Rettungsdienst kompakt Band 4: Narkose im Rettungsdienst

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Eine richtig dosierte Narkose und eine korrekte Beatmung sind überlebenswichtig für den betroffenen Patienten. Das Buch vermittelt mit praxisnahen Erläuterungen von Techniken und Hilfsmitteln Sicherheit beim Umgang mit Narkosen im Rettungsdienst ­­– eine Anleitung für alle Teammitglieder in der Präklinik.

Stephan Dönitz

Narkose im Rettungsdienst ISBN 978-3-943174-29-8 · www.skverlag.de

Band 4 Rettungsdienst kompakt 4 Narkose im Rettungsdienst

Frank Flake, Klaus Runggaldier (Hrsg.) Band 4

Stephan Dönitz

Narkose im Rettungsdienst 2., überarbeitete Auflage


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© Copyright by Stumpf + Kossendey Verlagsgesellschaft mbH, Edewecht 2014 Umschlagfotos: M. Bastigkeit, S. Dönitz Druck: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn ISBN 978-3-943174-29-8 ISBN 978-3-938179-21-5 (Gesamtausgabe)


Band 4

(herausgegeben von Frank Flake und Klaus Runggaldier)

Stephan Dönitz

Narkose im Rettungsdienst 2., überarbeitete Auflage

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH • Edewecht


Piktogramme

Erl채uterung der Piktogramme

Definition

Tipps

Merke!

Gefahren / Problem

4


Inhalt

Inhaltsverzeichnis Vorwort

7

1 Grundlagen der Narkose

9

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Definitionen Allgemeinanästhesie Regionalanästhesie Kombinationsanästhesie Präoperative anästhesiologische Untersuchung

2 Airwaymanagement / Difficult Airway 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8

Atemweg und Atmung – ABCDE-Schema Leitlinien zum Airwaymanagement Freimachen und -halten der Atemwege Definitive Sicherung des Atemweges Die endotracheale ­Intubation Beispiele für supra­glottische Atemwegshilfen Notfallkoniotomie Schwieriger Atemweg im Rettungsdienst

3 Beatmung im Rettungsdienst 3.1 Grundlagen zur Physiologie der Atmung 3.2 Beatmung bei Narkosen 4 Monitoring 4.1 4.2 4.3 4.4

EKG (Elektrokardiogramm) Pulsoxymetrie Blutdruckmessung Kapnometrie/-grafie, kolorimetrische CO2-Messung

9 10 12 14 15 20 21 23 25 25 25 48 62 72 73 73 73 92 92 93 95 97

5


Inhalt

5 Narkosemedikamente 5.1 Substanzgruppen zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung 5.2 Pharmakologische Grundlagen 5.3 Vegetatives Nervensystem 5.4 Nozizeption 5.5 Transmitter im zentralen Nervensystem 5.6 Akrinor® 5.7 Atropin 5.8 Benzodiazepin (BDZ) 5.9 Ketamin und Esketamin 5.10 Muskelrelaxanzien 5.11 Analgetika vom Opioidtyp 5.12 Hypnotika 5.13 Noradrenalin (Arterenol®) 5.14 Narkoseeinleitung im Rettungsdienst 5.15 Narkosemedikamente im Überblick 5.16 Nasale Medikamentenapplikation

105 105 106 109 117 119 122 124 126 128 130 135 141 144 145 148 170

Ausgewählte Literatur

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Abbildungsnachweis

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Autor / Herausgeber

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Definitionen

1 Grundlagen der Narkose 1.1 Definitionen In der Notfallmedizin sind die Übergänge zwischen Analge­ sie, Analgosedierung und Nar­ kose oft fließend. Daher ist es wichtig, die unterschiedlichen Definitionen zu verstehen und sie sich einzuprägen. Analgesie Der Begriff »Analgesie« bedeutet Schmerzfreiheit bzw. Schmerzbekämpfung.

Der Patient ist bei der Analgesie (weitgehend) wach und kooperativ. Im Rettungsdienst sollte jeder Patient, der eine medikamentöse Schmerzbe­ handlung bekommt, neben einer Basisüber wachung auch Sauerstoff erhalten. Dies liegt darin begründet, dass die potenten Analgetika, wie Morphin oder Fentanyl, alle eine Atemdepression be­ wirken können, besonders in höherer Dosierung. Analgosedierung Wie der Name schon sagt, geht es um die Verbindung von Analgesie (Schmerzfrei­ heit) und Sedierung (Beruhi­ gung). Die Analgosedierung

ist ein »medikamentöses Ver­ fahren zur Abschirmung des Patienten gegenüber diag­ nostischen und therapeu­ tischen Maßnahmen mit dem allgemeinen Ziel des schmerz­ freien, schlafend-weckbaren Patienten« (Münte et al. 2002). Der Patient befindet sich auf dem schmalen Grat zur All­ gemeinanästhesie. Gerade in der Notfallmedizin verwi­ schen die Übergänge mitun­ ter, da eine beabsichtigte An­ algosedierung auch in eine Atem­insuffizienz und damit praktisch in eine Allgemein­ anästhesie münden kann. Es handelt sich bei der Analgosedierung um ein Anästhesieverfahren, das neben den üblichen Vorsichtsmaßnahmen und dem Monitoring stets auch eine Sauerstoffgabe und Beatmungsbereitschaft erfordert.

