Staatsoper Berlin: Programmbuch »Matsukaze«

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Matsukaze Musik von Toshio Hosokawa Libretto von Hannah D眉bgen nach dem gleichnamigen N么-Spiel von Zeami Choreographische Oper von Sasha Waltz


Matsukaze


Orchestre Théâtre Royal de la Monnaie Théâtre Royal de la Monnaie Brüssel Uraufführung 3. Mai 2011 4. 5. 6. 8. 10. 11. Mai 2011 Kammerorchester der Polnischen Nationaloper Warschau Teatr Wielki – Polish National Opera 31. Mai 2011 1. 2. Juni 2011 Orchestre Philharmonique du Luxembourg Grand Théâtre de Luxembourg 9. 10. Juni 2011 Staatskapelle Berlin Staatsoper im Schiller Theater Berlin 15. 16. 17. Juli 2011

Matsukaze Musik von Toshio Hosokawa Libretto von Hannah Dübgen nach dem gleichnamigen Nô-Spiel von Zeami Choreographische Oper von Sasha Waltz

5 Handlung Synopsis 16 Libretto 43 Nô – Ein traumhaftes Spiel Nô – A Divine Game Christian Haase 48 Photos von Bernd Uhlig Photos by Bernd Uhlig 73 Schönheit in der Vergänglichkeit Sasha Waltz und Toshio Hosokawa im Gespräch mit Ilka Seifert über die choreographische Oper »Matsukaze«, über Schöpfungsprozesse und über die Katastrophe in Japan Beauty in Impermanence Sasha Waltz and Toshio Hosokawa in conversation with Ilka Seifert regarding the choreographic opera »Matsukaze«, creative processes and the catastrophe in Japan. 88 Besetzung Cast 90 Biographien Biographies


Matsukaze Musik Toshio Hosokawa Libretto nach dem gleichnamigen Nô-Spiel von Zeami Hannah Dübgen Choreographische Oper Sasha Waltz

Musikalische Leitung Pablo Heras-Casado Regie Choreographie Sasha Waltz Bühne Pia Maier Schriever Chiharu Shiota Kostüme Christine Birkle Licht Martin Hauk Dramaturgie Ilka Seifert Matsukaze Barbara Hannigan Murasame Charlotte Hellekant Mönch Frode Olsen Fischer Kai-Uwe Fahnert

Sasha Waltz & Guests Jirí Bartovanec Davide Camplani Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola Delphine Gaborit Mamajeang Kim Florencia Lamarca Sergiu Matis Sasa Queliz Zaratiana Randrianantenaina Orlando Rodriguez Mata Sakka Xuan Shi Junko Wada Niannian Zhou

Eine Produktion von Sasha Waltz & Guests im Auftrag des Théâtre Royal de la Monnaie in Koproduktion mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und Teatr Wielki – Polish National Opera sowie in Kooperation mit der Staatsoper Unter den Linden, Berlin. Die Produktion »Matsukaze« wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

Matsukaze Handlung Synopsis

Made in Radialsystem® Sasha Waltz & Guests wird gefördert aus Mitteln des Landes Berlin.

Vocalconsort Berlin Ulrike Barth Inge Clerix Wiebke Kretzschmar Anja Schumacher Friedemann Hecht Oliver Uden Jan Sauer Kai-Uwe Fahnert

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Prelude I Sea A monk on an autumn pilgrimage reaches the coast of Suma towards evening. On the beach he sees a lonely pine tree; a commemorative plaque is attached to its trunk and the names of two women —Matsukaze and Murasame— followed by a poem are inscribed there. The monk asks a Fisherman for the history of the pine. The Fisherman recounts how, many centuries ago, the two sisters Matsukaze (Wind in the Pines) and Murasame (Autumn Rain), impoverished salt women, lived in a hut on the beach. They both loved Yukihira, a nobleman from the capital. After three years he was recalled to the capital where shortly after he died unexpectedly. The salt women were left behind, their love unfulfilled. The Fisherman appeals to the monk for a prayer for the unsaved souls of the sisters. Together they pray to the Amida Buddha. The Fisherman goes on his way, whereas the monk decides to stay here overnight. Remarking a salt house, the monk awaits its occupants at the door. The moon rises. He falls asleep. 6

Vorspiel I Meer Ein Mönch kommt gegen Abend auf einer herbstlichen Pilgerreise an die Küste von Suma. Am Strand sieht er eine einsame Kiefer mit einer Gedenktafel am Stamm, auf der die Namen zweier Frauen – Matsukaze und Murasame –und darunter ein Gedicht zu lesen sind. Er fragt einen Fischer nach der Geschichte der Kiefer. Der Fischer erzählt, dass vor vielen hundert Jahren die Schwestern Matsukaze (Wind in den Kiefern) und Murasame (Herbstregen) als arme Salzfrauen in einer Hütte am Strand lebten. Beide liebten sie Yukihira, einen Edelmann aus der Hauptstadt. Nach drei Jahren wurde er wieder in die Hauptstadt abberufen, wo er wenig später überraschend starb. Zurück blieben die beiden Salzfrauen mit ihrer unerfüllten Liebe. Der Fischer bittet den Mönch um ein Gebet für die unerlösten Seelen der beiden Schwestern. Gemeinsam beten sie zu Amida Buddha. Der Fischer zieht weiter und der Mönch beschließt, an diesem Ort die Nacht zu verbringen. Er bemerkt ein Salzhaus, vor dessen Tür er auf die Bewohner warten will. Der Mond geht auf. Der Mönch schläft ein. 7


II Salt Two salt women, hagridden by the exertions of salt manufacture and the memory of Yukihira, approach. One can see the evergreen pine tree on the beach and a bright moon its beams manifoldly refracted by the water of the women’s pails.

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II Salz Zwei Salzfrauen nähern sich, gequält von der Anstrengung der schweren Arbeit des Salzschöpfens und von der Erinnerung an Yukihira. Sie sehen die immergrüne Kiefer am Strand und den hellen Mond, dessen Licht sich vielfach in ihren Wassereimern bricht.

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III Night The monk wakes and enquires whether the women might provide lodging for the night, and seeing as the stranger is a monk they agree. A strong gust of wind calls to mind a poem by Yukihira. In tears and with growing agitation, they tell of the yearning for their beloved who lived with them here for three years before being summoned and subsequently dying. Hearing their names the monk realises the women are the ghosts of the two sisters. They implore him for a prayer so that their souls may at last find peace.

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III Nacht Der Mönch erwacht und bittet die beiden Frauen um eine Unterkunft für die Nacht. Als sie den Besucher als Mönch erkennen, willigen sie ein. Eine starke Windböe erinnert sie an ein Gedicht Yukihiras. Unter Tränen und in wachsender Erregung erzählen sie von ihrer Sehnsucht nach dem Geliebten, der hier drei Jahre mit ihnen lebte, bevor er zurückgerufen wurde und starb. Als die beiden ihre Namen nennen, erkennt der Mönch in ihnen die Geister der beiden Schwestern. Inständig bitten sie ihn um ein Gebet, damit ihre Seelen endlich Frieden finden.

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IV Dance Matsukaze fetches the hat and coat that Yukihira left with them as a pledge on departing. The recollection triggers ever more intense and confused emotions in her; she fantasises that the pine-tree on the beach is the loved one returned. Murasame endeavours to release Matsukaze from her derangement, then she too collapses in a mad ecstasy over the imagined reunion. The wailing of the sisters merges with the sounds of the wind and rain.

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IV Tanz Matsukaze bringt Hut und Mantel Yukihiras, die er ihnen bei seinem Abschied als Pfand dagelassen hat. Die Erinnerung löst immer stärkere, verwirrende Gefühle in ihr aus: In der Kiefer am Strand meint sie den zurückgekehrten Geliebten zu erkennen. Murasame versucht sie erst noch davon abzubringen, bis auch sie in den ekstatischen Wahn der Wiedervereinigung einfällt. Die Schreie der beiden Schwestern vermischen sich mit dem Geräusch des Windes und des Regens.

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V Dawn The monk wakes on the same spot he first fell asleep. The salt-house and its inhabitants have vanished. He resumes his journey. On the beach stands the lone pine. The last drops of autumn rain slide from its needles and a breeze wafts through its limbs.

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V Morgenrot Der MĂśnch erwacht an der gleichen Stelle, an der er zu Beginn eingeschlafen ist. Das Salzhaus und seine Bewohnerinnen sind verschwunden. Er zieht weiter. Am Strand steht die einsame Kiefer. Von ihren Nadeln fallen die letzten Tropfen des Herbstregens und in ihren Ă„sten weht der Wind.

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Toshio Hosokawa Matsukaze Oper

Besetzung Matsukaze Sopran

Libretto von Hannah Dübgen nach dem gleichnamigen Nô-Spiel von Zeami

Murasame Mezzosopran

Auftragswerk des Théâtre Royal de la Monnaie Brüssel Uraufführung 2011

Mönch Bass

Fischer Bariton

Chor Orchester

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Der Abend ist bitter für jene, deren Geliebter so fern ist wie der Himmel. Verfasser unbekannt, aus der Lyrik-Anthologie »Kokinshu«, 905 n. Chr. vom japanischen Kaiser Daigo in Auftrag gegebenen, erschienen 920 n. Chr.

I Meer II Salz III Nacht IV Tanz V Morgenrot

Es gibt keine Vergangenheit, es gibt nur die Gegenwart der Vergangenheit, die Gegenwart der Gegenwart und die Gegenwart der Zukunft. frei nach Augustinus von Hippo 354–430 n. Chr.

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I Meer

Am Strand. Eine einzelne Kiefer am Strand. In der Ferne eine felsige Küste und ein Kiefernhain. Die Sonne steht tief über dem Meer. Chor Windgeräusche. Ein Mönch taucht am Strand auf. Mönch An der Küste entlang, bis die Sonne verschwindet, wandere ich auf meinem Weg nach Akashi, an der Küste entlang, bis die Sonne verschwindet und der Mond aufgeht. Immer voller ist er geworden seit Beginn meiner Reise, heute Nacht zeigt er sich ganz. Viel Zeit bleibt nicht. Die Sonne steht tief, größer werden die Schatten. Der Mönch entdeckt die Kiefer am Strand. Mönch Welch edle Kiefer! Steht dort ungeschützt am Strand. Mit einer Gedenktafel am Stamm, zwei ins Holz geritzte Namen: Matsukaze …

Chor (wie ein Echo) … Herbstregen … Mönch Darunter ein Gedicht. Windgeräusche. Der Mönch schaut sich um und sieht einen Fischer auf sich zukommen. Fischer Ein Mönch auf Suma. Was verschafft uns die Ehre? Mönch Eine Pilgerreise. Vom Tempel der Hauptstadt aus wandere ich jedes Jahr am Ende des Sommers ins Land. Die Berge im Norden und Felder im Osten sind mir bekannt, auch in den Schreinen des Südens habe ich gebetet, allein den Westen kannte ich nicht bis zu diesem Herbst, die Küste von Suma war mir fremd bis zum heutigen Tag. Fischer Willkommen. Mönch Doch sagt mir, Fischer, diese Kiefer hier hat eine Geschichte?

Chor (wie ein Echo) … Wind in den Kiefern …

Der Fischer nickt. Fischer Vor langer Zeit

Mönch Murasame.

Chor … vor mehreren Hundert Jahren … 20

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Fischer lebten zwei Schwestern an der Küste von Suma in einem Salzhaus. Matsukaze Chor … Wind in den Kiefern … Fischer und Murasame Chor … Herbstregen … Fischer waren ihre Namen. Junge Frauen mit feinen Zügen, (zeigt auf den Sand vor der Kiefer) ihr Grab, diese Kiefer hier, gepflanzt Chor … vor langer Zeit … Fischer zu ihrem Gedenken. Mönch Und ein Gedicht. Fischer Yukihiras Gedicht … Chor (zitiert) »Heute ist die Stunde des Abschieds, die Tore der Hauptstadt erwarten mich, doch höre ich deine Sehnsucht rufen, Geliebte – kehre ich zurück.« 22

Der Fischer starrt auf das Grab. Fischer Matsukaze und Murasame in der Blüte ihrer Jahre, als der Tod in ihr Leben trat. Mönch Ihre Körper, begraben vor langer Zeit, doch ihre Namen leben fort, wie die Kiefer hier, die blüht, immergrün, unberührt vom roten Herbst. Windgeräusche. Fischer (zum Mönch) Wer kommt, spricht meist ein Gebet. Können auch Sie Ihren Segen geben? Der Mönch willigt ein. Mönch Amida, Buddha der höchsten Wahrheit, Hüter des unendlichen Lichts. Zu dir bete ich für Matsukaze und Murasame: Lass ihre Seelen Frieden finden. Fischer Der Abend naht. Das Dorf liegt noch ein Stück weiter innen im Land. Mönch Ich bleibe. Fischer Hier? Der Mönch nickt. 23


Fischer Grüßen Sie die Hauptstadt.

Der Mönch setzt sich vor das Salzhaus und schläft ein. Der Vollmond steigt im Osten höher, das Tageslicht wird schwächer.

Der Fischer will gehen, sieht die Sonne ins Meer eintauchen. Fischer Die Sonne! Mönch und Fischer Taucht ins Meer, rote Sonne geht … unter … fort. Fischer Guten Abend. Mönch Leben Sie wohl. Der Fischer entfernt sich. Die Dämmerung beginnt. Es wird langsam dunkler, im Osten erscheint der Mond am Himmel. Mönch Je dunkler das Land, desto wilder rauscht das Meer in den Ohren.

