possible bodies

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possible bodies Kรถrper an der Grenze zur Verunsicherung

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possible bodies Körper an der Grenze zur Verunsicherung Arbeiten von Künstler*innen, die Rahmen des subnetAIR Programms, des Media Art Stipendiums der Stadt Salzburg und der Salzburger Plattform für Medienkunst und experimentelle Technologien SUBNET zwischen 2015 und 2017 zu Gast waren und in Kooperation mit dem Center for Human Computer Interaktion der Universität künstlerisch forschten. Ausstellung von 28. September bis 7. November 2018 in der Stadtgalerie Lehen, Salzburg.

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Index

Jana Herwig

possible bodies auf einen Blick

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Karla Spiluttini & Korinna Lindinger

Vorwort - possible bodies Körper an der Grenze zur Verunsicherung

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Danny Bracken: Still

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Antoni Rayzhekov: RE_SONANCE

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Young Suk Lee: Thou and I, Don’t talk to me, I smile at you

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Überlegungen zur perspektivischen und technischen Veränderung von Körpergrenzen

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Laura Splan: Embodied Objects (Undo)

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Lucie Strecker & Klaus Spiess: Mykovaluta

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Robert Praxmarer: MorbusGenesis: Form follows Krankheit – Plant Oracle

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Flow My Tears! Vom impossible zum possible body

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Lucas Norer: The Lisbon Route

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Martina Greil

AIR – Artist in Residency Programm der Stadt Salzburg

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Rüdiger Wassibauer

subnetAIR – subnet Artist in Residency Programm

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Ausstellungsansichten

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Zu den Autorinnen

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Impressum

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Jana Herwig

Sonja Prlić

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possib l e b o d i e s a u f e in en B lick Young Suk Lees Computational Sculptures, die uns hier in ihrer Perückenmanifestation begegnen, sind buchstäbliche, technische Erweiterungen des haptischen Subjekts, das Raum und Distanz zum Anderen überwindet und nebenbei auch die Kluft von Mensch und Tier verringert. Die rankenden Flechten erinnern auch an Antennen und Schnurrhaare als Außenposten der Körpergrenzen. Lucie Strecker & Klaus Spiess entwickeln ‚Mykovaluta‘, Pilze als lebende Währung, deren vermeintlich natürliches Habitat menschliche Leibeshöhlen sind. Das Innen erweist sich jedoch als Außen. Die wuchernden Pilze konsumieren und florieren mit Schweiss und Börsendaten, wobei die Künstler*innen die Metapher ans Ende der Metaphorik treiben, wenn als Artefakt ein Zäpfchen aus eben diesem Mikrobiom entsteht. Danny Bracken schafft mit der Installation ‚Still‘ eine Gelegenheit, den Tastsinn als alle Sinne zusammenführenden Körpersinn zu begreifen, als sensus communis, der in der Bewegung gründet. Die Installation braucht den Menschen nicht, um sich zu ereignen – doch wo ein Mensch sie betritt, multipliziert sie seine/ihre Bewegungen zu Klangeindrücken. Dem Körper voraus und hinterher eilt ein Klangkörper, der hier hörbar wird.

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Laura Splan fordert verschüttete Körpererinnerungen mit ‚Embodied Objects (Undo)‘ auf mehreren Ebenen heraus: 1) mit optischen Mustern, die erst an algorithmisch erzeugte Bildschirmmuster erinnern, und dann 2) dem Auge entspannende Tastaufgaben bieten, bis dieses 3) in den Mustern eine Bewegung wiederfindet, die 4) in der Tat einer Aufzeichnung entspricht: den Muskelbewegungen der Künstlerin beim Weben. Antoni Rayzhekov hebt in ‚RE_SONANCE‘ die akustisch-tonale Verknappung des Klaviervortrags auf, indem er die Eigenbewegungen seines Körpers, dessen Suchen nach dem Klang unter Einsatz von Bio-Feedback expliziert und zugänglich macht. Spannung, Herzfrequenz, Bewegung sind die registrierten Parameter; das Ereignis ein Amalgam von Komposition, Interpretation und somatischen Klängen, das sich überträgt. Lucas Norer erzeugt mit ‚The Lisbon Route‘ einen akustischen Raum der Begegnung mit Geschichte und gibt ihr körperliche Präsenz. Erzählstimmen, Personenstimmen, neben und übereinander gelegt, Geräusche, Ambient Sound skizzieren ein Uneinholbares. Sie ragen hinein in die Gegenwart der Hörenden, fragmenthaft, und verweigern sich dabei einer vollständigen Aufschlüsselung, was das körperliche Gefühl des Verlusts verstärkt.

Texte: Jana Herwig

Robert Praxmarer extrahierte für seine Arbeiten ‚MorbusGenesis: Form follows Krankheit‘ und ‚Plant Oracle‘ die Wachstumsgesetze verschiedener biologischer Strukturen oder Gewebe, um sie algorithmisiert auf die Formen bekannter Objekte zu übertragen: Tische, Teekannen, Büromöbel zeigen tumorartige Raumforderungen, scheinen Wurzeln zu schlagen. Anhand transformierter, unbelebter Körper zeigt sich der Zusammenhang von Körperform und Algorithmus in unheimlicher Weise. Dem inwendigen Körper stellt er einen orakelhaften Blick in ferne Galaxien gegenüber.

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possible bodies Körper an der Grenze zur Verunsicherung Taktile Grenzerfahrungen, mutierende Möbel, künstlerische Expansionen und digitale Objektivierungen von Körpern zeigt die Ausstellung possible bodies von 28. September bis 7. November 2018 in der Stadtgalerie Lehen. Die Arbeiten von den subnetAIR Künstler*innen Danny Bracken, Young Suk Lee, Lucas Norer, Robert Praxmarer, Antoni Rayzhekov, Laura Splan, Lucie Strecker und Klaus Spiess verhandeln die Grenzen menschlicher und technischer Körper und erlauben Betrachtungen architektonischer, geografischer oder virtueller Körperlichkeiten. In ihrer formalen Definition sind Körper schlicht nach Außen abgegrenzte Entitäten. Das heißt Objekte, die einen bestimmten Raum einnehmen und in der Mathematik gerade über diese Grenzflächen beschrieben werden können. Körper und umgebender Raum sind also interdependent. Gleichwohl eröffnet der Begriff eine Vielzahl von leiblichen, theoretischen und gesellschaftlichen Dimensionen. Gedankenkonstrukte können als Theoriekörper oder Ideenkorpus beschrieben werden. Über Konzepte von möglichen und unmöglichen Körpern in ihrer gesellschaftsideologischen Konsequenz denkt die Medienkünstlerin Sonja Prlic im Beitrag „Flow My Tears! Vom impossible zum possible body“ nach.

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Für das künstlerische Schaffen spielt Körperlichkeit eine substanzielle Rolle. Das Erfahrbarmachen von Weltaneignung ist eng mit dem körperlichen Erleben und der Verkörperung von Gedankenkonstrukten, Wahrnehmungen, Interpretationen und Positionen verknüpft. Künstler*innen beschäftigen sich in mannigfaltigem Ausdruck mit Körpern und ihrer Konstitution durch soziokulturelle, technologische oder biologische Faktoren. Ein Thema besonderer Brisanz ist dabei der menschliche Körper, der Leib, und die Reflexion über dessen Limitierungen wiewohl Potentialitäten in und Abhängigkeit von seiner Umwelt, auch angesichts technologischer Entwicklungen. Die Medientheoretikerin Jana Herwig spürt in ihrem Text „Überlegungen zur perspektivischen und technischen Veränderung von Körpergrenzen“ der Permeabiltät unserer Haut nach. Diese Publikation erweitert den Einblick in das künstlerische Verständnis und die unterschiedlichsten Interpretationen von möglichen und unmöglichen Körpern um zwei ebenso vielfältige Diskurse und hält diese in der vorliegenden Zusammenstellung fest.