Anästhesiologie und Anästhesie Anästhesiologie ist die Lehre von der Narkose. Der wesentliche Unter­ schied zwischen Notfallmedi­ zin und klinischem Anästhe­ siebetrieb besteht darin, dass im Krankenhaus die Narkose 9


Allgemeinanästhesie Die Narkose ist ein Zustand, in dem chirurgische, diagnostische und therapeutische Eingriffe ohne Schmerzempfindungen oder Abwehrreaktionen durchführbar sind. Diese Unempfindlichkeit des Organismus wird auch als Anästhesie bezeichnet und geht mit der Ausschaltung des Bewusstseins einher.

meist ohne Zeitdruck erfolgt, um etwa eine Operation oder Untersuchung durchführen zu können. Zudem ist der Pati­ ent voruntersucht und damit bekannt. In der Notfallmedizin hingegen ist die Anästhesie ein Erfordernis, das sich aus einem bereits bestehenden schwerwiegenden Problem ergibt, wie z.B. einer Atemin­ suffizienz oder aufgehobenen Schutzreflexen bei schwerem SHT. Der Patient ist zudem unbekannt und gilt grund­ sätzlich als nicht nüchtern. Heutzutage wird die Auffas­ sung vertreten, dass bei jeder Narkose im Rettungsdienst von einem schwierigen Atem­ weg ausgegangen werden muss (s. Kap. 2). 1.2 Allgemeinanästhesie Die Allgemeinanästhesie stellt eine reversible und zeit­ lich limitierte, dämpfende 10

Beeinflussung des zentralen Nervensystems mithilfe sog. Anästhetika dar. Dazu gehört die Ausschaltung des Be­ wusstseins und der Schmerz­ empfindung. Damit einher gehen der Verlust der Schutz­ reflexe und der Atmung und die häufige Beeinträchti­ gung der Kreislauffunktion. Grundsätzlich kann man bei entsprechend niedriger Do­ sierung der Anästhetika zu­ nächst die Vorstufen Sedie­ rung bzw. Analgosedierung durchlaufen. Als Synonym für »Allgemeinanästhesie« wird auch der Begriff »Narkose« verwendet. Narkoseformen bei der Allgemeinanästhesie Eine Allgemeinanästhesie wird heutzutage im klinischen Betrieb als sog. totale intrave­ nöse Anästhesie (TIVA) oder als balancierte Anästhesie durchgeführt. Bei der totalen intravenösen Anästhesie wer­ den ausschließlich intravenöse Anästhetika verwendet. Balancierte Anästhesie heißt, dass man intravenöse Anästhetika mit Inhalations­ anästhetika (z.B. Sevofluran) kombiniert. Fast immer wird die Narkose aus Sicherheits­ gründen intravenös – also


Allgemeinanästhesie

Abb. 1: Narkoseeinleitung

schnell wirksam – eingeleitet und mit Inhalationsanästhe­ tika – damit recht gut steuer­ bar – aufrechterhalten. Dabei ist der Einsatz eines OpioidAnalgetikums obligat. Diese werden mit einem Hypnoti­ kum kombiniert, eine Ausnah­ me kann die Verwendung von Esketamin darstellen. Häufig wird zudem ein Muskelre­ laxans eingesetzt. Eine Aus­ nahme von der intravenösen Einleitung ist die im Rahmen von Elektiveingriffen mitunter bei Säuglingen/Kleinkindern durchgeführ te inhalative Einleitung (»Single Breath Induction«) mit Sevofluran über die Gesichtsmaske. Die­ se erfolgt entweder, um dem Kind die belastende Anlage eines venösen Zugangs zu ersparen, da oft schwierige

Venenverhältnisse bestehen (»Speckärmchen«), oder aber auch nach mehrfachen frustranen Versuchen. In diesen Fällen wird, sobald das Kind tief schläft, ein venöser Zu­ gang gelegt und die Narkose dann intravenös vertieft. Beim nicht nüchternen Kind gilt die Maskeneinleitung jedoch als kontraindiziert (Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI 2007). Bei Kindern bietet sich heutzutage die intranasale Verabreichung von beispiels­ weise Esketamin an, wenn ei­ ne Analgesie erfolgen soll und man dem Kind zunächst die Anlage des venösen Zugangs ersparen möchte. Nicht selten weinen die Kinder und sind auch entsprechend moto­ risch unruhig, wenn sie starke Schmerzen haben, etwa bei ei­ ner Verbrennung. Unter diesen Bedingungen erst einen ve­ nösen Zugang legen zu wollen, womöglich noch bei einem Kleinkind mit »Speckärm­ chen«, ist für alle Beteiligten ein großer Stress. Daher ist die Möglichkeit der intranasalen Verabreichung von Medika­ menten Gold wert und in vie­ len Fällen auch ausreichend, im Übrigen natürlich auch bei erwachsenen Patienten. 11


Die endotracheale ­Intubation

Durchführung Präoxygenierung ist die Auswaschung von Stickstoff (Denitrogenisierung) aus der Lunge durch Atmung von hochkonzentriertem Sauerstoff (idealerweise 100%).

