und teils selbst geschaffenen Verbindlichkeiten, ist die bessere Welt nur mehr ein Merch-Item. Die gerechtere Gesellschaft baut mensch im Kleinen, für sich. Das klingt kulturpessimistisch, das ist kulturpessimistisch. Dennoch, jeder Tag, den ein Amerlinghaus, eine Arena, eine Kapu, eine Stadtwerkstatt, ein Wuk und ähnliche existieren, ist ein Triumph. Weil dort womöglich doch wieder einmal neu gedacht wird, Dinge doch wieder anders getan werden als vorgesehen. So wie der Punk mit eindrucksvollem Irokesen und ebensolchem Gemächt, der auf den Gehweg uriniert hat, damals 1983 in der Arena. * aus »always look on the bright side of life«, monty python

Rainer Krispel, 49, Vater, Musik(arbeit)er, Schreiber und zuletzt zwei Jahre lang Obmann des Vereins Forum Wien Arena.

Rainer Krispel, Riot

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Österreichischer Film auf der Berlinale Heuer ist Österreich mit vier Filmen auf der 67. Berlinale vertreten. »Wilde Maus« von und mit Josef Hader geht sogar ins Rennen um den Bären. Weiters werden die Dokumentation »Untitled« von Michael Glawogger und Monika Willi, der Psycho-Thriller »Tiere« von Greg Zglinski und das Familiendrama »Die beste aller Welten« von Adrian Goiginger gezeigt – wir haben die Zahlen.

Haders Berufe Würde er seine Arbeitsstelle in »Wilde Maus« nicht verlieren, wäre Musikkritiker der elfte Beruf, den Josef Hader in einer Hauptrolle ausübt. Zuvor war er bereits Bauer, Fremdenverkehrsbeamter, Detektiv, Leiter der Fremdenpolizei, Geldbote, Hochzeitshotelgründer, U-BahnFahrer, Pathologe, Polizist und Schriftsteller.

Reisen Als Doku-Experiment auf Reisen gedacht, wurde für »Untitled« in elf Ländern gedreht. Der während der Dreharbeiten verstorbene Regisseur Michael Glawogger sagte über sein Projekt: »Dieser Film soll ein Bild der Welt entstehen lassen, wie es nur gemacht werden kann, wenn man keinem Thema nachgeht, keine Wertung sucht und kein Ziel verfolgt. Wenn man sich von nichts treiben lässt außer der eigenen Neugier und Intuition.« Monika Willi vollendete seine Vision.

Auf Deutsch »Tiere« ist der vierte Spielfilm des polnischschweizerischen Regisseurs Greg Zglinski, aber der erste in deutscher Originalsprache. Zuvor drehte er »Kein Feuer im Winter« (französisch, albanisch), »Courage« (polnisch) und »Le temps d’Anna« (französisch).

Beliebt Adrian, der in »Die beste aller Welten« die Hauptrolle spielt und vor der Drogensucht seiner liebenden Mutter in eine eigene Gedankenwelt flieht, ist im Film sieben Jahre alt. In seinem Geburtsjahr 2009 war Adrian Platz 53 der beliebtesten Vornamen in Österreich. Apropos Namen: In den letzten 20 Jahren liefen elf österreichische Filme auf der Berlinale, die einen Vornamen im Titel haben.

Mehr auf: thegap.at / filmkulturoesterreich

Bezahlte Kooperation

Vergangenheit

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Zukunft

Es ist keine neue oder besonders außergewöhnliche Beobachtung: Techno ist im Kapitalismus angekommen. Wieviel Hype muss man um eine Party machen? Wie viele Postings braucht ein Event? Wie viel emotional aufgeladene Worte, Wiederholungen und Moralisierungen? Die künstliche Erschaffung eines Zugehörigkeitsgefühls und die gleichzeitige Denunziation der sog. »Hater« – alles Strategien, die auch den Populismus kennzeichnen. Ihre AnwenderInnen stellen sich dabei selbst auf eine Bühne, die es in dieser Kultur nicht geben sollte. Die Idee der Musik sollte eben anders wie in anderen Genres nicht vorrangig über Gesichter kommuniziert werden. Was ist passiert? Hat Facebook Techno zerstört? Oder war es Boiler Room? Das Geld? Die SponsorInnen? Früher wollten höchstens Energy Drinks oder Zigaretten ihren Namen für Techno hergeben. Heute ist es unter anderem das größte Telekommunikationsunternehmen Europas. Und natürlich hat das Auswirkungen. Von der Professionalisierung zur Kommerzialisierung. Von Musik zelebrieren zu sich selbst zelebrieren. Von Ecstasy zu Kokain. Von Entspannungsräumen zu Backstage-Räumen. Geht die Gegenwart von Techno gerade durch die Pubertät? So fühlt es sich jedenfalls manchmal an. Die Zukunft der Clubkultur sollte es sich also zur Hauptaufgabe machen, erwachsen zu werden, das Ego runterzuschrauben und sich darauf rückzubesinnen, was eine Technoparty eigentlich ausmacht. Diese Kultur wächst nicht durch Mega-Raves, Indoor-Feuerwerke, Star-DJs oder maßlose Promotion. Sie wächst in den kleinen, dunklen Nischen, durch viel Herzblut und diy. Mein Club der Zukunft hat keine Angst vor Experimenten, die Musik folgt nicht nur

dem 4/4 Takt, sie und die Tanzfläche sind die einzigen Stars, es gibt keine kahlen, stummen Backstageräume, deren Eintreten nur Band oder Schlüssel erlauben, sondern musikalisch untermalte Entspannungsräume, Licht und Dekoration fließen mit der Musik, spielen mit dem Verstand, die Smartphones bleiben in den Taschen, weibliche DJs, Produzentinnen und Veranstalterinnen sind keine exotischen Ausnahmeerscheinungen, das Publikum tanzt sich die Seele aus dem Leib, ohne sich vor Belästigung fürchten zu müssen. Und es sucht sich bewusst diese eine Party aus und nicht ein bestimmter Algorithmus im Newsfeed. Der Club, nicht nur als hedonistischer, sondern als kulturpolitischer Ort der Freiheit, des Respekts, des Miteinanders und einer Musik und Atmosphäre, die einen komplett durchdringt, die einen beim Betreten und Verlassen mit einem »Wow« zurücklässt. Meine Zukunft ist eine Utopie und hat dennoch schon existiert – und zwar in der Vergangenheit. Und das sage ich nicht aus nostalgischen Gründen oder der Ansicht, dass früher alles besser gewesen wäre. Aber um etwas tatsächlich zu begreifen, schau ich mir doch die Wurzeln und die Entwicklung an; wie die ersten Techno-Clubs und -Veranstaltungen, z. B. Ufo, Tresor, Planet, Loveparade, e-Werk konzipiert wurden – übrigens alle auch maßgeblich von Frauen. Das war vor fast 30 Jahren. Wann ist es eigentlich passiert, dass der Club zu so einem patriarchalen, kommerziellen, lieblosen und unpolitischen Raum geworden ist? In einer noch relativ jungen und lebendigen Kultur, deren Grundwerte sich auf Freiheit und Gleichheit besinnen, sollte es doch essentiell sein, dass man sich als Frau eben nicht benachteiligt und unfrei fühlt. Wir sind nicht 5 %, wir sind 50 %. Wann wird das

endlich auf und hinter den Line-Ups deutlich? Ich wünsche mir mehr Verantwortung, mehr Essenz und das eben nicht alles nur Halligalli und Bumm-Bumm ist. Der einzige Hype, der laut sein sollte, ist der, der sagt: Techno, werd’ erwachsen und trag’ Verantwortung! Mach’ kaputt, was dich kaputt gemacht hat!

Hannah Christ steht als Minou Oram hinterm DJ-Pult, organisiert die Technoparty »Scheitern« mit und stieß mit einem vielbeachteten Artikel im PW-Magazine, für das sie regelmäßig schreibt, eine längst überfällige Diskussion über das Ungleichgewicht in der (Wiener) Clubkultur an. Auch ihr Projekt Femdex widmet sich dieser Problematik und will Frauen in der elektronischen Musikszene zu mehr Sichtbarkeit verhelfen.

Hannah Christ, Clubkultur 020-035 Gap 161 Story.indd 30

Laura Schaeffer

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Was hat dich bloß so ruiniert?

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Vergangenheit

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Meine erste E-MailAdresse. Datum: irgendwann anno 1998

Lorenz Seidler (eSeL), Kunst 020-035 Gap 161 Story.indd 32

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eSeL (Lorenz Seidler) lebt und arbeitet unter dem Motto ÂťKunst kommt von kommunizierenÂŤ in Wien und im Internet. Er betreibt die Netzwerkplattform esel.at

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Zukunft

Ali Mahlodji gründete vor fünf Jahren mit Whatchado ein Unternehmen, das besonders jungen Menschen dabei hilft, Orientierung in der Berufswelt zu finden. 2013 wurde er zum EU-Jugendbotschafter ernannt.

ich nirgends hineinpasste? Nein, doch ich war mir bewusst, dass dies alles für etwas gut sein musste. Ich besuche regelmäßig Schulen in Europa und was mir dabei oft auffällt ist, dass Kinder – wenn sie noch nicht vom GesellschaftsDenken verdorben sind, viel flexibler, offener und (positiv gemeint) naiver über die Zukunft denken. Sie sind es, die das Element der Überraschung in ihr Leben lassen und jeden Tag offen für neues Wissen und die Wunder der Welt sind. Die Erwachsenen, also die Experten der heutigen Zeit, sind es hingegen, die oft den positiven Ausblick auf die Zukunft vermissen lassen, da sie allen Ernstes denken, dass das Wissen um die Vergangenheit auch unsere Zukunft voraussagt. Wir wissen aber nicht, wie die Welt in zehn Jahren aussieht. Und genau deshalb denke ich, dass wir beginnen sollten, den Dingen, die wir nicht kennen, eine Chance zu geben. Als Flüchtling kam ich nach Österreich, als Ausländer ging ich in die Schule, als Europäer habe ein Unternehmen gegründet und als Österreicher lebe ich jeden Tag mein Leben. Wir haben uns alle unsere Herkunft, unser Alter, unser Geschlecht und unseren Vornamen nicht ausgesucht und auch nicht, wann wir geboren werden und wann wir diese Erde verlassen. Und doch erlebe ich eine Welt, in der wir auf Basis dieser Faktoren in unsere Schranken gewiesen werden und in der manche denken, ein Vorrecht auf ihre Kultur zu haben. Die Flüchtlingskrise, die eigentlich eine Krise unserer Gesellschaft und ihres Mangels an Zusammenhalt ist, bedeutet die größte Chance für Europa, sich zu einen. Damit meine ich nicht nur die Integration von Menschen auf der Flucht, sondern eher die Chance, als Europäer zu wachsen und uns selbst zu beweisen, dass wir entwicklungsfähig sind. Ob wir das schaffen? Ja, wir schaffen das.

Ali Mahlodji, Karriere 020-035 Gap 161 Story.indd 35

Ali Mahlodji

Die Welt steht an einem Scheideweg und die Emotionen ihrer Bewohner schwanken zwischen gefühltem Endzeitdenken und einer Energiedrink-getränkten »Wir schaffen das«Mentalität. Und es sind immer diese Phasen, die mich daran erinnern, dass wir Menschen nicht besonders gut darin sind, mit Bedacht und Ruhe unsere Situation aus der Ferne zu betrachten. Als ich als Flüchtling nach Österreich kam, wuchs ich die erste Zeit in einem Flüchtlingsheim vor den Toren Wiens auf. Traiskirchen, eine Gratwanderung zwischen Hoffnungslosigkeit und dem Versuch, es doch zu schaffen. Ich war immer ein Fremder in einem fremden Land. Der Beginn meiner Karriere sollte auch das widerspiegeln, glaubte man den Experten am Arbeits- und Bildungsmarkt: Als Flüchtling die Schule hinzuschmeißen und dabei auch noch den falschen Nachnamen zu haben, machte mich zu einer Zahl einer Statistik, die nichts Gutes erahnen lassen sollte. Heute habe ich mit Whatchado ein Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern aus 20 Nationen, das tagtäglich daran arbeitet, den Berufsorientierungsmarkt neu zu definieren. Uns gibt es schon das fünfte Jahr, auch wenn uns eine Vielzahl von Menschen daran erinnern wollten, dass wir ja keine Experten sind und daher das Ganze nichts werden kann. Heute bin ich EU-Jugendbotschafter und berate zusätzlich Politik und Unternehmen dabei, mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen. Bin ich besonders stark oder intelligent? Nein, wohl eher bin ich mit meinem Lebenslauf ein Fehler im System. Doch für mich war es ein Privileg, das mich mein Leben lang dazu brachte, Wege zu gehen, die sich heute als die richtigen erweisen. Wusste ich damals, wie mein Leben verlaufen wird, wenn ich als Jobhopper über 40 Jobs versuche, weil mir nie einer zusagte und

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Ja, wir schaffen das

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Was nicht gekommen ist Wo lag die Fachwelt daneben? Sieben populäre Zukunftsthesen, die nicht (oder noch nicht) eingetreten sind.

Peak Oil

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Der Peak Oil war die Annahme, dass die Menschheit an einem Punkt (1978, 1995 oder auch in den Nullerjahren) die maximale mögliche Ölfördermenge erreichen wird und es danach unweigerlich bergab gehen wird. Man findet jedoch auch heute noch neue Ölvorkommen beziehungsweise Techniken, welche die Erschließung von bekannten Quellen wirtschaftlich machen. Dementsprechend ist diese Theorie ein gutes Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Sprünge Zukunftsthesen kaputtmachen.

Die marxistische Revolution

Das fliegende Auto

Vielleicht kommt sie in the long run ja eh noch. Aber zahlreiche Entwicklungen in modernen Staaten des 20. Jahrhunderts (die später abnehmende Zahl an Industriearbeitern, die starke Mittelschicht) hatte Marx zumindest nicht in der Intensität kommen sehen, so dass seine ursprünglich deterministische Sicht auf die Geschichte nicht eintrat. Der moderne Marxismus hat die Theorie adaptiert. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass wir am Vorabend einer Revolution stehen.

Seit den 1940er Jahren sagen Futuristen, aber auch Autohersteller wie Henry Ford das fliegende Auto voraus. Zahlreiche Prototypen wurden konstruiert, gingen aber nie in Serie. In jedem Sciene-Fiction-Film bewegen sich die Darsteller durch die Luft. Mit heutigem Stand sind wir davon trotzdem noch weit entfernt. Das fliegende Auto wurde so sehr zum prototypischen Zukunftsversprechen, dass der Satz »Where‘s my flying car?!« in der Populärkultur zur sprichwörtlichen Anklage an die enttäuschende Zukunft wurde.

Der Computer als Elitenphänomen

Die Grenzen des Wachstums

IBM-Chef Thomas Watson ging mit dem Satz in die Geschichte ein, dass er 1943 einen Weltmarkt von circa fünf Computern prophezeite. Das war natürlich völlig falsch ( jedes Quartal werden weltweit geschätze 70 Millionen PCs verkauft), hatte aber einen wahren Kern: Der Markt für Computeranlagen, die so groß waren wie ein Haus, ist auch heute noch überschaubar. Watson hatte vor allem die technische Entwicklung unterschätzt.

1972 sagte der Club of Rome in einem Bericht eine Zukunft mit dem Ende der Rohstoffe voraus. Unbestritten stellt das Bevölkerungswachstum die Welt vor große Probleme und viele Ökonomen machen sich Gedanken, wie eine Welt ohne Wachstum theoretisch funktionieren könnte. Aber die apokalyptische Voraussagen sind ausgeblieben. Vor allem, weil sich der menschliche Ideenreichtum als wichtigerer Faktor als die Rohstoffe herausgestellt hat.

Das Waldsterben

Das Ende der Geschichte

Anfang der 80er Jahre schien das Waldsterben unausweichlich. Forstwissenschaftler prognostizierten den Tod großer Wälder für 1986, Der Spiegel titelte mit »Der Wald stirbt«. Menschen gingen auf die Straße, die Debatte verhalf den Grünen in die ersten Parlamente. Heute weiß man, dass vieles an diesem Alarmismus hoch übertrieben bis falsch war. Allerdings wurden im Zuge dessen auch Schutzmaßnahmen ergriffen, die dazu beigetragen haben, dass es den mitteleuropäischen Wäldern verhältnismäßig gut geht.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama behauptete 1992, mit dem Fall der Berliner Mauer sei man in die Schlussphase der Geschichte eingetreten. Die kapitalistisch-liberale Demokratie habe endgültig gesiegt, totalitäre Systeme seien unweigerlich auf dem Rückzug. Die Theorie wurde in der Euphorie nach dem Kalten Krieg begeistert aufgenommen. Wie wir heute wissen, kam es doch ein wenig anders. Jonas Vogt

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Zukunftsforscher Matthias Horx im Interview

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»Prognostiker sind keine Päpste«

Klaus Vyhnalek

Matthias Horx vom Zukunftinstitut über die Grenzen der Zukunftsforschung, Leonard Cohen und seine besten und schlechtesten Prognosen. Herr Horx, warum können Sie die Zukunft besser voraussagen als ich? matthias horx: Wahrscheinlich kann ich das gar nicht. Vor allem dort nicht, wo es um Ihre persönliche Zukunft geht, denn die ist ja auch stark von Ihrem Verhalten abhängig. Was ich vielleicht besser kann ist, die

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verschiedenen Groß-Modelle, Szenarien und Behauptungen der Zukunftsforschung abzugleichen und daraus Wahrscheinlichkeits-Gewinne zu ziehen. Es geht darum, eine Übersicht über die Millionen von Prognosen zu behalten und dabei zu verstehen, was man voraussagen kann und was dem Zufall unterliegt, was wahrscheinlicher ist und was einfach nur Hype. Es geht dabei meistens nicht um Prognosen, sondern um System-Beschreibungen. Man nutzt die Zukunft als Spiegel, um die Gegenwart besser zu verstehen. Wir nennen

das die »Rekursion des Kommenden«: Die Zukunft wirft sozusagen ein Licht oder einen Schatten zurück. Welche Methoden kommen in der Zukunftsforschung zum Einsatz? Vieles ist zunächst einmal »educated guessing«: Man versucht, Muster in der Gesellschaft zu erkennen und sie nach vorne zu projizieren. Dazu braucht man viel Erfahrung und letztendlich journalistische Methoden. Dann gibt es die System-Methoden mit Hil-

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»Gute Prognosen irritieren eindimensionale Zukunftsbilder. Sie sind dann sinnvoll, wenn sie uns zu komplexerem Denken provozieren.« — Matthias Horx

fe von großen Datenmengen, »Big Data«. Schließlich arbeiten wir mit interdisziplinären Methoden – wir kombinieren Elemente der Spieltheorie, der Systemwissenschaft, der Komplexitäts- und Chaostheorie mit Probabilistik. Sind quantative Methoden besser als qualitative? Bedeuten mehr Daten auch bessere Prognosen? Das Beispiel der Ökonomen zeigt uns, dass Daten oft in die Irre führen. Die Ökonomen haben uns ja noch vor zehn Jahren mit mathematischer Präzision die Märkte und die Konjunkturen vorausgesagt. Und dann kam die Finanzkrise. Man braucht auch so etwas wie ein Gespür, ob ein System intakt oder krank ist, ob ein Trend fundamental robust oder volatil ist. Zahlen erzeugen da oft eine Scheinsicherheit. Man braucht ein Verständnis für Evolution im erweiterten Sinne.