Text: Karla Spiluttini & Korinna Lindinger

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Danny Bracken Still (2 0 1 8 ) Elektrolumineszenz-Draht, Nylon, Sound, Computer, Sensor, Code, Mikro-Controller Still ist eine subtil interaktive Installation. Sie erforscht mit Klang und Licht Ideen von Bewegung und Stille. Alleine gelassen spielt die Installation eine musikalische Sequenz, die mit Formen aus gespannten Elektrolumineszenz-Drähten synchronisiert ist. Die Drähte leuchten, wenn Klang ertönt. Betreten Menschen den Raum, erkennt ein Sensor ihre Bewegung und pausiert die Arbeit. Erst wenn Stillstand herrscht, schaltet sie sich wieder ein. Im Gegensatz zu interaktiven Kunstwerken, die Betrachtende meist auffordern etwas zu tun, um das Werk zu erleben, wird diese Arbeit nur aktiviert, wenn sich im Raum nichts bewegt.

Nach Abschluss seines Studiums der Bildenden Kunst im Jahr 2005 trat Danny Bracken dem in Chicago ansässigen Musikkollektiv Anathallo bei und trat mit ihnen hunderte Male auf. Seine Installationen und skulpturalen Arbeiten werden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Nordamerika und Europa gezeigt. Seit 2014 wird er von Kunst-Residenzen in Spanien, China, Irland, Österreich, den Niederlanden und den USA unterstützt. Er komponiert Musik und arbeitet oft mit Filmemachern an kommerziellen Projekten, Fernsehsitcoms und preisgekrönten Dokumentarfilmen zusammen.

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„Ein Großteil meiner Arbeit beleuchtet die Rolle des Physischen in unserer zunehmend ungreifbarer werdenden Existenz. Es beschäftigt und interessiert mich, was für unseren Körper in Beziehung zu den Menschen und Orten, die uns umgeben, möglich ist. Denn das Wort ‚möglich‘ hat etwas Schönes an sich, seine Offenheit lädt ein, über das Aktuelle und das Jetzt hinaus zu denken.“

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Antoni Rayzhekov RE_SONANC E ( 2 0 1 6 -1 7 ) eine audiovisuelle Performance für ein erweitertes Klavier, einen mit Biofeedback ausgestatteten Performer und vier leere Notenblätter Die audio-visuelle Performance RE_SONANCE untersucht die physikalische Verbindung zwischen Performer und Instrument durch die Verstärkung bestimmter Aspekte des Klangs - basierend auf der emotionalen und physikalischen Reaktion des Körpers. Ein selbst entwickeltes elektroakustisches Instrument ergänzt einen Flügel mit den BiofeedbackInformationen des Musikers. Über ein maßgeschneidertes tragbares Gerät werden Herzfrequenz, Spannungspegel und Bewegungen des Klavierspielers in Echtzeit erfasst. Während der Aufführung wird der Klang so allmählich in vier leere Notenblätter eingebettet. Durch den Einsatz von Bilderkennungs-, Projektions- und Mappingsoftware sowie dynamischer granularer Klangsynthese sind die Blätter in der Lage, sich den Klang je nach Form und Platzierung auf einer der Platten des Klaviers zu „merken“ und zu modulieren.

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Antoni Rayzhekov ist ein in Wien lebender, bulgarischer Medienkünstler. Er arbeitet im Bereich akustischer, visueller und darstellender Kunst. Nach dem Studium der Theaterregie und Performance an der National Academy for Theater and Film Arts in Sofia, studierte er JazzImprovisation am Wiener Konservatorium und erhielt eine Ausbildung in Informationssystemen bei LearningTree London. Seit 2012 ist Rayzhekov Lehrbeauftragter für Medientechnologien an der Fachhochschule St. Pölten, seit 2016 auch an der Nationalen Kunstakademie Sofia. Er erhielt u.a. Das Wimmel Research Fellowship 2018 und war Artist in Residence bei Atelier Arts Sciences in Grenoble (Frankreich), Stipendiat der Akademie Schloss Solitude (Deutschland), der Akademie Hallein und Artist in Residence bei STEIM, Amsterdam (Niederlande).

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„Ein ‚possible body‘ evoziert in mir jegliche Entität, die im Rahmen eines künstlerischen Konzepts und als Agent innerhalb des Kunstwerks selbst miteinander verbunden und interagierend ist, und schließt Medien, Publikum, Performer und mehr ein. In diesem Sinne kann man vermutlich unendlich viele mögliche Körper erschaffen, aber die Frage, ob einige dieser Körper nur eine Erweiterung unseres Geistes sind, bleibt bestehen.“

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Young Suk Lee Don’t t a l k t o m e ( 2 0 1 8 ) Thou a n d I ( 2 0 1 8 ) I smil e a t y o u ( 2 0 1 8 ) Interaktive Perücken und Videos Der Werkkomplex beinhaltet eine Serie von interaktiven Perücken, sie stellen experimentelle technologische Erweiterungen von menschlichen Körpern dar. Young Suk Lee’s Interesse gilt den Interaktionen zwischen den Objekten bzw. ihren Träger*innen sowie den Zuschauenden. Die Eigenbewegungen der Perücken betonen ästhetische und sensorische Erfahrungen. ‚Don’t talk to me‘ ist eine scheue Perücke. Wenn man näher kommt, wird sie erst nervös und dreht das Haar von einem weg. Kommt man noch näher, bedeckt sie ihr Gesicht. ‚I smile at you‘ hingegen freut sich über Gesellschaft und bewegt sich, solange man nahe bei ihr steht. ‚Thou and I‘ dreht sich sogar aktiv zu einer näher kommenden Person und sucht den Kontakt. Besucher*innen werden aufgefordert zu interagieren. Sie werden in einen Zustand der bewussten Wahrnehmung und der Neugier getrieben, während das digitale Objekt neue Erfahrungen anthropomorpher Interaktivität hervorruft. Für eine Person, die die Perücke trägt, wird ihr expressiver Ausdruck auch zu einer Erweiterung des Selbst und zu einer Quelle multisensorischer Kommunikation wird. Das digitale Objekt will einen sozialen Dialog über den ästhetischen Zweck der Technik eröffnen, indem es die Menschen ermutigt, ihre Vorstellungskraft durch körperliche Interaktion zu erweitern.

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Young Suk Lee ist Multimedia-Künstlerin und Forscherin. Derzeit arbeitet sie an der Indiana University in South Bend als Assistenzprofessorin für Integrated New Media Studies. Lee hat einen Abschluss in Bildender Kunst mit Schwerpunkt Druckgrafik (Radierung und Lithografie) von der Hong-ik University in Seoul, Südkorea. Anschließend studiertes sie Digitale Kunst und Human Computer Interaction Design sowie Kunstgeschichte an der Indiana University‘s School of Informatics and Computing in Bloomington in den USA. Ihre kritischen Entwürfe und kinetischen Objekte werden international in Ausstellungen gezeigt.

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„In meiner künstlerischen Praxis schaffe ich interaktive Bewegungs- und Berührungs-Objekte. Als experimentelle und skulpturale Wearables reagieren sie auf die Bewegung des Publikums.“

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Überle g u n g e n z u r p e rs p ek tiv is c h en und te c h n i sc h e n Ve r än d e ru n g von Kö r p e rg r e n z e n Wer ich bin, wie weit ich gehe, das sagen mir im Zweifelsfall meine Körpergrenzen. ‚Ich‘ endet dort, wo ich anstoße oder – andersherum betrachtet – wo Etwas an mir anstößt. Wenn ich mich suche, muss ich also nur diese Orte, diese Flächen finden, um meine Grenzen zu kennen. Es wäre so hilfreich, wenn dies so wäre. Mein Körper, meine Haut kennen eine andere Wahrheit. Auch wenn die Haut als äußere Grenze gilt, so ist doch ihr Ausmaß nicht absolut. Als großflächiges Sinnesorgan ist die Haut nicht einfach ein Schirm (screen), auf dem entweder etwas passiert oder, weil zu weit weg, noch nichts. Wir können ihre/unsere Wahrnehmungsfähigkeit anpassen, auf höchste, feinste Empfindungen einstellen: etwa, wenn wir nach der Haut des geliebten Menschen tasten, ihre Ausstrahlung, unsere Liebe schon vor der Berührung spüren. Ebenso können wir die Empfindlichkeit herunterfahren, teils durch physiologische Gewöhnungseffekte, teils durch innere Einstellung: zum Beispiel, wenn wir den unerwünschten, aber unausweichlichen körperlichen Kontakt zu Anderen im Menschengedränge aushalten wollen, im Bus, in der U-Bahn, beim gemeinsamen Verlassen von Gebäuden.

