Skicabuch 1

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Einblicke in die zeitgenรถssische slowenische Literatur SKICABUCH Einblicke in die zeitgenรถssische slowenische Literatur

isbn: 978-3-9503927-0-8

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SkicaBuch 1 Einblicke in die zeitgenössische slowenische Literatur

— Wien, Herbst 2014



SkicaBuch

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AutorInnen Esad Babačić Gabriela Babnik Anja Golob Stanka Hrastelj Jure Jakob Nataša Kramberger Maruša Krese Katja Perat Barbara Simoniti Goran Vojnović

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ÜbersetzerInnen

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Institutionen und Netzwerke


Esad Babačić

Esad Babačič (geb. 1965), Dichter, Publizist, Journalist und Regisseur, der bisher 14 Bücher veröffentlichte (darunter 10 Gedichtbände), gilt als einer der meistübersetzten slowenischen Autoren der mittleren Generation. An der Philosophischen Fakultät in Ljubljana studierte er Serbisch, Kroatisch und Slowenisch. Er schreibt auch Drehbücher und erhielt 1998 beim Festival des unabhängigen Films und Videos Sloweniens einen Preis für seinen Dokumentarfilm Ljubljana–Kozara–Ljubljana. Mit seiner Lyrik nahm er am Projekt Literature Express Europe 2000 teil. Gemeinsam mit dem weltberühmten Künstlerkollektiv NSK (Neue slowenische Kunst) veröffentlichte er 2010 das Kunstbuch Biospektiva. Mit dem Gedicht Donava (Die Donau) war er 2013 für den prestigeträchtigen Jenko-Preis des Slowenischen Schriftstellerverbandes nominiert; 2014 erhielt er den Literaturpreis „velenjica/čaša nesmrtnosti“ für sein zehnjähriges dichterisches Spitzenopus, das bedeutend zur Kunstliteratur des XXI. Jahrhunderts beigetragen hatte. Beim Hochroth Verlag erschien 2014 in einer zweisprachigen Ausgabe sein Gedichtband Molitev metulja / Gebet des Schmetterlings. Kontakt: www.esadbabacic.si


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Grünes Land

es gibt eine manische depression der wirtschaft eine psychose des nehmens ohne herz eine manische depression des bauwesens eine depression der gräber die nicht weniger werden die erlaubnisscheine wachsen geben sich als bücher aus wir gehen über diagnosen ziehen sie hoch wie ungelesene hochhäuser stählerne visuren unserer höhen und tiefen wir gehen über statistiken nicht über straßen nicht im regen auf wolken schreiten wir auf wolken die schneller ziehen weil sie von sehr weit her gekommen sind von sehr weit her sie werden geschoben von chinesischen untermenschen mit gesenkten köpfen mit geschlossenen augen sabbern sie zählen sie die projektanten der stabilen märkte im vakuum durchgehender entscheidungen

jede sicherheit die du spielst ist zu sieg verdammt oder niederlage doch das können wir uns nicht aussuchen wir können uns nichts mehr aussuchen nur hände hände aus gummi herbstdepressionen befreit vom stahl der uns in sich hineinziehen will in die psychose des wunsches und des befehls dein herz ist eine grüne landschaft gestraft mit schönheit ×


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Morgens

Imperator

schwarzer kaffee schwarzer sklave steht nicht mehr auf

Deine Pflicht ist auf der anderen Wunden zu steigen.

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Ă—


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Augen

Erlaube nicht, dass dir jemand den Stolz aus den Augen stiehlt, die allein geblieben sind. Ă—

Die Stille der Hand, die sich in der anderen wiedergefunden hat. Ă—


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Stille

Poesie schreit nicht. Poesie streichelt jene, die schreien. ×

die stille des unterschlupfs ruhige stille stille stille bösartige höhere stille niederträchtige stille empfangene vertraute stille fliehende lauernde stille süße letzte verliebte entliebte durchfließende abfließende tapfere stille such sie aus alles bist du die stille schläft ×


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Gläsernes Land

Bäume ohne Köpfe Bäume ohne Haare Bäume unseres Elends unserer kopflosen Versuchungen Bäume fallen in uns damit wir uns nicht mehr aufrappeln damit wir uns nicht mehr erheben Bäume wir wollen mehr wollen rüber auf die andere Seite ewige Berge eure weißen kahlen Berge ohne euch werden wir über ihr schreiten und weinen bis zum Boden gebeugt, weil wir zu spät gesehen haben,

weil wir euch nur für Schönheit hielten, über die wir nicht viel sagen konnten. ×


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Ich zog in die Gesichter jener um, die ich vermisse. Ich finde keine Worte, darum streichle ich sie zurück und vor. ×

Ich gebe den Namen und die Blumen zurück, die ich dir nicht aus Herzen geschenkt habe. Wirf sie ins Gesicht, das sich vor sich selbst versteckte und sich durch deine Schönheit zeigte. ×


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Korrektes Gedicht

korrekt hast du gelebt korrekt wirst du sterben du hattest korrekte beziehungen mit korrekten menschen in korrekten zeiten warst ein korrektes vorbild der korrektheit wenn man dich darauf hinwies dass du etwas nicht korrekt getan hast brachst du korrekt zusammen du bliebst korrekt in deiner angst auch als alle ihr stück inkorrektheit nahmen und sich freuten inkorrekt du belogst sogar einst dich selbst du seist selber manchmal mühelos inkorrekt nur um korrekt bleiben zu können bis zum schluss

heute hast du korrekt deine schuld eingestanden weil die bösen gewonnen haben und weil auch du korrekt naiv warst als du sie füttertest mit deiner korrektheit ihnen sogar den weg wiesest mit strahlendem beispiel weil du nicht wusstest dass die korrektheit schon von jeher das härteste kapital in den händen der inkorrektesten menschen ist ×


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Haare

Einst hatte ich einst hatte ich Haare einst hatte ich ein Herz die Seefahrer kamen mit schwerer Brust und Augen nach allen Seiten und trugen es davon dorthin wo Delfine nicht alleine hin gehen sie trugen es davon in leeren Beuteln unsichtbarer Niederlagen fßr die sie beschuldigten sich und dich die du auf dem Deck standest wie ein zerbrochener Säbel des Himmels hinter dem noch ein Himmel liegt und noch ein Auge und noch eines und noch eines und du lachtest ßber deinen eigenen Schatten in dem das alte Herz schlief in dem eine Meute abendlicher Piraten stand die sich selbst bestahlen

nicht dich nur dich nicht Ă—


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Picasso

Steppengedicht

Wer pilotiert die Hände des Himmels wenn es Abend wird.

Die Russen fliehen nie. Es ist zu weit. ×

×


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Die Ministerin

Sie schritt davon in ein neues Kleid, lächelnd in die Zähne derer, die leeres Brot beißen. ×

die graue sense mäht wir leben im grauen wind der nacht fenster ohne augen blicke ohne türen gerne gehe ich durch auf der anderen seite kein mensch nur deine augen ×


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Als Kind trägst du eine Perle im Herzen, du hegst sie, obwohl du nicht weißt, dass sie da ist. Wenn du aufhörst Kind zu sein, suchst du nach dieser Perle, die noch immer dort ist und unsichtbar, die verschämt ihr Geheimnis hütet. ×

Wäre ich vor meiner Mutter geboren, wäre ich frei. 1982 ×


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Deck

Herbst

Der gealterte Seemann bleibt dem Zittern treu.

Das Ambiente ist schrecklich, sodass der Henker die Augen verschließt, als des Blattes Hals bricht.

×

×


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Lied

Dämmerung

Du bist ein Schiff. Ich bin der komische Seemann, der drohend zu deinem Deck blickt.

So, gegen Abend, ziehst du die Stiefel an und schnürst Rasierklingen um dein Herz, schmierst dich mit Schweiß ein, um den Schwan zu vertreiben, um die Flügel zu hören, die dich nicht schlafen lassen. Du versteckst dich hinter der Verachtung, als hättest du alles verloren. Du weißt, dass es nicht so ist, du strahlst schwarzes Gold aus.

×

×


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Dem Soldaten der Stille

Du weißt genau, was dich tötet. Dann gehst du dorthin und tust das. Vor Abend kehrst du zurück in dein düsteres Zimmer und siehst zurück: Fehler, goldene Fehler. ×

Du störst niemanden mehr, wildgewordener Zug. ×


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Vergehen

Wer zuerst zweifelt, gewinnt. Auch das ist Liebe. ×

Stille Räder In keiner Anderen Sprache Können sie So still sein Im goldenen Regen Rutschen sie über den Asphalt Und niemand hört sie Stille Räder Ich beobachte euch Durch den Spiegel Meiner Seele Voller Wasser Und Vergehen ×


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Züge

Auf so viele habe ich gewartet Vielleicht bin ich verrückt Oder auch nicht Auf so viele habe ich gewartet Sie kamen und gingen Ich war der Einzige Auf diesen Gleisen Der dir nicht die Adern aufschneidet Einmal kamst du Und sagtest zu mir Knallen wir uns zu Ist ja nur Klebstoff Du bist verrückt habe ich gesagt Dein Gesicht war ehrlich Wie die Züge, die immer kommen Dein Lächeln war ansteckend Du warst aus Šiška und es war dir egal Es gefiel dir, weil es mir noch egaler war. Die Züge fielen auf uns herab Als wir in einen bodenlosen Beutel atmeten Keine Narben von dir Nur Glück, weil ich dich kannte Und weil ich auf dich wartete Wie auf den Herbst und den Winter Wie auf ein Wort, das stirbt Bevor das Gedicht geschrieben wird. ×


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Messi

© Esad Babačić © Übersetzung: Metka Wakounig

Wenn du verschwindest werden die Dribblings wieder leichter. Nie mehr Tiki-Taka. Die Ewigkeit, die niemand zupassen will, wird nur dir gehören. Der Ball, den du sofort zurückspielst, liegt nicht in der Natur der Kleinen und Dämlichen; du hältst und hältst ihn, bis man ihn dir wegnimmt. Weinen als Resultat. Tiki-Taka, von Fuß zu Fuß, ohne Herz, mit Vergnügen, das Geld zählt und unter der Dusche lacht, von der anderen Seite Barcelonas aus. Wenn Messi anlegt, bücken sich die Armen zum Gebet und wenn er verfehlt, ist es egal. Das hilft. Es vergeben jene, die können. Die Unfähigen vermehren sich nur. Wenn Messi zielt, fällt dir ein, dass du nur noch für einen Burek übrig hast

und dass es am besten ist, nur einen Klub anzufeuern, auch wenn der in der zweiten Liga ist. Denn du bist so viele Siege nicht gewohnt. Das ertragen nur jene von der anderen Seite Barcelonas. Tiki-Taka Tiki-Taka Nicht der Sieg ist wichtig, nur Lachen und Abspiel, Pass, stoppen, Pass. ×


Gabriela Babnik

Gabriela Babnik (geb. 1979), Autorin, Literaturkritikerin, Journalistin und Übersetzerin. Sie studierte Komparatistik an der Universität in Ljubljana und widmete sich in ihrer Dissertation dem zeitgenössischen nigerianischen Roman. Ihre literarischen Werke sind stark von den Begegnungen der Kulturen Afrikas und Europas geprägt. 2007 erhielt sie für ihren bei Študentska založba veröffentlichten Debütroman Koža iz bombaža (Baumwollhaut) den Preis der Slowenischen Buchmesse. Im Jahr 2009 erschien ihr zweiter Roman V visoki travi (Im hohen Gras) und 2011 Sušna doba (Zeit der Dürre) – dieser wurde 2013 mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet. Eines ihrer Hörspiele (die Adaption des Romans Baumwollhaut) wurde für den Prix Italia nominiert. 2014 erschien bei Mladinska knjiga ihre Kurznovellensammlung Nočne pokrajine (Nachtlandschaften). Im Jahr 2013 erhielt sie für ihre Tätigkeit als Literaturkritikerin den Stritar-Preis, der jährlich vom Slowenischen Schriftstellerverband verliehen wird. Sie lebt in Ljubljana und hält sich regelmäßig in Burkina Faso auf. Kontakt: gabrielesi@yahoo.com


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Auszug aus dem Roman Sušna doba (dt. Zeit der Dürre)

I. (Ana) Wir lagen im Bett und ließen keine Sonne in den Raum, aber selbst wenn wir das Licht eingeschaltet hätten, weiß ich nicht, ob es etwas geändert hätte. Ob ich die Person geworden wäre, die ich früher war, und er der Mensch, der er war. Ich rückte nahe an ihn heran, so nah es ging. An seinen röchelnden Atem und seine warme Haut. Er war erstaunlich warm. Mit ernster Miene sagte er, was diese Worte noch charmanter wirken ließ, er habe ein Büffelherz. Ich spannte ihn ein, diesen Büffel, und ich werde ihn nur ungern jemals wieder freilassen. Meine Knochen werden es nicht erlauben. Ich weiß, ich schreibe, als ob ich aus einem früheren Jahrhundert gekommen wäre – und das bin ich auch. Geboren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Irgendwo habe ich gelesen, dass man auf diese Weise keine Romane beginnen soll. Ich meine, so, dass man sagt „Ich bin da und da geboren“, aber was solls. Man verzeihe mir, weil ich in der Dunkelheit mit diesem jungen Mann im Bett lag, dessen Gesicht wie gezeichnet war. Seine Augen, seine Stirn, seine Nase, als hätte man sie aus Pappe geschnitten und dorthin geklebt. Er schlief mit halb offenen Lidern und ich wünschte mir, ich hätte sie schließen können. Auch so, aus der Ferne, wusste ich gewisse Dinge über ihn. Ich konnte sie erahnen. Als wir ins Hotel gegangen waren, zum Beispiel. Während ich mich über die Handtasche gebeugt und nach meinem Portemonnaie gesucht hatte, schaute er weg. Oder als ich auf offener Straße, mitten im weißen Licht, nach seiner Hand greifen wollte, ja, das habe ich erst vor Kurzem das erste Mal getan, zu Beginn nicht. Am Anfang ging er nur an meiner Seite, sein schlanker, hagerer Automechanikerkörper, obwohl, obwohl er bereits vieles in seinem Leben machen musste, man sah es an seinen Adern – nicht nur auf seinen Händen, sondern vor allem auf seinen Schläfen: Große, starke Adern, Adern wie Elektrodraht, Adern wie Stahl, wie Salz, wie Wasser – diese unbezwingbaren Adern, und neben ihm schreitend, trug ich meine gelbe Handtasche mit dem Blumendruck, die ich später irgendwo unterwegs liegen ließ. Im Hotel, als wir uns auf die Plastikstühle fallen und unsere Körper rasten


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ließen, sagte er, er habe mich nur wegen dieser Handtasche gesehen. Von der anderen Straßenseite aus. Zwischen uns floss ein Strom von Autos, Menschen, Verkäufern, Frauen mit oder ohne Gepäck auf ihren Köpfen, Kinder mit frühzeitig gealterten und weniger gealterten Gesichtern, und trotz alldem fingen mich seine Augen ein. Er hatte die Augen geschlossen, so wie jetzt, nur dass seine Augen jetzt im Schlaf halb geöffnet waren. Obwohl er nicht mehr schaute, zumindest nicht in meine Richtung. Ich stelle mir vor, dass er in sich hinein schaute, in sein Büffelherz und sein kochendes Blut. Womöglich hat er deswegen im Schlaf geröchelt. So, inbrünstig, als ob er seit Ewigkeiten keinen Schlaf mehr bekommen und nur noch darauf gewartet hätte, jemanden zu treffen, um mit ihm ins Bett zu gehen. Das habe ich wohl bereits von der anderen Straßenseite geahnt. Und als wir uns schließlich begegneten, sagte er: „Sie haben mich beobachtet.“ Ich kann mich noch ganz genau erinnern, dass er mich gesiezt hatte. Auch ich sagte dann das Gleiche, und zwar: „Ich habe bemerkt, dass du mich beobachtest.“ „Was machen wir also?“ lachte er auf. Ich schwieg, mit dieser gelben geblümten Handtasche es wäre zu blöd, darauf etwas zu erwidern, und schaute weg. In dem Moment wusste ich, dass es nicht einfach sein wird, diesen Andersblick auszuhalten: auf seinen großen, hageren Körper. Aber all das habe ich bereits erzählt, jetzt muss ich etwas mehr sagen, die Karten offen auf den Tisch legen. Als ich mich also weggedreht hatte, stellte ich mir vor, wie er mit seiner großen dunklen Hand, an der die Sonne und vieles mehr abprallte, wie er mit dieser Hand unter mein verschwitztes T-Shirt fährt und diese Brüste anhebt, die schon seit hundert Jahren herunterhingen. „Kann ich Ihnen mit der Handtasche helfen“, sagte er, als sich mein Blick langsam wieder auf ihn richtete. Ich lachte zurück. Nachdem ich beim Überqueren der Straße fast gestorben wäre, würdest du gern meine Handtasche tragen. Nur das, weiter nichts. Nein, es ist nicht so, dass ich keine Ahnung hätte, wo es auf diesem Kontinent in solchen Angelegenheiten langgeht – kein Küssen auf der Straße, kein Händchenhalten, vor allem nicht zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts, überhaupt keine Intimität in der Öffentlichkeit – aber nur die Handtasche zu tragen, wobei ich bereits seine Finger in meinem Mund, seine Hand auf meinem Bauch spürte, das war trotzdem zu viel für mich. Ich wiegte den Kopf hin und her, was hätte ich auch sonst tun können. Schon als Kind habe ich immer, wenn ich mir etwas sehnlich gewünscht hatte, den Kopf gewiegt. „Lass es,