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Wie lassen sich die Modelle, wenn es um Wahrscheinlichkeiten geht, überhaupt überprüfen? Es geht ja in der Tat nicht so oft um präzise Vorhersagen im Sinne eines bestimmten Datums oder einer Zahl. Konkrete Ereignisse sind schwer voraussagbar. Es geht um die Einschätzung von Märkten, gesellschaftlichen Systemen, Lebensformen, Wertewandel. Man muss verstehen, wo die Welt im Ganzen hingeht, weil viele Trends miteinander vernetzt sind. Zu jedem Trend existiert auch ein Gegentrend. Die Zukunft entwickelt sich nicht linear, sondern in »rekursiven Schleifen«. Richtig gelegen ist man, wenn man einen bestimmten Zustand des Gesellschaftlichen oder Ökonomischen richtig beschreibt, nicht so sehr, ob man den genauen Zeitpunkt dafür kennt. Kommunizieren Zukunftsforscher sinnvoll, oder lassen sie sich nicht auch selbst zu oft zu »sexy Thesen« hinreißen? Das ist das große Problem. Es gibt eine gesellschaftliche Nachfrage nach Zukunftsprognosen, in der nur die Extreme wahrgenommen werden. Wenn man den demnächst bevorstehenden Untergang von Wasauch-immer voraussagt, kommt man in jede Talkshow. Die Zukunft ist aber oft keine Sensation, alles ist eben viel komplexer. Wer hätte zum Beispiel vorausgesagt, dass die Herrschaft von Wutgefühlen, in Form des Populismus, unsere Zukunft bestimmen kann? Genau mit solchen mentalen, gesellschaftlichen Trends beschäftige ich mich intensiver als mit irgendwelchen technischen Super-Sensationen. Besonders zwei Ihrer Prognosen zum Internet als Massenmedium und Facebook werden immer wieder hämisch zitiert. Ärgert Sie das? Es ärgert mich so, wie es einen immer ärgert, wenn im Netz die üblichen Shitstorms toben, bei denen es nicht primär um inhaltliches Interesse geht, sondern ums Niedermachen. Ich habe vor fünfzehn Jahren gesagt, dass das Internet kein Massenmedium ist wie die Medien Fernsehen, Zeitung, Radio im Sinn von »One-to-many«-Kommunikation, sondern sich in tausend vernetzte Gebrauchsmuster zersplittern wird. Genau das ist eingetreten, aber das Zitat steht da als »Das Internet wird kein Massenmedium!«. Ja, in der Tat, aber da sieht man, wie es auf Nuancen der Sprache und den Kontext der Bedeutung ankommt. Ich habe vor sieben Jahren gesagt, dass Facebook bald einen Niedergang erleben wird. Das war ein Irrtum. Ich fand auch damals schon, dass die Nebenwirkungen eines solchen »ungeklärten« Mediums unakzeptabel sind – all der Hass und all die Blasen. Ich dachte, es kommt bald eine neue, bessere Plattform. Das war wishful thinking. Ein typischer Prognosefehler. Ja, Prognostiker irren. Sie sind keine Päpste. Ich irre auch. Und zwar so, dass ich daraus lernen kann. Wo liegen die häufigsten Fehlerquellen in der Zukunftsforschung? Wir haben in der historischen Zukunftsforschung herausgefunden, dass praktisch jede Technik, auch viele Ereignisse, vorausgesagt wurden, aber dass diejenigen, die das schafften, völlig unbekannt geblieben sind. Visionäre, die das Blaue vom Himmel versprachen, sind dagegen heute immer noch anerkannt und berühmt. »Richtige« Prognosen haben für mich eine andere Funktion als »die Zukunft vorauszusagen«. Denn das führt oft, gerade in Unternehmen, zu einer Tunnelsicht, einer Trend-Verliebtheit, die gefährlich ist. Gute Prognosen irritieren eindimensionale Zukunftsbilder. Sie sind dann sinnvoll, wenn sie uns zu komplexerem Denken provozieren.

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Gibt es Anzeichen, an denen man Ihrer Meinung nach unseriöse Aussagen über die Zukunft erkennen kann? Man kann davon ausgehen, dass jede Technik-Konferenz, auf der uns der intelligente Kühlschrank, fliegende Autos, Dienstroboter und die Superkünstliche Intelligenz vorausgesagt werden, komplett unseriös ist. Technischer Wunderglaube ist der Urfehler der Unseriosität. Seriöse Zukunftsforscher versuchen, die komplexen Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Psyche, Technologie und Ökonomie zu verstehen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die BeschleunigungsEuphorie Humbug ist. Wir sehen ja gerade, was passiert: Ein immer größerer Teil der Bevölkerung will lieber zurück in die Vergangenheit als in eine total digitalisierte und globalisierte Welt. Was war Ihre persönlich beste, was Ihre schlechteste Prognose? Meine beste Prognose war, dass es mir gelingen würde, eine langfristig liebevolle Beziehung zu meiner Frau Oona zu leben, die zwei tolle Söhne hervorbringen würde. Die schlechteste war die Annahme, dass sich der Übergang zur Wissensgesellschaft als kontinuierlicher Prozess ohne Krisen und Konflikte gestalten lassen würde. Ich war oft zu zukunftseuphorisch. Aber das Gegenteil, das apokalyptische Spießertum, dass an gar keine bessere Zukunft glaubt, ist noch viel falscher. Man muss verstehen, dass Krisen zum Zukunftsprozess dazugehören, im Privaten wie in der Welt. »There‘s a crack, a crack in everything, that‘s how the light gets in«, sang der unsterbliche Leonard Cohen.

Jonas Vogt

Matthias Horx (61) gründete 1998 das Zukunftsinstitut und gilt als der einflussreichste Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum.

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Was kommen könnte Sieben aktuell populäre Thesen zur Zukunft. Ob sie wirklich eintreten, steht in den Sternen. Wie immer.

Die Virtual Reality

Die Nanobots

Die Welt ohne Arbeit

Wenn wir über die »Medizin der Zukunft« reden, ist Nano wichtiges Stichwort. Nanobots, kleiner als eine menschliche Zelle, werden (vielleicht) irgendwann einmal autonom durch den menschlichen Körper streifen und Krebszellen erledigen oder Ablagerungen aus den Blutgefäßen kratzen. Diese Nanobots könnten in Zukunft Operationen selbstständig durchführen und viele medizinische Eingriffe unnötig machen.

»Durch die Automatisierung gehen schlecht bezahlte Arbeiten verloren« ist eine wirtschaftspolitische Binsenweisheit, die insgesamt zu einfach ist. Eher richtig: Repetitive Tätigkeiten (Fließbandarbeit, aber auch Buchhaltung) werden auf Roboter übergehen, während Arbeiten, die aufgrund wechselnder Begebenheiten analytisches Denken voraussetzen (Medizin, aber auch Gärtnerei), dem Menschen vorbehalten bleiben. Konzepte wie das Bedingungslose Grundeinkommen sind eine Idee, wie man ein erfülltes Leben weg von der Erwerbsarbeit bringen könnte.

Die Überalterung

Die Urbanisierung

Die Chance, dass ein heute geborenes Kind 100 Jahre alt wird, ist relativ hoch. Die Generation 50+ wird aufgrund des demografischen Wandels in Zukunft die relevante Gruppe für den Konsum sein und Industrie, Kommunikation, Architektur und Stadtplanung herausfordern. Man wird alte Menschen nicht mehr in Heimen in Randlage einsperren können. Das wird die Art verändern, wie wir bauen und den öffentlichen Raum gestalten. Weniger Stiegen zum Beispiel.

Die Flucht in die Ballungszentren wird weiter zunehmen. Das stellt nicht nur die Stadtplaner vor gewaltige Herausforderungen (wo soll Wien weiter wachsen?), sondern auch die Entwickler des schwindenden ländlichen Raums. Im Grunde stehen sich zwei Richtungen gegenüber: Die einen wollen den ländlichen Raum mit Breitbandinternet, kommunalen Fahrgemeinschaften und Betriebsansiedelungen aufwerten. Andere plädieren dafür, schwach bewohnte Gebiete ganz aufzugeben und zu renaturieren.

Die Unsterblichkeit

Die Planetenbesiedelung

Manche Millionäre im Silicon Valley glauben, dass sich der Alterungsprozess aufhalten und sogar umkehren ließe. Völlig undenkbar ist das nicht: Versuche zeigen, dass ältere Mäuse sehr positiv auf die Injektion von Blutplasma und Stammzellen jüngerer Mäuse reagieren. Ob das letztlich wirklich eine Unsterblichkeit bedeuten könnte, ist unklar. Aber in Kombination mit anderen, neuen medizinischen Möglichkeiten könnte es das menschliche Leben in Dimensionen bringen, die wir aktuell für völlig unmöglich halten.

Steven Hawking schätzt, dass die Menschheit etwa 1.000 Jahre hat, um einen neuen Planeten zu finden. Das mag populistisch sein, aber die Chance, dass die Erde durch eine Katastrophe unbewohnbar wird, wird in einer längeren Zeitleiste immer wahrscheinlicher. Der Mars ist nach aktueller technologischer Lage wohl die wahrscheinlichste Variante für eine mögliche Besiedelung.

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VR wird momentan vor allem im Kontext von Videospielen oder Pornos diskutiert. Das ist beides toll, aber die Einsatzmöglichkeiten sind auch darüber hinaus fast grenzenlos. VR wird körperlich eingeschränkten Menschen »Fernreisen« ermöglichen und das Training von Medizinern oder Sicherheitskräften so revolutionieren, dass reale Übungen überflüssig werden. Und in Kombination mit synchronisierten Sextoys den Partner überflüssig machen.

Jonas Vogt

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Pratersauna-Mitgründer Hennes Weiss im Interview

»Größenwahnsinnig waren wir schon immer« Genau ein Jahr ist es her, dass die Pratersauna unter ihren ehemaligen Betreibern ihre Türen schloss. Hennes Weiss spricht im Interview über das Closing, das LighthouseFestival und den bald erscheinenden DokuFilm »Der letzte Aufguss«. Bereut ihr es aus heutiger Sicht, die Sauna abgegeben zu haben? Mit einem Jahr Abstand muss ich sagen, dass man es auch ein Jahr früher hätte machen können. Irgendwie haben wir uns nicht loslassen getraut. Stefan und ich sind jetzt auch froh, dass wir die Pratersauna an jemanden übergeben haben, der ein ganz anderes Konzept hat. Wir wollten einen ganz klaren Schnitt haben. Wieso lief es am Schluss nicht mehr so? Die Energie war draußen. Die ersten zwei, drei Jahre haben wir selbst viel mitgefeiert und alles mit unserem persönlichen Spirit hochgezogen, haben die DJs selbst vom Flughafen abgeholt und 90 Prozent der Gäste waren nach einem Jahr Freunde von uns. Das hat sich ab dem dritten Jahr generationstechnisch geändert, aber auch musikalisch und finanziell. Irgendwann hatten wir selbst nicht mehr die Kraft und haben auch den Anschluss an die neue Generation verloren. Der Musikgeschmack der Wiener hat sich in eine Richtung geändert, mit

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der wir uns nicht mehr so identifizieren konnten. Wir hatten coole Underground-Bookings am Freitag oder Samstag, mit denen wir uns als Club profiltechnisch identifiziert haben und dann kommen 300, 400 Leute in einen Club, in den 1.000 Leute reinpassen. Auf der anderen Seite haben wir kommerziellere Acts wie Wankelmut und Alle Farben, mit denen wir uns nicht wirklich identifizieren konnten, an einem Dienstag oder Mittwoch gebucht, was eigentlich komplett verrückt ist, und dann kommen da 1.500 Leute, die Gastronomie war super belebt – du bist in einem finanziellen Zugzwang, das machen zu müssen, um zu überleben.

» Ich habe in den sieben Jahren Pratersauna kein einziges Bier verkauft, sondern alles nur verschenkt.« — Hennes Weiss

Ihr habt ja als zwei Nicht-Gastro-Menschen einen Club eröffnet. Wie groß war die Herausforderung? (lacht) Ich habe in den sieben Jahren Pratersauna kein einziges Bier verkauft, sondern alles nur verschenkt. Somit war unsere GastroLeitung nie sehr happy, wenn ich hinter der Bar gestanden bin. Aber ich weine keinem einzigen Euro nach, weil die Gastfreundlichkeit und dieser Spirit ist eben nur so gegeben. Aber am Ende des Tages muss ich sagen: Ich hasse Gastronomie, weil es das mühsamste Business ist. Es gab auch Phasen, wo es Probleme im Team gab und das Geld in falsche Richtungen ging oder Ware wegkam, weil der Stefan und ich das nicht im Griff hatten. Aber auch das sind Lernerfahrungen und was ich daraus schließe ist, dass ich eigentlich Clubgastronomie nicht mehr machen will. Den ehemaligen Poolfloor der Pratersauna habt ihr euch aber behalten. Kurz vor Weihnachten war dort eine Party, wie geht es jetzt weiter? Die Idee, dass wir dort etwas kleines Feines machen, hatten wir schon immer. Es ist der geilste Raum und wir wollten ihn einfach nicht hergeben – das war eine der vielen Bedingungen der Übergabe. Ich glaube das war von Stefan und mir auch unterbewusst so eine Sache

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Als Erinnerung bleibt ja die Doku, die im Februar erscheint ... Wie ist es dazu gekommen und was darf man sich erwarten? Ich habe mir schon öfter gedacht, eine Doku über die Pratersauna wäre geil, aber so etwas ist extrem teuer und aufwendig. Dann kam wie ein kleiner Engel Heikel, der aktuelle Regisseur, damals am Main Floor auf mich zu und hat gemeint, er will genau das machen. Das war etwa acht Monate vor dem Closing. Anfangs hatte ich schon Bedenken, weil er die ganzen letzten Monate immer mit der Kamera über der Schulter dabei war. Heikel hat auch ganz klar gesagt, dass er der Regisseur ist und wir praktisch keinen Einfluss haben. Manchmal ist das schon schwierig, gerade wenn man über Vertrauliches, Verträge oder Umsätze redet. Rausgekommen ist aber letztendlich eine Doku, wo in 60 Minuten fast das ganze Team dabei ist und Interviews gibt. Neben Archivmaterial geht es viel um das Closing an sich und viele Leute aus der Szene, die von Anfang an dabei waren, erzählen ihre Erlebnisse. Ich bin sehr happy mit dem Ergebnis und es ist einfach ein schönes Zeitdokument.

Es wird langsam zum Routine-Prozess, aber wir haben da auch extrem viel Zeit und Geld investiert – gerade in den ersten drei Jahren. Wir wollen das Konzept aber nicht verändern und wollen auch nicht, dass das Lighthouse größer wird. Deshalb gibt es vielleicht auch das auf den ersten Blick unfreundliche Buchungssystem. Es ist unser Projekt und wir haben den Luxus, uns selbst aussuchen zu können, mit wem wir feiern. Wir haben seit diesem Jahr eine neue Website, verbunden mit einer neuen Strategie, wie wir die Zielgruppe, die wir gerne hätten, etwas unter Kontrolle haben. Wir müssten aktuell die Artists gar nicht mehr ankündigen und es ist schon sehr schön, dass uns die Leute auch so vertrauen. Aber das Booking wird so gut, dass wir es selbst gar nicht erwarten können. Neben dem Lighthouse-Festival in Kroatien gibt es dieses Jahr auch eines in Südafrika. Das ist ja auch nicht gerade nebenan, wie kam es dazu? Größenwahnsinnig waren wir schon immer. (lacht) Ich war mit HVOB in den letzten Jahren öfter in Südafrika und habe gemerkt, dass da extrem viel passiert. Es ist eigentlich durch Zufall entstanden, ich war vor zwei

Jahren in einem Naturschutzgebiet mit einem wunderschönen Lighthouse. Ich fand die Idee schön, dort ein Festival zu machen. Noch dazu muss man sagen, dass das Lighthouse an sich in Kroatien ja nur so ein halbes ist, das hat ja nicht einmal einen Turm. (lacht) Wir riskieren das jetzt einfach und ich glaube, dass das durch unsere bisherigen Erfahrungen funktioniert. Es ist ganz klar auf die Local Community ausgerichtet, wir erwarten nicht, dass da besonders viele Leute aus Wien kommen. Wenn du deinen Kindern über die sieben Jahre Sauna erzählst, wo wirst du anfangen? Schwierig. Ich befürchte, die feiern dann auch gern. (lacht) Ich bin extrem dankbar, dass es so passiert ist, auch wenn es körperlich, geistig, psychisch und physisch eine extremste Anstrengung war und ich eigentlich beruflich ganz etwas anderes machen wollte. Fashion, Branding, Agentur, so etwas – dass ich dann in einem Club gelandet bin, hätte ich mir auch nicht gedacht. Ich bereue es auf jeden Fall nicht.

Yasmin Vihaus

Die Pratersauna-Doku »Der letzte Aufguss« von Heikel Ben Bouzid feiert am 11. Februar im Filmcasino Premiere, im Anschluss an den Film findet eine Party am Poolfloor der Pratersauna statt. Das Lighthouse Festival findet von 24. bis 26. Februar in Südafrika und von 24. bis 28. Mai in Kroatien statt.

Marco Leimer, Claudio Farkasch

Das Lighthouse Festival bleibt ja nach der Pratersauna-Ära bestehen. Wie laufen die Vorbereitungen? Ich glaube, dass das Lighthouse Festival für uns die Weiterführung der Pratersauna auf ei-

nem anderen Level ist und dass wir damit bald mehr erreicht haben, als wir in der Pratersauna in sieben Jahren erreicht haben – auch auf internationaler Ebene. Wir merken das jetzt schon anhand der Artists und am Feedback der Agenturen.

