The Gap 153

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153 Magazin für Glamour und Diskurs. MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 153, NOVEMBER 2015

Stefanie Sargnagel – Facebook-Scharfrichterin 001 Gap 153 Cover 03 KORR.indd 1

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If I Don’t Ask, I Won’t Get, 2013, Video-Standbild Video still

STEFAN SAGMEISTER THE HAPPY SHOW

© Sagmeister & Walsh

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28.10.2015 – 28.3.2016 MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst Austrian Museum of Applied Arts / Contemporary Art Stubenring 5, 1010 Wien Vienna, Austria MAK.at

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Stefan Sagmeister: The Happy Show Organisiert vom Institute of Contemporary Art, University of Pennsylvania in Kooperation mit dem MAK. Diese Ausstellung wurde durch The Pew Center for Arts & Heritage ermöglicht. Der Dank des ICA gilt auch The Chodorow Exhibition Initiative Fund für die Unterstützung der Ausstellungstournee. Organized by the lnstitute of Contemporary Art, University of Pennsylvania in cooperation with the MAK. This exhibition is made possible by the Pew Center for Arts & Heritage. ICA is also grateful to The Chodorow Exhibition Initiative Fund for support of the exhibition’s tour.

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Leitartikel von Thomas Weber.

Being Thomas Weber

W

as ich mich gerade frage: Was ist der Plural von Thomas Weber? Nein, keine Angst, ich bin jetzt nicht komplett durchgeknallt. Die Frage drängt sich einfach auf, wieder einmal. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von diesen Thomas Webers. Und Verwechslungen häufen sich natürlich mit der Exponiertheit der Namensträger. Dem ist man als Journalist ausgesetzt, was soll’s. Zeitgenossen mit anderen eher eingängigen als günstigen Namenskonstellationen kennen das. Martin und Markus Huber könnte davon vermutlich ebenso ein Lied singen wie Sabine und Maria Müller. Und der Robert Maier sowieso. Jeder einzelne Robert Maier übrigens! Ein Hassan Maier wäre da deutlich weniger verwechselbar. Aber keine Gedankenexperimente, bleiben wir bei der Empirie. Vor ein paar Jahren rechtfertigte mein Postler ein paar falsch zugestellte Kuverts für mich schlüssig mit den vier, fünf Thomas Webers, die alleine in seinem Zustellrayon zu beliefern wären. Kann man nachvollziehen, muss man als Ausrede durchgehen lassen. Ich habe nachgesehen, herold.at listet unter »meinem« Namen mit Wohnadresse Wien ein paar Personen, u.a. einen Schlosser, einen Webdesigner, einen Psychotherapeuten. Alles praktische Fähig- und Fertigkeiten. Keine einzige davon allerdings beherrsche ich. Verwechslungen sind deshalb eher auszuschließen. So einfach ist das nicht immer. Vor ein paar Tagen erst öffnete ein alter, lange nicht gesehener Bekannter das Chat-Fenster. »Sag, wohnst du zufällig in der Argentinierstrasse?«, poppte da auf. Tu ich nicht, aber unser neues Büro ist im Grätzl. Warum er das wissen wollte? »Na, weil mir ein Thomas Weber etwas

auf Discogs abkauft. Und der wohnt in der Argentinierstrasse. Hätte ja sein können. Eine Fields-Of-The-Nephilim-DVD. Hätte ich mir auch vorstellen können.« Gut, ich zwar eher nicht, aber schön, mal wieder was von Robert gehört zu haben. Ich bin auf Facebook neuerdings sogar mit einem Thomas Weber befreundet. Zwar ist er mir bislang nur namentlich bekannt (haha), aber diese Verbindung hatte sich förmlich aufgedrängt. Schon länger war mir zu Ohren gekommen, bei den Neos – ja, beim neuen Liberalen Forum – würde es auch einen Thomas Weber geben. Soll sein. Nah ging mir die Sache erst, als dieser sich schließlich vor ein paar Monaten den parteiinternen, aber auch für Nicht-Parteimitglieder offenen Vorwahlen für die Wien-Wahl stellte. Gezählte vier SMS von Bekannten, eines sogar von einem Freund, langten bei mir ein. Ihr Inhalt, sinngemäß: »Servas, ich hab dich grad g’wählt!« Was antwortet man da? Danke, Jörg? Eher: »Danke, aber das war nicht ich!« Ich war amüsiert. Weniger lustig war dann allerdings eine parteipolitische Diskriminierung aus dem, nennen wir es: sozialpartnerschaftlichen Milieu, die es offiziell natürlich nie gegeben hat und von der ich offiziell auch nichts weiß. Ein Vertrauter – selbst trotz klarer Gesinnung über jeden parteipolitischen Verdacht erhaben – steckte mir, dass intern besprochen worden wäre, mich künftig eher nicht mehr zu Veranstaltungen einzuladen. Man wäre irritiert, dass »du, der du dich doch sonst so um Distanz bemühst und mit allen redest«, jetzt plötzlich für die Neos kandidierst. Danke für die Offenheit. Aber: Nein, das bin nicht ich, verdammt noch mal! Das ist ein anderer Thomas Weber! Aber durchaus aufschlussreich, was eine politische Kandidatur so für einen bedeuten würde. Und wenn Neos-Politiker von Einschüchterungen, Bedrohungen

und vom Geschnittenwerden berichten, dann klingt das plötzlich unangenehm plausibel – und überaus glaubwürdig. Seit ein paar Wochen übrigens bin ich plötzlich wieder auf besagtem Einladungsverteiler. Im Wahlkampf selbst habe ich von meinem pinken Namensvetter dann recht wenig mitbekommen. Hin und wieder hat es mich kurz gerissen, auf Facebook zu sehen, dass »ich« Dinge für gut befinde, die ich eigentlich eher anders sehe. Wenn ein Thomas Weber etwas likt, dann sieht man selbst, dann sehen gemeinsame Bekannte – 26 derzeit übrigens – ja nur den Namen, kein zuordenbares Bild. Könnte zu Mißverständnissen führen. Auch, dass ich selbst auf Twitter als @ th_weber unterwegs bin und der andere Weber als @tho_weber wird womöglich noch für Wirrnis sorgen. Richtig geflasht hat es dann aber weniger mich, sondern eher Bekannte und, ja, selbst nahe Verwandte, als am Tag nach der für die Neos erfolgreich geschlagenen Wahl Die Presse berichtete: »Thomas Weber wird Landesgeschäftsführer«. Dazu möchte ich ihm hiermit offiziell gratulieren und, was soll’s, auf einen Kaffee einladen. Denn eines haben wir jedenfalls gemeinsam. Auch wenn sie uns manchmal für einen Eber halten. Wir müssen unseren Namen nie buchstabieren. Und als Stefan Weber wurde ich zuletzt auch seltener angesprochen. Bild Michael Winkelmann

If I Don’t Ask, I Won’t Get, 2013, Video-Standbild Video still

© Sagmeister & Walsh

Wir sind viele! Vielleicht ein Trost: Nicht nur jeder einzelne andere Thomas Weber, auch ein jeder Markus Huber und eine jede Maria Müller wird mit Namensgleichen verwechselt. Über Alltagsprobleme mit Allerweltsnamen und das Kreuz mit Namensvettern.

Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber

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Stefanie Sargnagel Was, warum, die wird doch eh schon überall abgefeiert und sonderlich neu ist das auch nicht, weil … Nein. Denn natürlich ist ein grindiger Schmäh und zielgenauer Sarkasmus nicht neu und auf Facebook sind auch viele lustig. Aber Bücher schreiben und Filme machen ist auch nicht neu. Und Stefanie Sargnagel hat heute eine Relevanz als Autorin erreicht, die sich einfach nicht leugnen lässt.

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Magazin Stefanie Sargnagel 014 —— Als Stefanie Sargnagel eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zu einer ungeheuer lustigen Autorin verwandelt. Golden Frame: Heimo Zobernig 018 —— Der Ort selbst ist das Ereignis. Heimo Zobernig hat auf der Biennale nämlich keine Kunst ausgestellt, sondern einfach den Raum selbst zu einem ungeheueren Pavillon verwandelt. Money Boy 020 —— Als Money Boy eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt, das seit fünf Jahren den Swag aufdreht und Hallen ausverkauft. Instagram 022 —— Instagram hat eine eigene Ästhetik entwickelt, Accounts werden vermarktet, sogar gesellschaftliche Probleme bilden sich dort ab. Eine Kritik und Würdigung. Bildrechte 026 —— Was darf ich fotografieren? Und wann darf mich jemand fotografieren? Fotografie in Östereich 030 —— Wo kann man in Österreich Fotografie sehen? Und was macht diese Häuser aus? Macbeth 034 —— Als Michael Fassbender eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren, blutrünstigen Tyrannen verwandelt.

Halbwertszeit eines Buchs 036 —— Wozu das alles? Ein Buch veröffentlichen, damit es sechse Monate später in Wühlkisten verscherbelt wird? Was wenn man nicht wie Franz Kafka entdeckt und Weltliteratur wird? Das fragt sich Martin Zellhofer. Twitter als Schulklasse 038 —— Sie sind laut, haben keine Manieren und dauernd ist wieder ein Shitstorm am Dampfen. Teresa Reiter hat Twitter sehr an eine Schulklasse erinnert. Sorority 040 —— Als das Frauennetzwerk eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand es sich in seinem Bett mit einer ungeheueren Ungerechtigkeit konfrontiert. Sinn City: gender-sensible Stadtplanung 042 —— Wien gilt als Vorreiter. Parks und öffentliche Räume sollen so gestaltet werden, dass sie auch den Ansprüchen von Frauen und Mädchen gerecht werden. Stefan Sagmeister 044 —— Als Stefan Sagmeister eines Morgens aus unruhigen Träumen in seinem Sabbatical erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Designstar auf der Suche nach dem Glück verwandelt.

#27:

Ferne Nähe Wie das Internet Relationen verschiebt und was das für die Politik, Wirtschaft und Raumplanung bedeutet. Mi., 25.11.2015 – Empfang 18:30 Uhr – Start 19:00 Uhr Impact HUB Vienna, vienna.impacthub.net Wien 7., Lindengasse 56 /  Top 18 –19

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Fotografie in Österreich Wenn man einmal die Augen aufsperrt, bemerkt man, wie viele Galerien, Museen und kleine Spaces sich mit Fotografie auseinandersetzen. Manche Events und Eröffnungen werden regelrecht gestürmt. Jeder möchte gute Fotos sehen. Jeder möchte gute Fotos machen. Deshalb gibt es in dieser Ausgabe einen großen Fotografie-Schwerpunkt.

030 Rubriken Leitartikel 003 Inhalt 004 Editorial 006 Porträts / Impressum 006 Fondue 007 Unbezahlter Anzeiger 009 Splitter 010 Workstation: Klaus Pichler und Marion Vicenta Payr 046 Prosa: Ferdinand Schmalz 050 Reviews 053 Termine 058

Bild der Ausgabe Hin und wieder feiern wir uns gerne selbst. Und auch wenn wir dem Brut als Location nachweinen, ist das Celeste auf vielen Ebenen ehrlicher und passender für uns. We happy. Monatlich.

Kolumnen Dance Yrself Clean Know-Nothing-Gesellschaft

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Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussions­plattform Zukunftsszenarien einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.

www.twentytwenty.at www.facebook.com / exploring2020 www.twitter.com / exploring2020

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edit

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Asyl Boy — Du fragst dich, ob Money Boy ernsthaft der einzige Musikartikel ist? Ob das noch dein The Gap ist, das sich mit kritischer, subkultureller Musik auseinander setzt? Nun ja, Print muss sich verändern. Und der Artikel zu Money Boy ist halt sehr witzig und nicht der Text, den du dir vielleicht erwartest (S. 20). Viel Musik ist derzeit außerdem noch im entschlackten Review-Teil zu finden. Vor allem aber online, wo spätestens klar geworden ist, dass Menschen sich eher für neue Videos, die Line-ups der großen Festivals, für Clubkultur und ungewöhnliche Storys interessieren. Das lässt sich leicht auf die anderen Bereiche umlegen, mit denen sich The Gap tagtäglich beschäftigt. Wozu Bücher schreiben (S. 36). warum Instagram (S. 24), warum Literaturverfilmungen (S. 34) und darf ich überhaupt ein Foto posten, auf dem ein semi-prominenter Typ, der heute tot ist, leicht angesoffen mit einem Girl, deutlich erkennbar ist (S. 26). Was uns natürlich auch beschäftigt, ist die Welle von Flüchtlingen, die derzeit nach Europa kommen. Wie muss Design darauf reagieren, was kann man aus Filmen, Kunst und Büchern darüber lernen, welche Rolle spielt Social Media dabei. Solche Texte bringen wir heute online. Es wird nicht immer gelingen und manchmal stinkt eine Story ab, auch wenn man weiß, wie es besser gegangen wäre. Aber wir versuchen das.  Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap

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Magdalena Meergraf

Steven Meyer

Am liebsten auf Achse — Mit Magdalena zu sprechen, ja, nur im selben Raum zu sein, hat schon blutdrucksenkende Wirkung – eine solche Ruhe strahlt sie aus. Man würde gar nicht auf die Idee kommen, dass sie vermutlich gerade darüber sinniert, wo sie als nächstes ein Abenteuer erleben kann. Kuba, Neuseeland, Südostasien hat sie schon erkundet, weil sie der Meinung ist, dass jeder ein bisschen mehr als die eigene Komfortzone sehen sollte. Für Vice recherchierte sie die Flüchtlingssituation auf Sizilien, für die Wiener Zeitung berichtete sie vom Europäischen Forum in Alpbach. Magdalena, die nach einem Publizistik-Bachelor jetzt auch Politikwissenschaften studiert, schaut eben auch im Journalismus gern über den eigenen Tellerrand – in unserer letzten Ausgabe porträtierte sie zum Beispiel den österreichischen Fotografen Andreas Waldschütz. Die Rastlosigkeit bedeutet aber nicht, dass sie nicht gern auch mal nach Hause an den Attersee fährt und dort stilecht ein Zipfer trinkt (»Damit bin ich aufgewachsen!«). 

Reisefeder — Steven hat schnell begriffen, was man bei uns früh im Praktikum erfährt. The Gap ≠ Kurier. Und das ist auch gut so. In beide Richtungen. Er konnte das vorher ja nicht so genau wissen. Denn geboren und aufgewachsen ist Steven im Saarland und hat deshalb von manchen österreichischen Eigenheiten keine Ahnung – was ja oft genug ein Vorteil ist. Seit zwei Jahren studiert er in Wien, Publizistik und Powi. In Redaktionen hat er davor schon reichlich gearbeitet. Zwei Jahre Chefredakteur der Schülerzeitung Erweiterte Realschule zum Beispiel, danach bei der Abi-Zeitung, beim Universitätsfernsehen in Wien oder bei Goodnight. Wenn er nicht Artikel schreibt, sucht er das Leben und den Globus nach Storys ab. Er reist nämlich oft mit dem Backpack und gibt dafür all sein Geld aus, wirklich. Das hat ihm u.a. schon eine Handyrechnung über 1.000 Euro in Australien eingebracht und ja, man kann so etwas offenbar als Putze und Erntehelfer abarbeiten. Aber auch ein Hostel in Hongkong hat sich bei ihm eingeprägt, von dem er sich sicher ist, dass dort mit Menschen gehandelt wurde. Für diese Ausgabe musste er nicht ganz so tief in menschliche Abgründe blicken. Die Foto- und Festivalszene Österreichs tut es zwischendurch auch. 

TEXT AMIRA BEN SAOUD BILD Thomas Kronsteiner

TEXT Stefan Niederwieser BILD Privat

Impressum

HERAUSgeber Thomas Weber chefredakteur Stefan Niederwieser Stv.Chefredakteurin Amira Ben Saoud Redaktion Ranya Abd El Shafy, Benjamin Agostini, Sandra Bernhofer, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Johannes Busching, Ann Cotten, Juliane Fischer, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Manfred Gram, Philipp Grüll, Julia Gschmeidler, Andreas Hagenauer, Teresa Havlicek, Jan Hestmann, Magdalena Hiller, Christoph Hofer, Peter Hoffmann, Michael Huber, Reiner Kapeller, Sophie Kattner, Markus Keuschnigg, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Markus Köhle, Christian Köllerer, Alexander Kords, Christoph Kranebitter, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Franz Lichtenegger, Davi Maurer, Martin Mühl, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Dominik Oswald, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Christoph Prenner, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Martin Riedl, Tobias Riedl, Gabriel Roland, Georg Russegger, Stefan Schallert, Peter Schernhuber, Nicole Schöndorfer, Werner Schröttner, Tanja Schuster, Katja Schwemmers, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Lisa Stadler, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Sophie Strohmeier, Peter Stuiber, Werner Sturmberger, Denise Helene Sumi, Yasmin Szaraniec, Franziska Tschinderle, Erwin Uhrmann, Jonas Vogt, Luise Wolf, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer PRAKTIKUM Christoph Jelinek, Steven Meyer, Sarah Nägele termine Manuel Fronhofer, Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Kurt Prinz, Karin Wasner Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Niko Havranek ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Elisabeth Els, Manuel Fronhofer, Erli Grünzweil, Katharina Kvasnicka Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Micky Klemsch, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Martin Mühl PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Wohllebengasse 16/6, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Wohllebengasse 16/6, 1040 Wien; Tel. +43 (1) 20 57 06; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol. at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, IBAN AT77 14200 20010710457, BIC EASYATW1 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42 HEFTPREIS EUR 2 erscheinungsweise 8 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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www.dasTAG.at facebook.com/TAGtheater

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NDUE

Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at

FAUST-THEATER

Von Gernot Plass Frei nach Goethes „Fa ust

Fr 23., Sa 24. + Di 27. Okt . 2015, Fr 6. + Sa 7. Nov. 2015 jeweils 20 Uhr „Fa(u)st besser als das

WIENER

Original.“

“Gernot Plass’ FaustTheater ist ein kleines Prachtstück der Klassikerbearbeitung. (…) DER STA NDARD

Da hat sich der Busfahrer eventuell zu oft »Speed« reingezogen, und damit ist jetzt nicht notwendigerweise der Film gemeint.

Trainieren auch Sie ihre betrunkene Fein- und Grobmotorik u.a. an folgenden Stationen: »Türe aufsperren«, »Taxifenster rechtzeitig runterkurbeln« und natürlich beim »einkufigen Bett-Helikopter«.

Damit jeder am rechten Parkplatz stehen darf, muss immer einer verkehrtrum in die linke Garage einparken. Die FPÖ ist zum Glück darin geübt, sich rückschrittlich zu bewegen.

Finnische Bruncher nehmen es mittlerweile gelassen, wenn österreichische oder bayrische Touristen mit teils bereits geöffnetem Hosenstall bei der Türe hereinzappeln.

BLUAD, ROZ UND WOSSA

Von Christian Suchy, sehr frei nach Shakespeares „Rome o und Julia“

Fr 30. + Sa 31. Okt. 2015 , Di 3. + Mi 4. Nov. 2015 jeweils 20 Uhr Körpersäfte, Dialekt, viel Musik und abgründiger Hu mor: Basierend auf der wohl ber ühmtesten Liebesgeschichte der Welt durchwatet Christian Suchy gem einsam mit dem TAG-Ensemble un terhaltsam und berührend den Sum pf zwischenmenschlicher Bez iehungen.

TAG - Theater an der Gumpendorfer Straße

Gesehen in einem Kleingartenverein im Südosten Wiens aka »The Lone Star Oberlaa«.

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Kunstfertig bugsiert der gelbe Ball das Schiff über den See.

Tickethotline: 01/586 52 22 oder karten@dasTAG.at Onlinetickets: www.dasTAG.at 23.10.15 13:48


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LUMNE

Die Summe   der einzelnen Teile  für 20 tracks um die welt: wenn man genau darüber nachdenkt, ist das ganze dj-business ein einziger wahnsinn. umso schöner, dass es trotzdem existiert. — Es passiert irgendwann kurz vor Sonnenaufgang, auf einem Dancefloor unter einem warmen, kroatischen Festivalhimmel, als uns auf einmal, angesichts unserer vielen Jahre im Clubleben reichlich spät und naiverweise erst jetzt, bewusst wird, was da eigentlich gerade vor sich geht: Hunderte Menschen pilgern irgendwohin, in den Club um die Ecke oder, so wie in diesem Fall, sogar in ein anderes Land, um die Musik einer einzelnen Person zu hören, die zu diesem Anlass ebenfalls nicht selten extra aus dem Ausland angereist ist. Bei DJs stammt ein Großteil dieser Musik oft nicht von ihnen selbst, sie wählen also eine stark begrenzte Anzahl an Stücken anderer Künstler aus und spielen sie hintereinander. Wenn man annimmt, dass das DJ-Set eines Hauptacts rund zwei Stunden dauert, ergibt das bei einer Laufzeit von fünf bis sieben Minuten pro Platte insgesamt 20, vielleicht 30 Tracks. Der Aufwand, der auf beiden Seiten des DJ-Pults für diese 20 handverlesenen Musikstücke betrieben wird, scheint bei genauerer Betrachtung der Situation enorm. So mögen die Gegner der Clubkultur denken, und man kann ihnen natürlich mit einer Reihe von Gegenargumenten widersprechen, mit dem DJ-Mix als vielzitierte »Reise« argumentieren oder von der Schwierigkeit erzählen, die richtige Musik im richtigen Moment auszuwählen und die Übergänge dazwischen halbwegs souverän hinzubekommen. Hinzu kommt das auch an dieser Stelle oft und immer betonte Potenzial des Dancefloor als Ort der Begegnung und Toleranz, des gegenseitigen Verständnisses und der persönlichen und kollektiven Horizonterweiterung.

In manchen Momenten ist sie für eine Weile …

PROGRAMM ONLINE AB 9. OKTOBER, 11 UHR TICKETS AB 17. OKTOBER, 10 UHR www.viennale.at

Kolumne: »Dance Yrself Clean« Katharina Seidler Kolumnistin, FM4, Falter — @kaseidler

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Bild Pamela Russmann

22. OKTOBER–5. NOVEMBER

In Wirklichkeit braucht es all das als Rechtfertigung, auch vor sich selbst, vielleicht gar nicht. Leute strömen an einen Ort – dies allerdings schon: gesetzt den Fall, sie können es sich leisten und sind auch allen anderen Umständen entsprechend dazu in der Lage – und freuen sich dort über Musik. Sie freuen sich sogar über nur 20 Stücke, die jemand Fremder, dem sie vertrauen, für sie in diesem Moment zusammenstellt. Natürlich sind unter ihnen auch solche, denen es nur um den Rausch geht, und andere, die nur zufällig hier gelandet sind. In diesem Moment aber spielt Gerd Janson auf der Bühne vor uns einen Track, den wir später daheim in Das Kompex’ »Universe« zu identifizieren glauben, und auch der nur als Gegenposition imaginierte Party-Zynismus ist weggeblasen. Wir leben von einem Glauben, der unserer Gegenwart vorauseilt.

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UN B EZ

HL T ER ANZEIGER

Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.

Leaving for a Jetplane

Geldregen

Gacki-Kopf

Wenn Menschen sagen: »Ich steige nie wieder ein Flugzeug«, meinen sie meist jene, die auch abheben. Höhenangst, Terrorismusangst, Klaustrophobie und Angst vor Kontrollverlust gepaart mit Ohrenschmerzen – wieso sollte man sich all dem freiwillig aussetzen? Damit, dass man es auch ganz komfortabel in einem Flugzeug haben kann, hat wohl niemand gerechnet. Zum Beispiel in dieser KLM-Maschine, die in Amsterdam steht und zu einer Wohnung umgebaut wurde. Die einzige Frage: Wie jetzt nach Amsterdam kommen? www.airbnb.com

Hattet ihr auch eine Kindheit, in der euch eure Eltern als Antwort auf käuflich erwerbliche Wünsche geantwortet haben: »I hob jo kan Gödscheißa«? Hättet ihr damals doch schon antworten können: »Wenigstens eine Geldkanone könntest du haben, Mamschi!« Die gibt es – wie fast alles außer Lüüüübe – nämlich auch käuflich zu erwerben. Wenn man so viel Knete hat, um sie »sinnvoll« einzusetzen, fallen die läppischen 88 Dollar, die das schöne Stück kostet, auch nicht mehr ins Gewicht. Und wer keine Marie hat, kann die Cash Cannon ja auch mit Rechnungen laden. www.amazon.com

Die Emojisierung unserer Welt macht ja auch vor kapitalen Dingen wie Köpfen keinen Halt. Das gepaart mit Analem kann eigentlich nur zu so etwas führen. Mit der sogenannten »Doo Doo Maske«, die leicht an das weitverbreitete Gacki-Emoji erinnert, kann man seinem Gegenüber jetzt auch nonverbal vorführen, wie man es findet. »So richtig sch- sch- scheiße«, wie uns schon Tic Tac Toe 1996 vorrappten. Damals gab es zwar weder Emojis noch Masken solcherart – aber manche braune Dinge halten sich leider besonders gern. www.radbag.at

27. – 29. November 2015 POP HERE. POP NOW. FORWARD MUSIC FESTIVAL www.swarovski.com/fmriese

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Yasmin Vihaus (The Gap)

TOP 10

LIEBLINGSSONGS MIT 16

01 Regina Spector – Fidelity 02 José Gonzales – Heartbeats 03 The Kooks – Naive 04 Beatles – Michelle My Belle 05 Adam Green – Bluebirds 06 MGMT – Electric Feel 07 Yeah Yeah Yeahs – Gold Lion 08 Supertramp – Logical Song 09 Seeed – Jackpot Girl 10 Mono & Nikitaman – Wir sind so

TOP 5

DINGE, DIE ICH BEI THE GAP GELERNT HABE

01 Das Verwenden von naisen Anglizismen in Artikeln. 02 Man kann Interviews per Mail führen. 03 Größenangaben von Facebook-Vorschaubildern. 04 Für Gedankenstriche im Typo3 gibt es einen Shortcut. 05 Ein DJ-Quartett erstellen dauert länger als man denkt.

auch nicht schlecht: Winterschlaf

Kino-Fetischisten Frauen kommen gratis hinein, statt Nachos mit Käsesauce gibt es in Pornokinos Taschentücher und Gleitgel. Den Artikel zu den letzten Sexkinos von Wien haben wir in einer Zusammenarbeit mit der FH Wien erarbeitet.

