DIE ERNÄHRUNG VOLUME 39 | 01. 2015

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LÄUFT ETWAS FALSCH IN DER ­LEBENSMITTELKOMMUNIKATION? HERSTELLER, HÄNDLER, ROHSTOFFPRODUZENTEN: ALLE BEKLAGEN BILDUNGSUND INFORMATIONSDEFIZITE DER KONSUMENTEN, ZEIGEN SICH UNGEHALTEN ÜBER DIE „OBERFLÄCHLICHE SENSATIONSGIER“ DER MEDIEN UND WISSEN RECHT GENAU BESCHEID ÜBER DIE DEFIZITE IN DER KOMMUNIKATION ANDERER ANBIETER. DR. MICHAEL BLASS

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Wenn also schon die für den Konsumenten augenfällige Produktaufmachung ein sensibles Terrain ist, gilt das für die Tiefenschichten der Lebensmittelkommunikation noch mehr. Das beginnt bei der Frage, wer aller kommuniziert und was die einzelnen Akteure legitimiert. Bei der Wirtschaft ist das einfach zu beantworten: Bauern, Händler, Verarbeiter tragen Verantwortung für ihr Handeln und stehen somit in der Pflicht, zu informieren. Dass sie Interessen haben und somit tendenziell Partei nehmen, gilt es als Determinante zu berücksichtigen. © AMA/APA/RUNGE

azit: Die meisten Unternehmen glauben für sich richtig zu kommunizieren, gesamthaft diagnostiziert man Entwicklungspotenzial für die Kommunikation des Lebensmittelsektors. Woran mag das liegen? Spekulationen sind zulässig, zielführender ist ein strukturierter Zugang. Eine empirische Stunde der Georg-August-Universität Göttingen, 2012 im Auftrag deutscher Verbraucherzentralen durchgeführt, gibt rudimentäre Anhaltspunkte. Überraschend ist keines der Ergebnisse, was damit zu tun hat, dass Lebensmittelkommunikation dort im Wesentlichen mit Produktinformation gleichgesetzt wird. Keine Frage, dass es in einer idealen Welt room for improvement von der Bezeichnung des Lebensmittels bis zur Aufklärung über seine Herkunft und auf die zur Anwendung gelangenden Technologien gäbe. Ob das neue Informationsrecht bei Lebensmitteln dazu beiträgt, die Lebensmittelkommunikation via Etikett und Angaben zu verbessern, wird sich zeigen. Jedenfalls importiert es ideologische Ungereimtheiten in die Kommunikation: Während die positivrechtlich geregelten Angaben dem offensiven Ansatz der Informationsphilosophie folgen, gilt für andere Hinweise wie Slogans, werbehafte oder bildliche Darstellungen weiterhin ein schlichtes Irreführungsverbot. Um an der Nahtstelle von Informationsrecht und Täuschungsschutz Spannungen zu verhindern, wird es noch mehr Aufmerksamkeit als bisher brauchen. Die Breite des Spektrums an Botschaften, die beim Konsumenten als Lebensmittelkommunikation ankommen, ist nicht Gegenstand der deutschen Studie.

Die vorgeschriebenen Angaben bei der Vermarktung und auf der Verpackung bilden in diesem größeren Zusammenhang freilich nur einen Ausschnitt. Überlagert werden sie von der werblichen und außerwerblichen Kommunikation der Wirtschaft und anderer Proponenten. Dabei kommt es oft zu einer Vermengung von Produktangaben und sonstigen Inhalten der Kommunikation. Ebenso wird zwischen Lebensmittel- und Ernährungskommunikation methodisch kaum differenziert. Bedauerlich, denn das systematische Herangehen an Themen könnte ihre Umsetzung in der Kommunikation erleichtern. Andererseits ist die Gemengelage nicht verwunderlich, denn das Etikett selbst ist spätestens seit Einführung der Nährwertkennzeichnung Mitte der 1990er oft ein Mix aus Lebensmittel- und Ernährungsinformation.

ERNÄHRUNG | NUTRITION  volume 39 | 01. 2015

Aller notwendigen Profilschärfung unter Konkurrenzdruck zum Trotz sollten deshalb gerade diese Gruppen ihrer Kommunikation einen gemeinsamen Grundton geben, etwa das Bekenntnis zur gesellschaftlichen Aufgabe der Lebensmittelversorgung, zur Angebotsvielfalt, zum Leistungswettbewerb, zur technologischen Weiterentwicklung oder zum Respekt vor und dem Dialog mit den Konsumenten. Von allen Partnern der Lebensmittelkette geteilte Bekenntnisse sind wichtig, weil der Sektor damit einen übergreifenden Anspruch auf Themenführerschaft postuliert. Darauf was andere sagen, haben Produzenten und Handel hingegen beschränkten Einfluss. Vielfältig sind außerdem die Motive, aus denen sich NGOs und Medien, Wissenschaft und Fachexperten, Behörden und Politik zu Lebensmittelthemen zu Wort melden und unterschiedlich ist der Wissens- und Informationsstand, auf dessen Grundlage Aussagen getätigt werden. Dennoch: Den Startvorteil der höheren Glaubwürdigkeit hat derjenige, dem –


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