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des Nicht-Loslassen-Könnens. Mal schauen, was wir damit jetzt die nächsten Monate machen.

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Zukunft

Livin Farms

Etwas war anders als sonst. Er merkte es beim Aufschauen, sah sich um, graue Couch … Das Wohnzimmer war wie immer, nur sie fehlte. War sie nicht gerade noch mit ihm auf der Couch gesessen? Hatte ihm von ihrer Arbeit erzählt? In letzter Zeit war sie ganz verrückt darauf, etwas Neues, Innovatives für ihr gemeinsames Geschäft zu starten. Er setzte sich auf und streckte sich. Seine Glieder fühlten sich steif an, als hätte er lange geschlafen. Sein Hals war trocken. Kaffee, er brauchte Kaffee. Das Licht in der Küche war blendend. Er ging automatisch zur Kaffeemaschine. Dort erst hielt er inne. Die Kaffeemaschine war weg. Bei näherer Betrachtung fehlten auch der Toaster und der Mixer. Stattdessen stand neben dem Kühlschrank ein quadratischer weißer Turm mit Schubladen, der eindeutig keine Kaffeemaschine war. Schon wieder eine neue? Er schüttelte den Kopf. Luise und ihre Küchenmaschinen. Ein Summton riss ihn aus seinen Gedanken. Am Esstisch vibrierte ein Handy, das ihm vage bekannt vorkam. War das seines? Er konnte sich nicht erinnern, ein neues gekauft zu haben. Das Gesicht am Bildschirm war eindeutig Luises. Eine neue Nachricht. Hast du die Würmer gefüttert? Er starrte eine Weile auf den Bildschirm. Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Dann tippte er eine Antwort. Wo ist die Kaffeemaschine? Zehn Sekunden, dann ein Brummton. Du trinkst doch seit Jahren keinen Kaffee mehr? Bitte nimm auch die Ernte von heute heraus und frier sie ein. Kuss! Paul runzelte die Stirn. Er trank zwei bis drei Espressos am Tag, zu viel für seinen Geschmack. Aber aufgehört hatte er bestimmt nicht. Er hatte auch keine neuen Fotos an den Kühlschrank gehängt und trotzdem waren sie da. Als er näher ging, wurde ihm kalt. Da waren er und Luise am Grand Canyon, dort standen sie am Eiffelturm. Jetzt musste er sich setzen. Am Grand Canyon war er noch nie gewesen und die Parisreise hatten sie gerade erst geplant. Wie konnten jetzt schon Fotos davon hängen?

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Jetzt erst fiel ihm auf, dass an der neuen Küchenmaschine ein grünes Licht leuchtete. Er konnte sich nicht erinnern, sie eingeschaltet zu haben? Wozu auch, er hatte keine Idee, wozu sie diente. Eine der weißen Schubladen stand einen Spalt offen. Ein silberglänzender Schriftzug verkündete den Namen der Maschine: Hive. Die oberste Schublade ließ sich leicht herausziehen. Der Inhalt ließ ihn erstarren. Würmer. Er schob die Schublade zu, holte einmal tief Luft und probierte eine andere Lade. Darin waren die Würmer kleiner. Hm, irgendwie niedlich, dachte er sich. Darunter fand er Käfer, irgendwie roch es

wie Müsli, sie aßen schließlich Haferflocken. Der Hive schien Würmer zu züchten, zu füttern und … zu ernten? War Luise jetzt völlig verrückt geworden? Mit einer Vorahnung öffnete er den Kühlschrank. Darin standen drei durchsichtige Dosen, säuberlich beschriftet. Die Handschrift stach ihm sofort ins Auge. Das waren seine Buchstaben, seine Art, das Datum auf amerikanische Art zu schreiben. Er hatte diese Dosen beschriftet. Und er glaubte zu wissen, was er darin finden würde. Nacheinander öffnete Paul die Dosen. Er fand Chilli con Carne, wie er es immer kochte, nach Lorbeer duftend und mit einer einzelnen Chillischote. Nur das Fleisch fehlte. Stattdessen hatte er die Würmer aus der Maschine genommen, daran bestand kein Zweifel. Er zögerte. Das war seine Hand-

schrift. Er hatte dieses Chilli gekocht. Und jetzt würde er es probieren. Unglaublich! Die Würmchen zergingen ihm wahrlich auf der Zunge. Eine leicht nussige Note, die hervorragend zum feinen Lorbeer passte. In der anderen Dose eine Variante seines berühmten Eiaufstriches! Ganz klar waren da kleine knusprige Würfelchen an Wurm drin. Paul nahm einen großen Finger voll von der Paste. Er musste schmunzeln. Das kam ihm dann doch absurd vor, wie selbstverständlich er das gerade gemacht hatte. In der letzten Dose war eine in Butter, Honig und Meersalz geröstete Variante dieser Wurmdinger. Das machte er normalerweise mit den Mandeln, die er oft am Samstag vom Naschmarkt holte. Lecker. Und dazu kein Kaffee. Na toll. Er krallte sich die Dose und sank auf die Couch. Eine Stimme aus dem Off. »Hast du mir überhaupt zugehört?« Er sah auf. Graue Couch, Licht gedimmt. Ihre großen grünen Augen. »Ich glaub’s nicht“, sagte sie. »Ich plane hier meine Zukunft. Unsere Zukunft! Und du schläfst ein? Ich wollte doch mit dir brainstormen, womit wir kochen könnten, für die Kochschule. Ich glaub, wir brauchen dafür etwas Neues, Gesundes, etwas das Potenzial hat und nachhaltig ist.« Gänsehaut auf seinen Oberarmen. Der Blick zum Kühlschrank. Dann sofort zur Kaffeemaschine. Puh, Gott sei Dank, noch da. Er lächelte kurz in sich hinein »Schatz«, sagte er. »Ich denke, du solltest Würmer nehmen. Würmer sind gut. Würmer sind die Zukunft!«

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»Wir sollten Würmer füttern, Schatz!«

Katharina Unger ist Industriedesignerin und Gründerin von Livin und Livin Farms, letztere bekannt für den »Livin Farms Hive«, eine Farm für die Mehlwurmzucht, um in den eigenen vier Wänden Mehlwürmer zum Verspeisen zu züchten. Katharina ist momentan in Südchina, um die erste Produktionsreihe des über Kickstarter und Vorbestellungen finanzierten Hive zu veranlassen. livinfarms.com

Katharina Unger, Food 31.01.17 17:52


Vergangenheit

Der Tag, an dem sich mein Leben entscheidend veränderte, könnte ein Tag im März 2008 gewesen sein. Ich hatte im Jahr davor Problembär Records gegründet, ohne der Ambition oder der Hoffnung, davon leben zu können – es ging um den Spaß, Musik aus meinem undergroundigen Umfeld rauszubringen. Ende 2007 kontaktierte mich dann ein 20-jähriger Junge namens Nino via Myspace; ich hörte mir seine Demos an; sie waren sehr roh, mit verstimmter Gitarre und so lo-fi, dass Daniel Johnston im Vergleich wie »Dark Side Of The Moon« von Pink Floyd klingt. Aber das Songwriting war mega, da hatte ich wohl ein Riesentalent gefunden. Nach den ersten Treffen mit Nino war klar, das ist auch eine interessante Persönlichkeit, ein Popstar für eine »bessere« Welt, für »meine« Welt. Wir einigten uns auf eine gemeinsame Vision. Der nächste Schritt war der erste Gig; da ich mir sehr unsicher war, ob er es live bringen würde und ich ihm auch keinen großen Druck bei seiner ersten Show zumuten wollte, hab ich über einen Bekannten, der in einem Jugendzentrum in Purkersdorf arbeitete, dort dann das erste Nino-Konzert gebucht – fern der Augen einer damals wie heute mißgünstigen Wiener Szene. Und was meine Augen und Ohren da erleben sollten, war der erste große Heureka-Moment meiner Musikmanagement-Karriere. Das Publikum bestand aus vier circa zehnjährigen, gelangweilten Jugendzentrum-Kids (von denen zwei nach ein paar Songs den trostlosen »Saal« verließen), aber ich war wie erschlagen, wie überrollt, wie auf einem anderen Planeten: Da steht dieser im Gespräch so schüchtern wirkende Typ und spielt ein 90-Minuten-Set mit Songs, die noch niemand zuvor gehört hatte, und alles war perfekt . »Es geht immer ums Vollenden«, »Wo ist nur dein Leben«, also spätere Klassiker, aber auch Songs, die teilweise bis heute unveröffentlicht (aber brilliant) sind. Und er spielt sie mit einer Nonchalance, einem Gestus und einem Selbstvertrauen, das ich bis zu dem Zeitpunkt von – sonst oft so streberhaft-

» Ende 2007 kontaktierte mich dann ein 20-jähriger Junge namens Nino via Myspace.« spießigen – österreichischen Indie-Musikern nicht erlebt hatte. Quasi David Bowie im Jugendzentrum nebenan. Quasi: bestes Konzert meines Lebens. Ich glaub ich hab während des ganzen Auftritts nicht geklatscht; zu sehr war ich mitgenommen, gefangen, wie in Trance. Nino hatte was von einem Schamanen, ein Schamane mit Hoodie und Nike-Schuhen. Ich erinnere mich: Auf dem Heimweg von Purkersdorf (Ninos Bruder fuhr uns) redeten wir darüber, wie sehr uns beiden der Song »Another Girl Another Planet« von The Only Ones gefalle. Auch wenn‘s in Wahrheit in dem Lied um Heroin geht und was es mit einem macht, fühlte ich mich nach dem Gig wie Peter Perrett in dem Song; wie auf einem anderen Planeten. Und ich wusste: mein Leben wird sich ändern.

Stefan Redelsteiner ist der Gründer von Problembär Records und Musikverleger; momentan betreibt er die Management-Agentur Redelsteiner, ist Co-Betreiber von Lotterlabel und Hälfteeigentümer des Buchverlags Redelsteiner Dahimène Edition (verlegt unter anderem Stefanie Sargnagel). Redelsteiner managte den Nino aus Wien von 2007–2015, Wanda von 2013–2016 und ist seit einem Jahr Manager von Voodoo Jürgens sowie von einigen anderen coolen Acts. redelsteiner.com

Stefan Redelsteiner, Musik 040-059 Gap 161 Story.indd 44

Stefan Redelsteiner

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Bowie im Jugendzentrum

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WWW.B E N E . C O M

I AM

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Zukunft

Die Suhrkamp-Autorin Ann Cotten (34) wurde in Iowa geboren und wuchs in Wien auf. Momentan lebt sie in Berlin und Wien. Im Laufe ihrer literarischen Karriere hat sie das Spiel mit Formen und Genres perfektioniert. Ihr aktuelles Buch »Verbannt« etwa ist ein turbulentes Versepos, von Cotten selbst illustriert. 2017 wird sie mit dem renommierten Hugo-BallPreis ausgezeichnet.

Wenn ich sehe wie ungeschickt wir unsere Tage angehen, klammernd an idiotische Einbildungen und Vorschriften oder zaghaft unter Bettdecken verharrend, bis das Licht so trüb ist, uns nicht mehr mit unseren vielen Möglichkeiten zu erschrecken, dann verlässt mich jeder Mut für die Zukunft. Dann ist es am Tag, mich zu trösten mit Ereignissen, die mich aus dieser Stimmung rausholen. Jeden Tag wiederholt sich diese Struktur. Alles ist verloren – und im letzten Augenblick taucht eine Atmosphäre auf, die die Werte umkehrt. Für unentschiedene Menschen wie mich scheint es mir Gift, das zu wissen. Eigentlich sollte aus solchem Wissen um die Relativität von aller Weisheit sprießen, aber in Wirklichkeit bedeutet das pragmatisch nur, dass man jederzeit bereit ist, wahllos alles in Frage zu stellen, wenn man, zum Beispiel, unterzuckert und genervt ist. Wie ein Neugeborenes wird man zuweilen gar akustisch existentiell, wenn nicht alles klappt, wie man will. Darin, diese wiederkehrende Situation zu reiten, besteht vermutlich die Aufgabe. Wenn sie gelöst wird, so nicht von mir. Irgendeine Schönheit ist es, die mir sagt: lass los. Du musst nicht immer am Steuer sein, du musst nicht wissen, wohin es dich trägt, es trägt dich wohin.

Ja aber ich muss doch wenigstens irgendwas glauben? Glaub mich, sagt die Schönheit. In dem Augenblick bin ich verführbar und schon verführt. Ich brauche also Schönheit in meinem Leben. Das ist das einzige, was feststeht. Alles andere sind irgendwelche Gewohnheiten, ich könnte auch andere haben. Leb ich in Wien oder Berlin oder Novosibirsk oder Tomsk oder im Hartz? In der Stadt oder am Land? Meide ich meine Freunde oder versuche ich sie zu domestizieren? Wie leicht bin ich zufrieden mit Möbeln, die ich selber baue? Wie lange halte ich es aus, andere zu imitieren? Die Fragen sind letztlich Fragen nach dem Maßstab. Der soll mir in harmonischen Verhältnissen zu Armut und Reichtum anderer stehen. Das ist eine Lebensaufgabe. Ich müsste etwa zwanzig Jahre als Trucker verbringen oder fünf im KZ, um meinen bisherigen Verbrauch an kommerziell produziertem Fleisch auszubalancieren. Will ich nicht, hab ich nicht vor. Harmonie kann man nicht bescheißen, das ist Mathematik. Ich meine ganz konkret, wie in der Akustik so im Leben: gute und rhythmisch wiederkehrende Proportionen erzeugen die Musik. Ich will in einer Gegend leben, wo diese Harmonien zu hören wie zu sehen sind. Wo die gegenseitigen Verpflichtungen mehr konkret als legalistisch empfunden werden, also die Leute ein musikalisches moralisches Verhältnis zueinander haben, wie nach Kropotkins Theorie der gegenseitigen Hilfe, nicht aus Altruismus, sondern aus der Ahnung von der Musik der Welt, die das Reihumgehen von Zuneigungen erzeugt. In den letzten drei Wochen habe ich zum ersten Mal im Leben eine größere Menge Benzin erworben und verbraucht. Die Verbrauchtheit am eigenen Gesicht gespürt, die das Autofahren in hohem Tempo hinterlässt. Die Unverhältnismäßigkeit dieser Fortbewegungsart mit meinem Ziel, die Wirklichkeit der Gegend zu erfahren, vermeint zu spüren. Ich gelobte, es soll immer griffiger werden, das bedeutet, für alles den passenden Gang zu wählen. Und dennoch bleibt jeder Morgen grau und etwas Ratlosigkeit erweckend.

Ann Cotten, Sprache 040-059 Gap 161 Story.indd 46

Julien Menand

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Ein sich in Variationen wiederholender Tag

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In Hamburg sagt man Moin. Moin Moin ist schon Gesabbel!

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Vergangenheit

Das Rabenhof Theater braucht Rock ’n’ Roll! Das war klar, als ich im Sommer 2003 sehr kurzfristig und unter äußerst schwierigen Bedingungen das Haus übernommen habe. Dort brauchte es das Zerbrechen der klassisch-bürgerlichen »gläsernen Decke«, die im deutschsprachigen Kunst- und Kulturbetrieb so besonders beliebt und undurchdringlich ist. Und dort brauchte es vor allem auch die Schnittstelle zu einem jungen, spannenden – und interessierten Publikum, welches grundsätzlich eher keine sonderliche Affinität zum konventionellen Wiener Kulturbetrieb aufweist. Also brauchte es natürlich Künstler und Themen, deren Persönlichkeit und Inhalte, für dieses Publikum ein spannendes Argument waren, für eine Rabenhof-Show ein Ticket zu erwerben. Ich meine hier die Anfänge von Maschek oder Austrofred. Ich meine die Entwicklung des Protestsongcontest oder die jetzt schon fast eineinhalb Jahrzehnte dauernde Kollaboration mit Stermann und Grissemann. Und es brauchte vor allem auch Medienpartner, die bei diesem potenziellen Publikum Kredibilität genossen, um unsere künstlerischen Angebote zu kommunizieren. Und da war natürlich The Gap unser wichtigster Ansprechpartner. The Gap stand damals wie heute für zeitgemäße, urbane Inhalte im Bereich Popkultur, hatte und hat die entsprechende Kompetenz bei Szene wie bei Publikum. In der Tat hatten wir vom Start an span-

nende Überschneidungen. Ich denke nur an den schon erwähnten Protestsongcontest oder an die Gerhard-Haderer-Politpuppendesigns, die schon vor der ersten Show das neueste The Gap-Cover zierten. Ich denke aber auch an die äußerst befruchtende Zusammenarbeit mit dem schrägen Kunstkollektiv Monochrom. Ein ziemlich abgedrehtes »Musical« unter dem Titel »udo 77« mit einem Plot, den man sich als »Prozess« in einem BonitätsprüfungsComputerprogramm vorzustellen hat. Aber in Wirklichkeit ging es um Aufstieg und Fall des kriminellen Selbstdarstellers, Mörders, Szeneund Politclowns Udo Proksch. Gemeinsam mit The Gap und dem Sender FM4 wurden über die Soundpark-Plattform junge Musikerinnen und Musiker stimuliert, für diese Show Lieder zu schreiben und Songs zu entwickeln. Dann wurden die Titel gemeinsam mit arrivierten Stars aus der Szene und dem Nachwuchs im Studio eingespielt. Die Premiere war ein Riesen-Erfolg, der Rabenhof hatte genau das Publikum, welches wir uns wünschten, die Songs des »Diskursiv«-Musicals wurden auf FM4 rauf und runter gespielt, und in jeder The GapAusgabe steckte eine CD (how old school!) mit dem Soundtrack von »udo 77«. Ich wünsche The Gap Happy Birthday zum 20er, welche Metamorphosen auch immer dieses Medium in den kommenden Jahren durchlaufen wird – bleibt so aufregend, unkalkulierbar und weiterhin »the gap« in der österreichischen Kulturszene!

Thomas Gratzer war Gründer der Gruppe Habsburg Recycling (»quasi ein Vorläufer von Maschek«) und wurde mit dieser in dritter Instanz wegen »Herabwürdigung religiöser Lehren« verurteilt. Seit 2003 leitet er als Direktor – an der Seite des kongenialen Roman Freigaßner – die Geschicke des Rabenhof Theaters.

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Ingo Pertramer

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Rock ’n’ Roll für den Rabenhof

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VON HASEN

"20 Jahre RadioKulturhaus" gratuliert "thegap" zu 20 Jahren.