II Salz

Zunehmende Dämmerung. Matsukaze und Murasame tauchen am Strand auf, sie ziehen einen Karren hinter sich her. Matsukaze und Murasame Immer weiter dreht sich das Rad, immer weiter im Kreis … Salzige Räder des salzigen Karrens im salzigen Schlamm drehen sich, drehen immer weiter den Kreis. Matsukaze und Murasame bleiben erschöpft stehen.

Der Mönch setzt sich in den Sand, lässt müde den Kopf sinken. An der Küste taucht im Mondlicht ein Salzhaus auf. Der Mönch hebt den Kopf und entdeckt das Salzhaus.

Matsukaze (blickt auf) Schau, wie der Mond aufgeht!

Mönch Was sehe ich? Ein Salzhaus …

Murasame Unerreichbar. Ungerührt.

Der Mönch nähert sich dem Salzhaus.

Murasame nimmt eine Harke vom Karren und reicht sie Matsukaze.

Mönch Warten …

Murasame Die Eimer müssen voll sein, bevor die Nacht einbricht. 24

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Murasame beginnt, Seetang zu harken und in einen Eimer zu füllen. Zögernd folgt ihr Matsukaze. Geräusch einer vorbeiziehenden Windböe.

Murasame (verschämt) Salz …

Murasame Rauer Wind …

Matsukaze -zige Sehnsucht.

Matsukaze (verträumt) zischt vorbei wie ein wütendes Tier …

Eine Welle schlägt ans Ufer.

Murasame ist kalt! Bis auf die Knochen.

Matsukaze »Stürmisch blasender Herbstwind« sang Yukihira … Bei dem Wort »Yukihira« hält Murasame inne. Matsukaze Yukihira … Chor »Stürmisch blasender Herbstwind, der, vom Meer kommend, einem ungeheuren Atem gleich über den Strand von Suma fegt, am Salzhaus vorbei, durch die Wiesen im Tal bis ins Hinterland, gen Osten …« Matsukaze gen Osten … zur Hauptstadt.

Murasame Die Flut! Weiter, die Zeit drängt. Matsukaze und Murasame nehmen sich Schöpfkellen und beugen sich nebeneinander über das Wasser. Murasame Scham erfüllt, mein Spiegelbild … Matsukaze (wiederholt) mein Spiegelbild … Matsukaze und Murasame … taucht auf, verschwindet, schnell … Matsukaze Wie die Wasserlachen, die verdunsten in der heißen Sonne. Murasame So wie der Tau auf Grashalmen im Morgenlicht vergeht.

Matsukaze dreht sich um und sieht, dass Murasame weint. Matsukaze geht auf Murasame zu und streicht ihr die Tränen aus dem Gesicht. 26

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Murasame (zornig) Wo ist die Sonne, die uns erlöst? Hier im Schlamm, wo der Seetang fault, riecht wie unsere Ärmel, Hände …

Matsukaze (plötzlich sanft) Wie hell auf einmal der Mond. Als hätte sich die Sonne in den Mond gegraben … Matsukaze fasst Murasame am Ärmel, zeigt auf die Kiefer erleuchtet er die Kiefer.

Matsukaze und Murasame Wir! Faulen an der Küste von Suma.

Murasame starrt zu Boden, schaut nicht auf die Kiefer.

Matsukaze Was für ein Leben …

Matsukaze Die immer grüne, nie verblühende –

Matsukaze und Murasame Immer weiter dreht sich das Rad in die Nacht.

Murasame reißt sich los Schweig!

Matsukaze Käfig! Stäbe überall Wände Arme umschlungene Stäbe … Arme umschlungene Arme.

Murasame Festgefahren, verbannt … zwischen Meer und Land.

Kein Leben! Zu eng zum Leben faulen wir dahin.

Kein Leben! Zu kalt zum Leben faulen wir dahin.

Es wird Nacht. Das letzte Tageslicht schwindet, dafür tritt das weiße Mondlicht stärker hervor.

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Matsukaze Kiefer … Murasame betrachtet Matsukaze, folgt deren Blick und sieht die Kiefer. Murasame (zart) Wie Schnee. Reiner Schnee. Murasame schaut auf zum Mond. Murasame Lass uns schöpfen! Reines Licht … Matsukaze und Murasame beginnen, die Eimer mit Meerwasser zu füllen.

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Matsukaze und Murasame Schöpfen das helle Licht … Lass uns schöpfen … schöpfen … Matsukaze (erfreut) Der Mond selbst in meinem Eimer!

III Nacht

Der Mönch schläft vor dem Eingang des Salzhauses. Matsukaze und Murasame nähern sich dem Salzhaus, der Mönch wacht auf. Mönch Seid ihr die Bewohner des Salzhauses? Matsukaze und Murasame nicken.

Murasame In meinem Eimer!

Mönch Kann es einem müden Wanderer ein Dach gewähren für die Nacht?

Matsukaze und Murasame blicken sich an, schauen dann hoch zum Mond.

Matsukaze Diese Hütte kann keinen Menschen aufnehmen.

Matsukaze und Murasame Ein Mond in vielen Wassern … (sanft) Mein Mond.

Mönch Sie scheint groß genug.

Matsukaze und Murasame nehmen ihre Eimer und stellen sie auf dem Karren ab. Matsukaze und Murasame (fröhlich) Heute Nacht tragen wir den Mond mit uns nach Hause. Murasame Wie hell sie sein kann – Matsukaze und Murasame die Nacht am Meer. Matsukaze und Murasame machen sich auf den Weg, sie ziehen den Karren schneller und beschwingter als zu Beginn der Szene.

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Murasame Sie ist schäbig und kalt. Mönch Ein Mönch braucht kein samtenes Kissen. Murasame (überrascht) Ein Mönch? Mönch Aus der Hauptstadt … Matsukaze Der Hauptstadt?! Mönch wandere ich jedes Jahr in eine andere Provinz unseres Landes.

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Murasame Um zu beten? Mönch Für die Lebenden und die Toten. Matsukaze und Murasame schauen einander an und wenden sich dann an den Mönch. Murasame Bitte – Matsukaze Seien Sie unser Gast. Mönch Ich danke euch Salzfrauen. Der Mönch, Matsukaze und Murasame betreten das Salzhaus. Der Mönch betrachtet die Schwestern. Mönch Gesichter, einander so ähnlich, wie einmal gezeichnet in die Zeit. Das Geräusch einer Windböe. Murasame Der Wind … Matsukaze Hier auf Suma fegt er im Herbst »einem ungeheuren Atem gleich am Salzhaus vorbei, durch die Wiesen im Tal bis ins Hinterland, gen Osten …« So sang Yukihira. Ihr kennt den Namen? 32

Mönch (nickt) Sein Gedicht auf der Kiefer, über dem Grab. Chor »Heute ist die Stunde des Abschieds, die Tore der Hauptstadt erwarten mich, (mit Matsukaze und Murasame) doch höre ich deine Sehnsucht rufen, Geliebte – kehre ich zurück.« Mönch Das waren seine Worte. Matsukaze und Murasame beginnen zu weinen. Mönch Ihr weint? Matsukaze und Murasame Yukihiras Worte wecken die Sehnsucht … Murasame Und Tränen, die sündhaft sich klammern an die Welt. Mönch Tränen, die sündhaft sich klammern an die Welt? Lebende sprechen nicht in solchen Worten … Was ist mit euch? Ihr glüht. Matsukaze und Murasame Wo Liebe innen brennt, strahlt sie bis nach außen, 33


Matsukaze flammt auf weit – verlangt: Yukihira! Murasame Der, bevor er in die Hauptstadt ging, Matsukaze uns sein Gedicht hinterließ. Mönch Euch? Wann? Murasame Matsukaze Beschämend … Aber wahr … Matsukaze und Murasame Yukihira hinterließ Chor … vor mehreren hunderten Jahren am Tage seines Abschiedes von Suma … Matsukaze Matsukaze Chor und Murasame Murasame Chor … sein Gedicht. Mönch Die Schwestern … Der Mönch betrachtet Matsukaze und Murasame. 34

Mönch Geister! Matsukaze Glühen … Murasame verlangen: Matsukaze und Murasame Yukihira! Hier auf Suma drei Jahre lang, sein Duft, seine Hände, sein Gesang. Den vollen Mond im Blick gab er uns Namen Chor Matsukaze … Murasame … Murasame … unvergessliche Nacht. Matsukaze Mädchen, verwandelt in Frauen, Murasame verwandelt unser salziges Gewand Matsukaze in Seide, die leuchtet Murasame im Morgenlicht Matsukaze purpurrot Murasame indigoblau.

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Chor Dann der Tag des Abschieds: »Die Tore der Hauptstadt erwarten mich.« Die Hauptstadt, aus der wenig später die Nachricht kam:

Matsukaze (emphatisch) Das Herz –

Murasame erkrankt,

Murasame (unterbricht) Lernt nicht! Matsukaze (unbeirrt) Wahrhaft …

Matsukaze verstorben.

Murasame unmöglich

Matsukaze Murasame Welch Schmerz! Brennende Liebe! Entrissen, Yukihira, für immer … erwartet … Unmögliches Wiedersehen in dieser Welt … treibt … Ärmel feucht von Tränen, Ärmel feucht von Salz, immerfort zu ihm. Tag für Tag. Nacht für Nacht.

Matsukaze starke Sehnsucht.

Matsukaze Yukihira

Murasame sieht den Mönch an. Mönch (streng) Sündig –

Murasame rennt auf den Mönch zu und fällt vor ihm auf die Knie. Murasame Beten Sie! Für uns Schwache … Beten Sie für Erlösung zweier erschöpfter Seelen … (Murasame winkt Matsukaze zu sich heran) Frieden! Matsukaze reagiert nicht. Murasame winkt wütend ihre Schwester herbei, macht ihr ein Zeichen, sich neben sie zu knien. Murasame Frieden! Matsukaze verlässt einfach den Raum. Murasame starrt ihr nach.

Murasame verharren wir Mönch im falschen Leben! 36

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IV Tanz

Matsukaze kehrt zurück, einen Hut auf dem Kopf und einen Mantel in der Hand. Sie lässt bei ihrer Rückkehr eine Tür offen, durch die der Mond zu sehen ist. Matsukaze Yukihira zog am Tag seines Abschieds den schon aufgesetzten Hut wieder ab, nahm seinen Mantel und sprach: Bewahrt meinen Mantel und Hut als Pfand bis zum Tag meiner Rückkehr. Matsukaze geht auf den Mönch zu und hält ihm den Mantel hin. Matsukaze In der Hauptstadt gewebt von zarten Händen, fühlen Sie! Der Mönch berührt vorsichtig den Mantel. ­ atsukaze M Sein Mantel … Murasame rennt auf Matsukaze zu und versucht, ihr den Mantel aus der Hand zu reißen. Murasame Nie! Wirst du vergessen – so! Gefangen. (zerrt an dem Mantel) Gib frei! Murasame merkt, dass sie den Mantel nicht bekommen kann und weicht zurück. Matsukaze zieht sich den Mantel an. Sie steht jetzt im Mondlicht, das von draußen einfällt. Matsukaze Gehüllt in seinen Mantel schritt Yukihira 38

im hellen Mittag die Treppe des Palasts hinab … (langsam nach draußen gehend) wandert durch Alleen, kirschblütenweiß, über den Hügel, am Tempel vorbei … Bis zu den Toren der Stadt, hinaus, gen Westen zieht es ihn, zur Küste, den stürmischen Wogen, zum Meer! Laufen, bis die Sonne verschwindet, zum Meer, das rauscht im Dunkel der Nacht. Matsukaze sieht den Strand im Mondlicht. Matsukaze Da! Am Strand die Kiefer … Yukihira winkt mir, winkt, ruft: Kiefernwind! Murasame Nein! Schwester – Mönch Wahnsinn … Murasame Grausame Verwirrung, die Kiefer dort ist nicht Yukihira!

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Matsukaze Törichte Worte. Das Salz hat dich blind gemacht für ihn. Schau.

Matsukaze und Murasame tanzen einen ekstatischen Tanz. Ihre Rufe gehen über in die Geräusche von Regentropfen und Wind. Dunkelheit.

Matsukaze nimmt Murasame mit unter den Mantel und setzt ihr den Hut auf den Kopf. Murasame (plötzlich) Yukihira! Im Schatten der Kiefer, hebt die Hand, winkt! Wie wahr … Chor »doch höre ich deine Sehnsucht rufen, Geliebte – kehre ich zurück.« Matsukaze und Murasame gehen, einen Schatten werfend, auf die vom Mondlicht beschienene Kiefer zu. Matsukaze und Murasame Yukihira hier auf Suma Tau Salz Verlangen Wind Regen Tränen … Matsukaze und Murasame kommen im Schatten der Kiefer an. Matsukaze und Murasame Yukihira! Endlich da! da – ah – a … 40

V Morgenrot

Geräusche von heftigem Regen und Sturm, tosende Wellen. Langsame Dämmerung. Der Strand sieht aus wie zu Beginn: kein Salzhaus, nur die Kiefer am Strand. In der Ferne die felsige Küste und der Kiefernhain. Der Mönch schläft an genau der Stelle, an der er am Ende der ersten Szene eingeschlafen ist. Der Mönch wacht auf, schaut sich um, spürt den Wind. Mönch Erwacht aus tiefer Nacht … Wind in den Ästen der Kiefer. Der Mönch setzt seine Wanderung fort, verlässt den Strand. Chor Letzte Regentropfen auf den Nadeln der Kiefer, glänzen im Morgenlicht, vergehen im Sonnenschein, bis Wind allein weht in den Kiefern … Wind in den Kiefern … Wind … Kiefern Wind … Geräusche des wehenden Windes. Ende

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Nô – Ein traumhaftes Spiel Nô – A Divine Game Christian Haase

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Japanese Nô Theatre is a complex synthesis of the arts combining dramatic poetry, song, music and dance. At present the repertoire of this stage tradition consists of approximately two hundred works, which are preserved and sustained by five Nô schools. Nô Theatre works derive predominantly from the Japanese Middle Ages. Even today they are performed almost unaltered and then they are often based upon still earlier Japanese legends and myths. The themes and treatments of the texts are arranged in five categories: 1. Divine Drama; 2. Male Drama (military action); 3. Female Drama (love drama); 4. Dramas Concerning Madness (contemporary issues); and 5. Monster Drama (acts of demons drawn from Japanese mythology). The décor and presentation too are deeply rooted in Japanese religions, rituals and cultural traditions. The layout of the stage is in most cases identical. From the entry proceeds a small bridge (»hashigakari«) with a railing that leads at right angles to an approximately six by six metre main stage bounded by four pillars. Stage backdrop is a painted old pine tree substituting for the holy pine tree at the »Kasuga shrine« and signifying a divine appearance; already in the Middle Ages sacred plays were presented beneath this pine. The sparse performance area is marked out and all involved (dancers, musicians and choir) are assigned designated places and movement sequences. In total contrast to the simplicity of the stage are the dancers costumes, headpieces and masks; one could scarce exaggerate their complexity and value. These extravagant garments radiate uncanny beauty and confer a majestic dignity upon the wearer. Even the theme of the drama can be reflected in the colour, pattern and cut of the costumes. The traditional handmade masks serve to reinforce the treatment —the exclusively male dancers perform the role of a woman or old demons— they are so conceived as to reveal diverse facial expressions depending how the mask is inclined. Minute openings in the masks inhibit the dancers’ vision while the substantial weight of the costumes significantly impedes movement.