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ich schaff das schon.“ Zwischen den Zeilen war natürlich das Gegenteil gemeint und ich glaube, er hat es sogar richtig gelesen. Auf jener Straßenseite, in der prallen Sonne. Als wir später nebeneinander hergingen, langsam und sachte wie zwei Baumwollblüten, von aufgewirbeltem Staub getragen, nahm er mir die Tasche trotzdem ab. Wir gingen in ein naheliegendes Hotel, wohin sonst. Eine Frau wie ich und ein Mann wie er. Im Stehen war er zwei Köpfe größer als ich. Aber ich bin von Zuhause an große Männer gewöhnt. Das ist für mich nichts Besonderes. Vermutlich hat es andere gestört. Eine Zweiundsechzigjährige neben einem Siebenundzwanzigjährigen zu sehen. Vermutlich hatte es die Rezeptionistin gestört. Dass wir uns, als ich mit meiner Hand in die Tasche fuhr, unabsichtlich mit den Ellenbogen berührten und danach auch noch mit den Schultern. Ich sah es, es stand ihr ins Gesicht geschrieben. Wieder eine, die hier Safari macht. Nur dass dort, in diesem farblosen Hotel, keine Wolken zu sehen waren, kein Gras und keine im Gras herumliegenden Löwen. Einzig ein dunkler, schmaler Gang und die Stufen, die zu einem Zimmer führen. Wenn man die Zimmertür öffnete, stand links ein Bett, neben dem Bett ein Nachtkästchen in billigem Glanz, etwas weiter vorne ein Kühlschrank und darauf eine Vase mit Plastikblumen. Angenommen, es gab da noch zwei Stühle, auf die wir uns – ich vielleicht noch etwas schüchterner als er – hinsetzten. Ich zog die Beine hoch, in eine Stellung, die ich später in Afrika noch öfter eingenommen habe, er ging zum Kühlschrank und nahm sich eine Flasche Wasser. Ich tat so, als ob ich zum Fenster hinausschauen würde, zu den Vorhängen vor dem Fenster, diesen schweren, bis zum Boden reichenden Vorhängen, die in einem gewissen Widerspruch zum Geschehen draußen standen, mit dieser Sonne und diesen überschwänglichen Gesten und diesem verlockenden Grinsen der Straßenverkäufer, ich versuchte die Gedanken daran zu verdrängen, was alles zwischen uns passieren könnte. Ich fürchtete mich wohl, ja ich fürchtete mich vor Worten aus seinem Mund. Dass er sich plötzlich vom Kühlschrank, die kalte Wasserflasche in der Hand, abwenden und sagen würde „Leg dich hin und spreiz die Beine“ oder „Soll ich dich jetzt ficken, dafür hast du mich ja in dieses Hotel gebracht, oder?“ Auf solche Worte hätte ich keine Antwort gewusst. „Ist Ihnen kalt?“ Ich zuckte mit den Schultern, obwohl ich vermutlich zusammengezuckt wäre, egal was er gesagt hätte. Auf seine Frage folgte nur noch Stille; ich sah zu meiner Handtasche hinüber und es wurde mir erst dann bewusst, dass ich sie, nachdem wir ins Hotelzimmer gekommen waren, neben der Bettseite einfach zu Boden fallen ließ. Als hätte er


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meinen flüchtigen Wink verstanden, als ob er mehr verstanden hätte, als ich jemals verstehen werde, ging er wieder zum Bett, ich dachte schon, er will sich hinsetzen, mich dazu auffordern, dass wir doch nun endlich erledigen sollten, weshalb wir hier hergekommen sind, doch er beugte sich nur hinunter, hob die Tasche auf und gab sie mir zurück, als gäbe es die Plastikblumen, den etwas abgetretenen Teppich und diese seidenen Bettüberzüge nicht. Ich drückte die Tasche an meine Brust, als würde ich ein Kind an mich drücken. „Wenn es Ihnen kalt ist, kann ich Ihnen mein T-Shirt geben?“ Ich wiegte wieder den Kopf. Ich weiß nicht, ob er mich verstand; im nächsten Moment zog er bereits das dünne Stück Stoff über seinen Kopf und blieb so vor mir stehen. Alles, woran ich mich erinnern kann, sind die Haare, dunkle buschige Haare, die sich von seinem Geschlecht über den Bauch hinauf über den Körper breiteten, sie reichten fast bis zu seinem Hals. Ich hätte mir nie gedacht, dass dunkelhäutige Männer so behaart sein können, jedenfalls nicht so stark wie er. In dieser Szene, in dieser wortlosen, schüchternen, bangen Szene voller Erwartung, in der man alles geschehen lassen und alles verneinen hätte können, hätten wir einen Vermittler gebraucht, doch einen solchen gab es nicht und der Moment hatte sich schon zu sehr in die Länge gezogen; ich neigte mich zu ihm, nahm mit zwei Fingern sein verschwitztes T-Shirt und sagte: „Bitte, nur kein Siezen.“ „Nein?“ Und wieder wiegte ich den Kopf hin und her. Inzwischen musste er wohl kapiert haben, was ich damit meine. Mein Sohn hat es immer amüsant gefunden. Vor allem, als er noch klein war. Viele Jahre später sagte er mir, er habe seine ganze Kindheit lang geglaubt, seine Mutter habe eine Mähne. Eine richtige Löwenmähne, wenn Sie verstehen. Vielleicht hat der dunkelhäutige junge Mann auch deswegen mein Gesicht gestreichelt. Seine große, warme Hand prüfte, ob mir diese Stirn, diese Augenhöhlen und diese Nase nicht einfach ins Gesicht geklebt worden sind. Aus Pappe geschnitten und dorthin geklebt. Ich wollte ihm sagen, dass mein Sohn in seinem Alter war und es deswegen besser wäre, wenn er mich doch duzt, aber nachdem er sich von mir abgewendet hatte, zum Fenster gegangen war und die schweren samtenen Vorhänge zugezogen hatte, starrte ich lieber nur noch auf seinen Hintern. Madonna brauchte angeblich fünfzig Jahre, um zu solchen Hinterbacken zu kommen, mir wird es wohl nicht einmal im nächsten Leben gelingen. „Das Hotel ist schon in Ordnung“, sagte ich, um endlich meinen Mund aufzumachen, „nur die Rezeptionistin hat uns …“


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Er winkte ab, als ob er sagen wollte, ich solle den Gedanken nicht weiter ausführen, weil sich das nicht lohnt. Und als er sich erneut dem Bett genähert, als sich sein Schatten wieder über meinem verdichtet hatte, wusste ich bereits, dass er mich an jemanden erinnerte. An jemanden, der nicht mehr da ist, der jetzt durch ihn, durch seine über den Hintern hängenden Jeans und seine langen Finger wieder zu mir gefunden hat. Seit ich mein Zuhause verlassen, den Boden gescheuert, die Kissen aufgeschüttelt, die Stühle am Tisch zurechtgerückt und das Gartentor abgeschlossen hatte, begleitete er mich. Diese Begegnung auf der Straße, oder besser gesagt dieses einander Erblicken, geschah also nicht nur, weil ich eine gelbe Handtasche und er seine warme, zu warme Haut und ein nach innen gewandtes Büffelherz mit sich herumtrug, sondern weil wir eigentlich immer schon verbunden waren. Erst in dieser Landschaft ohne Wolken, ohne Gras und ohne Löwen im Gras konnten wir uns trennen und auf die gegenüberliegende Straßenseite gehen. Vielleicht bin ich verrückt, um so etwas zu glauben. Aber wenn ich verrückt bin, dann existiert auch das Gesicht dieses Mannes nicht, der meine Handtasche zum naheliegenden Hotel getragen, sich Wasser aus dem Kühlschrank genommen, sein T-Shirt ausgezogen, die Vorhänge zugezogen hatte und schließlich eingeschlafen war, und deshalb existiere auch ich selbst nicht.


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II. (Ismael) Ich mag ihre Art, wie sie diese Melone zerlegt. Mit einem großen Militär­ messer, auf dessen Griff USA Army steht. Ich mag die Art, wie sie die weiche Mitte herausschneidet, dann die Kerne entfernt, einen nach dem anderen, und wie sie einen gelben Streifen schlussendlich zum Mund führt. Ich mag die Art, wie sie mich fragt, ob ich auch ein Stück haben möchte. An eine kühle Wand gelehnt, direkt neben dem vergitterten Fenster, schüttle ich den Kopf. Am Morgen sagte sie, berühre mich nicht so zärtlich, Ismael, ich habe diese Hingabe nicht verdient. Ich glaube, dass keine Frau, eigentlich niemand, eine solche Hingabe verdient hat. Dabei hatte ich sie gar nicht angebetet, mir gefiel einfach ihre Art, wie sie das sagte. Vielleicht habe ich von Baba nicht nur den Wunsch geerbt, politisch aktiv zu sein, sondern auch den Wunsch, mit weißen Menschen zu verkehren. Ihm wurden Geschichten erzählt und ich hatte diese Frau. Ich habe sie nicht gesucht, sie kam von selbst, am Anfang dachte sie sogar, ich sei jemand anders, ihr Pariser Liebhaber, auf der anderen Straßenseite, der ihr zuwinkt und sie zu sich ruft. Aber es war nur ich, und weil sie sich davon nicht enttäuscht zeigte, gingen wir ins Hotel. Ich werde jetzt nicht den Mythos der ersten Nacht nacherzählen, sie war eigentlich nichts Besonderes, es geht einfach nur darum, dass ich ihre Art mag, wie sie durch das Haus geht. Und ich mag die Art, wie sie mein Hemd trägt, wie sie zu mir kommt und sich an mich schmiegt, fast wütend und schmerzhaft. Sie hat sich nicht völlig unter Kontrolle und deshalb kann ich mich auch leicht in ihr verlieren. Ich kann nur sagen, dass der Sex mit ihr großartig ist und ich nicht weiß, warum ich darauf verzichten sollte. Mit ihr kann ich zumindest kommen. Ich muss ihn nicht mitten in der Filmvorführung herausziehen oder im Sinne von „nein, das darf ich nicht“ handeln. Bei ihr ist die Sache eindeutig. Vielleicht braucht sie tatsächlich etwas mehr Zuwendung und Schmeicheleien als die Mädchen mit festen Brüsten, aber was ich bei ihr mag, ist die Länge ihres Rockes. Es geht nicht nur um ihren festen, straffen Körper, ich wiederhole mich, sondern auch um ihre Unterschenkel und die schön geformten, etwas muskulösen Seiten ihres Oberschenkels und auch ihren Arsch, ich mag auch die Welt, die sie dort drüben zurückgelassen hat. Sie erzählte mir, dass sie adoptiert wurde. Sie erzählte mir auch von ihrer Mutter und von ihrem Vater. Ich meine, wie ihre Beziehung gewe-


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sen war. Sie fand das alles katastrophal, ich dagegen als nichts Besonderes, deswegen schwieg ich. Womöglich dachte sie, dass ich es nicht verstehe, wie ich zum Beispiel die Einsamkeit eines Menschen nicht verstehen kann, der zu Hause bleibt, während andere ans Meer fahren. Das gibt es hier nicht. Nicht nur kein Meer, auch keine Ferien. Das ganze Leben besteht aus Ferien. Wir sitzen herum und warten, dass etwas passiert. Das ist jetzt übrigens auch Babas Motto geworden: sitzen und warten, darauf, dass Malik zurückkehrt, dass ihm der Geist seiner Frau erscheint, dass Love Supreme im Radio gespielt wird. Aber ich will nicht mehr warten. Ich möchte mit ihr weggehen. In diese beschissene Stadt, wie sie sagte, ich möchte den Pool sehen, in welchem ihre Mutter ertrank, das Haus, in dem sie ihre Sachen hatte, den Garten, in dem sie ihren Vater und seine Geliebte eingesperrt hatte, und letztendlich möchte ich ihren Sohn treffen. Ich würde ihm Zigaretten ins Krankenhaus bringen, wenn sie es mir erlaubt. Und außerdem möchte ich mich davon überzeugen, ob die Geschichte von ihrem Sohn überhaupt stimmt. Sie schaut immer auf die Wand, wenn sie von ihm spricht. Sie meidet meinen Blick und das gefällt mir nicht. Es gefällt mir nicht, wenn sie sagt, Ismael, ich weiß nicht, ob wir das Richtige tun. Und es gefällt mir überhaupt nicht, wenn sie sagt, dass Dinge, die wir im Ausland oder sehr weit weg in einer anderen Stadt tun, so gut wie gar nicht existieren. Dass wir für sie nicht verantwortlich sind, oder zumindest nicht so wie zu Hause. Dann sage ich ihr, sie solle mein Hemd ausziehen, dass ich sie nicht in meinem Hemd sehen will. Und dann werfe ich ihr an den Kopf, dass diese Geschichte mit ihrem Selbstmörder von Sohn nicht stimme. Ich drohe ihr an, sie müsse mir die Wahrheit sagen, doch das will sie nicht. Sie setzt sich auf den Boden, wie damals im Badezimmer, schlingt ihre Arme um die Beine und sagt, sie sei noch nicht bereit dazu. Und weil ich nicht anders kann, setze ich mich hinter sie und drücke meinen Bauch gegen ihren Rücken. Das beruhigt sie. Wir sitzen in der Stille, irgendwann sage ich, warum hast du dir gerade mich ausgesucht und keinen anderen? Sie sagt, wir werden immer von jemandem ersetzt oder wir ersetzen jemanden, und weil ich das nicht verstehe, weil ich nur vermute, das schon irgendwo gehört zu haben, im Fernsehen oder im Radio, schweige ich und streichle sie. Über den Tod haben wir noch nicht gesprochen. Darüber hat sie, glaube ich, mit Baba gesprochen, aber ich bin mir nicht sicher. Als ich mit meinem Rücken an der kühlen Wand lehne – dieses Ministerhaus habe ich wirklich gern, wegen der kühlen Wände und hohen Decken –


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dann kommt es mir vor, dass sie sich eigentlich gar nicht vor dem nahenden persönlichen und körperlichen Verfall fürchtet, dass sie mehr als erfolgreich dagegen ankämpft. Hätte sie sich gefürchtet, würde sie nicht auf diesem einzigen Stuhl, über den wir im Haus verfügen, sitzen und mit dem USA-Army-Messer die gelbe Melone schneiden. Dieser Mut gefällt mir. Etwas weniger gefällt mir die düstere Ahnung, die sie manchmal auf der Matratze liegend äußert, nämlich dass ihre Welt in Auflösung begriffen ist und bald verschwunden sein wird. Als ich auf dem gekachelten Boden im Gang sitze, der zum Zimmer, wo sie liegt, führt, will ich sie fragen, ob sie mich dann überhaupt sieht, ob ich nicht einfach ein Liebhaber aus ihrem Pariser Frühling bin, aber sie erzählt schon weiter. Ein paar ihrer Leute, die sie schon seit Ewigkeiten kannte, sind in den letzten Jahren gestorben, einige davon zu früh, eine schlimme Zeit war das, die anderen sind pensioniert und einige will man zwingen, sofort in Rente zu gehen. So wie bei den Ferien wusste ich auch jetzt nicht, ob ich sie richtig verstanden habe. Aber diesmal fragte ich nach. Es geht um die Angst vor Hunger, sagte sie, um die Angst vor dem Aussterben. In Europa unterhalten sich sogar junge Menschen über die Pensionierung und zählen die Jahre bis zu jenem Zeitpunkt, ab dem sie bis zu ihrem Lebensende Rente beziehen werden. Und da sie nur schwer Gesellschaft findet, um noch etwas Spaß zu haben, hatte sie mich entdeckt. Ich stellte mir vor, dass sie diese Worte nur im übertragenen Sinne meinte, dass sie mich eigentlich etwas anderes fragen wollte. Doch weil ich ein Mann bin, ein viel jüngerer Mann und sie eine Frau, eine viel ältere Frau, war ich an der Reihe etwas zu sagen, um Dinge beim Namen zu nennen. Möchtest du mich heiraten, darf ich dir meine Hand anbieten? Ein Satz, den ich womöglich nie hätte aussprechen dürfen oder zumindest nicht unter diesem Coca-ColaSonnenschirm, auf jener Bank, die sie dann, nachdem ich endlich das Unausgesprochene zwischen uns ausgesprochen hatte, fest umklammerte. Und wenn schon sonst aus keinem anderen Grund, habe ich gerade wegen ihrer kalten, feuchten Hände auf dem Holz verstanden, dass ich derjenige bin, dem sie ihre Geschichte erzählte. Vor allem die Geschichte ihres Sohnes. Die Geschichte ihrer Mutter und ihres Vaters, selbst dieses Pariser Liebhabers und ihres Ex-Mannes, ist nur nebensächlich. Alles dreht sich um diese kaputte Gestalt. Aber dafür brauchten wir wohl Zeit, ich meine, sie brauchte Zeit. Gehen wir in die Stadt, spazieren, sagte ich, als ich mich von der Wand löste. Sie hob ihre Augenbrauen. Ist ja nichts dabei, sagte ich wieder, nur mal die Beine vertreten. Sie legte das Militärmesser auf


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einen leeren Margarinebecher ab, wusch ihre Hände und zog im Flur ihren Rock an. Als ich ihre Knie erblickte, wusste ich, dass es auch um die Hautfarbe geht. Ich mag ihre Farbe, wie Kerne im Bauch einer geschälten Frucht. Und vor allem gefällt sie mir am besten, wenn sie sich bewegt, und weniger, wenn sie innehält.