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radiokulturhaus.ORF.at

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Zukunft

The Future Is Coming Soon Enough

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In Zukunft wird tragbare Technologie nicht wie tragbare Technologie aussehen – eher wie der Strickpulli von der Oma. Handarbeit und handwerkliche Prozesse werden individuelle und persönliche Designs verstärken und das Bewusstsein für Re- und Upcycling unterstützen. Mein Entwurf zeigt ein gestricktes T-Shirt, das durch den Materialmix aus wiederverwerteter Baumwolle und intelligenten Garnen ein digitales Interface formt, das QR-Codes zeigen und lesen kann: eine Art laufende Reklametafel.

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Lila John ist Absolventin der Angewandten und Modedesignerin in Wien und Brüssel. lilajohn.com

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Vergangenheit

Als ich von Wien nach Salzburg gegangen bin, um dort Telekommunikation zu studieren, war das Internet so neu, dass es österreichweit nur dort einen internetlastigen Studiengang gab. Der Nachteil in Salzburg war: Da ist echt wenig los. Der Vorteil in Salzburg war: Da ist echt wenig los. Während dem Studium ist dementsprechend viel weitergegangen, ich habe nebenbei bei Max Mobil, dem Vorgänger von T-Mobile, gearbeitet und hatte dort einen wirklich spannenden Job. Es war gerade die Zeit, als die mobilen Datendienste begonnen haben und als Internet am Handy, WAP und SMS-Services aufkamen. Ich war in der Unit, die sich über die Einführung von neuen Produkten Gedanken gemacht hat. Obwohl mir der Job gut gefiel, wollte ich mich mit meiner eigenen Idee selbstständig machen – viel zu verlieren hatte ich damals noch nicht. Die Idee war, ein System zu bauen, das es Firmen ermöglicht, Services aufzubauen, die in allen Mobilfunknetzen funktionieren. Ein Beispiel dafür wäre das FM4-Trackservice, bei dem man ein Fragezeichen an FM4 schickt und dann per SMS als Antwort den betreffenden Song bekommt. Nachdem eine Firmengründung alleine schwierig ist, habe ich aus meinem Bekanntenkreis die Leute gefragt, denen ich am meisten in unterschiedlichen Bereichen zugetraut habe. Das waren zum einen Studienkollegen von mir, zum anderen ein Freund, der in London als Investmentbanker gearbeitet hat. Ich war damals Anfang 20 und wenn man eine GmbH gründet, braucht man 35.000 Euro, das heißt, es fehlte auch das Geld zur Gründung, das dieser Freund beigesteuert hat. So haben wir dann aus der Studentenwohnung zu arbeiten begonnen – das war unser Salzburger Office. Später kam ein Office in Wien dazu, das zuerst in meinem Elternhaus war – solange, bis wir sowohl in Wien als auch in Salzburg ein kleines Büro gefunden haben. Wir waren die einzigen aus der gesamten FH, die zu dieser Zeit gegründet haben und es entsprach definitiv nicht dem, was man heute als Startup bezeichnet – es war einfach eine Firmengründung. Auf die Idee zu kommen, dass man

Markus Wagner, Gründer des Internet Accelerators i5invest, verbringt einen Großteil seiner Zeit im Silicon Valley in Palo Alto und arbeitet mit Europäischen High-Tech-Firmen zusammen, um diese beim US Markteintritt zu unterstützen. Er investiert in Startups, unterstützt beim Fundraising und bahnt Unternehmensübernahmen an.

Geld raist, war vollkommen illusorisch, es gab auch keine Business Angels und auch sowas wie andere, vergleichbare Gründer nicht. Es ist uns dann aber relativ bald gelungen, Mobilfunkbetreiber als erste Kunden zu gewinnen. Dennoch haben wir uns jahrelang kein Geld ausgezahlt, weil keines da war. Wir haben die Umsätze, die wir hatten, an die Mitarbeiter ausgezahlt. Es gab damals keine Start-upKultur, es gab kein Pitch-Training, es gab keine Community – faktisch war es ein extrem intensives Arbeiten, kein Geld ausgeben und schauen, dass man mehr verdient. 2006 ist die Firma dann an die amerikanische Verisign verkauft worden und viele vom ehemaligen Team sind in die USA gezogen und investieren seitdem Geld und Know-how in andere Firmen. Aus dem ursprünglichen FM4-Trackservice wurde etwa ein Ameri-

can Idol-Voting oder das Webster-Musikservice, aus den fünf Mitarbeitern wurden 130 und von dem einen Bundesland aus wurden wir schlussendlich in 13 Ländern aktiv und Marktführer. Nach dem Verkauf kam dann der Gedanke: Was wissen wir jetzt, was wir damals gern gewusst hätten? In den USA war das Startup-Ecosystem viel stärker entwickelt und wir wollten etwas davon in Österreich aufbauen, um anderen Gründern das Leben zu erleichtern. Wir waren damals nicht dumm, aber wir hatten sicher auch ganz viel Glück und es gab viele Momente, in denen wir an einer existentiellen Situation vorbeigeschrammt sind. Aus dem entstanden dann die Initiativen, wie der Inkubator i5invest, der junge Gründer unterstützt oder aber die Start-up-Week, aus der schließlich das Pioneers-Festival wurde.

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Gründen aus der Studentenwohnung

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Zukunft

»Cinema Futures«, oder sag zum Abschied leise »Gute Projektion«

Schnitt & Überblendung ins Jahr 2027 Die technischen Lobpreisungen des digitalen Zeitalters haben sich als durchaus problematisch erwiesen, das audiovisuelle Gedächtnis der Vergangenheit ist auf den digitalen Datenträgern mit Viren infiziert und nicht mehr dechiffrierbar, Datenübertragung und -speicherung wird nur mehr via Super-Cloud abgewickelt. Demgegenüber erlebt gerade das analoge Filmmedium – so wie bereits mit Vinyl geschehen – ein Revival und wird zum Erlebnis der besonderen Art hochstilisiert, Celluloid wird zur Antiquität. Manche Filmschaffende leisten sich den Luxus, Filme wieder auf analogem Filmmaterial zu drehen oder transferieren ihre digital gedrehten Filme auf 35mm-Filmstreifen bzw. setzen dies als bewusstes Stil- und Formmittel für den musealen Betrieb ein. In ausgewählten Orten – Filmmuseen – werden diese raren Filmkopien dann gesehen, besprochen, archiviert. Als Bewahrer der Filmschätze schlechthin haben die wenigen Cinematheken dieser Welt noch mehr an Bedeutung gewonnen und bauen ihren Exklusivstatus aus – sofern sie die nötigen Geldmittel dafür lukrieren konnten und nicht schon vorher ausgehungert wurden. Viele Highlights der Filmgeschichte sind andernorts nicht mehr verfügbar. Und ja, diese exklusiven Kino-Orte erfreuen sich enormer Beliebtheit, zeichnen sich durch gute Projektionsbedingungen, Bibliotheken und angenehme Verweilzonen aus. 
Am Schwarzmarkt werden echte Filmkopien, Projektoren und deren Ersatzteile teuer gehandelt, fachkundige ProjektionistInnen und TechnikerInnen verzweifelt gesucht. Unseren alltäglichen Film- bzw. Medienkonsum hingegen prägt eine enorme Ange-

» Der Selektionsprozess ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Jeder/ jede kreiert sich das eigene Media-Menü à la carte.«

botsvielfalt und damit einhergehend die totale Überforderung. Der Selektionsprozess ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Jeder/ jede kreiert sich das eigene Media-Menü à la carte. Sich als Gesellschaft oder als Gesellschaftsgruppe auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen, sprich den »einen« Film oder die »eine« Serie als das »Must-See« zu küren, gehört schon lange der Vergangenheit an. Und wo hat die Kinoerfahrung abseits der Cinematheken bzw. Filmmuseen noch seinen Platz? Das Kino als techno-sozialer Ort steht weiterhin für eine besondere Filmerfahrung. Durch exklusive Filmpremieren (Events mit Live-Zuschaltungen der jeweiligen Macher-Innen und DarstellerInnen – abgestimmt auf die jeweiligen Zeitzonen –parallel in zahlreichen Kinosälen) und handverlesene Filmprogramme haben die zielgruppenorientierten Programmkinos und Filmfestivals ihre Bedeutung durch eine starke kuratorische Handschrift behauptet und dienen dem Publikum als Orientierungshilfe beim Überangebot an Filmstoffen. Apropos Vielfalt – vollautomatisierten Multiplexen wurde ihre Daseinsberechtigung auch nicht abgesprochen: Die technische Aufrüstung hat nicht an Fahrt verloren und entsprechend ausgerüsteten Haushalten bekommen die neuesten Blockbuster auch zeitgleich direkt ins Wohnzimmer übertragen.

Die gebürtige Oberösterreicherin Christine Dollhofer studierte Theaterwissenschaft und Publizistik und ist seit 1990 im Filmbereich tätig. Sie war Geschäftsführerin des Filmcasino, Ko-Intendantin der Diagonale und leitet seit 2004 das Crossing Europe Filmfestival in Linz und ist Programmdelegierte für das International Film Festival San Sebastían (ES).

Abspann 2027 sind den Spielarten der Reizüberflutung wohl keine Grenzen gesetzt, aber ganz gewiss wird das Kino als exklusiver Begegnungsort und Vehikel zur Promotion von Filmen und die Museen, die das Laufbild noch analog ausstellen, weiterhin existieren – jedoch nur, wenn diese einzigartige Kunstform und Kulturtechnik wertgeschätzt, geschützt und an die nächste Generation weitergegeben wird. 
In diesem Sinne liebe CineastInnen und FilmlobbyIstinnen lasst uns die Kinosäle bevölkern und leidenschaftlich über Filme und Filmkultur diskutieren, sodass die kinokulturelle Apokalypse keine Chance hat!

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Christoph Thorwartl / subtext.at

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Vorspann Wer den überaus aufschlussreichen Dokumentarfilm »Cinema Futures« von Michael Palm gesehen hat, der die Zukunft von Film und Kino thematisiert, hat eine Ahnung davon, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird.

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Gute Ideen begeistern immer. Auch wenn es sie schon lange gibt. Happy Birthday!

www.aus-Liebe-zum-Menschen.at

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Vergangenheit

Das erste Rhinoplasty ist jetzt fast zehn Jahre her, es war an einem Mittwochabend, Anfang April 2007. Entstanden ist es eigentlich aus dem Umstand, dass ich nach einigen Jahren keinen Bock mehr hatte, alle zwei Monate meine Wohnung zu verwüsten, indem ich eine Party für 150 zum Teil wildfremde Menschen schmiss. Zuerst sind wir für zwei Geburtstagsfeiern in den Club U übersiedelt. Nachdem das ganz ok geklappt hatte und wir die Location und das Team vor Ort, die wir nur von ItalodiscoPartys von Marflow und den Team Knightrider-Partys der Mel Merio kannten, ins Herz geschlossen hatten, wurde beschlossen, das ganze erst mal weiterhin als öffentlichen Clubabend zu probieren. Außerdem muss man sagen, dass zu der Zeit das Angebot an »alternativeren« queeren Partys in Wien nicht gerade überragend war – von den auch immer sporadischer werdenden FM Queer Partys mal abgesehen. Somit war das Rhinoplasty geboren, gedacht als Queer/Mixed Abend mit »lustiger Tanzmusik« und viel Unernst. Der Name kommt von »Tom‘s Rhinoplasty«, einem Schild auf der Hauptstraße von South Park, ohne großen Hintergedanken, aber irgendwie hat es immer gepasst. Das erste Rhino war also an einem Mittwoch, von uns enthusiastisch und selbstbewusst als »die neue Weekend-Kick Off Party« beworben. Geflyert wurde mit schwarz/weiß kopierten Zetteln mit einem super-alternative Skaterboy drauf, ganz à la Larry Clark, und A4-Kopien, die wir mit Tixo in Bar-Toiletten klebten.

Andreas Reiter (rechts im Bild), der Autor dieses Textes, veranstaltet seit zehn Jahren Rhinoplasty in Wien, arbeitet für das /slash Filmfestival und ist nebenbei professioneller ComicNerd und sporadischer Model-DJ.

Und natürlich existierte sogar schon eine Myspace-Seite dazu! Thema gab es bei den ersten Malen noch keines, halbwegs komisch angezogen haben wir uns trotzdem und sind dann eben ab zehn am Abend im leeren Club U gestanden und haben gehofft, dass wenigstens irgenwer kommen wird … Aufgelegt hat unter anderem »das em«, der uns bis heute als regelmäßiger Rhino-DJ erhalten geblieben ist. Markenzeichen war von Beginn an sehr viel 90ies Trash, irgendwann sind es damals dann doch sogar an die 50 Leute geworden, die begeistert und tapfer bis vier Uhr früh getanzt haben. Nach weiteren zwei bis drei Mal an

einem Mittwoch oder Donnerstag bekamen wir dann auch einen Wochenend-Slot und so nahm das Rhino seinen Lauf. Nach einigen Monaten kamen die ersten Themenabende dazu, anfangs noch recht vage mit Titeln wie »Drag Ball«, inklusive Sekt-Verlosung fürs beste Outfit. Nach und nach wurden die Mottos elaborierter und spezifischer, die Gäste mehr und wir immer betrunkener. Seit fast fünf Jahren gibt es uns jetzt zwei Mal monatlich und irgendwie – ohne unser Zutun – hat es auch geklappt, sowas wie ein Geheimtipp zu bleiben und dem Ganzen seine familiäre Privatparty-bei-FreundenStimmung zu bewahren. Der Umstand, dass wir nie angefangen haben, Eintritt zu verlangen, hat Rhinoplasty immer niederschwellig gehalten, jeder kann kommen und sich umschauen, bis sechs Uhr feiern und man trifft immer Leute, die man kennt. Insgesamt hat sich eine große, lose Community entwickelt, die natürlich über die Jahre wechselt. Viele haben bei uns wohl sowas wie ein Zuhause gefunden – zumindest für eine gewisse Zeit in ihrem Nachtleben. Auch dass es eine Queer/ Mixed Party ist und somit der Aufreiß-/ Fleischbeschau-Faktor, den reine Homo-Veranstaltungen oft haben können, schwächer ist, trägt mit den verschiedenen Themen und der Tatsache, dass jedes Mal mit uns wenigstens ein paar Verkleidete verrückt rumhampeln dazu bei, dass es nicht ganz so bierernst zugeht und der Spaß am Ausgehen im Vordergrund steht.

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Daniel Gottschling

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We are sorry, you are welcome!

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Zukunft

Wir schreiben das Jahr 2040. Dies sind die Abenteuer der IG Kultur Österreich, die mit ihrer 900 Kulturvereinen starken Mitgliederstruktur 50 Jahre unterwegs ist, um freie Kulturarbeit zu erforschen und neue Zivilisationsformen zu erproben. Viele Lichtjahre vom bürgerlichen Kulturbegriff entfernt, dringt die freie Kulturarbeit in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Als am 20. Mai 2020 zum ersten Mal »SoKult«, der Tag und die lange Nacht der Soziokultur österreichweit stattfand, wurden die JournalistInnen der sogenannten Breitenmedien von einer bis dahin aus ihrer Wahrnehmung ausgeblendeten Dimension überrascht. In öffentlichen Räumen in Städten und Dörfern wurde in rund zehntausend Aktionen, Vorstellungen und Darbietungen gezeigt, was mit »Kultur für Alle« gemeint ist und wie Kunstschaffen und »Kultur von Allen« zusammengehen. Die verblüfften KulturjournalistInnen hatten Stoff für mehrere Wochen Berichterstattung und sind seither verlässliche PartnerInnen des kulturellen Narrativs der jeweiligen Regionen und Städte. Aus Anlass des 20. Jahrestags dieses Festivals würdigen wir heute die positiven Entwicklungen und Auswirkungen, die freie Kulturarbeit auf unser Zusammenleben hat. Als Politik und Medien ihr Augenmerk endlich auf die gesellschaftlichen Leistungen freier Kulturarbeit legten, fand kulturelle Bildung wieder Eingang in die schulische Grundausbildung. Durch öffentliche Investitionen konnte der Zugang zu kulturellen Veranstaltungen barrierefrei für alle Bevölkerungsschichten geöffnet werden. Partizipative Prozesse und selbstverwaltete Räume führten zu einer Belebung des Gemeinwesens und des sozialen Zusammenhalts.

Gabriele Gerbasits hat Kulturmanagement am ICCM studiert, unterrichtet am WIFI zum Thema »Finanzierung von Kulturprojekten« und ist Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich.