Im anästhesiologischen Rou­ tinebetrieb sollte immer eine Y Präoxygenierung statt­ finden. Dies gilt umso mehr für die Notfallsituation, wann immer es die Zeit erlaubt. Die Prä­oxygenierung soll die bis zur ersten suffizienten Beat­ mung vergehende Zeit ver­ längern, ohne den Patienten durch eine Hypoxie zu ge­ fährden. Ein Erwachsener hat unter Atmung von Raumluft seinen Sauerstoffvorrat nach ca. 75 Sekunden verbraucht. Bei bestimmten Patienten, insbe­ sondere bei Kindern, sind die Reserven wesentlich schneller

Abb. 8: Präoxygenierung 26

verbraucht. Neugeborene ha­ ben ohne Präoxygenierung be­ reits nach 7 (!) Sekunden Apnoe einen kritischen Sauerstoff­ partialdruck von < 75 mmHg. Dem Patienten ist daher stets – wenn möglich mehrere Mi­ nuten – bis zum Beginn der Narkoseeinleitung Sauerstoff über eine Inhalationsmaske, vorzugsweise mit Reservoir und Nichtrückatemventil und einem Sauerstoff-Flow von 10 – 15 l/min, zu geben. Bei Risikopatienten – und dazu gehören im Notfall alle – sollte so lange und so gut es geht präoxygeniert werden, bevor eine Narkose eingeleitet wird.

Zur Y Lagerung des Kop­f es sollte sich ein Polster oder Kis­ sen unter dem Kopf des Pati­ enten befinden (cave: HWS-Ver­ letzungen), das kann notfalls auch eine Infusion sein oder, bei Intubationen auf dem Boden, das Bein des Intubierenden. Gleichzeitig wird der Kopf etwas rekliniert (verbesserte JacksonPosition). Besteht die Möglich­ keit einer HWS-Verletzung, sind Rettungsteams mitunter unsi­ cher, wie eine Intubationsnar­ kose durchgeführt werden soll. Hier kann entweder bei ange­


Die endotracheale ­Intubation

legtem Immobilisationskragen intubiert werden, wobei diese Variante etwas schwieriger ist, weil die Mundöffnung des Patienten und somit auch der Intubationsvorgang erschwert ist. Die andere Möglichkeit ist, den Halskragen zur Intubati­ on zu öffnen, der Kopf bleibt dabei in Neutralposition und es wird eine »manuelle InlineStabilisierung« (MILS) der HWS durchgeführt. Dieses Vorgehen entspricht den Empfehlungen der DGAI. Der Ablauf könnte folgendermaßen aussehen: Der am Kopf befindliche Not­ arzt fixiert den Kopf mit beiden Händen, einer der Rettungsas­ sistenten bzw. Notfallsanitäter öffnet den Halskragen, lässt ihn unter dem Patienten liegen und übernimmt die Fixierung des Kopfes. Diese manuelle Fixierung wird die ganze Zeit aufrechterhalten und muss so erfolgen, dass der Vorgang der Intubation dadurch nicht behindert wird. Das bedeutet auch, dass die weiteren Maß­ nahmen, etwa das Verabreichen der Medikamente und die Assis­ tenz bei der Intubation, von diesem Helfer nicht vorgenom­ men werden können. Sobald der Atemweg gesichert und der Tubus adäquat fixiert ist, kann nun der Notarzt die Fixierung

Abb. 9: Intubation bei MILS

des Kopfes von oben her über­ nehmen. Somit kann der Hals­ kragen nun wieder verschlossen werden. Diese Vorgehensweise entspricht den Empfehlungen der S3-Leitlinie Polytrauma. Bei Säuglingen ist es emp­ fehlenswert, für die Maskenbe­ atmung eine kleine Polsterung unter die Schultern zu legen, etwa ein zusammengerolltes Handtuch als Schulterrolle, und den Kopf in »Schnüffel­ position« auf einem Ring zu lagern. Dieses Vorgehen trägt anatomischen Besonderheiten, wie z.B. großem Hinterkopf und kurzem Hals Rechnung (cave: HWS-Trauma). Im Rettungs­ dienst, unter Zeitdruck, ist diese Methode jedoch oft nicht praktikabel. Alternativ sollte dann eine Neutralposition des Kopfes gewählt werden, wobei man den Kiefer mit zwei Fin­ gern anhebt und darauf achtet, die Weichteile nicht zu kompri­ mieren. Bei Kindern ab etwa 27


Die endotracheale ­Intubation

1 Jahr ist eine leichte Überstre­ ckung sinnvoll. Der Ablauf der Y Assistenz bei einer Intubation sollte sich wie folgt gestalten: Zunächst gibt man dem Durchfüh­ renden das Laryngoskop mit ausgeklapptem, leuchtendem Spatel in die linke Hand. Dies muss so geschehen, dass er das Laryngoskop direkt ein­ führen kann, ohne nochmals umgreifen zu müssen. Sobald er Sicht auf die Stimmritze (Glottis) hat, reicht man ihm den Tubus so in die rechte Hand, dass er nicht danach schauen muss. Sobald der Cuff die Stimm­ bänder passiert hat, sollte der Tubus nicht mehr allzu tief eingeführt werden. Ein Anhaltswert ist die obere Zahnreihe bzw. Kieferleiste. Anhaltswert für die richtige Tubustiefe: Frauen ca. 20 – 22 cm auf obere Zahnreihe, Männer ca. 22 – 24 cm auf obere Zahnreihe.