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Das japanische Nô-Theater ist ein komplexes Gesamtkunstwerk, das dramatische Dichtung, Gesang, Musik und Tanz vereinigt. Ca. 200 Theaterstücke gehören heute zum Repertoire dieser Bühnentradition, die von fünf Nô-Schulen bewahrt und fortgeführt wird. Der überwiegende Teil der Nô-Stücke stammt aus dem japanischen Mittelalter, bis heute werden sie nahezu unverändert aufgeführt und basieren nicht selten auf noch älteren japanischen Legenden und Mythologien. Die Themen und Handlungen der Texte werden in fünf Kategorien unterteilt: 1. Göttliche Dramen, 2. Männliche Dramen (kriegerische Handlung), 3. Weibliche Dramen (Liebesdramen), 4. Dramen vom Wahnsinn (zeitgenössische Themen) und 5. Ungeheuer-Dramen (Handlungen von Dämonen der japanischen Mythologie). Tief verwurzelt in japanischen Religionen, Ritualen und kulturellen Traditionen sind auch die Ausstattung und Abläufe der Aufführungen. So ist die Form der Bühne praktisch immer gleich. Von einer Eingangstür erschließt eine schmale Brücke (»hashigakari«) mit Geländer die Hauptbühne, die ca. sechs mal sechs Meter groß durch vier Pfeiler begrenzt ist. Als Bühnenhintergrund fungiert eine gemalte alte Kiefer, die als Zeichen göttlicher Erscheinung gilt und als Ersatz der heiligen Kiefer am »KasugaSchrein« fungiert. Schon im Mittelalter wurden unter dieser Kiefer sakrale Spiele abgehalten. Die karge Spielfläche ist ein mehrfach markierter Raum, der allen Mitwirkenden (Tänzer, Musiker und Chor) einen festen Platz zuweist und Bewegungsabläufe vorgibt. Im völligen Gegensatz zur Einfachheit der Bühne stehen die Kostüme, Kopfbedeckungen und Masken der Tänzer. Sie sind an Komplexität und Wert schwer zu übertreffen. Die äußerst prunkvollen Gewänder der Tänzer strahlen eine eigentümliche Schönheit aus und verleihen den Trägern eine majestätische Würde. Sogar das Thema des Dramas kann sich in Farbe, Muster und Schnitt des Kostüms widerspiegeln. Auch die traditionell von Hand gefertigten Masken können handlungsunterstützend wirken. Den ausschließlich männlichen Tänzern erlauben sie in die Rolle einer Frau, eines Alten oder Dämonen zu treten, sie sind so konzipiert, dass sich je nach Neigung der Maske unterschiedliche Gesichtsausdrücke zeigen. Die winzigen Öffnungen der Maske ermöglichen dem Tänzer jedoch nur eine sehr eingeschränkte Sicht, zusätzlich erschwert das hohe Gewicht des Kostüms das Bewegen im Raum erheblich.

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The Nô public too must contend with difficulties. Texts are cryptic and only after repeated reading does the meaning become apparent; even to most Japanese the language is archaic and incomprehensible. The stringency of the procedure and the emphatically slow, stylised and symbolic movements require initiation while the choral music resembles shamanic chanting and rhythm in that it contributes to the understanding of the plot. The viewer feels more like a participant in a hallowed game or ritual prayer rather than a spectator to dramatic action, which is why Nô may seem strange, abstract and perhaps inscrutable from a European’s perspective. Nô Theatre cannot be compared with any living European theatre form though as multimedia total work of art parallels to opera can be drawn. The perennial narrative themes, such as the overcoming of attachments (say, to an unhappy love), the conjunction of this world and the hereafter, or the wish to purify the soul, explain the timelessness of Nô and account for the abiding interest in this most traditional form of theatre. The power of Nô Theatre lies in the recurring vision of calm and strength, nature and the human being. Nô takes one to far away places.

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Auch der Besucher einer Nô-Aufführung hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Text erscheint kryptisch und erschließt sich erst durch mehrfaches Lesen, die Sprache ist altertümlich und selbst für die meisten Japaner unverständlich. Die Strenge des Ablaufs und die betont langsamen, stilisierten und symbolhaften Bewegungen bedürfen einer Einführung und die chorische Musik erinnert eher an schamanische Gesänge und Rhythmen, als dass sie zum Verständnis der Handlung beitragen. Vielmehr fühlt sich der Besucher als Teilnehmer eines traumhaften Spiels oder rituellen Gebets und viel weniger als Zuschauer einer dramatischen Handlung. Gründe, weshalb das Nô aus europäischer Perspektive befremdlich, abstrakt und schwer zugänglich erscheinen mag. Vergleichen lässt sich das NôTheater mit keiner lebendigen europäischen Theaterform, als multimediales Gesamtkunstwerk lassen sich jedoch Parallelen zur Oper ziehen. Die zeitlosen Themen der Handlung, wie das Überwinden von Anhaftungen, z. B. an eine unglückliche Liebe, die Verbindung von Diesseits und Jenseits oder der Wille zur Reinigung der Seele, machen das Nô zeitlos und erklären das ungetrübte Interesse an dieser überaus traditionellen Theaterform. Die Stärke des Nô-Theaters ist ein immer wiederkehrendes Bild von Stille und Kraft, Natur und Mensch. Das Nô führt in ein fernes Erleben.

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Schönheit in der Vergänglichkeit Beauty in Impermanence Sasha Waltz und Toshio Hosokawa im Gespräch mit Ilka Seifert über die choreographische Oper »Matsukaze«, über Schöpfungsprozesse und über die Katastrophe in Japan Sasha Waltz and Toshio Hosokawa in conversation with Ilka Seifert regarding the choreographic opera »Matsukaze«, creative processes and the catastrophe in Japan.

Das nachfolgende Gespräch fand am 15. März 2011 im Berliner Radialsystem V statt, wenige Tage nach dem schweren Erdbeben vor der Küste Japans. Der anschließende Tsunami und die täglich neuen, schrecklichen Nachrichten aus Fukushima beschäftigen alle nachdrücklich. Toshio Hosokawa hatte zuvor eine der ersten Proben der Tänzer gemeinsam mit den Sängern des Vocalconsort Berlin besucht. Zu Beginn unseres Gespräches über die neue Oper »Matsukaze« schiebt sich das reale Unglück des aktuellen Japan vor das mythische Schicksal und die Seelenreinigung der beiden Schwestern Matsukaze und Murasame aus dem gleichnamigen Nô-Stück.

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This conversation took place March 15, 2011 at Berlin’s Radialsystem V just a few days after the powerful earthquake off the coast of Japan. The ensuing tsunami and the dreadful daily news updates from Fukushima affected everyone greatly. Toshio Hosokawa had earlier attended one of the initial rehearsals incorporating the dancers and the singers of the Vocalconsort Berlin. At the outset of the exchange concerning the new Opera »Matsukaze« the present-day calamity in Japan took precedence over the mythical fate and the purification of the souls of the sisters Matsukaze and Murasame from the eponymous Nô theatre play. Ilka Seifert (IS) — The human being in accord with Nature – to be sure, this yearning plays a part in the opera »Matsukaze«, but what questions arise for you now considering the catastrophe in Japan? Toshio Hosokawa (TH) — The tsunami demonstrated most impressively how far from Nature humans have strayed. All the debris riddled with automobiles and other industrial products; an ugly sight to bring us pause. Previously, tsunamis did not leave behind such artificial detritus. People lived in houses made of wood and paper. All that was destroyed reverted to Nature. Our life is closely interwoven with Nature, which in Japan is capricious. We venerate her beauty and fear her equally. Perhaps this derives from Shinto — this ancient religion teaches us that we are but a part of Nature … of the tree, of the water and so on. Out of this understanding —to live in harmony with Nature— it is hard for us to stand up to the environment. We think in terms of community, rather less as separate identities. Yes, we Japanese should be clear that nuclear power does not go with Nature. Sasha Waltz (SW) — With nuclear power, it is a question of, as I understand it, respect for Nature. Respect engenders harmony and unity. When ignored, Nature displays her violent aspect. Needless to say, in the last days I have pondered whether I, as a consequence of this catastrophe, in regard to »Matsukaze« as well, should reconsider everything and respond. »Matsukaze« evokes the heaving seas, the waves; images of the tsunami come to mind. But »Matsukaze« is principally about love. Love undergoes a transformation into the 74

Ilka Seifert (IS) — Der Mensch im Einklang mit der Natur – die Sehnsucht danach spielt zwar auch in der Oper »Matsukaze« eine Rolle, aber welche Fragen stellen sich Euch jetzt angesichts der Katastrophe in Japan? Toshio Hosokawa (TH) — Dieser Tsunami hat uns eindrücklich vor Augen geführt, wie weit sich der Mensch von der Natur entfernt hat. All dieser Schutt, gespickt mit Autos und anderen Industrieprodukten. Ein hässlicher Anblick, der uns zu denken geben sollte. Früher hinterließen die Tsunamis nicht diesen künstlichen Schutt. Die Menschen wohnten in Häusern aus Holz und Papier. Was zerstört wurde, kehrte zurück in den Naturkreislauf. Unser Leben ist eng mit der Natur verwoben, die in Japan unberechenbar ist. Wir bewundern ihre Schönheit und haben gleichermaßen große Ehrfurcht vor ihr. Vielleicht stammt das aus dem Shintoismus: Diese uralte Religion lehrt uns, dass wir nur ein Teil der Natur sind – ein Teil des Baums, ein Teil des Wassers und so weiter. Aus diesem Selbstverständnis, in Harmonie mit der Natur zu leben, fällt es uns schwer, gegen unsere Umwelt Widerstand zu leisten. Wir denken im Sinne der Gemeinschaft, weniger an das eigene Ich. Doch uns Japanern sollte klar werden, dass die Kernkraft nicht zur Natur gehört. Sasha Waltz (SW) — Bei der Kernkraft geht es, wie ich es verstehe, um den Respekt vor der Natur. Der Respekt erzeugt die Harmonie und die Einheit. Wenn man ihn ignoriert, dann zeigt sich die Natur auch von ihrer gewalttätigen Seite. Natürlich habe ich in den letzten Tagen überlegt, ob ich nach dieser Katastrophe auch bezogen auf »Matsukaze« alles neu überdenken und darauf reagieren muss. Es geht ja auch in »Matsukaze« um das tosende Meer, die Wellen. Man wird die Bilder des Tsunami dabei im Kopf haben. Aber in »Matsukaze« geht es vor allem um die Liebe. Die Liebe wird ins Unmögliche gewendet und dadurch bleiben die Schwestern unerlöst. Das Anhaften an die Liebe verhindert die Erlösung, es geht um die dunkle Seite der Liebe. IS — Wie ist das, Toshio, genau, mit diesem Begriff der Anhaftung im Buddhismus? Bedeutet alle Liebe letztlich eine Anhaftung? Für mich ist die Liebe ein positiv 75


impossible and thus the sisters are not released. The attachment to love precludes deliverance; it’s about the shadow side of love. IS — How is it, Toshio, specifically with the term attachment in Buddhism? Does all love finally denote attachment? For me love is a positive feeling, a vitalising energy. From a Buddhist point of view, is the desire for love always in effect something that must be overcome? TH — According to the Buddhist understanding humans are sinners; that is why all people have desire. It’s a given. IS — »Matsukaze« is an account of two sisters in love with the same man. Because their yearning remains unfulfilled, long after having died they return as ghosts to be among the living, time and again; it is less about jealousy … SW — No, I don’t have that impression either. It is not at all about jealousy. They share this love. They could almost be one person. TH — While composing I went so far as to think that theirs is a Yin Yang relationship; as though they are two sides of one and the same woman, they complement one another. SW: But in relation to love, sin is surely a very strong term. This piece is more than 600 years old. Would you say that Buddhism today still holds to this principle? Or have things moved on to a more open attitude? TH — I believe the human spirit does not change; there is no such development with Buddhism. The 15th century was a difficult time in Japan, with continual war and many deaths. Zeami (1363–1443), author of »Matsukaze«, himself suffered a troubled fate. When young, he was greatly revered for he was handsome. He enjoyed great success as a Nô performer, but was later forced into exile; at the end of his life he was banished to an island. IS — The material itself, which Zeami consolidated, is actually much older. Are Nô works always at root concerned with the same theme? Is it always ghosts unable to free themselves from an attachment? TH — There exist many kinds of Nô works. Those that are for me the most beautiful tackle precisely this problematic, liberation from attachments. By way of music, singing and dance they are released. This is for me a most important 76