Dies alles war nur möglich, weil die Verzehnfachung der Kulturbudgets die Prekarisierung der KulturarbeiterInnen beendete und dies wiederum in der Kulturwirtschaft einen Investitionsimpuls auslöste. Die durch die Gesetzesänderung zum Stiftungsrecht und zur Spendenabsetzbarkeit initiierte private Fördertätigkeit hat ein weiteres Feld vielfältiger Kunstproduktion und Kulturschaffens erschlossen. Das 1970 postulierte Versprechen einer subkulturellen Bewegung, die allen Menschen eine Beteiligung am kulturellen Leben

» Das 1970 postulierte Versprechen einer subkulturellen Bewegung, die allen Menschen eine Beteiligung am kulturellen Leben garantieren wollte, konnte 50 Jahre später eingelöst werden.«

garantieren wollte, konnte 50 Jahre später eingelöst werden. Feiern wir heute gemeinsam »20 Jahre Tag der Soziokultur« und seien wir gewahr: es hätte auch anders kommen können! Was nicht ist, kann man nicht sehen. Für alles, was nicht passiert, kann man die Politik nur schwer verantwortlich machen. Obwohl die Versäumnisse mitunter die größte unsichtbare Gefahr darstellen. »Why don’t we just wait here for a little while … see what happens?« (The Thing 1982)

Gabriele Gerbasits, Kulturarbeit 040-059 Gap 161 Story.indd 58

Daniel Gottschling Patrick Kwasniewski

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20 Jahre Tag der Soziokultur! Eine Festrede

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Kunsthalle Wien

Vergangenheit

Dann kam das geheimnisvolle Internet

David Payr

Während ich das schreibe, schaue ich auf Neufundland. Ich habe die Vorstellung, dass die Welt größer wird, wenn man im Flugzeug einen Ozean überfliegt. Etwas an dem weiten Wasser, den Schaumkronen lässt den Blick schweifen, der Horizont breitet sich vor einem aus. Wird dann die Welt größer oder nur der Horizont? Mit zwölf lag ich in den Ferien oft auf dem Sofa und las die Bücher meiner Großmutter über das alte Ägypten. Geheimnisvolle Pharaonen, gefährliche Entdeckungsreisen, rätselhafte Schriftzeichen. In diesen Momenten war die Welt groß und der Wüstenhorizont weit. Im Studium interessierte mich mehr, warum Wissenschaft und in welcher Form betrieben wurde, als was sie herausfand. Ich bohrte tiefe Löcher in den Horizont und die Welt. Ich wollte ja schließlich wissen, wie sie funktioniert. Ich wollte volkswirtschaftliche Gleichungen verstehen und warum wir Energie in manche Bereiche des Lebens, unserer Existenz auf Erden investieren und in andere gar nicht und damit Ungleichheit schaffen und verstärken. Das Wasser des Ozeans wurde dunkler und tiefer und die Wellen höher. Nichts war mehr ganz einfach. Und dann kam das geheimnisvolle Internet. Plötzlich war scheinbar alles da. Alles möglich. Mit Public Netbase brachten wir den ersten nichtkommerziellen Internetprovider ins Leben. Jedem seine Email-Adresse. Webspace für alle. Jeder kann veröffentlichen. Krokodile fielen in Netscape 1.0 vom Himmel, alle konnten nun alles sagen, alles schreiben, alles lesen. Nicht mehr nur der Horizont, nun war der Rand des Universums zum Greifen nah. Wenn nur alle Zugang hätten, dann würde alles gut werden. Kinder in Afrika mit Laptops, Flüchtlinge mit GPS-Ortung, politische Aktivisten mit Handy-Kameras. Wenn dann alle alles sehen und lesen könnten, dann würde die Welt wieder weniger unübersichtlich. Besser. Und gerechter. Heute, auf der Fahrt zum Flughafen, erklärte mir mein Taxifahrer, warum Donald Trump ein Opfer der Medien ist, wie Jörg Haider vom Mossad ermordet wurde und die letzte Bundespräsidentenwahl von geheimen Mächten manipuliert wurde (»Sie wissen schon, darf ich ganz offen sprechen? Die Juden!«). Manches von dem, was er sagte, hatte ich genau-

so am Vortag auf Facebook gelesen. Die wunderbaren Algorithmen unserer Leseempfehlungen und »Videos, die Sie auch interessieren werden« ziehen ihre Spuren. Und trotzdem, der Horizont ist größer, weiter, heller geworden. Die Welt ist durchsichtiger, verständlicher, kleiner geworden.

MARCEL ODENBACH BEWEIS ZU NICHTS

Museumsquartier #Odenbach 5/2 – 30/4 2017

Marie Ringler ist Europachefin von Ashoka, der weltweit größten Organisation zur Förderung von Social Entrepreneurs in mehr als 85 Ländern der Welt. Sie baute in den 90er Jahren Public Netbase/t0 mit auf. Nach zehn Jahren als Landtagsabgeordnete in Wien verließ sie 2010 die Politik und baute Ashoka auf. Ashoka unterstützt auch zahlreiche Social Entrepreneurs im Bereich freies Internet, Privacy und digitale Menschenrechte. ashoka.org

Marie Ringler, Netzkultur

Marcel Odenbach (*1953) ist einer der einflussreichsten Künstler der Gegenwart. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich vor allem mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands und sozialer Gerechtigkeit, aber auch Migration und Meinungsfreiheit sind wiederkehrende Themen seiner Werke. In der Kunsthalle Wien präsentiert Marcel Odenbach Videoinstallationen und Collagen der vergangenen Jahrzehnte. Das Kernstück bildet der eigens für die Ausstellung entstandene Film Beweis zu nichts über das im Konzentrationslager Buchenwald errichtete monumentale Nationaldenkmal. Marcel Odenbachs Film nimmt sich der Frage an, wie Erinnerung und Geschichte visualisiert, aber auch ideologisiert werden. In diesem Sinne plädiert das gesamte Œuvre Odenbachs für emanzipierte Betrachter/innen, die sich zur Gegenwart und ihrer Verstrickung mit der Vergangenheit positionieren.

www.kunsthallewien.at Foto: Stadtarchiv Nürnberg

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Nostalgie-Design für neue Märkte Analog ist besser Moderne Hi-Fi-Plattenspieler bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen VintageProdukt und Märkten für die Zukunft. Der Weltmarktführer aus Wien, Pro-Ject, macht das besonders gut. ———— Wahrhaftigkeit. Authentizität. Begriffe, die, obwohl in Pathos ertränkt, stellvertretend für eine Nische stehen, die keine mehr sein will, keine mehr sein darf. Vinyl, analoges Musikhören. Ein Unterfangen, das im Austausch mit anderen nicht selten eine gewisse Hybris mit sich bringt. In den audiophilen Auskennerkreisen sowieso, da geht es um die seltenste 7�, um Promo-Pressungen längst in Vergessenheit geratener Labels, um fachkundige Bewertungen von Fair bis Mint. Aber Vinyl erreicht schon längst nicht mehr nur die Jäger und Sammler auf frühmorgendlichen Flohmärkten, Vinyl hat den Mainstream erreicht. Das Nostalgie-Produkt Vinyl, einst der zunehmenden Bequemlichkeit durch CD, MP3 und Streaming zum Opfer gefallen, zieht einstige Abkömmlinge und neue Käuferschichten an. Ein Blick auf die Verkaufszahlen von Schallplatten aus schwarzem Gold untermauert die subjektive Wahrnehmung: 2016 wurden in Großbritannien um 53 % mehr Platten als noch im Vorjahr verkauft, insgesamt 3,2 Mio. LPs – der Markt für Singles ist klein wie immer – wurden abgesetzt, der höchste Wert seit über 25 Jahren. Zum Vergleich: 2007 waren es noch 200.000. In Deutschland waren es 2015 2,1 Mio. große schwarze Scheiben, vor zehn Jahren nur 300.000. Vinyl bleibt eine Nische, bedeutet nur Umsätze im mittleren einstelligen ProzentBereich bei Musikverkäufen. Aber: Es ist der einzige physische oder digitale Tonträger, der stets steigende Zahlen verzeichnet. Das Nostalgie-Produkt Vinyl behauptet sich. Und mit ihm sein unabdingbarer Partner: Der Plattenspieler.

» Es sind vor allem die Jüngsten, die wieder verstärkt auf analoge Muster und Produkte zurückgreifen.«

Ein Unternehmen aus dem fünften Wiener Gemeindebezirk ist der größte Player, wenn es um Abspielgeräte für Vinyl-Scheiben geht. Pro-Ject. 1991 gegründet – just in dem Jahr, in dem es zuletzt so viele Vinyl-Käufe wie heute gab –, als eine vor dem Konkurs stehende tschechische Fabrik übernommen wurde, ist Pro-Ject heute Weltmarktführer bei Hi-FiStereo-Plattenspielern. Das Modell »Debut«

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Pro-Ject

Von Margareten in die Welt

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BACHELOR ■ Grafik- & Informationsdesign ■ Innenarchitektur & 3D Gestaltung ■ Design, Handwerk & materielle Kultur ■ Event Engineering ■ Management by Design ○ MASTER ■ Raum- und Informationsdesign ■ Elektromobilität & Energiemanagement

in Akkreditierung

■ Entrepreneurship & Innovation AK ADEMISCHE LEHRGÄNGE ■ Buchgestaltung ■ Akustik & Architektur ■ Light Engineering & Design

wurde 600.000 Mal auf der Welt verkauft, es ist eines der meistverkauften Hi-Fi-Geräte überhaupt. »Den speziellen Erfolg von ProJect macht die Einfachheit aus«, erklärt CEO Heinz Lichtenegger. »Die Plattenspieler sind schlicht, sehen gut aus, sind technisch richtig und haben einen irren Klang für das Geld.« Zwischen 200 und 10.000 Euro kosten sie. »Wir waren zwar am Anfang klein, aber es gibt immer mehr Fans, die unsere Produkte und auch die Philosophie dahinter lieben.« Die Philosophie hinter dem mittlerweile 600-Mitarbeiter-Unternehmen ist klar erkennbar: kein unnötiger Schnickschnack, im Marketingsprech heißt das dann »No-NonsenseProduct«. Der Klang steht im Vordergrund. Die unterschiedlichen Zielgruppen danken es: Einsteiger, Mittelklasse, Hi-End-Audiophile. Pro-Ject sieht sich als Vorreiter der VinylComebacks, war schnell in den Märkten, die boomten. Zuerst in England, in Mitteleuropa und Skandinavien, dann, vor 4 bis 5 Jahren auch in den USA. Der Hund liegt im Preis: Teure Plattenspieler gab es zwar zuhauf, für den klassischen Technics 1210 – »zu besichtigen in Ihrer Lieblings-Diskothek« – zahlt man das Dreifache. Billige chinesische Plattenspieler, wie sie auch Discounter anbieten, gab es bis vor wenigen Jahren kaum und erfüllen auch heute keine Ansprüche. Der Trick lag für Pro-Ject aber auch am Vertrieb: »Wir sind nicht über die Hi-End-Geschäfte gegangen, wir haben Großvertriebsformen genutzt wie Media Markt oder Best Buy in den USA«, wie Lichtenegger erzählt. Nach den Verkaufszahlen der Pro-Ject-Plattenspieler stockten die Elektrohandelsriesen auch immer weiter ihr Vinyl-Angebot auf, die unabhängigen Recordstores leiden heute noch. Doch nicht nur die Vertriebskanäle empfangen Pro-Ject mit offenen Armen, auch immer mehr Künstler melden sich, wollen kooperieren, ihren eigenen Plattenspieler designen. Parov Stelar, immerhin Österreichs international erfolgreichster Musiker, war der erste, aber auch mit dem hoch vinylophilen Third Man Records von Jack White wird kooperiert, ebenso mit Wilco und seit Dezember auch mit The Beatles: das Modell »The Beatles 1964« wird ab 1. März im österreichischen Handel erhältlich sein. Auch mit den Wiener Philharmonikern – immerhin ist man ja für alle Zielgruppen da – soll es 2017

QUERDENKER GESUCHT!

OPEN HOUSE 24.+ 25. MÄRZ

W W W.NDU. AC. AT

Die New Design University ist die Privatuniversität der Wirtschaftskammer NÖ und ihres WIFI

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Vintage Design Man ist bestrebt, moderne Plattenspieler herzustellen, mit verschiedenen innovativen Bauweisen. Aber man ist sich auch bewusst, dass ein Plattenspieler eigentlich ein VintageProdukt ist, der auch aus der Zeit gefallene Design-Ansprüche erfüllen kann. Die Verkaufszahlen der hübschen RetroBoxen aus Plastik vom Discounter sind nur der letzte Beweis dafür. Beim Designen der Dreher muss das durchaus beachtet werden, erzählt der CEO: »Man kann das technische Design eines Plattenspielers quasi nicht mehr neu erfinden, es wurde bereits alles erfunden. Vom optischen Design ist es allerdings so, dass wir ganz bewusst gewisse Plattenspieler sehr retro designen, auch stark angelehnt an die Topmodelle der 1960er Jahre, etwa von Thorens oder Ariston. Es trifft viele Leute total ins Herz, weil ihr Traumplattenspieler plötzlich nur mehr für einen Bruchteil des Originals erhältlich ist«. Es ist ein alter Kniff, aber ein wirkungsvoller. Mit Vorliebe bedienen sich vor allem Autobauer daran: VW Beetle, Fiat 500, Chevrolet Camaro, Mini Cooper, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Auch Möbel- und Shopgestalter, Schreiber von Speisekarten und Fashion-Designer. Irgendwann kommt alles wieder. Vor allem Kunden, die den klassischen Retro-Plattenspieler möchten. Sie vermitteln noch mehr das ersehnte Gefühl von wahrhaftig Analogem. Und die Absätzmärkte werden weiter steigen. Zu ihren Hochzeiten verzeichnete die CD über 80 % des gesamten Umsatzes mit Tonträgern, utopisch für Vinyl. »Es gibt Forschungen, die davon sprechen, dass 20 % des Erlöses in naher Zukunft analog sein werden, aktuell sind wir bei 6–7 %, da geht noch doppelt bis dreifach etwas«, ist Lichtenegger zuversichtlich.

Dem Digitalen ausgeliefert Und die Kunden gehen nicht aus, auch wenn die Liebhaber aus den 1960er Jahren verschwinden. Denn, wie der kanadische Wirtschafts- und Kulturjournalist David Sax in seinem Ende 2016 erschienen Buch »The Revenge of Analogue: Real Things and Why They Matter« ausführt, sind es vor allem die Jüngsten, die wieder verstärkt auf analoge Muster und Produkte zurückgreifen: »Je jünger die Leute sind, je mehr ihre Generation dem Digitalen ausgeliefert war, desto weniger fühlen sie sich zur digitalen Technologie hingezogen und desto wachsamer sind sie ihrer Auswirkungen gegenüber.« Nicht umsonst werden bei Pro-ject vor allem im fernöstlichen Raum, in Japan, in Korea die nächsten großen Umsätze erwartet. Bei all der Vinylophilie ist es aber auch beruhigend, wenn David Sax weiter meint: »Wir haben nicht die Wahl zwischen digital und analog. Diese Dualität ist eigentlich die Sprache des Digitalen: ein falscher binärer Code zwischen 1 und 0, schwarz und weiß, Samsung und Apple. Die echte Welt ist nicht schwarz oder weiß. Sie ist nicht einmal grau.« Dominik Oswald

Wer mehr über Vinyl, Plattenspieler und Hi-Fi-Bauteile aus Österreich erfahren möchte, sollte das von 3. bis 5. März in der Ottakringer Brauerei stattfindende Vinyl & Music Festival, das zahlreiche Workshops anbietet, besuchen.

Regionaler Hörgenuss – Hi-Fi-Bausteine aus Österreich Für perfekte Klangerlebnisse in den eigenen vier Wänden muss es nicht immer Massenware aus Fernost sein. Man könnte sich auch in Österreich bedienen.

Ichos Seit 2014 werden die Lautsprecher des Wiener Unternehmens in aufwendiger Handarbeit in Österreich produziert, auf Wunsch auch an Räumlichkeiten und Farbvorstellungen angepasst. Die natürliche Klangwiedergabe von Stimme und Instrumenten steht dabei jedoch stets im Vordergrund.

AKG Noch bis Ende Juni werden die weltbekannten HiFi-Kopfhörer und -Mikrofone des seit 1947 bestehenden Audio-Unternehmens in Wien gefertigt. Ähnlich wie bei Pro-Ject ist das Portfolio an Top-Kopfhörern weit gestreut: Das Topmodell sind die automatisch kalibrierenden Noise-Cancelling-Headphones AKG N90Q.

Pure Dynamics Die im steirischen Wildon ansässige Audio-Firma stellt seit 2002 Hi-Fi- Lautsprecher, Phono-Entzerrer, Plattenspieler und -reiniger her. Aber besonders die hochauflösenden Röhrenverstärker, wie der Woodie EL 34, haben sich in den Fokus von Fachpresse und Audiophilen weltweit gespielt.

Holz Fürst IKEAs »Expedit« gilt auch nach seiner Einstellung immer noch als »das« Regal für Vinyl-Liebhaber. Individuellere Lösungen bietet der Wiener Fachhändler Holz Fürst an: Mit robuster Beschaffenheit und einfacher Montage steht einer fachgerechten Haltung der geliebten schwarzen Schätze wenig im Wege.

Vienna Acoustics »Form follows function«, das gilt auch für Hi-Fi-Speaker wie »Der Kuss« aus der »Klimt«-Serie des 1989 gegründeten Unternehmens aus Weigelsdorf. Der Spezialist für Lautsprecher wurde bereits mit einigen Auszeichnungen geehrt, seine Produkte erfüllen höchste audiophile Standards.

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Dia Fes öste Film

AKG, Pure Dynamics, Vienna Acoustics

eine Kooperation geben. Für das Image ist das Gold wert, viele Leute entscheiden sich dadurch, einen Plattenspieler zu kaufen und Pro-Ject wird weiter zur Weltmarke.

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Festival des österreichischen Films’17 Festival des österreichischen Films’16 Festival des österreichischen Films’15 Festival des österreichischen Films’14 Festival des österreichischen Films’13 Festival des österreichischen Films’12 Festival des österreichischen Films’11 Festival des österreichischen Films’10 Festival des österreichischen Films’09 Festival des österreichischen Films’08 Festival des österreichischen Films’07 Festival des österreichischen Films’06 Festival des österreichischen Films’05 Festival des österreichischen Films’04 Festival des österreichischen Films’03 Festival des österreichischen Films’02 Festival des österreichischen Films’01 Festival des österreichischen Films’00 Festival des österreichischen Films’99 Festival des österreichischen Films’98 Graz, 28. März — 2. April 2017 diagonale.at

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Diagonale Festival des österreichischen Films’17

handWERK Tradiertes Können in der digitalen Welt

14.12.2016 – 9.4.2017

MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst Stubenring 5, 1010 Wien MAK.at

Partner:

Medienpartner:

#Diagonale17 #FestivalofAustrianFilm

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Filmpremiere T2 Trainspotting

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Gewin

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»Choose life. Choose Facebook, Twitter, Instagram and hope that someone, somewhere cares. Choose looking up old flames, wishing you’d done it all differently. Choose watching history repeat itself.« – so geht »Trainspotting« 2017, nach über 20 Jahren in die Verlängerung. Und ihr könnt mit dabei sein!

Mi, 8. März 2017, 20 Uhr UCI Kinowelt Millennium City Am Handelskai, 1200 Wien Wir verlosen 40 � 2 Tickets für die Premiere von »T2 Trainspotting«. Der Film wird in englischer Originalversion mit deutschen Untertiteln gezeigt. Die Gewinnspielteilnahme ist bis 5. März 2017 unter thegap.at/gewinnen möglich.

In Kooperation mit

Gewinnen thegap.at/gewinnen

Qwstion Simple Pack Qwstion will mit seinen Taschen Antworten auf die Fragen des Alltags lie­ fern und minimalistisches Design mit verantwortungsvoller Produktion ver­ binden. Simple Pack ist ein einfacher Rucksack, der sich in seiner Form einer Tote Bag annähert. Mit seiner mittleren Größe ist er der ideale Alltagsbe­ gleiter, dabei zeitlos im Look. Eine große Außentasche mit Reißverschluss, abnehmbare Rucksackgurte sowie ein gepolstertes Innenfach bieten viel Flexibilität. Wir verlosen ein Exemplar des Qwestion Simple Pack. Die Aus­ führung (Details unter qwstion.com) kann selbst gewählt werden.