Gabriel Roland (The Gap)

TOP 10

RADIOSENDER

01 Flash FM 02 SF-UR 03 Playback FM 04 V-Rock 05 K-DST 06 KREZ 07 VCPR 08 Wildstyle 09 Double Clef FM 10 K-Jah

TOP 5

01 schleimig 02 mehlig 03 schlatzig 04 teigig 05 pappig

auch nicht schlecht: Kubb spielen

BILD Rosanna Atzara

UNWILLKOMMENE KONSISTENZEN

»Wenn man an ihnen vorbeispaziert, fragt man sich, wie sie überhaupt so lange überlebt haben. Wer geht heutzutage denn noch in ein Pornokino? Kein Wunder also, dass sich die Sexkinos der Hauptstadt an zwei Händen abzählen lassen. Denn die Generation, die auf pornografische Filmaufführungen in Kinos angewiesen war, stirbt langsam, aber zielsicher aus. Wir haben versucht, alle übrig gebliebenen Sexkinos Wiens zu lokalisieren und auf schnörkellosen Fotos festzuhalten, bevor sie womöglich bald in die Kategorie Ruin Porn fallen.« Rosanna Atzara ist so in ihre Story über die letzten Sexkinos in Wien eingestiegen. Dazu war sie vor den Kinos und hat alle sehr stimmig fotografiert und knackig beschrieben. Sie ist eine von zehn Studierenden, mit denen die leitende Redaktion von The Gap – Stefan Niederwieser und Amira Ben Saoud – derzeit Storys entwickelt. Das fängt bei der Themenfindung an, geht über die genaue Konzeption, Ausarbeitung bis hin zum richtigen Bild, Überschrift und Facebook-Post. Normale redaktionelle Arbeit eben. Selbst lernen wir auch noch etwas dabei von den Teilnehmern. Und das ist schön und erfreulich. 

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Beiträge, die im Rahmen eines Praxis-Seminars am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien der WKW entstehen, sind demnächst hier erreichbar. www.thegap.at/fhwien

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Anze


POTENTIALe ›› 30.OKTOBER – 19.NOVEMBER 21 TAGE DER STADTRAUMENTWICKLUNG KUNST . DESIGN . FOTOGRAFIE ›› FELDKIRCH WWW.POTENTIALe.AT

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Luke Lametta (Bester Troll)

TOP 10

AUFREGENDSTE FORMEL-1-FAHRERNAMEN

01 Jacky Ickx 02 Piers Courage 03 Wolfgang Graf Berghe von Trips 04 Vittorio Brambilla 05 Elio de Angelis 06 Emerson Fittipaldi 07 Gilles Villeneuve 08 Andrea de Cesaris 09 Don Beauman 10 Andreas Nikolaus Lauda

TOP 5

DIE GRÖSSTEN, LEBENDEN GENIES

01 Elon Musk 02 Bob Dylan 03 Grigorij Perelman 04 Satoshi Nakamoto 05 Vincent Viola

auch nicht schlecht: Eingriffe in die Gehirnchemie und das Entfachen wahrer Feuerwerke aus Lust und Leidenschaft im weiblichen Körper.

www.thegap.at/goodies »Er ist wieder da« Timur Vermes hat für sein Romandebüt 2012 ein Aufregerthema gewählt: Hitler ist nicht tot, sondern wird in der Jetztzeit zum Medienstar. Die Verfilmung spielt gekonnt mit dem Thema und setzt mit dem Einweben von dokumentarischem Material besondere Akzente. Wir verlosen 3 Pakete bestehend aus je zwei Kinokarten und einem Buch.

»Poltergeist« Horror-Regisseur Sam Raimi steht als Produzent hinter diesem Remake von Gil Kenan. Gemeinsam lassen die beiden wieder eine Familie in ein Idyllisches Haus in der Vorstadt ziehen – auf dass dunkle Mächte sich mit der Familie anlegen. Und diese muss zusammenhalten, um die jüngste Tochter zu retten. Jetzt als Blu-ray 3D, Blu-ray & DVD im Extended Cut! Wir verlosen 2 3D-Blu-rays.

»Assassin’s Creed Syndicate« Jacob, die zentrale Figur im neuesten »Assassin’s Creed«-Teil hat mit seiner Zwillingsschwester Evie endlich eine starke Frauenrolle an seiner Seite. Gemeinsam müssen sie im London des Jahres 1868, als die Industrialisierung ihre schönen, für viele aber auch nachteiligen Folgen zeigt, eingreifen und die Unterdrückten stärken. Wir verlosen 3 Games für PS4.

Hanna Herbst (Vice)

TOP 10

LIEDER ZUM UNTER DER DUSCHE HEULEN

01 Portishead – Roads 02 Antony and the Johnsons – Hope There’s Someone 03 Joni Mitchell – A Case of You (auch James Blake-Cover) 04 Chris Isaak – Wicked Game 05 Perfume Genius – Dirge 06 Earl Sweatshirt – Chum 07 King Creosote & Jon Hopkins – John Taylors Month Away 08 Lapalux – Without You (Featuring Kerry Leatham) 09 Brolin – NYC 10 Massive Attack vs. Burial – Paradise Circus

TOP 5

ARTIKELVORSCHLÄGE VON BEWERBERN (KEIN WITZ, ALLES ZITATE)

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Verschiedene Festivals Geschenke – Fluch oder Segen? Warum die Juden das Kapital der Erde besitzen Was hat das Wassermannzeitalter mit Alicia Keys zu tun? Wurde New York in einem Tag erbaut, wenn ja von wem?

auch nicht schlecht: Regen und Bud Spencer

»Babadook« Amelia ist nach dem Tod ihres Mannes alleinerziehende Mutter. Zu Ihrem Sohn Samuel bemüht sie sich um eine innige Beziehung, doch der Junge zeigt sich in letzter Zeit verhaltensauffällig und Amelia ist zumehmend überfordert. Und dann ist da noch der Babadook. Ein böser schwarzer Mann, ein Monster aus einem Kinderbuch. Oder ist er doch real? Jedenfalls droht er, das zarte Familiengefüge komplett durcheinander zu bringen. Wir verlosen 2 Blu-ray-Steelbooks.

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Stefanie Sargnagel – »Fitness« — Wenn Bücher schreiben sekundär ist

»Ich bin Stefanie Sargnagel und ich lebe im Internet.« Sprach’s, worauf den Auskennern – fast allen im Publikum – schon der erste Lacher entfährt. Die Autorin fischt ihr Debüt »Binge Living« hervor und sagt, dass es sich nicht um ihr eigentliches Leseexemplar handle. Dieses habe sie samt Rucksack verloren, als sie Flüchtlingen über die Grenze half. Der Rucksack, der für eine Spende gehalten wurde, sei nun im Besitz von syrischen Flüchtlingen, die ihr jetzt massenweise Fanbriefe schickten. Die Zuschauer lachen wieder. Es ist genau diese Art von schwarzem Humor, den Sargnagel tagtäglich auf ihrem persönlichen Facebook-Profil, wo sie so gut wie alles öffentlich und in einer Frequenz, die sich mit Moneyboys Twitter-Account messen kann, postet und für den ihre Fans sie so lieben. Wie viele, will Sargnagel gar nicht unbedingt wissen. »Dass so viele Leute lesen, was ich schreib’, blende ich eigentlich ziemlich aus.« Es wäre ihr lieber, für eine Szene zu produzieren, von der sie weiß, dass sie sie versteht. Denn trotz allem Schmäh, trotz meisterlich vorgeführter Wurschtigkeit ist der jungen Autorin ein gewisser Wunsch nach Kontrolle nicht abzusprechen – ob ihr neues Buch in Deutschland so ankommt, wie es gemeint ist, darüber macht sie sich zumindest Gedanken.

Sargnagel-Kommentar, der auch immer verlässlich kommt und bei ihren Fans so gut wie uneingeschränkt unterstützt wird. Die Mischung aus akkurater Beobachtungsgabe, charmantem Sarkasmus und pointierter Ausdrucksweise plus Hang zum Nihilismus ermöglicht ihr das fast Unmögliche: ordentlich austeilen zu können, dabei aber kaum einstecken zu müssen. Weil Sargnagel so tut, als würde sie sich selbst nicht ernst nehmen, macht sie sich ziemlich unangreifbar. Umso heftiger bekommen es jene auf den Deckel, die diese Fähigkeit zur Selbstironie kaum zeigen. Medien wie Vice, für das sie selbst ab und an schreibt, wie auch Wanda, die genauso wie sie selbst von Stefan Redelsteiner »entdeckt« wurden, bieten – was das betrifft – genug Angriffsfläche. Dass sich Sargnagel in einer Stadt, wo jeder jeden kennt und ja niemand irgendjemandem auf den Schlips treten möchte, nicht den Mund verbieten lässt, darf tatsächlich als außergewöhnlich gelten – auch wenn der Verdacht naheliegt, dass es dabei weniger um eine Ansage gegen Verhaberung geht, als darum, selbst in Form des besten Schmähs und bitterbösesten Kommentars das letzte Wort zu haben. Ja, sie hat auch schon daneben gehaut, aber auch dann folgen ihre Fans ihr in jede Diskussion und jedes Posting-Scharmützel. Meistens trifft ihre Kritik aber zielsicher ins Schwarze.

With great power come great jokes

Alles richtig gemacht

Sargnagel hat eben längst eine kritische Größe erreicht, die es nicht mehr erlaubt, die eigene Rezeption voll und ganz steuern zu können. Auf der anderen Seite hat sie in einer gewissen Szene auch das Sagen. Bei manchen tagesaktuellen Diskursen bis Shitstorms, die da in der eigenen Timeline aufpoppen, wartet man nur auf den beißenden

Auch wenn Stefanie Sargnagel gerne davon spricht, welche gewaltigen Probleme sie mit Selbstdiziplin hat, so hat sie mit ihrem Erstling »Binge Living« alles richtig gemacht. Mehr als 50 Lesungen – der einzige Weg übrigens, um mit Büchern noch Geld zu verdienen – hat sie nicht nur ertragen, sondern gemeistert. Denn die Frau mit der roten

Text Amira Ben Saoud Bild Niko Havranek

Stefanie Sargnagel, Königin der Schwarzer-Humor-Abteilung im österreichischen Internet, hat ihr zweites Buch zusammengeschustert. Die eigentliche Leistung ist aber eine andere.

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Mütze ist nicht nur im Internet lustig, sondern auch live eine ausgezeichnete Unterhalterin – nur eine der vielen Leistungen einer Person, die auf Worte wie Leistung eher scheißt. Dass Sargnagel mit »Fitness« nun ein zweites Buch vorlegt, ist in erster Linie die Erfüllung eines Vertrags mit der Redelsteiner Dahiméne Edition, einem Verlag, der das Potenzial einer jungen Autorin früh erkannte und es schaffte, sie zumindest auf die Dauer weniger Jahre an ihn zu binden. Das ist auch gut für die Autorin, denn über Facebook-Statusmeldungen können Tageszeitungen, Magazine und der deutsche Feuilleton, auf den es das zweite Buch auch abgesehen hat, eben schwer berichten.

Literatur ins Netz gebracht Wie Sargnagel selbst sagt, handelt es sich bei »Fitness« um eine Textsammlung. Das Konzept, Facebook-Statusmeldungen, Kürzestgeschichten aus dem Callcenter, wo sie nach einer sechsmonatigen Bildungskarenz wieder arbeitet, Zeichnungen und kleinere gonzojournalistische Arbeiten in Buchform zu bringen, wurde beibehalten. Ein zweites Buch mit gleichem Konzept zu machen ist zwar nicht verwerflich, Faulheit wird ihr trotzdem vorgeworfen werden. All das führt aber ohnehin am Punkt vorbei. Stefanie Sargnagels Leistung – um bei dem schönen Wort zu bleiben – liegt nicht darin, aus Facebook-Statusmeldungen ein Buch und damit in einem gewissen Grad Literatur gemacht zu haben, sondern Literarizität überhaupt einmal ins Netz gebracht zu haben. Dort hat sie eine riesige Leserschaft aufgebaut und darüber hinaus aus kleinen Text-Teilen eine Art modernen Künstlerroman geschaffen, ein selbstironisches Tagebuch, eine niemals endende, höchst unterhaltsame Ego-Doku in völlig neuer Form. Sie tut damit etwas, was viele gerne würden: ihren ganzen »Stream of Conciousness« irgendwohin auslagern. Sie tut es aber besser, als viele es je könnten. Also liken sie es. Wer Sargnagel regelmäßig liest, weiß, dass ihre wahre Stärke neben der Witzchen auf 100–200 Zeichen eigentlich in den längeren Texten liegt, die sie bisher ganz subjektiv geschrieben hat. Wenn sie einen Text ins Blaue produzieren müsste, wüsste sie nicht wie, sagt sie beim Interview. Man glaubt kurz, ein Eingeständnis einer Schwäche zu hören, bis sie hinzufügt, »Ich seh aber auch keinen Grund, längere Texte zu schreiben«. »Fitness« von Stefanie Sargnagel ist bereits in der Redelsteiner Dahimène Edition erschienen.

Dein neues Buch »Fitness« ist ja schon sehr ähnlich wie dein Debüt »Binge Living«. Wieso heißt es eigentlich nicht gleich »Binge Living 2«? Das haben wir eh kurz überlegt. Mir war klar, dass Leute sagen werden: »Das ist ja dasselbe«, aber dann kann man auch zu jedem Kolumnenschreiber sagen: »He, du machst ja schon wieder eine Kolumnensammlung«. Es ist halt einfach eine Textsammlung. Du hast eben gemeint, jemand, dem du ein Interview gegeben hast, hätte sich dann auf das Thema Faulsein draufgesetzt … Die Journalistin hat halt geschrieben, ich wäre »so eine Mindestleisterin«. Ich fand’s eh witzig, mein Selbstbild ist ja auch so – mich hat’s nur gewundert, weil wir in dem Interview eigentlich über andere Sachen geredet haben, übers Reisen und Reportagen schreiben. Nervt dich Facebook je so sehr, dass du eigentlich gar nichts mehr posten magst? Nein, überhaupt nicht. Wenn, dann kommt das erst. Ich stelle ja seit meinem 15. Lebensjahr Sachen ins Internet. Ich glaube, das ist ein grundsätzlicher Erzähldrang, der nicht aufhören wird. Es gab gerade eine Welle von so ur komischen Leuten, die plötzlich da waren und unter Postings Sachen schrieben wie »Jo, üba ondere Witze mochn« und so. Mir wär’s schon lieber, wenn das in einer bestimmten Szene bleibt, als wenn da 100.000 Leute mitlesen, die es eh nicht verstehen. Bekommst du auch Nachrichten von grantigen Menschen? Schon, aber es sind meistens Trotteln. Was mich aufregt ist weniger, dass sie mich angreifen, sondern die Unhöflichkeit. Wenn es wirklich Leute wären, wo ich mir denke, dass die coole Sachen machen, würd’s mich treffen, aber so … Wie waren die Lesungen in Deutschland, wo sind die Unterschiede? In Deutschland haben sie immer das Gefühl, ich will irgendwie arg sein und in Wien es eher so, dass mans als Wienerisch sieht. Bücher verkauft hab ich fast keine, aber sie haben eh gelacht. Das Buch ist ja wenig politisch, aber auf Facebook äußerst du dich schon zu solchen Sachen wie jetzt zur Flüchtlingsthematik. Bei politischen Sachen bin ich ja normalerweise sehr sarkastisch, aber wann ist in Österreich schon mal so ein konkreter Notfall, wo man das Gefühl hat, die großen Probleme der Welt kommen plötzlich bei uns an und es geht jetzt um Leben und Tod und ich kann vielleicht ein paar Leute motivieren, was zu machen? Gehst du wählen? Ja, ich geh’ schon immer wählen. Ich frage, weil das, wofür du wahrgenommen wirst, ja schon so eine gewisse Grundwurschtigkeit ist. Ich bin ja doch mit dieser linksradikalen Szene verbandelt, mein engerer Freundeskreis besteht ja schon mehr aus Links-Hippies als aus Hipstern. Was ist mit den Kunst-Leuten – du hast dich ja in einem längeren Text ziemlich über junge Künstlerinnen und Künstler lustig gemacht? Es geht in dem Text um jemanden, der selber Kunst macht, deswegen schreibe ich ja am Schluss, »die beste Künstlerin bin ich« – da ist klar, dass ich mich mitmeine. Wenn wir jetzt in einem repressiven Staat leben würden, würd ich nicht drüber schreiben, wie wurscht das alles ist – da würd ich vielleicht mehr für die Freiheit der Kunst kämpfen. In Wien hat man schon das Gefühl, Kunst ist ein Hobby von Rich Kids. Wenn du aus anderen Haushalten kommst, studierst du wahrscheinlich schon eher was, was dich finanziell absichert. Mittlerweile bist du selbst als Künstlerin erfolgreich, wie wirkt sich das auf die Inhalte aus?

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Faul, grantig, Opfer, Fotze – Lauter Begriffe, die Stefanie Sargnagel immer wieder für sich selbst verwendet hat. Weil sie auch an sich selbst austeilt.

Stimmt schon, da gehen ein paar Schmähs drauf – Ich hab ja jetzt nicht ur viel Geld, aber ja, meine Lebensprobleme sind schon ein bisschen anders geworden. Eigentlich geht’s eh mehr um den schwarzen Humor – ich dachte ja immer, meine Sachen verstehen nur Leute, die so drauf sind wie ich und dann bin ich draufgekommen, ich hab auch so eine MedizinerClique als Fangruppe. Kürzlich hattest du ja so einen kleinen Anfall, wo du dich über Generationstexte aufgeregt hast. Als ich dein Buch gelesen habe, war da ein klassischer Gen-Y-Satz drin: »Ich identifiziere mich mit nichts. Ich identifiziere mich nicht mal damit, mich mit nichts zu identifizieren.« Ist das nicht genau dasselbe? Möglicherweise könnte das in so einem Text stehen, aber ich sehe ihn trotzdem nicht als bezeichnend für unsere Generation. Es gibt ja noch ganz andere Lebensrealitäten. Es gibt Leute, die wollen bei Google arbeiten, die würden eher schreiben, wie karrieristisch alle sind. Oder Leute, die halt eine Lehre mit 16 gemacht haben. Dieser »Struggle mit dem Leben«, das sind halt so Jungjournalistinnen und ihre Journalisten-Freunde. Das hat mich an dem Vice-Text so aufgeregt, dass dort steht, »Wir können alles studieren, was wir wollen« – nein, können wir eben nicht! Ein Freund von mir hat Legasthenie, der kann nichts studieren. Eine gewisse Subjektivität find ich schon gut, aber man muss auch reflektieren, dass man selbst nicht alle Menschen ist. Gibt’s eigentlich Leute, die wirklich wichtig für dich sind, einflussmäßig? Es gibt Leute, die wichtig sind, aber von denen ist niemand etabliert, außer Deix, der mich wirklich beeinflusst hat. Vier Leute, die mich sprachlich beeinflussen, sind der Witzmann, die Puneh (Anm. Ansari), ein Freund von mir, der nicht mehr schreibt und ein Freund von mir, der gestorben ist. Von den Leuten, die ich als am talentiertesten empfinde, reißt fast niemand was. Das liegt aber wahrscheinlich daran, dass ich das Tragikomische mag und dass das oft eher depressive Leute entwickeln. Die Leute, die am besten sind, sind wahrscheinlich auch zu selbstkritisch.

Und gibt es Leute, die dich imitieren? Imitieren weiß ich nicht, aber ich find’s ur lustig, wenn ich merke, dass mein Duktus jemanden beeinflusst, vor allem, wenns Typen sind. Ich glaub nicht, dass ich es mir einbilde, weil ich so größenwahnsinnig bin. Thema Österreich-Hype in Deutschland: Wanda, Bilderbuch, Vea Kaiser…? Kann man glaub ich von der Musik eher behaupten. Österreichische Autoren gab’s ja immer, die in Deutschland erfolgreich waren, da könntest du auch Clemens Setz nennen. Vea und ich sprechen schon andere Zielgruppen an und Bilderbuch haben ja nicht so dieses »österreichische«. Gut, aber du und Wanda – da kann ich mir schon vorstellen, dass das Leute als eine Bewegung wahrnehmen. Ja das kann ich mir auch eher vorstellen, weils mit diesem bissl Fertigen spielt. Ich denk ja auch viel drüber nach, warum es da diese Verkultung von dem Kaputten gibt. Man ist ja auch ein Hackler, obwohl man überhaupt keiner ist. Das Tiafe und das Hochkulturelle sind weniger getrennt als in Deutschland – deswegen glaube ich ja auch, dass das Buch dort anders rezipiert werden wird. Ich weiß ja nicht, ob ich Wanda hasse. Ich bin da sehr zwiegespalten. Wie ich zum ersten Mal ihre Poster gesehen habe, dachte ich mir halt »wäh«. Die haben sowas Schmieriges, wo man sich denkt, die ganzen Musikjournalisten projizieren ihre ganzen MinderjährigenFick-Fantasien auf die, andererseits find ichs ganz cool, dass sie nicht dieses fade Indie-Diskurspop-Mäßige haben, sondern den Mut zu großen Emotionen. Wie war’s denn eigentlich in der Bildungskarenz? Nicht so gut, ich hatte fast so eine Art Depression, es war ja auch im Winter. Ich hab dann immer ur viel geschlafen und hatte dann schon ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht vor elf aus dem Bett gekommen bin. Ich mach meine Sachen immer eine Stunde vor der Deadline, aber bin halt trotzdem die ganze Zeit belastet damit – kennen eh die meisten. Ich hatte eigentlich sechs Monate nur schlechtes Gewissen. 017

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Die schwarzen Platten sind neu. Was man als Besucher nicht auf den ersten Blick sieht. Kunstwerke fehlen sonst im รถsterreichischen Biernnale-Pavillon. 018

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golden frame — Heimo Zobernig – Ohne Titel

Troll Mittlerweile fahren die seltsamsten Menschen auf die Biennale. Nicht nur die Yacht-Besitzer auf Kunst-Shoppingtour, sondern Leute, die ansonsten selten ins Museum gehen und beim Kulturteil der TVNachrichten auch mal umschalten. Sie sorgen für regelmäßige Besucherrekorde in Venedig. Kunst ist hier Event. Die Stadt, das Essen, die Selfies sind oft mindestens so wichtig wie die Zeit in den Ausstellungsräumen. Diese sind schon wieder voller spektakulärer Apparaturen, begehbareren Installationen, aufwendig gedrehten Videos und schönen, seltsamen, grandios nutzlosen Dingen. Nur Heimo Zobernig trollt. Wenn man den österreichischen Pavillon links hinten am Ende der Giardini betritt, sieht man erst einmal nichts. Schwarzer Boden, schwarze Decke, weiße Säulen, weiße Wände, hinten ein kleiner Garten. Wo ist das Kunst-Zeug? Warum hängt hier kein Bild, läuft kein Video und findet auch kein Aktionsmus statt? Leute schlendern durch den Raum, einige sind schnell wieder weg, andere schauen auf die Tafel, auf der steht, dass hier der Pavillon selbst das Ereignis ist. Heimo Zobernig würde nämlich einen Lokus konstituieren, in dem man verweilen und über die menschliche Präsenz im Raum reflektieren könne. In wenig anderen Texten steht so viel hochgequirlte Scheiße wie in den Beipackzetteln zur Kunst. Aber immerhin sollte damit klar sein, das ist es, das ist alles, der Pavillon. Heimo Zobernig hat ihn umgebaut, die Rundbögen im Inneren hinter dicken, schwarzen Blöcken versteckt, ebenso wie die niedrigen Stufen, die seltsamen Glastüren und hinten raus zum Innenhof die abgewetzten Bodenplatten. Der Innenhof wurde durch die neue, massive Decke deutlich verändert. Vorher war der Pavillon geradlinig, historisierend und leicht verspielt, jetzt wirkt er schlicht und elegant. Und den Raum reflektieren und sich erholen kann man darin ja auch. Heimo Zobernig ist ja gar kein Architekt, sondern maximal Bildhauer. Er mag die kleinen und minimalen Gesten, die oft große Wirkung haben. Manchmal haben sie halt auch kleine Wirkung oder anderes in den Pavillons der Giardini eine größere. Aber egal, hier geht es nicht um nationalen Schwanzvergleich mittels Kunst. Naja, auf eine Art schon, aber lassen wir das. Zobernig ist hier eine zarte Raumskulptur gelungen. Eine, die er demnächst in Bregenz weiterentwickeln wird. Dass er nebenbei die Spielregeln der Biennale, des Marktes und der Kunst einfach trollt und mit seiner Umarbeitung des Ausstellungsraums meta geht, macht diese Skulptur auch noch sympathisch. Der Österreich-Pavillon von Heimo Zobernig ist noch bis 22. November auf der Biennale in Venedig zu sehen. Die Ausstellung »Heimo Zobernig« läuft vom 12. November bis 10. Jänner 2016 im Kunsthaus Bregenz. Dort soll eine Weiterentwicklung der Arbeit in Venedig zu sehen sein.

Text Stefan Niederwieser Bild georg Petermichl

Wo ist die Kunst? Wo ist die Kunst? Der Biennale-Pavillon selbst? Heimo Zobernig macht den Raum zum Ereignis.

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Money Boy und fünf Jahre »Dreh den Swag auf« — Mbeezy hat die Form vom Inhalt getrennt

Erkenne den Money Boy in dir Die Marke Money Boy steht seit nunmehr fünf Jahren für Swagger-Rap aus Österreich. Aber was wäre, wenn das Herz des Boys unter all den Chains für postmoderne Medienkritik schlägt?

Text gabriel roland Bild David Bauer, Money Boy

Am 2. August 2015 twitterte Money Boy frühmorgens: »Es geht jetzt nur noch um gute Musik, Texte werden ab jetzt von Ghostwritern geschrieben«. Zu der Zeit war das ganze Rap-Game in eine Kontroverse um angebliche Reference Tracks für Drake vertieft. Natürlich war der Tweet ein Kommentar darauf. Wenn man sich das Schaffen von Money Boy ansieht – man sollte wohl eher sagen, seine gesamte Existenz –, ergibt sich aber auch eine tiefergreifende Lesart.

6. Oktober 2010 – A Hype is Born

Kommunikationswissenschaft mit einer Arbeit über Gangsta Rap in Deutschland ab, bevor er sich ganz dem Musikbusiness widmet. Schon kurz nach dem schlagartigen Erfolg mit »Dreh den Swag auf« unterschreibt Meisinger bei Sony Music und beginnt durch Deutschland zu touren. Der künstlerische Tiefpunkt lässt auch nicht lange auf sich warten: Mit dem sogenannten »Club Remix« zu »Dreh den Swag auf« werden nicht nur Fragen nach etwaigen Lizenzverpflichtungen umgangen, sondern auch das bisher schwächste Werk von Money Boy vorgelegt. Ein von Warda.at produziertes Video tut sein Übriges und erspart uns nicht einmal La Hong.