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Für diese Differenz kennt die jüngere Wahrnehmungswissenschaft ein Begriffspaar: haptisch/taktil. Haptisch nehme ich demnach wahr, was ich durch aktive Bewegungen erkunde – die Wahrnehmung der Eigenbewegungen meines Körpers inkludierend. Bei taktilen Wahrnehmungen hingegen verhält sich das Subjekt ‘passiv’, d.h. es führt keine aktiven, explorativen Bewegungen hin zum taktilen Stimulus aus. Unterschieden wird somit nach der „Stellung des Subjekts zum Reiz bzw. zum Reizsubjekt“ [1]. Nicht mit der haptischen, sondern mit der taktilen Dimension begann die systematische Untersuchung des Tastsinns im 19. Jahrhundert. Das klassische Schwellen-Experiment Ernst Heinrich Webers sah vor, Probanden mit näherrückenden Nadeln in die Haut zu stechen: „Auf der Haut wird überall eine leise Berührung mit einer Nadelspitze gefühlt, aber zwei gleichzeitige Berührungen, die die Haut des Rückens in einer Entfernung von 1 oder 2 Zollen voneinander treffen, wird nur als eine einzige Berührung wahrgenommen.“ [2] Mit dieser simplen Technik konnte die Sinnlichkeit der Haut kartografiert, ihr Auflösungsvermögen benannt und implizit ein Fundament für die spätere Vorstellung von der Haut als screen gelegt werden.


Erst als die experimentellen Prinzipien der modernen Wissenschaft grundlegend eingeübt waren, wurde auch das haptische, aktive erforschende Subjekt entdeckt. Man könnte auch sagen befreit, denn über diese Stillstellung in der taktilen Perspektive konnte David Katz, u.a. Wegbereiter der Gestaltpsychologie, noch ein Dreivierteljahrhundert später schimpfen: „Den Tastsinn in Ruhe untersuchen, ist fast so, als wollte man die Leistungen der Beinmuskulatur ermitteln, nachdem man das Bein in einen Gipsverband gelegt hat.“ [3] Katz fand seinerseits neue, auch medientechnische Wege, haptische Tastbewegungen aufzuzeichnen, etwa, indem er berußtes Papier unter die erkundenden Finger spannte und maschinell bewegte. So hilfreich die Unterscheidung haptisch/ taktil ist, um das Oszillieren der Körpergrenzen zu taxieren, die Komplikationen enden nicht hier. Denn die Evolution des Menschen wird fortgeführt mit technologischen Mitteln – lange vor Cyborg-Konzepten entwickelte sich die menschliche Ausstattung hin zu einem Baukasten-System, zum human transformer. Erst am Gegenstand der Medien und ihrer Technologien sollte uns in den 1960ern bewusst werden, was schon mit dem Faustkeil und dem Pinsel begonnen hatte.

Technologien sind Erweiterungen des Menschen, die in die Organisation unserer Sinne eingreifen, lehrte der Pop- und Medientheorie-Guru der 1960er, Marshall McLuhan. Und niemand, schrieb er, verstehe das so gut wie Künstler*innen: „The serious artist is the only person able to encounter technology with impunity, just because he is an expert aware of the changes in sense perception.“ [4] With impunity, straflos und mit der Lizenz zum Sinnesexperiment ausgestattet sind die Künstler*innen, weil sie als Avantgarde die kollektive Wahrnehmung vorbereiten auf das Kommende. Grenzen, Kreuzungen, Auswüchse und Einbuchtungen von Körpern und Sinnen bilden den gemeinsamen Hintergrund für ‚Possible Bodies‘. Dabei begegnen uns haptische Subjekte, deren rankende Haarflechten an Antennen und Schnurrhaare als Außenposten der Körpergrenzen erinnern (Young Suk Lee). Konsumierende und florierende Pilze werden von Künstler*innen bis an den Rand jeder Metapher getrieben, wenn am Ende ein Zäpfchen aus eben diesem Mikrobiom entsteht (Lucie Strecker/Klaus Spiess).

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Raum- und Klanginstallationen erlauben es, den Tastsinn wieder als antiken sensus communis zu würdigen, der die Bewegung multipliziert und in durchschreitbare Klangeindrücke verwandelt. Dem Körper voraus und hinterher eilt ein Klangkörper, der hier hörbar wird (Danny Bracken). Die akustisch-tonale Verknappung des Klaviervortrags wird aufgehoben, wo Eigenbewegungen des Künstlerkörpers dessen Suchen nach dem Klang unter Einsatz von Bio-Feedback neu zugänglich machen (Antoni Rayzhekov). Räume und Bewegungen der Geschichte erlangen wieder körperliche Präsenz, ragen fragmenthaft hinein in die Gegenwart der Hörenden, was das somatische Gefühl des Verlusts noch verstärkt (Lucas Norer).

Muster und Algorithmen fordern uns heraus. Verschüttete Körpererinnerungen werden herausgekitzelt, wo dem tastenden Auge gestellte Aufgaben die Muskelbewegungen der Künstlerin beim Auftrennen von Weberei wieder zum Vorschein kommen lassen (Laura Splan). Mobiliar und Objekte des Alltaggebrauchs zeigen tumorartige Raumforderungen, schlagen Wurzeln und zeigen so den Zusammenhang von Körperform und Algorithmus in unheimlicher Weise (Robert Praxmarer). Was von der Körpergrenze überbleibt? Die erleichternde Botschaft, nicht an diese gebunden zu sein – frei von diesen zu sein, erfordert nur die Bereitschaft, sich auf der Forschungsreise den ‚possible bodies‘ hinzugeben.

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Text: Jana Herwig

[1] Martin Grunwald, „Der Tastsinn im Griff der Technikwissenschaften? Herausforderungen und Grenzen aktueller Haptikforschung“, in: LIFIS ONLINE. 09.01.2009, 20 S, hier: S. 2. URL: http://leibniz-institut.de/archiv/grunwald_ martin_09_01_09.pdf [2] Ernst Heinrich Weber, Die Lehre vom Tastsinne und Gemeingefühle auf Versuche gegründet, Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn 1851, S. 72. [3] David Katz, Der Aufbau der Tastwelt, Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1925, S. 60–61. [4] Marshall McLuhan, Understanding Media, Cambridge, MA/London: MIT Press 1994 [1964], S. 18. (575 Zeichen)

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Laura Splan Embod i e d Ob j e c t s ( U n d o ) (2 0 1 6 ) Baumwolltextilobjekt, gewebt auf einer computerisierten Jacquard Webmaschine ‚Embodied Objects (Undo)‘ ist ein Textilobjekt, hergestellt auf einem computergesteuerten Jacquard Webstuhl. Das frenetische Muster basiert auf Daten einer Elektromyographie (EMG), welche die Armbewegung der Künstlerin beim Auftrennen eines gewebten Objekts aufzeichnete. Wenn Laura Splan an den Gobelinfäden zog und zerrte, verursachte dies unterschiedliche Zustände der Haut, die sich im EMG als wechselnde Stromstärken äußerten. Diese numerischen EMG-Daten wurden durch eine von der Künstlerin zu diesem Zweck geschriebenen Software visualisiert. Durch Wiederholung, Drehung und zufällige Färbung der EMG-Wellenformen entstand so das Muster der Tapisserie. Die Arbeit stellt so Begriffe von Hand-/Werk und Arbeit in Bezug mit Material und Technik. Durch die Kombination von manuellen und digitalen Prozessen mit traditionellen Textilien und neuen Medientechnologien destabilisiert die Werkserie ‚Embodied Objects‘ wie diese kategorisiert und bewertet werden. Der einzigartige Herstellungsprozess des Musters hinterfragt, wie Technologie, Daten und kulturelle Artefakte unser Verständnis des menschlichen Körpers und sein Verhältnis zum Handwerk prägen.