Der Tubus wird nun mit 7 – 8 ml Luft geblockt. Zeitnah sollte auch der Cuffdruck gemessen werden, um Trachealläsionen zu vermeiden. Bei Säuglin­ gen und Kindern kann die 28

korrekte Tubustiefe bei oraler Intubation anhand der For­ mel (Alter/2) + 12 abgeschätzt werden. Achtung: Bei Kindern wird der Tubus oft zu tief ein­ geführt! Sobald der Patient intu­ biert ist, Y blockt man den Tubus mit der bereits aufge­ steckten luftgefüllten Blocker­ spritze und hält ihn mit der Hand in der jeweiligen Positi­ on fest. Der Tubus darf nicht versehentlich herausgezogen oder tiefer gedrückt werden. Zu diesem Zweck sollte man ihn mit Daumen und Zeigefin­ ger am Mundwinkel gut fest­ halten und mit den anderen Fingern Kontakt zum Kiefer des Patienten halten. Diesen Griff nennt man auch den Zwei-plus-Drei-Griff. Durchführung der Intubation • Präoxygenierung • Lagerung des Kopfes, Cave: HWS-Trauma • Assistenz bei der Intu­ bation • Tubustiefe und Blocken des Tubus • Lagekontrolle des Tubus • Fixierung des Tubus


Die endotracheale ­Intubation

Ablauf einer Narkoseeinleitung im Rettungsdienst Abb. 10: Die Patientin wurde über Maske mit Reservoir und hohem Flow (10 – 15 l/min) gut präoxygeniert. Diese wird nach »Einschlafen« der Patientin abgenommen, die letzten Medikamente werden verabreicht.

Abb. 11: Links vom Kopf der Patientin erkennt man die vorbereitete Absaugung (ausgepackter Katheter, Fingertipp geschlossen). Der Helfer hält in der linken Hand Laryngoskop und Tubus mit Führungsstab und aufgesteckter Blockerspritze bereit. Der Beatmungsbeutel mit Maske dient der sofortigen Beatmung bei etwaigen Intubationsproblemen. Abb. 12: Die hier am Hals sichtbare Hand dient nicht dem Krikoiddruck. Vielmehr lässt man die Hand gewissermaßen im »Standby« am Hals, sodass man auf Wunsch des Intubierenden ein BURP-Manöver oder einen Kehlkopfdruck in eine bestimmte Richtung ausüben kann.

Vor der eigentlichen Fixie­ rung ist die Y korrekte Lage des Tubus zu überprüfen, die unten ausführlich beschrie­ ben wird.

Ggf. muss für die Y Fix i e r u n g d e s Tu b u s d e r Beatmungs­b eutel kurz vom Tubus abgenommen wer­ den. Gerade für Ungeübte ist 29


Die endotracheale ­Intubation

Ablauf einer Narkoseeinleitung im Rettungsdienst Abb. 13: Geübte Anwender können die Intubation häufig auch bei angelegter HWS-Immobilisation durchführen. Die Alternative dazu ist die Intubation bei geöffneter Halskrawatte mit gleichzeitiger »manueller InlineStabilisierung (MILS)«. Abb. 14: Erst nach Blocken des Cuffs wird die Spritze vom Pilotballon abgenommen. Zum Blocken reichen ca. 7 ml für den Tubus 7,0 völlig aus.

Abb. 15: Der Notarzt fixiert den Tubus mit einer Hand, während der RettAss/NotSan den Tubus ebenfalls festhält und den Führungsstab entfernt.

Abb. 16: Die auskultatorische Lagekontrolle wird mittels endtidaler Kohlendioxidmessung vorgenommen, in diesem Fall kolorimetrisch (EasyCap). Die Verwendung einer sog. Gänsegurgel verringert Manipulationen am Tubus und reduziert die sekundäre Gefahr einer akzidentellen Extubation.

es so einfacher und sicherer. Grundsätzlich sollte im Ret­ tungsdienst mit speziellen Tubushaltern fixiert werden. 30

Allerdings ist es je nach lo­ kalem Protokoll üblich, auch andere Fixierungsmethoden einzusetzen.


Substanzgruppen zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung

5 Narkosemedikamente Die für eine präklinische Narkose verwendeten Medikamente sind überschaubar. Im weiteren Sinne sind jedoch auch Arzneimittel interessant, die beispielsweise im Rahmen der Behandlung eines narkoseinduzierten niedrigen Blutdrucks oder einer Bradykardie zur Anwendung gelangen oder die zur Antagonisierung der verwendeten Narkosemedikamente genutzt werden können. »Nebenbei« sind die Kenntnisse natürlich auch außerhalb der Narkosedurchführung nützlich (Beispiel: Flumazenil als Antidot bei Benzodiazepinintoxikation). Die Kenntnis der Substanzen ist aber auch insofern wichtig, weil die Auswahl der Medikamente vom Wirkungsprofil und von der Situation abhängt. Handelt es sich z.B. um einen eingeklemmten Patienten, bei dem eine Analgesie erforderlich ist, die Spontanatmung aber noch erhalten bleiben soll/muss? Ein weiterer Aspekt ist der Anlass für die Narkoseeinleitung, wie z.B. ein schwer verletzter Patient mit oder ohne Schock oder eine Ateminsuffizienz bei internistischer Erkrankung.

Sobald die Entschei­ dung zur Durchfüh­ rung einer Narkose getroffen wurde, soll der Notarzt deutlich ansagen, wel­ che Medikamente er vorbereitet haben möchte. Dies wird dann vom zuständigen RettAss/NotSan bestä­ tigt und entsprechend vorbereitet.

