Rezension: Warum wir uns Gefühle kaufen

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Der schmale Grat des emotionalen Marketings Christian Mikunda: Warum wir uns Gefühle kaufen. Die 7 Hochgefühle und wie man sie weckt, Econ/Ullstein, Berlin 2009, 272 S., EUR 29,90 Der Titel des Buches „Warum wir Gefühle kaufen“ könnte in die Irre führen. Denn worum es dem früheren Dramaturgen und heutigen Unternehmensberater Christian Mikunda geht, ist keine psychologische Abhandlung über die Bedingungen unserer Käufermotive, sondern eine detailreiche und ebenso systematische Anleitung zur emotionalen Inszenierung von Produkten, Dienstleistungen und attraktiven Orten. Dabei kommt Mikunda seine Beratungspraxis zugute, die ihn zu Automobilherstellern und Handelskonzernen, zu Fernsehanstalten und in Museen führt. Mikunda entwickelt Brandlands und Shopping Malls und macht aus Einkaufszentren Entertainmentcenter und Tempel der Hochgefühle. Verwurzelt in der Todsünde Ohne Emotion kein wirksames Marketing. Diese Lektion haben auch die meisten Protagonisten der Öko-Aufklärung und Nachhaltigkeitskommunikation inzwischen gelernt. Aber wer mit Emotionen spielt, spielt auch mit der negativen Seite der menschlichen Existenz. Viele Vorbehalte gegen das Neuromarketing gründen vermutlich in der Ahnung dieses Zusammenhangs. Das leicht zu lesende, mit vielen Beispielen illustrierte Buch von Christian Mikunda zeigt einen sicheren, wenn auch schmalen Weg über den Grat, der emotionale Hochgefühle von emotionalen Katastrophen trennt. „Warum wir uns Gefühle kaufen“ wird den Leser davon überzeugen, dass auch Nachhaltigkeit nur über große Gefühle entstehen kann und eine unästhetische Inszenierung die Chancen für eine nachhaltige Entwicklung minimiert. Die sieben Hochgefühle, die Mikunda in seinem Buch systematisch, eines nach dem anderen, behandelt, haben ihre Parallele zu den sieben Todsünden, also zerstörerischen Formen der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Deshalb betont der Autor gleich zu Beginn: „Wer Hochgefühle in Wirtschaft, Kultur und Lifestyle einsetzt, muss daher wissen, wie sie in den Todsünden verwurzelt sind, muss die dunkle Seite der Medaille kennen, um die helle Seite zu verstehen.“ Sport befriedigt den Zorn Das ist die Liste der niedrigen und der hohen Gefühle, mit der Mikunda arbeitet: Hochmut – Glory Völlerei – Joy Zorn – Power


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Neid – Bravour Gier – Desire Wollust – Intensity Trägheit – Chill. Das jeweilige Hochgefühl ist nicht als Abschwächung seines dunklen Konterparts zu verstehen, sondern als evolutionär und kulturell in sozial verträgliche Bahnen gelenkte Variation. Ein Beispiel ist der Sport: „Tatsächlich war der Sport der erste Lebensbereich, in dem sich die Verwandlung des aggressiven Zorns zum positiven Power-Gefühl bemerkbar machte. Zorn und Sport funktionieren auf der Gefühlsebene weitgehend parallel.“ Aber auch Ego-Shooter-Videospiele domestizieren das Zornesgefühl: „Das Dauerballern entspricht dem Toben des Zornigen und löst dieselben körperlichen Reaktionen aus.“ Glory-Emotion in Esslingen erzeugen Im Marketing kann die Herausforderung z.B. darin bestehen, die Überfülle eines Angebots auszutarieren. Damit die Vielfalt der Genüsse nicht in Völlerei umschlägt, empfiehlt uns Mikunda zwei Tricks – Ordnung und Überhöhung. Visuelle Überfülle erzeugt nur dann Hochgefühle beim Konsumenten, wenn gleichzeitig ein Struktur- und Ordnungsprinzip erkennbar ist. Geometrische Anordnungen z.B. verhindern die „Gerümpeltotale“. Und eine überhöhte Präsentation, die Produkte z.B. in goldenem Rahmen präsentiert, sie mit Symbolen verbindet und entsprechend beleuchtet, verhindert die Abwertung der Waren durch ihre Überfülle. Um Glory-Gefühle zu wecken wird oft mit übergroßen Elementen und Zeichen gearbeitet, die Tempel- oder Palastassoziationen wecken. Im urban design heutiger Stadtgestaltung wird zu diesem Zweck beispielsweise oft mit freigestellten Toren gearbeitet, um durch die geweckten Hochgefühle Attraktivität zu entfalten: „Viele Einkaufsstraßen überall auf der Welt beginnen mit einem solchen Tor, das oft auch den Namen der Einkaufsstraße hoch über die Köpfe der Menschen hebt. In der deutschen Kleinstadt Esslingen entstand so eine ganze Flucht von Riesentoren zwischen dem Bahnhof und dem Wahrzeichen der Stadt, einem mittelalterlichen Wohnturm. Verblüffend war der Effekt: Eine hässliche Straße entlang grauenhafter Fassaden verwandelte sich durch die Glory-Gefühle, die von den Toren ausgingen, zu einer echten Einkaufsstraße mit Klasse.“ Auch große Leuchtfassaden, wie sie in vielen Flagship-Stores heute eingesetzt werden, arbeiten mit Glory-Emotionen. Die Gefahr, dass diese Selbstüberhöhung in eine eher abstoßende Inszenierung des Hochmuts umschlägt, wird nach der Erfahrung von Christian Mikunda dann vermieden, wenn auf solchen Flächen keine direkten Werbebotschaften auftauchen. Große Gefühle für Nachhaltigkeit Auch das Prinzip der Nachhaltigkeit lässt sich ja als Versuch begreifen, die zerstörerische Völlerei und den überbordenden Hochmut in ungefährliche stratum® GmbH www.stratum-consult.de


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kulturelle Bahnen zu lenken. Nach Mikundas Beobachtungen werden „im Zeitalter der Nachhaltigkeit zunehmend Naturthemen für das JoyGleichgewicht wichtig“. Leider gibt der Autor in seinem Buch keine weiteren Hinweise zum Thema „Nachhaltigkeit“. Nur zu gerne hätten wir beispielsweise gewusst, wie das Gebäude aussehen sollte, in dem man den „Rat für Nachhaltigkeit“ der Bundesregierung trifft, oder wie ein „Weltladen“ konzipiert werden müsste, der große Eine-Welt-Gefühle hervorzurufen imstande ist. Denn dass „die großen Gefühle unsere Welt formen“ und dass der Fortschritt der menschlichen Zivilisation durch Hochgefühle, durch Schönheit und eine ästhetisch gestaltete Welt getragen wird, das glauben wir Mikunda gerne. Richard Häusler Copyright © stratum® GmbH

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