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Das künstlerische Oeuvre von Laura Splan erforscht Schnittmengen von Kunst, Wissenschaft, Technologie und Handwerk. Ihre Projekte untersuchen die materiellen Manifestationen unserer veränderlichen Beziehung zum menschlichen Körper. Sie überdenkt Darstellungen des Körperlichen mit einer Reihe von traditionellen und medialen Techniken. Häufig setzt sie Technologien und Textilien ein und hinterfragt ‚Handarbeiten‘ in kreativer Produktion sowie Vorstellungen von Agency und Zufall in der Ästhetik. Ihre jüngsten Arbeiten verwenden Biosensoren, um datengesteuerte Formen und Muster für digital gefertigte Skulpturen, Webarbeiten und Arbeiten auf Papier zu erstellen.

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„Unser Verständnis von unseren Körpern wird oft durch dieselben Technologien vermittelt, mit denen wir sie darstellen. Meine Arbeit versucht zu beleuchten, was diese Darstellungen aussagen können über unsere verkörperte Erfahrung in der technisch-wissenschaftlichen Welt, in der sie lebt, navigiert und tätig ist.“

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Lucie Strecker und Klaus Spiess Myko v a l u t a ( 2 0 1 8 ) Installation Die Installation ‚Mykovaluta‘ stellt sich gegen eine neoliberale Ökonomie, bei der alles zur Ressource des Menschen wird. Strecker/Spiess geben der Möglichkeit Raum, dass es ein Pharmakon gegen Hyperkapitalismus geben könnte: Sie arbeiten an einem Probiotikum. Mikroben, welche die menschlichen Körperhöhlen besiedeln, vermitteln über die Darm-Hirn-Achse zwischen den einzelnen inneren Systemen des Menschen (endokrine Systeme, Immunsysteme, Nervensysteme) und seiner mikrobiellen und sozialen Umwelt. Strecker und Spiess entwerfen eine kollektive Begegnung zwischen Mikroben und Menschen, in der Affekte, Träume, Wünsche und Ängste biochemisch vermittelt werden. Mikroben können lernen, zwischen dem Zeichen des Begehrten und dem Objekt des Begehrens selbst zu unterscheiden. Diese Fähigkeit wird in dem interspeziesistischen Experiment ausgebildet. Strecker und Spiess ist es gelungen, die informierten Organismen in Kunstfett zu konservieren und daraus Zäpfchen zu formen. Diese bieten sie dem Kunstmarkt an.

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Klaus Spiess und Lucie Strecker entwickeln hybride Performances und Installationen zu biopolitischen Themenfeldern. Klaus Spiess leitet das transdisziplinäre Programm Arts in Medicine an der Medizinischen Universität Wien. Lucie Strecker forscht künstlerisch im Rahmen des FWF PEEK Projekts Zur Performativität des Biofakts an der Universität für Angewandte Kunst Wien. In den Arbeiten beider ist die Gleichzeitigkeit von Performance, Performance Dokumentation als Installation und Publikation bedeutend. Spiess/Strecker zeigten ihre Arbeiten u.a. am Tanzquartier Wien, Belvedere/21er Haus Vienna, Bemis Center of Contemporary Art, Omaha, Click Festival Kopenhagen, dem Beall Center for Art + Technology, Irvine, dem Onassis Cultural Centre, Athens, der Ars Electronica, Linz und der CairoTronica, Cairo.

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„Entlang unserer eigenen Arbeit überlege ich, wie unsere sozialen und kulturellen Errungenschaften sich qua Genetik, Robotik und AI in unsere Körper einschreiben können. Insbesonders beschäftigen uns ökonomische Hybride des Körperlichen, die sich dem Kapitalismus und Neoliberalismus und deren Suchtbildungen widersetzen. Unsere Arbeit beschäftigt sich aktuell damit, wie sich die unsere Körper besiedelnden Mikroben mit einer zweiten Natur ausstatten lassen, die diese Hybridbildungen zu ‚Lebenden Münzen’ bilden. Aber wie können wir mit unseren Optimierungsvorstellungen, die kapitalistische Technologien nutzen, gerade jene Ideologien vermeiden, die wir auf den Prüfstand stellen wollen?“ „Possible Bodies, das bedeutet: In-Möglichkeit-Seiende Körper. Mögliche Körper sind auch erträumte Körper. Und erträumte Triebe. Denn kein Trieb ohne Körper. Wohin treiben wir?“

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INFORMATION FOR THE USER

One Suppository

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One Suppository Read all of this leaflet carefully before you take this medicine because it contains vital information. The leaflet and the suppository--both contain important information for you. The suppository is both an item of bio-art, as well as a token of bio-capitalism and a potential cure to it. The bio-agent is a bearer of information, and this supplementary leaflet coming with the suppository is also a thing in its own right. Take care of the leaflet. You may need to read it again. You will need to read it every time you ask yourself, “What would happen if I insert this suppository into my anus?”. Every time you wonder, and every time you read it again, you will read a different text. These changing variations of the text will, in turn, inform and change the many milieus of your microbiota. Yes, a mere potentiality can change your life. If you have any further questions ... Ask us, as we are both the artists and the scientists, loaded with double authority. But then again, as artists we have to say that this is an artistic experiment; fiction and reality are blending into each other. Art is therapy for adults, so everything you do or will do based on this artistic scenario you do at your own risk. Even more so if you are rich and privileged enough to visit an exhibition such as this, in a city such as this. As scientists though we can tell you that this is a complex bio-technologically produced hybrid (see below 1.) We have tested it as far as we were able to test it, using our own bodies and systems as breeding grounds. This seemed ethical to us. This unrepeatable test started a potentially unique symbiotic biography, a unique adventure here in Salzburg at a Laboratory using microbes as model organisms for research. We offered them our microbes, harvested from our shit. This unrepeatable test started a potentially unique symbiotic biography, a unique adventure here in Salzburg at a Laboratory using microbes as model organisms for research. We offered them our microbes, harvested from our shit. This medicine has been prescribed for you only. All of you and each one of you. As you are a unique colony of many different organisms, and as the suppository is also a fairly complex hybrid agent (see below 1.), you become its partner for the moment through the very act of beholding it. Take it as the very symbol of your unalienable rights as one unique organism. You could insert it and dissolve it into your own body (see below 4, 6). WHAT IS IN THIS LEAFLET: 1. WHAT THE SUPPOSITORY IS 2. WHAT IT IS USED FOR 3. WHAT YOU NEED TO KNOW BEFORE YOU TAKE IT 4. HOW TO TAKE IT 5. POSSIBLE SIDE EFFECTS 6. HOW TO STORE IT 7. THE CONTENT OF THE PACK AND OTHER INFORMATION 1. WHAT THE SUPPOSITORY IS This suppository is based on the gut microbes of the artists. They have been “frustrated” by exposure to artificial pheromones via human sweat intensified by artificial shock effects. The microbes reacted by growing a “shmoo”, but due to the absence of mating success, they stopped doing so after five subsequent failures. These trained microbes have then been stored in artificial wax in the design of a rocket; or a bullet. Being made world-weary and street-wise by a specific series of harsh treatments (that one might associate with the overall sadism of contemporary laboratory techno-science) the suppository may prove to be a potent agent in the treatment of all kinds of compulsory disorders of consumerism and the incurable naivety of letting oneself be seduced by malign powers over and over again. Is it ethically acceptable to make microbes unhappy if their suffering and frustration are the cost for just one human victim of late capitalism to be forever cured of their disease of compulsory consumerism and the urge of purchasing useless stuff? Only you can give, or become, the answer. 2. WHAT IT IS USED FOR The most probable use, at least the one use it has been made and born for, is a cure from late capitalist nausea and the hate of all vain and useless art, specifically if art is being used as storage for mundane wealth. As this is a pharmaceutical, be aware that the nausea it is supposed to cure will first be heightened. So after beholding it, you might experience a world-weariness and desperation you have never known before. This is just the very mass of toxic waste being suddenly flushed through your system. It is necessary. And it will pass. Expect an immunity effect. After the onslaught of nausea has faded you will experience blissful autonomy and self-sufficiency. No capitalist commodity or creative product will lure you into buying it ever again. The suppository is the one fruit of capitalism to cure all capitalism, as it must be, the anal way. At least that is the outcome we as scientists dare to predict. As artists, and helpless western human beings, we can only hope so.