© Beletrina © Übersetzung: Ana Jasmina Oseban


Anja Golob

Anja Golob (geb. 1976) studierte Philosophie und Komparatistik in Ljubljana, Slowenien. Sie schrieb 14 Jahre Theaterkritiken und Kolumnen, vor allem für die zweitgrößte slowenische Tageszeitung Večer. Sie arbeitet als Dramaturgin für zeitgenössische Kunst und zeitgenössischen Tanz sowie als Übersetzerin aus dem Deutschen und Chefredakteurin beim Verlag VigeVageKnjige. Anja Golob veröffentlichte bislang zwei Gedichtbände: bei Litera erschien 2010 V roki (In der Hand), der für den Veronika-Preis nominiert wurde, und bei Mladinska knjiga 2013 Vesa v zgibi (Gekrümmter Hang), der 2014 mit dem Jenko-Preis ausgezeichnet wurde. Ihre Gedichte erschienen in deutscher Übersetzung in der Literaturzeitschrift Edit (No. 60), im Jahrbuch der Lyrik 2013 sowie in der Novemberausgabe 2013 der österreichischen Literaturzeitschrift Wespennest. Sie pendelt zwischen Ljubljana, Brüssel und London. Kontakt: www.anjagolob.org, anja olob@gmail.com


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Wo das Kind das Kerbtier Fing

Dort, wo das Kind das Kerbtier fing blieb eine flache Kuhle zurück. Der Wind trug stetig Laub hinein, tote Ameisen und dürre Nadeln. Wenn die Sonne lang genug drüber lief beruhigte sich die Welt darin. Allmählich wurde das Leben dort dichter. Anfangs war der Raum so stark, verschob Rahmen, doch die dunklen, schwachen Schatten, die das Tier, gefangen, zurückließ, ließen keinen Frieden zu. Dort, wo das Kind das Kerbtier fing, blieb in der Luft eine winzige Scharte zurück. Das Kind wusste nicht, was seine Hand griff, nicht die Kerbtier-Familie, Lampyridae, Ordnung Coleoptera, dass es Flügel hatte, nachts die eigene Fährte anstrahlte, dass es Licht abgab, das ein kühles war, weil sein Spektrum abgehackt, seine Wellenlänge zwischen 510 und 670 Nanometern lag. Statt: „Nano, Nano!“ schrie es also: „Summsumm! Summsumm!“ und schnitt mit der Faust triumphierend durch die Luft, ein Sturmsoldat, der einem Ruf folgt, aber fürchtet, was da kommen mag. Dort, wo das Kind das Kerbtier fing, zerwehte der Wind die Wolken. Durch schmalen Spalt fällt nachts ein Schimmer auf die flache Kuhle im Boden auf die winzige Scharte in der Luft, aus leerem Himmel.


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Die Kühe und die Zeit

Oh Seelenruhe der Tiere, liegen im kühlen Gras, warten auf den Tod! Gemächlich finden sie eine schattige Stelle, grasen schweigend Zeit. Stetig sind sie da, und wenn sie nicht da sind, wachsen, wo sie sonst liegen, runzlige Schatten, atmen hinein in die Erde. Sie sehen Züge, die vorbeidüsen, begreifen nicht die Eile. Sie wissen nicht, was „Eile“ heißt, ihre Unendlichkeit hat Weiden, Weiden und Wasser, Wasser und Weiden, Abendrot, Traben in den Stall, Melken, steh still. Dann kommt ein Jahr, da fällt dein Geburtstag nicht auf den richtigen Tag, und Weihnachten ist Mitte September, oder vielleicht Ende Mai, oder gar nicht. Die Kühe stehen da, denken an nichts außer Kosmos, der eine Art Schaum im Milchkübel ist, an Menschen auf dem Mond, an die Striemen der Wolken, die angriffslustige Ozonlöcher verstecken, von denen die Kühe Kopfschmerzen bekommen, weswegen Bäume wichtig sind, und manchmal irren sich die Kühe, ein flüchtiger Fehler, und kommen am falschen Datum, um deinen Geburtstag zu feiern. Du spürst sie, stellst dich dumm, ein Tag wie jeder andere, du musst nicht wirklich ein Jahr älter werden, aber dann erzählen sie, dass heute auch die Schatten kamen, dass niemand mehr lebt auf der Erde, dass niemand mehr auf der kahlen Wiese in sie atmet, dass heute eine Ausnahme ist. Nun weißt du Bescheid, zugleich landet über dir eine Kuh auf dem Mond, ein Mensch auf dem Mars, drum mach dich bereit,


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marsch, lass den Kühlschrank, lass die Tortenkerzen, leg dein Kleid bereit, nimm die Serviette, falte sie zu einem Flugzeug, rasch! Wir starten, die Tiere zählen ab, 3 …, 4 …, jetzt! Alles Gute, flieg ab, flieg ab, alles, alles Gute zu Deinem Geburtstag.


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Meins

Meins hat fleischige Fühler und lacht, geht langsam voran. Meins hat suchende Augen, die kann es nicht zählen, es sieht die prallen Ähren nachts die Felder erhellen. Meins hat keine Schale, drum zeigt es sich im klagenden Puls. Es würde ja spinnen, doch fehlen Tentakel, es würde verrinnen, doch fehlt ein Versteck, es ist so klein, doch seltsam, tragen kann es gerade Zweierlei, sich selbst und seinen Schatten. Meins lebt in Ritzen, aus Ritzen lugt es; es kullert von dem, was man sieht, zu dem, was nicht ist, und zurück. Täglich baut es eine Brücke, referiert ein Stündchen übers Glück, singt Volkslieder, durchschneidet Bänder, schlendert den Neubau entlang, fertigt mildtätig Sprengkörper an und reißt den Neubau hinter sich ein, nur um am Morgen neu zu beginnen. Meins übt sich in Langmut, ist leicht diktatorisch bei guter Laune, selten sanft, nicht mal zu sich selbst. Als Meins meints so zu überleben, aber es irrt sich: weil es kein Ziel hat und keinen anderen Zweck, außer zu sein, kommt nebenbei ein anderes Meins, verschlingt es, stellt es als Posten auf vor seine eigene Zäsur. Meins verliert sich jäh im Zweisein, in der Ecke stumm in seinen Schatten geduckt, weil der Posten ist muffig und kalt. Sitzt da und rührt sich nicht, Wochen, Monate. Dann reißt etwas in ihm. Ein Winziges, bricht, genug, um was es in sich trägt, das ruhige Einssein, zu entzweien, dass es sich rührt, von neuem lächelt, Fühler spitzt, entdeckt – Meins, gefangen, bringt sich selbst hervor.


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Litschi

Du und ich, wir sitzen auf dem Sofa, essen Litschi. Richtig ist, ich esse Litschi, du dagegen sagst Nein danke, hab keine Lust. Heute ist der letzte Tag des Jahres, in dem wir uns trafen, draußen regnet es bald. Zwischen uns ein Abstand, saftig lang wie 16 Früchte in kugelfesten Krusten. Hingeflezt ramm ich das stumpfe Messer in die Wunde, Achillesferse, am zerfetzten Stielansatz der Frucht, mit dem sie irgendwo entfernt an einem Baum hing. Honey, nach fünf Monaten haben wir kapiert, alles mit Wörtern macht uns kaputt, und schuld daran sind noch am wenigsten die Sprachknäuel, mit denen wir uns sagen, dass wir uns nicht verstehen. Unsere Körper aber, endlich entkleidet von der harten, zahnigen Schale des Alltags, sprechen eine Sprache, zwei Einsamkeiten, Terz jäher Zweisamkeiten… Du hast kleine Hände, ich habe kurzes Haar – trotzdem, in der Stille erreichen wir alles, wogen auf. Das weiß ich, weil die Lust, die ich nachts von deinen Brüsten lecke, als wir endlich im selben Bett schlafen, nach überstandener Reise riecht, nach leeren Telefonkarten, Wartesälen in Flughäfen, klebrig wie Litschi, die jetzt endlich schlüpft, süß und ölig, in sich gerollt, ein Perlatom. Wir, auf dem Sofa, schauen uns an, wortlos über einer Schüssel winziger Bomben, bereit zum Detonieren. Sogar im Inneren regnet es bald. Aber dir ist nicht nach Krieg. Ich stopf mir das stumme Knallen allein in den Mund. Unsere Zukunft ist rund, glitschig wie die Samen, die ich ohne schlechtes Gewissen zurückspucke in die gleiche Schüssel. Und wie kitschi ist dir diese Litschi? frage ich endlich.


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Gleichgewicht

Merkt euch, Mädels, eines der wichtigsten Dinge im Leben ist – das Gleichgewicht behalten.“ (Aus dem Film Warte nicht auf den Mai, Regie František Čap, 1957) Gut können wir uns vorstellen, was im Kopf des Schülers vorgeht, der mit seinem Kinn über der Stange hängt, Sekunden zählt und seinen gähnenden Sportlehrer, den mit der Stoppuhr, im Auge behält – doch was ist mit der Stange? Erst wirst du zwischen zwei scharfe Metallträger geklemmt, dann umklammern dich stundenlang hunderte schweißbedeckte Hände, während sich steife Körper mühen, Zeit und Schwerkraft hinters Licht zu führen – was hat die Stange da im Kopf? Was fühlen Waagen, hin- und hergerissen zwischen zwei Größen, die sich nie gleichen? Oh, die absolute Unerträglichkeit ständigen Ausgleichs, absurdes Bedürfnis zweier Sachen, mal in einem Punkt gleiches zu machen, zu sein. Zum Glück sind sie nicht Hegelleser, wissen nicht, dass A niemals gleich A, weil es ist, was es ist, immer eins, niemals gleich. Keine sexuelle Beziehung, keine Gegenwart – kein Gleichgewicht, nichts da. Und auch die Übung an der Stange bloß ein Versuch aus der Reihe qualvoller Belastungsproben beim Grundschulturnen, aber – was anderes ist das Leben? Dort stöhnt einer auf: „Mein Gott … das Leben.“, hier stößt ein anderer aus: „Mein Gott: Das Leben!“ © Anja Golob und Mladinska knjiga © Übersetzung: Urška P. Černe und Uljana Wolf



Stanka Hrastelj

Stanka Hrastelj (geb. 1975), Autorin und Übersetzerin. 2001 wurde sie auf dem Festival der jungen Literatur Urška mit dem Titel „Beste Junglyrikerin Sloweniens“ ausgezeichnet. Sie veröffentlichte zwei Gedichtbände: 2005 erschien beim GOGA Verlag Nizki toni (Tiefe Töne), der den Preis für das beste Debüt erhielt, und 2009 bei Študentska založba der Lyrikband Gospod, nekaj imamo za vas (Mein Herr, wir haben etwas für Sie), der für den Jenko-Preis nominiert wurde. Dieser Gedichtband erschien 2013 auf Deutsch beim Edition Korrespondenzen in der Reihe tradukita poesio unter dem Titel Anatomie im Zimmer, von der Autorin um fünf Gedichte erweitert. Ihr erster Roman Igranje (Spiel) erschien 2012 bei Mladinska knjiga und gewann den Preis „Modra ptica“ für das beste Prosadebüt. Ihre Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt und in verschiedene Anthologien aufgenommen. Kontakt: stanka.hrastelj@gmail.com


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Auszug aus dem Roman Igranje (dt. Spiel)

On/Off Die Poličs sind auf ihre Art recht angenehm, sagt Erik jedes Mal, wenn wir bei ihnen zu Besuch waren, auf ihre Art recht angenehm, ich weiß nie, was er sagen will, betont er auf ihre Art oder angenehm, am Heimweg überlegte ich diesmal, dass ich gar nicht weiß, warum wir sie überhaupt besuchen gehen, was uns verbindet. Manchmal habe ich ein Bild vor mir: Ein Unbekannter packt mich, zerrt mich zu ihnen, zwingt mich auf die grasgrüne Couch und verbindet mir die Hände, dann geht er zu Irena und schaltet auf ON, Irena öffnet ihren Mund und spricht von den Proben für Magnolien aus Stahl, spricht über die vielen unbedeutenden Dinge hinter den Kulissen, wie sie Requisiten gekauft hatte, bunte Lockenwickler verschiedenster Größen, sie hatten riesig große bekommen, zum Brüllen komisch, so komisch, und von Butlers karrte sie zwei volle Körbe an, mit allerlei Kleinzeug für den Salon auf der Bühne, ich versuche, der Schlinge zu entkommen, mich zu befreien, und sie plappert, dass sie in Zagreb Requisiten gekauft hatte, wie sie unlängst nach der Probe eine Zigarette geraucht hatte, die erste nach vier Jahren, aber es hatte ihr gepasst, sie war nervös, die Feuerwehr stellt ihrem Verein den Saal so ungern zur Verfügung, wo sollen sie denn sonst proben, und die ganze Zeit beschweren sie sich, dass sie ihnen den Saal kaputt machen, doch den Saal mach am meisten kaputt, dass er die ganze Zeit geschlossen ist, geschlossen, nicht einmal gelüftet wird, nur alle paar Jahre wird er geöffnet, für Wahlen oder ein Referendum, man stellt ein paar Tische und Stühle um, von sieben bis sieben hat er eine Funktion, zwölf Stunden lang, ganze zwölf Stunden alle paar Jahre, plappert sie, ich bewege die Hände, verwinde das Handgelenk, die Schlinge lockert sich langsam, doch ich bin noch immer eine Gefangene, sie redet, sie ist stolz auf ihre Rolle, obwohl Shelby nicht die Hauptrolle ist, sie ist nur essentiell für die Handlung, sie ist die Trägerin der Wendung in diesem Stück, das sich über alles wünscht ein Drama zu sein, aber es hascht zu sehr nach Effekten, zu viel Schmalz und Affektiertheit, um zu rühren, doch als Irena und ihre Truppe es auf die Bühne brachten, schlug es ein, in unserer kleiner Stadt schlug es ein und war überwiegend unterhaltsam, die Mädchen


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paradierten mit riesigen fluoreszierenden Lockenwicklern über die Bühne und Shelby war die ganze Zeit über leicht wie ein Schmetterling, mit derselben Heiterkeit umherflatternd, zu Beginn, als sie heiratet und am Ende, als ihre Nieren versagen und sie stirbt, noch immer spricht sie, redet und ich bin eine Geisel, eingesunken in die grasgrüne Couch, dazu gezwungen der Schauspielerin aus der Amateurtheatertruppe zuzuhören, auf die wir nach jener Premiere in der Garderobe warten mussten und die uns strahlend umarmte, die ausgestreckte Hand umfasste und die Rosen entgegen nahm und uns fragte, es war unausweichlich, uns fragte, wie hat es euch gefallen, Irena, soviel Mühe, ach, soviel Mühe, doch sie hörte nicht so viel Mühe für nichts, in der Stimme erkannte sie keine Überwindung, dass ich sie in diesem Moment nicht an den Haaren packte, in denen noch kurz zuvor diese zum Brüllen komischen Lockenwickler gesteckt hatten, und ihren Kopf mit dem Gesicht voran gegen die Wand drosch, in Gedanken packte ich sie an den Haaren und schlug mit aller Kraft ihren Kopf gegen die Wand, sie hörte ein Kompliment und grinste breit, endlich befreie ich mich, die Schlinge ist locker genug, dass ich die Hand herausziehen kann, dann stehe ich entschlossen auf und schalte Irena auf OFF, manchmal habe ich so ein Bild vor mir. Warum wir sie immer wieder besuchen, ist mir nicht klar, irgendwo tief drinnen, irgendwo in meinem Zentrum, im Bauch, höre ich meine eigene Stimme, wir gehen doch nicht etwa zu ihnen, weil wir einfache Snobs sind, die auf alle Fälle mit einem Künstler verkehren wollen, guter Gott, wenn wir uns aus diesen Motiven treffen, sind Erik und ich schlichtweg pathetische Menschen. Er sieht ihn begehrlich an, tätschelt ihn, als wir ankommen, mehr streicheln als tätscheln, er berührt ihn, verführt ihn, der Polič verführt meinen Mann jedes Mal, wenn wir zu ihnen kommen, meint, nicht wahr, wir werden jetzt einen herrlichen Zweigelt Barrique trinken, noch letzte Woche war der in Langenlois, oder er sagt, meine Lieben, schon lange haben wir keinen guten Traminer genossen, der kommt geradewegs aus dem Elsass, und niemals, Alter, Bier, doch Erik bemerkt seine Bemühungen gar nicht. Auf gewisse Art amüsiert mich das, Polič wirft sich ihm zu Füßen, und Erik Paternoster bleibt eiskalt, kalt, aber freundlich, höflich, sogar warm, weich, weich erhaben über den Minnegesang, er lauscht ihm, doch lässt er kein besticktes Taschentuch fallen. Polič ist auch derjenige, der in Scheiben geschnittene Tomaten und Mozzarella an den Tisch bringt, darauf einige Kapern von den Inseln und ein zarter Spritzer kaltgepresstes Olivenöl aus Brda und dann, wenn der Teller schon auf dem Tisch steht, streut er eine Prise Salzblüte aus den Salinen