Eine Allgemeinanästhesie wird heutzutage im klinischen Betrieb als sogenannte totale intravenöse Anästhesie (TIVA, nur Verwendung intravenöser Anästhetika) oder als balancierte Anästhesie (Inhalationsanästhetika und intravenöse Anästhetika in Kombination) durchgeführt. Im Rettungsdienst wird eine Narkose intravenös eingeleitet und aufrechterhalten. 5.1 Substanzgruppen zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung Es kann zwischen Medikamenten unterschieden werden, die zur Einleitung der Narkose verwendet werden, und denen, welche die Narkose aufrechterhalten. Manche Medikamente können für beide Zwecke verwendet werden. Im Wesentlichen ste105


Pharmakologische Grundlagen Grundlagen

hen drei Substanzgruppen im Umfeld einer Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung zur Verfügung: • Analgetika, • Hypnotika/Sedativa, • Muskelrelaxanzien. Weitere Substanzgruppen, die im Rahmen von Narkosen bedarfsabhängig zum Einsatz gelangen, sind: • Medikamente zur vegetativen Dämpfung, • Vasopressoren und • Infusionslösungen. Auf die Infusionslösungen wird in diesem Buch nicht näher eingegangen. Eine Narkose ist auch ohne Muskelrelaxan­ zien durchführbar (s. 5.10). Die Analgesie und die Hypnose gehören jedoch zwingend dazu.

5.2 Pharmakologische Grundlagen Um die Wirkmechanismen der einzelnen Medikamente besser zu verstehen, werden hier vorbereitend wichtige pharmakologische Grundlagen dargestellt. Auch für den Notfallsanitäter mit seinen erweiterten Kompetenzen ist dies 106

eine relevante Vorbereitung. Dennoch handelt es sich bei »Narkose im Rettungsdienst« um kein Lehrbuch für Pharmakologie. Die Darstellung in diesem Kapitel beschränkt sich auf die Aspekte, die für das Verständnis der Medikamentenwirkungen erforderlich sind, teilweise sind die Zusammenhänge auch bewusst vereinfacht dargestellt. Es sei daher ausdrücklich auf die weiterführende Fachliteratur verwiesen (z.B. Herdegen et al. 2014). Rezeptoren – Einleitung Für ein Verständnis der Wirkungen und Nebenwirkungen der verschiedenen Medikamente werden Grundlagen benötigt. Dies betrifft zum einen Kenntnisse über das vegetative Nervensystem und einige seiner Rezeptoren (Acetylcholin-, Alpha- und Beta-Rezeptoren) sowie dazugehörige Agonisten bzw. Antagonisten (Gegenspieler). Zum anderen geht es um Rezeptoren, an denen die Narkose- und Schmerzmedikamente ihre Wirkung entfalten (z.B. GABA-, NMDA- und Opioid-­ Rezeptoren [OR]). Und auch im Zusammenhang mit den Muskelrelaxanzien interessieren


Pharmakologische Grundlagen

uns bestimmte AcetylcholinRezeptoren (AChR). Interessant sind zudem die Antagonisten der verschiedenen Substanzen, sofern diese existieren. Damit ein Wirkstoff im Körper eine Reak­ tion hervorrufen kann, muss er sich an einen entsprechenden Reaktionspartner binden. Normalerweise sind diese Bindungsstellen für körpereigene Überträgerstoffe (Transmitter) gedacht, sie reagieren aber auch mit Arznei- oder Giftstoffen. Man nennt diese Bindungsstellen Rezep­ toren, oftmals handelt es sich dabei um Proteine (Rezeptorproteine). Die Substanzmoleküle, die sich an den Rezeptor anlagern, werden auch Ligand genannt. Substanzen, die a m Re z e p t o r e i n e bestimmte Reaktion auslösen, bezeichnet man als Agonisten (Mimetikum). Wird hingegen der Rezeptor ledig­ lich blockiert, ist die Substanz ein Antagonist (Lytikum).

Abstimmung der Organfunk­ tionen Die Evolution hat aus Einzellern komplexe Organismen hervorgebracht, die u.a. aus einer Vielzahl unterschiedlicher Organe bestehen. In solch

einem Organismus müssen die Organfunktionen sinnvoll aufeinander abgestimmt werden (»Gleichgewicht«). Diese Abstimmung muss sich den wechselnden Anforderungen anpassen, die sich aus den unterschiedlichen Umgebungsbedingungen ergeben. Einfach gesagt, finden sich die Strukturen zur Steuerung dieser Vorgänge im Gehirn und Rückenmark, also dem zentralen Nervensystem (ZNS). Dieses Steuerungssys­ tem muss mit den in der Peripherie gelegenen Organen kommunizieren können. Dazu verfügt der Körper u.a. über ein somatisches, ein vegetatives und ein endokrines (Nerven-)System. Synapsen Synapsen sind Verbindungsstellen von Nerv zu Nerv, Nerv zu Muskel oder Nerv zu Drüse. An chemischen Synapsen erfolgt die Weiterleitung der Information mittels einer Überträgersubstanz (Botenstoff). Diese nennt man Transmitter. Jedoch dienen die Synapsen nicht nur einer einfachen 1:1-Überleitung, sondern sie können die Impulsübertragung bahnen oder hemmen und mit anderen Informati107