3. WHAT YOU NEED TO KNOW BEFORE YOU TAKE IT One Suppository is a powerful agent. Merely by looking at it you directly enter a symbiosis with it that might start a profound transformation of your whole being. If you are not ready for that, it’s better not to look at it. Have you already looked at it? Well, that is the risk you took by coming to this kind of event. 4. HOW TO TAKE IT It is a suppository, so it is supposed to be inserted into your anus. But as late capitalism is a psycho-social condition where greedy eyes and a greedy anus can always be turned into each other, we have found a way, or rather the suppository has found a way, to enter through your eyes as if your pupils were an anus. For we seek to treat the disease in the place where it stems from. Capitalism as a compulsory selling and buying disorder with a subsequent habit of hoarding material and merely abstract capital caused by a malign program that does not allow generosity and sharing. This program may be--like all behavioral programs--cerebral but has probably been acquired during the first years of petit-bourgeois hygienic training. Let us assume that your parents and the overall social milieu of your early years have left you with stingy, greedy, hateful, egomaniac, competitive, hence capitalist microbiota. The suppository can be the one potent agent re-educating the intelligent and powerful agency that has been labeled “the 2nd brain” into a breeding ground of generosity, sharing, self-sufficiency, and the right balance of luxury and asceticism. After this treatment, you can finally really trust your gut feeling. Also, we have tested on our own organism how one takes it and that one can survive the taking. If you would not dare to take it the usual way, there is a gun that can shoot it into your lower opening, and medically trained (female) experts who can do it for you. But of course: This costs extra. A lot extra. Also, you can shoot it into someone else’s anus whom you think may need a cure. 5. POSSIBLE SIDE EFFECTS Long-term side-effects are untested and unknown. But they could exist. The suppository is a pharmaceutical. It can be both the cause and the cure for a certain syndrome one can call “late capitalist nausea and hate of art”. So it can both arouse and enhance the symptoms of that nausea, and cure it. For a while, or once and for all. As this is a highly uncertain and personal matter we could not test it on a lot of subjects the usual way. Be also aware of the fact that the suppository could bear the proprieties of an ancient fetish. It might inspire intense feelings of hate against it, yourself, your enemies, and even your loved ones. Even from a distance it might talk to you at night and tell you to leave all your useless friends, your family, your partner, and your well-paying job behind. It may command you to sell your house and your expensive flat. Ignore it if you can. You are a complex and unique organism with unique microbiota, and the suppository is also a complex substance with a memory, a biography, and a unique personality. Like all of us a mix of benign, nasty and unknown elements. If you get into contact with it, it is at your own risk. We wish you luck. Trust your instincts. 6. HOW TO STORE IT There are four ways to store the suppository. 6.1 In your colon. That way it dissolves to enter a potential symbiosis with your body and your personal microbiota. 6.2 In a cool and safe place outside of it. Beware that grave side-effects might take place if you are not brave enough to insert it. See above, 3., 5. This is a temporary storage that has been described here. 6.3 In the ground. You could bury it deep in the earth and hope that it will join its old microbial network to be happy again. 6.4 Dissolve by melting. You can dissolve the complex substance by melting it over a flame. We only recommend this procedure if the suppository is too much for you to take all at once. In that case, please contact us so that we can instruct you on how to make multiples of one that is, granted, in itself already many. 7. THE CONTENT OF THE PACK AND OTHER INFORMATION Like any good contemporary artwork, we end with a self-referential statement. The suppository, this leaflet of vital information, and your colon may form one powerful unit. Honor it. They are all the content of one pack, one pack of wolves or one pack of hybrid creatures and yeastlike networks that might, in the long run, inherit the earth without destroying it. By overcoming your stubborn depression and nausea, with the help of the suppository, you might be one of the first ones of a new kind that knows no boundaries between the individual and the collective organism. Making this one unique suppository the very cure to all possessive individualism of the old humankind. We are aware of further risks that in this emerging age of total control you might be judged by the state of your microbiota, just as people are judged by the choice of their clothing. This creates yet another game of ruthless and reckless competition between winners (who can afford well-cultivated intestines) and the losers, whose messy digestive systems are obvious by the look of their cheesy skin and body fat. We do not want to set the first stone on that path, but it could well be that we will, as others have already predicted it. Yes, we too profit from the cruelty of all things, but if we don’t, someone else will. FINALLY, WE WISH TO EXPRESS A STERN WARNING THAT THERE IS NO LEGAL ENTITY ON THIS PLANET YOU COULD CALL FOR HELP TO SUE US FOR POSSIBLE SIDE-EFFECTS, AS WE HAVE MADE IT AS CLEAR AS POSSIBLE, IN THIS LEAFLET, THAT YOU TAKE THE SUPPOSITORY AT YOUR OWN RISK. IF YOU ARE ADULT, MATURE, BRAVE ENOUGH TO BEHOLD IT, YOU ARE ADULT, MATURE, BRAVE ENOUGH TO TAKE IT AND LIVE WITH THE CONSEQUENCES.

Grafik: Katherina T. Zakravsky

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Robert Praxmarer MorbusGenesis: Form follows Krankheit – Plan t Or a c l e ( 2 0 1 6 ) Pflanze, Sensor, Algorithmen Die Berührung einer lebendige Pflanze löst einen Austausch von Energie und eine dialogische Veränderung des virtuelles Objekt der Arbeit ‚MorbusGenesis‘ aus. Unter Morphogenesis versteht man in der Biologie die Entwicklung von Formen, Mustern und Strukturen durch biochemische Abläufe. Mit Hilfe biologischer Abläufe und Algorithmen, wie Genetik, Tumorwachstum oder Pilzbefall, werden innerhalb dieser künstlerischen Forschung experimentelle Formensprachen kreiert. Dabei geht es um die Vergänglichkeit, das Sterben und die Transformation in etwas Neues. Das geschieht in unseren Körpern täglich millionenfach. Zellen sterben ab. Bestandteile werden abgebaut und wieder neu verwendet. Nicht nur in unseren Körpern, sondern im ganzen Universum ist es ein fundamentaler Grundsatz, dass Energie nicht verloren gehen kann, sondern nur in einen anderen Zustand transformiert wird. „Sterben als ständiger Begleiter der Materialität.“

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Robert Praxmarer ist Künstler, Wissenschaftler und Lehrender. Lange forschte und arbeitete er am Ars Electronica Futurelab. Danach war er künstlerisch selbstständig und arbeitete u.a. für internationale Firmen wie UEFA, Lufthansa und Bayer. Wegen chronischen Geldmangels leitete er dann sechs Jahre den Fachbereich für Augmented Reality und Computer Games an der FH Salzburg. Er hat in über 35 Ländern vorgetragen und ausgestellt und war Artist-in-Residence des Programms ‚Les pepinieres pour les jeunes artistes‘ der EU, und des ‚Cité des Arts‘-Programm in Paris. Seit 2014 leitet er das Startup Polycular.

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„Unser Körper ist Limitation und Chance zugleich. Ohne Limitation existiert nur die Singularität, die wie ein schwarzes Loch jede Möglichkeit verschluckt und die Dualität auslöscht, aber langweilig ist.“

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Flow My Te a r s! Vom i m p o ssi b l e z u m p o s s ib le b o d y Als ich mich zurück lehnte und an die Fragen dachte, die ich zu ‚possible bodies‘ an mich und die Kunstwerke stellen wollte, ist mir ein Buch von Philip K. Dick, des legendären und visionären Science Fiction-Autors, in den Sinn gekommen. Der Roman heißt ‚Flow My Tears The Policeman Said‘ und stammt aus dem Jahre 1974. Ich finde es spannend, dass die Synapsen meines Gehirns eine Science-Fiction-Dystopie der 70er Jahre ausspucken, wenn ich beginne mich mit dem Verhältnis von Körper, Technik, Medizin, Geschichte und Wirtschaft zu beschäftigen – so wie es in den in der Ausstellung „be my guest – possible bodies“ präsentierten Arbeiten thematisiert wird. Viele zeitgenössische technologische Körper-Entwicklungen fühlen sich wie Umsetzungen von Science-Fiction-Utopien an. Ich ertappe mich dabei, wie ich beim Verfolgen der Wissenschaftsrubriken von Zeitungen und in der eigenen künstlerischen Arbeit, z.B. an einem VR-Spiel, selbst nicht immer genau weiß, wohin diese technologischen Körper-Utopien unsere Gesellschaft führen, wie man sie verstehen kann und wie man ein Urteil oder eine moralische Haltung dazu entwickeln soll oder kann, ohne in reflexartige Wissenschaftseuphorie oder Wissenschaftsablehnung zu verfallen.