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von Sečovlje darüber, und diesen Moment liebe ich geradezu: Polič braun gebrannte Hände, seine langen zarten Finger, wie sie in das kleine Gefäß langen, die Kristalle voller Meer und Sonne fassen und sie über die roten Ringe des Ochsenherzens und über den Büffelmozzarella verteilen, wegen dieser Finger rufe ich ihn Polič und nicht mit dem Namen, der in seinen Ausweisen steht, weil er ihn erbittert hasst, wegen dieser Finger. Doch ich weiß nicht, warum wir sie besuchen, ich weiß nicht, was Erik dazu bewegt, ich weiß nur, warum ich mich auf diese Besuche einlasse, außer diesen Künstlerhänden und den langen Fingern hat Polič in seiner Wohnung eine Zeichnung von Zoran Didek, eine simple Zeichnung, die von allem etwas hat, in ihr liegt all die weite Freiheit dieser Welt, Entspanntheit, Selbstbewusstsein und Mut, die ich nie hatte und nie haben werde, ein solch scharfer Mut, dass er direkt von der Wand in meine Fantasieszene mit Irenas Gequatsche und meinen Bemühungen, mich aus der Schlinge zu befreien strahlt, er hilft mir, hilft mir die Schnüre zu lockern, doch als ich aufstehe und Irena auf OFF stelle, sehe ich, wie unbedeutend ich im Vergleich zur Klarheit von Dideks Zügen bin, so winzig und lächerlich, denn darin, dass man jemanden zum Schweigen bringt, liegt kein Mut, gar keiner. Wieder besuchen wir sie, diesmal mit einer Flasche goldenen Rosinenweins aus Samos, Palaio Nectar, ein Jahr ist es her, seit wir ihn aus Griechenland mitgenommen haben, für eine besondere Gelegenheit, im Stillen wusste ich, dass er dabei meinen dreißigsten Geburtstag im Sinn hatte, doch nun hatte ihn Erik schon heute, drei Monate zu früh, aus dem Keller geholt und mir zugezwinkert, was, wenn wir das hier heute öffnen würden, hatte er gesagt und der Boden unter meinen Füßen bebte, warum denn nicht, heute soll diese besondere Gelegenheit sein, nicht mein dreißigster Geburtstag, heute, wo wir nach fünf Wochen wieder zu den Poličs gehen, nach fünf Wochen seit jener Affäre, der Unannehmlichkeit, vor fünf Wochen hatten wir bei ihnen gesessen und marinierte Garnelen mit Rucola-Pesto und Polentaschnitten zum Mund geführt, als plötzlich etwas heftig krachte, an die Scheibe knallte, wir blickten uns an, Polič stürzte zum Balkon, öffnete die Tür und blieb wie angewurzelt und ausgehöhlt in der Türe stehen, Irena stürzte zu ihm, folgte seinem Blick und kreischte, kreischte und zappelte mit den Beinen, auch wir zwei standen auf, ruhig und elegant, noch immer habe ich die Zeitlupenaufnahme im Kopf, als wir gelassen unsere Servietten ablegten und grazil aufstanden, mit weichen daunenartigen Bewegungen wandten wir uns zum Balkon, mit beruhigenden, väterlichen Gesten legten wir unsere Hände auf ihre Schultern in führten sie ins Zimmer, Erik sagte zum Troubadour, Erik


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sagte wie ein Prophet, bring einen Sack, und ich formte mit meinem Körper einen Schild vor dem Balkon, blickte in die winzigen schwarzen Augen auf den Fließen und den zertrümmerten kleinen Körper, der Brustkorb hob und senkte sich noch immer, jetzt schnell und flach, jetzt tief, jetzt überhaupt nicht, die schwarzen Augen waren klar, es würde noch einige Stunden dauern, bevor sie sich schließen würden, Erik beugte sein rechtes Knie, nahm den Vogel pietätvoll in die Hand, doch er zögerte nicht, er agierte rasch, legte den Vogel in den Sack, richtete sich auf und schlug von hoch oben heftig auf den Boden, dreimal, dann trug er den toten Vogel zum Mistkübel, und wir wussten beide, dass er dies nur getan hatte, damit ich es nicht tun müsste, er wusste, dass ich es sonst getan hätte, der Mann auf dem Balkon schützte seine Frau vor dem Töten, er handelte genau so, wie ich es vor Jahren getan hatte, als wir noch ein Paar gewesen waren, bei ihm zu Hause, ein junger Kleiber war gegen das Fenster geflogen und konnte nicht sterben, Routine, ihn in einen Sack stecken und beenden, das ist die Routine jener, die der Liebe fähig sind. Heute sind fünf Wochen seit dem letzten Besuch vergangen, abends, als ich dachte Erik schlafe bereits, weinte ich in das Kissen, du weinst doch nicht wegen des Vogels, Marinka, ja, wegen des Vogels, log ich lauthals, doch in Wahrheit dachte ich an meine Großmutter, an ihren erschöpften dürren Körper im viel zu großen Weiß des Krankenzimmers, an ihre kalten knochigen Finger, wenn du mich gern‘ hast, Marinka, dann lass mich sterben, mit dem Muskateller aus Samos werden wir die Erinnerung an den getöteten Vogel fortspülen.


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Ende der Geschichte Den ganzen Tag über bereitete ich das Abendessen vor, eigentlich sogar zwei Tage, am Vortag hatte ich Tiramisu gemacht, am Vormittag Kaffee gekocht und bis zum Abend abkühlen lassen, am Abend schlug ich Eischnee, extra Sahne, extra Eigelb und Zucker, rührte in die Sahne zuerst die geschlagenen Dotter schaumig unter, dann Mascarpone, zuletzt Eischnee, schaumig, der Ausdruck schaumig unterrühren gefällt mir, dort steht noch arbeite langsam, mit Gefühl, das ist das einzige Rezept, das ich besitze, in dem steht, arbeite langsam, mit Gefühl, ich war all diesen Anleitungen gefolgt, wie es geschrieben steht, alles tat ich langsam und mit Gefühl, zwischendurch widmete ich mich zenartig den Kleinigkeiten, übte mich in Konzentration, als ich die Eier rührte, sagte ich mir jetzt rührst du die Eier, jetzt gibst du Rum hinzu, als ich ihn hinzu gab, jetzt Vanillezucker, als ich ihn in die Schüssel streute, sich beschäftigen, sich mit etwas beschäftigen, bei der Sache sein, vor dem Einschlafen auf den Tag zurückblicken und ihn überdenken, lächeln bei allen Dingen, die du gut gemacht hast, überlegen, wie du Dinge verbessern kannst, die dir nicht gelungen sind, doch das funktioniert überhaupt nicht, das ist utopisch, eigentlich nicht, es ist nicht utopisch, nur das Gleichgewicht zwischen gelungenen und misslungenen Dingen steht nicht zwingend zugunsten des Menschen, vor dem Schlafengehen kannst du eine Tagesinventur machen, du beginnst beim Morgen, bei noch einem verpassten Sonnenaufgang, weil du aus Erschöpfung erst kurz zuvor eingeschlafen warst, du wachtest am Vormittag auf, dein ganzer Körper schmerzte, du hantiertest in der Wohnung herum, entschiedst dich, heute aus der Wohnung zu gehen, doch etwas stoppte dich, etwas hielt dich zurück, etwas da draußen machte dir Angst, dann diskutiertest du lange Zeit mit dir, ein Teil von dir meinte, komm schon, raus mit dir, ein Teil meinte, nein, jetzt noch nicht, ein wenig später, der Nachmittag neigt sich dem Ende zu, Erik kehrt von der Arbeit heim, der Tag gleitet langsam Richtung Abend, der Abend reift aus und Erik sagt gehen wir schlafen, du sagst gehen wir, doch im Zimmer packt dich die Furcht vor den Stunden, die du vor dir hast, Erik wird bald einschlafen, er wird schnarchen, sich zur Seite drehen, und du wirst ganz alleine auf der Welt sein, bis zum Hals im Treibsand der Schlaflosigkeit, du wirst dich im Bett hin und her wälzen, das Kissen ausschütteln, eine angenehme Position suchen, die Decke richten, doch Schlaf wird dich nicht übermannen, noch lange nicht, stattdessen werden dich Erinnerungen umschwirren, an die Gesichter im Krankenhaus, die sich auf einmal wegdrehten, auf erniedrigende Blicke


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bei Vorstellungsgesprächen, sie werden sich mit Erinnerungen von vor zehn, zwanzig Jahren vermischen, mit Situationen, in denen du gänzlich falsch reagiert hattest, mit jenen, in denen du gar nicht reagiert hattest, obwohl es notwendig gewesen wäre, wieder und wieder wirst du über diese Dinge grübeln, das letzte Mal war ich mit meiner Erinnerung in Zeiten geglitten, als ich noch in der Grundschule war und wir in einem Haus mit Garten und Obstbäumen wohnten, wir hatten einige Hühner, in einer halb ländlichen Siedlung, ich erinnerte mich, wie den Nachbarn der Hund ausgekommen war, er stürzte sich auf unseren Hahn und jagte ihn, zerzaust und blutig fanden wir ihn erst nach zwei Stunden, er zitterte im Heizraum, dorthin war er geflüchtet, der Nachbar hatte einen Wutausbruch, rief einen Jäger, gemeinsam machten sie sich auf den Weg in den Wald, der Nachbar mit dem Hund an der Leine, der Jäger mit seinem Gewehr auf der Schulter, ich beobachtete sie durch das Fenster und dachte mir, geschieht ihm Recht, und Mama sagte, der Nachbarsjunge werde in zwei Tagen nach Hause kommen, und kein Hund weit und breit. Der Nachbarsjunge machte gerade einen Ausflug zum Ende der Grundschule, der Hund gehörte ihm und er hatte ihn sehr lieb, sofort tat es mir leid, dass ich gedacht hatte, geschieht ihm Recht, ich hätte ihnen nachlaufen sollen, hätte zum Nachbarn sagen müssen, bitte, erschießen sie ihn nicht, der Nachbar hätte auf mich gehört, es sich überlegt, mit Sicherheit hätte er es sich überlegt, der Jäger hätte nichts dagegen, er war ja nicht Jäger geworden, um einem Hund aus zwei Metern eine Kugel zwischen die Augen zu jagen, doch ich tat es nicht, ich saß am Fenster und sagte mir, dass ich nichts ändern könne, ihr Sohn kam nach ein zwei Tagen nach Hause und es brach ihm das Herz, wie soll ich das nun ändern, wie soll ich das zurechtbiegen, was soll ich tun, dass es sich ausgleicht, was, damit es dasselbe Gewicht hat wie die Erkenntnis eines Vierzehnjährigen, dass man, als er zum ersten Mal drei Tage von zu Hause fort war, seinen Hund erschießen ließ, an diese, an solche Dinge erinnere ich mich, wenn ich nicht einschlafen kann, Nacht für Nacht treiben sie wie krepierte Fische an die Oberfläche, mit der weichen, verwundbaren Seite nach oben, bis zum Morgen wälze ich sie, bis mich schließlich alle Kraft verlässt, dann schließt sich der Kreis, der Tag wiederholt sich, und so weiter. Tiramisu ist hervorragend, wenn es einen Tag im Kühlschrank steht; dazu tranken wir herrlichen Muskateller aus Haloze, davor aßen wir die übrigen Dinge, die ich tagsüber zubereitet hatte und tranken Welschriesling vom selben Bauern, alles hatte ich bereits so vorbereitet, dass es uns am Abend in der Küche auf dem Pult erwartete, man konnte einfach einen Teller nehmen und von einer Platte zur nächsten gehen,


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von einem Tablett zum nächsten, als ich alles zusammen betrachtete, als hätte jemand dieses kalte Buffet zusammengestellt, der bei den Gästen Eindruck schinden wollte, aber keine Ahnung von Kulinarik hatte, doch ich belastete mich nicht damit, ich belastete mich wirklich nicht, auch das bemerkte ich, und das Gefühl war angenehm, mir erschien schon gut, dass wir etwas zu essen hatten und dass ich in Anwesenheit der Gäste nichts vorbereiten musste, mischen, schneiden, streuen, ganz im Gegenteil zu Polič, er bereitet immer Essen zu, das vor dem Publikum vollendet wird, er ist sich dessen bewusst, wie elegant seine Bewegungen sind und wie schön er in unseren Augen ist, zwischen uns ist ein großer Unterschied, was er tut, bemerken die Leute und bewundern es, was ich getan hatte, bemerkten sie nur, wenn etwas danebengegangen war, wenn ich die falschen Farbtöne gemischt hatte, wenn ich Zähne zu wenig oder zu viel abgeschliffen hatte, wenn ich alles machte, wie es nötig war, bemerkte niemand irgendetwas. Erik ärgerte sich, dass sie sich schon wieder verspäteten, wie jedes Mal, mich stört das nicht mehr, ich rechne zur ausgemachten Zeit noch eine dreiviertel Stunde Verspätung hinzu und alles läuft wie geschmiert, als die Poličs läuteten schnitt ich am Balkon gerade einige Zweige Rosmarin ab, ich hob den Blick und der Himmel strahlte, wie er strahlte, als würde sich ein zartes rosa Licht über ihn ergießen, Gegenstände warfen keine grauen Schatten, sondern violette, ich sagte, alle auf den Balkon, das müsst ihr sehen, wir standen auf dem Balkon, sahen nach Westen und schwiegen, der Beginn unseres Abends war wunderschön. Nach etwa einer Stunde fiel der Strom aus, wir waren gerade mit dem Essen und dem Riesling fertig, wollten unsere Bäuche ruhen lassen, sie auf die Nachspeise vorbereiten, als er ausfiel. Erik machte eine große Kerze an, das Wohnzimmer roch zart nach Patschuli, und sagte, hat jemand eine Idee was wir machen könnten, ich sagte, wenn ihr wollt, kann ich etwas vorlesen, ich nahm die kleine LED-Taschenlampe und das erste Buch, das mir in die Hände fiel, ich dachte es sei Ephraim Kishon, dass ich eine unterhaltsame Familiengeschichte auswählen könnte, doch ich hatte Brulec ergriffen, ich dachte, alles hat seinen Sinn, öffnete das Buch und begann zu lesen, ich las die Geschichte vom Lokführer vor, ich fühlte mich wie ein Barde, der am offenen Feuer Geschichten von den heldenhaften Wikingern erzählt, alle drei schwiegen und hörten mir konzentriert zu, der Strom war noch nicht wieder an, als ich zu Ende gelesen hatte, ich machte die Taschenlampe aus, im Zimmer brannte die große Duftkerze, ich konnte die Gesichter kaum erkennen, als wären nur weiche honiggleiche Umrisse menschlicher Gesichter im Kreis versammelt,


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wir schwiegen ein wenig, Erik sagte daraufhin gute Geschichte, Irena sagte, gut und das Ende ist glücklich, das gefällt mir, Polič sagte nichts, wie immer überlegte er zuerst einen Moment, bevor er etwas sagte, er formte immer zuerst einen Satz im Mund, bevor er ihn aussprach, wieder schwiegen wir ein wenig, niemand wiedersprach Irena, das musste ich tun, ich sagte wie meinst du das, glückliches Ende, sie sagte, ja, am Ende begeht der Lokführer nicht Selbstmord, ich, aber gerade das ist doch tragisch, sein Leben ist fürchterlich, er ist verzweifelt und hat keinen Grund weiterzuleben, doch er bringt sich nicht um, kehrt in dieses fürchterliche Leben zurück, das ihn zu ersticken droht, in aussaugt und unglücklich macht, Polič sagt, ich weiß, was du sagen möchtest, Marinka, Polič würde seinen Gedanken fortführen, mir zustimmen, wir würden darüber sprechen, Meinungen austauschen, unterschiedliche Ansichten, doch Erik fällt ihm ins Wort und sagt, Marinka, zu Hause erwartet ihn jemand, der ihn gern hat, die Geschichte hat ein Happyend, seine Frau verliert ihren Ehemann nicht, sein Kind verliert seinen Vater nicht, dann sagte wieder Polič etwas, doch mit einem anderen Ton, offensichtlich hatte er es sich überlegt, die Meinung geändert, wahrscheinlich nur, um Erik zu beeindrucken, weil er in ihn verliebt ist, er wollte ihm gefallen, passte seine Gedanken an Eriks Gedanken an, plötzlich war ich allein gegen drei, also konnten wir uns nicht mehr unterhalten, debattieren, die Sache würde sich mit Sicherheit umkehren, sie würden mir weißmachen wollen, dass die Geschichte eben ein Happyend hätte, ich könnte mich nicht wehren, könnte meine Meinung nicht vertreten, die Tragödie in der Geschichte scheint mir zu offensichtlich, als das ich noch andere Argumente finden könnte, würde ich auf meiner Meinung beharren, würde ich vielleicht sogar sonderlich oder stur erscheinen, das wollte ich nicht, ich sagte hm, vielleicht habt ihr Recht, doch ich hätte still bleiben können, hätte still bleiben müssen, diesmal hätte ich still bleiben müssen, wenn ich schon damals den Nachbarshund nicht verteidigen konnte, beinahe wären wir erblindet, der Strom war wieder da, Erik rief, Marinka, Tiramisu!

