EKG in der Notfallmedizin

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Ralf Schnelle

Das vorliegende „EKG-Gesamtpaket für die Notfall-

diziner interessieren: Was inferiore von echten Hin-

geschrieben. Das beginnt bei Rettungssanitätern,

mien bei WPW-Syndromen drohen und wie genau

medizin“ ist in erster Linie für den Rettungsdienst die das Thema von Grund auf lernen wollen. Sie finden unter anderem, wo (ganz genau) die Elektroden

warum die Zacken mal so und mal anders aussehen.

Dieses Buch zeigt mit zahlreichen Fachzeichnungen,

EKG-Kurven, Fotos und nicht zuletzt OLAF-Cartoons, wie man sich die vielfältigen EKG-Befunde erklären

kann. Angehende Notfallsanitäter werden strukturiert durch die gesamte Notfall-Elektrokardiografie

geführt und lernen, wie man den Rechts- vom Linksschenkelblock unterscheidet und wie genau das mit der Ableitung Vr4 ist. Auch langjährig erfahrene Not-

ärzte werden vieles wiederentdecken, was vor Jahren im Studium mal unterrichtet wurde. Im ausführ-

lichen Index finden sie alle Themen, die den Akutme-

terwandinfarkten unterscheidet, welche Arrhytheine Hyperkaliämie im EKG aussieht. Wie zeigt sich

eine Lungenembolie? Was sind Osborn-Wellen? Wie

differenziert man zwischen Infarkt-ST-Hebungen

und denen bei einer frühen Repolarisation? Was sind Brugada-EKG und Wellens-Zeichen? Und alle – vom RS bis zum Notaufnahmearzt – erhalten nicht nur fundierte EKG-Kenntnisse, sondern als Zusatzlei-

stung einen Überblick über die leitlinienkonforme

Notfallversorgung. Erläutert wird auch, wie man eine SVT beendet, wie Adrenalin bei einer kritischen Bra-

dykardie aufgezogen und dosiert werden muss und

wie der Träger eines ICD defibrilliert werden sollte. Dies alles kommt aus der Feder eines erfahrenen Not-

arztes, der vor über 30 Jahren als Rettungssanitäter anfing, EKGs abzuleiten und auszuwerten.

EKG in der Notfallmedizin

Grundlagen – Auswertung – Therapie

ISBN 978-3-943174-69-4

www.skverlag.de

EKG in der Notfallmedizin

angebracht werden müssen, und sie werden lesen,

Ralf Schnelle

EKG in der Notfallmedizin

Grundlagen – Auswertung – Therapie


Dieses EKG in Originalgröße ist von58-jährigen einem 58-jährigen Raucher KHK, mit bekannter KHK, Z.n.vor Vorderwandinfarkt Dieses EKG in Originalgröße ist von einem Raucher mit bekannter Z.n. Vorderwandinfarkt 2 Jahren (mit Stents),vor 2derJahren (mit Stents), derA.p. seitverspürt. etwa 3Körperliche Stunden und starke A.p. verspürt. Körperliche und apparative Befunde unauff. seit etwa 3 Stunden starke apparative Befunde unauffällig.

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben. Es wird Ihnen Schritt für Schritt und trotzdem unterhaltsam die Bandbreite der EKG-Diagnostik im Rettungsdienst nahebringen. Die in Verbindung stehenden Rahmenbedingungen in Form von Gesetzen, Verordnungen, Vorschriften sowie von medizinischen Fachinformationen und Normen sind naturgemäß einem steten Wandel unterworfen. Über unser Online-Portal informieren wir Sie über aktuelle Änderungen, die den Inhalt dieses Buches betreffen. Zu Ihrer persönlichen Registrierung nutzen Sie bitte den auf dieser Seite abgedruckten Zugangscode. Unter

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EKG-Lineal für Sie inklusive: Diesem Buch liegt ein EKG-Lineal bei, mit dem Sie die EKG-Interpretation üben können. Wie dieses Lineal am besten angewendet wird, erfahren Sie auf der hinteren Umschlagseite dieses Buches.

5 4 3

150 135

120 110

100

90

80

70

60

aVR ABC (DE)

Herzfrequenz QT normal QT 120% QT 130%

QRS 120 ms

QRS

Fr. Rh.

P

Breite Überl... 40

480 570 620

60

390 470 510

80

340 410 440

Q 100

300 360 390

R

QRS

120

140/min

ST QT Zuwachs Details und T Zeit

280 330 360

260 ms 310 ms 330 ms

320 340 360 380 400 420 440 460 480

50 mm/s

Seitenwand

Inferiorer STEMI: Rechtsherzbeteiligung? Vr4 ableiten!

1

Ralf Schnelle

mm/s

320 340 360 380 400 420 440 460 480

I

V1-V4...

Vorderwand

Vr4

QRS 25 120 ms

46

aVL

etc.

2

0 cm

50

III

aVF II

Inferiore Wand

EKG in der Notfallmedizin

Grundlagen – Auswertung – Therapie

Nur ST-Senkungen z.B. in V1-V4: Strikt posteriorer STEMI? V7-V9 ableiten!

V7-V9 www.skverlag.de

6

200 175

Frequenz ~85/min, rhythmisch, QRS schmal, P-Wellen evtl. verbreitert, alle übergeleitet (Sinusrh.), auffallende Q-Zacken in II und ab V2 über der Vorderwand (!), R-Zuwachs (noch) vorhanden, QRS ansonsten nicht suspekt, Frequenz ~85/min, rhythmisch, QRS schmal, P-Wellen evtl. verbreitert, alle übergeleitet (Sinusrh.), auffallende Q-Zacken in II und ab V2 über STEMI-Hebungen in (III), V1-V4 (V5), also Vorderwandinfarkt Stadium I, spiegelbildl. Senkungen in I und aVL. der Vorderwand (!), R-Zuwachs (noch) vorhanden, QRS ansonsten nicht suspekt, STEMI-Hebungen in (III), V1-V4 (V5), also Vorderwandinfarkt QT ~ 400 ms, also etwas verlängert. Verlauf: drastische Befundbesserung nach Nitro, Heparin und Morphin (wie Stadium I, spiegelbildl. Senkungen in I und aVL. QT ~ 400 ms, also etwas verlängert. Verlauf: drastische Befundbesserung nach Nitro, Heparin bei Wellens-Syndrom). In der Klinik sofortige PCI, LAD-Stent nach Verschluss erfolgreich wiedereröffnet. und Morphin (wie bei Wellens-Syndrom). In der Klinik sofortige PCI, LAD-Stent nach Verschluss erfolgreich wiedereröffnet.

7

50 mm/s: 3 x RR 25 mm/s: 6 x RR 300 250


EKG in der Notfallmedizin Grundlagen – Auswertung – Therapie

von Ralf Schnelle

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2017


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© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2017 Titelbild: R. Schnelle Satz: Bürger Verlag GmbH & Co. KG, Edewecht Druck: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn ISBN 978-3-943174-69-4


Inhalt ˘ Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1

2

3

4

5

Abkürzungen

8

Vorwort

9

6

Ein paar EKG-Veränderungen aus den Vorhöfen

49

7

Veränderungen des QRS-Komplexes

55

Ein wenig Anatomie und Physiologie

11

1.1

Die Anatomie des Herzens

12

7.1

Die Bedeutung der Lagetypen

56

1.2

Das Reizleitungssystem des Herzens

13

7.2

Kammerrhythmen

59

1.3

Elektrophysiologie

14

7.3

Schenkelblockierungen

61

7.4

Knoten und Extrazacken

67

Wie entsteht ein EKG? Herzvektoren

17

2.1

Der Herzvektor

18

2.2

Herzvektoren und EKG

20

EKG-Technik, Ableitungen und Ableitungsvektoren

8

25

ST-Strecke und T-Welle

69

8.1

Wie sollten ST und T aussehen?

71

8.2

Spezifisch: Digitalis-Effekte

72

8.3

Spezifische ST-StreckenVeränderungen

72

3.1

Die Messung des elektrischen Feldes 26

8.4

Spezifisch veränderte T-Wellen

73

3.2

Die verschiedenen EKG-Ableitungen

28

8.5

3.3

Das richtige Anbringen der EKG-Elektroden

Unspezifische Endstreckenveränderungen

74

30

8.6

3.4

Auswirkungen einer falschen Elektrodenplatzierung

Endstreckenveränderungen ohne Krankheitswert

75

33

EKG-Anwendung im Rettungsdienst

35

Das normale EKG und die standardisierte EKG-Auswertung

39

5.1

Das normale EKG

40

5.2

Die systematische Auswertung eines EKG 43

9

Vorhofflattern und Vorhofflimmern

77

9.1

EKG-Befunde bei Vorhofflimmern

79

9.2

Die Therapie von Notfallpatienten mit Vorhofflimmern

83

9.3

Fallbeispiel einer TAA mit Instabilität 83

5


Inhalt ˘ Inhaltsverzeichnis

10 Der Patient mit regelmäßiger Schmalkomplextachykardie

85

10.1

Pathomechanismen

86

10.2

Therapie einer regelmässigen Schmalkomplextachykardie

88

11 Der Patient mit Breitkomplextachykardie 11.1

Rettungsdienstliche Basismassnahmen

93

11.2

Leitliniengerechte Therapie

94

11.3

Formen der Breitkomplextachykardie

96

12 AV-Blockierungen

141

15.1

VF/VT-Rhythmen

142

15.2

Non-VF/VT-Kreislaufstillstand

145

15.3

Synkopen

148

16 Herzschrittmacher und Elektrotherapie

153

16.1

Herzschrittmacher und ICDs bei Notfallpatienten

16.2

Das EKG bei Schrittmacherpatienten 157

16.3

Was passiert, wenn man einen Magneten auflegt?