Hospital der Geister Es ist schwer vorstellbar, aber Lars von Trier war vor seiner Zeit als provokanter Kunstfilmer, ein Filme­ macher mit ansprechendem Humor. Bestes Beispiel: die TV-Serie »Hospital der Geister« aus den 90erJahren. Überzeichnete Seifenopernklischees treffen darin auf allerlei Blödheiten, großartige Charaktere und einen dämonischen Udo Kier. Fernsehen in Höchstform! Wir verlosen zwei DVD-Boxen.

Die Insel der besonderen Kinder Tim Burton hat für seinen neuesten Film wieder ein­ mal eine Romanvorlage gewählt, in der ein jugendli­ cher Außenseiter in eine Fantasy-Welt gezogen wird. Diesmal der 16-jährige Jacob, der sich unter anderem mit den Kriegserlebnissen seines Großvaters ausein­ andersetzen muss. Wir verlosen drei DVDs. Der Film ist außerdem in den Formaten Digital HD, 4K Ultra HD Blu-ray, Blu-ray 3D und Blu-ray erhältlich.

Swiss Army Man KINOWELT

Teilnahmebedingungen: Die Gewinnspielteilnahme kann ausschließlich online unter thegap.at/gewinnen erfolgen. Die Teilnehmer werden im Falle eines Gewinns bis 7. März 2017 per E-Mail verständigt. Eine Ablöse des Gewinns in bar ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Mitarbeiter des Verlags sind nicht teilnahmeberechtigt.

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Daniel Radcliffe (»Harry Potter«) in einer ungewöhn­ lichen Rolle: als dauerfurzende Leiche wird er an den Strand einer Insel gespült, wo sich gerade der schiffbrüchige Hank (Paul Dano) das Leben nehmen will. »Swiss Army Man« ist eine makabre, aber herzer­ wärmende Komödie, in deren Zentrum die spezielle Freundschaft der beiden steht. Wir verlosen zwei Pa­ kete bestehend aus Blu-Ray und Soundtrack.

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Rezensionen Musik Bilderbuch

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Was tun, wenn der Hype da ist und alle auf einen furiosen Nachfolger des Super-Albums warten? Das fragte sich Falco 1983 und Bilderbuch 2016. Beide entschieden sich dafür, nicht alles wieder gleich zu machen, obwohl es einmal gut funktioniert hat. Falcos »Junge Römer« wurde damals lange nicht so gefeiert wie »Einzelhaft«, weil es in mehr Richtungen experimentiert hat. Und wer ausprobiert, macht auch so manches falsch. Auch »Magic Life« probiert viel aus und macht mal was falsch. Wie bei »Superfunkypartytime«: Keine schlechte Song­ idee, die etwas indifferent knapp drei Minuten füllt und sich noch nicht auf ein Album hätte einschleichen sollen. Spätestens hier merkt man, dass »Magic Life« kein so in sich konsistentes Bilderbuch-Bild präsentiert wie »Schick Schock«. Trotzdem wird es wohl eins der einflussreichsten Alben 2017 sein. Experimentierfreudiger denn je holen Bilderbuch in alle Richtungen aus: »Sweet Love« mit Zitat aus Frank Oceans »Forrest Gump«. Gewollt schiefer Gesang wie bei »All Of The Lights«-Kanye auf »Sneakers4free«. »Babylon«, ein »Tanz den Jesus Christus« mit Trap-Snare. Orgelpunkt auf »I <3 Stress«. »Bungalow«, ein progressiver Popsong, der viele Menschen glücklich machen und Bilderbuch-Neulingen ein Soft Entry in deren Soundwelt sein wird. Am ehesten zeigt sich das neue Selbstbild wohl in der sehnsüchtigen swaggy Lieblichkeit von »Sprit N’ Soda« oder »Investment 7«. »Magic Life« ist mit Sicherheit der »Tomorrow’s Pop«, den Bilderbuch angekündigt haben. Ein neuer Maßstab in seiner vorwärtsschauenden Rückwärtsgerichtetheit. Darüber steht ein Mizzy in Bestform, der dem Album an den richtigen Stellen ein Yeah verleiht. Zum Beispiel beim wunderbaren »Baba«-Lead, für das man automatisch Liebe empfindet, wie damals bei »OM«. Eine kongeniale Gitarre zum Groove der Narrativs von Maurice macht immer noch Bilderbuchs Sexiness aus. Bleiben dürfen auch die Buffalo Boots. Dazu kommen noch zeitgeistigere Lyrics. Man muss nicht alle Instagram-Storys gesehen haben, in denen sich Bilderbuch als Touris in den USA inszenieren, um zu wissen, dass ihre Social-Media-Credibility recht hoch ist. So spielt Maurice nur zu gerne mit der Sweet Love am iPhone. Baby soll bitte nicht auf privat schalten (»Investment 7«), er selbst addet, wen er kennt (»Babylon«). Und irgendwer ist heiß auf Instagram, in echt aber ein feiger Scheißkerl (»I <3 Stress«). »Magic Life« – das Album, das sassy Digital Natives bald hören wollen. Sie wissen nur noch nichts davon. (VÖ: 17. Februar 2017) Theresa Ziegler

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Magic Life — Maschin Records

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Rezensionen Musik

Christiane Rösinger

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»Ich wünsch’ dir Liebe ohne Leiden und dass dir nie die Hoffnung fehlt«. Udo Jürgens hatte es nicht so mit der Realität. Anders Christiane Rösinger, die Grande Dame von Gegenüber, die Mutter Oberin von allem, was in Berlin nach der Wende jemals cool sein durfte. Sie hat, dem natürlich galgenhumoristisch zu verstehenden Album­ titel zum Trotz, vom Leid jedenfalls zur Genüge, mehr noch als auf dem existenzialistischen, wunderbaren Solodebüt aus 2010, »Songs of L. And Hate«. Sie erklärt es im ersten Stück selbst: »Und weil ich melancholisch bin, nehm ich das alles schwer / Und weil ich musikalisch bin, gibt das ein paar Lieder her.« Denn natürlich sind Leiden vielfältiger Art das Kerngeschäft, die Darbietung ebenjener desillusionierter Trübseligkeiten ist lyrisch auf derart hohem Niveau, auch wenn die Texte den klassisch-gentrifizierten Milieus genuin sind, allgemeingültig sind sie in jedem Fall. So heißt es etwa im durchgehend fabulös gereimten Kernstück »The Joy Of Ageing«: »Es ist alles Mist, wenn du aus Schwermut Forest bist.« Christiane Rösinger als Ikone der Entrechteten, ein Bild das gefällt und Sinn ergibt. Auch das subversiv-ironische »Eigentumswohnung«, dessen begleitendes Bewegtbild ihre eigene Wohnung und Szene zeigt, berichtet vom künstlerischem Überleben mit kreativem Zwang, quasi dem Ausgehzwang der 2010er Jahre. Selbstredend ist das politisch, »andere nehmen eure Plätze ein, sie werden nicht so weiß und männlich sein.« Darf man hoffen. Wie schon auf dem Vorgänger ist Andreas Spechtl, auch nicht gerade arm an Ruhm, der Partner an Madames Seite und zeichnet für Studio­ arbeit und Klangstrukturen verantwortlich. 2017 klingt der Sound der Rösinger dezent opulenter instrumentiert als zuvor, natürlich bleibt aber fast alles beim Alten. Das Klangbild ihrer legendären Gruppen Britta und Lassie Singers lacht aus sämtlichen cheesy Chören, es ist großbuchstabierter Pop, singuläre Gitarren bestätigen die Regel. PopGlamour ist durchaus gewollt: Text und Musik gehen auseinander wie die Schere zwischen Arm und Reich. (VÖ: 24. Februar 2017) Dominik Oswald

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Sweet Sexy Savage — Atlantic Die erste von vielen Kehlanis, die uns auf »Sweet Sexy Savage« begegnet, ist eine Janet. Geschmeidig, soulig, flirty eröffnet die junge Kalifornierin ihr zweites Album, auf dem sie noch in vielen Formen in Erscheinung treten wird. Kehlani ist nicht nur sweet, sexy und savage, sie ist auch manchmal Rihanna, Tinashe, Aaliyah und oder gleich ganz TLC. Dass der Referenztopf einfach zu verlockend wäre, die eigene künstlerische Identität noch nicht gefestigt genug, um ihr eigenes Ding zu machen, gilt dabei aber nicht für sie. Ganz im Gegenteil: Jeder Track auf »Sweet Sexy Savage« ruft zwar Assoziationen an Bekanntes hervor, Kehlanis große Leistung ist es aber, genau mit diesen zu spielen, zu variieren, wo man es nicht erwartet und schlicht und einfach: nicht zu langweilen. Außerdem – vielleicht noch wichtiger – sind Referenzen hier nicht nur eine musikalische Hommage an große R’n’B-Vorbilder, Kehlani zeigt sich auf ihrem Zweitling bewusst als Künstlerin, die süß, sexy, wild aber eben noch viel mehr sein kann – ohne sich für eine durchgestylte Persona entscheiden zu müssen. Es handelt sich hier zwar noch immer um ein Mainstream-Pop-Album mit all seinen Plattitüden und natürlich wird textlich viel zu vieles über den Umweg »Beziehung zu irgendwelchen Fuckbois« verhandelt, trotzdem schleicht sich immer mal wieder ein ordentlicher Mittelfinger an Schubladen, Rollen und »Wie man als Frau zu sein hat«-Vorgaben ein. Vieles an »Sweet Sexy Savage« ist so gelungen, weil es sich dazu entschieden hat, gewisse Dinge einfach nicht zu tun, die man von einem Album dieses Genres und dieser Liga leider fast schon erwartet. Weder ist es grauslich überproduziert, noch wurde mit unmotivierten Features gedopt; weder hat sich jemand den billigen Banger für die Charts eingebildet, noch ist es inkonsistent, weil Produzent drei von links das mit Kreativität verwechselt hat (cf. Starboy, The Weeknd). Kehlanis aguileraisiert nicht unnötig herum, sondern singt ihre Strophen wie ein Mensch. Also wie ein Mensch, der hervorragend singen kann. Aufstöhnen dürfen dann nur die Hörer – weil »Sweet Sexy Savage« das beste Pop-Album des noch jungen Jahres geworden ist und diesen Status vielleicht noch einige Zeit halten kann. (VÖ: 27. Jänner 2017) Amira Ben Saoud

Doro Tuch, Warner Music Group

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Lieder ohne Leiden — Staatsakt

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2. bis 5. März Wiener Stadthalle 9 bis 18 Uhr, 5. März bis 17 Uhr Eintritt frei

www.facebook.com/bestinfo.at www.twitter.com/bestinfo_at

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B i l d u n g s m e s s e

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Rezensionen Musik

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Sleaford Mods

Dirty Projectors

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England, 2016. Es ist zum In-den-Caffè-Latte-Heulen. Bar jeglicher Vernunft oder Idee (für die tatsächliche Lösung realer Probleme) provozieren die Rechtspopulisten erfolgreich den Brexit. Im Fernsehen sagt ihr Leader Boris Johnson, er würde sich im Falle einer eintretenden Rezession aber entschuldigen. Moment … Wie bitte? Der Caffè Latte ist jetzt in großer Gefahr. Das Gegenüber knallt die Zeitung auf den Pub-Tisch. »Mop top cunt will apologise? What? I stick my fuckin phone in his head.« Jason Williamson ist kein Mann der Resignation, auch nicht auf Twitter. Und er ist gemeinsam mit seinem Produzenten Andrew Fearn Sleaford Mods, die laut Iggy Pop »absolut ohne Zweifel definitiv großartigste Rock-’n’-Roll-Band der Welt«. Diese serviert uns nun »English Tapas« – ursprünglich eine dubiose Wort- bzw. Speisenkreation, unter der irgendein Pub tatsächlich ein Potpourri englischer »Spezialitäten« serviert. »It’s comedy, it’s make do, it’s ignorant and above all, it’s shit.« Wie der Brexit eben. Insofern überrascht es nicht, dass Williamson der dritten Nummer des Albums zentrale Bedeutung beimisst – das wütende »Moptop« attackiert Johnson und dessen Methoden unmissverständlich. Derartige Reflexionen sind bei Sleaford Mods ebenso elementar wie die meist nur aus Drumbeat und Bassline bestehende musikalische Umsetzung, die 2017 noch dringender, aber auch eingängiger daherkommt als beim schon hochgelobten Vorgänger »Key Markets«. Und es ist diese Kombination, die Sleaford Mods so groß und wichtig macht. Schon die Vorabsingle »B.H.S.« ist ein Hit. Da sich das Entlassen Tausender Angestellter zwecks Gewinnmaximierung bei gleichzeitigem Besitz einer 100 Millionen Pfund teuren Jacht im Sleaford-Universum sicher nicht ausgeht, wird Milliardär Sir Philip Green aufs Korn genommen. »We’re going down and it’s no stress, we’re going down like BHS«, heißt es da im catchiesten Refrain des Jahres, weil: »What do you do, laying on a boat mate, look at you.« Da dreht man den Spieß am besten um und lacht oder geht tanzen. Zum Beispiel, wenn Sleaford Mods im Mai dann in Wien spielen. Fooock! (VÖ: 3. März 2017) Nikolaus Ostermann

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Dirty Projectors — Domino

David Longstreth hat in den letzten Jahren die schlimmste Trennung seines Lebens durchgemacht. Selbstzweifel, Depression und eine Schreibblockade legten ihn geradezu lahm. Sie waren auch für die lange Wartezeit auf die neue Dirty-Projectors-Platte verantwortlich. Irgendwann entschloss sich Longstreth, der Kern und die Stimme der Band, dann aber, diese Trennung in Songs zu verarbeiten und – auf Anregung von Rick Rubin – zu einem Album zu formen. Die Trennung erfolgte zu einem – zumindest karrieretechnisch – schlechten Zeitpunkt. Die beiden Vorgängeralben »Bitte Orca« (2009) und »Swing Lo Magellan« (2012) wurden von Kritikern und Fans hochgelobt, die Band war auf dem Zenit ihrer Bekanntheit. Der dreistimmige Gesang, undurchschaubar komplizierte Gitarrenriffs und ihr ungewöhnlicher Zugang zu Melodie und Beat etablierten sich als ihr Markenzeichen. Mit einer gewissen Offenheit für Weirdness konnte man in dieser Musik definitiv kleine Pop- und R’n’B-Hits sehen. Fast forward fünf Jahre: Das Trennungsverarbeitungsalbum »Dirty Projectors« ist endlich fertig. Die Gitarren wurden durch Synths ersetzt, die Mehrstimmigkeit großteils durch Stimmmodulation und der Begriff »Pop« völlig gestrichen. Dafür liebäugelt das Album viel mehr mit potenziell kommerziellem R’n’B, scheißt aber gleichzeitig auf alles kommerziell Verwertbare. Auch wenn man ihm den Schritt hoch anrechnen muss: Die Songs sind in ihrem Grundgerüst zu uninteressant für mehrmaliges Hören. Zu viele simple Wiederholungen, die aus allen falschen Gründen im Ohr bleiben, nehmen der sonst sehr ausgeklügelten Produktion das Reizvolle. Auch die virtuosen Joanna-Newsom-Streicher und eigentlich eingängigen Beats helfen dabei nicht. »Dirty Projectors« muss die schwere Last der beiden sehr guten Vorgängeralben und einer aufgehypten Vorlaufzeit tragen. Leider bricht es darunter mit seiner schwachen Basis und nur wenigen guten Songs zusammen. Hätte das Album nur aus »Keep Your Name« bestanden, wäre die Bewertung besser ausgefallen. Der Rest komt da aber leider nicht heran und wird wahrscheinlich recht schnell wieder vergessen sein. (VÖ: 24. Februar 2017) Benjamin Agostini

JOA BE

Roger Sargent, Jason Frank Rothenberg

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English Tapas — Rough Trade

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Series on the Practice of Digital Games

MuseumsQuartier / Q21 / Raum D, 1070 Wien

PROGRAM FEBRUARY – MARCH 2017

- auf 20 Y A A A HOOR P I nsame H i e P I m H e g Jahre e r e t i e chaft! w s n e d i e Musikl GAP! E H T Y THDA R I B Y P HAP

Thu. 02.02.17, 19h

THERE AND BACK AGAIN. A TRUE ACCOUNT OF WHAT HAPPENED TO SPROING.