Daher bleibe ich auf dem Pfad, auf den die Elektronen in meinem Gehirn mich führen: Ich forsche den Visionen von Philip K. Dick und ‚Flow My Tears The Policeman Said‘ nach und lasse mich überraschen, welche Dimensionen von possible bodies – von möglichen Körpern – sich mir darauf eröffnen. ‚Flow My Tears The Policeman Said‘ – diesen Titel habe ich immer sehr berührend gefunden. Ich erinnere mich an den Roman als komplexes Unterfangen, das jedoch durch die Leitmotive von Musik und Liebe emotional zusammengehalten wird. ‚Flow My Tears‘ bezieht sich auf ein Lautenlied des Komponisten John Dowland aus dem 17. Jahrhundert. Dieses hört einer der Charaktere des Buchs, ein Polizist, um sich seiner Menschlichkeit und der Richtigkeit seines Handelns zu versichern. In dem Roman zeichnet Philip K. Dick das dystopische Bild einer USA, die sich in einen autoritären und rassistischen Polizei- und Überwachungsstaat gewandelt hat. In der von extremen Klassenunterschieden geprägten Gesellschaft lebt eine von genetisch veränderten Menschen geprägte Oberschicht. Zu ihnen gehört

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der berühmte Fernsehmoderator Jason Taverner, der weltweit über Millionen von Fans verfügt. Eines Tages jedoch wacht er in einem schäbigen Hotelzimmer auf und muss feststellen, dass ihn niemand mehr kennt und dass er seine Identität durch nichts bezeugen kann. Er hat rechtlich aufgehört zu existieren – ein problematischer Status in einem Staat, der seine Bürger dauerhaft überwacht und mit polizeilicher Willkür terrorisiert. [Achtung, Spoiler:] Jason Taverner ist durch seine genetische Modifikation und den Einsatz von Drogen in ein Paralleluniversum geraten, aus dem er sich nun mühsam in seine Welt zurückkämpfen muss. Auf diesem Weg werden in dem vielschichtigen Buch Fragen des möglichen Körpers, des possible body angesprochen, die Dick damals als Utopie erdachte, die aber auf die eine oder andere Weise heute Realität sind. Kö r p e r, Me d i z i n , Te c h n o lo g ie, M a c h t Die Spannung der Körper-Phantasie lässt der Autor durch die Art der Verwandlung geschehen. Der Held als Oberschicht-Cyborg ist kein technologisch verändertes Wesen mit auffälligen Implantaten, sondern ein genetisch veränderter Cyborg. Diese medizinischen Eingriffe sind in der von Dick gezeichneten Welt jedoch nur wenigen Reichen vorbehalten. Ihre gesellschaftliche Dominanz und mir ihr die Spaltung der Gesellschaft wird durch den Einsatz dieser hochentwickelten Medizintechnik weiter verstärkt. Im Angesicht aktueller Debatten zeigt sich die Brisanz dieser Vision: wie soll man mit genetischen Verfahren wie der ‚Genschere‘ CRISPR/CAS9 verfahren? Dabei handelt es sich um eine molekularbiologische Methode, um DNA gezielt zu schneiden und zu verändern. Bei ihrem Einsatz stellen sich viele ethische, aber auch gesellschaftliche und ökonomische Fragen. Im Juli 2018 urteilte der Europäische Gerichtshof unerwartet streng, dass dieses Verfahren in der Landwirtschaft unter das

Gentechnikgesetz fällt und nicht gleichgestellt werden darf mit Methoden traditioneller Formen von Züchtung. Doch vor welchen Fragen stehen wir, wenn wir über den Einsatz dieses Verfahrens in der Medizin sprechen? Wem kommt das Gen-Editing zugute? Wie sieht der mögliche Körper aus, den wir mit dieser Technologie erreichen wollen? Und was bedeutet dies für die Definition eines lebenswerten Lebens? Was ist ein lebenswertes Leben und wann ist ein Körper für uns unmöglich, unerträglich – ein impossible body? Technologie wirft hier sehr schnell sehr große moralische Fragen auf. Sie lassen sich nicht so einfach beantworten. 1974 waren Genscheren noch Zukunftsmusik. Doch der Roman thematisiert, was geschieht, wenn Menschen dem Traum eines perfekten Körpers nachjagen und spielt zugleich gesellschaftliche Konflikte durch, die entstehen können, wenn dieser Traum nicht allen in gleichen Maßen zugänglich ist.

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Was erwarten wir von den Maschinen, die uns umgeben, wie gehen sie auf uns zu und wie werden wir ihnen als mögliche Körper entgegenkommen? Eine Tour durch die Ausstellung gibt erste Aufschlüsse: Robert Praxmarers MorbusGenesis: Plant Oracle lässt die Besucher*innen eine Pflanze streicheln, die über unsere Zukunft orakelt – tatsächlich ein Algorithmus, der sich ironisch mehr schlecht als recht als „bessere“ Natur tarnt. Dahinter hängen Bilder seiner Arbeit MorbusGenesis: Form follows Krankheit. Sie zeigen Tische und Stühle aus tumor- und pilzartigen Strukturen – biologische Prozesse haben Alltagsgegenstände erfasst. Ein Spiel mit der Erwartungshaltung gegenüber Interaktivität thematisiert die Arbeit von Daniel Bracken Still. Entgegen der Vorstellung, dass sich Menschen wie Maschinen in einer Dauerbewegung zueinander befinden, regt sich diese Audio-Installation nur, wenn Stillstand im Raum herrscht. Dass in möglichen Körpern auch einzelne Körperteile ein Eigenleben beginnen können, zeigt Young Suk Lees Werkkomplex von interaktiven Perücken und Videos (Don’t talk to me, Thou and I, I smile at you). Hier ist es die ‚scheue‘ Perücke selbst, die ihre Frisur vom Publikum abwendet, oder die ‚mutige‘, die sich den Besucher*innen aktiv zuwendet. Dazu passen auch zwei Mensch-Maschinenverbindungen, die in gemeinsamen Produkten resultieren: An der Schnittstelle zum Cyborg positioniert sich Anthoni Rayzhekovs RE_SONANCE, in dem ein elektroakustisches Instrument körperliche Werte, wie die Herzfrequenz von Klavierspielenden klanglich in das Klavierspiel selbst einbettet und Laura Splans Embodied Objects, die die Bewegungen des Körpers beim Weben eines Teppichs in Webmuster an sich umsetzt. Noch weiter in den Körper dringt die künstlerische und biomedizinische Forschung von Lucie Strecker und Klaus Spiess Mykovaluta vor.

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Ihre Intervention – ein Zäpfchen – nimmt den Umstand auf, dass Darmbakterien unser Handeln auf einer vegetativen Ebene prägen und soll uns hier gegen hyperkapitalistische Handlungsformen immunisieren. Mit Lucas Norers The Lisbon Route verlassen wir das Innere des Körpers und betrachten die heutige Gesellschaft aus historischer Perspektive, nämlich durch die Fluchtrouten von jüdischen Emigrant*innen im Zweiten Weltkrieg und gelangen zur Gegenwart von flüchtenden Menschen – zu impossible bodies. In Dicks Buch wird der Held plötzlich zum impossible body, der nicht existieren kann und darf, weil es keinen bürokratischen Nachweis für seine Existenz gibt. Und doch gibt es diesen Körper. Gibt es für ihn einen Weg zurück in den Möglichkeitsraum, den das Staatssystem zulässt? In dieser Albtraumphantasie spielen Drogen, die ein Staat kontrollierend gegen seine Bürger*innen einsetzt, eine wichtige Rolle. Das können wir jedoch auch im Marx’schen Sinne verstehen, nämlich als Frage, welches Opium dem Volk verabreicht wird, um es von seiner Freiheit zu denken, zu fühlen und zu lieben abzulenken und abzuhalten. K ö rp er, Politik, M a c ht Philipp K. Dick schrieb das Buch vor einem interessanten politischen Hintergrund. 1974 führt der Watergate-Skandal zum Rücktritt von Richard Nixon. Auch die fiktionale USA des Romans ist gebeutelt von den Auswirkungen politischer Wirrnisse: Dick entwirft ein düsteres Bild einer USA im Jahre 1988, die nach dem Zweiten Weltkrieg in einen Bürgerkrieg geglitten ist, in dem alle demokratischen Institutionen zerstört wurden. Nun beherrscht ein Diktator mit seinem umfassenden Polizeiapparat das Land. Als zentrale Ideologie hetzt Rassismus die Menschen gegeneinander auf. Die schwarze Bevölkerung wurde beinahe vollkommen ausgelöscht.