»Das Video zu ›Dreh den Swag auf‹ ist draußen! Money Boy Swag!« 36 Mixtapes 2013 läuft der Major-Vertrag endlich aus und Money Boy veröffent– der Tweet am 6. Oktober wurde zwar nur sechsmal retweetet, damit wurde Money Boy aber erst geschaffen. Das Soulja Boy-Remake »Dreh licht »SWAG«, sein erstes Album, im Eigenverlag. Der herkömmlichen den Swag auf« wurde auf Youtube inzwischen über 22 Mio. Mal ange- Verwertung durch ein Label hat sich das Phänomen Money Boy aber schaut. Der Hype um den Track, der nicht unwesentlich durch Spott sowieso entzogen. Die unvergleichliche Frequenz, mit der Mbeezy seit und Hate angetrieben wurde – das Video hat beinahe 250.000 negative nunmehr fünf Jahren frei verfügbare Tracks und Mixtapes – bisher 36! Bewertungen –, ist auch nach fünf Jahren noch präsent. – produziert, wird nur von der scheinbar unbeirrbaren Konsequenz in den Schatten gestellt, via Social Media seine Musik mit einer Aura an Am Tiefpunkt: La Hong Aktivität zu umgeben, die weit über das hinausgeht, was man sonst Es ist kaum übertrieben zu behaupten, dass Sebastian Meisingers »Promo« nennt. Es ist unmöglich zu behaupten, man würde Money Leben ganz im Zeichen des HipHop steht. Er behauptet, seit seinem Boy kennen, ohne ihm auf Twitter und Youtube zu folgen, wo sich 13. Lebensjahr jeden Tag Rap-Musik gehört zu haben, war als Fan und wenig bekannte Juwelen wie das fulminante »Wie man Rapper ausHobbyrapper aktiv und schließt sein Studium der Publizistik- und raubt« finden lassen. 020

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Alles löst sich in Swag auf

Form ohne Inhalt Nur das Gesamtbild macht verständlich, warum vom »Phänomen« Money Boy die Rede ist. Auch wenn unklar bleiben muss, ob er Kommentar auf die Gegenwart oder doch ihr Symptom ist, zeichnet sich Money Boy durch konsequente Medialität aus. Oder auch: Money Boy hat die Form erfolgreich vom Inhalt getrennt. Das war schon vor fünf Jahren so. Natürlich sind Remakes wie »Dreh den Swag auf« nichts Neues, die vollständige Aneignung der Formalismen eines Genres bei gleichzeitiger Entfernung aus dem für die Bedeutung maßgeblichen Kontext stellt aber dennoch eine besondere Leistung dar. Money Boy nimmt sich, was er braucht. Viele andere Deutsch-Rapper mussten sich anstrengen, um sich diesem fremden Genre anzunähern und dieses mit neuen, gleichzeitig passenden Inhalten füllen. Money Boy hingegen erspart sich das Füllen der Form mit relevanten Inhalten. Immerhin ist bereits das US-amerikanische Vorbild, also der Swagger-Rap der Marke Soulja Boy, weitestgehend inhaltsentleert und bietet sich daher besonders als postmoderne Formhülse an.

»swag am haven ähmlich wie 1 swag Boy« Dieses Kippen des Verhältnisses von Form und Inhalt zugunsten Ersterem entfaltet sich voll und ganz auf Twitter. Größtes Augenmerk liegt auf der Frequenz der Tweets sowie einem überaus dynamischen Repertoire an Formalismen. So werden beispielsweise beim Vertippen am Handy häufig auftretende Formen (»Albung« statt »Album«, »bim« statt »bin«) und das Ersetzen von möglichst vielen Wortteilen durch »1« bewusst zur Überformung des Mediums eingesetzt. Genauso werden aus dem Englischen importierte Worte mit im Deutschen ungewöhnlichen Satzkonstruktionen (»Ich bin den swag am haven ähmlich wie 1 swag Boy / Und deswegen tut von Gucci be-en meine Bag neu«, @ therealmoneyboy am 18.8.2014) gemischt. Auch Sprache ist nicht mehr als ein frei zu Verfügung stehender Code.

Auch Money Boy hat zu dem Beat von »Drill Time« einen Track aufgenommen, die Frage, ob er tatsächlich irgendjemanden bei Tageslicht shootet, wurde aber nicht gestellt. Schon längst ist klar, dass Meisinger / Money Boy nicht nur seine Musik, seine Sprache und seinen Social Media-Auftritt als postmoderne Versatzstücke sieht, sondern dass er auch seine eigene Identität als mediales Vehikel auffasst. Es geht also tatsächlich nur um die formalen Aspekte, also die Musik, der Inhalt kann genauso gut von Ghostwritern geschrieben werden und ist demnach weitgehend beliebig. Gleichzeitig ist es aber keineswegs selbstverständlich, dass es anderen gefällt, wie Money Boy den Inhalt abschafft. Die bewusste Provokation mit Themen wie Pädophilie, die Verehrung von Andreas Lubitz oder die meist widerspruchslos als formales Mittel angewandte Homophobie und der ebenso grassierende Sexismus machen diese postmoderne Auflösung der Begrifflichkeiten oft schwer verdaulich. Andererseits passiert kaum etwas ohne die dazugehörige Brechung. Tipp: Man höre sich Money Boys Version von »Choices« dicht gefolgt von seinem Track »Juicy Gay« an.

Erkenne den Money Boy! Die fortschreitende Verselbstständigung der Form gegenüber dem Inhalt und die Auflösung von authentischer Identität ist eine zeitgenössische Gegebenheit, die selten augenfälliger wird, als wenn uns zur Beschreibung von Befindlichkeiten zuallererst ein Emoji in den Sinn kommt, oder wenn im scheinbar konsequenzfreien Raum des Internets sozialisierte Jugendliche glauben, eine Vergewaltigungsdrohung sei ein Witz. Zu dieser Realität erstellt Money Boy etwas wie einen laufenden Kommentar. Indem er Ausdrucksformen und -kanäle kompromisslos auf die den Medien inhärente Weise benutzt, führt er uns – willentlich oder nicht – die Absurdität unserer Kommunikationsformen als Teil der Conditio humana des frühen 21. Jahrhunderts vor. Man muss nur bereit sein, sich selbst in Money Boy zu erkennen. Money Boy tourt mit seiner Glow Up Dinero Gang durch Österreich und Deutschland und veröffentlicht laufend neues Material über Youtube und moneyboy.at. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben, empfiehlt es sich @therealmoneyboy auf Twitter zu folgen.

Das Spiel mit der Authentizität Der Inhalt bleibt dabei nicht lediglich auf der Strecke, er fällt vielmehr einer totalen Umkehrung anheim. Anstatt als eigentliche Botschaft die Beschaffenheit der Äußerung zu bestimmen und diese als Medium zu verwenden, ist er hier darauf reduziert, als austauschbare Substanz für das Spiel mit Formalismen zu dienen. Das ist natürlich empörend für all jene, die von einer Einheit von Inhalt und Form ausgehen, die dann oft Authentizität genannt wird. Authentizität ist, nicht nur im Pop, ein schwer definierbares Konstrukt. So ist es nach wie vor öffentlichkeitswirksam, wenn Slim Jesus nach seinem plötzlichen Erfolg mit »Drill Time« zugeben muss, dass er in seinem sogenannten echten Leben gar keine Menschen erschießt. 021

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Das allererste Foto auf Instagram zeigt einen Hund. Weitere kamen nach.

Instagram — Schöner, schneller, weiter

Text Nikolaus Ostermann, Dominik Oswald, Stefan Niederwieser Bild Instagram / @kevin, Misterflopatrick, The Gap

Filter Unser Die Fotoplattform Instagram feiert dieser Tage ihren fünften Geburtstag – mehr als 400 Millionen User, Mutter Facebook sowie fast der ganze Rest des Internets feiern mit. Gute Aussichten. Eine Milliarde US-Dollar sind schon ziemlich viel Geld. Und es war 2012 ein stolzer Kaufpreis für ein Start-up, das zu diesem Zeitpunkt gerade einmal eineinhalb Jahre alt war, zwölf Mitarbeiter, kein Geschäftsmodell, dafür aber bereits 30 Millionen aktive Benutzer hatte. Gerade wurde die zum Facebook-Imperium gehörende App fünf Jahre alt. Die Milliarde Dollar wirkt heute wie ein Schnäppchen. Denn inzwischen verwenden 400 Millionen Menschen Instagram. Das liegt unter anderem daran, dass die Gründer von Instagram – Kevin Systrom und Mike Krieger – sich zu Beginn auf drei wesentliche Faktoren konzentrierten: Vorhandene Foto-Apps und das Internet waren langsam, also musste das neue Ding schnell sein. Inhalte sollten möglichst rasch und einfach in andere Netzwerke teilbar sein. Die teils schlechte Qualität von Smartphone-Kameras sollte in den Griff gebracht werden. Diese Probleme wurden gelöst und machten den Erfolg aus. Die Geschwindigkeit zog man über die Reduktion auf kleine Bildquadrate massiv an, Share-Buttons waren von Anfang an am Start (Hashtags nicht) und das Internet bekam: Fotofilter. Damit werden seitdem die schlechten Bilder dieser Online-Welt bearbeitet. Ein bisschen Schwarz-Weiß hier, etwas Überbelichtung oder ein Sepia-Filter da und vielleicht ein schöner Rahmen; all das immer im Quadrat und anfangs immer von unterwegs. Das saß. Bereits am ersten Tag konnte Instagram 25.000 Anmeldungen verbuchen, die Millionengrenze wurde drei Monate später übersprungen. Mobiles Internet hatte seine Bildsprache gefunden.

Hashtag Hashtag Das erste Foto, das von Systrom auf die neue Plattform geladen wurde, zeigte den Fuß seiner Freundin und seinen Hund – den verwendeten X Pro II-Filter gibt es immer noch. Ganz so viel ur süßen Cat Content gäbe es ohne Instagram heute wohl nicht. Andererseits sind natürlich die Menschen selbst dran schuld, wenn sie mit ihren Phones so viele Katzen, Hunde, Pandas und Stachelschweine fotografieren. Oder Selfies. Ohne Hashtags wäre das #Selfie zumindest nicht so schnell auf den Displays erschienen um zu bleiben. Wir müssen uns bedanken. Dann kam Facebook. Mark Zuckerberg hatte schon Anfang der 00erJahre während seines Engagements bei Napster gelernt, wie schnell vermeintlich junge Industriegiganten – in dem Fall Tonträger – vom technischen Fortschritt und den Jüngeren, Schnelleren, Wilderen überholt wurden. Das sollte Facebook nicht passieren. Der Konzern wächst immer weiter. Twitter kann davon inzwischen nur träumen. Auch in Sachen Video wurde es schnell von Instagram abgehängt.

Young and Beautiful Instagram ist noch dazu jung. Die niedrigen Like-Schwellen der Digital Natives, die einfache Handhabung und die Kraft der Bilder bilden den Nährboden für die höchsten Interaktionsraten aller sozialen Netzwerke. Und Interaktionen bedeuten bekanntlich … Geld. Endlich. Dazu kommt eine eigene Instagram-Ästhetik und spätestens auch heuer ein paar handfeste gesellschaftliche Kontroversen.

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Misterflopatrick kennt die Tricks guter Bildkomposition. Das Bild eines The Gap-Account-Takeovers ist texturiert, hell, mit Silhouette. Rechts: Wir.

Eine andere Ästhetik Was ein gutes Foto auf Instagram ausmacht, ist nicht nur Gefühlssache. Und es unterscheidet sich auch von klassischer Fotografie.

An gewisse ungeschriebene Instagram-Gesetze halten sich eigentlich alle – die Unternehmen, die Fotografen, Private, Celebrities. Die Ästhetik von Instagram hat sich genauso entwickelt, wie die Bedeutung der Plattform selbst. Dienten die hauseigenen Filter anfangs noch in erster Linie dem Kaschieren mangelnder Kameraqualitäten, wurden sie bald als die kreativen Werkzeuge angesehen beziehungsweise sind sie mittlerweile für viele Aufnahmen wieder obsolet geworden. Bewusste Natürlichkeit wird seitdem #nofilter genannt.

Weiter ist breiter Betrachtet man Accounts, die seit Anfang an aktiv sind, werden weitere Entwicklungen sichtbar. Als Instagram noch jung war, waren Fotos von mäßiger Bildqualität, oft (notwendigerweise) gefiltert und zeigten inhaltlich variable Motive. Kaum ein Account ging von Beginn an in eine gezielte Richtung. Mit der Zeit wollten sich aber immer weniger Leute an die quadratische Form halten. Anfang 2015 wurden bereits mehr als ein Viertel aller Posts über Dritt-Apps in nicht-quadratische-Form gebracht. Instagram tat also gut daran, seinen Usern zu folgen.

Heller, Hintergrund, Monochrom Darüber hinaus gibt es ein paar handfeste Zahlen, die darauf hindeuten, dass Instagram seinen eigenen Gesetzen folgt. Helle Bilder bekommen etwa durchschnittlich ein Viertel mehr Likes als dunkle

Bilder. Viel freier Hintergrund ist ebenfalls von Vorteil – 29 % mehr Likes. Vorwiegend blaue Bilder werden deutlich öfter gelikt als vorwiegend rote Bilder. Und überhaupt sind Bilder mit einer dominierenden Farbe im Vorteil – 17 %. Was manche vielleicht wundert: Eine geringe Sättigung kommt auf Instagram ebenfalls deutlich besser an – 18 %. Und zu guter Letzt Textur. Hol dir Textur, wenn du Likes haben willst. Fotos ohne Textur bekommen beinahe 80 % weniger Likes. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Andrerseits hat die Firma Curulate über acht Millionen Fotos für diese hübschen Tipps ausgewertet. Es gibt tausende Artikel da draußen die einem sagen, man solle für gute Bilder dies tun und das. Dir richtige App zum Bearbeiten, der richtige Filter, die richtige Ausrichtung des Horizonts, die richtige Symmetrie, die richtigen Caspar David Friedrich-Silhouetten, die richtige Komposition, unbedingt stringent bleiben oder einfach auch mal einen Account nur für Shitpics anmelden. Viele Tipps gehen auch in die Richtung, wann und wie man posten soll – was für Profis sicher relevant ist. Klar dürfte aber sein, dass Instagram nach eigenen Regeln funktioniert. Das helle Display, schnelles Scrollen und die schiere Menge an Fotos führen dazu, dass Instagram eine neue Ästhetik entwickelt hat. Solange wir weiterhin Fotos unterwegs machen und sie auf relativ kleinen Displays durchzappen, wird das auch so bleiben. 023

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Text Nikolaus Ostermann, Dominik Oswald, Stefan Niederwieser Bild @ladyvenom, @rupikaur_, @joa_he

Die Leute abholen, wo sie sind Spät aber doch haben auch Unternehmen Instagram als Marketingtool für sich entdeckt. Für Fotografen und Marken ergeben sich dadurch einige Chancen.

Wer was verkaufen will, weiß, dass die werberelevante Zielgruppe schon lange nicht mehr vor dem Fernseher oder gar dem Radio sitzt. Und Social Media ist billig. Und spät aber doch haben Unternehmen – heimische noch später – Instagram für sich entdeckt und nehmen es in ihren Medienmix auf, um Leute zu erreichen. Die Fotografin Marion Vicenta Payr alias @LadyVenom, einer der größten Accounts in Österreich, sieht das eher zweischneidig: »Ich sehe die Wertschätzung für den Kanal bei Unternehmen grundsätzlich positiv, es fehlt oft noch an der professionellen Einstellung und Umsetzung der Kommunikation und der Fotografie. Schlecht gemachter Content fällt negativ auf, das ist gefährlich, weil User kritisch sind und den Kanal verlassen, wenn er ihren Ansprüchen nicht genügt.«

»Don’t put all your eggs in one basket« Raffaele Vas, Social Media-Experte einer großen Wiener Werbeagentur, die auf Instagram vor allem im Lebensmittel-Bereich tätig ist, erklärt den Grund, warum viele Marken verstärkt auf Instagram aktiv sind: »Instagram ist eine Riesenchance, in einem neuen Social Network Fuß zu fassen. Man agiert nach dem Motto ›Don’t put all your eggs in one basket‹, betreibt Risikosteuerung und hat ein potenziell höheres Wachstum und Engagement als auf Facebook«. Außerdem ist Instagram deutlich jünger, ganze Dreiviertel der österreichischen User sind derzeit unter 29, auf Facebook sind es rund 30 % weniger. Vas weiter: »Jetzt, mit den gesponserten Beiträgen, kann ich aber eine genau auswählbare Zielgruppe erreichen, die für die Marke im Tagesgeschäft eine gewisse Relevanz hat.«

»Goldenes Matterhorn« von Lady Venom für den Schweizer Tourismus.

Firmen lassen sich das einiges kosten, für ein österreichweit tätiges Unternehmen ist ein mittlerer vierstelliger Jahresbetrag ein guter Einstieg, Agentur und die neuen – explizit gekennzeichneten – gesponserten Beiträge inklusive. Follower sind über nicht sonderlich legale Wege auch käuflich, 10.000 kosten nur rund 55 Euro. Die Frage, wie viel regionale Firmen ein paar tausend Follower aus Indien oder Vietnam nutzen, ist eine andere. Was Marken, die sich auf Instagram probieren wollen, dabei beachten müssen, ist auch klar. Red Bull – ausnahmsweise gibt es für ein Internet Best Practice-Beispiel ein heimisches Unternehmen – macht es vor. Man braucht Konsistenz, auch über die verschiedenen Kampagnen hinweg, einen bestimmten fotografischen Stil, der irgendwann für das Unternehmen selbst stehen kann. Vas sagt: »Es ist wichtig, echte Fotos zu verwenden, keine Sujets. Es geht um dieses ›Insta‹, um Natürlichkeit trotz aller Gestelltheit.« Dafür sollen dann auch Fotografen sorgen, die »laufend von Unternehmen angesprochen werden«, wie Payr erzählt, denn »es scheint, als würden viele Firmen erkennen, dass sie die Produktion des Contents auslagern müssen, damit sie den nächsten Schritt der Professionalisierung gehen können.« Für die wirklich guten Instagramer und Fotografen ist das ein gutes Zeichen und bietet finanziell neben den bisherigen Möglichkeiten wie Account Takeovers und Content anzuliefern mehr Chancen. Manche Unternehmen zahlen noch in Naturalien, Insta-Stars mit mehreren Millionen Followern bekommen da schon gerne mal mehrere Tausend Euro für ein Foto. Der normale User wird einfach mehr Werbung sehen. Und die Firmen holen die Leute da ab, wo sie sind.

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#ChallengeChallenge Die Welt von Instagram ist nicht verlogener als die Welt da draußen. Die ist halt leider wirklich verlogen – wie zirka alle Instagram-Kontroversen zeigen. Warum Instagram auf die Idee kam, den Hashtag #curvy zu verbieten, ist nur ganz schwer nachvollziehbar. Andere Hashtags wie skinny, fatty, thin oder vagina konnten immerhin parallel dazu weiter verwendet werden. Instagram deshalb Doppelmoral vorzuwerfen, lag einfach überdeutlich auf der Hand. Hausregeln hin oder her. Die Diskussionen und die Aufregung um die Sperrung eines einzigen Hashtags waren richtig. Wenig später war #curvy wieder erlaubt. Sonst aber wurde ausgerechnet jene Plattform, die aufgrund von Katzen-, Essens- und Egofotos mehr als die anderen als oberflächlich und belanglos gilt, gerade heuer zu einem ganz relevanten Träger von sozialen Themen. Sehr oft ging es bei diversen Challenges um das falsche und das richtige Körperbild. Und hier fing es an, problematisch, und ja, auch verlogen zu werden. Denn egal, ob es nun um Nippel, Schamhaare, den Bauchnabel, Kurven, Schlüsselbeine oder auch Menstruationsblut ging, es drehte sich dabei doch immer nur um Frauen.

#BodyImage Immer stimmt natürlich nicht ganz. Da machte heuer etwa auch der »Dad Bod« die Runde. Warum Männer mit Bauch jetzt sexy sind, schrieb die FAZ. Irgendwas mit Normcore blablabla. Familienväter und ihre Bäuche sollten jetzt also nicht nur etwas sein, das einfach hingenommen wird, sondern auch noch ein schönes Ziel. Menschen werden älter, verlieren ihre straffe Haut, bekommen Falten, Flecken, dünnes Haar, das ist die natürlichste Sache der Welt. Wenn das einmal um den ganzen Globus für alle Menschen so wäre und gelten würde – toll. Auf der anderen Seite haben vor allem Frauen versucht,

Die #bellybuttonchallenge zeigte ein zweischneidiges Körperbild. Münzen auf ihrem Schlüsselbein zu balancieren oder mit einem Arm hinter dem Rücken ihren Bauchnabel zu erreichen um zu zeigen, wie dünn sie sind. Das Internet ist nicht dumm und kontert. Mit #BoobsOverBellyButtons sollte dem ein positives, natürliches Körperbild entgegengehalten und auch das Bewusstsein für Brustkrebs gesteigert werden. Mit #curvy wurden Rundungen gefeiert. Wenn auf diese Art realistischere Fotos und Schönheitsideale lautstark gefordert werden, zeigt das eben, dass es diese Normalität für weibliche Körper auf Instagram noch nicht gibt. Besonders hässlich waren die Reaktionen auf Fotos von Regelblut. Todesdrohungen und Beschimpfungen als Feminazi gehörten dazu. Andere Fotos wie das von Rupi Kaur und einer unscheinbaren, dunklen Färbung im Schritt wurden von Instagram ohne jede sinnvolle Begründung gelöscht, zogen aber immerhin viel Aufmerksamkeit auf sich.

#NeverJudge

Dieses Foto von Rupi Kaur wurde von Instagram zweimal gelöscht, obwohl es keinen Richtlinien widerspach.

Noch einen Schritt weiter ging die #dontjudgechallenge. Große Brillen, fette Lippen, schlechtes Make-up, Pickel, ungezupfte Augenbrauen – alles kein Problem, wir feiern das jetzt. Blöd nur, dass es schnell grotesk wurde. Denn wenn man nur so tut als wäre Akne kein Problem, sagt man natürlich, dass es in Wirklichkeit ein Problem ist. Auch Kontroversen über Achselhaare und Nippel durften heuer nicht fehlen. Im engeren Sinn politische Kampagnen fanden erstaunlicherweise aber kaum auf Instagram, sondern viel häufiger auf Facebook und Twitter statt. Was schön ist und was nicht, darüber wurde unterm Strich aber fast nur diskutiert, wenn es weibliche Körper betraf. Bleibt zu hoffen, dass die Welt zumindest im Jahr 2016 dadurch ein kleines bisschen weniger verlogen sein wird. 025

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Text Magdalena Meergraf Bild Lomography, Krone, Kris J Boorman, The Gap, Niko Havranek

Wir dürfen auf den The Gap Parties im Celeste fotografieren und du kannst nichts dagegen tun. Oder Moment, ein paar Einschränkungen gibt es da.

BILDRECHTE — Wer darf was fotografieren und was nicht?

Fotos von Todespiloten, besoffene Partyfotos, mein Gesicht in der Werbung, tote Kinder am Strand, Menschen in ihrer Wohnung. Was darf ich fotografieren und was nicht? Und wann und wie dürfen mich andere fotografieren?

Eine Medienwelt ohne Fotos wäre absurd und die will auch niemand. Bilder drücken aus, was nicht gesagt werden kann und worüber doch nicht geschwiegen werden soll. Das wird mindestens einmal im Jahr ganz deutlich, wenn man die World Press Photo-Ausstellung in der Wiener Galerie Westlicht besucht. Das kann aber auch für ein einfaches, schönes oder lustiges Bild gelten, das jemand im Netz postet. Doch darf man Fotos eigentlich, sobald sie im Internet erschienen sind, abspeichern und als Titelbild verwenden? Und was, wenn eines von mir geklaut und veröffentlicht wird? Was, wenn es mich lächerlich macht? Rechtlich gesehen ist der Schutz am eigenen Bild vor allem im Urheberrechtsgesetz festgelegt. Wird es in einem Medium veröffentlicht, kann allerdings auch das Mediengesetz verletzt werden. Das Internet wird oft als Grauzone abgetan. Dass man aber als Betreiber einer privaten Facebook-Seite bereits als Medieninhaber gilt, ist noch nicht ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen, unter Juristen aber längst bekannt. Doch selbst für die, die nicht ständig in diesem Gebiet arbeiten, ist es schwierig, die ineinander verzweigten Gebiete zu unterscheiden. »Insbesondere weil es keine Wissenschaft ist, sondern eine Interessensabwägung und eine Einzelfallentscheidung. Das ist nie vorhersehbar aber das macht das Ganze so spannend«, sagt Katharina Raabe-Stuppnig, Rechtsanwältin bei Lansky, Ganzger und Partner und Dozentin am Publizistikinstitut der Universität Wien. Sie ist spezialisiert auf Medienrecht und hat die meisten unserer Fragen beantwortet. Mit Beispielen wollen wir ein bisschen Licht in das Recht auf ein Foto bringen. Das Spiel hier heißt »Stell dir vor«:

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Links: Unverpixelte Leichen in der Krone. Geht gar nicht. War es auch illegal? Rechts: Das Bild vom Schatten des Fuji hätte Kris Borman im Nachhinein lieber nicht veröffentlicht.

Ich soll 2.000 Euro bezahlen.

Zufällig im Beisl gesessen.

Fremdes Urheberrecht — Stell dir vor, du siehst ein gutes Foto auf einer Nachrichtenseite, speicherst es ab und verwendest es als Titelbild. Darf man das einfach so? Nun … nein. Praktisch gilt natürlich fast immer: Wo kein Kläger, da kein Richter. Es könnte aber auch passieren, dass wenig später ein Brief mit einer Rechnung von 2.000 Euro ins Haus flattert. Denn das Foto stammt von einer internationalen Agentur oder von einem Fotografen. Der hat als »Urheber« die Rechte am Werk. Bezahlt man nach einer Mahnung nicht, passiert vielleicht nichts, weil die Menschen der Abmahnindustrie meistens nur auf der Suche nach leichten Opfern sind. Der nächste Brief könnte aber auch vom Anwalt sein. In vielen Staaten ist der Online-Bereich zwar noch nicht bis in den letzten Winkel ausjudiziert; und gerade wenn von einem anderen Land aus geklagt wird, sind die Chancen verurteilt zu werden relativ gering. Aber man könnte am Ende auch einfach wirklich Pech haben und zahlen müssen.