Akrinor®

von der α-Untereinheit noch sechs verschiedene Varianten, die als α1 bis α6 bezeichnet werden (Bocklisch et al. 2010). Diese Varianten vermitteln unterschiedliche Wirkungen (z.B. Angst lösende, Muskeltonus senkende Wirkung), jedoch spielen nur vier davon bei der Wirkung der Benzodiazepine eine Rolle. Gammahydroxybutyrat (GHB) ist ein synthetisches Derivat des Transmitters GABA. Vielen ist GHB vermutlich eher bekannt unter dem Begriff »Liquid Ecstasy« oder »K.o.-Tropfen«. GHB bewirkt Somnolenz, Delir, Koma. Verwerflich ist der illegale Einsatz z.B. als »Vergewaltigungsdroge« auch, weil GHB in hohen Dosen u.a. eine Atemdepression bis hin zum Atemstillstand bewirkt und die Täter somit die Lebensgefahr ihres Opfers in Kauf nehmen. Die Bezeichnung »Liquid Ecstasy« ist insofern irreführend, weil sich das GHB hinsichtlich seiner Wirkung und chemischen Zusammensetzung stark vom Ecstasy/XTC (= MDMA = 3,4-Methylendioxy-Nmethylamphetamin) unterscheidet.

5.6 Akrinor® Pharmakologischer Angriffspunkt Akrinor® wird zu der Gruppe der Methylxanthine (auch Xanthinverbindungen genannt) gezählt. Ein prominenter Vertreter dieser Substanzen ist das Theo­p hyllin, das Coffein ist ebenfalls ein Methylxanthin. Eine andere Einteilung zählt Akrinor® zu den adrenerg wirkenden Mitteln (Sympathomimetika). Akrinor® ist insofern in der Notfallmedizin ein relativ einzigartiges Medikament, weil darin zwei Wirkstoffe enthalten sind, die sogar auf drei Ausgangssubstanzen zurückgehen. Daher ist die Pharmakodynamik von Akrinor® recht komplex. Es enthält eine Kombination aus 200 mg Cafedrin (genau: Cafedrinhydrochlorid, einer synthetischen Ve r b i n d u n g v o n T heophyl lin und Norephedrin) und 10 mg Theodrenalin (genau: Theodrenalinhydrochlorid, Abb. 74: Akrinor® Amp 2 ml

122


Akrinor®

einer Verbindung aus Theophyllin und Noradrenalin). Cafedrin und Theodrenalin sind also im Verhältnis von 20 : 1 enthalten. Aus diesem Grund kann bei Akrinor® auch nicht, wie sonst üblich, eine Dosierungsangabe in Milligramm erfolgen, sondern man drückt die beabsichtigte Menge in Millilitern aus oder sagt beispielsweise »eine viertel Ampulle«. Ein Präparat mit mehr als einem Wirkstoff wird als Kombinationspräparat bezeichnet.

Einsatzgebiet von Akrinor® Das Einsatzgebiet von Akrinor® ist ein zu niedriger Blutdruck (Hypotension), somit ist es ein Antihypotonikum. Gerade in der Akutmedizin sind Hypotensionen für den Patienten nicht ungefährlich, z.B. bei vorbestehendem Hypertonus, HerzKreislauf-Erkrankungen oder einem schweren SHT. Akrinor® hebt den Blutdruck effektiv an, bei Einnahme von β-Rezeptorenblockern oder bei Herzinsuffizienz ist der Effekt jedoch geringer. Als Antidot gelten β-Rezeptorenblocker.

Wirkungen von Akrinor® Der Wirkungsmechanismus ist komplex, weil die verschiedenen Substanzen sich hinsichtlich Wirkungsbeginn und -dauer unterscheiden und zum Teil unterschiedliche Effekte aufweisen. Die Wirkung beruht vor allem auf einer Stimulation der β 1 - und β 2 Rezeptoren. Manche Quellen bescheinigen dem Akrinor® lediglich eine β-Wirkung und verneinen Effekte auf die α-Rezeptoren. Andere Quellen weisen jedoch auch auf eine Beeinflussung der α-Rezeptoren hin (Thiel/Roewer 2009, Roewer/Thiel 2013). Zusammenfassend bestehen folgende Wirkungen: Über die β-Rezeptoren sowie über zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP) wird rasch die Herzkraft (Inotropie) und somit auch das Herzzeitvolumen (HZV) gesteigert. Zudem kommt es mit einer gewissen Verzögerung zu einer Venokonstriktion, wodurch Blutreserven aus dem venösen System mobilisiert werden und die kardiale Vorlast gesteigert wird. Auch dies trägt zur HZV-Steigerung bei. Für die Blutdruckerhöhung wird vor allem die Zunahme 123


Atropin

der Inotropie verantwortlich gemacht. Insbesondere bei höheren Dosierungen kommt es zur Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstands. Als vorteilhaft wird die geringe Beeinflussung der Herzfrequenz angesehen. Die Wirkung setzt binnen 10 – 20 Sekunden ein und hält etwa 10 – 30 Minuten an. Die Lösung soll nicht über 25 °C gelagert, aber auch nicht im Kühlschrank aufbewahrt werden. Falls Patienten im Rahmen der Narkoseeinleitung eine Hypotonie zeigen, die oft auch mit einem Herzfrequenzabfall einhergeht, wird gerne Akrinor® verwendet, weil es – im Gegensatz zum Noradrenalin – nicht als Nebenwirkung eine reflektorische Bradykardie hervorruft. Noradrenalin kann bei diesen Bedingungen die narkoseinduzierte Bradykardie verschlechtern. Mitunter lässt sich mit Akrinor® auch in größeren Mengen (1 – 2 Amp.) der Blutdruck nicht ausreichend anheben. In solchen »schweren« Fällen ist erfahrungsgemäß Noradrenalin erforderlich, um einen blutdrucksteigernden Effekt zu erzielen.