Johanna Schober COO

NEW

Thu. 02.03.17, 19h

LIVE PITCH OF AUSTRIAN GAMES #8: GAME PROTOTYPES ARCANE ROOT S

JURY: Hannes Seifert Studio Head Io-Interactive, DK Susan Cummings Executive Producer and Founder Tiny Rebel Games, UK Alexander Hofmann Director Game Engineering and Simulation Technology, Technikum Wien

FABE R

Prizes: € 2500.-, Project-Coaching, Pitch-Workshop

MATT

WHITE

subotron.com/veranstaltungen/pro-games

OMAN & POLICE W IS JOAN AS ZAR DAV LA IN M BENJA

AM

GRESH

MILES

25.03.2017

OTTAKRINGER BRAUEREI Unterstützt von der Wirtschaftskammer Wien

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Medienpartner:

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Rezensionen Musik

Garish

The Magnetic Fields

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Behauptung: Kreuzt ein schwarzer Kater deinen Weg, so steht das selbst im glorreichen Cat-Content-Zeitalter für nichts Gutes. Das Pechsymbol ist für das neue GarishAlbum nicht nur titelgebend, sondern hat es auch aufs Cover geschafft. Dass man sich für den unglückseligen Samtpfoter in der Gemäldeversion entschieden hat, dafür gibt es wohl Gründe, die über Sänger Thomas Jarmers angebliche Katzenallergie hinausgehen. Leicht auslegbare Botschaften? Es wären nicht Garish. Die Spurensuche gehört bei den Sympathieträgern des österreichischen Indie-Pop immer wieder aufs Neue dazu. Die Band mit Basis Burgenland, die durch den Ausstieg von Christoph Jarmer zum Quartett geschrumpft ist, steht mit »Komm schwarzer Kater« gleichzeitig vor einem Neuanfang und dem 20-jährigen Jubiläum. Die erste Singleauskoppelung »Unter Strom« lässt bereits vermuten, dass das mittlerweile siebte Studioalbum im Vergleich zu den Vorgängern »Wenn dir das meine Liebe nicht beweist« und »Trumpf« im Duktus deutlich langsamer geworden ist. »Komm, komm, komm mit mir mit / Komm, komm, komm, halten wir Schritt« – im Gegensatz zum leicht fließenden »Unter Strom« prescht »Pandoras Box & ein Getränk« richtig nach vorne. Es erinnert an Bronski Beats »Smalltown Boy« – wenn man so will in einer norddeutschen Version, mit einem Mix aus Synthie- und Akkordeonklängen. Ansonsten klingt Jarmer auf »Komm schwarzer Kater« gewohnt sanft und dabei auch immer eindringlich. Mit Songs wie »Den Göttern egal« oder »Matador« führen uns Garish in ihre typisch besonnenen und lyrisch-fantasievollen Welten, aber nicht unbedingt wieder heraus. Wege kennen viele Interpretationen. Lyrics auch. »Komm schwarzer Kater« ist ein albumgewordener Aufruf zur Vorwärtsgewandtheit, ein Mitnehmen des Unguten, der Akzeptanz der Angst vor dem Unkontrollierbaren – aus einer stoischen Kampfhaltung heraus. Sich der Panik ergeben, die derzeit auf der Welt im innen wie im außen zu kursieren scheint, kommt für Garish nicht in Frage. Sie zu ignorieren aber eben auch nicht. (VÖ: 3. Februar 2017) Nadine Obermüller

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50 Song Memoir — Warner

Als der stets um laszive Melancholie bemühte Songwriter Stephen Merritt, Chef der Magnetic Fields, 2015 seinen 50. Geburtstag feierte, war dies für ihn nicht nur ein Grund, 50 Kerzen auszublasen und die depressive HalblebenszyklusKrise mit dem Durchforsten alter Fotoalben zu füttern. Stattdessen entschied er sich dazu, dieses halbe Jahrhundert Zeit aus verblichenen Fotoalben, ausgeleierten Platten und vergilbten Liebesbriefen zu seiner persönlichen Musik zu destillieren, zu den Songs seines Lebens. Stephen Merritt begab sich – wie sein literarisches Idol Marcel Proust – auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Ein Lied für jedes Jahr sollte es werden, jedes für sich Zeugnis der persönlich vergangenen Zeit. Lyrisch schonungslos introspektiv, musikalisch dem jeweiligen Beat der Popgeschichte folgend. Entstanden ist aus diesem Konzept nun das »50 Song Memoir«. Ein Mammutwerk, das schon allein physisch imposant ist: eine schwere Box, bestehend aus fünf CDs bzw. LPs mit einem dicken, liebevoll gestalteten Foto- und Textbuch – seit den »69 Love Songs« gab es keinen so großzügigen Songkatalog der Magnetic Fields mehr. Anders als bei den früheren Alben der Band sind die Texte auf »50 Song Memoir« allerdings nicht frei erfunden, sondern eine Mischung aus Autobiografie und Dokumentation. Zusätzlich zu seinem Gesang in allen Liedern spielte Stephen Merritt auch mehr als 100 Instrumente selbst ein, von Ukulele über Klavier und Drum Machine bis hin zu Abakus. Alle möglichen Artefakte aus einem halben Jahrhundert Klangforschung tummeln sich im Sound: Vintage-Computer, Magnettonbandgeräte, Synthesizer, Swarmatron und gar gänzlich neu erfundene Instrumente befeuern die Glut des Musikgeschichte-Ofens. Es ist ein Ofen, von dem man sich gerne wärmen lässt. Würde man jede einzelne Winternacht mit einem Song dieses Albums verbringen, ja, dann wäre der Winter rasch überstanden. Der einzige Kritikpunkt an »50 Song Memoir«: Es gibt fast schon zu viel zu entdecken. Das Album ist zu schwere Kost, um es an einem Abend durchzuhören. Besser ist es, die Lieder wie Desserts zu hören – und sich immer wieder mal eine der bittersüßen Songpralinen auf der Zunge zergehen zu lassen. (VÖ: 10. März 2017) Michael Kirchdorfer

Andreas Jakwerth, Warner Music Group

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Komm schwarzer Kater — Ink

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Rezensionen Musik

Temples

Mile Me Deaf

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Das schwierige zweite Album sagt viel über eine Band aus. Noch mehr als das Debüt, meint manch einer. Bleibt man seinem Sound treu oder versucht man händeringend einem Hype – etwa den nostalgischen 80er-SynthesizerKlängen der letzten Jahre – nachzujagen? Fragen, die vielleicht auch dem britischen Quartett Temples beim Produzieren ihres Zweitlings »Volcano« durch die Wuschelköpfe gegangen sind. Als psychedelische Pop-Symphonie wurde ihr Debüt »Sun Structures« 2014 gefeiert. Drei Jahre später legen sie nun in ähnlicher Fasson nach. Wieder unter dem Deckmantel der Eigenproduktion – und zwar von Sänger und Gitarrist James Bagshaw – wurden die zwölf Songs im Heimstudio in Kettering eingespielt. Während Temples sich atmosphärisch weiterhin auf bekanntem Terrain mit Psychedelic Touch aufhalten, haben sie ihren Sound einer Expansion unterzogen: Die Bässe sind fetter, die Synthies präsenter, hie und da gibt es Call-and-Response-artige Chorfetzen auf die Ohren – die Band hat im Studio aus dem Vollen geschöpft. »Volcano« klingt dadurch irgendwie nicht mehr ganz so nach sonnendurchfluteten LSD-Trips, wie das bei »Sun Structures« der Fall ist. Mit dem Intro von »All Join In« verirren sich die guten Temples sogar in nahezu technoide Gebilde, gespickt mit harten Beats. Fans der ersten Stunde werden von »Volcano« aber alles andere als enttäuscht sein. Der Klangexpansion zum Trotz schält sich nämlich immer noch Bagshaws verstrahlte Stimme in kaleidoskopischer Manier aus der aufgebauschten Soundwolke. In all ihren Facetten ist diese beispielsweise beim sehr poppigen »Born Into The Sunset« wunderbar hörbar – begleitet von Chorphrasen à la Edward Sharpe & The Magnetic Zeroes. Gewohnt trippy geht es auch beim Musikvideo zur ersten Singleauskoppelung »Certainty« zu: Regisseur Alden Volney lässt die Band darin in Pastelloptik wie Jim-Morrison-Reinkarnationen die Grenzen der Wahrnehmung sprengen. Begleitet wird das von ganz großen Melodien, mit denen die vier Neohippies ja auch schon auf ihrem ersten Album brilliert haben. Mit großer Hartnäckigkeit hämmern sie sich ins Gedächtnis – wo sie auch gerne bleiben dürfen. (VÖ: 3. März 2017) Michaela Pichler

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Alien Age — Siluh

Wer »Alien Age« in den Händen hält, hört es sich nicht gleich an. Erst mal lange und dumm auf das Cover schielen. Das wilde Muster ist nämlich ein Stereogramm – eines dieser Bilder, auf denen sich mit der richtigen Sehtechnik eine zweite Ebene offenbart. Stark hofft man auf einen Wolfgang Möstl in 3D. Wer ihn entdeckt, darf sich bitte bei der Redaktion melden. Melden darf sich auch, wer auf Mile Me Deafs neuem Album einen Song findet, der auf einen der Vorgänger gepasst hätte. Alles neu macht der Möstl, und zwar wegen seines gebrochenen Fingers. Gitarrenschrammeln war also nicht drin und so musste er sich quasi auf einem alten Akai-Sampler austoben: Russisch-Sprachkurs, Märchen auf Schwizerdütsch, Traktorengeräusche – ein gesampleter Blumenstrauß positiver Randomness. »Alien Age« ist in seiner kleinteiligen Großartigkeit nur als Ganzes zu erfassen. Obwohl »Blowout« (die Sommersingle 2016) und der Titelsong auch für sich Hits sind – es geht um das Album als Spielplatz einer musikalischen Dystopie. Die wird vom Aggro-Dream-Pop-Anfang »Invent Anything« über den kawaii Flaming-Lips-Sound in »Alien Age« bis zum bittersüßen »Martian Blood« erzählt. Danach ist man tief berührt und weiß nicht genau, wieso. Angefangen bei Problemen des Individuums (»Blowout«) steigert sich in den Lyrics die Resignation über die Menschheit bis zu ihrer Ausrottung. Bei »Shibuya+« schaut Sex-Jams-Kollegin Katarina Trenk am Mikrofon vorbei. Bei »Headnote #2« blitzt zwischen dem famosen Lead-Sample etwas alte Grungigkeit durch. Ob mit oder ohne Gitarre: Möstls Gesang und Hirn ist zum Glück immer noch herrlich dreamy. Auch der US-Sender NBC hat ihn für sich entdeckt und »Where Else« in seine Serie »This Is Us« gepackt. »What happens to the human age when everyone is bored of it?« – Die neue Mile Me Deaf muss man sich wohl oft anhören, bis man Langeweile verspürt. (VÖ: 3. Februar 2017) Theresa Ziegler

Ed Miles, Christian Benesch

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Volcano — Heavenly

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Wir feiern 20 Jahre The Gap. Kommst? Freitag, 16. Juni 2017 Wien, Fluc

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Termine Musik

ARCADIA & TEENBEAT

GRATULIEREN ZU

20 JAHREN

UND WIDMEN DIE SHOW VON

DECLAN MCKENNA

AM 24.2. IM FLUC

SoloTogether: Maja Osojnik & Patrick Pulsinger Die einzigartige Zusammenkunft eines Duos verspricht das neue Konzertformat »SoloTogether« im Radiokulturhaus. Je ein Set spielen die beiden Acts solo, das dritte wird eine einmalige Live-Kooperation, bei der die beiden im Idealfall einen gemeinsamen Sound finden. Den Anfang machen Techno-Urgestein Patrick Pulsinger und Avantgarde-Musikerin Maja Osojnik. Auch wenn sie musikalisch in unterschiedliche Richtungen blicken, eint sie die spielerische Art, mit der sie sich – losgelöst von Genregrenzen – an neuen Klängen versuchen und die Trennung von E- und U-Musik aufheben. 23. Februar Wien, Radiokulturhaus

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LIVE @ RKH

ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

DUBBLESTANDART

21.02.2017 KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

© Dan Taylor

The XX

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»It’s such a new concept to me, the idea of having to work on a friendship«, meinte Oliver Sim, ein Drittel von The XX kürzlich in einem Interview. Die Freundschaft zwischen ihm, Jamie Smith und Romy Madley-Croft besteht schon seit Kindertagen. Nachdem es Jamie nach dem Soloalbum »In Colour« wieder zurück zu seiner XX-Gang gezogen hat, haben sich die drei nicht nur ihrer Beziehung gewidmet, sondern auch einem neuen Album, das weniger melancholisch Pausen füllt statt offen zelebriert. Eine Ode ans Erwachsenwerden mit all seinen Issues und doch im Sound jünger denn je. 23. Februar Wien, Marx Project

Rania Moslam, Lukas Gansterer, Alasdair McLellan, Markus Alexander Voigt, Warner Music Group, Duchess Box Records, Robert Eikelpoth, Kate Young

THE GAP

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Termine Musik Der Ringer »Das Weltall ist nichts für uns«, heißt es in »Orbit«. Von Propheten als Next Big Thing 2017 gehandelt, hängten die fünf Hamburger mit ihrer dreamy Debütsingle die Latte fürs erste Album dennoch in die Stratosphäre. Mit Isolation Berlin als EP-Kollegen haben sie sich bestens auf den Hype vorbereitet. Am besten, man hat sie schon davor live gesehen. Helm auf und ab zum Gürtel! 19. Februar Wien, Rhiz

Two Door Cinema Club Ihr Sound, der einem mit Synths und Gitarren gleichermaßen in die Beine fährt, hat Two Door Cinema Club zu einer Konstante im Genre Indie-Pop werden lassen. Wer die drei Nordiren nicht schon letzten Sommer in Wiesen gesehen hat, kann das nun in einer Winterversion und in geschlossenen Räumlichkeiten nachholen. Im Gepäck: »Gameshow«, das neue Album der Band, das im Oktober erschienen ist. 19. Februar Wien, Gasometer

highlights Sa. 11.02. // 20:00 World / Pop

Hindi Zahra

Do. 16.02. // 20:00 HipHop / Soul / Funk

SK Invitational feat. John Robinson, Lylit, J Hoard, Jahson The Scientist

Do. 16.02. // 20:00 LiteraturSalon

Daniel Glattauer: Schauma mal …

Gurr Wer hatte nicht schon (betrunken) die Idee, mit der besten Freundin eine Band zu gründen? Viel zu wenige machen es wirklich. Anders Gurr aus Berlin. Dass Andreya und Laura Lee das heilige Band einer innigen Freundschaft verbindet, hört man in jedem Akkord. Ihr Garage-Pop mit Understatement klingt nach philosophischen Gesprächen im Pyjama bei einer Flasche billigem Rotwein. 23. Februar Wien, Rhiz

Do. 23.02. // 20:00 Kabarett

Maurer & Novovesky

Do. 02.03. // 20:00 Alternative

Lambchop

Auf Tour zu gehen ist für die drei festivalerprobten Rapper der Antilopen Gang wohl »Anarchie und Alltag« zugleich. Passenderweise heißt so auch ihr drittes Album. Die Signatur der Kyngz: im Sprech der jungen Zielgruppe Sozialkritik mit catchy-witzigen Lyrics verbinden. Die Fanbase glaubt fest daran, dass die Antilopen Gang uns mit Pizza retten kann. 28. Februar Salzburg, Rockhaus — 1. März Wien, Flex

Austra

Sa. 04.03. // 20:00 TanzTage

Jakop Ahlbom: Horror

Sa. 11.03. // 20:00 Kabarett

Hosea Ratschiller & RaDeschnig

Sa. 11.03. // 20:00 Electronic / Pop

Sohn

Die Sterne

Mitski

Mit dem Erfahrungsschatz einer Welttournee und blueslastigerem Sound im Gepäck kehrt Sohn in seine alte Heimat zurück. »Ich sehe Melancholie als etwas, das mich offener macht«, sagte Christopher Taylor jüngst in einem Interview. Und nicht nur Hut steht ihm neuerdings gut, auch die größere Offenheit hinsichtlich seiner Person. 13. Februar Wien, Arena — 16. Februar Graz, PPC

Von allen Veteranen der Hamburger Schule sind Die Sterne die Wahl für durchtanzte Nächte in der Disco. Dazu passen Kiesgroup als Support: abgedrehter Lo-Fi-Avantgarde-Pop mit der Randomness als lyrisches und musikalisches Ideal. 20. Februar Wien, Grelle Forelle

»Happiness fucks you«, ist die Lektion, die uns die New Yorkerin Mitski Miyawaki gerne mitgeben möchte. Auf dem Album »Puberty 2« zelebriert sie das Suchen, Scheitern und Sachen-scheiße-Finden, das uns in der Jugend prägt und danach wider Erwarten nicht verschwindet, in zurückgenommenem, aber uplifting Indie-Sound. 26. Februar Wien, B72

Austra

Sa. 18.03. // 20:00 Pop

Rodrigo Leão & Scott Matthew

Do. 30.03. // 20:00 TanzTage

Wim Vandekeybus & Ultima Vez: In Spite of Wishing and Wanting Revival

Bild: Danny Willems

Katie Stelmanis heißt nicht umsonst mit zweitem Vornamen Austra, also so wie die Göttin des Lichts in der lettischen Mythologie. Ihre klassisch ausgebildete Stimme ist eh göttinengleich und klar wie ein Lichtstrahl. Als Sängerin der gleichnamigen kanadischen Synth-Pop-Band wird sie auch das österreichische Publikum wieder als Erscheinung erleuchten. 11. März Linz, Posthof — 12. März Wien, WUK

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Bild: Elise Tyler

Antilopen Gang

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00 kassa@posthof.at | www.posthof.at Weiterer VVK: LIVA Servicecenter im Brucknerhaus, Veritas Kartenbüro, oeticket und alle oeticketVorverkaufsstellen.