Foto im öffentlichen Raum — Stell dir vor, du bist der Typ rechts hinten auf unserem Cover. Im öffentlichen Raum darf man grundsätzlich immer fotografieren, dagegen kann man sich überhaupt nicht wehren. In Österreich ist auch die Veröffentlichung von Fotos von fremden Personen prinzipiell erlaubt. Anders ist das nur bei Verbrechen oder Kindern. Der Typ hinten rechts am Coverfoto wird nicht bloßgestellt, durch die Abbildung oder einen bösartigen Text nicht geschädigt, nicht in seinen Privaträumen oder in einem privaten Moment abgebildet und Werbung wird damit auch nicht gemacht. In den Medien erscheinen aber immer wieder Bilder, die uns deren Macher gerne ersparen hätten können. In dem Fall kann man Entschädigungsgeld mittels Mediengesetz fordern.

Mein Foto, meine Rechte, und aus. Mein Urheberrecht — Stell dir vor, du fotografierst gerne und lädst deine Fotos auf Flickr hoch, um sie mit der ganzen Welt zu teilen. Hier kann jeder die Nutzungsrechte selbst einstellen, wie etwa, dass sie alle bei einem selbst liegen. Eine Werbeagentur oder ein TwitterUser bedient sich trotzdem. Dürfen sie das? Nein. Man muss kein Berufsfotograf sein, um ein Recht auf sein Amateurfoto zu haben und um bestimmen zu dürfen, wer es wie oft und wo vervielfältigen darf. Einen vielleicht monatelangen Rechtsstreit mit einer Werbeagentur auszufechten, muss man aber auch erst einmal wollen.

Nacktfotos von mir auf T-Shirts oder auf einem Blog. Foto und Persönlichkeitsschutz — Stell dir vor, du machst ein ErotikShooting, weil du deinen Freund oder deine Freundin überraschen möchtest. So weit, so nackig. Ein halbes Jahr später gehst du auf eine große Veranstaltung. Es gibt Merchandise und auf den T-Shirts und Pullis sieht man dich, wie du in Unterwäsche bekleidet deinen Hintern in die Linse reckst. Du hast die Fotos ja nicht selbst gemacht, der Fotograf hat einfach seine Fotos für Werbemaßnahmen weitergegeben. Darf er das? Nein. Das ist eine eindeutige Verletzung sog. »berechtigter Interessen«. Da sind wir beim Persönlichkeitsschutz angekommen. In einem Paragraph (§78) ist der Schutz der Abgebildeten geregelt. Werbung ist verboten. Außerdem darf niemand entwürdigend abgebildet oder bloßgestellt werden. Das Privatleben ist auch tabu. Sonst gibt es – erstaunlich, aber wahr – keine Einschränkungen.

Ich werde wegen eines Fotos gekündigt. Foto im öffentlichen Raum — Stell dir vor, du gehst auf eine Party, dort werden Fotos von dir gemacht und am nächsten Tag veröffentlicht. Schlimm genug, dass dich jeder tanzen sieht, noch blöder, wenn darunter auch dein Chef ist und dich fristlos kündigt – weil du krank gemeldet bist. True Story. Auch The Gap musste sich schon einmal mit diesem Umstand auseinandersetzen, als eines Tages das Mail einer jungen Frau eintraf, die dem Verlag die Schuld an ihrer Kündigung gab. Kann sie das? Nein. »Wenn ich an einer Party teilnehme und mir ein Ticket kaufe, wo vielleicht sogar noch ein Hinweis aufgedruckt ist, dass Fotos gemacht werden, dann werde ich mich gegen die Veröffentlichung prinzipiell nicht wehren können«, bestätigt Raabe-Stuppnig. Anders wäre das, wenn du auch noch seltsame Flecken im Schritt hättest oder offenbar voll hinüber warst. Wenn man im Krankenstand ist, sollte man einfach nicht feiern gehen.

Ich bin kein Nazi. Foto und die Betroffenheit — Stell dir vor, in deiner Straße findet gerade eine Demo von Rechtsextremen statt. Du gehst schnell einkaufen, wirst aber auf einem Foto zufällig in der Nähe aufgenommen und das erscheint online mit der Überschrift: »Alles Nazis!« Auch wenn man nur Beiwerk ist: Prinzipiell muss man nur betroffen sein, um sich wehren zu können. Und betroffen ist man natürlich nur, wenn man auf dem Foto erkennbar ist. Das muss kein wunderschönes Porträtfoto sein, es reicht, wenn man von der Seite zu sehen ist. Das zum einen. Wenn das Foto dann auch noch dort gemacht wurde, wo man wohnt, dann ist man klar betroffen. Man kann sich also auch dann beschweren, wenn man nur im Hintergrund vorkommt. 027

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Ich bin auch kein Todespilot. Foto und üble Nachrede — Stell dir vor, du siehst ein Foto von dir in einer Zeitung neben einem Artikel, in dem dir vorgeworfen wird eine Straftat begangen zu haben. Hast du aber nicht. So passiert Anfang des Jahres, als einige Medien ein Foto eines völlig Unbeteiligten zeigten und ihm vorwarfen, ein »Todespilot« zu sein, der ein GermanwingsFlugzeug absichtlich zum Absturz gebracht habe. Das war ein massiver Griff ins Klo. Man kann hier nicht nur wegen übler Nachrede, sondern auch wegen Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen und wegen Verletzung der Unschuldsvermutung klagen. Denn immerhin war man nicht im Cockpit, als die Maschine geflogen wurde. Und wer Schuld hat, muss ohnehin ein Gericht feststellen und nicht eine Zeitungsredaktion.

Das links ist Puber. Er heißt Renato S. und wir wissen auch wie er aussieht. Weil es um eine strafbare Handlung ging, darf sein Gesicht nicht abgebildet werden. Das ganz rechts ist ein Dude. Er ist zufällig auf dem Bild gelandet und wird nicht bloßgestellt, das Bild ist also unproblematisch.

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Ich bin tot. Foto und die menschliche Würde — Stell dir vor, eine Zeitung druckt das Foto eines verstorbenen Verwandten. Im Sommer veröffentlichte die Kronen Zeitung ein unverpixeltes Bild der zusammengepferchten 72 Leichen von Flüchtlingen in einem Kühltransporter. Darf sie das? Tja, das ist wirklich ein heikler Punkt. Tote haben auch dann, wenn es sich um Flüchtlinge handelt, Anspruch auf Achtung ihrer Würde. Wenn die Gesichter aber nicht zu erkennen sind, dann gibt es tatsächlich keinen Schutz. Wären die Opfer erkennbar, könnte die Familie klagen. Es gibt parallel zu dem Konstrukt aus Medien- und Urhebergesetz auch noch den Presserat. Das ist ein relativ zahnloses Gremium, weil es keine Urteile fällen kann, aber es ist der Verfechter von Moral und Ethik, so wie der Papst oder die Uno. Es wird beim Presserat also zumindest von irgendeiner Instanz festgehalten, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Was Social Media betrifft: Auch wenn eine Person stirbt, gehen dessen Bilder nicht automatisch in das Eigentum eines Mediums über.

Ich bin prominent und habe Kronjuwelen.

Resümee.

Foto und Privatsphäre — Stell dir vor, du hast gerade einen intimen Moment mit deiner Herzdame oder deinem Herzbuben. Dabei wirst du fotografiert und das Bild wird veröffentlicht. Karl Heinz Grasser und Fiona Swarovski ist das so passiert, als die Bild ein Foto mit der Schlagzeile »Hier sucht die Kristall-Erbin die Kronjuwelen beim Finanzminister« abdruckte. Hineinfotografieren in ein privates Haus ist eindeutig ein Eingriff in den »höchstpersönlichen Lebensbereich« – auch bei einem Prominenten. Dazu kommt üble Nachrede durch den grindigen Text. »Diese ganzen Adabeis, die immer wieder in Zeitungen vorkommen, haben damit nicht ihr Recht auf eine Privatsphäre abgelegt«, so Raabe-Stuppnig.

Im Zweifelsfall empfiehlt es sich immer, eine Einwilligung einzuholen, bevor man das Foto einer Person online stellt. Hat man das Foto nicht selbst geschossen, sollte man sich damit auseinandersetzen, wer es gemacht hat. Immerhin, wer weiß, welche spannenden Leute man dadurch kennenlernt. Generell kann man in sozialen Medien Ärger leicht verhindern, indem man Beiträge teilt statt fladert.

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Fotokunst in Österreich — Ausstellungsorte für Fotografie

Text Steven Meyer Bild Albertina/ Bildrecht, Erik Viklund, Julia Lametta, Ren Hang

Foto Foto an der Wand Das kann natürlich nicht klappen: ein Foto des Jahres aus den Milliarden von Fotos zu fischen, die jedes Jahr gemacht werden. Die World Press Photo versucht es trotzdem. Und obwohl wir Fotos heute viel öfter außerhalb von geschützten Museums- und Galerieräumen sehen – nämlich auf Instagram, Snapchat, Pinterest, in Magazinen, Zeitungen oder auf Reddit – ist es augenscheinlich doch sinnvoll, aus den unzähligen Bildern ein paar wenige herauszusuchen. Natürlich gibt es dabei noch viel mehr Orte für Fotografie in Österreich als ein paar Museen. Etwa Ausstellungen wie die Photo Vienna, das Off Festival, alle zwei Jahre im Herbst der Monat der Fotografie Eyes On oder regelmässig das große Foto-Happening namens Olympus Playground. Es gibt Schulen, Akademien und Interessensverbände für Fotografie. Und zahllose Fotografien sind in Ateliers, kleinen Galerien und Studios zu sehen. Wenn man sich aber die raussucht, die sich ausschließlich der Fotografie widmen oder umfassende Sammlungen bieten, bleibt schnell nur noch eine Handvoll übrig. Auch wenn Orte wie das MUSA, das Hotel am Brillantengrund, das MAK, Kunstraum Innsbruck, Essl uvm. natürlich schon auch nennenswert sind.

Westlicht und Ostlicht, Wien

Als David LaChapelle letztes Jahr seine Ausstellung persönlich eröffnete, kamen hunderte Gäste raus nach Favoriten zur alten Anker-Brotfabrik. Auch Lenny Kravitz war dieses Jahr hier, um Fotos von Leuten zu schießen, die Fotos davon machen, wenn Lenny Kravitz Fotos schießt. Die Galerie OstLicht gibt es erst seit 2012. Hier wird internationale zeitgenössische Kunst präsentiert, alle Arbeiten sind auch käuflich zu erwerben. Neben David LaChapelle haben auch bereits Ulrich Seidl oder Ren Hang hier ihre Werke ausgestellt. Peter Coeln, der vor 23 Jahren den ersten Leica Shop gegründet hat, ist der Geschäftsführer der Galerie. Die dazugehörige Galerie WestLicht gibt es schon bedeutend länger, seit 2001. WestLicht war auch der erste große Schauplatz für Fotografie in Österreich. Im Siebten nahe des Gürtels haben sich außerdem noch zahlreiche Shops, Ateliers und Studios angesiedelt, weil früher die Fotoklasse der Graphischen dort war. In den großen loftartigen Räumen der Galerie WestLicht finden u.a. jährlich die World Press PhotoAusstellungen statt. Zu WestLicht gehört zusätzlich ein Kameramuseum, das unter anderem die erste kommerziell hergestellte Kamera der Welt ausstellt. Westlicht, Westbahnstraße 40, 1070 Wien Ostlicht, Absberggasse 27, 1100 Wien

Albertina, Wien

Die meisten verbinden mit der Albertina wohl eher Originale von Dürer, Monet oder Munch als Fotografie. Tatsache ist allerdings, dass das Museum seit dem 19. Jahrhundert Fotografien sammelt und bereits circa 100.000 Exemplare besitzt. Diese Sammlung hat nun endlich einen festen Platz im Albertina gefunden und wird in wechselnden Fotoausstellungen im Museum präsentiert. Aktuell findet die Ausstellung »Black and White« anlässlich der Tage der Fotografie noch bis Jänner statt. Danach gibt es dann fortlaufend immer was Neues aus dem Sortiment zu sehen.

Kunsthaus, Wien

Joel Meyerowitz, Michel Comte, Linda MacCartney, René Burri, Annie Leibovitz, Andreas Bitesnich – Mit solchen Ausstellungen hat sich das Kunsthaus in jüngsten Jahren zu einer zentralen Anlaufstelle für internationale Fotografie gemausert. Im Untergeschoss des Hundertwasserhaus werden auf 80m² Werke gezeigt, die den Geist Hundertwassers wiedergeben sollen. Untere Weißgerberstraße 13, 1030 Wien

Albertinaplatz 1, 1010 Wien

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Vlnr.: Charlotte Rudolph. Palucca 1928. Derzeit in der Albertina. Erik Viklund Untiteled #7 (From Series Stilla Hastighet) im Fotohof Salzburg. Julialametta.tumblr.com im MAK.

Haus der Fotografie, Wien

Das Logo, die Facebook-Seite oder die Schrift auf der Website wirken allesamt schwer abschreckend. Das Programm ist es dafür gar nicht. Als Quartier, Secession, Atelier und Schule beschreibt sich das Haus selbst. Das heißt, dass hier neben viel Ausstellungsfläche auch das Handwerk erlernt werden kann. Bei Events wie dem Eyes On oder dem Off Festival ist es ohnehin dabei. Publikationen werden auch herausgegeben. Rechte Wienzeile 85, 1050 Wien

Neue Galerie, Graz

Einen eigenen Raum für Fotografie gibt es in Graz nicht, aber vereinzelte Ausstellungen in der Neuen Galerie, dem Bruseum und im Kunsthaus. Alle drei gehören zum Universalmuseum Joanneum, dem ältesten Museum Österreichs und nach dem Kunsthistorischen auch das zweitgrößte. Die Neue Galerie befindet sich seit 2011 im Joanneumsviertel in Graz, besteht aber bereits viel länger. Der Sammelbestand der Galerie beschränkt sich nicht auf ein Medium, weshalb neben Fotografien auch Plakatkünste, Videos oder Malereien zum Bestand gehören. Insgesamt besitzt die Galerie 2.000 Fotografien von rund 370 Vertretern österreichischer und internationaler Fotokunst. Dazu zählen wichtige internationale Kunstströmungen und auch Arbeiten zu den Anfängen der Fotografie.

Forum Stadtpark, Graz

Kunst braucht Raum und schafft sich diesen auch. 1959 kam es nach längeren Protesten zur ersten Ausstellung. Das Forum ist ein selbstverwalteter Verein, soll das Interesse von Kunstschaffenden stärker vertreten und Plattform für lokale, österreichische und internationale Produktionen sein. Jedes Jahr finden hier auf drei Ebenen durchschnittlich 150 Veranstaltungen in unterschiedlichen Bereichen der Kunst statt. Neben Fotografie gibt es hier Theater, Musik oder Mode zu sehen, meistens sogar bei freiem Eintritt. Stadtpark 1, 8010 Graz

Joanneumsviertel, Kalchberggasse, 8010 Graz 031

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Ren Hang war heuer in einer der zentralen Galerien für Fotografie in Wien, der Ostlicht, zu sehen.

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Lentos und Nordico, Linz

Die Bäckerei, Innsbruck

Das Wort »Lentos« heißt so viel wie »an der Krümmung des Flusses liegend« und stammt aus dem Keltischen. Aus »Lentos« wurde das römische Wort »Lentia«, heute Linz. 2003 wurde das Museum eröffnet und gehört zu den bedeutendsten Museen moderner Kunst in Österreich. Sowohl im Lentos wie auch im Stadtmuseum Nordico kommt es hin und wieder zu Fotoausstellungen, vor allem in den Räumlichkeiten des Untergeschosses. Dieses Monat startet etwa eine Ausstellung von Bernhard Fuchs, die aus Fotoserien zum Thema Waldung besteht. Eine Dauerausstellung gibt es im Lentos zwar nicht, zur museumseigenen Sammlung gehören aber rund 1.200 Fotografien.

Die Bäckerei ist eine Plattform für sozialen und kulturellen Austausch in Innsbruck. Als Kulturbackstube ist sie für alle künstlerische Bereichen offen, weshalb hier auch Konzerte, Theaterstücke, aber eben auch Fotoausstellungen stattfinden. Kunstschaffende arbeiten ganzjährig hier, einige Kollektive sind ebenfalls hier daheim. Nun gibt es in der Bäckerei nicht nur gelegentliche Ausstellungen zu Fotokunst, sondern auch ein eigenes Fotolabor mit allerlei Geräten und benötigten Chemikalien und Materialien. Ins Labor können gegen eine kleine Pauschale alle fotophilen Menschen, die sich im Darkroom austoben möchten. Workshops und Kurse gibt es auch.

Lentos, Ernst-Koref-Promenade 1, 4020 Linz Nordico, Dametzstraße 23, 4020 Linz

Dreiheiligenstraße 21a, 6020 Innsbruck

Fotohof, Salzburg

Schon seit 1981 gibt es hier den Fotohof, der jedes Jahr durchschnittlich sieben Ausstellungen präsentiert, aktuell zu drei schwedischen Kunstschaffenden. Außerdem veranstaltet die Galerie mehrere Wanderausstellungen internationaler Fotografen quer durch Europa und die USA. Zur Galerie gehören eine große Bibliothek und ein hauseigener Fotobuchverlag. Außerdem organisiert die Galerie seit 1998 Workshops zu Fotografie für Schulklassen oder Fortbildungsworkshops für Erwachsene. Inge-Morath-Platz 1-3, 5020 Salzburg

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Karten & Information: Konzerthaus 242 002, Musikverein 505 81 90 | www.wienmodern.at

»Fotografieren ist mehr als auf den Auslöser drücken.« Bettina Rheims

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»Macbeth« — Michael Fassbender und Marion Cotillard in brutaler, zeitgeistiger Adaption des schottischen Stücks

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Text Stefan Niederwieser Bild Constantin Film

Alles brennt in »Macbeth«. In der ersten wichtigen Verfilmung seit Jahrzehnten ist es traumatischer und übernatürlicher Irrsinn, der zwei beeindruckende Hauptdarsteller in die blutrünstigste, schönste Tragödie treibt. Dauernd brennt etwas, einem toten Kind werden Steine auf die Augen gelegt, eine Schlacht tobt. Kein Wunder, dass es hier nicht mit richtigen Dingen zu geht. Etwas ist faul, nicht im Staate Dänemark, sondern in Schottland, und schön zugleich, schön und faul. Macbeth hat dem König die Schlacht gewonnen. Es war ein grässliches Gemetzel. Knochen splitterten, Menschen wurden niedergemäht, Blut war überall, in allerbester Zeitlupe. Macbeth soll König werden. Das sagen ihm die Hexen. Da muss der König weg und halb Schottland mit ihm. Ohne »Game Of Thrones«, »300« und die Videos von Wood Kid hätte es diesen Film so wohl nicht gegeben. Die Bilder sind düster und dramatisch. Die Schicksale vorgezeichnet. Tote, Gier und Gewalt gibt es reichlich. Die Verfilmung von Regisseur Justin Kurzel passt ganz hervorragend in diese Gegenwart. Es war wohl einfach wieder einmal an der Zeit, dass der 400 Jahre alte Stoff in HD adaptiert wurde. Immerhin gibt es generell wenig brauchbare Verfilmungen von »Macbeth« und keine, die man sich heute noch gut ansehen kann. Orson Welles, Akira Kurosawa und Roman Polanski sind zu alt. Dieser »Macbeth« hat nun Berge wie auf einem Sohn-Albumcover, Filter von Instagram, tief hängende Nebel und arg zerfurchte Gesichter, Blut und strenge Farben, Lens Flares und mit Michael Fassbender und Marion Cotillard zwei Hauptdarsteller, die auch Shakespeare-Verweigerer dazu bringen sollten, dem Film eine Chance zu geben. Immerhin sieht man Fassbender in allen Lagen, nahe dem Irrsinn, apathisch, gierig, zornig, oben nackt badend und barfuß auf einem Schimmel. Er schaut manchmal ein bisschen starr drein. Aber, kurz gesagt, es gibt wirklich schlimmere Macbeths als ihn.

Ja, der Film dauert fast zwei Stunden und nimmt sich dabei doch relativ wenig Freiheiten. Ganz am Anfang wird ein Kind von Macbeth und seiner Frau zu Grab getragen, als könnte es ein Motiv für ihre hässlichen Taten sein, dem jungen Tod ganz nah ins Auge schauen zu müssen. Und die Hexen spielen ihre Rolle mehr als sonst. Sie reichen Macbeth in Gestalt eines Burschen den tödlichen Dolch, als der noch zögert, den König in seinem eigenen Schloss zu ermorden; sie helfen Fleance auf der Flucht und treiben auch Lady Macbeth in den Selbstmord. Ahm, Spoiler Alert. Dadurch wird die große Tragödie sogar weniger tragisch. Denn immerhin sind es übersinnliche Wesen und posttraumatischer Stress, die da ihr Spiel mit den Menschen treiben und sie anstiften, sich gegenseitig die Kehle aufzuschlitzen und Kinder auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen – es ist nicht das Kalkül der Macht und machiavellische Politik, die sie dazu bringt. Macbeth ist hier mehr noch ein Soziopath und kein Fürst, der sich zum Tyrann aufschwingt und dort schnell an die Grenzen seines Verstands stößt. Sonst aber hält sich der Film an den Text. Viele Möglichkeiten, dem Stoff eine wirklich filmische Gestalt zu geben, gibt es dadurch nicht. Das Ding muss erzählt werden. Mit spektakulären Einstellungen, einem gut gewählten Cast und fast schon greifbar gewobenen Kleidern und finsteren Orten. Als dann am Ende Macbeth in roter Glut untergeht, ist nicht nur klar, Schottland ist durch die Hölle gegangen, sondern auch, dass dieser »Macbeth« so gar nicht zeitlos und dafür umso relevanter ist.

»Macbeth« von Justin Kurzel mit Michael Fassbender, Marion Cottilard läuft ab 30. Oktober in den österreichischen Kinos.

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Text Martin Zellhofer

Der Lebenszyklus eines Buchs Wie schnell wandert ein Buch in den M端ll?

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Bücher stehen monatelang originalverpackt in den Buchhandlungen und gehen ungelesen an die Verlage zurück. Wühlkisten bieten die Bestseller von gestern heute um einen Spottpreis. Verkaufszahlen beweisen den Autoren, dass ihre Werke kaum gelesen werden. Reich wird sowieso keiner der Beteiligten. Warum tut man sich das an? Erster Akt: »Die Autoren begreifen einfach nicht«, seufzt die Vertriebsfrau eines heimischen Verlags, »dass man mit Schreiben kein Geld verdienen kann«, nachdem sich eine bekannte Person des öffentlichen Lebens über zu geringe Verkäufe ihres Buches und in Folge zu geringes Honorar beschwert hat. Zweiter Akt: In den Abverkaufskisten der Buchhandlungen Wiens findet sich heiße Ware zu kleinem Preis: Aktuell zum Beispiel Heinz Strunks »Die Zunge Europas« oder Charlotte Roches »Feuchtgebiete«, beide als BestsellerTaschenbücher um je 3,95 Euro. Dritter Akt, Blick auf aktuelle Zahlen: Der Gesamtumsatz des Bucheinzelhandels mit gedruckten Büchern und die Zahl der Buchhandlungen sind rückläufig. Standortschließungen und Szene-Gerüchte lassen keine schnelle Verbesserung der Lage erwarten. Die Jammerei des Buchhandels über Amazon, das Internet und E-Books ist groß. Wir haben uns umgehört.

Hehre Absicht, realistische Einschätzung Eine, die sich davon nicht beeindrucken lässt, ist die Schriftstellerin Isabella Feimer, die bis dato zwei Romane veröffentlicht hat, und mit zahlreichen Stipendien, Nominierungen und Preisen bedacht wurde. »Seit meiner Kindheit sind Geschichten in mir, spielen sich in meinem Kopf, in meinem Körper ab, sind Teil von mir«, erklärt Feimer auf die Frage, warum sie schreibt. »Leben kann ich davon mittlerweile ein Monat mal besser, ein anderes mal schlechter«. Dennoch blendet Feimer beim Schreiben mögliche Verkaufszahlen, mögliche Aussicht auf ein Stipendium oder mögliche angemessene Bezahlung bei Lesungen aus. »Das kommt später, und diese Gedanken gehören zum Schriftstellerinnen-Sein dazu«. Ihr Arbeitsaufwand ein Buch zu schreiben stehe zwar in keinem Verhältnis zum finanziellen Erlös und bei geringen Verkaufszahlen kämen Zweifel an der Qualität der eigenen Arbeit auf. »Diese zu zerschlagen, ist dann richtig harte Arbeit.« Aber: »Der Drang, Geschichten zu erzählen, und auch die Lust, das zu tun, sind immer stärker als jeder materielle Gedanke, auch wenn er noch so sehr an der Existenzangst kratzt«.

»… aber das echte Problem haben die Verlage«

stadt Aspern. Ist es nicht verrückt, in Zeiten wie diesen ausgerechnet in einem Stadtentwicklungsgebiet eine Buchhandlung zu eröffnen? »Mutig oder verrückt, das wissen wir in zwei Jahren.« Getrieben von der »Sucht nach Neuem« versuchen er und Mitstreiterin Bettina Wagner mit »Service, Mut, wenig Schlaf, viel Spaß und Ehrlichkeit« das derzeit wohl ambitionierteste Buchprojekt der Stadt zu etablieren – und im Moment laufe es ganz gut. Natürlich habe der Buchhandel Probleme, das Internet aber sei keine Bedrohung. »Ich wüsste nicht, wo das Käufer abzieht.« Im Gegenteil, Kunden bestellen oder reservieren online und kommen dann zur Abholung in den Laden. Überhaupt: »Was für eine bescheuerte Idee soll das sein, menschlichen Kontakt durch mathematische Formeln und digitales, gesichtsloses Service zu ersetzen?« Und ja: »Definitiv ein wichtiger Grund, bei einem Verlag einzukaufen, aber bei Weitem nicht der einzige« ist für Kößler die Marge. Was ihm allerdings »ziemlich auf die Nerven geht, ist, wenn mir wer was anzudrehen versucht«. Denn oft schönen Verlagsvertreter ihr anzupreisendes Buch.