158

16.4

Schrittmacherfehlfunktionen

159

16.5

Implantierbare CardioverterDefibrillatoren (ICD)

162

16.6

Kardioversion und Defibrillation bei ICD- und Schrittmacherpatienten 164

16.7

Elektrotherapie im Rettungsdienst 165

105

16.8

Defibrillation

166

99

12.1

Einteilung von AV-Blockierungen

100

12.2

Therapeutische Massnahmen

103

13 Das EKG bei ACS

154

13.1

Die Formen eines ACS

106

16.9

Kardioversion im Rettungsdienst

168

13.2

Angina pectoris und NSTEMI im EKG

107

16.10

Präkordialer Faustschlag

169

13.3

Der STEMI im EKG

108

16.11

13.4

STEMI-Lokalisation

117

Schrittmachertherapie im Rettungsdienst

169

14 Das EKG bei speziellen Krankheiten

6

91

15 Das EKG bei Kreislaufstillstand und Synkope

125

14.1

Herzerkrankungen

126

14.2

Extrakardiale Faktoren

133

14.3

Elektrolytentgleisungen

136

17 Notfallmedikamente und EKG

173

17.1

Atropin

174

17.2

Epinephrin (Adrenalin) u.a.

175

17.3

Amiodaron

176

17.4

Klasse-I-Antiarrhythmika

177


Inhalt ˘ Inhaltsverzeichnis

17.5

Magnesium als Antiarrhythmikum

178

17.6

Weitere Antiarrhythmika

179

18 Ein Blick über den Tellerrand

181

18.1

EKG-Aufzeichnungen

182

18.2

Belastungs-EKG

182

18.3

Elektrophysiologische Untersuchung (EPU)

183

18.4

EKG bei Kindern

183

19 Ein paar Übungs-EKGs

185

Anhang

227

Literatur

228

Abbildungsnachweis

231

Zum Autor

232

Index

233

7


Abkürzungen ˘

Abkürzungen ACS AED ARVC AV aVF aVL aVR CMP CRT EKG EPU ERBS f FBI-EKG

FEER HCM ICD ICR KHK LAD LAE LAHB LCX LPHB LSB

8

akutes Koronarsyndrom automatischer externer Defibrillator arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie atrioventrikulär (auf Vorhof und Herzkammer bezogen) EKG-Ableitung nach Goldberger EKG-Ableitung nach Goldberger EKG-Ableitung nach Goldberger Kardiomyopathie kardiale Resynchronisationstherapie Elektrokardiogramm elektrophysiologische Untersuchung Erregungsrückbildungsstörungen Frequenz fast – broad – irregular (Tachyarrhythmie schnell – breit – unregelmäßig) Focused Echocardiographic Evaluation in Resuscitation management hypertrophe Kardiomyopathie implantierbarer Cardioverter-Defibrillator Intercostalraum koronare Herzkrankheit left anterior descending Lungenarterienembolie linksanteriorer Hemiblock left circumflex coronary artery linksposteriorer Hemiblock Linksschenkelblock

ms mV NIP NNR NSTEMI OUP PCI PEA RCX RIVA ROSC RR RSB s SSS STEMI SVES SVT TAA TCP TdP V VES VF VT WPW ZNS

Millisekunde Millivolt noninvasive pacer Nebennierenrinde Non-ST-elevation myocardial infarction (Nicht-ST-Hebungsinfarkt) oberer Umschlagspunkt perkutane koronare Intervention pulslose elektrische Aktivität Ramus circumflexus Ramus interventricularis anterior Return of Spontaneous Circulation (Wiederkehr des Spontankreislaufs) Blutdruck (Riva-Rocci-Messmethode) Rechtsschenkelblock Sekunde Sick-Sinus-Syndrom ST-elevation myocardial infarction (ST-Hebungsinfarkt) supraventrikuläre Extrasystolen supraventrikuläre Tachykardie Tachyarrhythmia absoluta transcutaneous pacer Torsade de pointes (-Tachykardie) Volt ventrikuläre Extrasystolen ventricular fibrillation, Kammerflimmern ventrikuläre Tachykardie Wolff-Parkinson-White-Syndrom zentrales Nervensystem


Vorwort ˘

Vorwort an den geneigten Leser und selbstverständlich an die geneigte Leserin, die es sicher verstehen wird, dass ich auf die doppelte Bezeichnung ab sofort zu verzichten wage. Warum gibt es dieses Buch? Es sind doch schon so viele verschiedene EKG-Bücher auf dem Markt, dabei sogar welche, mit denen man sich der Elektrokardiografie gut nähern kann. Da gibt es Bücher, in denen man Details nachschlagen kann. In anderen kann man trefflich nachlesen, wie es sich mit den berühmten Vektoren verhält. Und wenn ich gefragt werde, welches dieser Bücher ich für den Rettungsdienst denn so vollumfänglich empfehlen kann, gerate ich ins Grübeln. Auf diese Weise reifte der Gedanke heran, ein eigenes Buch zu schreiben. Und zwar genau dieses hier. Ich kann es ab sofort vollumfänglich empfehlen. Und zwar nicht nur für alle, die sich präklinisch oder innerklinisch in der Notfallmedizin tummeln, sondern auch allen Interessierten aus der Nicht-Blaulicht-Medizin. Schließlich gibt es nicht so viele Themen, die in diesem EKG-Buch nicht abgehandelt werden.

Es enthält die Inhalte einer Artikelserie aus der Zeitschrift RETTUNGSDIENST und noch vieles mehr. Das vorliegende EKG-Buch soll einerseits dem absoluten EKG-Novizen die Grundlagen der EKG-Ableitung nahebringen, andererseits auch dem routinierten EKG-Experten als Nachschlagewerk dienen. EKG-Experte bin ich selbst immer noch nicht, obgleich ich bereits vor über drei Jahrzehnten begonnen habe, rettungsdienstliche EKGs zu schreiben und auch auszuwerten. Bereits als Rettungssanitäter hatte ich Mitte der 80er Jahre ein 5-Pol-Kabel auf dem RTW und konnte 12 Standardableitungen dokumentieren. Damals gab es noch viel Gegenwind: „Braucht man doch nicht außerhalb der Klinik“ und so weiter. Ein entsprechendes Lüftchen weht heute nur noch in der Form, dass manche es einfach nicht wahrhaben wollen, dass es bei der EKG-Anwendung im Rettungsdienst sinnvolle Regeln gibt. So beispielsweise zum Anbringen der EKG-Elektroden an definierten Stellen oder zur Frage der akustischen Überwachung. Auch für diese

9


Vorwort ˘

Kolleginnen und Kollegen, ärztlich oder nicht, habe ich dieses Buch geschrieben, wohl wissend, dass diesbezügliche Diskussionen vermutlich nie aufhören werden. Ab sofort kann ich jedenfalls auf dieses EKG-Buch verweisen. Wie gesagt, EKG-Experte bin auch ich noch nicht. Ich lerne noch täglich hinzu. Die Elektrokardiografie ist eben ein fürchterlich kompliziertes Ganzes mit vielen Besonderheiten. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, die Thematik halbwegs verständlich zu Papier zu bringen. Alles kann man dazu gar nicht wissen. Da darf man nicht verzagen, wenn man sich vieles nur in Teilen merken kann. Wenn immer wieder mal ein kleines Detail dazu kommt oder im Gedächtnis ein paar Schubladen höhergestuft wird, dann ist das auch schon etwas. Lebenslanges Lernen ist bekanntlich ein wichtiger Baustein einer Tätigkeit in der Medizin.

10

Ein ganz großer Dank gebührt all denen, die mich in vielen Fachgesprächen oder auch im Rahmen von Fortbildungen immer wieder mit Fragen gelöchert und mir dadurch gezeigt haben, wo die elektrokardiografischen Knackpunkte sind. Das sind zum Beispiel die vielen lieben Kollegen u.a. aus Mühlacker, Stuttgart und Pfalzgrafenweiler. Meinem Kollegen Hendrik Sudowe bin ich sehr dankbar für die sorgfältige Durchsicht mit zahlreichen wichtigen Hinweisen und Vorschlägen. Und meiner Familie natürlich für ihr Verständnis, dass Papa zeitweise häufiger am Rechner als an den Legosteinen saß. Ich wünsche den Lesern jedenfalls viel Erfolg auf dem Weg zum EKG-Experten und freue mich schon jetzt auf zahlreiche Zuschriften mit Fragen und Hinweisen, falls sich trotz sorgfältiger Arbeit doch der eine oder andere Fehler eingeschlichen haben sollte.