besetztes Gefühl, eine große Lebensenergie. Ist das Liebesbegehren aus buddhistischer Sicht tatsächlich immer etwas, das es zu überwinden gilt? TH — Im buddhistischen Verständnis sind alle Menschen sündig. Daher haben alle Menschen Begierden. Das ist von Anfang an so gegeben. IS — In »Matsukaze« geht es um zwei Schwestern, die denselben Mann lieben. Weil ihre Sehnsüchte unerfüllt blieben, kehren beide lange nach ihrem Tod immer wieder als Geister zu den Lebenden zurück. Um Eifersucht geht es dabei aber weniger … SW — Nein, das Gefühl habe ich auch nicht. Es geht überhaupt nicht um Eifersucht, sie teilen sich diese Liebe. Es könnte fast eine Person sein. TH — Beim Komponieren habe ich sogar gedacht, dass sich die beiden wie Yin und Yang zueinander verhalten, sie sind wie zwei Seiten von ein und derselben Frau, sie ergänzen sich. SW — Aber der Begriff Sünde ist schon sehr stark im Verhältnis zur Liebe. Es ist ja ein Stück, das über 600 Jahre alt ist. Würdest du trotzdem sagen, das auch der heutige Buddhismus es so begreifen würde? Oder hat er sich gewandelt und es gibt jetzt eine offenere Einstellung dazu? TH — Ich glaube, dass sich das menschliche Wesen nicht verändert. Es gibt keine solche Entwicklung im Buddhismus. Das 15. Jahrhundert war auch in Japan eine schwierige Zeit, es gab viele Kriege und viele Tote. Zeami selbst, [der Autor von »Matsukaze« (1363–1443)] hatte ein schweres Schicksal, er wurde in seiner Jugend sehr verehrt, weil er ein schöner Mann war, er feierte als Nô-Darsteller große Erfolge und musste später ins Exil. Am Ende seines Lebens wurde er auf eine Insel verbannt. IS — Die Stoffe selbst, die Zeami zusammengetragen hat, sind ja noch viel älter. Haben die Nô-Stücke eigentlich immer im Kern das gleiche Thema? Geht es immer um Geister, die sich von einer Anhaftung nicht befreien konnten? TH — Es gibt ganz verschiedene Nô-Stücke; die für mich schönsten und wichtigsten Stücke behandeln genau diese Problematik der Loslösung von Anhaftungen. Durch die Musik, den Gesang und den Tanz werden sie davon erlöst. Das ist für mich persönlich ein sehr wichtiger Aspekt. 77


aspect. Through composition I myself wish to liberate myself from such attachments. It’s a religious, very Buddhist approach. IS — Meaning, the treatment of this material is profoundly interwoven with Japanese culture. How do you relate, Sasha, to such material, recounting the contact between this life and the beyond, stuff about ghosts? SW — For me this is strongly expressed by a feature of the stage design. Together with the Japanese artist Chiharu Shiota I developed an installation made of black thread. This net represents for me non-reality, the spirit world, the being caught between worlds. What is liberation? The merging with Nature. In the course of the piece I can put it aside, but owing to the black something is established whereby we are dealing with ghosts. This walking of the tightrope betwixt reality and dream: The monk falls asleep and is in fact dreaming, but then again is not dreaming as the ghosts do actually materialise. The monk wakes, but in reality he still sleeps. At first, this all is very foreign to us. Initially, while we were only thinking about it, it was awkward; doing the actual work, this issue was clearly resolved for me. I can then readily shift to the qualities of movement, the bodily states. Later on, in contrast, the stage opened up with a clear-cut architectonic construction of wood designed by Pia Maier Schriever to this purpose. What you saw at the rehearsal today are for me no people. It’s all Nature … everything … oneness … Only the monk and the Fisherman are human. Nature and the movements of the dancers are for me simply a link. I want to come to the place where the bodies transcend their form, that they exhibit energy alone, that something ghostly appears. IS — That also means that the dancers never depict reality. They are a framework. They are ghosts or they are Nature … SW — I struggled situating the monk relative to the dancers. And now too, where I position the Fisherman, they are not human beings. At first I worked with the elements tree, water, wind and birds. TH — That’s wonderful, and very Buddhist! 78

Durch das Komponieren möchte ich mich selbst von solchen Anhaftungen befreien. Das ist eine religiöse, sehr buddhistische Angelegenheit. IS — Das heißt, der Umgang mit diesen Stoffen ist zutiefst mit der japanischen Kultur verwoben. Wie gehst du, Sasha, mit einem solchen Stoff um, in dem es um den Kontakt des Diesseits mit dem Jenseits geht, einem Stoff, in dem es um Geister geht. SW — Für mich drückt sich das ganz stark durch einen Aspekt des Bühnenbildes aus. Mit der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota habe ich eine Installation aus schwarzen Wollfäden entwickelt. Dieses Netz repräsentiert für mich die Nicht-Realität, die Geisterwelt, das Hängenbleiben zwischen den Welten. Was ist die Erlösung? – Das Aufgehen in der Natur. Im Verlauf des Stückes kann ich es auch wieder weglassen, aber durch dieses schwarze Etwas etabliert sich, dass wir es mit Geistern zu tun haben. Diese Gratwanderung zwischen Realität und Traum: Der Mönch schläft ein und träumt eigentlich, aber träumt dann doch nicht, denn die Geister erscheinen ja tatsächlich. Der Mönch wacht auf, aber er schläft eigentlich noch. All das ist für uns erst einmal sehr fremd. Am Anfang, als wir nur darüber nachgedacht haben, war es schwierig. In der konkreten Arbeit erschließt sich diese Problematik für mich sehr deutlich. Ich kann dann sehr gut in den Bewegungsqualitäten, den körperlichen Zuständen wechseln. Später öffnet sich dann die Bühne im Kontrast dazu in eine sehr klare architektonische Holzkonstruktion, die Pia Maier Schriever dafür entworfen hat. Was du heute in der Probe gesehen hast, sind für mich auch alles keine Menschen. Es ist alles Natur, das All, die Einheit. Der Mönch und der Fischer sind darin die einzigen Menschen. Die Natur und die Bewegungen der Tänzer sind für mich nur ein Bogen. Dahin möchte ich kommen, dass sich ihre Körper über ihre Form hinausheben, dass sie nur diese Energie darstellen, dass sich etwas Geistiges zeigt. IS — Das bedeutet auch, dass die Tänzer und Tänzerinnen nie Realität darstellen. Sie sind Rahmen, sie sind Geister oder sie sind Natur … 79


SW — And at the beginning there is the calligraphy. To begin I want by means of the script to open out the space to first surface, then the depths, on to Nature. IS — Toshio, in another interview you compare composition to calligraphy, whereby out of the air the brushstroke is applied to emptiness, grows, takes on form and then disappears into nothingness once more. Music comes out of silence and then returns to it. TH — As to the whole composition of »Matsukaze«, the singers’ voices are born of the spirit of calligraphy. It is like the always new placement of the brush. With the monk for instance, the little grace notes preceding the tone … but the flutes too, the strings of the orchestra, all sing and play calligraphic figures. SW — Was the calligraphy evident to you in the prelude? Or what was your first association? TH — More than anything I find it marvellous how you enable especially Matsukaze and Murasame, who are trapped in a frightful destiny, to gain a new perspective by way of dance. Their bodies are mired in relationships. In Buddhism one speaks of EN. It is an important term describing the relationships in which we are all connected to each other. Why am I here? I have an EN with both of you. Often our bodies are totally entangled in these threads. To free oneself from this is part of our artistic endeavour. You have very accurately elaborated this Buddhist EN, a Japanese would immediately understand. IS — You have described composition as a process that involves liberation. How would you, Sasha, portray your work as an artist? SW — The creative act, when positive, can bring a kind of release or ease, but it can also be an unbelievable burden. When I struggle to find images or a composition then I have the feeling that everything becomes even more restricted. I sense two distinct directions with the creative process: One must somehow be born, like a voice that wants to come. But sometimes I feel it like an actual bodily weight so that I suffer tension and headache, get gloomy. It depends which piece I am working on at the time. »Matsukaze«, for instance, I find to be very demanding in this regard. (Toshio smiles.) SW — Don’t you think? 80

SW — Ich hatte Schwierigkeiten, den Mönch mit den Tänzern zu besetzen und auch da, wo ich jetzt den Fischer einbaue, sind sie keine Menschen. Ich habe erst einmal mit den Elementen der Bäume, des Wasser, des Windes und der Vögel gearbeitet. TH — Das ist wunderbar und sehr buddhistisch! SW — Und am Anfang steht die Kalligraphie. Am Anfang wollte ich über die Schrift den Raum erst von der Fläche her in die Tiefe öffnen und dann in die Natur. IS — Toshio, Du hast in einem anderen Interview das Komponieren mit der Kalligraphie verglichen, deren Pinselstrich im Nichts aus der Luft einsetzt, wächst, Kontur annimmt und dann wieder im Nichts verschwindet. Die Musik entsteht aus der Stille und geht wieder in sie zurück. TH — In der ganzen Komposition von »Matsukaze« sind die Stimmen der Sänger aus dem Geist der Kalligraphie geboren. Es ist wie das immer neue Ansetzen des Pinsels, beim Mönch z. B. die kleinen Vorschläge vor dem Ton, aber auch die Flöte, die Streicher im Orchester, alle singen und spielen kalligraphische Figuren. SW — Wurde dir die Kalligraphie im Vorspiel deutlich oder was war deine erste Assoziation? TH — Wunderbar finde ich vor allem, wie du gerade Matsukaze und Murasame, die in ein schweres Schicksal verwoben sind, durch den Tanz eine neue Perspektive gewinnen lässt. Ihre Körper sind verstrickt in Beziehungen. Im Buddhismus spricht man vom EN. Es ist ein wichtiger Begriff für die Beziehungen, mit denen wir alle miteinander verbunden sind. Warum bin ich hier? Ich habe ein EN mit jeder von euch beiden. Unsere Körper sind oft ganz in diese Fäden eingesponnen. Sich davon zu befreien ist ein Teil unserer künstlerischen Arbeit. Dieses buddhistische EN hast du sehr genau erarbeitet. Japaner werden das sofort so verstehen. IS — Du hast das Komponieren als einen Vorgang beschrieben, in dem es dir um Erlösung geht. Wie würdest du, Sasha, deine künstlerische Arbeit beschreiben? SW — Der schöpferische Akt kann im Positiven eine Art von Befreiung oder Erleichterung geben, aber er kann auch unglaublich beschweren. Wenn du damit kämpfst, 81


TH — Composing »Matsukaze« was real fun. Naturally it is strenuous, but for me it was very nice work. When you have this heavy feeling, then ultimately the opera educes an even greater depth thereby. SW — Yes, one needs to push through the darkness and afterwards, the way, hopefully, opens. TH — Without such torments art could not be so powerful and deep. One needs this anguish. IS — Is it matter of the specific work or is it particular to each individual creative process? And do you have the impression that the dancers and singers are included in this process? Do they mirror these feelings? SW — No, I don’t believe they experience the same process. They feel it energetically in that they, for instance, become physically tired, but they are not subject to the same processes emotionally. Each has their own relation to it. Theirs is much more playful, freer. They need this for their roles. The interpreters, the musicians for example, must be free of all this, they need to be at a certain remove. IS — The musicians are closer to the composition, bound to the score. Your choreography though stands equal, beside or in the music. When, over the last years, I regard your increasingly mature choreographic opera, in rehearsal as well, it seems to me that you start out namely with the music as inspiration, the process is initiated there. You then detach yourself from this to somewhat independently develop the choreography until to end you re-establish the bond with the music. Finally, the individual constituents, the dancers, singers, at times even the instrumentalists, come together in a new configuration. SW — So, for »Matsukaze« the musicians all remain in the pit. This time though, the fûrin [small, Japanese wind chimes] are used by both dancers and singers. TH — The fûrin are of metal and the metallic sound always has the function of purification with Buddhism. In Japan, New Years Eve we go to the temple and strike the great bells one hundred and eight times. Everywhere in the city the bells are rung. It sounds wondrous. You strike them yourself one hundred and eight times too as there are one 82

(Toshio lächelt.)

Bilder oder eine Komposition zu finden, dann habe ich eher das Gefühl, dass alles noch enger wird. Aber ich empfinde zwei unterschiedliche Richtungen im Schöpfungsprozess: Eine muss irgendwie geboren werden, wie eine Stimme, die kommen möchte. Aber manchmal empfinde ich es wie eine richtige, körperliche Last, so dass ich Verspannungen und Kopfweh bekomme, schwermütig werde. Das hängt auch von dem jeweiligen Stück ab, an dem ich arbeite. »Matsukaze« beispielsweise finde ich in dieser Hinsicht sehr schwer.