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Termine Festivals

3 Fragen an das Filmfestival FrauenFilmTage

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Die Leiterin Gabriele Frimberger gibt einen ersten Eindruck über das »transatlantische« Programm Das Festival bietet eine Plattform für Frauen aus der internationalen Filmbranche. Gibt es einen spezifischen Fokus in den Themen der diesjährigen Spielfilme und Dokumentationen? Seit 2010 haben wir eine Personale zu einer österreichischen Filmschaffenden als Programmpunkt. 2017 widmen wir die Personale Monika Buttinger und dem Thema Kostümbild. Studierende der Akademie der bildenden Künste konnten ihre Kurzfilmarbeiten zu Beziehung / Liebe / Sexualität einreichen. Aus der Türkei, Tunesien, Russland, der Mongolei u.a. werden Spiel- und Dokumentarfilme von jungen Regisseurinnen gezeigt. Welches Land steht 2017 im Mittelpunkt und worauf kann man sich hier besonders freuen? Heuer ergibt sich ein großer Anteil von Erstlingswerken aus dem US-amerikanischen und kanadischen Raum. »Transatlantik« wäre die beste Bezeichnung mit einer bunten Bandbreite an Themen. Von Bedeutung ist auch die südafrikanische Produzentin Bongiwe Selane, mit »Happiness Is A Four Letter Word« in Südafrika. Bongiwe Selane produziert daneben auch unter ihrem Label »Discovering female film talents« Kurzfilme junger südafrikanischer Filmemacherinnen. Frauen sind in der Filmbranche im Gegensatz zu Männern noch immer erheblich unterrepräsentiert. Zudem drehen Frauen oft Filme mit einem kleineren Budget. Traut man Frauen die großen Projekte nicht zu? Das war sicher in der Vergangenheit so, dass die großen Budgets bevorzugt von Regisseuren in Anspruch genommen wurden. Wie in vielen Branchen dominieren Männer, wenn es um das große Geld und Macht geht. Die Regisseurinnen haben sich in den letzten Jahren organisiert, um ihren Anteil an den Fördermitteln einzufordern, auch in Österreich. Aber es ändert sich aufgrund der Lobbyingarbeit der Filmschaffenden gerade viel, aktuell wurde im ÖFI (Österreichisches Filminstitut) eine Incentive-Regelung eingeführt, die der Unterrepräsentanz von Frauen gezielter entgegenwirken soll. 2. bis 9. März Wien, Metro Kino Kulturhaus

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Wiener Festwochen Tomas Zierhofer-Kin ist ab diesem Jahr der neue Intendant der Festwochen und wagt es, dem Kulturfestival einen neuen Anstrich zu verpassen. Für ihn ist die Hauptstadt ein Spannungsfeld zwischen Kunst, Pop und sozialer Utopien. Einerseits möchte er die traditionellen Wurzeln des Festivals bewahren, andererseits mit der »Akademie des Verlernens« und experimenteller Clubkultur, zwei frische Formate integrieren. Neben zeitgenössischer Performance und darstellenden Künsten sollen neue Wege der Kommunikation eingeschlagen werden. Das bürgerliche Kernpublikum soll um eine neue Generation von Performance- und Theaterleuten erweitert werden. Ungesehenes, Ungehörtes und Unerhörtes bildet nun eine zweite Säule. Neue Allianzen werden geschaffen, um nicht Grenzen und Zäune in der Kunst aufzubauen, sondern zu durchbrechen. 12. Mai bis 18. Juni Wien

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Termine Festivals

Ist die Anzahl der Bühnen auf dem Ottakringer Vinyl- und Music-Festival. Auf Österreichs größter Schallplatten- und CD-Börse, bieten über 100 Händler ihre Schätze an. Klar, dass Wien zu den weltweit lebenswertesten Städten gehört. 3. bis 5. März Wien

Ein Festival ohne Eintritt? Geht nicht, gibt’s nicht. Das Elevate Festival in Graz verbindet kritisch-politischen Diskurs, mit elektronischer Musik, Literatur und Kunst. Fünf Tage lang werden tagsüber Workshops und Diskussionsrunden angeboten, die sich rund um die Themen Big Data, Quantifizierung und Algorithmen drehen. Nach der geistigen Herausforderung, erwartet die Besucher ein internationales Musikprogramm abseits des Mainstreams in mehreren Locations. 1. bis 5. März Graz

Diagonale – Festival des österreichischen Films Präsentiert werden österreichische Filmproduktionen mit dem Ziel, das heimische Filmschaffen in die mediale Aufmerksamkeit und in den öffentlichen Diskurs zu rücken. Im Zentrum stehen Filme aller Genres: u.a. Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme und experimentelle Arbeiten. Moderierte Gespräche sorgen für einen Dialog zwischen Filmemachern und Publikum. 28. März bis 2. April Graz

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Elevate Festival

In weniger als 20 Minuten erreicht man von der Innsbrucker City aus das alpine Snowboard-Mekka auf 2.000 Meter. Neu ist dieses Jahr die Verlängerung um einen weiteren Festival-Tag. Auch die Besucher können zu Live-Musik vom Feinsten auf dem Schnee performen. 3. bis 4. Februar Innsbruck

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Ornella Wächter

Air+Style Innsbruck

Mario Lang, Zhang Yan, Air+Style Company, Jola

TanzTage Das Tanz-Festival steht für Körperkunst, viel Unterhaltung und internationalen Flair. Für Herzklopfen sorgt u.a. »Jaleo« ein andalusischer Flamenco von Leonor Leal, für Herzschmerz »In Spite Of Wishing And Wanting Revival« von Wim Vandekeybus, ein Männertanz über Liebe und die Macht des Begehrens. Gänsehaut kommt auch nicht zu kurz, mit Jakop Ahlboms »Horror«, der vom Erforschen eines Kindheitstraumas handelt. 4. März bis 26. April Linz

Tricky Women Der Frauentag wird auf diesem Event etwas anders thematisiert: mit Pixeln, Zeichnungen und Knetfiguren. »Tricky Women« ist weltweit das einzige Filmfestival, welches das Augenmerk auf die Animationsfilmkunst von Frauen lenkt. Die Direktorinnen Birgitt Wagner und Waltraud Grausgruber haben dazu auch eine Publikation veröffentlicht, die auf die Rahmenbedingungen aufmerksam macht, unter denen die Künstlerinnen arbeiten. 15. bis 19. März Wien

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Termine Kunst Fábio Baroli Das Jahr ist noch jung – aber Fábio Baroli macht keine halben Sachen, sondern eher doppelte. Der Brasilianer präsentiert in Wien auf Einladung der Jan Arnold Gallery gleich zwei Ausstellungen während seiner Residency. »Goliath« eröffnet zeitgleich mit einer Retrospektive der #Street-Art-Passage »Open Archives« im MQ Freiraum. Die zweite Schau »When the Drought Arrives« wird vorführen, was Baroli in seinem eineinhalbmonatigen Aufenthalt geschaffen hat. »Goliath«: ­Eröffnung 9. Februar, 19.00 Uhr. Dauer: 10. bis 26. Februar Wien, MQ Freiraum; »When the Drought Arrives«: Eröffnung: 23. Februar, Dauer: 24. Februar bis 19. März MQ Jan Arnold Gallery

Deborah Sengl Wenn man das »chutz« und ein »e« aus dem Wort »Schutzengel« entfernt, dann erhält man »Sengl». Zufall? In der Galerie Ernst Hilger hat man diese himmlische Fügung längst als solche erkannt – folgerichtig widmet man Deborah Sengl eine Ausstellung namens »Heimsuchung - Hells Angels«. Die Wiener Künstlerin präsentiert darin drei Serien voller Zeitgeist, Engel und Popkultur. Eröffnung: 26. Jänner, 19.00 Uhr. Dauer: 27. Jänner bis 25. März Wien, Galerie Ernst Hilger

Franz Lichtenegger 074-084 Gap 161 Termine.indd 79

Ein schwebender Philip Seymour Hoffman-Kopf, der lieber nicht für unheimlich gehalten werden möchte, gespickt mit Manga und Internet. Cécile B. Evans zeigt uns eine wunderbar unangenehme Welt voller »Die Sims 2«-Ästhetik, von der wir beinahe vergessen hätten, dass wir sie brauchen. Während ihre »Sprung a Leak«-Ausstellung in Liverpool läuft, kriegt man in Wien die »Test Cards«Version zu sehen. Eröffnung: 26. Jänner, 19.00 Uhr. Dauer: 27. Jänner bis 18. März Wien, Galerie Emanuel Layr

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Fábio Baroli, Deborah Sengl, Cécile B. Evans, Galerie Martin Janda, Johann Hauser, Marcel Odenbach

Cécile B. Evans

Svenja Deininger Als erste in den Hauptraum der Secession darf 2017 Svenja Deininger. Die Wienerin betrachtet ihre Malerei als Prozess und tüftelt gerne mal etwas länger an ihnen Werken. Viele behandelt sie gar wie Schriftstücke, die die Sprache ihrer Kunst ausdrücken. Dabei entstehen in ihren Arbeiten oftmals »Deiningersche Idiome« – und wenn so ein Begriff erst mal ausgesprochen wurde, dann hat man es geschafft. Eröffnung: 1. Februar, 19.00 Uhr. Dauer: 2. Februar bis 26. März Wien, Secession

Psycho Drawing Die 60er und 70er waren wild. Während die österreichische Kunstszene noch unter den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs litt, fanden sich ihre VertreterInnen in einem Strudel aus Drogen und Grenzüberschreitungen, um dadurch wieder geschichtlich unberührte Authentizität zu erlangen. »Psycho Drawing« präsentiert dabei entstandene Art-brut-Zeichnungen gemeinsam mit psychisch durchdrungenen Werken. Eröffnung: 16. März, 19.00 Uhr. Dauer: 17. März bis 11. Juni Linz, Lentos

Marcel Odenbach »Beweis zu nichts« ist nicht nur Marcel Odenbachs ganz persönliche Hommage an Ingeborg Bachmann (der Titel entstammt ihrem gleichnamigen Gedicht), es ist auch seine erste Einzelausstellung in der Kunsthalle Wien. Odenbach ist einer der wichtigsten deutschen Videokünstler und beschäftigt sich vorrangig mit der Vergangenheit – so beleuchtet er etwa den Nachhall des Nationalsozialismus in die Gegenwart. Dauer: 5. Februar bis 30. April Wien, Kunsthalle

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Die neue digitale „Presse“ › Alle premium-Inhalte jetzt kostenlos lesen › Täglich die besten Stücke der vielfach ausgezeichneten Redaktion › Die gesamte „Presse“-Welt auf allen Plattformen

Es ist so weit. Wir haben in zwei Jahren Entwicklungszeit unser Nachrichtenportal und die Prozesse dahinter komplett neu gestaltet. Die besten Inhalte erreichen im modernen und einfach eleganten Gewand ihre Leser. Egal, ob am Smartphone, Tablet oder PC. Aber sehen Sie selbst. – DiePresse.com

Manuel Reinartz, Chefredakteur Digital

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Termine Kino

Das unbekannte Mädchen

Regie: Danny Boyle ———— Sag ja zu Nostalgie, sag ja zu Filmklassikern, sag ja zu Fortsetzungen: Ungefähr 20 Jahre nach Kinostart bringt Danny Boyle die Protagonisten seines auf dem gleichnamigen Buch basierenden Kultfilms »Trainspotting« wieder auf die große Leinwand. Mark Renton kehrt in seine Heimat zurück und trifft auf alte Bekannte. Die Ängste, Hoffnungen und Träume einer Generation, Drogen (eh klar), Gesellschaftskritik und ein guter Schuss Nostalgie – »T2 Trainspotting« hat einiges für Cineasten zu bieten, gehört der Film doch auch zur Riege der Film- und Serienprojekte, bei der man hofft, dass die Fortsetzung wirklich, wirklich gut wird – zu groß wäre sonst die Enttäuschung (ebenso looking at you, »Twin Peaks«). Bis zum Filmstart kann man sich die Zeit ja mit dem Hören von Lou Reeds »Perfect Day« vertreiben. Start: 10. März

Wilde Maus Regie: Josef Hader Der 50-jährige Musikjournalist Georg verliert seinen Job und beginnt, sich an seinem ehemaligen Chef zu rächen. »Wilde Maus« erzählt auf tragikomische Weise und mit einem gewohnt wunderbar agierenden Josef Hader in der Hauptrolle von einem Leben, das aus der Bahn gerät. Der Film wird auch bei Berlinale zu sehen sein. Empfehlung! Start: 17. Februar

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T2 Trainspotting

Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne Letztens noch in »Die Blumen von gestern« zu sehen, stellt Adèle Haenel nun in »Das unbekannte Mädchen« als Ärztin Jenny Nachforschungen zum Tod einer jungen Frau an – hat die Unbekannte doch kurz vor ihrem Tod vergeblich bei Jennys Praxis um Einlass gebeten. Belgisches Drama der preisgekrönten Brüder Dardenne. Start: 10. Februar

Elle Regie: Paul Verhoeven Die erfolgreiche Unternehmerin Michèle (Isabelle Huppert) wird in ihrem Zuhause überfallen und vergewaltigt. Sie erstattet keine Anzeige, sondern beschließt, den Unbekannten selbst auszuforschen. Damit nimmt eine provokante Beziehung ihren Lauf. Ein verstörender, aber sehr empfehlenswerter Film. Start: 24. Februar

Barbara Fohringer

Sony Pictures, Constantin Film

Untitled

Ghost In The Shell Regie: Rupert Sanders ———— Eine Cyborg-Polizistin jagt Computer-Hacker. »Ghost In The Shell« basiert auf einem Manga und Anime, die jeweils den gleichen Namen tragen, und bietet genug Material, um Nerds Freudentränen in die Augen zu treiben. Unumstritten ist der Film nicht, wird die Hauptrolle der Motoko Kusanagi doch von Scarlett Johansson verkörpert – im Originalstoff und in bisherigen Adaptierungen war die Rolle immer asiatischer Abstammung. Ursprünglich wurde der Part der ebenso weißen Margot Robbie angeboten. Der Vorwurf des »Whitewashing« ist im Netz stark debattiert worden. Die Kontroversen werden dem Erfolg vermutlich aber keinen Abbruch tun, und »Ghost In The Shell« ist auch ein weiterer Beweis dafür, dass japanische Kultur mittlerweile weltweit riesige Popularität genießt. Start: 30. März

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Regie: Michael Glawogger und Monika Willi Monika Willi brachte die Arbeit des zu früh verstorbenen Michael Glawogger zu Ende und kann nun seine und ihre Sicht auf die Welt dem Publikum nahebringen. Gedreht im Balkan, in Italien, Nordwestund Westafrika verfolgt der Film nur folgende Ziele: zu beobachten und zu erfahren. Großes aus Österreich. Start: 3. März

#Single Regie: Andrea Eder Online-Dating, das ist nicht mehr nur etwas für die Übriggebliebenen am Liebeswühltisch. Alleine in den USA haben es laut einer Studie aus 2016 fast 50 Millionen Menschen zumindest mal ausprobiert. Diese österreichische Doku geht dem Phänomen nach. #klingtinteressant #filmfürserstedate? Start: 10. März

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Illbilly

frönt der hohen Kunst der tiefen Pointe. Umgekehrt wird aber auch kein Schuh draus

Dass gerade meine geliebte Hauspostille »The Gap« ihren 20. Geburtstag feiert, kommt mir sehr zupass. Warum nicht ein wenig schreiben, wie es vor zwei Jahrzehnten so war mit dem Bumsibamsifickifocki. Allerdings ein Problem: Im Jahre 1997 war mein damals ständig steifes Glied sehr, sehr weit weg davon, in fremden Körperhöhlen zu verschwinden. Hin und wieder ein wenig Heavy Petting im schweinchenrosa Renault Twingo meiner Mutter war das höchste der Gefühle. Und das war mir immer ein wenig peinlich. Erstens handelte es sich ja um einen Twingo, zweitens dem von meiner Mutter und noch erschwerend kam drittens hinzu, dass das Vehikel die »United-Colors-of-Benetton«Editon war. Für die gab der damals nicht gerade toll beleumundete österreichische Rennfahrer Gerhard Berger seinen Namen her. Als ich einmal beim Schmusen die Augen öffnete, weil ich wissen wollte, ob ich die Nippelfarbe der lieben Schulkameradin wohl richtig getippt hatte, blickte ich direkt auf eine Plakette mit der Unterschrift von Gerhard Berger. Es war mir zwar egal, weil ich derart geil war, dass mir das Wasser bis zum Hals stand, aber richtig, ja richtig fühlte es sich nicht an. Der Twingo war für erotisch-amouröse Stelldicheins geradezu von einer Unwirtlichkeit, die schwer bis gar nicht zu beheben war und es dauerte nicht lang, bis mir hinterrücks der Spottname Twingo Starr verliehen wurde. Nicht zuletzt auch deswegen, weil ich mich damals noch regelmäßig am Schlagzeug versuchte. Mit sehr bescheidenem Erfolg sei hier der Vollständigkeit wegen auch noch angemerkt. Diese Kette unglücklicher Umstände führte dazu, dass ich eben mit meinem ständig steifen

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Glied sehr, sehr weit von fremden Körperhöhlen weg war und die Masturbation eine treue Gefährtin wurde. Über die Onanie habe ich im Laufe der Jahre schon so viel geschrieben, dass ich da nichts Neues mehr rauswürgen kann. Kein Tröpfchen Esprit will in dieser Hinsicht mehr kommen. Gut, 1997 habe ich meinen unwiderruflichen persönlichen Rekord in dieser Sache aufgestellt. Aber sonderlich viel Spaß oder gar das Gelbe vom Ei war das nicht. Für Details PN. Darum wird es gut sein, wenn wir uns jetzt gemeinsam wieder in die Gegenwart zurückbeamen. 2017 ist nämlich eindeutig knackiger als 1997. Zwar ist mein Glied nicht mehr permanent steif, dafür aber noch immer sehr, sehr weit davon entfernt, in fremden Körperhöhlen zu verschwinden, weil ich sonst damit ein bisschen meine Ehe riskieren würde. Dafür werde ich aber dazu angehalten, Löcher in Wände zu bohren, um lustige Sachen wie Dübel und Schrauben dort reinzustecken, damit sie Sinnlosigkeiten wie Wandhaken, Spiegel, Vorhangstangen, Regale und dergleichen festhalten. Das soll den Wohnraum gemütlicher machen. Ich mag es gar nicht bestreiten, dass dem so ist. Es ist schon richtig, dass ein schönes Bücherregal halten muss, damit es korrekt seinen Zweck erfüllen kann. Und auch Vorhänge zu haben, hat durchaus seine Sinnhaftigkeit. Nicht jeder braucht gleich zu sehen, was es zum Abendessen gibt oder wann man es sich auf der Couch gemütlich macht, um sich an die späten 90er-Jahre zu erinnern. Schuppelschuppel. Aber: Ich bin der schlechteste Heimwerker der Welt. Meine Faszination für Löcher endet in dem Moment, wo ich einen Bohrer in der Hand habe. Bin ich gezwungen, Werkzeug

wie Hammer, Schraubenzieher, Zange oder wie der ganze Müll heißt zu gebrauchen, krümmt sich im Vorfeld mein Gedärm und es brennen meine Sicherungen durch. Die Nachbarin von Gegenüber, eine WU-Studentin aus Westösterreich, geht mir aus dem Weg, seit ich vor ein paar Wochen den Klodeckel zu wechseln hatte. Das verlief nämlich nicht so reibungslos wie in der beigelegten Montageanleitung. Wie überhaupt nie etwas so reibungslos funktioniert wie auf diesen aberwitzigen Zetteln. Das einzige was klappte war meine Fluch- und Hasstirade, die – das war mir in dem Moment egal – im ganzen Haus, vor allem aber in der Nachbarwohnung gut hörbar war. Ich will nicht sagen, welche Worte fielen, aber es war viel Menschenverachtendes dabei. Tatsächlich verwundert es mich aber schon, dass die liebe Frau Nachbarin so reserviert reagiert, wenn wir uns im Treppenhaus sehen. Hört sie doch selbst, wenn sie nicht gerade beim Staubsaugen »Rehab« von Amy Winehouse singt, immer ziemlich laut derben Rap und HipHop. Und da kommen auch Worte vor, die nicht unbedingt Aufnahme in zwischenmenschlicher Kommunikation finden sollen. Schon einmal an der Wursttheke mit »15 dag von der Polnischen, du Bitch!« bestellt? Eben. Mach ich auch nicht. facebook.com / illbilly

Jakob Kirchmayr

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Know-Nothing-Gesellschaft Gerhard Berger hat auch nicht jedes Rennen gewonnen

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Sound Actress The Body Ian William Craig Elysia Crampton Deafheaven Einstürzende Neubauten GAS live Gazelle Twin DJ LAG Klara Lewis Moor Mother Stian Westerhus This Is Not This Heat

Performance/Art/Installation Ariel Efraim Ashbel and friends Stephan Geene feat. Claudia Basrawi, Justus Köhncke & Ricky Shayne Vika Kirchenbauer Kris Verdonck / A Two Dogs Company

Tagespässe und Wahlabos erhältlich ab 31.01.17 unter +43 (0) 2732/90 80 33 oder www.donaufestival.at

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