2

Wie entsteht ein EKG? Herzvektoren

Das Konzept, das EKG mithilfe von Vektoren zu beschreiben, ist in vielen Büchern zu finden. Wenn man sich diesem Konzept in Ruhe nähert und es einmal richtig erklärt bekommen hat, so hilft es einem immens beim Verständnis von beispielsweise negativen P-Wellen, Q-Zacken, rSR’-Komplexen bei Rechtsschenkelblock, ja selbst bei ST-Hebungen in Ableitung Vr4, die auf eine Rechtsherzbeteiligung bei STEMI hinweisen. Wir wollen uns diesen Vektoren mit Bedacht nähern, die sorgfältige Lektüre dieses Kapitels ist Voraussetzung für die weiteren Erklärungen.


2 Wie entsteht ein EKG? Herzvektoren ˘ 2.1 Der Herzvektor

2.1

Der Herzvektor

Also, was is’n Vektor? „Da stell’n wir uns mal janz dumm“ (101) und sagen: Ein Vektor ist schlicht und ergreifend ein Pfeil, der sich im Raum befindet. Er zeigt von einer Stelle zu einer anderen, beispielsweise von einer EKG-Elektrode zu einer anderen, oder auch von einem bereits erregten Teil des Herzens zu einem anderen, der sich noch in Ruhe befindet. Wir werden weiter unten sogenannte Herzvektoren besprechen. In natura gibt es die gar nicht im Herzen (wenn doch einmal ein Pfeil erkennbar wird, handelt es sich um ein penetrierendes Herztrauma). Wir nehmen sie nur her, um die elektrischen Verhältnisse zu beschreiben, die zu einem bestimmten Zeitpunkt im Herzen bestehen. Genauso ist es mit Ableitungsvektoren. Wir nutzen Vektoren als gedankliches Hilfsmittel, um uns vor Augen zu führen, welche räumliche Richtung eine bestimmte EKG-Ableitung hat. Bevor wir konkreter zu den Vektoren kommen, nochmal etwas zur Elektrik: Was die einzelne Zelle macht, also alles, was im vergangenen Kapitel unter „Elektrophysiologie“ besprochen wurde, interessiert eigentlich recht wenig. Wir beschäftigen uns zum einen lieber mit dem gesamten Herzen, über das eine Herzerregung läuft. Zum anderen ist das Innere der einzelnen Zelle, deren Elektrik man beim Thema „Aktionspotenzial“ betrachtet, sowieso unerreichbar. Da müssten wir nämlich ein Mikroskop und immens feine Nadeln benutzen, um dort irgendetwas „abzuleiten“.

Wir machen also, wie bereits angesprochen, einen ersten wichtigen Gedankenschritt: Wir betrachten das Äußere der Herzmuskelzellen. Der Nullpunkt, auf den sich das in so vielen normalen Lehrbüchern diskutierte Aktionspotenzial der Zelle bezogen hat, wird von uns quasi ins Zellinnere gelegt. Die Zellaußenseiten verhalten sich dann genau entgegengesetzt zum Zellinneren. Wenn irgendwo richtigerweise steht, das (intrazelluläre) Ruhepotenzial beträgt – 90 mV, so vereinfachen wir jetzt und sagen: Eine ruhende Zelle ist außen positiv. Erst recht ist das der Fall bei einem Haufen unerregter Zellen. Umso mehr, je größer der Zellhaufen ist. Er ist ein richtiger „elektrischer Pol“, und zwar ein positiv geladener. Die Abbildung 2.1 zeigt die beiden Herzkammern zu einem Zeitpunkt, an dem die Erregungswelle etwa zur Hälfte über sie gerollt ist: Unser kleiner Kunstgriff besagt, dass die noch ruhenden Zellen einen positiven Pol bilden. Über den bereits depolarisierten Zellen lässt sich dagegen ein negativer Pol einzeichnen. Wir können also feststellen: Ein Herz stellt, während die Erregungswelle über seine Muskulatur läuft, einen elektrischen Dipol dar. Ein elektrischer Dipol ist wie eine Batterie zu verstehen: ein Gebilde mit einem Minuspol (Zellen erregt) und einem Pluspol (Zellen in Ruhe). Das ist die nächste wichtige Erkenntnis.

Abb. 2.2 ˘ Ein elektrischer Dipol hat einen Minus- und einen Pluspol, wie eine Batterie. Um diesen Dipol beschreiben zu können, eignen sich die angesprochenen Vektoren. In allen schlauen EKG-Büchern, die mit Vektoren arbeiten, zeigt der Vektor von Minus nach Plus. Das ist auch sinnvoll, wie die Abbildung 2.3 zeigt: In der Spitze des Pfeiles lässt sich ein Plus besser unterbringen als am anderen Ende (gute Merkhilfe).

Abb. 2.1 ˘ Die beiden Herzkammern während des QRS-Komplexes (schematisch): Die Außenseiten der noch ruhenden Zellen sind positiv, dort findet sich also ein positiver Pol. Die bereits depolarisierten Bereiche bilden einen negativen Pol. Zwischen diesen Polen lässt sich nun ein Herzvektor einzeichnen.

18

Abb. 2.3 ˘ Ein Vektor zeigt immer von Minus nach Plus. Das lässt sich schließlich gut einzeichnen.


2 Wie entsteht ein EKG? Herzvektoren ˘ 2.1 Der Herzvektor

In unserem Herzen lässt sich immer dann, wenn es unterschiedlich geladene Abschnitte gibt, ein sogenannter Herzvektor einzeichnen. In Abbildung 2.4 sehen wir eine solche Situation. Klar erkennbar dreht es sich um die Verhältnisse in den Ventrikeln. Was parallel in den Vorhöfen geschieht, ist hier zur Vereinfachung weggelassen worden. Wichtig: Wir müssen beim EKG, auch beim Thema Vektoren, immer die Vorhöfe und die Kammern getrennt betrachten, denn diese beiden sind bekanntlich durch die isolierende Klappenebene voneinander getrennt. Also gibt es (falls dies einmal gleichzeitig passieren sollte) parallel einen Vorhofvektor und einen Kammervektor. Die zugehörigen EKG-Bilder überlappen sich dann eben. Aber das werden wir noch an genügend Beispielen sehen. MERKE Ein Vektor zeigt immer von Minus nach Plus. Ein Herzvektor zeigt von bereits erregter in Richtung noch unerregter Muskulatur. Wenn wir die Anatomie der räumlich ja recht komplex aufgebauten Herzkammern betrachten, dann gibt es da einen recht dünnwandigen rechten Ventrikel und einen muskelstarken linken Ventrikel. In beiden finden sich Papillarmuskeln, die wie lauter kleine Vulkankegel nach innen weisen. Dagegen ist das Septum noch recht übersichtlich. Mit der

Abb. 2.4 ˘ Hier ist nun die Situation am Herzen, während die Erregungswelle über die Ventrikel läuft. Knapp die Hälfte der Muskulatur ist bereits depolarisiert (Minuspol). Der Pluspol repräsentiert die noch ruhenden Muskelzellen, er liegt etwas nach links verschoben, weil da dickere Muskelpartien sind. Ein Herzvektor lässt sich einzeichnen, er zeigt natürlich von Minus nach Plus.

Depolarisationswelle hat der Vektor eigentlich nicht viel direkt zu tun. Okay, er zeigt in eine Richtung, in der auch die Welle über das Myokard zieht. Aber erklären und verstehen lässt sich der Herzvektor besser mit den beiden Polen des elektrischen Dipols. Verschiedene Anteile der Kammermuskulatur werden unterschiedlich schnell elektrisch erregt. Die inneren, also in der Nähe des Endokards gelegenen Anteile der Kammermuskulatur sind beispielsweise früher erregt worden (schon negativ) als die äußeren Bereiche, die noch ruhen (noch positiv). Wir können nun viele kleine Herzvektoren einzeichnen, jeweils innen ist der Minuspol und an der Außenseite des Herzens der Pluspol (Abb. 2.5). Als Vereinfachung – damit wir weniger Pfeile einzeichnen müssen – fassen wir nun die vielen kleinen Pfeile zusammen zu einem sogenannten Summenvektor. Dieser ist jeweils nur für einen einzelnen Augenblick gültig bzw. er ändert ständig seine Größe und Richtung. Wenn beispielsweise zu Beginn der Kammererregung eine gewisse Menge kleiner Pfeile von links nach rechts zeigt, dann lässt sich das als (einigermaßen kleiner) Vektor darstellen, der in ebendiese Richtung zeigt. Einen Moment später haben sich die Verhältnisse im Herzen schon verändert. Neue Bereiche wurden von der Depolarisationswelle erfasst und sind negativ, die darüber liegenden Myokardabschnitte im Vergleich noch positiv. Also wird sich auch der Summenvektor entsprechend verändern. Diesen Summenvektor nennen wir besser ab sofort nur noch Herzvektor, denn er repräsentiert die Erregung der jeweilig betrachteten Anteile des Herzens: Es gibt in den Vorhöfen den Vorhofvektor und in den Kammern den entsprechenden Kammervektor.