Schnäppchenjäger … »Am Ende der ökonomischen Verwertungskette steht der Abverkauf, auch wenn das niemand hören will«, erörtert ein Branchenmensch hinter vorgehaltener Hand. Wenn Verlage zu viele zu alte Bücher auf Lager haben, verkaufen sie diese ab und bieten ihre Ware mitunter hoch rabattiert dem Buchhandel an. Kößler verkauft im Moment keine Billigware. »Das ist auch eine Frage, wie du dich präsentieren willst« und außerdem beeinflusse der Ramsch möglicherweise den Qualitätsanspruch der Leser. Ganz anders sieht man das in einer innerstädtischen Buchhandlung, die einen schwunghaften Handel mit Billigbüchern betreibt: »Es ködert Kunden«, so die Filialleitung und es verkaufe sich gut, »weil die Käufer auf Schnäppchen aus sind«. In den Wühlkisten finden sich meist dieselben paar Verlage, Gehobenes findet sich kaum. Verlegerin Vanessa Wieser von Milena ramscht zum Beispiel gar nicht. Denn das führe ja auch nicht dazu, dass »eine Million Leute endlich zuschlägt«. Aber »vielleicht ist so eine Wühlkiste auch eine neue Chance für ein Buch«, so Isabella Feimer. Angst, dort auch zu landen, hat sie keine: »Vielleicht muss man es dorthin auch erst einmal schaffen«.

»Weil man was mit Kunst machen möchte«, verlegt Jürgen Schütz, Inhaber des 2008 gegründeten Verlags Septime, anspruchsvolle Belletristik. Wer allerdings »die Wertigkeit der Kunst in den Vordergrund Zukunftsmarkt E-Book? rückt, hat zu kämpfen«. Feimers Romane, die bei Septime erschienen Nach wie vor unsicher ist, welche Entwicklung der Gottseibeiuns sind, stehen wirtschaftlich bei einer schwarzen Null – und nur zwei des Buchhandels nimmt. Momentan scheint es, dass sich das E-Book (!) Autoren, Ryu Murakami und James Tiptree Jr., halten den Verlag trotz aller früheren Unkenrufe – wenn auch auf bescheidenem Niveau am Leben, so Schütz. Der Zeitraum, ein Buch zu positionieren und zu – fix etabliert hat. Dessen Umsatzanteil am Buchmarkt und Absatz steiverkaufen, sei kurz: Mit Ausnahmen wie zum Beispiel Preisnominie- gen stetig. Findige Buchhandlungen bieten mittlerweile Downloadrungen betrage die Halbwertszeit eines Buches nach dem Erscheinen Stationen für E-Books an, um Kunden zu halten. nämlich nur drei bis sechs Monate – »dann ist der Zug abgefahren«. Und hatte man früher bei Verlagen den Eindruck, dass die nicht so Dazu kommen ökonomische Zwänge: Je höher die Marge, die ein recht wissen, warum sie E-Books anbieten sollen, scheint das jetzt Verlag einer Buchhandlung gewährt, desto höher die Chance, dorthin klarer: »Ich war oft recht verwundert, dass sich unsere E-Books recht Bücher zu verkaufen. »40 bis 50 Prozent Marge und Werbezuschuss gut verkaufen, deshalb bieten wir mehr und mehr an. Im Vergleich – und das mit Rückgaberecht – ich denke, das gibt es sonst nirgends. zum Papierbuch sind es bisher circa 10 bis 15 Prozent«, so Wieser. Es Traurig, dass der Buchhandel mehr jammert als die Verlage – aber das bleibt spannend. echte Problem haben die Verlage!« Dem widerspricht Sabine Poglitsch, Inhaberin der Buchhandlung Orlando, heftig: »Welche Buchhandlung bekommt denn schon 50 Prozent? Amazon oder große Ketten. Mein Mehr davon? Am 31. Oktober diskutiert The Gap auf der »BuchQuartier Durchschnittsrabatt liegt bei 30 Prozent, davon muss ich alles bezah- – Messe für unabhängige und kleine Verlage« im Wiener MuseumsQuarlen!«. Ein besonders mutiger Buchhändler ist Johannes Kößler, Teilha- tier diese und andere Probleme mit der Schriftstellerin Isabella Feimer, ber der im Mai 2015 eröffneten Buchhandlung Seeseiten in der See- der Verlegerin Vanessa Wieser und dem Buchhändler Johannes Kößler. 037

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In der Twitter-Bubble - Wenn Twitter zur Schulklasse wird

Klassensprecherwahl in

der Twitter-Bubble 038

Es geht ums Rechthaben, ums Schnellsein und am meisten geht es oft darum, wer der Lustigste ist. Twitter ist in Osterreich wie eine Schulklasse. Sonntagabend, es läutet zu »Im Zentrum«. Der Herr Fessa @HubertSickinger suppliert heute, weil @ArminWolf den Buchstabentag vorbereiten muss. Geschickt weicht er den ausgestreckten Fingern von @georg_renner aus, der etwas zu leidenschaftlich aufgezeigt hat. Ob er dieses Mal wieder Tafelordner sein darf, will er wissen. Sickinger gibt ihm den Schwamm und er beginnt eifrig zu löschen während @rudifussi seine Technik dabei kritisiert und @LugarRobert versucht, ihm das Heft aus der Tasche zu ziehen. Der Schorsch Renner macht nämlich zwar immer alle Hausübungen, lässt aber andere nur für Geld einen Blick auf seine Arbeit werfen. @josefbarth schaut verträumt aus dem Fenster. Fenster mag er nämlich, weil sie so transparent sind. So. Wer fehlt? @NikoAlm ist beim Direktor, weil er im Stiegenhaus Skateboard gefahren ist, @GeraldLoacker entschuldigt, weil er der Theatergruppe Fashiontipps gibt und @HansArsenovic hat sich beim Schulwart einen Passierschein geholt, angeblich weil seine Oma 90 wird, aber eigentlich will er nur zum Rapid-Match.

Text Teresa Reiter bild TOpen Grid Scheduler CC

# nichtallesbrauchthashtag Der @KlausSchwertner ist auch nicht da, weil er das Geld für die Ziege einsammelt, die die Klasse im Rahmen eines Charity-Projekts einer Familie in Uganda kaufen will. @rudifussi kritisiert, dass man sich nicht für eine Kuh entschieden hat, die gebe doch mehr Milch. @ HubertSickinger seufzt. Eigentlich wollte er doch schon längst Stoff machen. @AlfredHoch @svejk haben heute Referat über Social Media und werfen den Overhead-Projektor an. @PaulTesarek und @teamkanzler schreiben eifrig mit. @volkerpiesczek lernt das Handout mit dem Titel »Der Hashtag« auswendig, nachdem er darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er nicht jeden Tweet mit # volkerpiesczek versehen muss und @SimonTartarotti, der sowieso keinen Tag beginnt ohne die Kollegen von der @oevpwien mit Kreide zu bewerfen, lacht so laut, dass er zur Beruhigung auf den Gang geschickt werden muss. @rudifussi kritisiert inzwischen, dass das Handout in Comic Sans geschrieben ist. Es läutet. @HubertSickinger seufzt befreit und schreibt @SimonTartarotti und @rudifussi was ins Mitteilungsheft. Nächste Stunde ist Turnen mit @fatmike182. Die @oevpwien hat ihr Turnsackerl vergessen und kann deshalb nicht beim Felgaufschwung mitmachen. @michelreimon quittiert das mit einem lauten »Oida!«. Das hat er von @sarahas_san gelernt. Die zwei sind jetzt BFFs. @

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TomMayerEuropa behauptet, er sei bei der Entwicklung des Felgaufschwungs in der ersten Reihe dabei gewesen. @HCStracheFP rutscht beim Völkerball auf dem linken Bolschewiken-Jojo von @florianklenk aus, fängt an zu weinen und nennt alle, die bei drei nicht auf der Sprossenwand sind, »linke Hassprediger«. @rudifussi spricht sich gegen die Schwerkraft aus, gegen Sprossenwände, gegen HC Strache und gegen Bolschewiken-Jojos. @fatmike182 schickt alle drei zum Direktor, wo auch schon @vilimsky sitzt und auf den Schulpsychologen wartet, weil er im Schulhof einen Graben rund um sich selbst ausgehoben hat, weil Wirtschaftsflüchtlinge aus Kärnten in seiner Bande mitmachen wollten.

Klassensprecherwahl Anschließend ist noch Klassensprecherwahl. Klassenvorstand @ArminWolf verteilt die Stimmzettel. Aufstellen ließen sich @MartinThuer, @sigi_maurer, @tho_weber und natürlich @TomMayerEuropa, der laut eigenen Angaben auch bei der Entwicklung der Demokratie eine tragende Rolle gespielt hat. @Helge kritisiert die voreingenommene Wahlberichterstattung in der Schülerzeitung und postet das auf seiner Myspace-Seite, die er jetzt #Kobuk nennt. @MD_Franz fragt, wann endlich der bürgerliche Adel wieder etwas im Schulgemeinschaftsausschuss zu melden habe. @th_weber stellt zum tausendsten Mal klar, dass er nicht @tho_weber ist und überhaupt nicht kandidiert und schließlich gewinnt überraschend @stefan_petzner, obwohl der gar nicht auf der Liste stand. @georg_renner sagt, das habe er schon vor Wochen vorausgesagt, @TomMayerEuropa sagt, er habe @ stefan_petzner erfunden und geht sich googeln. Volker Piszeck nur so: »Haha. #volkerpieszek« und kriegt dafür neun Sternderl. Schade, denn schon ab zehn Sternderl kriegt man ein Plus mit Welle und wird vielleicht von @ArminWolf retweetet. @stefan_petzner bedankt sich für die Wahl. Er habe ja der Politik abschwören wollen, wolle aber sein Mandat für die einzige Sache nutzen, für die es sich noch zu kämpfen lohne, nämlich das Lebenswerk von Udo Jürgens zu promoten. @ArminWolf lässt das zu und dankt allen, dass sie bei seiner Klassensprecherwahl mitgemacht haben. Es läutet. Unterrichtsschluss. Morgen ist ein neuer Tag und sie werden alle wieder dabei sein. #ff auch an den Rest der Klasse: @BarbaraKaufmann @bakhall @Peter_Pilz @pawko @JBruckenberger @heimolepuschitz @OliverPink1 @derSchett @mic_ung @Kosak_Daniel @RablPeter

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Dem Verlauf des Wiener Wahlkampfs oder auch einer ganz normalen Fernsehdiskussion in der Twitter-Blase, können herkömmliche Artikel schwer gerecht werden. Was dort passiert, interessiert nicht allzu viele Menschen. Aber es beeinflusst, wie Storys gedreht werden und wie Medien funktionieren. Die Protagonisten in der Bubble sind schillernd und vielschichtig. Menschen, die draußen vielleicht niemals Freunde sein werden, scherzen dort miteinander, lassen sich auf ein spielerisches Kräftemessen ein und bilden auf gewisse Weise ein abgeschlossenes System, eine Art In-Crowd, für deren mehr oder weniger kluge Thesen und Aufreger man sich anderswo herzlich wenig interessiert. Die Twitter-Blase hat ihre Rüpel, ihre Streber und Angeber, die dort tagtäglich miteinander streiten. Und es ist wichtig, dass sie streiten, denn neben dem hohen Unterhaltungswert dieser Gespräche und Zankereien ist die lustvolle Auseinandersetzung miteinander und mit der österreichischen Innenpolitik gewinnbringend für jeden, der daran teilnimmt. Aber die Wiener Twitteria ist auch wie eine überfüllte Schulklasse, die täglich die klassischen Rollenbilder einer solchen wiederaufführt. Sie bildet Hierarchien – was man schon daran merkt, dass man zwar viele Leute, denen man nie die Hand geschüttelt hat, dort duzt, jedoch etwa den Politikwissenschaftler Hubert Sickinger instinktiv weiterhin mit »Sie« anspricht. Wer sich Konflikten hier nicht stellt, wer nicht klar Position bezieht, hat keine Chance. Es herrscht das Gesetz des Dschungels. Ebenfalls wie bei einer Schulklasse gibt es aber Kräfte der Selbstregulierung, die Ordnung schaffen, wenn jemandem laufend unrecht getan wird, oder sich jemand zu oft daneben benimmt. Machen wir also einen kleinen Ausflug in die Reihen der Twitter-Klasse. Wer den Witz nicht versteht, kann ja drüben in der Bubble auch mal ein bisschen die Schulbank drücken.

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Sorority im Interview Solidarity Sisters, reden wir über Feminismus

Text Yasmin Vihaus Bild Sorority

Gabalier, Genderwahn und Binnen-I sind Diskussionen, die sich oft zwischen Seufzen und Jammern bewegen. Katharina und Therese, zwei Gründerinnen von Sorority, seufzen nicht, sie machen einfach. Ein Frauennetzwerk zum Beispiel.

Donnerstagabend, Katharina Brandl und Therese Kaiser sitzen vor dem Laptop und bestellen Stofftaschen für das Business Riot Festival, ein von Sorority organisiertes Event, bei dem Workshops und Diskussionen angeboten werden. Sorority soll Frauen über Branchen hinweg vernetzen und dabei möglichst viele unterschiedliche Menschen ansprechen. »Bei uns kommen Frauen zusammen, die sich weder in ihrem Berufsleben, noch in ihrem Freizeitleben über den Weg laufen würden«, erzählen sie. Zehn Euro kostet eine Mitgliedschaft im Jahr, dafür kann man Diskussionsrunden und Workshops besuchen und andere Frauen aus unterschiedlichsten Bereichen treffen. Aktuell ist auch eine Art Job-Datenbank geplant. Aus dem Wohnzimmer ist das Projekt damit schon lange hinausgewachsen. Als wir angekündigt haben, über Dinge wie »Genderwahn« sprechen zu wollen, waren Therese und Katharina zunächst nicht ganz glücklich. Seit dem Gespräch ist auch klar, warum: die beiden gehören nicht zu jenen, die Genderdiskussionen auf Social Media bis zum letzten Like mitverfolgen, sie haben vermutlich auch keine Zeit dafür, sie machen einfach ihr Ding. Egal was Gabalier von sich gibt. Die Antwort auf Gender Pay Gap ist ein Workshop zu Gehaltsverhandlungen, die Antwort auf »Gibt es überhaupt noch Feministinnen?« ist Sorority. »Solidarity Sisters« ist das Leitmotiv, nicht jammern, sondern sich vernetzen, weiterbilden und über verschiedene Generationen hinweg diskutieren. Mit uns haben Katharina und Therese trotzdem über aktuelle Debatten gesprochen, die vielleicht sonst mit einem Seufzen enden. Aber: »Wir sind kein Suderverein«, sagt Katharina auf die Frage, ob man nicht manchmal an einer gewissen Machtlosigkeit scheitert. »Da muss man laut sein und etwas ändern.« Fünf Thesen, die wir nicht mehr hören können und ihre Widerlegung:

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Katharina

»Feminismus ist out« Gabalier, Felix Baumgartner, Ronja von Rönne. Drei öffentliche Personen, die sich durch Aussagen, Postings oder Artikel in irgendeiner Form gegen Feminismus positioniert haben. Was ist Spaß, was ist Diskurs? Ist Feminismus gerade out? katharina: Es ist schon interessant, wie einfach man solche Konflikte inszenieren kann. Bei unseren Social Media-Kanälen überlegen wir natürlich auch immer: Wo mischen wir uns ein und wo nicht? Wir haben uns zum Beispiel bei diesem antifeministischen Artikel von Ronja von Rönne dagegen entschieden. Solche Personen leben von der Aufmerksamkeit und der Aufregung, die darüber generiert wird – solchen Mechanismen müssen wir nicht in die Tasche spielen. Es ist natürlich legitim und nachvollziehbar, diverse Grausligkeiten, die so kursieren, zu kommentieren; manchmal muss man das auch. Nur muss man sich auch fragen, inwiefern sexistische Postings gezielt eingesetzt werden, um Likes und marketingfreundliche Aufregung zu generieren. Die Frage, die dahintersteht, ist natürlich: Warum funktioniert das gerade so gut? Und das liegt schon daran, weil gerade viel passiert und weil es eben ein Gerangel um Macht ist. Aber ich habe den Eindruck, dass Feminismus nicht uncooler ist. Gerade, weil er populärer ist.

»Gendern versaut unsere Sprache« Vermutlich wird nichts so häufig diskutiert wie die Frage nach sprachlichem Gendern. Man muss sich nicht mit Gleichberechtigung beschäftigen, um sich über ein Binnen-I beschweren zu können. Lenkt diese Diskussion vom eigentlichen Problem ab? therese: Das ist im Endeffekt genauso wie die Diskussion um die neue Rechtschreibung, bei der man dem scharfen S nachgeweint hat. Das ist komplett übertrieben und totale Zeitverschwendung. katharina: Die Diskussion läuft sehr eigenartig ab – das wird so wie eine Bewegung aufgebauscht, das ist übertrieben. Sprache verändert sich eben, wenn Menschen damit leben. Außerdem ist es ja nicht so, als ob jedem eine Haftstrafe angedroht werden würde, weil er das generische Maskulinum verwendet.

»Männer ausschließen, das ist doch auch Sexismus« Sorority ist ein Netzwerk von und für Frauen – vor allem die Workshops sind Girls Only. Darf man Männer einfach so ausschließen? therese: Diskurs funktioniert nur gemeinsam und das sehen wir auch so, deshalb sind die meisten wichtigen Podiumsdiskussionen auch für Männer ganz normal zugänglich. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass das als Totschlagargument verwendet wird. Es gibt einfach Räume und es gibt einfach Formate, in denen es wirklich besser ist, wenn du das Girls Only machst. katharina: Uns ist ja klar, dass unsere Realität eine Realität mit allen Geschlechtern ist. Das heißt aber nicht, dass es verwerflich ist, manche Konzepte nur für Frauen zu schaffen. Dass das sofort zu umgekehrtem Sexismus wird ist schwierig, das hat damit überhaupt nichts zu tun. Da würden wir uns anders äußern.

Therese

»Ihr seid doch (gender)wahnsinnig« Die FPÖ hat sich auf den Begriff »Genderwahn« gestürzt. Wieso ist gerade diese Bezeichnung besonders schwierig? katharina: Zum Begriff »Genderwahn« hat ja beispielsweise Andreas Gabalier auch noch »genderverseucht« hinzugefügt. Es geht offenbar darum, Bestrebungen für Geschlechtergerechtigkeit sprachlich zu pathologisieren – Wahn und Seuchen sind Bezeichnungen aus dem Krankheitsumfeld. Das kann man so einfach als Klassiker demaskieren: alles, was von der Norm abweicht, wird als krank oder als abnormal abgetan. Es geht letztendlich um einen Machtkampf: Wir fordern etwas, was in Generationen vor uns vor allem Männern gehört hat. Was gerade passiert, ist vielleicht eine Art von Backlash. Da kann man die Amadeus-Rede von Gabalier als Beispiel nehmen, wo er meint, er fühlt sich als heterosexueller Mann in der Minderheit und in seiner Meinungsfreiheit beschnitten. Es ist sehr fragwürdig, ob diese Gruppe marginalisiert ist. therese: Ich find das einerseits fast lustig, andererseits bedeutet es, dass wir noch nicht so weit sind, wie wir glauben. Es kommt auch oft: Warum macht ihr das, es ist doch eh schon alles super und leiwand, so etwas braucht es gar nicht. Und das stimmt deshalb nicht, weil es diesen ganz lauten Diskurs gibt, der dagegen gerichtet ist und der total salonfähig ist.

»Und um mich kümmert sich keiner.« Quotenregelungen und Frauenförderungsmaßnahmen bevorzugen Frauen am Arbeitsmarkt in gewissen Bereichen. Warum brauchen wir das? Warum ist das nicht unfair? katharina: Es gibt natürlich Frauenförderungsmaßnahmen und wenn da ein Mann ist, der in einer Abteilung arbeitet, in der es nur eine Frau gibt, gleich alt ist und sich gleich anstrengt und die Frau von Fördermaßnahmen profitiert, kommt schnell dieser »Und was ist mit mir?«-Gedanke. Das bekommen wir auch mit und das ist in gewisser Hinsicht nachvollziehbar. Das Problem ist, dass da viele Bedürfnisse zusammenspielen, die man nicht in Konkurrenz sehen kann. In Konflikten am Arbeitsplatz überlagert sich oft Sexismus, Altersdiskriminierung, Klassismus oder Rassismus. Man muss auch sehen, dass das sehr komplex ist und dass es zwei Ebenen gibt: Meine eigene persönliche Wahrnehmung und eine gesamtgesellschaftliche Perspektive, bei der wir feststellen müssen: Frauen sind nicht gleichberechtigt. Gender Pay Gap ist noch immer ein Thema, Österreich liegt europaweit ganz schlecht. Deshalb muss hier gesamtgesellschaftlich was getan und vielleicht auch für den einzelnen besser kommuniziert werden. Von 16. bis 17. Oktober findet das Business Riot Festival im Impact Hub in Wien statt – dort kann man auf jeden Fall vorbeischauen, wenn man sich für Sorority interessiert. Mehr Informationen gibt’s außerdem auf www.sorority.at 041

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Städteplanung Parks, Plätze und Wohnraum geschlechtersensibel entwerfen

Das ist auch deine Stadt! Wien gilt als Vorreiter, wenn es darum geht, Parks, Wohnungen oder Verkehr auf männliche wie weibliche Bedürfnisse auszurichten. Das bleibt aber nicht ohne Probleme. Stell dir einen Fußballkäfig in einem ganz normalen Wiener Park vor. Wen siehst du? Mädchen und junge Frauen, die sich treffen, um Ball zu spielen und einfach abzuhängen? Oder kleinere und größere Rudel pubertierender Burschen, die dort ihre Energie abbauen? Eine im Auftrag des Frauenbüros durchgeführte soziologische Studie ergab, dass das, was Kinder und Jugendliche auf solche öffentlichen Flächen tun können, sich vorwiegend an den Interessen männlicher Jugendlicher orientieren. Außerdem herrscht im Park bekanntlich sowieso das Gesetz des Dschungels. Demnach setzen sich die Stärkeren durch und besetzen den öffentlichen Raum. Mädchen bleiben da oft auf der Strecke.

Wien vorneweg

Text Teresa Reiter Bild Vota Va, Funke, Lukas Beck

Keiner weiß es, aber Wien wird international oft für seine Bemühungen im Bereich der frauenfreundlichen Stadtplanung gelobt, unter anderem, weil man begonnen hat, auf solche Probleme zu reagieren. Besonders gut gefällt anderen Staaten dabei eine Reihe von Studien und Projekten aus den 90ern, in denen unter anderem das Mobilitätsverhalten von Frauen erforscht wurde. Das Ergebnis? Frauen nutzen öffentliche Verkehrsmittel stärker und haben ganz andere Bewegungsmuster. Aufstehen, mit dem Kind zum Arzt, dann ein Kind in die Schule und das andere in den Kindergarten bringen, kurz noch bei der Oma reinschauen, dann in die Arbeit und am Heimweg das Ganze noch einmal, plus Einkauf. So oder so ähnlich gaben die damals befragten Frauen Auskunft über ihre täglichen Wege. Was tut die Stadt also, um diesen Frauen das Gefühl zu geben, dass Wien auch ihnen gehört? Petra Hirschler vom Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung der TU Wien beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema Chancengleichheit in der Stadtplanung. Grundsätzlich sage die Raumplanung: »Wir planen ja eh für alle«. Daher sei es lange kein Thema gewesen, sich das Verhalten der Geschlechter, aber etwa auch von Bewohnern unterschiedlicher Herkunft und Religionszugehörigkeit näher anzusehen, sagt sie. Das habe sich in den 90er Jahren mit der ersten Grundlagenforschung zu diesem Thema geändert. »Entscheidungsgremien waren damals stark männlich besetzt. Man kann sagen, dass sich da in den letzten 25 Jahren in den Städten viel getan hat, aber wenn wir uns auf Bürgermeisterebene umsehen, kommen wir auch heute

auf einen Frauenanteil von nur sechs Prozent. Hier besteht großer Nachholbedarf«, so Hirschler.

Beleuchtung, Barrieren und Klischees Stichworte, die der Raumplanerin zum Thema Gender Mainstreaming in der Stadtentwicklung sofort einfallen sind Sicherheit, die Beseitigung von Angst-Räumen, etwa durch ausreichende Straßenbeleuchtung, aber auch Barrierefreiheit, breitere Gehsteige und ein schönes großes Küchenfenster. Moment – gendergerechte Stadtplanung bedeutet, der Frau ein schöneres Küchenfenster zu geben? Stereotype anyone? »Man kann die Gesellschaft nicht von heute auf morgen verändern. Manchmal dauert es 20 oder 30 Jahre, bis sich wirklich etwas verändert. Ich glaube, es ist der falsche Weg zu sagen: Bis dahin lassen wir alles, wie es ist«, sagt Hirschler. Natürlich stütze so ein Ansatz auch Stereotype, aber »auch ein Mann hat Freude an einem schönen Küchenfenster«, sagt sie. Dennoch scheint es oft so, als dächten Stadtplaner, wenn sie für Frauen planen, erst einmal an Mütter mit Kinderwägen. Hirschler dementiert das, obwohl Barrierefreiheit ein wichtiges Thema sei. »Verbringen Sie einmal einen Tag lang mit einem Kinderwagen oder auch mit einem Rollator in der Stadt. Dann merken Sie erst, wo man überall nicht hinkommt.« Bei der Genderplanung ginge es oft nicht um Großprojekte, sondern um Details, die den Alltag vereinfachen. Mariahilf etwa gilt gegenwärtig als Musterbezirk des Gender Mainstream in der Stadtplanung. Zwar hätte es hier durchaus auch größere

Mit der Frauen-Werk-Stadt II hat die Stadt Wien sehr früh versucht gender-gerechte Stadtplanung umzusetzen.

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Der Schubertpark in Wien Währing war einer der ersten Parks, der nach den Bedüftnissen aller Geschlechter gestaltet wurde. Unten: Auch wichtig, aber Käfige sprechen vor allem Jungs an. Hier fotografiert von Lukas Beck für sein Projekt »Käfigkind«. Investitionen in Aufzüge und Gehsteigsabsenkungen gegeben, doch seien es kleine Dinge, die Hirschler hier beeindrucken. So sei etwa besonders früh angeschildert, wenn im weiteren Verlauf einer Straße Stiegen zu überwinden sind. Dies helfe auch der älteren Bevölkerung. Okay, aber wie kriegt man jetzt Mädchen in die Parks? Eva Kail, die Go-to-Gender-Expertin in der Gruppe Planung, Magistratsdirektion-Stadtbaudirektion erklärt: »Als Reaktion wurden von der Stadt sechs Modellprojekte für geschlechtersensible Park- und Spielplatzgestaltung durchgeführt, vier davon mit Beteiligung und Jugendlichen.« Ein Resultat davon war der Bruno-Kreisky-Park in Margareten, der 1999 als einer der ersten »Mädchenparks« umgestaltet wurde. Dass er anders ist, sieht man auf den ersten Blick. Es fehlen die gestutzten Hecken, die man aus anderen Parks kennt, alles ist weitläufig und gut ausgeleuchtet und auch der Fußballkäfig ist weiter weg. Kail sieht in solchen Projekten eine Möglichkeit für Empowerment von Mädchen und Frauen. »Ich glaube, dass eine Stadtplanung, die die komplexen Alltagsbedürfnisse und vielfältigen Interessenslagen von Frauen und Mädchen als ein entscheidendes Kriterium für Planungsüberlegungen auf allen Maßstabsebenen der Planung begreift, mithilft, eine Stadt so zu gestalten, dass Frauen und Mädchen sich angstfrei bewegen können und viele Wohlfühlräume vorfinden, sich die Stadt aneignen können«, sagt sie.