SW — Findest du nicht? TH — Die Komposition von »Matsukaze« hat mir viel Spaß gemacht. Natürlich ist es schwierig, aber für mich war es eine sehr schöne Arbeit. Wenn du dabei diese Last gefühlt hast, dann entwickelt diese Oper dadurch schließlich noch eine größere Tiefe. SW — Ja, man muss durch das Dunkel und danach öffnet sich dann – hoffentlich – der Weg. TH — Ohne solche Qualen könnte Kunst nicht so stark und tief sein. Man braucht diese Qualen. IS — Ist das abhängig von den einzelnen Stücken oder ist es nicht jedem schöpferischen Prozess eigen? Und hast du den Eindruck, die Tänzer und Sänger in diesen Prozess mit einzubeziehen. Spiegeln sie diese Gefühle? SW — Nein, ich glaube, sie erleben nicht den gleichen Prozess. Sie fühlen es energetisch, z. B. in dem sie körperlich müde werden, aber sie durchlaufen nicht emotional den gleichen Prozess. Sie haben jeder einen individuellen Bezug dazu. Es ist aber viel verspielter, viel freier. Sie brauchen das auch für ihre Rolle. Die Interpreten, die Musiker zum Beispiel, müssen davon eher frei sein, sie brauchen sogar eine gewisse Distanz. IS — Die Musiker sind enger an die Komposition, an die Partitur gebunden. Deine Choreographie aber steht als gleichberechtigte Größe neben oder in der Musik. Wenn ich die von dir in den letzten Jahren immer weiter entwickelte choreographische Oper auch in der Probenarbeit betrachte, scheint es mir, dass du zwar von der Musik ausgehst in der Inspiration, sie initiiert diesen Prozess. Danach löst du Dich aber erst einmal wieder von ihr und entwickelst die Choreographie in 83


hundred and eight desires. The New Year should begin cleansed. It’s better than fireworks. The metallic sound is able to purge spaces as well. IS — Where did the idea that you collaborate originate? TH — Peter de Caluwe of La Monnaie first made the suggestion. Though I already knew Sasha from my time at the Institute for Advanced Study in Berlin and had already seen a number of her works. IS — Did you have the feeling that choreographic opera as Sasha had developed is close to Nô? (This time Sasha laughs.) TH — The way it is presented these days I do not like Nô at all, I always fall asleep. There needs be new development. What I see nowadays has nothing to do with Nô Theatre as I imagine it. The subject matter, the ghosts, Nature interest me. IS — But not the strict form? Nô comes across as incredibly stylised, but it is also through and through arranged, seeking unity in all parts. SW — Yes, that tight interaction between music, orchestra, choir, soloists, staging, costume; and all of this with such extraordinary refinement. The concept of blending all the discrete elements into a total work of art once underlay, in its infancy, European Opera —also its aspirations— only it became increasingly static and the dance became ever further removed. With my choreographic opera dance is again on an equal footing, almost the dominant element even. TH — With European Opera the stiff movements of the singers have always disturbed me. In this regard Nô Theatre is a wonder as the singing, dancing and movement are integrated. Once Nô was a living art though. Present day Nô Theatre ossified into this stylisation during the Edo period at latest. It reflects the social constraints of those times; it no longer lives today. That goes as well for all the other arts such as the Tea Ceremony or Ikebana; they have stagnated. IS — »Matsukaze«, like other Nô Theatre works, is built on a timeframe that admits past, present and future simultaneously. How do you characterise this conception? 84

einer gewissen Eigenständigkeit, um sie am Ende wieder mit der Musik zusammenzuführen. Am Ende finden sich die einzelnen Elemente, die Tänzer, Sänger, manchmal sogar die Instrumentalisten in einer neuen Verdichtung zusammen. SW — Also bei »Matsukaze« bleiben die Musiker alle im Graben. Die Fûrin [kleine, japanische Windglocken] werden aber diesmal von beiden, von den Tänzern und den Sängern benutzt. TH — Die Fûrin sind aus Metall und der Metallklang hat im Buddhismus immer die Funktion der Reinigung. An Silvester gehen wir in Japan in den Tempel und schlagen die großen Glocken 108 Mal. Überall in der Stadt werden die Glocken geschlagen. Es klingt wunderbar. Man schlägt sie auch selbst 108 mal – weil es 108 schlechte Begierden gibt. Das neue Jahr soll gereinigt beginnen. Das ist besser als ein Feuerwerk. Der Metallklang vermag auch Räume zu reinigen. IS — Von wem ging eigentlich der Impuls zu dieser Zusammenarbeit aus? TH — Peter de Caluwe von La Monnaie hat als erster den Vorschlag gemacht. Ich kannte Sasha aber schon aus meiner Zeit am Berliner Wissenschaftskolleg und hatte schon einige Stücke von ihr gesehen. IS — Hattest du das Gefühl, dass die choreographische Oper, wie sie Sasha entwickelt hat, dem Nô nahesteht? (Diesmal lacht Sasha.) TH — So wie es heutzutage aufgeführt wird, mag ich das Nô gar nicht: Ich schlafe immer dabei ein. Man muss damit etwas Neues entwickeln. Was ich heute sehe, hat nichts mit dem von mir imaginierten Nô-Theater zu tun. Die Stoffe, die Geister, die Natur interessieren mich. IS — Aber nicht die strenge Form? Das Nô wirkt zwar unglaublich stilisiert, aber es ist auch durch und durch gestaltet und es sucht die Einheit aller Teile. SW — Ja, das enge Zusammenspiel von Musik, Orchester, Chor, Solisten, Bühne, Kostüm und all dies in unglaublicher Verfeinerung. Die Idee des Verschmelzens aller einzelnen Elemente zum Gesamtkunstwerk lag ja in den Anfängen und dem Anspruch nach auch einmal der europäischen Oper zugrunde. Sie ist dann nur immer statischer geworden und der Tanz hat sich immer mehr entfernt. Bei meiner 85


TH — Flowers provide a good model. Flowers are used for Ikebana also. Flowers soon die. They exemplify evanescence. Were flowers always there, they would no longer be beautiful; their withering demonstrates to us how beautiful and valuable life is. Zeami sought in accord with his aesthetic to distinguish the outstanding Nô performer with the epithet »flower«. This conveys our Buddhist perspective: Impermanence is beautiful. And so it is with music. Music sounds, but disappears quickly. Music is beautiful for it always lives in time. Music lingers in the heart, but is ephemeral. So too with »Matsukaze« — an incident occurs but once and invariably to the far side is death, silence, emptiness, space. And for that reason everything that we do must be beautiful. In contrast to Western art, which seeks to capture beauty as eternal and immutable, we find beauty here in the sadness of a life that decays and passes.

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choreographischen Oper tritt der Tanz nun wieder als gleichberechtigtes Element, fast sogar als dominante Größe hinzu. TH — Bei der Europäischen Oper haben mich immer die statischen Bewegungen der Sänger gestört. In dieser Hinsicht ist das Nô-Theater wunderbar, weil Singen, Tanzen und Bewegung eine Einheit darstellt. Früher war aber auch das Nô einmal eine lebendige Kunst. Das heutige Nô-Theater ist aber spätestens seit der Edo-Zeit in jener Stilisierung erstarrt. Es spiegelt die gesellschaftlichen Zwänge jener Zeit. Heute ist es nicht mehr lebendig. Das betrifft auch alle anderen Künste, wie z. B. die Teezeremonie oder Ikebana. Sie sind erstarrt. IS — »Matsukaze« gründet sich, wie auch andere NôTheaterstücke auf einen Zeitbegriff, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im gleichen Moment zulässt. Wie würdest du diese Vorstellung beschreiben? TH — Blumen sind dafür ein gutes Bild. Blumen werden auch bei Ikebana verwendet. Blumen sterben schnell, sie zeigen uns die Vergänglichkeit. Wäre die Blume immer da, wäre sie nicht mehr schön. Da sie vergeht, zeigt sie uns, wie schön und wertvoll das Leben ist. Zeami hat in seiner Ästhetik den herausragenden Nô-Darsteller mit dem Begriff der »Blüte« zu fassen versucht. Das entspricht unserer buddhistischen Sichtweise: Vergänglichkeit ist schön. So auch die Musik: Sie klingt, aber verschwindet auch immer wieder schnell. Musik ist schön, weil sie immer in der Zeit lebt, sie bleibt im Herzen, aber sie ist flüchtig. So auch bei »Matsukaze« – ein Ereignis ist einmalig und dahinter ist immer der Tod, das Schweigen, die Leere, der Raum; und deswegen muss alles, was wir machen, schön sein. Im Gegensatz zur Kunst des Westens, die sich darum bemüht, Schönheit in ihrer Ewigkeit und Beständigkeit zu erfassen, findet man hier Schönheit in der Traurigkeit eines Lebens, das verfällt und vergeht.

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Matsukaze Musik Toshio Hosokawa Libretto nach dem gleichnamigen Nô-Spiel von Zeami Hannah Dübgen Choreographische Oper Sasha Waltz

Musikalische Leitung Pablo Heras-Casado Regie Choreographie Sasha Waltz

Bühne Pia Maier Schriever Chiharu Shiota Kostüme Christine Birkle Licht Martin Hauk Dramaturgie Ilka Seifert

Matsukaze Barbara Hannigan Sopran Murasame Charlotte Hellekant Mezzosopran Mönch Frode Olsen Bass Fischer Kai-Uwe Fahnert Bariton

Tanz Choreographie Jirí Bartovanec Davide Camplani Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola Delphine Gaborit Mamajeang Kim Florencia Lamarca Sergiu Matis Sasa Queliz Zaratiana Randrianantenaina Orlando Rodriguez Mata Sakka Xuan Shi Junko Wada Niannian Zhou Vocalconsort Berlin Sopran Ulrike Barth Inge Clerix Alt Wiebke Kretzschmar Anja Schumacher Tenor Friedemann Hecht Oliver Uden Bass Jan Sauer Kai-Uwe Fahnert

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Sasha Waltz & Guests Regieassistenz Steffen Döring Assistenz Musikalische Leitung Peter Tomek Einstudierung Chor Ralf Sochaczewsky Yukari Ishimoto Repetition Luc Dunberry Korrepetition Kanae Togi Tonaufnahmen Takeshi Tsuchiya Kostümleitung Beate Borrmann Kostümassistenz Margaretha Heller Gewandmeisterin Manja Beneke Haare Make-up Kati Heimann Urte Kusserow Bühnentechnik Daniel Herrmann Lichttechnik Hans Fründt Tontechnik Lutz Nerger Requisite Ivan Jovanovic Athena Tsantekidou Assistenz Technische Leitung Carsten Grigo

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Inspizienz Nicole Richardson / Friederike Schulz Presse / PR Anne Wagner Harriet von Froreich Office Organisation Rhea Dahmen Hospitanz Regie Cristina Elias Hospitanz Dramaturgie Christian Haase Praktikantin PR/ÖA Jacqueline Löschner Finanzen Buchhaltung Cheong-Uk Bae Pierre-Yves Bazin Tour Manager Karsten Liske Produktionsassistenz Emilie Guérin Sibah Pomplun Ausstattungsleitung Thomas Schenk Projektleitung Chor Sandra Perrone Produktionsleitung Bärbel Kern Technische Leitung Reinhard Wizisla Direktion Sasha Waltz & Guests Jochen Sandig

Eine Produktion von Sasha Waltz & Guests im Auftrag des Théâtre Royal de la Monnaie in Koproduktion mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und Teatr Wielki – Polish National Opera sowie in Kooperation mit der Staatsoper Unter den Linden, Berlin. Die Produktion »Matsukaze« wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Made in Radialsystem® Sasha Waltz & Guests wird gefördert aus Mitteln des Landes Berlin.


Sasha Waltz Director Choreographer

Sasha Waltz was born in Karlsruhe, Germany. She studied dance and choreography in Amsterdam and New York. In 1993 she co-founded her company, Sasha Waltz & Guests, with Jochen Sandig in Berlin. In 1996 she opened the critically acclaimed sophiensaele, a theatre she co-founded with Sandig. In 2000, Waltz was named one of the artistic directors of Berlin’s Schaubühne am Lehniner Platz where —amongst others— she created the pieces »Körper«, »S« and »noBody« as well as the choreographic installation »insideout«. In 2005 Sasha Waltz & Guests once again became an independent company, with Jochen Sandig as artistic director. In January 2005 the first operachoreography »Dido & Aeneas« had its world premiere at Grand Théâtre de Luxembourg and Staatsoper Unter den Linden, Berlin. In 2007 Sasha Waltz presented, among other works, two music-theatre choreographies: »Medea« with music by Pascal Dusapin and text by Heiner Müller had its World Première in Luxemburg in May as a feature of the European Culture Capital City 2007. In addition the Opéra de Paris in October 2007 presented the choreography by Sasha Waltz to Hector Berlioz’ dramatic symphony »Roméo et Juliette«. The musicbased choreographic project »Jagden und Formen (Zustand 2008)«, music by Wolfgang Rihm, developed together with the Ensemble Modern was premiered in Frankfurt am Main in the spring of 2008. In March 2009 Sasha Waltz & Guests presented the project »Dialoge 09 — Neues Museum« in the New Museum in Berlin, reconstructed by David Chipperfield. »Dialoge 09 — MAXXI« by Sasha Waltz inaugurated Rome’s new »Museo nazionale delle arti del XXI secolo« built by Zaha Hadid in November 2009. In 2010 her choreography »Continu« was premiered in Zurich, Switzerland, followed by her choreographic opera »Passion« composed by Pascal Dusapin at the Théâtre des ChampsÉlysées, Paris. The celebrated world prèmiere of »Matsukaze« by Toshio Hosokawa choreographed by Sasha Waltz took place in May 2011 at La Monnaie, Brussels. In 2012 Sasha Waltz and the composer Mark Andre will open the Festival Mozartwoche 2012 in Salzburg with their first collaboration, the choreographic concert »gefaltet«. Sasha Waltz has been honoured with various awards for her work, among those the French Culture Order »Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres«. In March 2011 she received The Order of Merit of the Federal Republic of Germany.