Abb. 2.5 ˘ Eigentlich gibt es viele „Mini-Vektoren“, die jeweils von Minus nach Plus zeigen. Man kann sich die Sache vereinfachen und zu jedem definierten Zeitpunkt einen „Summenvektor“ einzeichnen. Das ist dann der Herzvektor.

19


5 Das normale EKG und die standardisierte EKG-Auswertung ˘ 5.1 Das normale EKG

5.1

Das normale EKG

Abbildung 5.1 zeigt einen normalen Sinusrhythmus. Er ist „normofrequent“ mit einer Frequenz von 68/min und – soweit hier beurteilbar – regelmäßig. Die QRS-Komplexe sind nicht verbreitert. Auf diesen wichtigen Aspekt kommen wir nochmals zu sprechen, er zeigt, dass die Erregung in den Kammern einen normalen Weg nimmt. Hier zeigen in Abl. II positive P-Wellen an, dass es sich um einen Sinusrhythmus handelt. Die P-Wellen sind weder überhöht noch verbrei-

tert, auch die QRS-Komplexe sind unauffällig. Der QRS-Vektor liegt senkrecht auf der Ableitung aVL, zeigt also relativ exakt nach +60°. Man sieht keine auffälligen Q Zacken, keine Zeichen einer Schenkelblockierung oder andere Besonderheiten. Auch der Verlauf der ST-Strecken und T-Wellen ist ebenso normal, wie es die PQ-Zeit und die QT-Zeit sind.

5.1.1

P-Welle

Eine normale P-Welle hat ihren Ursprung im Sinusknoten, während der Vorhoferregung zeigt der P-Vektor also nach unten bzw. links unten. In beispielsweise der Ableitung II sollte P also positiv sein. Die normalen Dimensionen von P sind eine Dauer von 0,1 s und eine Höhe von 0,25 mV in den Extremitätenableitungen. In den Brustwandableitungen ist sie meist recht flach.

5.1.2

PQ-Zeit

Das ist die Zeit von Beginn der P-Welle bis zum Beginn des QRS-Komplexes (Abb. 5.2). Diese sogenannte „AV-Überleitung“ dauert physiologischerweise eine gewisse Zeit, damit sich die Vorhöfe vor der Kammererregung ordentlich kontrahieren dürfen. Bei steigender Herzfrequenz nimmt die PQ-Zeit ab. Bei einer Herzfrequenz von 60/min beträgt sie 0,20 s, bei 100/min sind 0,16 s normal. Details für jede einzelne Herzfrequenz kann man in Tabellen nachlesen. Im Rettungsdienst hat das aber keine wirkliche Bedeutung. Eine verzögerte AV-Überleitungszeit wird als AV-Block I° bezeichnet (g Mehr dazu s. S. 100).

5.1.3

Abb. 5.1 ˘ EKG-Normalbefund

40

QRS-Komplex

Das zentrale EKG-Element entspricht der Ausbreitung der Erregungswelle über die gesamte Kammermuskulatur. Bei Herzerkrankungen kann seine Form recht vielgestaltig sein (g Zu den QRS-Vektoren vgl. S. 20). Eine Q-Zacke ist die erste negative Zacke im QRS-Komplex, sie muss aber nicht vorhanden sein. Q ist Ausdruck der normalen Septum-Erregung und darf eine Breite von 0,03 s nicht erreichen. Ab einer Q-Zacken-Breite von 0,03 s, das sind bei einem Papiervorschub von 50 mm/s genau 1,5 mm, spricht man von „signifikanten Q-Zacken“. Diese sind dann oft nicht mehr normal, sondern Zeichen eines (alten) Herzinfarktes. In den Ableitungen V2 und V3 spricht bereits eine kleinere Q-Zacke ab 0,02 s für eine Infarktnarbe (86). Ein normales Q ist auch nicht tiefer als ein Viertel der R-Zacke. Gelegentlich sieht man bei Patienten mit einem „Links-Lagetyp“ in III eine (nicht pathologische) Q-Zacke, die aber nicht signifikant breit


5 Das normale EKG und die standardisierte EKG-Auswertung ˘ 5.1 Das normale EKG

sein und in der benachbarten Ableitung aVF deutlich kleiner oder gar nicht da sein darf. Manchmal ist die Tiefe dieser Q-Zacke auch atemabhängig. Der gesamte QRS-Komplex darf nicht breiter sein als 0,1 s, als „grenzwertig“ darf evtl. noch 0,11 s gelten, ab einer Breite von 0,12 s spricht man von einer QRS-Verbreiterung. Je nach elektrischem Lagetyp, auf den wir noch zu sprechen kommen, sieht ein normaler QRS-Komplex unterschiedlich aus. In den Brustwandableitungen V1 bis V6 steigt R von einer minimalen Zacke ausgehend langsam an. Man spricht von einem normalen R-Zuwachs (vgl. Abb. 5.1). Die maximale Größe wird dann bei etwa V4 oder V5 erreicht. Danach darf R wieder etwas kleiner werden, weil sich die Elektroden V5 und V6 von der Hauptmuskelmasse der Ventrikel wieder entfernen. Das Aussehen von V5 und V6 muss dann aber zu V4 passen, ein abrupter R-Verlust kann sonst wiederum Zeichen eines abgelaufenen Infarktes an der Seitenwand sein. Ein kleines, nicht signifikantes Q zu Beginn des QRS-Komplexes ist ab etwa V4 durchaus normal und entspricht der normalen Septumerregung. Ab einer bestimmten Ableitung überwiegt die langsam gewachsene R-Zacke gegenüber den S-Zacken. Diese sind in den rechtspräkordialen Ableitungen V1 und V2 noch sehr tief und verlieren sich zunehmend auf dem Weg nach links. Der „R/S-Übergang“, ab dem die R-Zacke überwiegt, wird in einem EKG-Befund beschrieben und liegt normalerweise etwa bei V3 und V4. Die S-Zacken sollten eigentlich bis V6 ganz verschwunden sein (gZum verschobenen R/S-Übergang vgl. S. 56). Ein fehlender R-Zuwachs in den Brustwandableitungen, manchmal auch in Form eines QS-Komplexes, bei dem gar kein R mehr erkennbar ist, darf als Zeichen eines abgelaufenen Vorderwandinfarktes verstanden werden. Ein abrupter R-Verlust, von einer zur nächsten Ableitung, ist ebenfalls verdächtig. Zu prüfen ist aber, ob eine Elektrodenvertauschung schuld ist, was immer wieder mal passiert (g Q-Zacken bei Herzinfarkt s. S. 110). Eine weitere EKG-Kenngröße besteht in Form des (letzten) oberen Umschlagpunktes (OUP), der in den Brustwandableitungen gemessen wird. Dieser Punkt wird auch als „Beginn der endgültigen Negativitätsbewegung“ bezeichnet. Klingt kompliziert, ist aber gut zu verstehen. Irgendwann in einem QRS-Komplex ist der letzte obere Punkt erreicht, ab dem es nur noch bergab geht. Eine S-Zacke darf noch kommen, aber keine weitere R-Zacke. Diese würde man dann übrigens als R’-Zacke bezeichnen. Der OUP läge in diesem Fall an der Kante dieser R’-Zacke. Er ist quasi der letzte Aussichtspunkt, bevor die ST-Strecke und die T-Welle beginnen. Von Beginn des QRS-Komplexes gemessen, darf der OUP in der Ableitung V1 nach maximal 0,03 s kommen, das entspricht 1,5 mm beim 50er-Papiervorschub. Er liegt also auf der in V1 recht kleinen R-Zacke. Wenn sich in V1 eine R’-Zacke findet, kommt der OUP an deren Kante, also deutlich später. Eine passende Diagnose ist dann ein Rechtsschenkelblock

Abb. 5.2 ˘ PQ-Zeit (blau unterlegt) und QT-Zeit (grün unterlegt). Beachte, dass eine Messung nur dann sinnvoll möglich ist, wenn mehrere Ableitungen gleichzeitig betrachtet werden. Die P-Welle in V1 erscheint kürzer, als sie in Wirklichkeit ist (vgl. V6). (g Mehr zu Schenkelblöcken in Kap. 7.3 ab S. 61). Ganz links, also in Ableitung V6, kommt der OUP deutlich später, maximal nach 0,055 s. Eine Verspätung passt zu einem Linksschenkelblock oder auch mal zu einer Linksherzhypertrophie. Ein klassisches EKG-Zeichen einer solchen ist eine Zunahme der Amplituden des QRS-Komplexes. In V1 und V2 sieht man sehr tief negative und linkspräkordial (V5 und V6) entsprechend überhöhte QRS-Komplexe. Eine kleine „Knotung“ im QRS-Komplex, also eine Kerbe mittendrin, hat oft keinen Krankheitswert. Am J-Punkt, das ist der Punkt am Übergang von QRS in die ST-Strecke, sind QRS-Veränderungen dagegen eher verdächtig. Details dazu im Kapitel Veränderungen am QRS-Komplex (g QRS-Knoten und Extrazacken s. S. 67). Der Lagetyp ist eine sehr bekannte EKG-Eigenschaft, auch wenn man in der Praxis des Rettungsdienst-Einsatzes eher auf andere EKG-Aspekte schaut. Er wird in der Frontalebene bestimmt, im EKG also anhand der Extremitätenableitungen I – aVF. Der Cabrera-Kreis (Abb. 5.3) zeigt die räumliche Ausrichtung dieser Ableitungen, die man als EKG-Auswerter in- und auswendig kennen muss. Der Lagetyp eines EKG bezeichnet nun, wohin der QRS-Komplex überwiegend zeigt. Man spricht von der elektrischen Herzachse, die nicht mit