Nicht nur Parks, auch im Wohnbau Auch Wohnbau ist hierbei ein wichtiges Thema. FrauenWerk-Stadt heißt das europaweit größte Beispiel für frauengerechten Wohn- und Städtebau. Das Modellprojekt auf der Donaufelder Straße in Floridsdorf wurde von vier Architektinnen gestaltet, die ihren idealen Wohnbau schufen. Darin gibt es einen Kindergarten, eine Apotheke, eine praktische Ärztin. Gleich nebenan ist ein Supermarkt, die Straßenbahnhaltestelle davor, die Volksschule 200 Meter weiter. Eva Kail lobt das Projekt. Hier sei die »Stadt der kurzen Wege«, ein Lieblingsbegriff von Stadtplanern, Realität geworden. Das Ergebnis? Die Bewohnerinnen und Bewohner sind laut einer Befragung hochzufrieden mit ihrer Wohnsituation. Apropos Wohnsiedlungen: Bezieht frauenfreundliche Stadtplanung eigentlich auch Frauen ein, die berufsbedingt ganz spezifischen Gefahren ausgesetzt sind und für die Angst-

Räume eine größere Rolle spielen als für andere? Das Prostitutionsgesetz verbannt Prostituierte aus beleuchteten Wohngebieten in eher zwielichtige Gegenden. Ist ihre Sicherheit in der Stadtplanung überhaupt kein Thema? Das sei »schwierig«, sagt Eva Kail. »Hier gibt es Interessenskonflikte. Auf der einen Seite stehen die Anrainerinnen, die oft belästigt werden, oder sich davor fürchten. Es besteht auch eine erhöhte Verkehrsbelastung durch den Suchverkehr. Dem gegenüber steht das Sicherheitsbedürfnis der Prostituierten, das durch die bessere soziale Kontrolle in Wohnvierteln eher gedeckt wird. Allerdings sind sich die meisten Experten einig, dass Straßenprostitution generell die ausgesetzteste Form der Prostitution ist, die vermieden werden sollte. Dies ist nur durch ein Bündel von Maßnahmen zu erreichen«, so Kail. Frauenfreundliche Stadtplanung heiße für sie, den vielfältigen Rollen, die Frauen und Mädchen einnehmen, auch differenziert nach Alter oder sozialen und kulturellen Hintergründen gerecht zu werden. Gender Mainstreaming in der Planung thematisiere auch bezahlte und unbezahlte »Care«-Arbeit, etwas, was von der traditionellen Planung oft ausgeblendet würde. Kail sieht die Sache aber realistisch: »Räumliche Planung kann die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern nicht beeinflussen, aber unbezahlte Arbeit ernstnehmen, und hoffentlich kommt das auch bald 50 Prozent der Männer zugute.«

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Erst wenn man radelt erscheinen Buchstaben. Das Publikum muss seinen Glückszustand selbst schätzen.

Stefan Sagmeister – »The Happy Show« — Der Designwunderwuzzi

Findet mich das Glück im MAK? 044 Text Peter Stuiber Bild Sagmeister & Walsh, Stefan Sagmeister

Grafikdesigner Stefan Sagmeister zeigt im MAK seine »Happy Show«, eine interaktive Suche nach dem Glück. Und beweist damit, dass ihm die Konventionen seines Metiers ziemlich egal sind. Stefan Sagmeister, Künstler: So steht es auf der Einladung zur Eröffnung der Ausstellung »Happy Show« im MAK. Ob die Bezeichnung »Künstler« ein Wunsch Sagmeisters war oder vom Museum gewählt wurde? Sie zeigt jedenfalls, welchen Status sich der gebürtige Bregenzer erarbeitet hat. Sagmeister, der Wahl-New Yorker, der einst an der Angewandten in Wien studiert hat, hat sich mit seiner experimentellen, sinnlichen, immer auch ironischen Arbeit sukzessive freigespielt. Plattencover für Lou Reed, die Talking Heads oder die Rolling Stones waren entscheidende Wegmarken seiner steilen Karriere, die Kunden kann er sich längst aussuchen, vor allem auch deshalb, weil er klug genug war, sein Studio klein zu halten. Ein Showmaster von Beginn an, integrierte er das Körperliche schon als Student in seine Arbeit. In der glatten Designerwelt hat ihn das zur Ausnahme gemacht, auf die man zuerst mit Verwunderung, schon bald mit Begeisterung reagiert hat. Sicher das radikalste Werk seiner Arbeit war das legendäre Poster zur Tagung des American Institute of Graphic Arts 1999: Eine Fotografie von Sagmeisters vernarbtem Körper, in dem alle Informationen zur Veranstaltung mit Stanley-Messer eingeritzt worden waren. Grafik, die unter die Haut geht. Angeblich sei ihm erst später die Verbindung zum Wiener Aktionismus bewusst geworden,

meinte Sagmeister in einem Interview. Noch deutlicher ist die Inspiration aus der Welt der Kunst beim vollgeschriebenen Gesicht von Lou Reed auf dem Cover des Albums »Set The Twilight Reeling«, das an Shirin Neshats Werk erinnert.

Selling Sagmeister Sagmeister liebt es, das zu tun, was niemand erwartet. 2011 stellte er für eine Ausstellung im Mudac in Lausanne nicht seine freien Projekte, sondern die Auftragsarbeiten in den Mittelpunkt, um die in Europa herrschenden Berührungsängste zum Kommerz zu konterkarieren. Das Begleitbuch zur Schau nannte er schlicht »Another Book about Promotional & Sales Material«. Ein Kapitel daraus lautet »Selling Myself«. Das ist ironisch gemeint, aber nicht nur. Sich selbst öffentlich zu präsentieren, ist Teil seiner Strategie. Nicht, dass Sagmeister etwa das Sabbatical erfunden hätte. Aber in den Creative Industries, die vom permanenten »Immer-weiter« getrieben sind, war er der erste, der aus seiner temporären Auszeit (alle sieben Jahre schließt er sein Studio für zwölf Monate) eine echte Story gemacht hat. Gespickt wurde sie mit Anekdoten wie derjenigen, dass er einst sogar einen Auftrag für die Kampagne von Barack Obama abgelehnt habe – eben weil er gerade im Begriff war, sein Sabbatical zu beginnen.

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Links: Bitte eine Kugel nehmen. So entsteht ein Glücksbarometer. Rechts: Stefan Sagmeisters Artwork für »Set The Twilight Reeling« von Lou Reed.

Während seiner zweiten Auszeit 2009 entstand die Idee der Suche nach dem Glück. Sagmeister: »Ich habe drei Strategien, die einen glücklicher machen sollen – Meditieren, Therapie, Medikamente – jeweils drei Monate lang ausprobiert: Ich war in Bali zum Meditieren, dann in New York bei einer ausgezeichneten kognitiven Therapeutin und dann habe ich drei Monate lang das Antidepressivum Lexapro geschluckt«, erzählt Sagmeister in einem Interview mit Michael Freund. Wider seinen Erwartungen habe ihn Letzteres tatsächlich glücklicher gemacht, während das Meditieren nicht die gewünschte Wirkung gehabt hätte. Aus dem Projekt Glücksuche sollte zunächst ein Film werden, der allerdings bis heute nicht fertig gedreht wurde, dafür entstand eben die Ausstellung, deren siebte Station nun das Wiener MAK ist (nach einigen Museen in den USA und in Paris).

scheint, dass sich die Besucher mit dem Inhalt identifizieren konnten. Ich habe viele, viele Briefe erhalten, die dies bezeugen«, so Sagmeister zum bisherigen Erfolg seiner »Happy Show«. Dass diese irgendwann mal in Wien gezeigt werden würde, lag auf der Hand. Denn MAK-Chef Christoph Thun-Hohenstein kennt den Grafiker aus seiner Zeit als Chef des österreichischen Kulturforums in New York und ließ vor einigen Jahren als neuer departure-Chef das Buch »New Vienna Now« von Sagmeister gestalten. Sagmeister kennt die Unterschiede zwischen den USA und Europa gut genug, um zu wissen, dass die Frage nach dem Glück hierzulande unglaublich naiv erscheinen kann: »Man muss offenbar eine sehr oberflächliche Person sein, wenn man sich dafür interessiert. Der tiefe Denker versteht, dass das Leben elend ist, und lebt entsprechend.«

How happy are you?

Macht diese Ausstellung gar glücklicher?

Eine Ausstellung im herkömmlichen Sinn darf man sich nicht erwarten, das Wort Show ist bewusst gewählt. Neben bunten Infografiken, Videos und Skulpturen erwarten das Publikum etliche interaktive Stationen: Neon-Schriften leuchten auf, wenn man sich auf ein Fahrrad setzt und in die Pedale tritt, eine andere Message entfaltet ihre Pracht erst dann, wenn der Besucher selbst lacht, die Installation »How happy are you?« misst den Glückszustand des Publikums anhand von kollektiver Selbsteinschätzung. Sagmeister wird das ganze Museum bespielen, sogar auf den Toiletten gibt es Handschriftliches von ihm, schließlich ist die Suche nach dem Glück ein ganzheitliches Projekt. Allerhand statistisches Material wird aufgetischt: dass Kinder nicht glücklicher machen, die Ehe aber angeblich schon; wie viele Sexpartner man haben und was man verdienen sollte, um nicht in Depressionen zu verfallen usw. Klar, dass Sagmeister keine Tipps gibt und geben kann, aber eine Message, die er aus seiner eigenen Glückssuche mitgenommen hat, ist omnipräsent: Man kann sich um das Glück bemühen (auch wenn man es nicht erzwingen kann), man kann den Geist darauf trainieren, Situationen zu schaffen, die Glück begünstigen – immerhin! »Nun sind die Ergebnisse zwar meine eigenen und nicht verallgemeinerbar. Aber die Schau war schon in Philadelphia, Toronto, Chicago, Los Angeles, Paris und Vancouver zu sehen, und es

Ob Sagmeister ein glücklicher Mensch ist? Seine Erkenntnis lautet jedenfalls, dass sich das Glück zu 50 Prozent aus Vererbung, zu zehn Prozent aus der Art zu leben und zu 40 Prozent aus neuen Aktivitäten speist. Angesichts der Vielzahl seiner Projekte sollte Sagmeister also ein überaus glücklicher Mensch sein. Außerdem hat er noch eine Konsequenz aus dem Rechercheprojekt gezogen: Er geht jetzt jeden Tag joggen, das setzt bekanntlich das Glückshormon Dopamin frei. Ob die »Happy Show« das auch schaffen wird? Ob man sie als veränderter Mensch verlässt? »Findet mich das Glück im MAK?«, könnte man ein Zitat der Schweizer Künstler Fischli & Weiss abwandeln. Oder »sucht mich das Glück am falschen Ort?« (ebenfalls Fischli & Weiss). Zumindest Spaß dürfte die Show machen – fast ein Tabubruch im Ausstellungswesen. Und in Sachen Grafikdesign-Ausstellung vollzieht Sagmeister mit ihr einen Paradigmenwechsel: nicht die Form ist das Wesentliche, sondern der Inhalt. Dass ihm Letzterer immer schon wichtiger war, davon zeugt seine oft zitierte Gleichsetzung »Stil=Furz« aus den 90er Jahren, mit der er die glatte Oberfläche von Design-Erzeugnissen kritisierte. 20 Jahre später hat diese Attacke nichts an ihrer Aktualität verloren. Stefan Sagmeister: »The Happy Show«. Ab 28. Oktober im MAK. www.mak.at 045

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bild JANA SABO dokumentation stefan kluger

Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Klaus Pichler, 38, Fotograf

Das mit der Fotografie war eigentlich reiner Zufall. Denn Klaus Pichler hat Landschaftsplanung studiert, als er sich selbst das Fotografieren beigebracht hat. Heute versucht er den schwierigen Spagat zwischen Auftragsfotografie und freien Fotoprojekten zu schaffen. »Für Aufträge bin ich am liebsten unterwegs«, erzählt Pichler. Wenn es sein muss, verkriecht er sich aber auch tagelang in seinem Studio, um sich in ein unbekanntes Thema einzuarbeiten. Dann studiert er Bücher oder durchforstet das Netz, bis er Bescheid weiß. Er spricht von seinem seltsamen Ethos, aber auch davon, dass ihn die Vorstellung glücklich mache, dass Fotografie weiterhin eine Konstante in seinem Leben spielt. Manchmal geht auch nichts weiter, er nimmt das aber gelassen: »Das ist bei künstlerischen Arbeiten ganz normal und ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses.« Ein Vorbote einer weiteren Etappe in der Ideenfindung sozusagen.

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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Marion Vicenta Payr, 32, Fotografin

Vor fünf Jahren hat sie sich auf Instagram angemeldet. Und damit das Gefühl, dass der Beruf sie auswählt, nicht umgekehrt. Ein typischer Instagram-Arbeitstag startet für sie früh morgens am Flughafen. Für die meisten Fotoprojekte geht sie nämlich auf Reisen und nutzt den Tag bis zum letzten Lichtstrahl. Abends, im Hotelzimmer, werden Fotos bearbeitet und auf Dropbox geladen. Danach wird die Route für den nächsten Tag geplant. Als lang und anstrengend beschreibt sie ihren Alltag, andererseits als abwechslungsreich, spannend und energieschöpfend. Natürlich sei sie nicht ausschließlich unterwegs, auch bei ihr gebe es Office-Tage: Meetings, Angebotslegung, Buchhaltung. Instagram habe ihr sprichwörtlich die Türen zur Welt geöffnet. »Und den Blick durchs Objektiv von Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht.« Don’t do it for money, rät Marion Vicenta Payr anderen. Trotzdem glaubt sie, dass Österreich in Sachen Instagram gerade erst aufwacht.

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Dramolett von Ferdinand Schmalz

2 halt sag ich! 1 was heißt hier halt? ich sage halt. halt!

1 sie bleiben auf der stelle stehen. stellen sie sich mir. 2 ich stehe schon seit langem hier, sehn sie das nicht, dass ich hier länger schon, als sie da, steh. ich stehe immer an der stelle hier, weil das mein posten ist.

Über-Borderline

der gefeierte jungdramatiker ferdinand schmalz lotet mit seinen arbeiten gerne die grenzen im theater aus. radikal sind denken und sprache. radikal ist aber auch schmalz’ humor. dass der steirer die kurzform ebenso beherrscht, demonstriert er mit einem dramolett mit hohem aktualitätsbezug. ein grenzfall kulminiert dabei ins unendliche.

2 wenn einer halt hier sagt, dann sag das immer noch ich hier.

1 sie können hier nicht ihren posten haben. postieren sie sich auf der stelle anderswo, nur hier nicht hin, wo diese grenze ist, die meine, also unsere grenze. hier trennt die grenze die geeinten von den ungeeinten. 2 ja hier trennt die grenze die geeinten von den ungeeinten. wenn sie die grenze überqueren, also schreiten, überschreiten, sind sie dann eingedrungen, in unsere gemeinschaft eingedrungen. sie sollen aber draußen bleiben. 1 wollen sie mir jetzt weis machen, dass ich nicht drinnen sondern draußen, also im ungeeinten teil mich aufhalte? da muss ich sie jetzt eines besseren belehren. schaun sie mal hier. das ist das abzeichen des grenzschutzdienstanbieters, bei dem ich angestellt bin. 2 das kann ich nicht erkennen von hier drüben. 1 warten sie, ich komme kurz zu ihnen raus ... 2 halt! die grenze darf auf keinen fall passiert, also verletzt darf die nicht werden. sie bleiben draußen. 1 nein, sie bleiben draußen. hier fängt das drinnen an, sehn sie, wenn sie die grenze überschreiten, finden sie sich drinnen, also im inneren von der union.

im niemandsland zwischen drinnen und draußen (wobei noch zu klären ist was drinnen und was draußen ist) treffen niemand2 und niemand1 aufeinander, beide in uniformen, beide bewaffnet und entschlussbereit.

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2 ich bitte sie, es kann ja nicht nur drinnen geben. es muss ein draußen doch auch geben. das müssen sie doch einsehen. das draußen, das sie da draußen doch verkörpern, beweist ja erst, dass ich hier drinnen bin.

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1 na kommens schon. traun sie sich ruhig. überschreitens doch die grenze illegalerweise, dann werden wir schon sehen, was sie für ein außenseiter sind. durchleuchten wir dann dieses innere von ihnen, damit wir sehen, ob ihre knochen auch den selben wuchs aufzeigen, wie er hier drinnen üblich ist. 2 oberflächen. innerliche zwar, doch umso mehr nur äußerlich. knochenwuchs! da lach ich doch in mich hinein, das kann auch einer nur von draußen, sich in sich hineinerfinden. hier drinnen geht es uns um innre werte. dna-tests beispielsweise klären auf, ob sie von außen oder nicht, ob sie sich zu uns hereinkultivieren dürfen oder ausgesondert werden. 1 nennens mich nicht ausgesondert. 2 ein außenmensch sind sie. 1 sie, sie draußengewönlicher sie! 2 sie rausgespiebener!

1 sehn sie, ich für meinen teil befinde mich im inneren. während mein kollege auf der andren seite sich ... 2 ganz im gegenteil, hier herüben ist das drinnen, von dem sich das draußen meines nachbarn scheidet. 1 wollen sie schon wieder ... fuchs diese grenze ist doch nur die spur von einer grenze. 2 wie soll man das verstehen? fuchs die spur von einem fuchs ist nicht der fuchs. 1 worauf wollen sie hinaus? fuchs dass eine spur ein fehlen nur markiert. hier fehlt die grenze eigentlich. und aus der angst vor diesem fehlen, vor dem verlust der grenze, baut man drum einen zaun, baut mauern hin, wo eigentlich nichts sich mehr scheidet. die wahrheit ist, dass sich die draußen von denen da drinnen innerlich kaum unterscheiden. nur müsste, wenn man das akzepiert, wenn man die wahrheit erst einmal verinnerlicht, dann müsste auch ein gleiches recht für alle herrschen. dann wärn wir alle inniglich. man hört einen schuss. der fuchs fällt tot um.

auf tritt ein fuchs, der die grenze entlangspaziert. tappt mal auf die eine seite, mal auf die andere, springt leichtfüßig immer wieder über die grenze, bis er zwischen den beiden zu stehen kommt, die ihn verblüfft ansehen.

2 zu blöd, jetzt ist mir doch ein schuss aus der pistole rausgeschossen.

fuchs nanu.

1 war gut gezielt für einen zufallsschuss.

2 ich wär ihnen zu äußerstem dank verpflichtet, wenn sie unseren grenzstreit nicht stören würden.

2 war so ein kluges tier.

1 ziehn sie ruhig weiter. als tier hat sie das nicht zu kümmern. 2 als tier ist man halt außen vor in heiklen grenzbelangen. fuchs grenzenlose neugier meinerseits treibt mich nur zu der frage, was gibt’s so heftig hier zu debatieren, dass man sie schon von weitem hört?

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Ferdinand Schmalz, geboren 1985 in Graz, lebt und studiert in Wien. 2. Platz beim MDR-Literaturpreis mit der Kurzgeschichte »schlammland gewalt«. Er erhielt den Retzhofer Dramapreis 2013 für das Stück »am beispiel der butter« (UA Leipzig März 2014). Einladung zu den Mülheimer Theatertagen 2014, von Theater Heute zum Nachwuchsautor des Jahres gewählt. Das Stück »dosenfleisch« wurde im Juni 2015 zur Eröffnung der Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Die Inszenierung des Wiener Burgtheaters ist seit September im Kasino am Schwarzenbergplatz zu sehen. »dosenfleisch« ist in dieser Saison ebenfalls noch am Schauspielhaus Salzburg sowie am Schauspielhaus Graz zu sehen. Das Stück »der herzerlfresser« wird am 20. November am Schauspiel Leipzig uraufgeführt. www.dieschmalzette.at

2 ich denk ja nicht daran. ich mache keinen schritt da raus.

2 innen und außen.

Ad Personam: Ferdinand Schmalz

1 wir hier drinnen lassen uns nicht ein auf solche äußerlichkeiten. nur zu, verletzen sie die grenze, dringen sie von ihrem draußen zu uns rein. dann werden wir sie wieder rausschmeißen in ihre außenwelt.

1 man möchte fast sagen ausgefuchst. 2 der gäb noch einen schönen schal. 1 pech, dass er hier herinnen liegt. 2 sie können sich verinnern was sie wollen, wird dieses draußen da kein drinnen mehr. 1 so kann nur einer von da draußen sprechen.

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153 Brenk Sinatra Midnite Ride (Hector Macello)

Let’s Ride Nach Einbruch der Nacht soll man zu niemandem ins Auto steigen. Außer zu Brenk Sinatra. Vroom vroom. Die Dunkelheit wird von zwei grellen Punkten zerrissen, man wird geblendet, schließt die Augen. Sobald man sich wieder zu schauen traut, grinst Brenk Sinatra hinter dem Autofenster hervor. Er winkt aufmunternd in Richtung Beifahrersitz. Nachdem man eingestiegen ist, drückt Brenk auf einen magischen Knopf am Autoradio, und alles ist gut. Auf den Schock erstmal ein paar Beats. Lasset den Trip beginnen! So fühlt sich das Intro von »Midnite Ride« an. Inklusive Motorengeräusche und Schlüsselgeklimper. Brenk Sinatra, Österreichs international beliebtestes Beat-Genie wollte seine beiden großen Passionen kombinieren: Musik und Nachtfahrten. Er stellte eine Playlist für spätabendliche Spritztouren zusammen, und bastelte etwas am Rohmaterial rum. Etwas Feinschliff hier, ein Sample da, gezuckert mit jazzigen Baselines. Das Ergebnis stellte sich als brillant heraus. Das wollte Brenk anderen Nachtschwärmern nicht vorenthalten. »Midnite Ride«, des Maestros viertes Solo-Album, ist da. Wer im HipHop malt, tut das entweder direkt per Sprühdose oder abstrakt mit Worten. Brenk Sinatra malt mit Sound. Abgesehen von ein paar Samples kommt »Midnite Ride« ohne Lyrics aus, bildhafte Sprache hat kaum Platz. Doch schließt man die Augenlider, tobt sich das Hirn auf der schwarzen Leinwand aus. Die smoothen Basslines zerfließen dunkelblau. Jazzige Hi-Hats bringen mokkafarbene Abwechslung, eine E-Gitarre blitzt kurz auf. Hier wird jeder zum Synästhetiker. Wer’s nicht glaubt, soll’s ausprobieren. Alles beginnt im ersten Gang. Schrittgeschwindigkeit. Ruhig Blut. »Wait 4 The Day«, »Subtra« und »Cruisin’ Alone« lassen den Kopf wippen, mit jedem Track etwas langsamer, bis dann bei »Cali Due« überhaupt die Zeitlupe einsetzt. Synthiewellen rauschen durch den Frontallappen. So weit, so breit. Die Reise in die Ruhe geht munter weiter, mit kurzen Zwischenstopps beim schön schmierigen geschmetterten David Coverdale-Sample auf »Money 2 Burn« und dem dopen Snoop Doog-Sound auf »Friday Nite«. Gleich darauf folgen mit »Leather & Wood« überraschend fetzige Gitarrenriffs. Solche Tracks klopfen den oft bemühten Klangteppich etwas durch, der Hörer wacht kurz auf und meint sich nicht daran zu erinnern, dass die Realität so einen geilen Soundtrack hat. Bei aller Entspannung sollten die Augen offen bleiben, sowohl beim Autofahren wie auch in der Musik. Brenk Sinatra hat das verstanden. »Midnite Ride« klingt halb nach HipHop, halb nach entspannter Leiwandheit. Der Kopf nickt, der Geist fliegt auf Halbmast. In den Clubs wird diese Musik keinen Platz haben, sie gehört in die gemütlichen Wohnzimmer mit Sitzsack, in die Autoradios, in Lern-Playlists und ins Hirn der gemächlichen Genießer. 08/10 Philipp Grüll 053

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Freestyler

Armani, Armani, Armani, Armani, Armani. Armani, Armani, Armani. Ausgewählt von Stefan Niederwieser. Neon Indian Vega Intl Night School (Transgressive) — Wenn sich jemand so an Kid Creole And The Coconuts und »Miami Vice« bedient, müssen doch die Alarmglocken schrillen. Ja, Neon Indian legt noch jede Menge psychedelischen Blubber über seine Songs, durchzieht sie mit tiefen Spuren von LSD und Koks und diese Melodien sollten sich ohnehin bitte schämen gehen, so catchy sind sie. Was passiert, wenn man die Skepsis beiseite lässt, dass das zu 80s-exploitativ sein könnte? Viele sagen, die Party des Jahres. Oneohtrix Point Never Garden Of Delete (Warp) — Treffend betitelt ist es ja. OPN züchtet Blüten, Blätter, Holze, Samen und Gewächse aus dem unendlichen Cyber-Humus; züchtet Bonsais, Hecken, Kakteen, Orchideen, Karnivore, Flechten und Mammutbäume des Netz-Nirvanas. OPN vertont schon länger die Kontingenz der vernetzten Gegenwart. Das ist beißend, finster, sinnlos und großartig. Denn kaum jemand beherrscht heute seine Tonsprache so wie OPN, in den buntesten und schwärzesten Sounds.. Disclosure Caracal (Island) — Fad, aufgeblasen, Spass weg, Groove weg, Feuer und Magie weg. Es ist nicht leicht, Nachfolger zu Dance-Alben mit ihrer naturgemäß kurzen Halbwertszeit zu machen – gerade wenn sie so alldefinierend wie Disclosures »Settle« waren. Frag LCD Soundsystem, Digitalism oder Daft Punk. Es sei halt nicht mehr wie früher. Ist auch bei »Caracal« nicht ganz falsch. Aber gut möglich, dass es in ein paar Jahren als das Album mit mehr dunklen Untertönen gefeiert wird. Angel Haze Back To The Woods (Angel Haze) — Angel Haze könnte eine der ganz tragischen Figuren werden, die das Biz wieder ausspuckt. Gerade nach dem absoluten Desaster-Album »Dirty Gold« schien der Name toxisch. Haze kämpft sich aber zurück. Immer noch Emo, immer noch Rap, aber viel fokussierter. Wer so ein Mixtape hören will? All die sensiblen, wütenden, coolen Weirdos da draußen, die sich immer wieder selbst aufrichten und verkehrte Hymnen brauchen. Pixx Fall In (4AD) — Als hätte es noch mehr Zeichen gebraucht, dass Trip Hop dick in der Luft liegt, zeichnet eine 19-Jährige Melodien in die salzige Luft, die an Stereolab und Broadcast erinnern. Statt aber die äußeren Ränder von Beats und Samples zu ergründen, schaut Pixx anderen beim Fallen zu, Blumen beim Welken, Menschen beim Abschied nehmen, zupft dazu seidige Akkorde und klöppelt zarte Rhythmen. Na gut, dann Trip Hop. Und außerdem natürlich: Wanda – Bussi (Universal) Geile Melodien für Beidln. Deerhunter – Fading Frontier (4AD) Deerhunter veröffentlicht ein großartiges Album? Mal was Neues, pffft. Travis Scott – Rodeo (Sony) Southern Sizzurp & lässig geliehener Lean.