124

5.7 Atropin Pharmakologischer Angriffspunkt Atropin wirkt als kompetitiver Antagonist an muskarinischen Acetylcholin-Rezeptoren (mAChR), diese werden auch als m-Cholinozeptoren bezeichnet. Einer der wichtigsten Effekte des Atropins ist eine Hemmung der parasympathischen Acetylcholin-Wirkung am Herzen, ohne dass das Atropin selber den Rezeptor erregt (kompetitiver Hemmstoff). Erst in sehr hohen Dosierungen hat Atropin auch eine hemmende Wirkung auf nikotinische n-Cholinozeptoren an Ganglien und der neuromuskulären Endplatte. Der Begriff der »kompetitiven Hemmung« bedeutet, dass Agonist und Antagonist um den gleichen Rezeptor konkurrieren. Bildlich gesprochen »gewinnt« derjenige, von dem mehr Masse vorhanden ist. Es kommt zur Verdrängung der unterlegenen Substanz.

Atropin ist ein Alkaloid, welches in Solanaceae-Arten vorkommt, z.B. der Tollkirsche (Atropa belladonna) oder dem Bilsenkraut (Hyoscya-


Atropin

mus niger). Das in der Pflanze befindliche Alkaloid ist das LHyoscyamin, dieses ist auch pharmakologisch betrachtet das wirksame Enantiomer. Im Rahmen der Aufbereitung razemisiert das L-Hyoscyamin zu Atropin (ein Razemat aus D- und L-Hyoscyamin). Wirkungen von Atropin Durch Atropin werden die Reizbildung im Sinusknoten und die Erregungsüberleitung am AV-Knoten verbessert, es kommt dadurch zu einem Anstieg der Herzfrequenz. Auf die Ventrikel hat Atropin keine Wirkung. Dies erklärt die fehlende Wirkung von Atropin beim AV-Block III. Grades. We i t e r e ( N e b e n - ) W i rkungen sind eine Weitstellung der Pupillen (Mydriasis) und Akkommodationslähmung, Hemmung der Schleimsekretion (Mundtrockenheit) und Hemmung des Harnblasentonus. Der Tonus im Magen-Darm-Trakt und in den Gallenwegen wird vermindert, ein Effekt, der besonders bei Spastiken zum Tragen kommt. Abb. 75: Atropin® Amp 1 ml

endogener Agonist exogener Antagonist Abb. 76: Schematische Darstellung der Wirkweise eines Lytikums bzw. Antagonisten (rotes Dreieck). Dieses könnte z.B. ein Parasympatholytikum wie Atropin sein.

Dennoch sollte bei Spastiken (Koliken) in den Gallen- und Harnwegen dem Butylscopolamin (Buscopan®) der Vorzug gegeben werden. Wie schon erwähnt, wirkt Atropin auch auf die Schweißdrüsen, obwohl diese anatomisch-physiologisch zum Sympathikus gehören. Dies liegt daran, dass die Schweißdrüsen cholinerg innerviert werden. Die Hemmung der Schleimsekretion ist im Rahmen der Narkoseführung mitunter ein beabsichtigter Effekt vom Atropin, um beispielsweise eine Verschleimung der Atemwege zu vermeiden. 125


Narkosemedikamente im Überblick

5.15 Narkosemedikamente im Überblick Die Auflistung erfolgt in alphabetischer Reihenfolge der Wirkstoffnamen. Es werden Medikamente aus allen fünf

genannten Substanzgruppen aufgeführt, nicht nur diejenigen, die direkt zur Narkoseeinleitung oder -aufrechterhaltung Verwendung finden.

Atropinsulfat Handelsname

Atropinsulfat B. Braun (u.v.a.)

Wirkung

Parasympatholytikum/(Antidot), kompetitiver Antagonist an AcetylcholinRezeptoren vom Muskarintyp (m-Cholinozeptoren)

Menge

1 ml = 0,5 mg / 10 ml = 100 mg

Anwendungen

bradykarde Herzrhythmusstörungen, Parasympathikolyse vor Eingriffen, fakultativ bei Narkoseeinleitung, (in höherer Dosierung als Antidot bei Vergiftungen mit Phosphorsäureestern); bei der Antagonisierung geeigneter nichtdepolarisierender Muskelrelaxanzien (NDMR) in Kombination mit Neostigmin

Kontraindikationen

Engwinkelglaukom, Tachykardie bei Herzinsuffizienz und Thyreotoxikose, tachykarde Herzrhythmusstörungen, Koronarstenose, mechanische Verschlüsse des Magen-DarmTraktes, paralytischer Ileus, Megakolon, obstruktive Harnwegserkrankungen, bestehende Pros­tatahypertrophie mit Restharnbildung, Myasthenia gravis, akutes Lungenödem, Schwangerschaftstoxikose, bekannte Überempfindlichkeit gegen Atropin und andere Anticholinergika

Neben­ wirkungen

Tachykardie, Atropinfieber (siehe Anmerkungen), Hautrötung, Pupillenerweiterung (Mydriasis), Mundtrockenheit

148

...