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Sasha Waltz Regie Choreographie

Sasha Waltz wurde in Karlsruhe geboren. Von 1983–1987 studierte sie Tanz und Choreographie in Amsterdam und New York. Gemeinsam mit Jochen Sandig gründete sie 1993 Sasha Waltz & Guests und 1996 die sophiensæle. Von 2000 bis 2005 gehörte sie der Künstlerischen Leitung der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin an. Hier entstanden u. a. die Stücke »Körper«, »S« und »noBody« sowie die choreographische Installation »insideout«. Ende des Jahres 2004 wurden Sasha Waltz & Guests erneut unabhängig und realisierten ihre erste Opernproduktion »Dido & Aeneas« zur Musik Henry Purcells, uraufgeführt am Grand Théâtre de Luxembourg und an der Staatsoper Berlin. Die zweite choreographische Oper »Medea« von Sasha Waltz zur Musik von Pascal Dusapin und dem Text von Heiner Müller kam im Mai 2007 in Luxemburg zur Uraufführung, im September zur Deutschlandpremiere an die Staatsoper Berlin. Für die Opéra National de Paris choreographierte sie im Oktober 2007 »Roméo et Juliette« zur Dramatischen Sinfonie von Hector Berlioz. Das musikalischchoreographische Projekt »Jagden und Formen (Zustand 2008)« nach der Musik von Wolfgang Rihm wurde im Frühjahr 2008 in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern in Frankfurt am Main uraufgeführt. Im März 2009 präsentierte die Compagnie »Dialoge 09  – Neues Museum« von Sasha Waltz im von David Chipperfield rekonstruierten Neuen Museum in Berlin und begeisterte mehr als 10.000 Zuschauer. Das Projekt »Dialoge 09 – MAXXI« war im November zur feierlichen Einweihung des Museumsneubaus von Zaha Hadid »Museo nazionale delle arti del XXI secolo« in Rom zu sehen. Die Choreographie »Continu« von Sasha Waltz wurde im Juni 2010 in Zürich uraufgeführt, im Oktober 2010 folgte die Uraufführung ihrer choreographischen Oper »Passion« von Pascal Dusapin am Théâtre des Champs-Élysées in Paris. Im Mai 2011 feierte die Oper »Matsukaze« von Toshio Hosokawa, choreographiert von Sasha Waltz, Premiere an der Oper La Monnaie in Brüssel. Im Januar 2012 wird das choreographierte Konzert »gefaltet« von Sasha Waltz in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Mark Andre die Mozartwoche in Salzburg eröffnen. Für ihre Arbeit wurde Sasha Waltz mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem französischen Kulturorden »Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres«. Zuletzt erhielt sie im März 2011 das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland.

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Toshio Hosokawa Composer

Toshio Hosokawa was born in 1955 in Hiroshima, Japan. He came to Berlin in 1976 to study composition with Isang Yun. He continued his studies with Klaus Huber and Brian Ferneyhough. Initially, Hosokawa based his music on the Western avant-garde, but he soon began to explore new musical terrain, composing his first opera »Visions of Lear« to great acclaim in a style that brought together eastern and western influences. His second opera »Hanjo« (2004) is regularly programmed by opera houses and festivals. Japan’s preeminent living composer constantly explores the boundaries between cultures. His distinctive compositions examine the relationship between Western avant-garde art and traditional Japanese culture, and are influenced by the static structures of the Gagaku music of the Japanese court. Nature and its inherent transience also greatly influence his compositions. »Transience is beautiful«, says Hosokawa, who uses the Buddhist notion of balance between life and death to describe his musical language: »The tone comes from silence, it lives, it returns to silence.« Hosokawa made a name for himself at new music festivals in the early 90s with chamber music works such as »Landscapes I–V«. Following the success of his oratorio »Voiceless Voice in Hiroshima« and of his orchestral work »Circulating Ocean«, Hosokawa’s music began to receive performances in eminent concert halls around the world. Japanese instruments are utilized in many of his over 160 works, often combined with traditional European instruments. Chamber music is also a big part of Hosokawa’s compositional output. Toshio Hosokawa has received numerous awards and prizes. He has been a member of the Academy of Fine Arts Berlin since 2001 and a Fellow of the Institute for Advanced Study in Berlin since 2006. He is the artistic director of the Takefu International Music Festival and a frequent guest at prominent contemporary music festivals, such as the Pacific Music Festival in Sapporo, Japan, the Salzburg Biennale, the Rheingau Musik Festival, and the MITO SettembreMusica Festival in Milan and Turin. The 2010/2011 concert season includes many world premieres of Toshio Hosokawa’s works. The Cleveland Orchestra, under the direction of Franz Welser-Möst, premiered »Woven Dreams« in August 2010 at the Lucerne Festival, a piece which Hosokawa was commissioned to write after winning the Roche Commissions award. In October 2010, the Mahler Chamber Orchestra and the WDR Choir put on the world premiere of Hosokawa’s »Sternlose Nacht« in BadenBaden under the direction of Kent Nagano. Sir Simon Rattle, the Berlin Philharmonic and hornist Stefan Dohr premiered Hosokawa’s horn concerto »Moment of Blossoming« in February 2011 in Berlin, before taking the work on tour to the Barbican Centre London and the Concertgebouw in Amsterdam. 92

Toshio Hosokawa Komposition

Toshio Hosokawa wurde 1955 in Hiroshima, Japan geboren und kam 1976 nach Berlin, wo er bei Isang Yun Komposition studierte. Anschließend setzte er seine Studien bei Klaus Huber und Brian Ferneyhough fort. Während sein Oeuvre sich zunächst an der westlichen Avantgarde orientierte, begann er mit seiner hochgelobten ersten Oper »Vision of Lear« eine neue musikalische Welt zwischen Ost und West zu erschließen. Seine zweite Oper »Hanjo« (2004) steht regelmäßig auf den Programmen von Opernhäusern und Festivals. Der bekannteste lebende japanische Komponist ist ein Grenzgänger zwischen den Kulturen. Seine unverwechselbare Musiksprache ist vom Spannungsverhältnis zwischen westlicher Avantgarde und traditioneller japanischer Kultur geprägt und von den statischen Strukturen des Gagaku, der japanischen Hofmusik, beeinflusst. Im Mittelpunkt seiner Werke steht oft die Natur mit ihren verschiedensten Schöpfungen und vor allem ihrer Vergänglichkeit. Hosokawa umschreibt analog zur buddhistischen Vorstellung einer Gleichwertigkeit von Leben und Tod seine musikalische Sprache wie folgt: »Der Ton kommt aus dem Schweigen, er lebt, er geht ins Schweigen zurück.« Mit kammermusikalischen Werken wie den »Landscapes I–V« hatte Toshio Hosokawa Anfang der 90er Jahre zunächst bei Festivals für Neue Musik auf sich aufmerksam gemacht. Die größeren Konzertsäle eroberte seine Musik spätestens nach den Erfolgen des Oratoriums »Voiceless Voice« in Hiroshima und des Orchesterwerks »Circulating Ocean«, uraufgeführt bei den Salzburger Festspielen 2005 durch die Wiener Philharmoniker. Häufig schreibt Toshio Hosokawa für Solisten, wie zuletzt bei seinem 2009 mit Rohan de Saram und dem WDR Sinfonieorchester uraufgeführten Cellokonzert »Chant« sowie den »Voyages«, einer 2003 begonnenen Serie für Soloinstrument und Ensemble. In vielen seiner inzwischen über 160 Werke sind japanische Instrumente, oft in Kombination mit europäischen, zu hören. In der Saison 2010/11 wird eine Vielzahl großer Werke Toshio Hosokawas aus der Taufe gehoben: Das Cleveland Orchestra mit Dirigent Franz Welser-Möst brachte im August beim Lucerne Festival »Woven Dreams« zur Uraufführung, Ergebnis des in Zusammenarbeit mit dem Lucerne Festival, dem Cleveland Orchestra und der Carnegie Hall vergebenen Roche Commissions Kompositionsauftrages. Die Berliner Philharmoniker brachten mit ihrem Dirigenten Sir Simon Rattle und dem Solisten Stefan Dohr im Februar 2011 das Hornkonzert »Moment of Blossoming« zur Uraufführung. Anfang September folgt im Berliner Radialsystem die Uraufführung der Konzertinstallation »Singing Garden«. 93


Pablo Heras-Casado Musical Director

Pablo Heras-Casado enjoys a multi-faceted conducting career of unusual breadth and variety. The range of his repertoire —from early music through to cutting-edge contemporary scores and from the most intimate of chamber programmes through to grand opera— is remarkable. During his young career, Heras-Casado has worked with some of the world’s finest orchestras such as BBC Philharmonic, Orchestre Philharmonique de Radio France, Deutsches Symphonie Orchester Berlin, Freiburger Barockorchester and Staatskapelle Dresden and has developed long-term relationships with some like Los Angeles Philharmonic Orchestra, San Francisco Symphony, Tonhalle-Orchester Zürich and Mostly Mozart Festival New York. Besides the cooperation with Sasha Waltz & Guests for Hosokawa’s »Matsukaze«, other operatic projects in the 2010/11 season included »Mahagonny« with Teatro Real Madrid and La Fura dels Baus and »Nixon in China« with the Canadian Opera Company. In the summer 2011, he will make his debuts with Houston Symphony, Boston Symphony Orchestra and Orchestra of St Luke’s. Furthermore, he returns to the Mostly Mozart Festival New York as well as to the Canadian Opera Company with Gluck’s opera »Iphigénie en Tauride«. In October 2011 he will give his debut performance with the Berliner Philharmoniker. Other highlights of the upcoming season 2011/12 include first appearances at Festspielhaus Baden-Baden with Donizetti’s »L’elisir d’amore« and a special collaboration with Freiburger Barockorchester that will start with a tour in March 2012. A champion of contemporary music, Pablo Heras-Casado has worked with Ensemble ACJW at Carnegie Hall, Ensemble Modern in Frankfurt, Klangforum Wien and Collegium Novum Zürich. Pierre Boulez and Peter Eötvös headed the jury which unanimously voted Pablo HerasCasado winner of the 2007 Lucerne Festival Conductors’ Competition which included an acclaimed performance of Stockhausen’s »Gruppen«. Future plans include several projects with Ensemble intercontemporain.

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Pablo Heras-Casado Musikalische Leitung

Pablo Heras-Casados facettenreiche Dirigententätigkeit zeugt von ungewöhnlicher Tiefe und Vielfalt: Sein breit gefächertes Repertoire – von der Renaissance bis zu zeitgenössischen Kompositionen, von der Kammermusik bis zur großen Opernliteratur – ist bemerkenswert. In seiner noch jungen Karriere hat Pablo Heras-Casado bereits mit international renommierten Orchestern zusammengearbeitet, darunter das BBC Philharmonic Orchestra, das Orchestre Philharmonique de Radio France, das Deutsche Symphonie Orchester Berlin, das Freiburger Barockorchester und die Staatskapelle Dresden. Mit Orchestern wie dem Los Angeles Philharmonic, dem San Francisco Symphony, dem Tonhalle-Orchester Zürich und dem Mostly Mozart Festival New York blickt er bereits auf eine langjährige Zusammenarbeit als regelmäßig wiederkehrender Gastdirigent zurück. Neben der Produktion »Matsukaze« mit Sasha Waltz, leitete er in der Saison 2010/11 die Opernaufführung »Mahagonny« mit dem Teatro Real Madrid und La Fura dels Baus sowie »Nixon in China« mit der Canadian Opera Company. Im Sommer 2011 gibt Heras-Casado seine Debüts beim Boston Symphony Orchestra, beim Houston Symphony und beim Orchestra of St Luke’s und kehrt zurück zum Mostly Mozart Festival New York sowie zur Canadian Opera Company mit Glucks »Iphigénie en Tauride«. Bei den Berliner Philharmonikern debütiert er im Oktober 2011. In der Saison 2011/12 ist er außerdem erstmalig beim Festspielhaus Baden-Baden mit Donizettis »L’elisir d’amore« zu Gast. Auftakt der Zusammenarbeit mit dem Freiburger Barockorchester ist eine Tournee im März 2012 mit Konzerten in Lissabon, St. Pölten, Freiburg, Stuttgart und Berlin. Von seinem ausgeprägten Interesse an zeitgenössischer Musik zeugt die Zusammenarbeit mit dem Ensemble ACJW an der Carnegie Hall, dem Ensemble Modern in Frankfurt, dem Klangforum Wien und dem Collegium Novum Zürich. Für die gefeierte Aufführung von Stockhausens »Gruppen« gewann er 2007 den Dirigentenwettbewerb des Lucerne Festivals unter dem Vorsitz von Pierre Boulez und Peter Eötvös.

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Pia Maier Schriever Stage Design

Pia Maier Schriever was born nearby Stuttgart in 1972. She studied architecture at the Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart and the Bartlett School of Architecture in London. She has worked in the architectural offices of hg merz architekten Berlin, 1100 architect New York and sauerbruch hutton architekten Berlin. She has worked together with Sasha Waltz since 2004 on stage-designs such as for the opera productions »Medea«, »Roméo et Juliette« and »Continu«. Pia Maier Schriever lives and works as an architect and set designer in Berlin.

Pia Maier Schriever Bühne

Pia Maier Schriever wurde 1972 bei Stuttgart geboren. Sie studierte Architektur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und der Bartlett School of Architecture in London. Unter anderem war sie in den Architekturbüros hg merz architekten Berlin, 1100 architect New York und sauerbruch hutton architekten Berlin tätig. Mit Sasha Waltz arbeitet sie seit 2004 zusammen, u. a. für die Bühnenbilder der Opernproduktionen »Medea« und »Roméo et Juliette« als auch für »Continu«. Pia Maier Schriever lebt und arbeitet als freischaffende Architektin und Bühnenbildnerin in Berlin.