Auch in dieser Ebene des Buchs taucht wieder die bittere Vision von unmöglichen Körpern auf. Impossible meint auch machtlos und öffnet Assoziationen zu heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen. Es ist die Frage nach Rassismus und der Akzeptanz der Vielfalt von Menschen. Das Buch diskutiert so die Frage, wie sich Gesellschaften in der Ablehnung bestimmter Gruppen von Menschen immer weiter post-faschistischen Ideologien hingeben. Entwicklungen, denen wir auch heute in erschreckender Weise wieder so häufig begegnen – und wir müssen dabei bei weitem nicht nur bis nach Chemnitz blicken. Dort kam es 2018 im Zuge einer von rechten Gruppierungen organisierten Großdemonstration zu regelrechten Hetzjagten gegen Migrant*innen. Davor hatten diese Gruppierungen nach dem gewaltsamen Tod eines deutschen Mannes einen illegal veröffentlichten Haftbefehl gegen einen irakischen Staatsbürger dazu ausgenützt, um gezielt Hass gegen Ausländer*innen zu schüren. Dick spinnt den Gedanken des impossible body noch weiter und beschreibt, wie ein Mensch durch politische Maßnahmen unsichtbar gemacht werden kann. Er eröffnet dazu das Bild des Paralleluniversums, in das der Held des Buches geworfen wird – eine Maßnahme, um ihn aus der existierenden Gesellschaft zu verdrängen. Das Paralleluniversum ist ein Ort, in dem impossible bodies, also Körper, die über keinen Handlungsspielraum mehr verfügen, treiben. Um bei uns einen solchen Ort zu finden, muss man nicht weit suchen. Wir haben mit dem Mittelmeer ein uns gefälliges Paralleluniversum, auf dem Bootsflüchtlinge auf Schlauchbooten und auf Rettungsschiffen staatlich verordnet zu rechtlosen, unmöglichen, machtlosen Körpern gemacht wurden, denen man ganz wörtlich keinen Hafen mehr in unsere Welt öffnet.

Und hier komme ich zurück zum Opium für das Volk: Wovon lenkt man uns ab, wenn rechtspopulistische Propaganda der letzten Jahrzehnte Flüchtende und Migrant*nnen zu den zentralen Feindbildern stilisiert? Welche Entwicklungen haben dazu geführt, dass es zum politischen Mainstream wurde, ihnen den Wert ihres Lebens und ihres Überlebens in Seenot abzusprechen? Es sind Empathie und Mitleid, die uns ausgetrieben werden, wenn wir diese Menschen durch die Medien nur mehr als eine bedrohliche Masse von unmöglichen, dunklen Körpern wahrnehmen, nicht mehr als menschliche Individuen. Philip K. Dick hat mich auf diese Assoziationsreise geführt – zu den politischen und medizinischen Abgründen von possible bodies. Trotz aller Düsternis keimt in ‚Flow My Tears The Policeman Said‘ immer wieder Hoffnung auf. Denn der Polizist im Roman erinnert sich an seine Menschlichkeit. Durch das Lied ‚Flow My Tears‘ wird ihm klar, was es heißt Mitleid zu haben und dass wir Menschen sind, solange wir die Fähigkeit besitzen zu weinen. Es ist ein Plädoyer für die Liebe und die Tränen. Solange unsere Körper in der Lage sind, um andere zu weinen, auch wenn sie uns fremd und entfernt sind, besteht Hoffnung. Das gilt sowohl für Bootsflüchtlinge im Mittelmeer, als auch für Menschen, deren Körper nicht dem Ideal von Gesundheit und Schönheit entsprechen. So möchte ich diese Assoziationsreise mit einer Vision schließen, in der es die Polizisten sind, die stellvertretend für uns weinen können. Was wäre, wenn Tausende Frontex Soldaten angesichts des Mitleids, das sie verspüren, nicht anders können, als kollektiv zu weinen. Im Fühlen von Schmerz für die anderen werden aus impossible bodies wieder possible bodies.

Text: Sonja Prlić

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Lucas Norer The L i sb o n R o u t e ( 2 0 1 3 - 2 0 1 7 ) Mehrkanal-Klanginstallation, Pylone, Lautsprecherständer, Lautsprecher, Audio-technik Die (Klang) Installation unternimmt eine akustische Spurensuche auf einer der zentralen Fluchtachsen von jüdischen Emigrant*innen im zweiten Weltkrieg. Lucas Norer besuchte die historischen Orte der Fluchtroute zwischen Marseille und Lissabon. Seine Reise dokumentierte er in Field-Recordings, literarischen Verweisen, Interviews und Dokumenten aus Shoah Archiven. ‚The Lisbon Route‘ gibt einen Einblick in das Leben und Wirken von Menschen auf der Flucht. Über die Vergegenwärtigung der historischen Flüchtlingsgeschichten ergeben sich Rückschlüsse und aktive Reflexionen auf das aktuelle Schicksal von MigrantInnen in Europa. Hörbar wird die Installation über zu Klangtrichtern umfunktionierte Leitkegel. Sie dienen in diesem Falle allerdings nicht nur zur Markierung eines Ortes, sondern auch dazu einen akustischen Fokus zu setzen. Dieses Setup generiert sowohl einen inhaltlichen als auch akustischen Effekt: Die für die Zuhörenden historisch distanzierten Inhalte werden über die Verstärkung und Bündelung des Klangtrichters aus einer räumlichen und zeitlichen Entfernung in das Hier und Jetzt überführt.

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Lucas Norer wurde in Innsbruck geboren. Heute lebt und arbeitet er in Wien. 2011 diplomierte er an der Kunstuniversität Linz im Bereich Bildende Kunst/Experimentelle Gestaltung. Die Arbeiten von Lucas Norer sind durch einen interdisziplinären Ansatz geprägt und beziehen sich auf Inhalte aus den Bereichen Musik, Klang, Akustik und ihrem Verhältnis zu sozialen, politischen, architektonischen und künstlerischen Fragestellungen. Über einen Rechercheund Verarbeitungsprozess entstehen so audiovisuelle Installationen, Objekte und Projekte im öffentlichen Raum.

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„Das Körperliche in der Klanginstallation Lisbon Route manifestiert sich in seiner Abwesenheit – in der Loslösung vom Körper als akusmatische Stimme (der pythagoreische Ausdruck, den Michel Chion verwendet, um Klänge zu beschreiben, deren Ursprung nicht zu sehen ist). Ein spezielle Art des Hörens, die unser Bewusstsein auf das Hören allein lenkt. Dabei entdecken wir, dass vieles von dem, was wir zu hören glaubten, in Wirklichkeit nur durch den Kontext gesehen und erklärt wurde.“

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AIR – Ar t i st i n R e sid en ce Progra m m d e r St a d t S a lz b u rg Seit 1986 bietet die Abteilung Kultur, Bildung und Wissen der Stadt Salzburg in Kooperation mit langjährigen Partnern in kulturell interessierten und aktiven Städten ein Künstler*innen Austauschprogramm an. Die Intention dieser besonderen Kulturförderung ist es, den Künstler*innen die Möglichkeit zu bieten, neue Eindrücke und praktische Erfahrungen zu sammeln und diese künstlerisch zu verarbeiten. Der Aufenthalt soll darüber hinaus dazu dienen, Kontakte zu knüpfen und daraus ein künstlerisches Netzwerk zwischen den teilnehmenden Künstler*innen und den Städten entstehen zu lassen. Das Programm richtet sich an Künstler*innen, die ihren Lebens- und Arbeitsschwerpunkt in Salzburg haben. Die Auswahl der Bewerber*innen obliegt einer Jury und findet nach Ablauf der Bewerbungsfrist der jeweils aktuellen Ausschreibung statt. Im Gegenzug haben Künstler*innen aus den Partnerstädten die Möglichkeit in Salzburg zu arbeiten.