© Stanka Hrastelj © Übersetzung: Sebastian Walcher



Jure Jakob

Jure Jakob (geb. 1977), Lyriker. Nach dem Studium der Komparatistik an der Universität in Ljubljana schrieb er seine Magisterarbeit in Literaturtheorie und gab 2010 bei LUD Literatura eine essayistische Studie über Lojze Kovačičs Prosa mit dem Titel Otroški pogled (Kinderblick) heraus. 1998 gewann er den ersten Internationalen Haiku-Wettbewerb der Literaturzeitschrift Apokalipsa. Bisher veröffentlichte Jakob vier Gedichtbände - sein Erstlingswerk Tri postaje (Drei Stationen) erschien 2003 bei LUD Literatura und brachte ihm den Preis „Zlata ptica“. Er wurde in die Anthologie der jungen slowenischen Lyrik nach 1990 aufgenommen, die sogar nach einem Vers aus seinem Gedicht ihren Titel bekam: Mi se vrnemo zvečer (Am Abend kommen wir zurück). Im Jahr 2009 wurde sein Gedichtband Budnost (Wachheit) veröffentlicht, 2010 Zapuščeni kraji (Verlassene Orte) und 2013 Delci dela (Teile einer Arbeit). Seine Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Bei Hiša poezije erschien 2008 auf Deutsch in einer zweisprachigen Ausgabe (zusammen mit zwei anderen slowenischen Lyrikern) eine Auswahl seiner Poesie unter dem Titel Stimmen slowenischer Lyrik 2 = Glasovi slovenske poezije 2. Kontakt: jurejakob@gmail.com


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Die Möwen

Ich wünschte ich wäre woanders. Weiß gar nicht, wo. Ich würde nichts Besonderes tun. Irgendwo, von wo ich zurückkehren könnte oder eben dort bleiben. Oft weiß ichs, wenn ich die Luft erschnupper. Das Licht ist es nicht, weil es sich stets ändert. Aber die Luft. Dass sich gut atmen lässt. In sich hereinnehmen, aus sich hinausgeben. Abends träge, morgens rege. Gute Bewegungen, gutes Tun. Irgendwo, wo es einfach gut tut. Über Ljubljana fliegen drei Möwen.


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Fernleitung

Schräger Schnee, ein Sonntag, himmelwärts offen. Das Spiel von Wasser und Frost in stetiger, fantastischer Abfolge. Drei Gestalten queren das ungeschippte Trottoir wie ein Trugbild. Ich sitze am Tisch neben dem eingefügten Fenster der dicken Nordmauer. Das Kind schläft wild atmend im Zimmer, als raufte es mit einem Schneesturm. Den rutschigen Hang hoch stürmen zwei Gedanken. Oben verschnaufen sie, nehmen ihre Schlitten von der Schulter und setzen sich. Schau, Mama macht Winke Winke. Schau, dort. Der Schlitten rast über die weiße Lichtung wie irre. Windbrise und Sprühflöckchen reichen einander das wild versunkene Gesicht des Kindes, geneigt über die ausgemalte Kante. Dann hustet es kurz, stöhnt auf. Ich sitze da und folge dem ganzen, ein wacher Hund auf der Lauer unter einer hohen Fernleitung esse ich den sonntäglichen Schnee.


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Der Frühling

Morgen folgt auf Morgen. Tage wiederholen sie, wie um sich in einen einzigen Morgen zu verwandeln. Eine Straße biegt an dem Spielplatz um die Ecke, direkt aus dem erquickenden Schatten in die Sonne. Jeden Morgen geschieht das ein Stück weit eher, und bald, womöglich morgen schon, ist es sogar für die Straße zu spät, sie wacht ertappt auf im Licht. Es lohnt sich, den Tag am Morgen zu beginnen. Das Dunkel überleben, überschlafen, Traumfäustlinge übergestülpt schlitterten wir vereiste Pfade entlang. Die Fenster öffnen, das Zimmer lüften. Morgens spannt sich die kühle Luft auf allen vieren ein zwischen Boden und Decke und hält den Tag aufrecht. Ein weißer Kirschbaum, die letzten Maiglöckchen, im Hof ein neuer Ball. Es gibt keine Natur, die der Morgen nicht gefunden hätte. Es gibt nichts Unnatürliches. Die Arbeit läuft, von einem Morgen zum anderen, der Briefträger übt seinen Weg von einer Adresse zur anderen, bis sich seine goldglühende Tasche allmählich leert und er an der Obstgartenmauer verschnauft. Die Biene beachtet ihn nicht. Die Kindergartenkinder spazieren einher, umgehen das geparkte Fahrrad wie eine gelungene Voraussage des morgigen Morgens. An einer nachgiebigen Leine, aufgespannt seit dem frühen Morgen, hängt Wäsche, Socken laufen über den Wind, in wackliger Hose naht der Mittag, fast wäre er in einen Forsythienstrauch gegrollt. Der rare Kenner des Morgens, der unsichtbare Kuckuck, verlegt Eier und singt vom Baum gegenüber. Das Echo ist ein kurzer Moment, seit dem Morgen verstrichen, zurückgegeben mit einer unbemerkten Verspätung.


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Wirf den Ball in meine Richtung. Ich schleudre ihn dir zurück. Nicht schlimm, wenn er auf die Straße rollt. Einen Versuch ist es wert. Der angeknipste Kirschbaum strahlt im Dunklen, streut Blüten bis zum Morgen, im frühen Licht liegt der Ball an der Mauer und sieht aus wie ein Ei. Daneben parkt die kühle Luft. Als die Kinder vom Sonnenspaziergang zurückkehren, findet eines von ihnen den Ball, trägt ihn zum Spielplatz und alle folgen ihm: es ist nie zu früh, um etwas einzuüben.


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Junge Krähe

Es kam eine junge Krähe. Sie hockt in der schwarzen Tortenform, die ich auf der Gartenbank liegen ließ weil ich mit ihr ja später Holunderblüten pflücken wollte. Die junge Krähe nimmt die Backform ganz ein öffnet ihren Schnabel und stößt gellende Schreie aus. Dann hüpft sie zu Boden, trapst plump durch den Garten und kehrt wieder zurück. Der Holunderstrauch duftet bis hier her, die Krähe aber will woanders hin. Sie kann noch nicht fliegen. Ich trage die Backform in die Küche und erzähle alles. Am Abend sitzen wir zu Tisch. Wir essen den gebackenen Holunder, von außen hört man das Rauschen des Windes. Ich gehe wieder als Letzter zu Bett.

© Jure Jakob © Übersetzung:

Sobald ich die Augen schließe, erblicke ich die Krähe. Die Welt ist jung.

Urška P. Černe und Hendrik Jackson

Und dann weiß ich nicht mehr.


Nataša Kramberger

Nataša Kramberger (geb. 1983) schreibt Prosa und Reportagen. Für ihre schriftstellerische Tätigkeit wurde sie 2006 mit dem slowenischen Nachwuchsliteraturpreis ausgezeichnet. Ihr Debutroman Nebesa v robidah (Brombeerhimmel), der 2008 bei JSKD erschien, wurde als bester slowenischer Roman des Jahres für den Kresnik-Preis nominiert und 2010 mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet. Im Jahr 2011 erschien beim Litera Verlag ihr Versroman Kaki vojaki (Kaki Krieger). 2014 erschien bei Cankarjeva založba ein Sammelband ihrer literarischer Reportagen Brez zidu. Časopisna pripoved o Berlinu in drugih krajih 2004–2014 (Ohne Mauer. Eine journalistische Geschichte über Berlin und andere Städte 2004–2014), die verschiedene Städte, in denen die Autorin in den letzten 10 Jahren gelebt hat, thematisiert. Kramberger ist auch eine engagierte Kulturvermittlerin. In Berlin, ihrem derzeitigen Wohnort, gründete sie Periskop, einen Verein für die Förderung kreativer Perspektiven zwischen Slowenien und Deutschland. Kontakt: Literaturagentur daniele.croci@gmail.com


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Auszug aus dem Roman in Reimen Kaki vojaki (dt. Kaki Krieger)

Alle unterm Baum waren mitten in der Arbeit. Die Maulwürfe gruben wie die Irren, als würden sie ihren Mut nicht verlieren, sie flochten prächtige Stollen und Katakomben, und in sie legten die Würmer Bomben. Im ersten Stollen lief eine Arbitrage, wie zu montieren ist eine unterirdische Stellage, senkrecht, schräg oder horizontal, sie stritten überwiegend verbal, ein bisschen aber auch mit Fäusten und Schaufeln, so kann das auf Baustellen oft laufen. Die Pointe der Stellage war ein Mechanismus, er sollte vergrößern den unterirdischen Magnetismus, so sollten die Wurzeln besser bestehen gegen Heerscharen feindlicher Kräfte, Barbaren und Fremder, böser Feen. Doch jeder Stollen brach manchmal auch ein, darum fing der Rote an, unaufhörlich zu schrei‘n: - Verdammte Malwürfe, blind und missraten, wir alle hier sterben ständig auf Raten! Stellt auf die Stellagen, wie sich‘s gehört, ansonsten werden wir von Elend zerstört! Für uns und für euch und eure Jungen, kommt zur Vernunft! Er flehte und hat dabei die Hände gerungen. Der Blaue begann, die Worte zu wenden, mit dem Wunsch, die Sinne in Sätze zu verwenden, oh, welch widerwärtige Sisyphus-Pein, wenn man über Nacht der Lehrer der Ungebildeten muss sein! Und doch, im Wissen liegt Macht und in der Weisheit Träume, ins Unterholz soll gepflanzt werden die Erkenntnis über die Bedeutung der Wurzeln der Bäume, über feste Grundfeste, der Blaue verzog vehement sein Gesicht: - Ihr lieben Tiere, Igel und Ameisen, es ist an der Zeit, die Fahnen zu schwenken!


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Oh! Welch unerwartete Wende! Von Stollen zu Fahnen, so schnell, so behände! Am heftigsten reagierten die Spechte, tock, tock, es war Mittag und für die Vögel ein Schock: - Fahnen, verstanden, aber was soll damit sein? - Wir stoßen sie feierlich in die Wurzeln rein! - Reinstoßen? Fahnen? Hm, auch fein. - Unser Triglav soll ewig wehen! - Triglav? Was um alles in der Welt? - Drei Köpfe, drei Farben, hier leben wir, auserwählt! Sie konnten diesen Gedankensprung nicht ganz verstehen, doch sie machten sich sofort daran, an die Arbeit zu gehen. In einer Geraden hatten sie vom Baum übers Feld ein Baugerüst aufgestellt. In Bohrmanövern waren sie wahre Experten: Specht & Söhne – Löcher, exakte und schöne. Als die Spechte beendeten ihre Mission, übernahmen die Frösche die Produktion. Oh, was für ein Spektakel! Hoppala zuppala, quack! Sie quakten und sangen wie im Teich: drei Farben, drei Köpfe, fehlerlos und ohne Makel. Unter den Schenkeln begannen neue Fahnen aufzuerstehen, funkelnd, schimmernd, voll bunter Zeichen sollten sie wehen! Der Blaue sah zu, überlegte und befahl - Nur weiter so, weiter, Fahnen überall! Die Sache ging jedoch ein wenig schief – die Frösche wurden nun recht kreativ. Die Fahnen fingen an, voneinander abzuweichen, eine klein, die andre groß, dreifarbig, mit hunderten Zeichen. Doch der Blaue war da nicht so strikt: - Wir vereinheitlichen sie, bevor der erste Schnee noch liegt. Unterm Baum verebbte allmählich der Jammer, stattdessen schwangen alle brav ihren Hammer. Drei Tausendfüßler, stark und geübt, rammten graue Stangen in die Wurzeln mit einem Hieb. Die Frösche hingen die Fahnen daran und hoben die Köpfe voll Stolz alsdann. Diese Wurzeln sind stark wie Beton, unter der Erde, ober der Erde, für die nächste Generation.


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Der Blaue, der Grüne und auch der Mann in Rot hüpften vor Freude ob des Anblicks, der sich ihnen bot, doch dann konnte man den Blauen bei seinen Sorgen ertappen: - Wir brauchen eine Hymne und auch ein Wappen! - Komm, Blauer, lass diese Symbolik! Du bewahrst Bäume nicht durch rituelle Ästhetik! Für den Roten war es nun vorbei mit dem Scherz (und den Grünen plagte sowieso der Weltschmerz): - Verdammt, Blauer, was soll das, du Wicht, das Unterholz soll arbeiten – die Zukunft wartet nicht! Doch der Blaue lud in seinem zeremoniellen Affekt schon die Zikaden zu einem vokalen Projekt. Die Hymne soll werden ein schönes Lied, aber kurz, um dazu zu marschieren in Reih und Glied. Und schnell noch ein Wappen, damit das Vaterland, das helllichte vorbildlich wird eingetragen in die Geschichte! Er sprach von Poeten, Musik, Kunst und Ahnen, er hatte zu allem etwas zu sagen, er redete, säuselte, war nicht zu ertragen. All diese Schönheit nahm ihn so ein, wie Wohltat, wie Anmut und Sonne und deren Schein schien ihm sie, oh Gott, stieß er aus, behüte diese Magie! Doch da erschauderte er in seinem Bestreben: Eine Überlieferung ohne Bewahrer kann nicht überleben! Noch mehr, des mächtigen Baumes reiche Kultur ist im Sterben begriffen, zum Lebewohl schlägt die Uhr! Statt zu genießen die Schönheit der Natur, ein kämpferischer Anfall ihn durchfuhr: - Ein Heimatlied ist kein Geschenk, sondern ein Privileg! Wir wollen‘s erhalten, ihr Tiere, beschreitet diesen Weg! Er seufzte noch etwas von Heimatschwur, als ihm der kreidebleiche Grüne ins Wort fuhr, der sich vor lauter Entsetzen im Laub versteckte, davor aber noch kleinlaut dieses bemerkte: - Oh Blauer, Roter, wenn das alles ist wahr, dann plagen mich Sorgen, schreckliche gar! Er rannte, er rannte durchs verflochtene Ästereich, suchte Trost und Inspiration zugleich. Er wurde von Albträumen bedrückt, unter der Uniform trommelte, pochte und schlug‘s wie verrückt, der Schnauzer


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unter seiner Nase bebte im Takt. Den neuen Alltag für ein Unglück er hielt, war dieser doch einst viel mehr verspielt und entspannt und gewöhnlich, verpfuscht harmonisch, von Zeit zu Zeit gar etwas süßlich. Ach, Frösche, ach Spechte, ach, lieber Baum, was wird noch geschehen, daran zu denken wage ich kaum. Bei der letzten Kurve, bei der der Ast eine Wölbung macht, sah er drei Ameisen bei der Wacht. - Meine Freundinnen, wie ich mich freu, ihr bewacht unsre Barrikaden doch weiterhin treu? - Was treu, Grüner, eifrig bis zum Schluss! Sofort verhindern wir jeden Anschluss! Ein wenig beruhigt zu den Igeln er trat: - Oh Brüder, wie geht‘s? Alles im Lot? - Grüner, bis dato alles kommod, alle machen um uns einen Bogen. So liebenswerte bestimmte Antworten von seinen Leuten all seine Ängste im Nu zerstreuten. Und da kein Angriff seine Stimmung vergällte, verspürte der Grüne die nächtliche Kälte. Traurig sah er zu den Sternen hinauf, zum Himmel und dem Traumstraßenverlauf. Es war Samstag, mitten im Frühling, Gräser, Blumen und Weizen geizten nicht mit farblichen Reizen, und darüber Schwärme von kleinen Lichtern, Glühwürmchen, die leuchteten in der Harmonie, der Grüne gab sich hin der Melancholie. - Psst, psst, du geheimnisvoller grüner Soldat! - Für so was müsste ich sein ein Goliath. - Oooh, welch große und schwere Worte. - Ich stecke im Elend unaussprechlicher Sorte. - Sei ruhig und schweig, Angst machst du mir! - Wer bist du, wo bist du, was willst du von mir? So ging es weiter zwischen den beiden: dem Grünen und dem Marienkäfer, dem kleinen. Sie beide sich den Kopf zerbrachen wegen Unwetter, Unfällen und solchen Sachen. Der Grüne wurde immer unruhiger, sein Haar


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über den Augen klebrig und fiebriger. Der Käfer Marie plauderte viel geschickter, klüger, ruhiger, mutiger und erquickter. Wenn sie über ihre Vorhaben sprach, verlor sie sich in roten Zuckungen ihres Flügelschlags, der Grüne gehörte nun völlig ihr. Vor Liebe und unbändigem Verlangen vergaß er sich und brachte die ganze Nacht nichts zusammen, hockte nur da und starrte und besang die Antennen, diese gepunkteten herzigen Nachttänzerinnen. Doch in der Früh tat es ihm unsagbar leid: - Oh Schreck, oh nein, was für ein Skandal! In der Kommandantur gibt’s sicher einen Riesenkrawall! Es war noch viel schlimmer, als er in die Sonne blickte, die fast keine Schatten mehr zur Erde schickte. Oh, die schweigenden Hähne und Hennen! Wegen der zu langen nächtlichen Amour nahm er nicht teil an der vormittäglichen Tour von Ast zu Ast, von Blatt zu Blatt, bestimmt hatte man schon was für ihn parat! Und wirklich, der Blaue und der Rote waren durchgedreht, sie hatten schon die schlimmsten Szenarien durchgelebt! Hatten befürchtet, mann hätt ihn entführt, wenn nicht gar erstochen, beraubt, geschnürt! Der Grüne wollte vor Scham in den Boden hinein, sein Benehmen war dumm, verrückt und gemein. Er gab vor, er sei bei der Wache eingeschlafen, und hoffte, man würde ihn nicht Lügen strafen. Mission 2: Baum anheben! - Verdammt, Alter, auf dich kann man sich echt nicht verlassen! Wärst du nicht der Grüne, wär mit mir nicht zu spaßen! - Was du getan hast, ist unfassbar! Am liebsten würd ich dich erwürgen, ist dir das klar? Es schien, dass alles wieder in Ordnung sei, als der Rote und Blaue stießen aus einen Schrei. Sie hatten wohl alles durchgekaut genug und beschuldigten den Grünen des Verrats und Betrugs. Der Nachlässigkeit, Feigheit und, mal ganz ehrlich, vor allem, weil er gehandelt hatte selbstherrlich. Die Beschimpfungen wollten einfach nicht enden, sodass der Grüne nicht dazu kam, etwas einzuwenden.