Chiharu Shiota Stage Design

Chiharu Shiota was born in Osaka, Japan in 1972. She studied with Marina Abramovic and Rebecca Horn and has been living in Berlin since 1999. Chiharu Shiota is part of a generation of young artists, whose bodyart had attracted international attention during the last years. Her work was presented worldwide in important exhibitions, museums and Biennalen, among them the Neue Nationalgalerie Berlin, the National Museum of Modern Art Tokyo, P.S.1/MoMA New York, as well as Biennalen Kwangyu, Yokohama, Lyon and Fukuoka. In 2008 she was allocated for the highly endowed award of Agency for Cultural Affairs Japan. Already in 2002 she was scholarship holder of Akademie Solitude and of the Berlin Senate in 2004.

Chiharu Shiota Bühne

Chiharu Shiota wurde 1972 in Osaka, Japan geboren. Sie studierte bei Marina Abramovic und Rebecca Horn und lebt seit 1999 in Berlin. Chiharu Shiota gehört zu einer Generation junger Künstler, die in den letzten Jahren für ihre körperbezogene Kunst internationale Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ihre Arbeiten wurden in wichtigen Ausstellungen, Museen und Biennalen weltweit gezeigt, darunter Neue Nationalgalerie Berlin, National Museum of Modern Art Tokio, P.S.1/ MoMA New York sowie den Biennalen Kwangyu, Yokohama, Lyon und Fukuoka. 2002 war sie Stipendiatin der Akademie Solitude und 2004 des Berliner Senats. 2008 wurde Chiharu Shiota mit dem höchst dotierten Preis der Agency for Cultural Affairs Japan ausgezeichnet.

Christine Birkle Costume Design

Christine Birkle was born in 1961. She completed her studies of Fashion Design at the HdK Berlin in 1993 and then grounded her own label »Hut up« in Berlin. She presented her first clothing and homewares collection in 1996. She works with such renowned designers as Dries van Noten and Matheo Thun and regularly takes part in Paris exhibitions. For Sasha Waltz she created the costume for »Impromptus«, »Dido & Aeneas«, »Fantasie«, »Solo for Vladimir Malakhov« and »Medea«.

Christine Birkle Kostüm

Christine Birkle wurde 1961 geboren. 1993 schloss sie ihr Studium der HdK Berlin im Bereich Modedesign ab und gründete ihr eigenes Label »Hut up« in Berlin, mit dem sie 1996 ihre erste Bekleidungs- und Homekollektion präsentierte. Sie arbeitet mit renommierten Designern wie Dries van Noten und Matheo Thun und nimmt regelmäßig an Modeausstellungen in Paris teil. Mit Sasha Waltz hat sie bisher für »Impromptus«, »Dido & Aeneas«, »Fantasie«, »Solo für Vladimir Malakhov« und »Medea« zusammengearbeitet.

Martin Hauk was born in 1961 in Berlin. He studied Theatre and Event Technology. While being employed by Art Lab Studios, Berlin, he produced events for Shell, Skoda and IBM, and created the lighting for Cora Frost, Gayle Tufts, Tim Fischer and Alex B. He has worked with Sasha Waltz since 1996, lighting »Zweiland«, »Körper«, »S«, »noBody«, »insideout«, »Impromptus«, »Jagden und Formen«, »Gezeiten« and »Continu«.

Martin Hauk Licht

Martin Hauk wurde 1961 in Berlin geboren. Er studierte Theaterund Veranstaltungstechnik und arbeitete unter anderem als Technischer Leiter für die Art Lab Studios Berlin, wo er Events für Shell Oil, Skoda, IBM u. a. realisierte. Seit 1993 konzentriert sich sein Schaffen auf die Lichtgestaltung. Lichtkonzepte entstanden unter anderem für Cora Frost, Gayle Tufts, Tim Fischer und für Tanzproduktionen von Alex B. und der Tanzfabrik Berlin. Seit 1996 arbeitet er als Lichtdesigner mit Sasha Waltz u. a. für »Zweiland«, »Körper«, »S«, »noBody«, »insideout«, »Impromptus«, »Gezeiten«, »Jagden und Formen (Zustand 2008)« und »Continu«.

Martin Hauk Lighting Design

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Barbara Hannigan Soprano

The soprano Barbara Hannigan is an artist who combines thrilling passion with exceptional vocal technique. Blessed with a voice at once pure and full of spirit, she has arrived, through challenging and diverse repertory choices, at a point of complete control, intensity and versatility. She also possesses a vital stage presence, whether in opera or on the concert platform. Much sought after in contemporary music —she has given over 75 world premières— she is no less brilliant and devoted a performer of Baroque and Classical music. Bringing freshness to older music and authority to new, she is among the very few singers whose every performance is an occasion. Born and brought up in Canada, she received her Bachelor and Master of Music degrees from the University of Toronto, where she studied with Mary Morrison. She continued her studies at the Royal Conservatory of The Hague with Meinard Kraak, and privately with Neil Semer. A frequent guest of the Berlin Philharmonic, she has also performed with most of the other leading orchestras and ensembles worldwide, and with such conductors as Sir Simon Rattle, Pierre Boulez, Reinbert de Leeuw, Esa-Pekka Salonen, Kurt Masur, Alan Gilbert, Jonathan Nott and Susanna Mälkki. She made her own conducting debut at the Châtelet in Paris, with Stravinsky’s »Le Renard«. As a performer of Ligeti’s music she has received much acclaim, not least from the composer himself. »Mysteries of the Macabre«, a tour de force for soprano and orchestra, has become a signature work, which she has sung —and sometimes also conducted— at Lincoln Center, the Berlin Philharmonie, the Châtelet, Salzburg, Disney Hall, the Amsterdam Concertgebouw, the Konzerthaus in Vienna and elsewhere across three continents.Her operatic repertory ranges from Ligeti’s »Le Grand Macabre« (Gepopo and Venus) to Handel’s »Rinaldo« (Armida) and »Ariodante« (Dalinda). She has created roles in works including Pascal Dusapin’s »Passion« (Lei) at Aix, Louis Andriessen’s »Writing to Vermeer« (Saskia) for the Netherlands Opera, Gerald Barry’s »The Bitter Tears of Petra von Kant« (Gabrielle) for English National Opera and Toshio Hosokawa’s »Matsukaze« (title role) for La Monnaie. Her appearances in Sasha Waltz’s productions of »Passion« and »Matsukaze«, requiring physical as well as vocal agility and expressive potency, made an extraordinary impression. Upcoming engagements include the world première with the Berlin Philharmonic of »let me tell you« for soprano and orchestra by Hans Abrahamsen with words by Paul Griffiths. She will sing her first »Lulu« at La Monnaie in 2012, in a new production by Krzysztof Warlikowski.

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Barbara Hannigan Sopran

Die Sopranistin Barbara Hannigan vereint Leidenschaft mit einer außergewöhnlichen Gesangstechnik. Dank ihrer ebenso klaren wie temperamentvollen Stimme hat sie nach der Erarbeitung eines vielfältigen und anspruchsvollen Repertoires einen Punkt erreicht, an dem ihre Stimme über große Intensität und Vielseitigkeit verfügt. Auf der Opern-, wie auf der Konzertbühne besitzt sie eine eindrucksvolle Präsenz. Obgleich insbesondere als Interpretin zeitgenössischer Musik sehr gefragt – sie hat bereits 75 Uraufführungen bestritten – ist sie eine ebenso brillante wie begeisterte Interpretin barocker und klassischer Musik. Hannigan wuchs in ihrem Geburtsland Kanada auf und machte ihren Bachelor und Master-Abschluss in Musik an der Universität von Toronto, wo sie bei Mary Morrison studierte. Sie vertiefte ihre Ausbildung am Königlichen Konservatorium von Den Haag bei Meinard Kraak und als Privatschülerin von Neil Semer. Als regelmäßiger Gast der Berliner Philharmoniker brillierte sie auf der ganzen Welt mit zahlreichen führenden Orchestern und Ensembles und mit Dirigenten wie Sir Simon Rattle, Pierre Boulez, Reinbert De Leeuw, Esa-Pekka Salonen, Kurt Masur, Alan Gilbert, Jonathan Nott und Susanna Mälkki. Sie gab mit Strawinskys »Le Renard« ihr Debüt als Dirigentin am Théâtre du Châtelet. Als Interpretin von Ligetis Werk erhielt sie großen Beifall, nicht zuletzt vom Komponisten selbst. »Mysteries of the Macabre«, eine Tour de Force für Sopran und Orchester, ist inzwischen untrennbar mit ihrem Namen verbunden. Dieses Werk, das sie auch dirigierte, sang sie im Lincoln Center, der Berliner Philharmonie, dem Châtelet, in Salzburg, der Disney Hall, am Amsterdamer Concertgebouw, dem Konzerthaus in Wien und auf vielen anderen Bühnen. Ihr Opern-Repertoire reicht von Ligetis »Le Grand Macabre« (Gepopo und Venus) bis zu Händels »Rinaldo« (Armida) und »Ariodante« (Dalinda). Sie erarbeitete Rollen für Pascal Dusapins »Passion« (Lei) in Aix, Louis Andriessens »Writing to Vermeer« (Saskia) an der Netherlands Opera, Gerald Barrys »The Bitter Tears of Petra von Kant« (Gabrielle) für die English National Opera und Toshio Hosokawas »Matsukaze« (Titelrolle) an Théâtre du Châtelet. Ihre Auftritte in Sasha Waltz‘ Aufführungen von »Passion« und »Matsukaze«, in der sowohl körperliche wie stimmliche Agilität und Ausdrucksstärke gefragt waren, hinterließen außerordentlichen Eindruck. Zu ihren kommenden Engagements zählen die Weltpremiere von »let me tell you« für Sopran und Orchester von Hans Abrahamsen und Texten von Paul Griffiths mit den Berliner Philharmonikern. Sie wird 2012 in La Monnaie ihre erste »Lulu« in einer Inszenierung von Krzysztof Warlikowski singen. 99


Charlotte Hellekant Mezzosoprano

Charlotte Hellekant was born in Sweden and enjoys a successful career both in the opera house and on the concert stage, boasts an eclectic repertoire of operatic roles including Bizet’s Carmen, Handel’s Cornelia and Ino, Massenet’s Charlotte, Monteverdi’s Nerone, Gluck’s Orfeo and Klytämnestra and is also highly regarded as an interpreter of contemporary repertoire. This season Charlotte appears in one of the principle roles in »Matsukaze«, a new commission by Toshio Hosokawa, with Sasha Waltz & Guests at La Monnaie — followed by an extensive European tour. She can also be heard as Charlotte in »Werther« at the Royal Swedish Opera. Recent opera highlights have included »Orphée et Eurydice« at Opéra national de Paris, Anna in »Les Troyens« at De Nederlandse Opera, Cornelia in »Giulio Cesare« at the Opéra de Lille and at the Zurich Opera House, Charlotte in »Werther« at the Deutsche Oper Berlin, Nerone in »Poppea« at the Drottningholm Theatre, Carmen at Royal Swedish Opera and at the Glyndebourne Festival, Clytemnestre in »Iphigenie en Aulide« at La Monnaie, and Marguerite in »La Damnation de Faust« at the Salzburg Festival. At Komische Oper Berlin, Charlotte Hellekant recently portrayed the title role in Handel’s »Orest« under Thomas Hengelbrock, filmed for television and DVD release, and she can be seen as Kate Julian in a Channel 4 film of Britten’s »Owen Wingrave«, conducted by Kent Nagano. Recognised as a fine exponent of Mahler, Charlotte Hellekant has performed his Symphonies No. 2, No 3 & No 8, »Rückertlieder«, »Das Lied von der Erde«, »Lieder eines fahrenden Gesellen«, »Kindertotenlieder« and »Des Knaben Wunderhorn«, and she features in the BBC Great Composers documentary about Mahler with the late Sir Georg Solti. Her discography includes Mahler, Symphony No 2 conducted by Herbert Blomstedt with San Francisco Symphony, Ligeti’s »Le Grand Macabre« with Salonen, Handel’s »Giulio Cesare« and »Messiah« with Marc Minkowski and Les Musiciens du Louvre, and Grieg’s »Peer Gynt« with Paavo Järvi.

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Charlotte Hellekant Mezzosopran

Charlotte Hellekant wurde in Schweden geboren und erlebt eine erfolgreiche Karriere sowohl in großen Opernhäusern, als auch auf internationalen Konzertbühnen. Anerkannt als Entrepreneur für zeitgenössisches Repertoire, ist sie außerdem bekannt für ihre facettenreichen Opernrollen, wie Bizets Carmen, Händels Cornelia und Ino, Massenets Charlotte, Monteverdis Nerone, Glucks Orfeo und Klytämnestra. Außerdem ist sie als Charlotte in »Werther« an der Royal Swedish Opera zu sehen. Ihre letzten Höhepunkte waren »Orphée et Eurydice« an der Opéra national de Paris, Anna in »Les Troyens« an der De Nederlandse Opera, Cornelia in »Giulio Cesare« an der Opéra de Lille und am Opernhaus Zürich, Charlotte in »Werther« für die Deutsche Oper Berlin, Nerone in »Poppea« am Drottningholm Theatre, Carmen an der Royal Swedish Opera und für das Glyndebourne Festival, Clytemnestre in »Iphigenie en Aulide« an La Monnaie, sowie Marguerite in »La Damnation de Faust« für das Salzburg Festival. Verfilmt und auf DVD veröffentlicht portraitierte Charlotte Hellekant an der Komischen Oper Berlin die Titelrolle in Händels »Orest« unter Thomas Hengelbrock und ist zu sehen als Kate Julian in einem Channel 4Film von Brittens »Owen Wingrave«, dirigiert von Kent Nagano. Anerkannt als eine hervorragende Mahler- Interpretin, sang Charlotte Hellekant in seinen Sinfonien Nr. 2, Nr. 3, Nr. 8, die »Rückertlieder«, »Das Lied von der Erde«, »Lieder eines fahrenden Gesellen«, »Kindertotenlieder« und »Des Knaben Wunderhorn«. Außerdem wirkte sie in der BBC Great Composers-Dokumentation über Mahler mit Dirigent Sir Georg Solti mit. Ihre Diskografie beinhaltet Mahlers Sinfonie Nr. 2 mit Herbert Blomstedt in der San Francisco Symphony, Ligetis »Le Grand Macabre« mit Esa-Pekka Salonen, Händels »Giulio Cesare« und »Messiah« mit Marc Minkowski und den Les Musiciens du Louvre, sowie Griegs »Peer Gynt« mit Paavo Järvi. In der aktuellen Saison erscheint sie als Schwester Murasame, eine der Hauptrollen in der Oper »Matsukaze« von Toshio Hosokawa in einer Choreographie von Sasha Waltz. »Matsukaze« ist Charlotte Hellekants erste Zusammenarbeit mit der Choreographin.