Im Rahmen dieses Programmes hat sich das Ausstellungsformat ‚be my guest‘ entwickelt, das vom Kommen und Gehen und vom Verbindungen Knüpfen inspiriert ist. Salzburger Künstler*innen treffen auf internationale Gastkünstler*innen im AIR der Stadt Salzburg, vernetzen sich und lassen sich von den Orten inspirieren. ‚be my guest‘ ist ausstellunggewordenes Symbol eines künstlerischen Netzwerkes und präsentiert seit 2013 in der Stadtgalerie in Lehen künstlerische Positionen internationaler und Salzburger Künstler*innen, die im Rahmen des Austauschs unterwegs waren.

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Martina Greil, Kulturabteilung / Leiterin AIR Programm Stadt Salzburg

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subnet AI R - su b n e t A rtis t in Res i d e n c y Pr o g r amm Subnet, die Salzburger Plattform für Medienkunst und experimentelle Technologien, widmet sich der Förderung von künstlerischer und kultureller Auseinandersetzung mit experimentellen Technologien und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen. Mit dem Schwerpunkt ‚Material, Forschung, Kunst‘ hat subnet in den letzten sechs Jahren künstlerische Produktionen nach Salzburg geholt, die sich Makerkulturen, Physical Computing und Hardware-Hacking als Entwurfsstrategien bedienen. Im größeren Kontext des subnet Jahresprogramms ergänzt sich subnetAIR mit der Dialogreihe subnetTALK. Dabei behandelt subnetTALK die theoretischen Hintergründe und gibt den Impuls für eine gesellschaftliche Diskussion, wohingegen im Residency Programm subnetAIR die künstlerische Praxis und der Arbeitsprozess ihren Platz haben, flankiert von Austausch- und Gesprächsangeboten. Ziel ist es, neben guten Arbeitsbedingungen für die Künstler*innen, Einblick zu geben, Verbindungen herzustellen und Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen.

Um einen besseren Rahmen zu gewähren haben wir über die letzten Jahre eine sich vertiefende Kooperation mit dem Zentrum für Mensch Computer Interaktion (Center for HCI) der Universität Salzburg entwickelt. Wir haben das Privileg unsere subnetAIRs in den Rahmen der vierzig Forscher*innen des Zentrums zu setzen und so auf der persönlichen Ebene natürlich Synergien zwischen Kunst und Wissenschaft herzustellen. Dabei profitieren die Künstler*innen vom Fachwissen und den Arbeitsbedingungen am HCI, und umgekehrt wird die Forschungsarbeit am HCI bereichert, indem Künstler*innen nach anderen Gesichtspunkten vorgehen, aus anderen Perspektiven und frei von technischen Vorgaben, bzw. weil sie vielen Themen auch die notwendige emotionale Dimension geben können. Seit zwei Jahren konnten wir dank dem Media Art Grant der Stadt Salzburg unser Angebot des Residency Programms von drei auf vier Künstler*innen erweitern. Die Sichtbarkeit wird durch eine Kooperation mit der StadtGalerie Lehen im Rahmen von ‚be my guest‘ erhöht und bietet so in regelmäßigen Abständen professionelle Ausstellungen mit dazugehöriger Publikation. subentAIR ist auf diese Weise ein kleines Programm welches aber durch Zweck- wie inhaltliche Kooperationen mehr ermöglicht. Durch unsere Partner kann sich subnet auf die Erweiterung des bereits Vorhandenen konzentrieren und fördert Kunst, Austausch wie Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen ExpertInnen aus Kunst, Wissenschaft und Forschung.

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Rüdiger Wassibauer, Salzburger Plattform für Medienkunst subnet/künstlerischer Leiter

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Ausstellungsansichten

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Zu den Autorinnen: Jana Herwig ist Medienwissenschafterin und -beraterin in Wien. In ihrer Forschung befasst sie sich insbesondere mit Phänomenen an der Schnittstelle von Medien und Menschen. Dabei interessieren sie besonders die manuellen und haptischen Eingriffe, welche Menschen beim Gebrauch von Medien/Technik einsetzen, von den Tasten der frühen Neuzeit bis zum Smartphone sowie die verbindende Funktion von Narrativen, die es ermöglicht, Menschen über den Mediensprung hinweg zu verbinden oder zu adressieren. 2017 hat sie ihre Dissertation mit dem Titel ‚Hand, Haut, haptische Medien. Mediale Konfigurationen des Tastsinns‘ abgeschlossen, die sich u.a. der Rolle der manuellen Handhabung und der Möglichkeit technisch vermittelter Berührung in interaktiven Szenarien widmete.

Sonja Prlić, ist Medienkünstlerin, Regisseurin, Dramaturgin und Universitätsassistentin am Mozarteum Salzburg. Ihre Studien führten sie über Literatur und Dramaturgie zu künstlerischen Computerspielen. Sie ist Gründungsmitglied der Künstler*innengruppe gold extra und arbeitet an Projekten zwischen Theater, Neuen Medien und Computerspielen. Ihre Theaterstücke und Computerspiele, die verschiedene soziale und politische Themen aufgreifen, erhielten zahlreiche Preise. Ihre künstlerisch forschende Dissertation zu künstlerischen politischen Computerspielen wurde mit dem Award of Excellence ausgezeichnet.

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Korinna Lindinger ist Künstlerin und Soziologin. Ihre Studien absolvierte sie an der Universität für angewandte Kunst Wien sowie den Universitäten Wien und Istanbul. Sie ist Mitglied der Künstlerinnenkollektive kaquadrat und maschen. Felder künstlerischer Auseinandersetzung sind für sie soziale Verortungen, dynamische Verhältnisse und die Auseinandersetzung mit Bewegung und Elektronik als künstlerischem Material, wofür sie mit verschiedenen Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde. In ihrer sozialwissenschaftlichen Tätigkeit forscht sie zu sozialer Ungleichheit, formalen und informellen Bildungsräumen sowie zu Lebenswelten junger Menschen. Korinna Lindinger ist Universitätsassistentin am Forschungsbereich Soziologie der Fakultät für Architektur Raumplanung an der Technischen Universität Wien am Institut für Raumplanung.

Karla Spiluttini ist Medienkünstlerin und Forscherin. Ihre künstlerischen und wissenschaftlichen Interessen liegen in diffusen Orten, Materialforschung, narrativen Räumen und der Phänomenologie der Maker Cultures. Ihre Installationen wurden mit dem Salzburger Staatspreis für Medienkunst und dem Mandala-Preis des Europäischen Instituts für Medien ausgezeichnet. Unter anderem arbeitete sie als Forschungsresidentin 2012 am V2_ institute for the unstable media in Rotterdam und als Vermittlerin an verschiedenen österreichischen Universitäten mit Materialien und angewandten Experimenten. Derzeit arbeitet sie für die Ars Electronica in Linz.

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Impressum subnet – Salzburger Plattform für Medienkunst und experimentelle Technologien Ulrike-Gschwandtner-Str. 5 A-5020 Salzburg www.subnet.at Kuration und Redaktion: Korinna Lindinger und Karla Spiluttini Grafik und Layout: Bartholomäus Traubeck Lektorat: Maria Lindinger Bilder: Karla Spiluttini, Korinna Lindinger, Manuela Seethaler Bild Rückcover: X-Ray Visions & Morphine Dreams (Tablecloth), Laura Splan (2005) Druck: Pixartprinting, 2018 Wir bedanken uns herzlich bei allen Fördergebern und Partnern.

Kultur

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subnet.at


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