41


5 Das normale EKG und die standardisierte EKG-Auswertung ˘ 5.1 Das normale EKG

Abb. 5.3 ˘ Der Cabrera-Kreis beschreibt die Frontalebene und wohin die sechs Extremitätenableitungen zeigen. Auf blauem EKG-Papier ist zusätzlich auch die gespiegelte Ableitung –aVR abgebildet. Die Lagetypen sind farblich hervorgehoben: in Hellgrün der Normaltyp (Indifferenztyp), Hellblau der Linkstyp, Dunkelblau der überdrehte Linkstyp, Rosa der Steiltyp, Violett der Rechtstyp und natürlich in Braun der überdrehte Rechtstyp. Die beiden überdrehten Lagetypen laufen in das „No man’s land“ aus (Rot). der anatomischen Lage des Herzens übereinstimmen muss, von dieser aber mitbestimmt wird. Oft wird auch ein Winkel angegeben, wobei 0° dort ist, wo die Ableitung I hinzeigt und +90° der Ableitung aVF entspricht. In der Abbildung sind die entsprechenden Lagetypen eingezeichnet. Jenseits von –30° liegt der „überdrehte Linkstyp“, wie er z.B. bei einer bestimmten Schenkelblockierung auftritt (g Hemiblöcke s. S. 65). Viele ältere Menschen zeigen ein „linkstypisches EKG“, während bei jüngeren Menschen ein Normaltyp (= Indifferenztyp = Mitteltyp) oder ein Steiltyp besteht. Je weiter rechtstypisch oder gar „überdreht rechts“ die Herzachse ist, desto eher muss man z.B. an eine Rechtsherzbelastung denken. Naturgemäß hängt die Herzachse auch von der EKGAbleitung ab. Bei falsch geklebten Elektroden ist das EKG nicht sinnvoll verwertbar. Wie bestimmt man den Lagetyp? Am einfachsten ist folgende Methode: Man sucht in den Extremitätenableitungen diejenige, in welcher der QRS-Komplex am ehesten „plusminus-null“ ist. Damit ist gemeint, dass die Flächen unter der R-Zacke und über der S-Zacke gleich groß sind. Exakt senkrecht zu dieser Ableitung liegt nun die Herzachse. Aus den zwei möglichen Varianten ist die wahre schnell herausgefunden, in ihrer Richtung müssen positive QRS-Komplexe liegen. In Abb. 5.3 lässt sich dies prima betrachten. Dort ist die Ableitung aVL plus-minus-null. Die QRS-Vektorschleife steht exakt senkrecht auf dieser Ableitung, in diesem Fall ist sie außerdem ziemlich schlank, wie ein schmales Schwert (g Abb. Vektorschleife s. S. 23). Die Herzachse muss etwa

42

auf +60° zeigen. Die Alternative –120° entfällt, schließlich wäre dann der QRS-Komplex in Ableitung II tief negativ. Sollte in der plus-minus-null-Ableitung (hier: aVL) eine der beiden Flächen etwas größer sein als die andere, so kann man die Herzachse noch ein wenig korrigieren. Eine etwas überwiegend negative Ableitung aVL bedeutet, dass die Herzachse ein wenig weg zeigt von aVL. Man landet also im Bereich eines Steiltyps. Ein wenig räumliches Denken ist bei der EKG-Interpretation immer hilfreich. Es gibt EKGs, bei denen man mit der geschilderten Methode nicht zurechtkommt. Manchmal sind mehrere verschiedene Ableitungen gleichzeitig plus-minus-null. Hier liegt oft ein sogenannter Sagittaltyp vor. Man darf sich vorstellen, dass bei solchen Patienten die QRS-Vektorschleife aus der Frontalebene hinaus gedreht ist. Sie zeigt nach vorne und hinten. Ein Pfeil (lat. sagitta), der einem von vorne in die Brust geschossen wurde, steckt auch senkrecht zur Frontalebene. Auch bei Schenkelblockierungen ist die Bestimmung der Herzachse erschwert. Man sieht hier teilweise große „R’Zacken“ am Ende von QRS. Man kann sich behelfen, indem man die QRS-Anteile vor dieser R’-Zacke getrennt betrachtet. So kann ein Befund beispielsweise lauten: „Indifferenztyp mit terminaler Drehung der Herzachse nach rechts überdreht bei komplettem RSB“ (g Mehr klinische Informationen zu Lagetypen s. S. 56).

5.1.4

ST-Strecke

Die normale ST-Strecke liegt auf der isoelektrischen „Null-“ Linie und geht ohne klar erkennbare Grenze in die T-Welle über. Manchmal ist auch ihr Beginn nicht ganz klar abzugrenzen, wenn sie weich aus dem QRS-Komplex hervorgeht, was nicht immer einen krankhaften Befund darstellen muss. Welche ST-Strecken-Form noch normal und welche bereits pathologisch ist, gehört zu den schwierigsten Fragen bei der EKG-Deutung. Selbst Experten liegen bei der Beurteilung von ST und T, die zusammen gerne als „Endstrecken“ bezeichnet werden, gelegentlich daneben (g Mehr zu Endstrecken in Kap. 8, s. S. 70).

5.1.5

T-Welle

Eine normale T-Welle steigt etwas flacher an und fällt dann etwas steiler wieder ab. Ihr Vektor weicht vom Hauptvektor des QRS-Komplexes in der Regel nicht wesentlich ab. T zeigt also in den EKG-Ableitungen mit überwiegend positivem QRS entsprechend nach oben. In Ableitungen mit negativem QRS (aVR, V1) darf die T-Welle dann auch negativ sein (vgl. Abb. 5.1 auf S. 40), gelegentlich (bei jüngeren Menschen) auch noch V2. Auch könnte v.a. bei einem Links-Lagetyp in der nach rechts unten zeigenden Ableitung III ein negatives T auffallen. Dies hätte für sich allein keine Bedeutung,


7 Veränderungen des QRS-Komplexes ˘ 7.3 Schenkelblockierungen

7.3

Schenkelblockierungen ist jedoch eine konkrete Blockade zu finden, ein sogenannter Schenkelblock. Man kann diesen Zustand mit einer Straßensperrung auf der Schnellstraße vergleichen. Die nachgelagerten Anteile des betroffenen Tawara-Schenkels können nun nicht mehr schnell erreicht werden. Die Depolarisationswelle findet Umwege, quer durch die Wohngebiete, in denen Tempo 30 gilt (Abb. 7.12). Die Leitungsgeschwindigkeit beträgt dort etwa 0,3-0,4 m/s, also nur etwa ein Zehntel im Vergleich zur Schnellstraße Tawara-Schenkel (98). Die betroffenen Myokardanteile werden also langsamer erregt, was den QRS-Komplex verbreitert. Wenn die Definition für einen konkreten Rechts- oder Linksschenkelblock erfüllt ist (s.u.), spricht man bei einer QRS-Breite von 0,11 s von einem

Abb. 7.11 ˘ Die Schnellstraßen der Erregungsausbreitung: R = rechter Tawara-Schenkel, LA = linksanteriorer und LP = linksposteriorer Faszikel des linken Tawara-Schenkels Die beiden Tawara-Schenkel leiten bekanntlich die über das His-Bündel gekommene Depolarisationswelle weiter in Richtung Purkinje-Fasern, von denen sie sich vollends ins Kammermyokard ausbreiten kann. Der rechte TawaraSchenkel bleibt solo, der linke spaltet sich in zwei Bündel auf, die als Faszikel bezeichnet werden (vgl. Abb. 7.11). Die Geschwindigkeit, mit der sich die Depolarisationswelle in diesem Bereich ausbreiten kann, beträgt etwa 2-4 m/s (98). Das erklärt, warum beide Ventrikel nahezu zeitgleich komplett erregt werden können, um sich dann ebenso synchron zu kontrahieren. Ich nenne die Tawara-Schenkel deshalb gerne „Schnellstraßen der Erregungsausbreitung“. QRS-Komplexe, die aus den Vorhöfen kommen oder auch solche, deren Ursprung mindestens irgendwo im Bereich von AV-Knoten und His-Bündel liegt, sind deshalb schmal. Schmale QRSKomplexe sind definitionsgemäß nicht breiter als 0,1 s, also 100 ms. Eine geringe Leitungsverzögerung im Bereich dieser Tawara-Schenkel führt schon zu einer erkennbaren Verbreiterung des QRS-Komplexes auf z.B. 0,11 s. Bei einem Papiervorschub von 50 mm/s entspricht das einer Verbreiterung von z.B. 4,5 mm (normal) auf 5,5 mm. Da muss man schon genau ausmessen! Verschiedene Ursachen führen zu solchen ventrikulären Erregungsausbreitungsstörungen. QRS-Verbreiterungen können unspezifischer Natur sein, beispielsweise ausgelöst durch Myokarderkrankungen, Elektrolytentgleisungen oder Medikamenteneinflüsse (g Vgl. Kap. 14, das EKG bei speziellen Krankheiten s. S. 125). Viel häufiger

Abb. 7.12 ˘ Die schnelle Erregungsleitung über die TawaraSchenkel ist bei einem Schenkelblock behindert. Die Depolarisationswelle findet dennoch einen Weg, den betroffenen Herzabschnitt zu erreichen. Dies geht allerdings deutlich langsamer vonstatten.