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Wartet, wartet, versuchte er es ganz klein, doch die beiden hörten nicht auf zu schrei‘n. Wie zwei Megaphone: - Du feige Sau, das ist nicht zum Spielen, sie hätten uns durchsieben können mit Projektilen! Doch jetzt kam der Tausendfüßler in den Wipfel angerückt, es schien, er würde von etwas bedrückt: - Soldaten, Soldaten, Alarm und Sirene, etwas attackiert die unterirdischen Systeme! - Das hat uns noch gefehlt, verdammter Mist! - Danke für die Warnung, welch aufopfernder Mitbürger du doch bist! Der Rote und Blaue spendeten dem Insekt lobenden Lohn mit mehr als offensichtlichem Hohn in Richtung des Grünen, damit dieser rafft, wie sehr ihn das Tierchen übertrifft an Kraft. Doch für neuen Groll war jetzt keine Zeit, Bajonett auf die Schulter, es ist soweit! Der Grüne schwor sich im Stillen nun, sich heute als Held hervorzutun und mit heroischem Kampf und Fleiß aufzuräumen mit dem romantischen Scheiß. Wie ein Tiger sprang auf den untersten Ast, wo sich bereits alle versammelt in der Hast: Hundert Chöre auf einmal, hier Igel, da Vögel, Jung und Alt kamen herbei, und auch die Kinder waren dabei, Zirkus und Chaos in allen Lagen, als würde die ganze Welt gleichzeitig tagen. - Meine lieben Tierchen, was ist denn los? Der Grüne war einfach zu nett, als dass man ihn beachtet hätt. Mit seiner leisen Stimme von dichterischer Finesse kam er nicht an gegen die tierischen Bässe, die überall donnerten Ohr um Ohr und Zahn um Zahn. - Ihr Tierchen, ich bitte euch, hört doch auf! Da standen die Maulwürfe gemeinsam auf: - Grüner, wir müssen die Stollen jetzt lassen, die Grabarbeiter krepieren, damit ist nicht zum Spaßen! - Krepieren? Kannst du mir erklären, woran es hakt? - Scheiße, Grüner, das hab ich doch grade gesagt! Den Blauen störte die Wirtshausrhetorik, drum entnahm er dem Grünen das Mikro und sagte honorig: - Pardon, meine Herren, seid keine Barbaren! Wir müssen jetzt weiterhin würdevoll verfahren! Ich bitte euch, saget nun mir, wo ist des Feindes Hinterhalt, was glaubt ihr? Sie verplemperten eine halbe Stunde mit Wortschikanen, bis


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sie begannen, es zu erahnen: Die Maulwürfe sind alle auf und davon, das Graben wurde zu schlimmer Fron. Unter der Erde lag zu viel Zeug ungebeten, vielleicht Skelette, vielleicht auch Kometen. Hunderte Maulwürfe hatten sich schon verletzt, manche sogar ihr Leben versetzt. Das Zeug erklärte sich jeder auf seine Art und hatte auch schon eine Belohnung parat für die Guten und Netten und eine Strafe für die Schuldigen, das sind sicher Proleten. Sie wollten eine Kommission entsenden, um diesen Wahnsinn zu beenden. Die Zuständigen sollten das Schlimmste vermeiden, sonst würde der Pöbel die Sache entscheiden. Und wir wissen, wie es sich in der Praxis verhält, zum Schweigen gebracht wir jeder, der etwas entgegenhält. Von links und von rechts ein regnete es Anklagen, und alle klangen möglich, nicht zu hinterfragen. - Verehrtes Unterholz, es ist noch nicht alles vorbei! Der Grüne schrie endlich laut und für zwei. Voll laut, so richtig, wer hätte gedacht, dass er solch Lautstärke hat zusammengebracht? Für eine gescheite Sache und im richtigen Moment, was für ein Organ, und so vehement! - Dass ihr euch sorgt, das verstehe ich gut. Doch kein Grund zur Panik, liebe Leute, nur Mut! Des Baumes Wurzeln reichen tief hinein, und unten gibt’s wohl altes Gestein, aus der Kreide und Jura Dinos, Fossile, vielleicht sogar Schildkröten und Krokodile! - Dinos?! Grüner, jetzt hör aber auf! - Nein, in Geologie, da kenn ich mich aus! Aaah, das bringt die Zweifler zum Schweigen mit einem Hieb, sofort war es still, kein Laut mehr, kein Piep! Voll Stolz waren nun sowohl Blau als auch Rot, wie der Grüne sie hatte befreit aus der Not. Der Blaue war voll von Inspiration: - Auf, auf zur archäologischen Aktion! Um etwaiges Nerven des Roten zu vermeiden, begann der Blaue schon zu entscheiden: - Wir müssen kreativ intervenieren und die Maulwürfe entsprechend umqualifizieren! Aus Grabarbeitern zu Archäologen, dann ist alles gut, so bringen wir alles unter einen Hut! Wenn ich recht überlege, gibt’s darüber keine Debatte! Die Fossilien verstauen wir in Antiquariate,


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und die verkaufen dann billige Duplikate. - Blauer, verdammt, du bist ein Fossil! - Roter, so läuft jetzt nun mal das Spiel! Der Blaue wusste nicht, wie er sollte sagen, dass der Rote sich tat nur grundlos beklagen. Die Wurzeln sind schließlich verankert im Boden und unter dem archäologischen Projekt werden sie umfunktioniert sodann zu einer vorbildlichen und kosmopolitischen Fundstelle, nicht einer Baustelle am Balkan. - Gut, untersucht mir die Sache, los! Ich hoffe, es ist nicht nur ein Katzenfriedhof. Der Rote interpretierte alles auf seine Art im Hirn, drum runzelte der Grüne prophetisch die Stirn: - Ganz sicher keine Katzen, dafür bürge ich! Doch der Beschluss über die Fossilien hat nur den Maulwürfen genügt, alle anderen Tiere waren betrübt. Im Grunde platzten sie vor versteckter Courage, um irgendwie auf die Spur zu kommen der Sabotage. Ach, ach, sagten die Spechte müde und beobachteten den Frosch, der Fluchte rüde, quack quack, was für ein Schmarren, dieses Kommissariat, wenn ihr mich fragt, ein Haufen zügelloser Narren! Während man sich daran machte, die Archäologen zu zählen, begann den Grünen ein Prostataschmerz zu quälen. Vielleicht musste er ja auch nur aufs Klo, doch jetzt hörte er auch noch jemanden spucken, naja, so, jemand sich schrecklich aufregen tat, ein anderer rief: „Verdammter Staat!“ Schnell wandte er sich an den Blauen und an den Roten und sprach zu ihnen mit den folgenden Worten: - Die Frösche und Spechte sind recht durchtrieben, wir müssen sofort ihnen Arbeit geben! - Hör auf zu jammern, Grüner, komm wieder runter! Dass du noch lebst, ist ein wahres Wunder! - Roter, ich übertreib nicht, es ist ernst wie nie zuvor, leiht zumindest den größten Fröschen euer Ohr! Und wirklich, jetzt hörte auch der Rote sie, die Frequenz wurde langsam so hoch wie noch nie! In der Not


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© Nataša Kramberger und Litera © Übersetzung: Metka Wakounig

kann man nicht lang debattieren, und während sich der Blaue aus Gewohnheit bekreuzigte, begann der Rote schon zu kommandieren: - Tiere, Gefährten, Unterholz, Kollegen, ich freue mich, dass wir wieder gemeinsam konnten etwas bewegen! Die gefallenen Maulwürfe werden natürlich ehrenvoll begraben, da ihr Leben fürs Heimatland sie gaben. Jetzt dürfen wir nicht verweilen! Keine Zeit für Applaus, keine Zeit für Medaillen! Wenn wir uns nicht sofort noch höher schwingen, wird uns die erste Gefahr im Nu bezwingen! - Höher? Was meinst du? Praxis oder Theorie? - Hebt an die Krone! So hoch wie noch nie! Und plötzlich, von nirgends, von überall her, hatte der Rote zu tun, mehr und mehr. Aus einer Tasche zog er zwei schöne gestempelte Dekrete und technische Pläne. Er fuchtelte damit vor aller Augen herum, seht nur, was alles passieren kann! Doch die anderen blieben lieber stumm, am Gekritzel hatten sie kein Interesse, es gab Papier bis zum Abwinken, darin kann ein Unschuldiger sogar ertrinken. - Roter, genug, du musst dich konzentrieren! - Hör auf, hier herumzuphilosophieren! Der Rote bluffte in Wirklichkeit nicht gern, er wurde mit einem Schlag wieder ernst: - Unsre Äste sind niedrig, das Erreichte minimal, somit ist jedes Heldentum egal. Wir müssen die oberen Äste anheben und die Nerven des Baumes wiederbeleben! - Die Nerven? Denkst du an einen Nervenzusammenbruch? - Kollegen, ohne gute Nerven sind wir alle verflucht! Und dann wie immer – keiner konnte das verstehen, aber auch das würde wieder vorübergehen. Früher oder später würden sie‘s schon checken, mit solchen Methoden konnte man sie nicht mehr erschrecken. Zuerst harte Arbeit und Schweiß ohne Ende, bis man sich wünscht heilende Verbände. Erst wenn man vor Schuften glaubt, man verreckt, kapiert man endlich, was hinter alledem steckt. Aus diesen Gründen sind oben die Gescheiten, die Kurzsichtigen und Unsichtbaren aber müssen unten arbeiten. Wenn der Rote sagt, dass der Witz in den Nerven liegt, wird ihm niemand unterstellen, dass er sie belügt. Grundsätzlich weiß der Rote, was er sagt, auch wenn er sich in vielen Dingen irren mag.


Maruša Krese

Maruša Krese (1947–2013) studierte Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Slowenien, Psychodrama und Gestalttherapie (USA, England) und Psychologie (Niederlande). Sie arbeitete als Gruppentherapeutin in Tübingen, Ljubljana, London und Utrecht. Ab 1990 war sie freie Journalistin und Schriftstellerin in Berlin (und Ljubljana) und publizierte in Zeitungen und Zeitschriften wie DIE ZEIT, Berliner Zeitung, TAZ, Lettre International, manuskripte und war Mitglied des deutschen PEN-Zentrums. Sie war in der Friedensbewegung im ehemaligen Jugoslawien tätig und hat zahlreiche Reisen in diese Region und durch ganz Europa unternommen. Für ihr humanitäres und kulturelles Engagement während des Krieges in Bosnien und Herzegowina wurde ihr 1996 das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien. 2007 wurde sie von Bettina Flitner und Alice Schwarzer als eine der 100 einflussreichsten Europäerinnen porträtiert. Sie schrieb Essays, Radio-Features, Prosa und Gedichte, die in mehreren Büchern erschienen, sowie zahlreiche journalistische Beiträge. Viele ihrer Gedichtbände und Prosatexte wurden auch ins Deutsche übersetzt und bei verschiedenen Verlagen, u. a. Suhrkamp, Drava und Wieser veröffentlicht. 2012 erschien bei GOGA ihr erster Roman und zugleich letztes Werk Da me je strah? (Ob ich Angst habe?), der für den Kresnik-Preis für den besten slowenischen Roman des Jahres nominiert wurde. Posthum erhielt die Autorin den Preis „kritiško sito“, verliehen vom Verband der slowenischen Literaturkritiker für das beste literarische Werk des Jahres. Kontakt: david.salamun@yahoo.com


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Auszug aus dem Roman Da me je strah? (dt. Ob ich Angst habe?)

1941 Ob ich Angst habe? Nein. Schon seit drei Tagen hocke ich hier im Schnee. Ich sitze auf einem leeren Rucksack, eigentlich darf ich gar nicht sitzen, nur hocken. Nur für einen Augenblick würde ich mich gern hinlegen, für eine Sekunde, ein halbe Sekunde. Du darfst nicht, legte mir vor einigen Tagen der Kommissar unserer zerstreuten Truppe ans Herz. Und nun ist er tot. Wir haben ihn nicht einmal begraben. Wir sind geflüchtet, geflüchtet. Ich weiß nicht. Vor den Deutschen, vor den Italienern, vor den Unsrigen, vor den Weißen. Wir rannten an seinem Leichnam vorbei. „Du darfst die Augen nicht schließen“, sagte er noch. Die Augen, seine Augen. Ich lief an ihm vorbei, als er dort im Schnee lag. Ich sah ihn nicht einmal richtig an. Wenn ich doch nur schnell seine Augen geschlossen hätte. Ich rannte. Ich rannte bloß. Früher hatte es mich im Winter gefroren. Früher. Damals war es schön, damals, als ich noch spürte, wie mir der kalte Wind ins Gesicht blies und die Tränen über die Wangen liefen. Tränen? Ich darf nicht weinen. Nur nicht weinen. Bitte. Dann bleibe ich liegen, für immer liegen. Die Kälte, bin ich schon steif vor Kälte? Was ist das? Du darfst ja nicht die Augen schließen, ja nicht schließen. Ich spüre die Finger an den Händen, die Zehen an den Füßen nicht. Ich spüre nichts mehr. Meine Regelblutung ist schon lange ausgeblieben. Bin ich überhaupt noch eine Frau? Ich höre niemanden. Ist überhaupt noch jemand von uns am Leben? Soll ich bis zum nächsten Strauch kriechen? Ich habe sie gesehen. Ich habe Katja gestern gesehen. Dort hinter den großen verschneiten Baumstämmen hatte sie sich versteckt. War sie allein? Wo steckt bloß Ančka? Und mein Bruder? Mein jüngster. Er hatte gerade mit der ersten Klasse Grundschule begonnen. Ganz stolz, überglücklich war er und der Nachbar schenkte ihm sogar einen kleinen Welpen. Er nahm ihn mit in die Schule. Nur ein paar Tage. Dann kamen die Italiener und der Nachbar mit ihnen. Mit dem Finger zeigte er auf Vater und Mutter.


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„Das sind Rote, das sind Rote“, schrie er. Seit wann sind wir Rote, fragte ich mich und zitterte vor Angst. Das war das letzte Mal, dass ich Angst hatte. „Keine Angst. Ich bin’s nur.“ Jemand umarmt mich. „Ančka. Du lebst.“ × Seit einem Monat hab ich sie schon nicht mehr gesehen. Sie war am Feuer gesessen und hatte ihre Augen geschlossen. Sie war schön. Ist sie es noch immer? Gestern fand ich ihren jüngsten Bruder in der Jagdhütte. Barfüßig, ausgehungert, verängstigt. Er weinte. „Meine Schwester hat gesagt, ich darf niemals weinen. Niemals. Meine Schwester hat gesagt, ich bin jetzt erwachsen“, schluchzte der Kleine. Ich hob ihn hoch, setzte ihn aufs Pferd und brachte ihn ins Hauptquartier. Wir gaben ihm zu essen, wickelten ihn in eine Decke, setzten ihm eine Mütze mit dem roten Stern auf den Kopf. Die ganze Nacht hing er wie eine Klette an mir. Ich kann nicht einen Schritt tun ohne ihn. Er weiß es nicht, er weiß nichts. Er ist verzweifelt. Abgestumpft vom Schmerz. Die Brüder, die Schwester, die Eltern. Wo sind sie? Der Vater ist im Lager in Gonars. Das ist alles, was er weiß. Das wissen wir aber sowieso alle. Soll ich ihn zu den Seinigen bringen? Auch sie sind auf der Flucht und verstecken sich schon monatelang. Manchmal berichtet mir jemand, er habe sie gesehen. Ich weiß nicht, wie ich ihn trösten soll, was ich ihm sagen soll. Zum Teufel! Soll uns doch endlich alle zusammen der Teufel holen. Und wenn ich ihm sage, dass seine Schwester noch lebt? Lebt? Niemand weiß, was mit ihrer Truppe ist. Sie wurden verraten. Und dann? Es ist zu gefährlich, sie zu suchen. Lebt sie noch? Sie ist die schönste, gewiss. Ist es gewesen? Aber normalerweise würdigt sie mich nicht einmal eines Blickes. Ist sie überheblich? Ich weiß, ich weiß. Sie hat das Gymnasium besucht und ich nicht. Sie hat viel gelesen und ich nicht. Egal, ob sie noch am Leben ist, wenn ich sie finde, lasse ich sie nicht mehr los. Nie mehr. Und der Bruder? Hätte ich mich so um den Jungen gekümmert, wenn er nicht ihr Bruder wäre? Er ähnelt ihr. Zu sehr. Hier mitten in diesem Wald ist es sicher. Sind wir schon in Kroatien? Der Oberste Stab hat beschlossen, dass wir uns verstecken sollen, bis dieser Feuersturm vorbei ist. Ist das in Ordnung? Wir können nicht einfach so bleiben und warten, dass ein Wunder geschieht? Wir müssen weiter. Wir müssen helfen. Wohin? Wo ist wer? Es ist Winter. Der Frühling lässt