Sophie Product (Numbers)

Bipp! Ist sie? Ist er? Ist das Pop? Oder »Pop«? Ist das idiotisch? Klingt das überhaupt gut? Und wen schert es? PC Music ist nicht mehr ganz neu. Vor zwei Jahren feierten viele das Label aus London heftigst ab. Genug Leute hassten es auch. Wir hatten Sophie zum Jahreswechsel eine strahlende Zukunft vorausgesagt. Die Zukunft kam nicht so schnell wie gedacht. Es flossen eigentlich nur einige bekannte Konzepte neu zusammen. Das Spiel, mit völlig künstlichen Images, mit ihrer Kontrolle, mit Fetischs, mit Pop, mit der Identität und mit der fantastischen Magie von Musik etwas entwerfen zu können, das nichts mit den konkreten Personen hinter den Sounds zu tun hat. Die Bilder waren total affirmativ, die Melodien waren total affirmativ, die Beats waren kaputt und seltsam. Im Vaporwave oder in der Pop Art gab es dieses Spiel ja auch schon. Ist das mit sich selbst ident, sind das die Symptome des Kapitalismus und seiner klassischen Geschlechterrollen oder will das alles etwas anderes? Diedrich Diederichsen hat das in seinem Wälzer »Über Pop-Musik« bereits als den großen Umbruch und den kommenden Modus von Pop beschrieben, Identität nämlich nicht mehr bestätigen zu müssen, sondern damit zu spielen, zu wetten und damit zu spekulieren. Sophie tut genau das. Sonisch erinnert »Product« dabei an Mouse On Mars und Aphex Twin, die mit breitem Eurotrash aufgebohrt und pinkem Silicon ausgekleidet wurden. Dass Sophie schon mit Madonna, Nicki Minaj, Diplo und Charli XCX zusammengearbeitet hat, hört man gerade bei einem Track wie »L.O.V.E.« nicht so deutlich heraus. Das Album macht nichts wirklich falsch. Der größte Vorwurf, den man »Product« aber machen kann, ist, das Spiel nicht weit genug getrieben zu haben. »Bipp« erweckte noch den Eindruck, als könnte Sophie übermenschlichen Pop schreiben und jederzeit die Regeln und die Richtung diktieren. Das zweite Album klingt nun so, als ob die Erwartungen zu hoch waren. Als hätte Sophie doch mehr Spaß daran, Musik für Fashion Shows und Galerie-Eröffnungen zu schreiben, statt mit der totalen Künstlichkeit die Charts, Timelines und die Bühnen von Sommerfestivals zu erobern. Betrunkene Proleten »C-c-c-candy boys« grölen zu hören, wäre halt auch interessant gewesen. 07/10 Stefan Niederwieser

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Neigungsgruppe Indie

Schöner Lärm, betörende Stille, alles dazwischen und natürlich die obligate Ausnahme. Ausgewählt von Manuel Fronhofer. Sex Jams Catch! (This Charming Man) — Erst »Post Teenage Shine«, dann »Trouble Honey« und jetzt »Catch!« – die Band rund um die begnadete Rampensau Katarina Trenk hat mit dem Titel ihres dritten Albums in Sachen Wortanzahl bis zur Eins heruntergezählt. Danach kommt für gewöhnlich die Explosion. So auch hier: Die Sex Jams entladen ihre Energie in NoisePunk, der zwickt, kratzt und etwas zu sagen hat. Das vielleicht größte Kunststück: Pop-Appeal ist in der DNA dieser Musik ebenso festgeschrieben.

Janet Jackson Unbreakable (Rhythm Nation / Warner)

Iconic Ist ein großes Wort und heutzutage abgenutzter denn je. Für jemanden wie Janet gilt seine ursprüngliche Bedeutung. »Hello … it’s been a while.« Prätentiöses Gesäusel als Opener, als würde sie sich zu guter Letzt doch noch dazu herablassen, dem wartenden Elend ihrer Jüngerschaft ein Ende zu setzen. Sie klingt irgendwie fickrig, irgendwie zugedröhnt, aber vor allem nach Janet Jackson – so was darf sich eben nur eine echte Ikone erlauben. Sieben Jahre, um genau zu sein. Weiter im FlüsterProgramm. »Lots to talk about« – lass hören. »I’m glad you’re still here« – wir auch Janet, wir auch. »I hope you enjoy« – als würde sie nicht bereits ganz genau wissen, dass man es mögen wird. Es ist ihr erstes Album seit Michaels Tod, und während der wohl einzig lebende Popstar mit einem vergleichbaren Status wie dem ihrigen Madonna ist, die sich für ihren letzten Twerk-Erguss ja eine Entourage aus Hashtag-freundlichen Produzenten gekrallt hat, greift Janet elegant und triumphierend auf ihre Kollegen aus den 80ern zurück. »BURNITUP!«, in all seiner Caps-Lock-Anmut, klingt ungefähr so, wie er sich liest. Ein fachgerechter Brummer und der wahre Opener, sogar mit Missy Elliott-Feature. Was ist das hier? 2001? Geil. Im ewig optimistischen »Shoulda Known Better«, wenn man am wenigsten damit rechnet, plötzlich der große Weltschmerz. »I had this great epiphany, and ›Rhythm Nation‹ was that dream. I guess next time I’ll know better« – fast schon resignierend. Es zerreißt einem das Herz. Damals, 1989, wollte sie eine Revolution starten. Wollte gegen Armut und Rassismus kämpfen. Geändert hat sich nicht viel. Janet Jackson war noch nie eine Künstlerin, die sich groß von Genres eingrenzen ließ, auch nicht auf »Unbreakable«. Da gibt’s die Nummer, die genauso gut auf das Tinashe-Album gepasst hätte, die andächtige Rock-Ballade und sogar erste Annäherungsversuche an das Terrain, das einst ihr Bruder so prominent besetzt hatte – noch nie hat ihre Stimme so sehr nach Michael geklungen. Ganz abgesehen von dem Song, der als Jackson Five-Hommage seinen berechtigten Platz als Finale einnimmt. Janet – Miss Jackson, if you’re nasty – kehrt so geschmeidig zurück, da ist es sogar verkraftbar, dass sie auf dem Cover aussieht wie ein Hund. 07/10 Franz Lichtenegger

Nots We Are Nots (Heavenly) — Elf knappe Songs in 27 Minuten – das Debütalbum dieser vier Frauen aus Memphis, Tennessee, wiegt kein Gramm zu viel, hat aber trotzdem genug Fleisch auf den Knochen, um nicht in Post-Punk-Unterkühltheit erstarren zu müssen. Gitarre und Synthesizer ziehen ihre Schleifen, setzen dann wieder gegenseitig Nadelstiche. Darüber Natalie Hoffmans Vocals – mehr gebellt als gesungen. Alles von anziehender Primitivität, direkt aus dem Bauch heraus und wunderbar unruhig. Beat Happening Look Around (Domino) — Eine dieser Bands, deren Erfolg ihrem Einfluss erst spät oder sogar nie gerecht wird. Bret Lunsford, Heather Lewis und Calvin Johnson (sein Label K Records hat die Karrieren von Acts wie Beck und Gossip mit auf den Weg gebracht) haben mit Beat Happening jedenfalls nicht nur bei ihrem wohl bekanntesten Fan Kurt Cobain Spuren hinterlassen. Von D.I.Y.-Punk bis Lo-Fi-Pop reichen ihre bewusst eigenwilligen Songs. 23 davon sind in der vorliegenden Werkschau enthalten. Super Sache! Joanna Newsom Divers (Drag City) — Noch so ein ganz spezieller Fall. Joanna Newsoms Gesang – mal kühn kieksend, mal kapriziös knödelnd – und ihre Harfe klangen schon immer wie aus einer anderen Zeit, wie aus einer anderen Welt. Nach einem Abstecher ins Schauspielfach (neben Joaquin Phoenix in »Inherent Vice«) und satten fünf Jahren seit dem Release des Ziegels »Have One On Me« (124 Minuten Spieldauer!), erinnert uns »Divers« nun daran, dass wir diese Frau tatsächlich schon sehr vermisst haben. Car Seat Headrest Teens Of Style (Matador) — Elf Alben hat Will Toledo als Car Seat Headrest seit 2010 ins Netz gestellt. »Teens Of Style« fasst neu eingespielte Songs aus drei dieser Alben zusammen. Seine Emotionalität und Direktheit haben dem jungen Amerikaner schon Vergleiche mit Bright Eyes eingebracht. Wobei es musikalisch doch anders zugeht: viel Hall und Verzerrung auf Stimme und Gitarren, Euphorie auslösender Beach-Boys-Harmonie­gesang, mitreißender Indie-Rock und melancholischer Lo-Fi-Pop. Alles ziemlich gut.

Und außerdem natürlich:

Hot Chip – Dancing In The Dark [Single] (Domino) Ein Springsteen-Cover, das Richtung LCD Soundsystem abbiegt. Groß! Sun Club – The Dongo Durango (ATO) Die Gitarren hibbelig, der Gesang jubilierend. Wunderbar überdreht, diese Band. Majical Cloudz – Are You Alone? (Matador) Beats mit schwachem Puls, flächige Synths, eindringlich-klare Vocals. So blue … 055

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Deerhunter Fading Frontier (4AD Beggars)

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Sun Club Dongo Durango (ATO Records)

Na wurscht

Am Anfang war Dope

Mit scheinbar einfachen Songs und gedämpft schnurrender Gitarre fassen sich Deerhunter auf dem großartigen siebten Album selbst zusammen.

Fünf Potheads aus Baltimore klemmen sich ins Lagerhaus und basteln der Angebeteten Mary Jane einen Schrein aus Haschbröseln und Flitzgitarren.

Zehn Jahre, sieben Alben, zwei EPs: vom schwärmerischen Traum »Halcyon Digest« zu schrullig, kratzig, bitterschönem Alptraum namens »Monomania« vor zwei Jahren war alles dabei. Die überraschende Pop-Attitüde, die sich nun auf »Fading Frontier« eingenistet hat, funktioniert ebenso einwandfrei. Gesellt sich zu Psychedelic, Noise-Experimenten, Post-Punk und immer einem Shoegaze-Sahnehäubchen. Bradford Cox ist Meister in jedem Fach, Beweis liegt vor. Der Sänger und Mastermind ist kein nostalgischer Typ. Sagt er. Auch nicht nach seinem schrecklichen Autounfall im Vorjahr. Nur in den Lyrics blitzen die Ereignisse manchmal durch: »I’m still alive and that’s something.« Neues Deerhunter-Album bedeutet: neues, Cox’sches Statement über und gegen die Popkultur. Diesmal hat er sogar eine Influence Map entworfen, auf der er klarstellt: Tom Petty, REM, INXS waren die Taufpaten. Die Vorabsingle »Snakeskin« ist eine glänzend-schräge Rocknummer, die eine falsche Fährte legt. Funk ist auf »Fading Frontier« sonst keiner zu finden – die übrigen Nummern stehen nicht mit demselben Drive, sondern eher gemütlich am Start. Poppig-heterogen (»Take Care«), poppig-schleppend (»Carrion«), oder gar poppiger Krautrock (»Ad Adstra«). Klirrende, gegen- und durcheinander gezupfte Gitarren, eine fast schon naiv-überzogene Melodie und ein bisschen Synthesizer, auf den Cox immer weniger verzichten will, gestalten »Breaker«, die wahrscheinlich beste Nummer. Da klopft mit energetischer Hand INXS an die Tür. Mit einem Augenzwinkern in Richtung eingängiger, auch breitenwirksamer Rocksongs spielen Deerhunter, dass das Mononkel nur so wackelt. Sie bündeln Extrakte aus all ihren Vorgängern, erfinden bewusst nichts Neues. Die simple Gitarrenmelodie, die immer im Mittelpunkt steht, spielt mit nonchalanter Wurschtigkeit. Das hat sich Cox exzellent von REM abgeschaut. »Fading Frontier« klingt easy, aber bedacht. Weil weniger eben manchmal wirklich mehr ist.

Die Liebe zum Grün ist auf dem Debüt »Dongo Durango« der Baltimorer allgegenwärtig: Auf dem Cover giert eine an Jigsaw erinnernde Fratze mit obligatorisch geröteten Augen nach dem nächsten Spliff und die Nummern tragen Titel wie »Glob« und »Cheeba Swiftkick«. Ersteres ist eine Maßeinheit für die Einnahme, Zweiteres ein Synonym für den Stuff selbst (beides kann man nachsschlagen im urbanen Online-Wörterbuch). Wenn sich der Fünfer textlich mal nicht an Hasch abarbeitet, geht’s hauptsächlich um – wie könnte es auch anders sein – Sonne. Sun Club klingen dann so wie die Beach Boys, hätten diese offen zugeben dürfen, dass sie den lustigen Zigaretten nicht abgeneigt sind. Aufgenommen wurde in einem leerstehenden Lagerhaus in der Hometown. Das ist nur wirtschaftlich und konsequent: So spart man sich schließlich das Geld für die Effektgeräte und kann die grünen Scheine in Pot investieren. Die Gitarren wirken rastlos und heißhungrig. Ähnlich dem Gefühl, wenn sich nach gönnerhaftem Konsum die Suche nach Essbarem ins Hektische verschiebt. Auch die Videoästhetik reiht sich einwandfrei in die verschwommene Gesamtwahrnehmung der Jungs, die sich bereits aus der Schule (höchstwahrscheinlich Hinterhof) kennen, ein. Eine vermutliche Überintoxikation hat dann auch dazu geführt, dass man endlich wieder jene nackten Offline-Trolle in einem Video sehen darf, die in den 90ern irgendwie jeder an seinem Schlüsselbund haben musste. Die slackerisch-gelallten Texte, die durch in den Offspace-Proberaum gebellte Ooh-oohs unterbrochen werden, legen eine Motivation zur Entkoppelung von Oberfläche und Substanz nahe. Totale Entfremdung und Dekonstruktion ist sicherlich nicht erklärtes Hauptziel von »Dongo Durango«, bricht aber zu weiten Teilen in den gitarrenzerstückelten Melodien durch. Das Spiel mit der Oberfläche und die Auflehnung wider das Glatte wird durch den offensichtlich ironisch nach außen getragenen Cannabiskonsum zwar ein wenig aufgeweicht – aber hey, von übermäßigem Konsum sollte doch jeder sein eigenes Liedchen singen dürfen. 07/10 Christoph Kranebitter

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Und anderes Musikalisches dazwischen und darüber hinaus. Kuratiert (ha!) von Amira Ben Saoud.

Schmieds Puls I Care A Little Less About Everything Now (Seayou)

Das Herz ist ein tiefer Brunnen Hier gefriert die Zeit. Aber selbst wenn vieles zerbrechlich und enttäuscht klingt, scheint dennoch auf klare, beeindruckende Art das Licht durch. Nicht ohne Grund erscheint dieses Album Mitte Oktober. Fröhliche Momente wird man eher auf anderen Alben finden. Das hier ist eher Gegengift zur manchmal anstrengenden Wanda-Heiterkeits-Überdosis. Nach dem Erscheinen ihres Debütalbums »Play Dead« tourte das Trio um die Sängerin und Gitarristin Mira Lu Kovac ausgiebig. Dies hört man dem Nachfolger an: tighter, experimentierfreudiger, vertrauter. Walter Singer am Double Bass gibt den Pop-Nummern den jazzigen Touch, Christian Grobauer, einer der wenigen Schlagzeuger, die mit dem Begriff Dynamik etwas anfangen können, und Kovacs’ Stimme und pickinggeprägtes Gitarrespiel frieren auf ihrem Zweitling Zeit ein. Ein einzelner Akkord eröffnet »I Care A Little Less About Everything Now«, der Titel erzählt vom Älterwerden, vom Verlust der Unschuld, emotional wie ideologisch. So auch die einzelnen Songs. Es geht jedoch keinesfalls um Abgeklärtheit, Zynismus oder Resignation, es wird hier scharf beobachtet: Der Zauber, das Hochgefühl ist flüchtig und steht den Niederlagen, den Verlusten von geliebten Menschen und der Leere gegenüber. Und doch blitzt von Zeit zu Zeit ein Hoffnungsschimmer auf, genauso viel, wie es braucht, um kurz vor der Aufgabe doch noch weiterzumachen. Dies macht die Essenz von »I Care A Little Less About Everything Now« aus. Ja, das Leben kann enttäuschend, trist, traurig und zerbrechlich sein. Aber kein Licht ohne die dunklen Seiten. Und ja, es gibt noch etwas zu sagen, ganz entgegen dem Fragment des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa, das das Booklet des Albums ziert. Ob nach einer überwundenen Trennung oder der Einsicht, dass man ein paar naive Ideen endlich hinter sich gelassen hat. Der Herbst kann kommen. Und erst mal bleiben. 07/10 Thomas Nussbaumer

Fetty Wap Fetty Wap (RGF) — Die Anzeichen, dass das letzte Stündchen von Trap bald schlagen wird, verdichten sich. Panisch suchen Musikliebhaber nach Alternativen, die meisten wandern bereits zu den neuen UK Grime-Stars ab und versuchen zu vergessen, dass Hi-Hats bis vor Kurzem noch ihr ein und alles waren. Irgendwann werden wir unseren Kindern dann vom Trap King Fetty Wap und seiner Königin, dem Geld, erzählen – hat er doch dem Genre ein letztes Denkmal gesetzt. Bryson Tiller Trapsoul (RCA) — Man kann nicht gerade behaupten, dass es um R’n’B schlecht stünde. Wir haben Jeremih, wir haben Miguel und Janet ist auch wieder da. Es hat also niemand auf Bryson Tiller gewartet. Als dieser aber die erste Single »Don’t« seines Albums »Trapsoul« auf Soundcloud geladen hat, machten sich alle von Timbaland bis Drake ins Höschen vor Begeisterung. Auch wenn es nichts Neues ist, was der junge Bursche aus Louisville macht, ist es eben immer noch R’n’B-Perfektion. Travis Scott Rodeo (Grand Hustle) — Ich weiß ja nicht, wie’s euch so geht, aber ich verbringe große Teile meiner Freizeit damit, darüber nachzudenken, was eigentlich mit Young Thug und Travis Scott geht. Ich verstehe es einfach nicht, bin mir dabei aber ziemlich sicher, dass es zumindest eine Zukunft von HipHop ist, die da geschieht. »Rodeo« ist ein großartiges Album, viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich mein, Justin Bieber auf »Maria, I’m Drunk« – es ist der helle Wahnsinn. Brenk Sinatra Midnite Ride (Hector Macello) — Wir sind bei The Gap natürlich voreingenommen, haben wir doch kürzlich ein Video mit Brenk Sinatra gedreht, dabei ein paar Gin Tonics gehoben und unveröffentlichtem Material im Musikzimmer des Meisters gelauscht. Aber nicht nur wir, sondern auch internationale Rap-Schwergewichte lieben den Beat-Macher aus Donaustadt. Was dem instrumentalen »Midnite Ride« an fetten Raps fehlt, macht es mit einer saftigen Portion Groove wett. Auto starten, loscruisen! Boots Aquaria (Columbia) — Es ist faszinierend, wie underrated jemand sein kann, der bereits für FKA Twigs, Run The Jewels und die Königin von allem Beyoncé produziert hat. Auch Boots’ Debütalbum wird nicht die Wahrnehmung erfahren, die es verdient – weil es einfach nicht immer nur gut klingt. Dafür ist es zu experimentell und will alles gleichzeitig sein. Trotzdem haben wir es hier mit dem Beck unserer Zeit zu tun, dem Meister aller Genres, dem relevantesten Regel-Brecher an den Reglern.

Und außerdem natürlich:

Young Thug – Slime Season (Self-Released) Sicher eins der 30 besten Mixtapes. Von Young Thug. In diesem Jahr. Disclosure – Caracal (PMR) Als Santana damals »Because You’re So Smooth« sangen, meinten sie das. LGoony – Grape Tape (Live From Earth) Sheesh.

01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk

Pop, Bass, Hop

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TEXT Franz Lichtenegger BILD evn Sammlung, Hito Steyerl, Susi Jirkuff, Werner J. Hannappel, Nachlass Hartmut Skerbisch, Rodtschenko & W. Stepanowa, Reinhard Haider

Man muss schon sagen, der Hase von Maurizio Cattelan schaut ganz schön wahnsinnig aus. Zu allem Übel heißt er auch noch Richard. Die viel zu großen Glasaugen des präparierten Viechs sind eigentlich Löwenaugen, womit der Künstler auf Robin Hoods Erzfeind Richard Löwenherz anspielt. Den Hasen, Videos und andere Sehenswürdigkeiten aus der Sammlung des Energieunternehmens EVN gibt’s bald in Krems. Dauer: 14. November bis 21. Februar Krems, Kunsthalle

Now, At The Latest

TERMINE KULTUR

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TERMINE

KULTUR

Politischer Populismus Irgendwas mit Medien und immer dieses Internet, letztendlich kommt auch die Kunst nicht mehr daran vorbei und plötzlich ist alles Pop. Rappende Politiker, Fernsehformate, Konzerte, die sich immer mehr mit Politik befassen und Youtube sowieso – politischer Populismus saugt das alles auf, wird analysiert, gebrochen und erklärt. Und das Ganze von einer gestandenen Reihe internationaler Künstler. Eröffnung: 6. November, 19.00 Uhr; Dauer: 7. November bis 7. Februar Wien, Museumsquartier

TEXT Franz Lichtenegger BILD evn Sammlung, Hito Steyerl, Susi Jirkuff, Werner J. Hannappel, Nachlass Hartmut Skerbisch, Rodtschenko & W. Stepanowa, Reinhard Haider

What Some Girls Do For Money Donna Summer hat es einst so schön besungen: She works damn hard for the money. Sechs Künstlerinnen, jede mit ihrer ganz eigenen Herangehensweise, führen im Kunstpavillon der Tiroler Künstlerschaft vor, wie hart sie tatsächlich arbeiten und brechen ganz nebenbei mit sämtlichen Klischees, die den Mädels am Jobmarkt so auferlegt werden. Der Titel lässt viele Deutungen zu, und das ist gut so. Dauer: 20. November bis 2. Jänner Innsbruck, Tiroler Künstlerschaft

Anna Witt Anna Witt ist so eine, die gerne Sachen kaputtmachen lässt und Obdachlose zu Türstehern macht. Dass das, was sie macht, Kunst sein könnte, das war ihr selbst nie wirklich bewusst, aber vielleicht ist es genau das, was sie ausmacht. Mit ihren Ausstellungen war die gebürtige Deutsche und Wahlwienerin jetzt schon so ziemlich überall, höchste Zeit also, um auch Klagenfurt mal einen Besuch abzustatten. Eröffnung: 26. November, 18.30 Uhr; 27. November bis 31. Dezember Klagenfurt, Kunstraum Lakeside

Das Paradies der Untergang Helmut Skerbisch war Steirer, hat aber schon zu Lebzeiten weit über die Grenzen von Österreichs grünem Herz hinaus wichtige Impulse gesetzt. Vor allem der Raum und seine Wahrnehmung zählten zu seinen behandelten Themen. Welcher Teil seines medienkünstlerischen Werks nun Paradies und welche Untergang sind, davon muss man sich selbst überzeugen. Wir finden eh beides gut. Eröffnung: 19. November, 19 Uhr; Dauer: 20. November bis 7. Februar Graz, Kunsthaus

Die Liebe in Zeiten der Revolution Was ist Liebe? Nun, zum einen ist sie ein seltsames Spiel. Allen voran aber ist die Liebe eines, nämlich Kunst. Gleichberechtigte Lebensformen von Künstlerinnen und Künstlern, also artsy Pärchen, beweisen eindrucksvoll, dass man Berufliches eben doch mit Privatem vermischen kann. Die Arbeiten werden darauf beleuchtet, ob und inwiefern eine Beziehung sich auf Ergebnisse auswirkt. Dauer: 14. Oktober bis 31. Jänner Wien, Kunstforum

Rabenmütter Mütter haben es sich verdient, dass man sie viel öfter als einmal im Jahr feiert. Deshalb versammelt das Lentos in Linz cirka 115 verschiedene Blickwinkel auf Mütter. Und Mütter hatten es in den letzten 115 Jahren nicht leicht. Weltkriege, Berufstätigkeit, Pille und Tiger Moms ist da nur die Spitze des Eisbergs. Mütter sollen versorgen, erziehen, ernähren, lieben, verstehen und noch viel mehr. Wie sich das ausgehen kann? Ideen gibt es im Lentos. Dauer: 23. Oktober bis 21. Februar Linz, Lentos 059

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EXKLUSIVE EVENTS RUND UMS BIER

powered by

Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen im MuseumsQuartier / Q21 / Raum D, 1070 Wien subotron.com/veranstaltungen/pro-games/

Do. 08.10.15, 19h PR for Indie-Studios: The storytelling strategist once known as PR Stefano Petrullo Founder Renaissance PR, London Do. 22.10.15, 19h Toys to Life: Wenn virtuelle Welten physische Wirklichkeit werden Volker Hirsch Creative Director, München Do. 05.11.15, 19h Wie ticken Gameskonzerne? Globale Publisher in der österreichischen Gamesbranche Eugen Knippel Ubisoft Christian “Xian” Wenzl Microsoft Florian Mahr Sony Computer Entertainment/PlayStation more tba. Do. 19.11.15, 19h International Indie Games Meeting Tom Killen „crossy road“, Barcelona John Ribbins „olliolli“, London Michael Hartinger „Shooting Stars“, Wien Maximilian Csuk “Nubs Adventure”, Wien