61


7 Veränderungen des QRS-Komplexes ˘ 7.3 Schenkelblockierungen

inkompletten Schenkelblock, ab einer Breite von 0,12 s gilt es als kompletter Schenkelblock. Eine sich an der QRS-Form zeigende kleine Leitungsverzögerung im rechten TawaraSchenkel, die noch nicht zu einer Verbreiterung des QRS führt, wird übrigens Rechtsverspätung genannt. Eine Leitungsverzögerung im rechten Tawara-Schenkel muss nicht unbedingt Krankheitswert haben. Eine Linksverspätung ist ein weiterer, recht spezieller EKG-Befund. Normalerweise wird das Septum links schneller erregt als auf seiner rechten Seite, was zu einem kleinen initialen Vektor führt, der nach rechts zeigt (g Q-Vektor s. S. 21). Das ist in den nach links zeigenden Ableitungen I, aVL und V6 in Form eines kleinen negativen Ausschlags erkennbar. Kleine Q-Zacken gehören also zum Normalbefund in diesen Ableitungen. Fehlt nun dieser Vektor in einem EKG mit normal schlanken QRS-Komplexen, fehlt also ein kleines Q in den nach links zeigenden Ableitungen, so besteht eine Linksverspätung. Denn dann wird das Septum auf seiner linken Seite nicht mehr – wie es normal wäre – schneller erregt als rechts. Erkennt man das Verschwinden der kleinen Q-Zacken bei der genauen Auswertung von Verlaufs-EKGs eines ACS-Patienten, so weist das auf eine beginnende Schädigung des linken Tawara-Schenkels bspw. im Rahmen einer Minderdurchblutung hin. Auf der anderen Seite kann man sagen: Q-Zacken in I, aVL und V6 gehören nicht zu einem Linksschenkelblock! Wenn man sie in einem Linksschenkelblock-EKG dort sieht, spricht das für einen lateralen Herzinfarkt, bei dem sich im Verlauf nämlich auch ein Q ausbildet (g Infarkt-Q s. S. 110). Ein intermittierender Schenkelblock besteht nur zeitweise. Typisch ist dabei die Abhängigkeit von der Herzfrequenz. Wenn ein QRS-Komplex sehr rasch auf den vorherigen folgt, so kann einer der Tawara-Schenkel noch refraktär sein. Die Folge ist, dass nur dieser QRS-Komplex schenkelblockartig deformiert ist. Supraventrikuläre Extrasystolen können dann wie VES aussehen. Man nennt das „Ashman-Phänomen“ (g Ashman-Phänomen s. S. 51). Auch zeigt die eine oder andere Breitkomplextachykardie nur dadurch breite QRS-Komplexe, weil sie zwar supraventrikulären Ursprungs ist, sich bei der hohen Herzfrequenz aber ein Schenkelblock zeigt. Zur Unterscheidung zwischen VT und SVT mit Schenkelblock gibt es komplizierte EKG-Kriterien (g VT-Kriterien bei Breitkomplextachykardien s. S. 97). Zu einer Schädigung am intraventrikulären Reizleitungssystem, also zu einem Schenkelblock, kommt es bei einer Vielzahl verschiedener Erkrankungen. Neben Ischämien (KHK), Kardiomyopathien und Entzündungen kann auch eine Druckbelastung Ursache sein. Eine Druckerhöhung im rechten Ventrikel bei einer Lungenembolie kann bspw. den rechten Tawara-Schenkel blockieren. Weiterhin sind Intoxikationen und degenerative Veränderungen zu nennen. Bei einem sehr schwer geschädigten Myokard sind die QRS-Komplexe teilweise extrem breit (0,2 – 0,4 s), manchmal kann man keinen

62

einzelnen Schenkelblock mehr herauslesen und spricht z.B. von einem diffusen intraventrikulären Block (37). Ein anderer Ausdruck lautet Arborisationsblock. Beispiele sind QRSVerbreiterungen bei schwerster Hyperkaliämie (g Hyperkaliämie s. S. 136) und auch das Bild des sterbenden Herzens („dying heart“) (g dying heart s. S. 146). Die Diagnose Schenkelblock stellt man anhand folgender Kriterien: – QRS-Verbreiterung – Abnorme Konfiguration des QRS-Komplexes – Verspätung des Oberen Umschlagspunkts (OUP) – Sekundäre Endstreckenveränderungen (g OUP s. S. 41) Vor allem in den Brustwandableitungen kann man einen Schenkelblock anhand der Form der QRS-Komplexe meist gut erkennen. Hier zeigen sich sogenannte R‘-Zacken, das sind zweite R-Zacken am Ende der QRS-Komplexe. Dies führt zum Phänomen, dass der OUP nach rechts verschoben wird. Auf diese Phänomene kommen wir gleich ausführlich zu sprechen. Die Endstreckenveränderungen, also Veränderungen von ST-Strecken und T-Wellen (sekundäre Erregungsrückbildungsstörungen) waren ja schon erläutert worden. Mit Hilfe von Vektoren kann man sich die EKG-Kriterien bei Schenkelblöcken hervorragend erklären. Als Grundlage dient natürlich das Verständnis der normalen Erregungsausbreitung in den Kammern (g Kap. 2, Herzvektoren s. S. 20).

7.3.1

Rechtsschenkelblock (RSB)

Bei einem RSB beginnt die Kammererregung ganz normal. Der linke Tawara-Schenkel wird etwas schneller erregt als der rechte. Zu Beginn von QRS zeigt also ein kleiner „Septumvektor“ nach rechts vorne. Dies führt in den Ableitungen I oder V6, die nach links zeigen, zu einer kleinen Q-Zacke. In der rechts angebrachten Ableitung (z.B. V1) beginnt der QRSKomplex dagegen mit einem kleinen R. Die Vektorschleife dreht sich nun im Verlauf und weist zunehmend nach links (g Vektorschleife s. S. 23). In den EKG-Ableitungen wandelt sich entsprechend das Bild, in V1 zeigt sich eine S-Zacke. Nun kommt die entscheidende Phase bei einem Schenkelblock. Gegen Ende der Kammererregung ist ein Areal im Bereich des blockierten Schenkels noch unerregt, während der gesamte Rest beider Ventrikel bereits von der Depolarisationswelle erreicht wurde. Der Vektor zeigt dann vom bereits depolarisierten Myokard auf den noch ruhenden Bereich (vgl. Abb. 7.13). So einfach ist die Erkennung eines RSB: Auf die nach rechts zeigende Ableitung V1 gucken, R‘-Zacke bei einem verbreiterten QRS erkennen, dazu noch die sekundären Endstreckenveränderungen betrachten – und fertig! In Ableitung I hat man diesen „terminalen Vektor nach rechts“ vielleicht bereits in Form einer tiefen, breiten S-Zacke bemerkt, man wollte sich nur nochmal in V1 absichern. Wenn man mal unsicher ist, weil die Form nicht ganz so lehr-


13 Das EKG bei ACS ˘ 13.4 STEMI-Lokalisation

13.4

STEMI-Lokalisation

13.4.1 Blutversorgung des Herzens „Zeig mir nochmal, wie das mit den Vorder- und Hinterwandinfarkten ist. Wie erkennt man das im EKG?“ – so eine häufige (und gute) Frage auf Rettungswachen. Es ist in der Tat nicht ganz unbedeutend, beispielsweise diese beiden Infarkte unterscheiden zu können. Man braucht dafür nicht viel mehr als die Kenntnis der Ableitungsvektoren (g Ableitungsvektoren s. S. 29) und etwas räumliches Verständnis. Die Tabelle 4 zeigt STEMIs und gibt Antwort auf die Frage, welche der EKG-Standardableitungen jeweils ST-Hebungen zeigen. Auf ein paar Sonderfälle gehen wir in den folgenden Abschnitten ein. Experten können dazu gleich die Blutgefäße benennen, deren Verschluss zu den einzelnen Infarkt-Arten führt. Die Koronararterien versorgen u.a. die ständig arbeitende Arbeitsmuskulatur des Herzens, aber natürlich auch das Reizleitungssystem (Abb. 13.14). Untereinander bilden sie zahlreiche Kollateralen aus, die meist aber nicht ausreichen, einen Gefäßverschluss komplett zu kompensieren. Weil es drei wesentliche Äste gibt, unterscheidet man bei der Koronaren Herzerkrankung Eingefäß-, Zweigefäß- und Dreigefäßerkrankungen sowie Hauptstammstenosen, je nachdem, welche Partien von der KHK betroffen sind. Die Koronargefäße sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausge-

Abb. 13.14 ˘ Die Koronararterien: Die linke Koronararterie entspringt aus der Aorta in Form eines Hauptstamms (1), der sich dann in den RIVA/die LAD (2) und den RCX/die LCX (3) aufteilt. Die rechte Koronararterie (RCA, 4) versorgt übrigens mit Sinusknoten und AV-Knoten wesentliche Anteile des Reizleitungssystems (in Gelb).