Narkosemedikamente im Überblick

... Wirkungs­ eintritt

1 – 3 min

Wirkdauer

30 – 120 min

Dosierung

Bradykardien und Parasympathikolyse vor Eingriffen: Kinder: 0,01 mg/kg KG i.v. Erwachsene: 0,5 – 1 mg i.v., ggf. mehr Als Antidot bei Vergiftungen mit direkten und indirekten Parasympathomimetika (z.B. Alkylphosphaten): Erwachsene: je nach Schweregrad 2 - 5 mg Atropinsulfat i.v. bis zum Rückgang der Bronchialsekretion, in Einzelfällen bis zu 50 mg; Kinder: initial 0,5 - 2 mg Atropinsulfat i.v., die Erhaltungsdosis richtet sich nach der klinischen Symptomatik. Ziel: Normalisierung der Herzfrequenz

Anmerkungen

In der Literatur sind paradoxe Bradykardien beschrieben, die bei zu niedriger Dosierung auftreten können. In der Praxis sieht man diese jedoch selten. Die Gabe von 3 mg i.v. bewirkt beim Erwachsenen eine komplette Vagusblockade. Die Ampullen mit 100 mg Wirkstoff spielen nur als Antidot eine Rolle. Da die Fähigkeit zur Temperaturregulation durch Hemmung der Schweißsekretion beeinträchtigt sein kann, ist bei fiebernden Patienten – und hier besonders bei Kindern – Vorsicht geboten. Atropin ist inkompatibel mit Noradrenalin und mit alkalischen Lösungen. Das Antidot bei Überdosierung ist Physostigmin (Anticholium®); Erwachsene erhalten 1 - 2 mg Physostigmin langsam i.v., Kinder 0,5 mg langsam i.v.

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Narkosemedikamente im Überblick

Cafedrin / Theodrenalin-Gemisch Handelsname

Akrinor®

Wirkung

Antihypotonikum, GABAA-Agonist

Menge

2 ml = 200 mg Cafedrin/10 mg Theodrenalin

Anwendung

hypotones Kreislaufversagen, orthostatische Kreislaufregulationsstörungen

Kontraindikationen

Hypertonie, Mitralstenose, Engwinkelglaukom, Hyperthyreose, Phäochromozytom, Prostata­ adenom mit Restharnbildung, während und bis zu 2 Wochen nach Einnahme von MAOHemmern

Neben­ wirkungen

Herzklopfen, pektanginöse Beschwerden, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen

Wirkungs­ eintritt

10 – 20 sec

Wirkdauer

10 – 30 min

Dosierung

initial 0,5 – 1 ml i.v. (bei Erwachsenen), bei Erfolglosigkeit Repetition innerhalb von 1 – 2 min; Kinder, je nach Schwere des Zustands: 1. und 2. Lebensjahr 0,2 - 0,4 ml 3. bis 6. Lebensjahr 0,4 - 0,6 ml ab 7. Lebensjahr 0,5 - 1,0 ml

Anmerkungen

Bei Asthmatikern ist eine Anfallsauslösung durch Sulfit-Überempfindlichkeit möglich. Volumenmangel sollte durch Volumengabe behandelt werden. In Einzelfällen kann es aber trotz Volumenmangels erforderlich sein, Akrinor® oder Katecholamine zu verabreichen, um rasch einen Kreislauf wiederherzustellen. Manche Autoren favorisieren die Verdünnung des Medikaments auf 10 ml. Dies kann aber bei Erwachsenen zugunsten des Zeitgewinns vernachlässigt werden.

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Narkosemedikamente im Überblick

Esketamin Handelsname

Ketanest® S

Wirkung

Analgetikum/Anästhetikum (»dissoziative Anästhesie«), NMDA-Rezeptor-Antagonist

Menge

5 ml = 25 mg / 20 ml = 100 mg / 2 ml = 50 mg / 10 ml = 250 mg

Anwendung

Behandlung starker/sehr starker Schmerzen bis hin zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung (dosisabhängig)

Kontraindikationen

akutes Koronarsyndrom, Hypertonie, Hirndruckerhöhung, perforierende Augenverletzung, Präeklampsie, Eklampsie, Hyperthyreose, psychiatrische Erkrankungen; keine Anwendung bei fehlender Möglichkeit zur Beatmung/Intubation

Neben­ wirkungen

vermehrter Speichelfluss (»Hypersalivation«), Unruhe und Albträume möglich – daher Kombination mit Midazolam empfohlen, der Kreislauf wird angeregt (HF\, RR\); dosisabhängig Atemdepression möglich

Wirkungs­ eintritt

30 – 60 sec

Wirkdauer

Analgesie: bis 40 min Narkose: 10 – 15 min

Dosierung

Analgesie: 0,125 – 0,25 mg/kg KG i.v. Narkose: 1 (- 2) mg/kg KG i.v. Repetition: halbe Initialdosis notfalls: 2 – 4 mg/kg KG i.m.

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Eine richtig dosierte Narkose und eine korrekte Beatmung sind überlebenswichtig für den betroffenen Patienten. Das Buch vermittelt mit praxisnahen Erläuterungen von Techniken und Hilfsmitteln Sicherheit beim Umgang mit Narkosen im Rettungsdienst ­­– eine Anleitung für alle Teammitglieder in der Präklinik.

Stephan Dönitz

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Stephan Dönitz

Narkose im Rettungsdienst 2., überarbeitete Auflage


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