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schon wieder auf sich warten. Wir brauchen einen grünen Wald. Dann ist es leichter. Dann können wir zumindest Blätter essen. Und Gras. Die ersten Beeren. Bis dahin ist es noch lange. Ist sie am Leben? Träum nicht! Freiwillige, wo seid ihr? Gehen wir. × Ich darf nicht einschlafen. Jetzt ist Ančka an der Reihe. „Wenn ich schnarche, halt mir die Nase zu“, flüsterte sie mir noch zu, bevor sie die Augen schloss. Sie war im Nu weg. Nun ist schon meine Zeit zu Schlafen angebrochen. Ich kann sie nicht aufwecken. Ihr Kopf ruht in meinem Schoß. Ich versuche, noch ein wenig auszuhalten. Ich streichle über ihr Haar. Wann kommen wir einmal zu etwas Wasser, um uns die Haare zu waschen. Alles juckt. Bestimmt haben wir wieder alle Läuse. Mutter, wo bist du? Wo sind deine sanften Hände, die mir jeden Morgen den Zopf geflochten hatten. Wo bist du? Die Abende, als du uns Zichorienkaffee gekocht und Kastanien gebraten hast. Du bist am Holzofen gesessen und hast Socken gestopft. Socken für sieben Kinder. Du hast gelächelt und dir unsere Dummheiten angehört. Erst jetzt denke ich daran, dass du wahrscheinlich die ganze Zeit müde warst, dass du allein warst, dass du keine Stütze an deinem Mann hattest, unserem Vater, der immer grimmig und anspruchsvoll war und dich ohne Worte bei jedem Schritt wissen ließ, dass er daheim enterbt worden war, weil er sich für dich entschieden hatte. Er verlangte ewige Dankbarkeit und du hattest immer geschwiegen. Und die beiden Cousins, die Söhne von Vaters Bruder, der das große Gut statt seines älteren Bruders bekommen und eine Frau geheiratet hatte, die dauernd nur in der Kirche betete, zeigten in der Schule immer mit dem Finger auf mich und lachten mich gehässig aus. Ich wollte es dir nie erzählen. Doch wo bist du jetzt nur? Sicherlich nicht unter uns. Mutter, wo bist du? Lojze vom Nachbarn, der vor ungefähr einem Monat zu uns gekommen war, erzählte, dass man Vater und dich, beide gefesselt, abgeführt habe, dass Vater angeblich in Gonars sei, dass niemand etwas von dir wisse und dass meine Brüder in alle Winde zerstreut seien. Unser Heim ist angeblich ein italienischer Stützpunkt geworden und davor hatten die Nachbarn alles, was im Haus noch brauchbar war, mitgenommen. Ich bin nicht mehr müde, ich friere nicht mehr, ich habe keine Angst mehr, ich mache mir nur Sorgen, was mit euch ist. Ich darf nicht weinen. Ančka soll ruhig noch ein wenig schlafen. ×


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Der Schnee begann zu schmelzen. Die Jüngsten schlichen sich nachts davon und kamen am Morgen mit ein paar alten Kartoffeln zurück, die sie auf einem naheliegenden Acker gefunden hatten. Der Koch bereitete eine Art Suppe zu, eine ungesalzene Kartoffelsuppe und die jüngsten Kämpfer wurden im Nu zu Helden. Der Spähtrupp ist zurückgekehrt. Es wird schlimm. Es wird schwer. Wir müssen weiterrücken. Die Deutschen kommen den Italienern zu Hilfe. In der Nacht haben wir drei Kämpfer verloren, die im Schnee eingeschlafen waren und der Sliwowitz ist uns ausgegangen, der die Wunden der Verwundeten linderte. Wir werden uns irgendwie bis zum Kloster durchschlagen müssen, wo die Mönche leben, die uns zur Seite stehen. Sie decken uns immer mit Schnaps, Mehl, Schmalz, Dörrfleisch und einem Haufen Optimismus ein. Wir müssen uns bis zu ihnen durchschlagen und dort die Verwundeten verstecken, zumindest für ein paar Tage. Die paar Pferde, die uns noch geblieben sind, sind zu ausgehungert, um noch zu etwas nütze zu sein. Was sollen wir mit ihnen tun? Wir räumen zusammen, verwischen die Spuren und machen Kampfpläne. Ihr jüngster Bruder bittet um ein Gewehr oder zumindest um eine kleine Granate. Eine kleine Granate. Das arme Kind. Wird es mir weiterhin gelingen ihn zu beschützen? Ich denke nicht mehr an seine Schwester. Ich versuche es zumindest. Es tut zu sehr weh. × „Meine Kinder, bleibt stark. Vergesst nicht, wer ihr seid, was ihr seid“, sagte der Slowenisch-Lehrer noch, bevor er durch das Fenster flüchtete. Wir zitterten vor Angst und Grauen. Der Gymnasialdirektor, der Religionslehrer und vier italienische Offiziere betraten das Klassenzimmer. Und ein Dolmetscher. Mir schien, er war noch blasser als wir. Der Direktor schaute jedem tief in die Augen, schlug mit dem Stock auf den Tisch und später auf unsere Finger und schrie. „Wer war’s? Wer hat diesen Lesestoff in die Schule mitgebracht? Wer hat diesen verräterischen Aufstand organisiert?“ Verräterischen Aufstand? Wer war der Verräter? Wir, die die italienische Herrschaft nicht akzeptieren. Wir, die dem Lehrer versprochen haben, nicht zu vergessen, wer wir sind. Wir? Verräter? Der Direktor meint, wir hätten einen gefährlichen Weg gewählt. Das stimmt. Aber nicht seinen gefährlichen Weg. Unseren gefährlichen Weg. Noch in derselben Nacht gingen Mara, Katja, Marija und ich in den Wald. Wir kehrten nicht


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mehr aus der Schule nach Hause zurück. Maras Bruder hatte vor der Schule auf uns gewartet und uns gewarnt. „Geht nicht nach Hause. Dort ist die Hölle los.“ Den Lehrer, der sich die Beine gebrochen hat, haben sie erwischt. Wir versteckten uns bis zum Abend und kamen dann nachts durch Verbindungen zu meinem älteren Bruder, der schon vor einigen Monaten verschwunden war. „Besser für euch, wenn ihr nichts wisst“, meinte er noch, bevor er die Tür hinter sich schloss. Er lachte über uns, als er uns sah. Uns, vier verschreckte Mädchen mit Schulranzen, mit Röcken und Sandalen. Es war Sommer. „Was sollen wir nur mit euch machen“, machten sich mein Bruder und seine Kampfgenossen über uns lustig. Am nächsten Tag bekamen wir von der Frau eines Bauern die Hosen ihrer Söhne. Eine Woche später gaben sie mir feierlich ein Gewehr in die eine Hand und ein Glas Honigwein in die andere. Und ein paar Tage später, als ich das erste Mal einen Menschen erschoss, wurde ich zur Truppenkommissarin ernannt. Genaugenommen wurde ich Kommissarin noch bevor ich ein Gewehr bekam. Sie schickten mir Ančka zu Hilfe, die aus einer anderen Ecke des Landes kam. Ich erblickte und umarmte sie. Im Augenblick wurde sie die Schwester, die ich nie hatte. Ančka schläft. Ich streichle sie mit meinen Händen, die töten. Mit Händen, die sich an die Hände meiner Mutter erinnern. An sanfte Hände, die mich jeden Morgen kämmten. Hände. Tod. Stille. Stille, die tötet. × Langsam. Langsam. Alle fünfzig Meter bleiben wir stehen, horchen, warten und wenn die Patrouille zurückkehrt, rücken wir weiter. Aber wo kommen wir hin, wenn wir so weitergehen. Die Pflegerinnen sorgen dafür, dass die Verwundeten schweigen. Ich will nicht wissen, wie sie dafür sorgen. Wenn ich verwundet wäre, würde ich mich auf der Stelle erschießen. So eine Last für die anderen zu sein, so abhängig von anderen, dass ich, dass ich ... Nein, ich würde mich sofort erschießen. Ich würde niemanden um Hilfe bitten. Ist sie am Leben, ist sie verwundet? Ich will nicht einmal daran denken. „Wir werden hier übernachten“, entschied der Kommandant. Wir waren zu nah ans Dorf gekommen und so mussten wir uns tief in den Wald zurückziehen. Es ist zu dunkel, um weiterzugehen.


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Man weckte mich, damit ich die Wache ablöse. Sie hatten mich aus einem tiefen Traum gerissen. Einem Traum? Träumte ich wirklich? Ich war wieder ein Junge, der Vater zum Bahnhof in einem nahegelegenen Dorf begleitete. Ich bat ihn, nicht zu gehen. Ich bat ihn, mich mitzu­ nehmen. Bat. Ich weiß nicht, was ich ihn alles bat. Er wollte mir die Tränen mit dem frischen Taschentuch abwischen, das ihm die Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. „Das darfst du nicht, das hat dir Mutter für die Reise mitgegeben.“ Er sah mich an, strich über meine Haare und gab mir einen Schlag auf die Schulter: „Du darfst nicht weinen. Nun musst du für die Familie sorgen, bis ich so viel verdiene, dass ihr nachkommen könnt.“ Auch der Vater meines Freundes reiste ab. Wir beide kehrten nach Hause zurück. Langsam, wir gingen langsam. Wir schwiegen. Vor dem Haus saßen Mutter, meine jüngeren Brüder und Schwestern. Mutter würde bald wieder ein Kind zur Welt bringen. Ich ging in den Wald, hinunter zum Fluss, und weinte. Nach zwei Tagen kehrte ich zurück. Ich war erwachsen geworden. Es kam ein Brief aus Amerika mit drei Dollars darin. Dann kam ein Brief ohne Dollars. Und dann noch einer. Dann nichts mehr. Nein, ich hatte nicht geträumt. Wird diese Nacht je enden? Und dieser Krieg? Noch einen solchen Winter werden wir nicht überleben. Ich weiß nicht mal, ob wir diesen überleben werden. Der Freund aus dem Dorf, mit dem ich gemeinsam Vater begleitet hatte, hat sich anders entschieden. Er war zu den Weißen gegangen. „Weißt du, ich werde nicht frieren und nicht hungrig sein. Und die Meinigen werden in Sicherheit sein.“ Das hat er gesagt. Hatte er Recht? Nein, er irrt sich bestimmt. Zumindest hoffe ich, dass er sich irrt. Es wird ihm noch Leid tun. Wenn der Mond wenigstens für ein paar Augenblicke scheinen würde. Und die Sterne! Wenn ich in dieser Nacht, in der ich nicht schlafen darf, wenig­ stens die Sterne betrachten könnte. Wie in jenen schönen Nächten, als ich noch Kühe gehütet hatte. Ich lag da und zählte die Sterne. Sie trugen mich zu meinem Vater zu Besuch. Mit den Sternen reiste ich übers Meer in das Land, von dem es hieß, es sei wunderbar und schön. Ich bat die Sterne, Vater auszurichten, wie es mir geht und dass ich wirklich für die Familie sorge und ich bat die Sterne, mir einen Gruß von Vater zu überbringen. In jenen schönen warmen Nächten. Damals wusste ich nicht, dass sie schön waren. ×


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„Warum hast du mich nicht geweckt?“ fragte sie. „Du hast geschlafen wie eine Tote.“ „Danke dir für die Verschnaufpause. Und die Sicherheit. Mach du noch die Augen zu, zumindest für einen kurzen Augenblick.“ „Ich darf nicht. Es wird schon Tag.“ Ich sitze auf einem Felsen. Um mich herum lauter Leichen. Ich ging von einem Totem zum nächsten. Ich schloss ihnen die Augen. Egal. Italienern. Deutschen. Partisanen. Ich schloss ihre Augen wie eine Maschine. Bin ich eine Maschine geworden? Was bin ich? Wer bin ich? Als mich Ančka zu überreden versuchte, einzuschlafen, kam ein Partisan an uns vorbeigelaufen. Und dann noch einer und noch einer. Sie flohen. „Flieht“, schrien sie. Wir werden angegriffen. „Diese Irren“, schrie Ančka, nahm ihr Gewehr und rannte in die entgegengesetzte Richtung. „Zum Angriff, zum Angriff“ rief sie, als wäre sie verrückt geworden. Ich rannte ihr nach und schrie selber. Ich kann meine Stimme nicht ertragen, wenn ich schreie. Ich sprang über Gestrüpp und lief auf Leben und Tod. Eher sterbe ich, als zu fliehen. Einige andere Partisanen rannten uns nach, die Partisanen, die vor einigen Sekunden noch auf der Flucht waren. Ich sitze auf einem Felsen und betrachte die Toten. Außer vieren haben wir alle aus unserer Truppe überlebt. Bin ich wirklich eine Maschine geworden? „Woher nehmt ihr Weiber nur diese Kraft?“ Sollte das ein Lob sein oder was? Der Kurier kam, um mir zu sagen, dass es an der Zeit sei, sich auf den Weg zu machen. × Wie lange habe ich kein Feuer mehr gesehen. Ich sitze hier im Warmen und warte, dass die Suppe im Kessel fertig ist. In letzter Zeit haben wir nur noch Baumrinde gegessen und zehn unserer Verwundeten sind gestorben. Vielleicht bin schon verrückt geworden? Ich weiß nicht, woher ich all diese Kraft nehme. Das ist keine Kraft. Das ist Wut und Wahnsinn. Ein Augenblick. Hier und jetzt. Ein Augenblick, in dem man nichts zu verlieren hat. Man sieht dem Gegner in die Augen und weiß: Er oder ich! Er oder ich? Manchmal wünsche ich mir, ich wäre es. Ich wünsche mir, dass all dies endlich ein Ende nimmt.


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Ich habe gehört, dass sie sich gerettet hatten und Ančka und sie zur Kommandantin und Kommissarin des Bataillons ernannt worden waren. Ich weiß nicht, welche von ihnen Kommandantin und welche Kommissarin ist. Egal. Hat man das dort den Männern zum Spott beschlossen? Sie ist am Leben, habe ich gehört. Ich werde sie ansprechen, wenn ich sie treffe. Ich hab ja ihren Bruder an meiner Seite. Der Kleine marschiert am Feuer auf und ab, salutiert unsichtbaren Kommandanten und wiederholt unentwegt: „Ich bin ein Partisan geworden. Ich bin ein Partisan geworden.“ Der Arme, er hat ja keine Ahnung, was ihn erwartet. Aber in diesem Augenblick ist er stolz. Er kann es kaum erwarten, es seiner Schwester und den Brüdern zu erzählen. Wird er das erleben? Ich weiß nicht, warum ich um ihn mehr Angst habe, als um mich. Gestern haben wir die Burg angegriffen, in der ich vor dem Krieg gearbeitet hatte. Die Familie des Grafen ist längst geflohen und die Italiener haben die Burg bezogen. Die Bibliothek ist abgebrannt. Ich habe noch immer ein paar Bücher des Grafen. Er hat sie mir immer wieder geliehen und mit mir diskutiert. Ich solle die Meinigen grüßen, sagte er mir jeden Abend beim Abschied und sprach mir Trost zu, dass ich bald so viel verdienen würde, um mich über den großen Teich aufmachen zu können und meinen Vater zu finden. Ein eher eigenartiger Zuspruch, der aber jedes Mal für einige Augenblicke geholfen hatte. Der Dorfpfarrer führte lange Gespräche mit Mutter, bis sie schließlich nachgab. Man schickte mich in die Schule nach Ljubljana, ans Collegium Aloisianum. Größtenteils verbrachte ich die Nächte weinend und als ich einem Mitschüler anvertraute, kein Herr werden zu wollen, wurde ich am nächsten Tag in Windeseile zurück ins Dorf geschickt. In ein Dorf, wo Armut und Misstrauen herrschten. In ein Dorf, das nur zu Fuß erreichbar ist und ein Dorf, in dem jedes Haus eine traurige Geschichte birgt. In ein Dorf, das auf der Schattenseite des Berges liegt. Ein Dorf, das den Namen Bogneča vas trägt. Wenn ich den Namen richtig verstehe, heißt das das Dorf, das nicht einmal Gott will. Sagen wir’s mal so. Und überhaupt, Gott. Mit ihm habe ich so oder so meine Probleme. Bisher hat er mich immer verraten. Also lasse ich ihn links liegen. Für immer. Er setzte sich zu mir. Ich bewunderte ihn. Eigentlich nicht ... Ich respektierte ihn. Er war aus Spanien zurückgekehrt. Er weiß, was Krieg bedeutet und weiß, was ein Bürgerkrieg ist. Er weiß, wie es aussieht, wenn sich Bruder und Bruder in die Augen blicken, jeder auf der anderen Seite. Er weiß alles, aber über Spanien will er nicht sprechen.