Tab. 4 ˘ Verschiedene STEMIs sowie die jeweils ST-Hebungen zeigenden EKG-Standardableitungen

I

Antero-lateralinfarkt

Antero-septalinfarkt

apikaler Infarkt

inferiorer Infarkt

Infero-lateralinfarkt

Lateralinfarkt

strikt posteriorer Infarkt

Vorderwandinfarkt

Vorderseitenwand

Vorderwandseptum

Spitze

Unterwand („Hinterwand“)

Unterseitenwand

Seitenwand

Hinterwand

Vorderwand

(+)

(+)

II

+

+

III

+

+

+

(+)

+

(+)

aVR aVL

(+)

(+)

aVF

+

+

V1

(+)

indirekt +

(+)

V2

+

indirekt +

+

V3

+

+

+

V4

(+)

+

+

V5

+

+

+

(+)

(+)

V6

+

(+)

+

(+)

(+)

117


13 Das EKG bei ACS ˘ 13.4 STEMI-Lokalisation

bildet, mal überwiegt das eine, mal das andere Blutgefäß, gelegentlich gibt es auch bedeutsame Zusatzäste. Der Hauptstamm der linken Koronararterie teilt sich normalerweise nach etwa 1 cm in einen Ast, der vorne zwischen den Ventrikeln herunterzieht (Ramus interventricularis anterior, RIVA = left anterior descending, LAD) sowie einen Ast, der links um die Seitenwand nach hinten zieht. Dieser wird Ramus circumflexus (RCX) oder auch left circumflex coronary artery (LCX) genannt. Die Abkürzungen sind recht kompliziert, zumal der eine sie in Englisch, der andere in Lateinisch benennt. Der Sinus- und der AV-Knoten werden von der rechten Herzkranzarterie versorgt, während das His-Bündel von beiden Seiten mit Blut versorgt wird. Die rechte Koronarie versorgt wichtige Anteile des rechten Ventrikels sowie die inferiore Wand („Hinterwand“), die linke Koronarie entsprechend den größten Teil des linken Ventrikels, u.a. die Seitenund Vorderwand.

13.4.2 Die rechte Koronararterie: Inferiore Infarkte

Abb. 13.16 ˘ Inferiorer Infarkt. Die in Gelb markierten Ableitungen zeigen, wo die ST-Hebungen am deutlichsten sind.

Am einfachsten zu erklären ist der inferiore Infarkt. Inferior ist lateinisch und bedeutet „unten“, ein passender deutscher Begriff wäre also „Unterwandinfarkt“. Diesen gibt es aber nicht (außer hier). Die meisten Ärzte verwenden den Begriff Hinterwandinfarkt für einen STEMI, dessen Hebungen in den Ablei-

tungen II, III und aVF erkennbar sind (Abb. 13.15). Sie nennen ihn so, weil das Herz gemütlich dem Zwerchfell aufliegt und dadurch die Hinterwand der Ventrikel nach unten weist. Auf Infarkte der „echten Hinterwand“, die strikt zum Rücken zeigen, kommen wir gleich zu sprechen. Einem inferioren Infarkt

Abb. 13.15 ˘ Inferiorer STEMI, etwa 90 Minuten nach Schmerzbeginn. Auch in Abl. V6 erscheint die ST-Strecke etwas konvexbogig. Nebenbefundlich eine Rechtsverspätung

118


13 Das EKG bei ACS ˘ 13.4 STEMI-Lokalisation

erfolgen! Wer vor der Gabe von Nitro auf der Suche nach inferioren Hebungen ein EKG mit wenigstens den Ableitungen I – aVF schreibt, der macht alles richtig (vorausgesetzt, dass er die grüne Elektrode auch ans Bein geklebt hat und nicht irgendwo nach links, aber ich wiederhole mich).

Abb. 13.17 ˘ Inferolateralinfarkt. also (II, III, aVF) liegt meist ein Verschluss der rechten Herzkranzarterie zugrunde. Weil diese Äste an wichtige Strukturen des Reizleitungssystems abgibt, muss man bei inferioren Infarkten besonders mit bradykarden Rhythmusstörungen rechnen, insbesondere Blockbildern. Je nach Anatomie und Gefäßversorgung können Infarkte auch von der Unter- auf die linke Seitenwand übergreifen (Inferolateralinfarkt).

13.4.3 Rechtsherzbeteiligung bei STEMI In etwa der Hälfte der Fälle eines „inferioren Infarkts“ besteht eine sogenannte Rechtsherzbeteiligung, bei der eine relevante Muskelmasse des rechten Ventrikels mitbetroffen ist. Besonders wenn die ST-Hebung eines inferioren Infarkts in III deutlicher ist als in II und vielleicht schon V1 in diesem Sinne auffällig ist (Abb. 13.18), muss an diese spezielle STEMI-Lokalisation gedacht werden. Solche Infarkte sind häufiger mit Komplikationen behaftet. Bei inferioren Infarkten muss auch über dem rechten Herzen ein EKG abgeleitet werden, mindestens die Ableitung Vr4. Das sucht man durch Schreiben der spiegelverkehrt abgeleiteten Brustwandableitungen, „rechtspräkordiale Ableitungen“, Vr3 – 6 (Abb. 13.20). Wenn auch in Vr4 eine ST-Hebung besteht, gilt die rechtsventrikuläre Beteiligung als bewiesen (Abb. 13.19). Eine Hebung von 0,05 mV, bei jüngeren Männern 0,1 mV, ist hier bereits signifikant (86). Eine therapeutische Konsequenz ist der Verzicht auf Vorlastsenker (kein Nitro, Vorsicht mit Morphin), bei niedrigem Blutdruck kann eine Volumengabe

Abb. 13.18 ˘ Inferiorer STEMI mit Hebungen in II, III und aVF, am deutlichsten in III. Spiegelbildliche Veränderungen sind erkennbar. Die ST-Strecke und die T-Welle in V1 sind nicht (wie sonst meist üblich) gesenkt bzw. negativ.

119


17 Notfallmedikamente und EKG ˘ 17.5 Magnesium als Antiarrhythmikum

17.5

Magnesium als Antiarrhythmikum

Magnesium ist ein wichtiger Mineralstoff im Körperhaushalt und unter anderem beteiligt an der Steuerung des Elektrolytaustausches an der Zellmembran. Dies erklärt seine antiarrhythmischen Eigenschaften, die man zusammengefasst als „membranstabilisierend“ bezeichnen kann (83). Man kann die Substanz auch als Kalzium-Antagonisten bezeichnen. Magnesium wirkt antiarrhythmisch sowohl bei Vorhofals auch bei Kammerarrhythmien. Es wird weiterhin auch bei der Eklampsie und beim Asthmaanfall eingesetzt, die klassische rhythmologische Indikation für Magnesium als Antiarrhythmikum ist die Torsade-de-pointes-Tachykardie (Abb. 17.6). Diese spezielle Kammertachykardie mit wechselnden QRS-Hauptvektoren führt im EKG zu einem spindelförmigen Auf und Ab der QRS-Komplexe. Elektrisch auslösend sind sogenannte „frühe Nachdepolarisationen“ von Muskelzellen in den Herzkammern. Diese lassen sich eben durch Magnesium unterdrücken. Die Dosierung beträgt 30 mg/kg, also bei Erwachsenen 2 g, gemeint sind 8 mmol Magnesium (es gibt verschiedene Zubereitungen!). Gegeben wird das Medikament in einem eher kritischen Fall über 1 – 2 (– 5) Minuten i.v., falls notwendig wiederholt nach 10 – 15 Minuten. Eine Dauerinfusion (2 – 4 mg/min bzw. 0,5 – 1 mmol/h) kann sich anschließen (55, 79, 88). Für die Phase der präklinischen Notfallmedizin empfiehlt sich aus Praktikabilitätsgründen auch die Nachinjektion geringer Mengen nach Bedarf. Eine Magnesiumüberdosierung kann zur Muskellähmung führen (Kalzium-Antagonismus). Auf die Atmung ist also zu achten! Kliniker empfehlen auch die regelmäßige Kontrolle der Patellarsehnenreflexe unter Magnesiumtherapie, um Lähmungen rechtzeitig zu erkennen. Die wichtigste Nebenwirkung ist eine Vasodilatation mit (evtl. heftigem) Wärmegefühl und möglichem Blutdruckabfall, v.a. bei rascher Injektion (g Torsaden s. S. 130).

Abb. 17.7 ˘ Aufpassen! Es gibt verschiedene MagnesiumZubereitungen. Diese hier enthält bereits 8 mmol pro Ampulle, andere Ampullen enthalten 4 mmol.

