TEAM.F Magazin März 2013

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t it e lt h e m a

Vergebung – nur eine entscheidungssache?

Nach einem Vortrag über das Thema Vergebung meldet sich eine Frau zum Gespräch an. Sie kommt schnell auf den Punkt: „So einfach wie du es da gerade gesagt hast, ist das nicht mit dem Vergeben! Das Vertrauen zu meinem mann ist für mich vollkommen zerstört. Er hat mich mehr als nur einmal betrogen.

B Christof Matthias

eim ersten mal habe ich noch vergeben, aber jetzt gibt es für mich nichts mehr zu verzeihen. erst mal muss ich sehen, dass er sich auf Dauer verändert!“ manchmal scheint Vergebung vollkommen unmöglich zu sein. Doch wer sich nicht in der Lage fühlt zu vergeben, übersieht oft die Folgen. aus ihrer Betroffenheit hatte die Frau vor allem einen appell vernommen. Sie fühlte sich unverstanden, nicht angenommen und schutzlos. Sie sehnte sich danach, dass jemand zu ihr steht, anstatt ihr noch den „schwarzen Peter“ zuzuschieben, weil sie nicht mehr verzeihen konnte. Bibelstellen, die ich zitiert hatte, erhöhten für sie den Druck zusätzlich: „Da wandte sich Petrus an Jesus und fragte ihn: ‚Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester an mir schuldig wird, wie oft muss ich ihnen verzeihen? Siebenmal?’ Jesus antwortete: ‚Nein, nicht sieben mal, sondern siebzig mal sieben mal!’“ (matthäus 18,21-22) – Dass sie ihrem scheinbar notorisch untreuen ehemann immer wieder verzeihen sollte, erschien ihr unmöglich, einseitig und ungerecht. Zu verzeihen ist eine Weisung Gottes, aber die Frage des Verzeihens von der Wiederherstellung der Gerechtigkeit abzukoppeln, belastet doppelt. Der Betroffene braucht für beides eine befriedigende antwort.

„Lebendig begrabene Gefühle sterben nicht.“ Was meine Gesprächspartnerin in ihrer selektiven Wahrnehmung nicht gehört hatte war, was verzeihen gerade nicht bedeutet: • Zu verzeihen bedeutet nicht, ein Unrecht zu rechtfertigen oder denen die uns verletzt haben, die Verantwortung zu entziehen. eine in mir entstandene Verletzung ist schmerzhaft und behindert mich. Sie nimmt mir die Freiheit zu leben und zu sein, wie ich eigentlich bin. Sich mit dem Gedanken des Verzeihens zu beschäftigen, heißt, die eigene Wunde anzuschauen und einen

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Weg einzuschlagen, um Heilung zu erfahren. Wenn ich das tue, entbinde ich den Täter jedoch nicht aus seiner Verantwortung, den Schaden zu ersetzen, Buße zu tun oder Wiedergutmachung zu leisten. es bedeutet auch nicht, dass wir uns so verhalten sollten, als wäre uns kein Unrecht geschehen. • Zu verzeihen bedeutet auch nicht, so zu tun, als ob nichts passiert wäre. manchmal liegen schlechte muster hinter verletzendem Verhalten des anderen. auch wenn ich mich zum Verzeihen entscheide, bleibt das muster bei dem anderen falsch und muss nachhaltig korrigiert und verändert werden. • Vergebung heißt auch nicht, dass ich mit der Person, die mich verletzt hat, die Beziehung in jedem Fall wiederherstellen kann. Versöhnung und Vergebung sind zwei verschiedene Dinge. Wie und ob die Beziehung weitergeführt werden kann, liegt in der entscheidung der betroffenen Parteien. Ob das Vertrauen zum anderen wieder aufgebaut werden kann, hängt besonders von den Schritten des Verursachers ab. Vergebung ist nicht Versöhnung

Im Gespräch mit der betroffenen Frau erkläre ich noch einmal, wie differenziert wir Vergebung und Versöhnung betrachten müssen und nehme die biblische Geschichte von David zu Hilfe. In 2. Samuel 11 wird Davids ehebruch mit Todesfolge beschrieben. als David von Nathan konfrontiert wird, versucht er nicht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sondern steht deutlich sichtbar zu seinem Fehlverhalten. Nur dadurch kann es zur Versöhnung zwischen ihm und Gott kommen. Trotzdem entlässt Gott ihn nicht aus den Folgen seines Handelns. Versöhnung ist ein manchmal langwieriger Prozess. Jedoch kann man durch Vergebung innerlich mit einem menschen oder einer Situation versöhnt sein, auch wenn zwischenmenschlich keine Klärung oder Versöhnung möglich ist. Ich weise die Frau mir gegenüber noch auf einen weiteren wesentlichen aspekt hin. Wer einem anderen nicht vergeben kann, ihn als Täter und sich als Opfer betrachtet, räumt ihm dadurch die macht


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