VIENNABEERWEEK.AT #VBW15 IM RAHMEN DER VIENNA BEER WEEK:

Unterstützt von www.creativespace.at – Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien

CRAFT BIER FEST 20.–21.11.15

ANKER-EXPEDITHALLE, WIEN 058-065 Gap 153 Termine.indd 60

Medienpartner:

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T ermine

G a lerien

»Dieter Roth und Arnulf Rainer« (1974, Fotografie) Fotosammlung Ostlicht

»Omino A« (o. J., Eisen / Muranoglas), Alpen-Adria-Galerie Klagenfurt

Cora Pongracz

Silvano Spessot

2003 ist die österreichische Fotografin Cora Pongracz verstorben, nun hat die Galerie Ostlicht den kompletten Nachlass erworben. 42.000 Negative, 1.100 Abzüge. Hundertwasser liegt in der Hängematte, Nitsch genießt seine Zeit in Prinzendorf. Aber nicht bloße Freizeit-, sondern auch Porträtfotografie hat Cora Pongracz bekannt gemacht. Über Ehemann Reinhard Priessnitz gut in der Literaturszene vernetzt, ließen sich viele Schriftsteller von ihr porträtieren. Die Ausstellung konzentriert sich auf die fruchtbarsten Jahre der Künstlerin: Ein Querschnitt durch den Zeitgeist der 70er Jahre. bis 21. November Galerie Ostlicht, Wien

Der italienische Künstler Silvano Spessot schlägt den Spagat zwischen Malerei und Skulptur, zwischen Fläche und Dreidimensionalität. Dabei sind es vor allem die Gegensätze, die ihn interessieren – farblich wie auch materiell. Gezeigt wird eine Werkübersicht seiner Schaffensperiode von 2009 bis 2015. War es anfangs vor allem Jackson Pollock und Alberto Burri, die ihn beeinflusst haben, setzt er sich mehr und mehr von seinen Vorbildern ab. Seine Serie »Omini« (»Kleine Männer«) begleitet ihn dabei durch beinahe alle Schaffensperioden. Mit Augenzwinkern sollen diese Skulpturen einen direkten Bezug zum Auftraggeber herstellen, wachrütteln, sich selbst nicht so ernstzunehmen. Sympathischerweise tut dies der Künstler nämlich auch nicht. bis 31. Oktober Alpen-Adria-Galerie, Klagenfurt

Karlsplatz 18/9 – 8/11 2015 #Charlemagne

Kärnten

Cristina Fiorenza Galerie 3 bis 23. Dezember Arnold Pöschl – Magic Hour galerie 59 bis 28. November Mademoiselle Privé Saatchi Gallery bis 1. November

Oberösterreich

TEXT lisa schneider BILD Cora Pongracz, Silvano Spessot

ien

Kunsthalle Wien

Tobias Pils Galerie am Stein bis 19. Dezember Beni Altmüller – Erfühlte Lebenswelten Galerie in der Schmiede bis 6. November

Salzburg

Nadja Bournonville, Kerstin Hamilton, Erik Viklund Fotohof Salzburg bis 14. November Heinz Göbel Galerie Welz bis 21. November

Steiermark

Roman Scheidl – Das Schöne und das Schreckliche Galerie Schafschetzy bis 14. November

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Credit: Charlemagne Palestine Porträt, Foto: Agnès Gania

Erwin Wurm Artelier Contemporary bis 8. November

Tirol

Matko Vekic – The masque of god’s image artdepot (Innsbruck) bis 29. Oktober Ilse Abka-Prandstetter – Schwerelos artdepot (Kitzbühel) bis 7. November

Wien

Charles Schwarz – Light Reclaimed Galerie Johannes Faber bis 5. Dezember Mad in Austria Galerie Konzett bis 24. Oktober Hubert Blanz – Feldforschung Galerie Reinthaler bis 7. November Natur und Form Galerie Jünger bis 19. Dezember Massimo Vitali – New prints Hilger Next bis 23. Dezember

Die Ausstellung GesammttkkunnsttMeshuggahhLaandtttt bietet erstmals einen umfassenden Blick auf das breit gefächerte und komplexe Werk von Charlemagne Palestine. Seit vierzig Jahren arbeitet er grenzüberschreitend als Musiker, Komponist, Performer und bildender Künstler. In der Kunsthalle Wien zeigt er frühe Videoarbeiten, Kuscheltierskulpturen, Gemälde, Installationen und Buchpartituren die sich dabei zu einer raumgreifenden Installation verbinden, in deren Zentrum ein Bösendorfer Imperial steht und damit jenes Instrument, auf dem Palestine seine Kompositionen „performt“. www.kunsthallewien.at

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TERMINE

FESTIVALS

3 Fragen an Cornelia Anhaus (Open Mind Festival) »Frankenstein« ist ein Robotertheater mit Musik. Was hat das Stück mit dem Oberthema »Identität« zu tun? Technische Errungenschaften und Algorithmen bestimmen derzeit unser Dasein und definieren, wie wir leben und was wir sind bzw. als wer wir wahrgenommen werden. Dabei verändern die Menschen nicht nur die Technik, die Technik verändert uns; vor allem die Technisierungsprozesse in der Medizin sind zukunftsweisend, ob es nun um roboterchirurgische Abteilungen geht oder Roboter in der Pflege. Den Menschen soll die Maschine dabei möglichst einfach und angenehm vermenschlicht nähergebracht werden. Das Stück »Frankenstein« setzt hier an und fragt: Wer bringt den Maschinen die Menschen näher? Welche menschliche Identität entwickeln wir, wenn wir nach den Bauplänen unserer Maschinen geschaffen werden? Wieso habt ihr das Thema »Ich ist eine Andere« gerade in diesem Jahr gewählt? Die Suche nach der eigenen Identität ist ein zeitloses, universelles und gleichzeitig aktuelles Thema. Ob es sich nun um geschlechtliche oder kulturelle Identität handelt – immer geht es dabei um Inklusion und Exklusion. Aus einem angesehenen Arzt wird ein Scheinasylant, aus einer aufstrebenden Ingenieurin eine Kampflesbe oder aus einem rechtsextremen Politiker ein besorgter Volksversteher. Das Open Mind will hier Bewusstsein schaffen und versteht sich als Think Tank und Motor für Gesellschaftspolitik und Sozialkritik. Wie hat sich das öffentliche Interesse am Festival in sechs Jahren verändert? Das Open Mind Festival ist inzwischen mehr oder weniger in Salzburg angekommen. Musste man in den ersten Jahren oft noch erklären wofür es steht, wird diese Frage kaum noch gestellt, auch die Besucherzahlen sind seit der ersten Ausgabe stetig steigend, ebenso die Anfragen von Künst lern, die hier mitwirken zu wollen. Open Mind Festival 12.–22. November Salzburg

Gustavo Gus aus »Breaking Bad« wird auf der ersten Comic Con Vienna ein paar Nerds wahllos die Kehle aufschlitzen.

Comic Con Vienna Ob »Avengers«, »Ant Man« oder »Fantastic Four« – heuer gab es wieder sehr viele Comic-Verfilmungen in den Kinos. Die Comic Con in San Diego hat mittlerweile ähnlich wie Coachella oder Glastonbury Kultstatus erreicht. Zum ersten Mal wird ein Ableger heuer auch in Wien veranstaltet. Allerdings nicht von San Diego aus, sondern von Reed Exhibitions und ihrer Schwesterfirma ReedPop, die auch die New Yorker Comic Con oder die Star Wars Celebration organisieren. Unter den Gästen sind unter anderem die »Game of Thrones«Stars Finn Jones und Gemma Whelan oder Giancarlo Esposito, der in »Breaking Bad« den Drogenboss Gus Fring verkörperte. Neben Panels und Screenings wird es auch viele Ausstellungen und vor allem viele gleichgesinnte Comic-Nerds geben. 21.–22. November Wien, Messe

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TERMINE

FESTIVALS Mira Klug hat für diesen Schnappschuss keine Opfer gescheut.

98.200 … so viele Festivalgäste aus dem In- und Ausland zählte die Viennale im Jahr 2014. Das waren um 800 Gäste mehr als im Jahr 2013. Eine große Steigerung ist das zwar nicht, für ein Kinofestival dennoch eine beträchtliche Gesamtzahl.

Artdesign Feldkirch

TEXT Steven meyer BILD Jan-Nahuel Jenny, Breaking Bad, Mira Klug, Diary of a teenage girl

Design, Kunst, Mode und Fotografie: Die Artdesign-Messe in Feldkirch bezeichnet sich als eine Schnittstelle dazwischen. Feldkirch lässt sich selbst auch als eine Art Schnittstelle im Vierländereck mit Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz sehen. Bis zu 8.000 Besucher zählt das jährlich stattfindende Event. An unterschiedlichsten Schauplätzen der Stadt soll auch dieses Jahr wieder eine ideale Form für Vermarktung und Verkauf verschiedenster Arbeiten ermöglicht werden. 6. bis 8. November Feldkirch

Elevate

»Diary Of A Teenage Girl« erzählt eine Coming-of-AgeGeschichte über das sexuelle Erwachen eines Teenagers im San Fransisco der 70er Jahre.

Das Elevate ist ziemlich einzigartig. Es bezeichnet sich selbst als interdisziplinäres Festival, das einen starken Fokus auf gesellschafts- und kulturpolitische Fragestellungen hat – und das schon seit zehn Jahren. Kritisch-politischer Diskurs über aktuelle gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Probleme werden hier diskutiert. Das alles wird mit elektronischer Musik, Kunst und Literatur in Verbindung gesetzt. 22. bis 26. Oktober Graz, diverse Locations

Youki

Youki verschreibt sich einem tendenziell hedonistischen Festivalansatz. Rund um das Hauptprogramm, dem internationalen Filmfestival, bei dem jährlich rund 80 Filme von jungen Filmschaffenden gezeigt werden, finden Partys, Konzerte, Workshops und verschiedene Projekte, statt. Hingehen, bevor der frisch gewählte Welser FP-Bürgermeister das Youki abdreht. 17. bis 21. November Wels, diverse Locations

Klezmore Festival

Viennale Das größte internationale Festival für Film in Österreich bietet dieses Jahr zum 53. Mal wieder ein Programm mit Beiträgen aus unterschiedlichsten Genres. Das Festival widmet sich heuer mit einer Retrospektive speziell den Tieren im Film. Das ist einer der Gründe, weshalb das diesjährige Sujet ein Millionen Jahre altes Krokodil ist und Tippi Hedren, die Hauptdarstellerin aus Alfred Hitchcocks »Die Vögel«, zu den Gästen gehört. 22. Oktober bis 5. November Wien

Die zwölfte Ausgabe vom Klezmore Festival findet heuer in Wien statt. Wer nicht weiß, was KlezmerMusik ist: es handelt sich dabei um traditionelle, jüdische Volksmusik, deren Geschichte bis ins 15. Jahrhundert zurückgeht. Der Name ist hier auch Programm: alles Klezmer. Das Programm beinhaltet viele Konzerte internationaler Musiker, Screenings einiger Filme sind auch mit dabei. 7. bis 22. November Wien 063

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MUSIK

COZINHA

Küche, Kitchen, Mutfak, Kuhinja, Cuisine, Kukhnya

Zeitgenössische Tanz Performance der

AGE COMPANY 14. /15. November 2015 | 18.30 MAGdAs KANtINE Wien 1100, Absberggasse 27, Anker-Expedithalle Tickets: Ilse Stadler-Epp, ilsta@aon.at www.vinyltom.at

Schauen harmlos aus, aber … Schnipo Schranke überzeugen mit Häuslhumor und Selbstentblößung.

Ahoi! Pop Dass mit dem Sommer nicht auch die Festivalzeit vorüber ist, dafür darf man Veranstaltungen wie dem Ahoi! Pop im Linzer Posthof danken. Alljährlich stellen die Verantwortlichen dort ein zuverlässig hochwertiges Programm auf die Bühne – heuer sogar an fünf Tagen. Bei Acts wie Calexico, Boy, Fink, Friska Viljor, Tocotronic, British Sea Power und Schnipo Schranke fällt das Namedropping jedenfalls leicht. Den von The Gap präsentierten Donnerstag bestreiten José González, Get Well Soon, Gramatik und Jessica Pratt. Dazwischen und danach: eine DJ-Delegation vom Magazin eures Vertrauens. 3. bis 7. November Linz, Posthof

www.wholelottasound.eu c

LIVE @ RKH

ÖSTERREICHS CLUBSZENE IM RADIOKULTURHAUS

RApHAEL SAS & pauT

23.11.2015 KARTEN UND INFOS: radiokulturhaus.ORF.at

Sitzt bald auch in Wien auf stilvollen (Backstage-)Möbeln: Conor O’Brien, Chef der Band Villagers.

Blue Bird Festival

© Christian Franke

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Das Flaggschiff der Vienna Songwriting Association ist in seinem elften Jahr so gut in Fahrt wie eh und je. Für ein volles Haus werden heuer Ariel Pink, Giant3 Sand und die Villagers sorgen. Tatkräftige Unterstützung kommt von Bernhard Eder, Polkov, den Wave Pictures und einigen mehr. Angeschrägter Lo-Fi-Pop, zarte Folk-Schönheiten, waidwunder Indie-Rock, poetische Americana-Neudeutungen – alles erlaubt und alles mit dabei! Weil der Anspruch des Songwriter-Festivals immer schon der war, das Fach nicht zu starr und die Grenzen als eher offen zu interpretieren. 26. bis 28. November Wien, Porgy & Bess

TEXT Manuel Fronhofer, Jana Wachtmann BILD Jenny Schäfer, Andrew Whitton, Lena Gold, Andreas Jakwerth, Harald Hoffmann, Fabiola Carranza, Grant Singer

TERMINE

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MUSIK

highlights Do. 29.10. // 20:00 Vortrag/Diskussion

Sex Jams Auf »Catch!«, ihrem dritten Album, hat die Band rund um Frontfrau Kata­ rina Trenk die Energie ihrer Live-Auftritte perfekt eingefangen. NoisePop, der sich ruppig gibt, ohne dabei seine Eingängigkeit einzubüßen. 30. Oktober Dornbirn, Spielboden — 31. Oktober Vöcklabruck, OKH — 4. Dezember St Pölten, Freiraum — 11. Dezember Wr. Neustadt, Sub — 19. Dezember Graz, Forum Stadtpark — 8. Jänner Wien, Arena

Squalloscope

Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik

Sa. 31.10. // 19:00 Punkrock

Anti-Flag + Supports

Di. 03. – Sa. 07.11. // 20:00 Pop

Ahoi! Pop 2015: Calexico / Boy / José González / Fink / Tocotronic u.v.a.

Bild: Malin Johansson

Die Alte Post dient der Viennale schon seit ein paar Jahren als Festival­ zentrum – für Talks, DJ-Sets und Konzerte. Und einer der Abende dort steigt auch heuer wieder in Kooperation mit The Gap. Anna Kohlweis aka Squalloscope wird dafür ihren facettenreichen, feinsinnigen HeimwerkerPop mit Referenzen von Folk bis Spoken Word auf die Bühne bringen. Im Anschluss: das DJ-Team Deux Gitans. 3. November Wien, Alte Post

Do. 12.11. // 20:00 Kleinkunstfestival

Wien Modern

Olga Neuwirth

Matthias Egersdörfer

Die Schnittstellen von zeitgenössischer Musik und Popkultur stehen im Zentrum der 28. Ausgabe von Wien Modern. Als Vermittler zwischen diesen beiden Welten dient die Stimme, der Gesang – weshalb der Untertitel der Veranstaltung diesmal auch »Pop Song Voice« lautet. Olga Neuwirth, Electric Indigo und Patrick Pulsinger sind nur drei der zahlreichen Prota­ gonisten des Festivals. 5. bis 28. November Wien, diverse Locations

Do. 12.11. // 20:00 Indierock

25 Jahre Naked Lunch

Fr. 13.11. // 20:00 LiteraturSalon

Clemens J. Setz: Die Stunde zwischen Frau und Gitarre

Sa. 14.11. // 20:00 Indierock

Destroyer

The Wombats

Seinem Meisterstück »Kaputt« (Keine Angst vor dem Saxophon!) hat Destroyer-Vorstand Dan Bejar vor Kurzem das neue Album »Poison Season« folgen lassen. Dessen barocker Pop ist mit Liebe zu Pracht und Detail arrangiert – mal mit Druck dahinter, mal von geschmeidiger, trü­ gerischer Schönheit. Als Support hat der Kanadier eine Landsfrau mit dabei: die Songwriterin Jennifer Castle. 12. November Wien, Szene

Mi. 18.11. // 20:00 Kleinkunstfestival

Lisa Politt

Bild: Jo Jacobs

TEXT Manuel Fronhofer, Jana Wachtmann BILD Jenny Schäfer, Andrew Whitton, Lena Gold, Andreas Jakwerth, Harald Hoffmann, Fabiola Carranza, Grant Singer

TERMINE

Ariel Pink Der ungekrönte König des Lo-Fi, der Willy Wonka des Indie-Pop – diesem durchgeknallten Herren sind schon viele Titel verliehen worden – gibt sich vor seinem Wien-Gastspiel beim Blue Bird Festival (siehe links) auch in Salzburg und Linz die Ehre. Abende des gehobenen musikalischen Irrsinns sind zu erwarten. 24. November Linz, Posthof — 25. November Salzburg, Rockhouse — 26. November Wien, Porgy & Bess

Do. 19.11. // 20:00 Kleinkunstfestival

Sigi Zimmerschied

Fr. 20.11. // 20:00 Kleinkunstfestival

Christian Hölbling

Fr. 20.11. // 20:00 Rock/Alternative

The Jon Spencer Blues Explosion

Sa. 21.11. // 20:00 Singer/Songwriter

Sophie Hunger

Gengahr

Alt-J

Rae Sremmurd

Eingängigkeit spielt beim Psych-Pop dieser vier Londoner eine merkliche Rolle. Dass kleine musikalische Störfaktoren dann immer wieder Akzente setzen, sorgt für eine schöne Balance. Mit Small Feet und Oscar gibt’s übrigens zwei ebenfalls interessante Support-Acts zu sehen. Also besser früh dort sein! 3. November Wien, Flex

Clever zusammengebauter ArtschoolPop mit Platz für schwere Beats und Bässe, verspielte Instrumental-Parts und dieses signifikante Falsett; dazu ein bissl Hipster-Ästhetik und NerdAttitüde – die unverkennbaren Alt-J sind im Handumdrehen zu einem der größten Indie-Acts Englands geworden. 25. November Wien, Stadthalle

An guten HipHop-Shows herrscht in Wien seit einigen Monaten wahrlich kein Mangel mehr – unter anderem wegen der Konzertreihe Beat The Fish. Auch das Brüderpaar Rae Sremmurd, nicht gerade eine kleine Nummer im Trap-Rap-Game, wird in deren Rahmen in Wien performen. 29. November Wien, Ottakringer Brauerei

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Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at

POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at

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Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.

Am Ende des Tages bin ich vielleicht     doch nur ein Klugsch***erchen

illustration Jakob Kirchmayr

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um Bleistift zum Beispiel. Dinge, die man nicht versteht, kommen einem im Leben ja recht häufig unter. Und ganz im Vertrauen. Ich verstehe vieles nicht. Sogar Unmittelbares. Etwa, wenn man in ein kleines Texterl hineinstartet und dabei »Zum Bleistift zum Beispiel« als ersten Satz loslässt. Gut, ich bin ein bisschen versaut, weil ich in letzter Zeit viele schwindlige Feuilletontexte ambitionierter Schreibkanonen gelesen habe. Und die verwenden oft »zum Beispiel« im ersten Satz, um Spannung aufzubauen. Etwa so: »Angela Merkel zum Beispiel.« Oder so: »Mohnzelten zum Beispiel.« Oder auch so: »Meine Mutter zum Beispiel.« Aber ich verstehe nicht, warum man das macht. Mich stößt das ab und zwar derart, dass ich selber diese Kolumne nicht mehr fertig schreiben will, weil ich es grad selbst gemacht habe. Auf so ekelhafte Effekthascherei kann ich nämlich gut und gerne verzichten. Wobei auf der »Widerwertige-Dinge-dieich-nicht-verstehe«-Skala sind Geschichten, die mit »zum Beispiel« beginnen, glatte fünf von zehn möglichen Punkten. Es gibt also Schlimmeres. Menschen etwa, die in Kommentaren Schimpfwörter verwenden, aber nicht ausschreiben. Sie drücken dann Shift + und verteilen Sternchen, wenn die entscheidenden Buchstaben kommen, die eh jedes Kindergartenkind schon kennt. Sch***e. A*****och. Dumme S**. Wi***er. F**ze. Ich bin nicht dahinter gekommen, warum man das macht. Vielleicht, um eine gute Kinderstube zu zeigen? Aber wenn die so gut wäre, würde man erstens derartige Malediktionen gar nicht kennen, oder erst recht deutlich werden. Denn im Vertrauen: Eine Kinderstube, in der man nicht ordentlich Fluchen lernt, ist nicht wirklich was wert. Vielleicht will man auf diese Weise aber auch nur demonstrieren, dass man sich selbst in Zuständen ärgster Online-Rage noch im Griff hat? Unter Umständen gehen diese Menschen aber auch der Annahme nach, dass Beleidigungen, sofern sie nicht ausgeschrieben werden, nicht klagbar sind? Kleiner Tipp: »Sorry, wir nehmen keine Praktikanten mehr, unser Chef ist bekanntermaßen ein alter, verf*ckter H*renbock«, sollte man sicherheitshalber besser trotzdem nirgendwo hinschreiben. Schon gar nicht in die Timeline vom Firmenauftritt auf

Facebook. So flach kann die Hierarchie im Start-up, in der Werbeagentur oder bei einem Diskurs- und Glamourmagazin gar nicht sein, dass da nicht einer ein wenig indigniert reagieren könnte. Jedenfalls, die Sternchen(pseudoselbst) zensur ärgert mich und damit ich kein Magengeschwür kriege, ordne ich das als eine weitere Feigheit verwirrter Spießbürger ein. Mehr noch: Ich denk mir dann immer, diese armen Wichte, die sagen sicher auch so Sachen wie, »Na, wie stehen die Akazien?«, wenn sie jemanden lange nicht gesehen haben, oder meinen halbironisch »Danke für die Mitarbeit«, wenn sie auf einen kleinen Fehler hingewiesen werden. Es sind unter Umständen auch viele dabei, die Floskeln wie »Am Ende des Tages« verwenden, wenn etwas erklärt werden soll und die es für souverän witzig halten, wenn sie beim Argumentieren zum Beispiel »zum Bleistift« sagen. Vielleicht sind diese Menschen aber auch nur fürchterliche Klugscheißer. Wobei: Um ein wenig Selbstkritik zu üben – ein Klugscheißer bin auch ich. Ein bisschen. Also kein großer, eher ein Klugscheißerchen. Das endet oft in unangenehmen Gedankengängen, wie ich nun gerne mit einem kleinen Beispiel untermauern möchte. Bei der aktuellen Axe-Werbung sprüht sich ein komischer Heini zuerst ein Deo auf die Brust. Die Spraydose ist schwarz. Dann sprüht er sich ein Axe Dry, die Dose ist weiß, unter die Axelhöhlen. Das Döschen macht, dass es dort für viele Stunden so trocken wird wie in der Sahara. Stinken ist nämlich gerade nicht Mainstream. Zwei Dinge fallen nun auf. 1. Axelhöhlen schreibt man mit »ch« und nicht mit »x«. Das war ein Fehler von mir, den ich absichtlich reingemacht habe, damit es lustig wird. Wurde er gleich entdeckt? Ja? Streifte einen sogar der Gedanke: »He, du von Werbung verdorbener Rechtschreibschwächling, Axelhöhle schreibt sich mit ›ch‹ und nicht mit ›x‹?« Ja? Bravo und danke für die Mitarbeit. 2. Im Hintergrund vom Spot läuft klassische Musik. Und zwar ein Song von Schubert. Es ist die zu Weltruhm gelangte Melodie da da da da da da-da da da dadadadada schlichtweg auch »Die Forelle« genannt. Sie stammt aus dem »Forellenquintett«. Allerdings wird sie im Werbespot mehr adagietto, also langsam,

ruhig und nicht allegro, also schnell und fröhlich gespielt. Ich habe lange überlegt, aber ich weiß noch immer nicht so recht, warum man die Werbung für ein Deodorant, das die Achselhöhle trocken legt, mit Schuberts Superhit untermalt. Eine Erklärung habe ich dennoch parat. Die Forelle ist ja ein schlüpfrig glitschiger Geselle, der frisch gefangen, aber nicht gleich verspeist, gerne einmal zu stinken beginnt. Man will vielleicht potenziellen Konsumenten damit vermitteln: Greifst du zu Axe Dry, wirst du nie wieder fischeln. Und nie wieder fischeln wirst du auch in deiner Untergatte, wenn du mutig den Doseninhalt dorthin sprühst, wo deine Angelrute daheim ist, mit der du sonst fröhlich nach Forellen fischst, du Iltis. Mach es ruhig! Probiere es aus! Spritz mich zwischen deine Beine und missbrauch mich als Penisdeodorant. Dufte deinen Beidl mit mir ein! Leg deine Kloake trocken! Beißender Intimgeruch ist ja vielleicht das letzte Tabu im Werbefernsehen und subtil sagt Axe Männern nun durch Schubert, dass sie ihre Pimpis parfümieren sollen. Denn unser lieber Schubert Franz war ja bekanntlich nicht nur ein stierer, großer Komponierer, der mit »Die Forelle« ein Gedicht seines fast Familiennamenvetters Christian Friedrich Daniel Schubart vertonte, sondern leider, leider auch ein Syphilitiker. Der roch am Ende des Tages an seinem Körper im Allgemeinen und zwischen seinen Beinen im Speziellen sicher nicht fein. Und 19. Jahrhundert war auch noch. Auf eine sinnvollere Erklärung komme ich leider nicht. Außer vielleicht, dass es unterm Strich egal ist und ich in Zukunft vielleicht über andere Dinge nachdenken und weniger Werbung anschauen sollte.

Nota bene: Bitte die Melodie beim Drüberlesen nicht auf die Schnelle mit Mozarts »Kleiner Nachtmusik« oder gar Beethovens »Symphonie Nr. 5 in c-Moll« verwechseln.

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