Abb. 17.6 ˘ Polymorphe Kammertachykardie vom Typ Torsade de pointes, hier selbstlimitierend: Magnesium erwägen. In kritischen Situationen muss natürlich (leitliniengerecht) eine Elektrotherapie erfolgen, bei einer Bradykardie kann eine Frequenzsteigerung helfen.

178


17 Notfallmedikamente und EKG ˘ 17.6 Weitere Antiarrhythmika

17.6

Weitere Antiarrhythmika

Eine der wichtigsten supraventrikulären Arrhythmien ist die regelmäßige Tachykardie mit schmalem QRS-Komplex, die sogenannte SVT (supraventrikuläre Tachykardie). Die Abbildung 17.8 zeigt eine SVT mit völlig regelmäßig einfallenden schmalen QRS-Komplexen, hier besteht meist eine kreisende Erregung im Bereich des AV-Knotens. Das Vorgehen bei einer solchen regelmäßigen Schmalkomplextachykardie (SVT) hatten wir bereits in Kapitel 10 diskutiert (g Therapie der SVT s. S. 88). Zusammengefasst versucht man zunächst einen Vagusreiz, beispielsweise durch Trinken eiskalten Wassers oder das modifizierte Valsalva-Manöver. Dann kommt bei hinreichender Erfahrung des Notarztes Adenosin zum Einsatz, zunächst z.B. 6 mg rasch i.v., bei Bedarf anschließend ein bis zwei Versuche mit 12 mg. Bei fehlendem Erfolg oder bei Wiederauftreten der Arrhythmie wird man länger wirksame Medikamente einsetzen. Adenosin (Adrekar®) gilt also als erste Wahl bei dieser Rhythmusstörung. Experten können die Substanz unter bestimmten Umständen auch bei anderen Arrhythmien einsetzen, selbst Breitkomplextachykardien. Es blockiert unter anderem die AV-Überleitung und beendet so die kreisende Erregung, die einer SVT zugrunde liegt. Die Halbwertszeit liegt im Bereich weniger Sekunden, die Substanz verliert bereits im Blutgefäß auf dem Weg zum Ort der Wirkung an Kraft. Wer dies im Kopf hat, legt also einen (nicht zu kleinen) Venenzugang möglichst im Bereich der Ellenbeuge und nicht am Handrücken. Vor der Gabe von Adenosin muss man Reanimationsbereitschaft herstellen sowie Kontraindikationen ausschließen. Diese bestehen bei Patienten mit bekannter Präexzitation, Asthma bronchiale und bekannter QT-Verlängerung. Besondere Vorsicht ist auch geboten bei herztransplantierten Patienten, bei KHK-Patienten und bei der Einnahme von Dipyridamol (Thrombozytenhemmer) oder von Carbamazepin (Antiepileptikum). Bereits erkanntes Vorhofflattern sollte nicht mit Adenosin behandelt werden, es droht eine Zunahme der Kammerfrequenz. Es ist klug, den Patienten zuvor aufzuklären, dass es kurz nach der Injektion möglicherweise zu starken Nebenwirkungen kommt wie Unwohlsein, Wärmegefühl, Luftnot und auch Brustenge bzw. Brustschmerz. Diese unerwünschten Wirkungen verschwinden aber ebenso schnell wieder wie auch die Bradykardie, die durch das Medikament ausgelöst wird. Die empfohlene Dosierung von Adenosin liegt bei initial 3 mg (Fachinfo) bzw. 6 mg (Leitlinien), eine Wiederholung mit (6 – 9 –) 12 mg ist nach jeweils 1 – 2 Minuten möglich. Mit der Strategie „6 mg, dann ggf. 12 mg und ggf. nochmals 12 mg“ können etwa 90 – 95% der SVTs beendet werden (79). Manche Empfehlungen gehen bis zu einer Dosis von 18 mg (3 Ampullen), auf die bei Bedarf gesteigert werden kann (45). Das Medi-

Abb. 17.8 ˘ Regelmäßige Tachykardie mit schmalem QRS: Mittel der ersten Wahl ist Adenosin. kament wird schnell intravenös injiziert und nach Möglichkeit eingespült. Man sollte bereit sein, bei einer Frequenzverlangsamung, mit der nach etwa 20 – 30 Sekunden zu rechnen ist, möglichst viele EKG-Ableitungen aufzuzeichnen (nach Möglichkeit ein 12-Kanal-EKG). In der Rettungsdienst-Praxis kann es schwierig sein, bei einem nur kurzen Aufzeichnen des 12-Kanal-EKGs den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Da ist die normale Druckertaste manchmal sinnvoller, da hiermit wenigstens 1 – 2 (– 3) Ableitungen auch über einen längeren Zeitraum ausgedruckt werden können. Ein Wiederauftreten der Arrhythmie ist möglich und wird dann entweder erneut mit Adenosin behandelt oder mit einem länger wirksamen Medikament.

Abb. 17.9 ˘ Adenosin (Adrekar®) ist Mittel der Wahl bei regelmäßiger Tachykardie mit schmalem QRS.

179


19 Ein paar Übungs-EKGs ˘ Übungs-EKG 6

Übungs-EKG 6

Abb. 19.6a ˘ Übungs-EKG 6

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19 Ein paar Übungs-EKGs ˘ Übungs-EKG 6

Kasuistik zu EKG 6 RTW und NEF werden um 5.45 Uhr alarmiert. Bei einem 88-Jährigen bemerkte die betreuende Pflegekraft seit der Nacht eine deutliche Unruhe, sie hat das Gefühl, er leide unter Schmerzen. Aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten sind weitere Angaben schwer herauszufinden, bei einer Demenzerkrankung kann der Patient keine verwertbaren Informationen liefern.

ABCDE:

A frei, B suffizient, beschleunigt mit etwa 30/min, Lunge frei, SpO2 wechselnd 90 – 96% bei Raumluft, C Radialispuls normal tastbar, regelmäßig bei 70/min, Haut trocken, Kapillarfüllung in 1 – 2 Sekunden, Halsvenen leicht gestaut, Blutdruck 150/100 mmHg, D keine Besonderheiten, BZ 155 mg/dl, keine peripheren Ödeme. Verbundene PEG-Ernährungssonde.

SAMPLE:

Eine Krankenakte ist nicht vorhanden oder nicht aufzufinden. Im Medikamentenschrank befinden sich verschiedene Pharmaka, vorwiegend Schmerz- und Magenmittel, auch ASS 100.

Fragen:

Was zeigt dieses EKG? – Wie geht es dem Patienten? – Herzfrequenz – Rhythmus – QRS-Breite – – – – – – – – –

P-Wellen (Überleitung auf die Kammern) P-Wellen (Details) Q-Zacken R-Zacken S-Zacken QRS-Komplex-Details ST und T Zeiten (PQ, QT) Weiteres

Trägt dieses EKG etwas Relevantes zur rettungsdienstlichen Versorgung bei?

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Ralf Schnelle

Das vorliegende „EKG-Gesamtpaket für die Notfall-

diziner interessieren: Was inferiore von echten Hin-

geschrieben. Das beginnt bei Rettungssanitätern,

mien bei WPW-Syndromen drohen und wie genau

medizin“ ist in erster Linie für den Rettungsdienst die das Thema von Grund auf lernen wollen. Sie finden unter anderem, wo (ganz genau) die Elektroden

warum die Zacken mal so und mal anders aussehen.

Dieses Buch zeigt mit zahlreichen Fachzeichnungen,

EKG-Kurven, Fotos und nicht zuletzt OLAF-Cartoons, wie man sich die vielfältigen EKG-Befunde erklären

kann. Angehende Notfallsanitäter werden strukturiert durch die gesamte Notfall-Elektrokardiografie

geführt und lernen, wie man den Rechts- vom Linksschenkelblock unterscheidet und wie genau das mit der Ableitung Vr4 ist. Auch langjährig erfahrene Not-

ärzte werden vieles wiederentdecken, was vor Jahren im Studium mal unterrichtet wurde. Im ausführ-

lichen Index finden sie alle Themen, die den Akutme-

terwandinfarkten unterscheidet, welche Arrhytheine Hyperkaliämie im EKG aussieht. Wie zeigt sich

eine Lungenembolie? Was sind Osborn-Wellen? Wie

differenziert man zwischen Infarkt-ST-Hebungen

und denen bei einer frühen Repolarisation? Was sind Brugada-EKG und Wellens-Zeichen? Und alle – vom RS bis zum Notaufnahmearzt – erhalten nicht nur fundierte EKG-Kenntnisse, sondern als Zusatzlei-

stung einen Überblick über die leitlinienkonforme

Notfallversorgung. Erläutert wird auch, wie man eine SVT beendet, wie Adrenalin bei einer kritischen Bra-

dykardie aufgezogen und dosiert werden muss und

wie der Träger eines ICD defibrilliert werden sollte. Dies alles kommt aus der Feder eines erfahrenen Not-

arztes, der vor über 30 Jahren als Rettungssanitäter anfing, EKGs abzuleiten und auszuwerten.

EKG in der Notfallmedizin

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Ralf Schnelle

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