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Frode Olsen Bass

Frode Olsen was born in Oslo, Norway, where he studied at the National Opera Conservatory. He joined the Opera Studio of the Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf and subsequently became a member of the Badisches Staatstheater, Karlsruhe where his roles included Pimen, Gremin, Zaccaria, Pogner, Marke, Landgraf, Orest and Timur. Guest engagements took him to Dresden, Leipzig, Strasbourg, Bern, the Salzburg Festival, the Wiener Volksoper and Den Norske Opera. Further international highlights have included the title role of Messiaen’s »St. Francois d’Assise« for the Deutsche Oper Berlin and the Leipzig Opera, Doktor in »Wozzeck« and Moses in »Moses und Aron« for the Hamburgische Staatsoper, Gremin for Glyndebourne Festival Opera, Gurnemanz in »Parsifal«, Vodnik in »Rusalka« and Astradamors in »Le grand Macabre« for La Monnaie and Fasolt in »Das Rheingold«, Peneois in »Daphne«, Orest in »Elektra« and Pimen for the Netherlands Opera. Recent and future engagements include Rocco in »Fidelio« at the Opera de Marseille, Garsington Festival Opera and Den Norske Opera where he created the main role in a new commission: »Den fjerde Nattevakt«, Astradamors in »Le grand Macrabre« for the Adelaide Festival, La Monnaie, English National Opera and the Liceu Barcelona, Doktor in »Wozzeck« for the Opera de Marseille, Wesener in »Die Soldaten« for The Netherlands Opera and Vodnik in »Rusalka« for La Monnaie. Frode has worked with many prestigious directors and conductors including Peter Konwitschny, Luc Bondy, David Pountney, Peter Sellars, Willy Decker, Claudio Abbado, Marc Albrecht, William Christie, Kent Nagano and many others. »Matsukaze« is his first cooperation with Sasha Waltz.

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Frode Olsen Bass

Frode Olsen wurde in Oslo, Norwegen, geboren. Dort studierte er am National Opera Conservatory. Später schloss er sich der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf an und wurde darauf ein Mitglied des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe. Zu seinen Rollen gehörten Pimen, Gremin, Zaccaria, Pogner, Marke, Landgraf, Orest und Timur. Gastspiele brachten ihn nach Dresden, Leipzig, Straßburg, nach Bern, zu den Salzburger Festspielen, an die Wiener Volksoper, sowie an die Den Norske Opera. Weitere internationale Erfolge feierte er mit den Titelrollen in Messiaens »St. Francois d’Assise« für die Deutsche Oper Berlin und die Leipziger Oper, dem Doktor in »Wozzeck« und Moses in »Moses und Aron« für die Hamburgische Staatsoper. Außerdem interpretierte er den Gremin für die Glyndebourne Festival Opera, Gurnemanz in »Parsifal«, Vodnik in »Rusalka« und Astradamors in »Le Grand Macabre« für die Oper La Monnaie sowie Fasolt in »Das Rheingold«, Peneois in »Daphne«, Orest in »Elektra« und Pimen für die Netherlands Opera. Aktuelle und zukünftige Engagements sind Rocco in »Fidelio« an der Opéra de Marseille, der Garsington Festival Opera und der Den Norske Opera, in welcher er für einen Auftrag eine neue Rolle in »Den fjerde Nattevakt« kreierte. Zu weiteren Rollen gehören Astradamors in »Le Grand Macrabre« für das Adelaide Festival, La Monnaie, die English National Opera und das Liceu Barcelona, der Doktor in »Wozzeck« für die Opera de Marseille, der Wesener in »Die Soldaten« für The Netherlands Opera und Vodnik in »Rusalka« für La Monnaie. Frode Olsen arbeitete bereits mit vielen bekannten Regisseuren und Dirigenten, zu denen unter anderen Peter Konwitschny, Luc Bondy, David Pountney, Peter Sellars, Willy Decker, Claudio Abbado, Marc Albrecht, William Christie und Kent Nagano gehörten. »Matsukaze« ist die erste Zusammenarbeit mit Sasha Waltz.

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Kai-Uwe Fahnert Baritone

Kai-Uwe Fahnert studied at the University for Music and Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« in Leipzig, where he was taught by Gerda Schriever. He attended the following classes at Hans-Joachim Beyer in Leipzig and Harald Stamm in Hamburg. Kai-Uwe, whose repertoire includes pieces of Monteverdi and various premieres, debuted in 1990 at the Anhaltisches Theater Dessau. During the years 1999 to 2001 he worked permanently in Halberstadt. After that, he decided to work as a freelancer. During that time he was in the employ of the state theatres in Braunschweig, Kassel, Cottbus, as well as of the Nationaltheater Weimar, the opera house Chemnitz and the theatre Bremen. His range of performances includes parts like Papageno in »Die Zauberflöte« and Don Alfonso in »Così fan tutte«, Graf Amalviva in »Le nozze di Figaro« and Wolfram in Wagner’s »Tannhäuser«. Moreover he performed as Mr. Emmett in »Mr. Emmett takes a walk« by Peter Maxwell Davis or Eckbert in »Blond Eckbert« by Judith Weir. Kai-Uwe shares a strong relationship with the Akademie für Alte Musik Berlin. There, in 2006, he, alongside other pieces concertantly interpreted Schürmann’s »Ludovicus Pius« directed by Attilio Cremonesi. Former performances had been at the Staatsoper Berlin and at La Monnaie in Brussels under the direction of René Jacobs in »Incoronazione di Poppea«. In Octobre 2007 he took part at the Gluck-Trilogy of Konzerthaus Berlin in »Alceste«, directed by Lothar Zagrosek. »Matsukaze« ist he second cooperation with Sasha Waltz, in 2007 he sang in her choreographic opera »Medea« by Pascal Dusapin.

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Kai-Uwe Fahnert Bariton

Kai-Uwe Fahnert studierte an der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« in Leipzig, wo er von Gerda Schriever unterrichtet wurde. Weiterführenden Unterricht erhielt er bei HansJoachim Beyer in Leipzig und Harald Stamm in Hamburg. 1990 debütierte Kai-Uwe Fahnert, dessen Repertoire von Monteverdi bis hin zu Uraufführungen reicht, am Anhaltischen Theater Dessau. In den Jahren 1999 bis 2001 war er in Halberstadt im Festvertrag engagiert. Im Anschluss daran entschied sich der Künstler für eine freischaffende Tätigkeit, in der er in den letzten Jahren an den Staatstheatern in Braunschweig, Kassel, Cottbus sowie am Nationaltheater Weimar, am Opernhaus Chemnitz und am Theater Bremen beschäftigt war. Sein Rollenprofil umfasst Partien wie Papageno in »Die Zauberflöte« und Don Alfonso in »Così fan tutte«, Graf Amalviva in »Le nozze di Figaro« und Wolfram in Wagners »Tannhäuser«, jedoch auch Mr. Emmett in »Mr. Emmett takes a walk« von Peter Maxwell Davis oder Eckbert in »Blond Eckbert« von Judith Weir. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn mit der Akademie für Alte Musik Berlin, mit der er 2006 u. a. Schürmanns »Ludovicus Pius« unter der Leitung von Attilio Cremonesi konzertant interpretiert hat. Zuvor war er an der Staatsoper Berlin und am Opernhaus La Monnaie in Brüssel unter der Leitung René Jacobs in »Incoronazione di Poppea« zu hören. Im Oktober 2007 wirkte er bei der Gluck-Trilogie des Konzerthauses Berlin in der Oper »Alceste« unter der Leitung von Lothar Zagrosek mit. Kai-Uwe Fahnert sang bereits 2007 in der von Sasha Waltz choreographierten Oper »Medea«. »Matsukaze« ist die zweite Zusammenarbeit mit Sasha Waltz.

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Hannah Dübgen Libretto

Hannah Dübgen was born in Düsseldorf, Germany in 1977. She studied Philosophy and Literature at the University of Oxford as well as Musicology at the Humboldt Universität Berlin. Her literary works include poetry, prose and dramatic writing, e.g. her play »Gegenlicht« (2007) that was nominated for the Drama Prize of Theater Klagenfurt, Austria. Hannah Dübgen regularly collaborates with composers and has written the libretto for operas such as »Freax« (2007) by Moritz Eggert, »Kryos« (2010) by Jörn Arnecke and »Matsukaze« (2011) by Toshio Hosokawa. She received commissions from various European theatres including Theater Bremen, Theater Bonn and Théâtre Royal de la Monnaie, Brussels and was awarded fellowships from the Ligerz Opera Atelier, Switzerland and the Academy Opera Today, Germany.

Ilka Seifert Dramaturgy

Ilka Seifert was born in 1964 in Wiesbaden. From 1993 to 1999 she was director and dramaturge of the Neuköllner Oper Berlin; from 1999 to 2006 dramaturge at the Staatsoper Unter den Linden Berlin before she started projects like the choreographic concert »4 Elemente —  4 Jahreszeiten« or the series »Hyperaktivität und Oper« as well as the scenic realization of contemporary music. She has worked freelance as a dramaturge for, among others, the Staatsoper Unter den Linden, the Deutsches Historisches Museum Berlin, the Gärtnerplatz-Theater, München and Radialsystem V, Berlin where she last performed the roles of production manager and dramaturge for the Akademie für Alte Musik and for the Schleswig-Holstein music festival. Her current projects include the international music festival »Himmel auf Erden« for Wittenberg and the programme of the sophiensæle in Berlin. In 2010 she assisted at the premiere of »Buch Asche« by Klaus Lang, Händl Klaus and Claudia Doderer in Bonn, as well as at the choreographic opera »Passion« by Pascal Dusapin and Sasha Waltz in Paris.

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Hannah Dübgen Libretto

Hannah Dübgen wurde 1977 geboren. Sie studierte Philosophie, Literatur- und Musikwissenschaft in Oxford, Paris und Berlin. Dramaturgisch ist sie tätig im Schauspiel, am Théâtre de la Bastille, Paris und in der Oper, Forum Neues Musiktheater und Staatsoper Stuttgart. Ihre literarischen Arbeiten umfassen Lyrik, Prosa und dramatische Werke, wie das Schauspiel »Gegenlicht« (2007), nominiert für den 1. Dramatikerpreis des Theater Klagenfurt. Hannah Dübgen schrieb außerdem das Libretto für die Opern »Freax« (2007) von Moritz Eggert, »Kryos« (2010) von Jörn Arnecke und »Matsukaze« (2011) von Toshio Hosokawa. Sie arbeitete u. a. im Auftrag der Theater Bremen, Theater Bonn und Théâtre Royal de la Monnaie, Brüssel und erhielt Stipendien der Akademie Musiktheater Heute, der Ligerzer Opernwerkstatt, Schweiz und der Artists Residence, Herzliya, Israel.

Ilka Seifert Dramaturgy

Ilka Seifert wurde 1964 in Wiesbaden geboren. Von 1993–1999 war sie Direktorin und Dramaturgin der Neuköllner Oper Berlin und von 1999–2006 Dramaturgin an der Staatsoper Unter den Linden Berlin, bevor sie sich genreübergreifenden Projekten, wie z.B. dem choreographierten Konzert »4 Elemente – 4 Jahreszeiten« oder der Reihe Hyperaktivität und Oper und der szenischen Umsetzung zeitgenössischer Musik zuwandte. Als freie Dramaturgin war sie u. a. für die Staatsoper Unter den Linden, das Gärtnerplatz-Theater in München, das Theater St. Gallen, das Radialsystem V und die Akademie für Alte Musik in Berlin und das Schleswig-Holstein Musikfestival tätig. Im vergangenen Jahr betreute sie die Uraufführung von »Buch Asche« (Klaus Lang/Händl Klaus/Claudia Doderer) in Bonn und die choreographische Oper »Passion« von Pascal Dusapin, choreographiert von Sasha Waltz in Paris. Aktuell bereitet sie das internationale Musikfestival »Himmel auf Erden« für die Lutherstadt Wittenberg und das künftige Programm der sophiensæle in Berlin vor.

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Impressum Fotos Pia Maier Schriever (Umschlag) Bernd Uhlig (S. 49–72) K. H. Foerster (Pine Tree) Texte Alle Texte sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Die deutsche Handlung verfasste Ilka Seiffert. Englische Übersetzungen von Eric Gradman. Druck Druckvogt Gestaltung SV Associates Nick Kapica Redaktion Yoreme Waltz Anne Wagner Ilka Seifert

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