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„Vergiss es“, sagt er jedes Mal, wenn ich ihn frage. „Vergiss es.“ „Ich habe sie gesehen“, sagt er. „Aber du wirst dich bemühen müssen. Sie hat zu viele Verehrer.“ Ich dachte, ich springe ihm an die Gurgel. Er grinste mich nur an. Auf ihn wartet seine Frau in Ljubljana. Und sein Kind. Was ist mit ihnen? Kann er überhaupt noch jemals ruhig schlafen? Ich werde ein wenig einnicken. Hier am Feuer. Wann war mir bloß das letzte Mal warm. Den Kleinen decke ich zu. Er schläft schon tief und fest und hält in seiner Hand die Mütze mit dem roten Stern umklammert. Gute Nacht! Niemand weiß, was morgen kommt. Ruhe. Stille. Angst. × Marija ist in einem roten Rock zu den Partisanen gestoßen. „Bist du verrückt“, herrschte sie der Parteisekretär an. „Man sieht dich ja kilometerweit!“ Marija weinte: „Du bist nicht mein Sekretär. Ich bin nicht in der Partei. Und ich bin geflohen, geflohen. Vom Berg habe ich zusehen müssen, wie mein Heim niedergebrannt ist. Mein Bruder, meine Schwester und ich. Jeder floh in eine andere Richtung. Als wir nach Hause kamen, lagen Vater und Mutter erschossen vor dem Haus. Wir drei begannen loszurennen. Der rote Rock. Meine Mutter hat ihn mir für den ersten Tag an der neuen Schule genäht.“ Wir sahen uns an. Wir müssen sie in Sicherheit bringen. „Ich werde nachts bei ihr schlafen“, sagte ich. Wenn überhaupt irgendjemand noch schlafen kann. Ich betrachte Marija. Sie hatte im Nachbarhaus gewohnt. Ich hatte sie beneidet, wirklich. Und sie weiß das. Ich habe es ihr offen und ehrlich gesagt. Einige Monate, ehe der Krieg begann, war sie mit ihrer Familie aus Amerika zurückgekehrt. Sie hatte das Meer gesehen. Sie war mit einem Schiff übers Meer gereist. Das Meer. Werde ich es jemals sehen? Marija schluchzt. Ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll. Dass ich ihren Vater bewundert habe? Ich erinnere mich, wie wir zu ihm gegangen waren, als die Italiener und die Deutschen die Stadt besetzt hatten. Am Rathaus hing eine Zeit lang die deutsche Fahne, dann wieder die italienische. Sie wurde immerfort ausgetauscht. Die Stadt war voller Hakenkreuze und das Gymnasium wurde zu einem italienischen Kriegslazarett umfunktioniert. Nur einige leerer Klassen sind uns geblieben. Der Italienisch- und Landeskundelehrer, der von irgendwo aus der Toskana


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stammte, sagte uns immer wieder: „Kinder, vergesst die Politik. Es wird euch zugute kommen die italienische Sprache und Landeskunde zu lernen. Vergesst die Politik. Vergesst sie.“ Er bemühte sich vergebens, uns ein Gedicht über eine Henne beizubringen. Es waren nur drei Verse. Irgendwann gab er es auf. Und dann waren wir alle am 1. Dezember, als der Feiertag des vereinigten Jugoslawiens verboten wurde, aufgestanden und haben dem ehemaligen Staat, der noch immer unsere Heimat war, mit einer Schweigeminute die Ehre erwiesen. Auch die jüngsten Schüler, obwohl wir ihnen eingebläut hatten, dass sie es nicht dürfen. Man schickte uns aus der Schule und stellte die Bedingung, dass wir der faschistischen Jugendorganisation GIL beitreten. Wir gingen zu Marijas Vater. Er hörte uns an, schwieg lange und blickte uns an. Dann sagte er: „Ihr müsst euch selbst entscheiden.“ Die Schule wurde von der Polizei besetzt. Und wir sind in alle Winde zerstreut. Nun ist er tot. Was soll ich Marija sagen? Dass sie mich hat? Ein schwacher Trost. × Ich glaube, der Winter ist vorbei. Es ist irgendwie eigenartig ruhig in letzter Zeit. Im Dorf schenkten uns die Bauern Ostereier, Schinken und Potitze. „Wir haben alles weihen lassen“, versicherten sie uns. Wir badeten im Bach, schnitten uns die Haare, rasierten uns und schliefen uns endlich aus. „Die Panzer nähern sich der Kolpa“, ruft uns ein rennender Junge aus dem Dorf nach. Er fuchtelt mit den Armen. Seine Schwester und ich gingen gemeinsam zur Schule. Einige von uns steigen auf den Berggipfel hinauf. Panzer, LKWs, voller bewaffneter Soldaten, Jeeps, Motorräder. Gestern haben wir die Brücke zerstört. Etwas bewegt sich im Wasser. „Es sind unsere Leute“, sagt ein MG-Schütze. Ich nehme einen Feldstecher. Menschen auf Pferden versuchen den Fluss zu überqueren. Ein Mann mit Bart steigt vom Pferd, um einem Ertrinkenden zu helfen. Es sind wirklich unsere Leute und dieser Fluss ist tückisch. Ich erblicke sie. Sie redet dem Pferd zu, streichelt es, zieht an den Zügeln. Es zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Sie lässt das Pferd noch immer nicht los. Sie ist ja verrückt. Sie bleibt kraftlos am Ufer liegen. Wir eilen zu Hilfe.


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„Genossin, nimm meine Decke“, sage ich zu ihr und wickle sie ein. „Ich konnte ihn nicht retten. Ich konnte nicht“, flüsterte sie. Ihre Lippen sind blau angelaufen. „Er hat mir so oft das Leben gerettet.“ „Es war ja nur ein Pferd“, tröste ich sie und weiß, was ein Pferd in solchen Zeiten bedeutet. Für mein eigenes würde ich sogar mein Leben geben. Ein Menschenleben für ein Pferd. Ich drücke sie fest an mich. Es ist ruhig, ruhig. Sie liegt dort am Feuer. Sie schläft. Ihr Bruder klammert sich an sie. Er lässt sie nicht los. Während sie schläft, erzählt er ihr von seinen Heldentaten. Und Marija? Erzählt völlig verzweifelt von ihrem roten Rock. Das Wasser hatte ihre Kleidung fortgetragen. „Mutter, meine Mutter“, erzählt sie. „Meine Mutter hat ihn mir genäht. Das Wasser hat ihn fortgetragen. Den roten Rock.“ Wir werden ihr noch nicht sagen, dass sich ihr Bruder retten konnte und die Schwester den Deutschen in die Fänge geraten war. Dort am Brunnen beim Weinberghäuschen haben sie sie erschossen. Wenn der Krieg jemals zu Ende sein wird, kaufe ich ihr einen neuen roten Rock. × Kaum, ich konnte meinen Kopf kaum heben. Jemand benetzte meine Lippen mit Wasser und jemand streichelte mich. „Ančka, du lebst!“ „Du Verrückte. Du würdest dein Leben für mich geben, für ein Pferd, wahrscheinlich auch noch für den Teufel selbst“, schilt mich Ančka lächelnd. „Du lebst, du lebst!“ Ein hagerer Junge umarmt mich so stark, dass mir die Luft wegbleibt. „Meine Schwester, schau, was ich bekommen habe.“ Unter Freudentränen zeigt er mir stolz seine Mütze mit dem roten Stern. Zumindest einer aus der Familie ist am Leben. Nach den anderen wage ich nicht zu fragen. Wie viel Angst muss er bloß überstanden haben? Wo war er nur umhergezogen und wie hat er sich zu den Partisanen durchgeschlagen? Ich streichle ihm über sein einst so lockiges Haar. Was hat er nur damit gemacht? „Weißt du, dieser Kommandant hat gemeint, dass mir etwas am Kopf herumkriecht und dann hat man mir die Haare abrasiert. Aber dafür hat er mir versprochen, dass ich sein Gehilfe werde. Kein Kurier, weil ich dann wieder viel allein sein müsste.“


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Dieser Kommandant da? Der dort abseits am Baumstamm lehnt und lächelt. Ist das nicht der, der eines morgens damals mitten im Winter, als es zwanzig Grad unter Null hatte, in unser Lager kam und uns anbrüllte, wir seien alle bürgerliche Memmen? Bürgerliche Memmen! Dieser unverschämte Kerl. Dieser hochmütige Großklotz. „Komm, komm zu uns, setzt dich zu uns“, ruft ihn mein Bruder. „Genossin, geht es dir gut?“ fragt er mich. Er hat schöne Augen. So dunkel und tief. Keine Verachtung darin zu sehen. Kein Hochmut. Augen, voller Verständnis. Respekt? Ich nicke und lege meinen Kopf wieder auf die Decke. Mir ist noch immer schwindlig. Ich fühle noch immer diesen Wasserwirbel, der mich ins Ungewisse zieht, jenen Wirbel, der mich beinahe überredet hätte, mich ihm zu ergeben. Bin ich dem Tod entronnen? Ich schließe meine Augen und gebe mich meinen Träumen hin. Das Meer. Ich bin am Meer.

© Familie der Autorin © Übersetzung: Daniela Kocmut



Katja Perat

Katja Perat (geb. 1988), Lyrikerin und Literaturkritikerin, studierte Philosophie und Komparatistik an der Universität in Ljubljana. Sie ist Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift Idiot und schreibt Literaturkritiken für Literatura und Pogledi. Bisher veröffentlichte sie zwei Gedichtbände – 2011 erschien bei Študentska založba Najboljši so padli (Die besten sind gefallen), der mit dem Preis für das beste Debüt und dem Preis „kritiško sito“, verliehen vom Verband der slowenischen Literaturkritiker, ausgezeichnet wurde. Die Autorin machte mit ihrer kritischen Stimme der Gesellschaft und ihren tief verwurzelten Sozialstrukturen gegenüber sowie mit dem Hinterfragen der Rolle der Kunst und Poesie in der heutigen Zeit auf sich aufmerksam. Im Jahr 2014 erschien bei LUD Literatura ihr zweiter Gedichtband Davek na dodano vrednost (Mehrwertsteuer). Ihre Gedichte wurden 2014 in eine Anthologie slowenischer Lyrik mit dem Titel 75 pesmi od Dekleve do Peratove (75 Gedichte von Dekleva bis Perat), die beim Litera Verlag erschienen ist, aufgenommen. Kontakt: katja.w.perat@gmail.com


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Und Ich Mache Kunst

Man sagt, dass wir Menschen heimlich nach dem Tod streben, weil alles Organische dazu tendiert, wieder anorganisch zu werden und jede Bewegung dazu tendiert, keine Bewegung mehr zu sein. Die Dinge zerfallen, da sie in Ruhe gelassen werden wollen. Traurige Menschen übergeben sich, wie man mittelalterliche Städte übergibt. Nach langer Besatzung. Schwer. Nur unter eigenen Bedingungen. Sie ertragen die Bürde nicht. Schuld und Trauer werden gerecht aufgeteilt unter allen, die dabei sind. Dass du ablehnst, hilft nicht, wenn du kein Herz hast, nützt es, obwohl die Psychoanalytiker sagen, dass vorab stirbt, wer sich dem Wunsch entsagt. Ich begegne mir selbst schwer in Spiegeln, die mich zu Gegenüberstellung und unbarmherzigem Hass zwingen, auf mein Gesicht. Das unterscheidet mich von schönen Menschen, die sich Übermut und Jähzorn leisten können, ohne dadurch etwas zu verlieren; sicher und geliebt im Voraus. Es sind die Wahrheitsliebenden, die Klarheit vermögen, ohne sich unaufhörlich zu ermahnen, dass noch nichts Unwirkliches schön war. Sie meiden nicht ihre Trauer und sagen in Gegenüberstellungen mit ihren Niederlagen mit bestimmter Ruhe: Ich weiß, dass ich verlassen wurde. Du bist außerhalb meiner Reichweite. Es gibt keinen Sinn im Überzeugen. Niemand liebt, wenn es von ihm verlangt wird.


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Doch diese Menschen haben Dinge gelernt, die ich nicht vermag. Von ihnen unterscheidet mich die Ohnmacht, getarnt als Ehrgefühl, die alles, was sie berührt, in Theorie verarbeitet. Und wenn es wirklich unerträglich wird, ist alles, was ich kann, in übertrieben feinfühliger Manier auf den Regen zu warten, der das Wetter mit meiner Stimmung in Einklang bringen würde. Eine gewisse Gnade liegt darin, sich in die Kunst zu retten. Gnade, in der man spricht, befreit vom Zwang eines einzigen Blickes, der das Sprechen verunmöglicht und auf die Unfähigkeit hinweist, der man sich niemals ganz entzieht, nicht bereit, das Ausgesetztsein zu überleben, das verlangt wird von der Tatsache, dass man ein Mensch ist. Anmut und Zuneigung fordern Anstrengung und es ist wahr, dass für mich nie etwas einfach ist. Es ist unbedeutend, hat jemand gesagt, den ich kenne. Deine Gedichte sind unbedeutend. Kunst braucht andere Dinge. Kunst braucht nichts. Darin würde ich ihr gerne ähneln.


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National Geographic

Der Blick auf die Savanne, mit der das Wetter kein Erbarmen hatte, vermittelt den Eindruck, dass Überleben nicht viel verlangt. Spleen, Beklommenheit, die sich der Verantwortung für ihre Beklommenheit entsagt hat, vermittelt so einen Eindruck nicht. Zufällig treffe ich auf mich im Widerschein im Fernsehen. Ich denke mir: Ich bin das Leben, das den ganzen langen Weg der Evolution bestreiten musste, um sich selbst ins Gesicht schauen zu können. Sich mit sich unterhalten. Ich bin nur Stille. Die Aufgabe, für die mich das Leben ausgerüstet hat, erfülle ich nicht. Die Savanne, obwohl ich sie verzerrt sehe, vermittelt den Eindruck der ausgedehnten Abwesenheit von Zögern. Sie ist reine Selbstverständlichkeit. Und ich reine Stille. Schwerfälliges Unbehagen menschlichen Privilegiertseins. Reine Stille, die nicht die Angst vor dem Tod ist, sondern die Angst vor diesem Anderen. Ich bin unglücklich, wenn ich mich an deine Schulter lehne, jedoch weiß ich, dass ich an den Tagen unglücklicher sein werde, die kommen, wenn ich mich nicht mehr an deine Schulter lehnen werde. Ich weiß nicht, weshalb die Entfremdung unaufhörlich bedroht, vielleicht wegen des Kapitalismus. Doch zugleich ist es gut möglich, dass der Kapitalismus mit allem nichts zu tun hat. Was zählt, sind Musik, Sex und die verständliche Selbstverständlichkeit der Zebras, die die Savanne queren. Alles andere ist ein einziges Chaos menschlicher Bemühungen und edler Vorsätze, mit denen der Weg in die Hölle gepflastert ist.


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Engels

Ich kann mit Sicherheit sagen, Dass der einzige Mann, der mich lieben könnte, ohne sich dazu zwingen zu müssen, Friedrich Engels ist. Unter den Mitgliedern des zweiten Blocks herrscht eine stille Übereinkunft, Sich in allen Augenblicken des Tages Ohne Verpflichtung Und ohne Fotografen, der den Augenblick in die Ewigkeit stopfen würde, Gegenseitig den Kopf in den Schoß zu legen Und Wärme zu verlangen. Ich gehe auf die Toilette, Um meine Frisur und das verwischte Mascara zu richten. Ich stoße mit einer Schar Flüchtiger aus Geschichtsbüchern zusammen. In einer langen Reihe gehen sie durch den schmalen Gang. Sie drängen sich aneinander vorbei, Als würde am Ende die Offenbarung auf sie warten oder zumindest Heidelbeerkuchen. Es ist mir unangenehm, Als mich Robespierre am Kragen packt und mich an der Wand hochhebt, Sodass ich mit den Füßen zehn Zentimeter über dem Boden baumle. Ein wütender Junge. So viel Blut für die Redefreiheit, und jetzt sind wir alle still. Niemand fühlt sich berufen. In den Ecken drücken wir uns an die anderen Versager. Niemand würde seinen Plan für ein besseres Morgen vorschlagen. Kein Übermensch ist zu sehen, Der unversehens auftauchen und die Angelegenheit lösen würde.


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Es tut mir leid um Robespierre. Sein Aufsatz gegen die Todesstrafe war gut. Mit dem Rand der Handfläche fahre ich an seinem Gesicht entlang. Er ist nicht schön und hat sich oft geirrt. Jedoch bin ich voller Mitgefühl, wie er so aufgeregt vor mir steht. Vor dem Gesetz sind wir gleich, Aber man wird ihm erklären müssen, Dass die Gleichheit, wie alles auf der Welt, Irgendwo ihre Grenze hat, die fein ist und kaum sichtbar. Er kann mich nicht mitnehmen. Ich kehre zurück zu Friedrich – An ihm ist nichts Großes. Ich suche Zuflucht in seiner wohltätigen Zweitklassigkeit, Wie die orthodoxen Juden Zuflucht in Seinem Flügelschatten suchen.


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Neues Material: Mut

Etwas, obwohl nie genug, Ist, aufmerksam zu sein; Nicht gegenüber schlecht deklarierten Dingen Wie die Geschichte im Allgemeinen, Die Einbildung, die aus Trost immer zur Last wird, Oder der Stadtbus, der in der Metapher vorkommt, Gegenüber allem anderen. Etwas ist auch verstehen, Dass es nicht wahr ist, Dass die römisch-katholische Kirche das Monopol auf die Gnade hat Und die Schönheit das Monopol auf Liebe, Dass es Kapitulation ist, Über Dinge zu verfügen, die erreichbar sind Und dass sich der Wunsch erst in der letzten Etappe des langen Entfernens verdichtet. Und vieles Ist eine ganz bestimmte Wirklichkeit; Der Überfluss an blauem Licht, Das sich morgens gleichmäßig auf die Gegenstände und Menschen legt, Die in den Wohnungen verstreut sind, Dinge, die aufgezählt, beschrieben und benannt werden möchten, Aber nicht gestatten, dass Oberflächlichkeit sie verschmiert. Alles andere ist Kampf mit der Angst. In Partisanennovellen, Nachts, wenn die Ganzheit bröckelt, In Öffentlichkeitserklärungen, Vor dem Spiegel, Vor dem Tod, in der Liebe und Erkenntnistheorie.


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Auf dem äußersten Rand der Müdigkeit, Wo Bestimmungen und Vorstellungen abfallen Und die Mehrwertsteuer entrichtet wird, In den Abständen zwischen seltenen Dingen – Gut durchdachten außenpolitischen Zügen, Großen Lieben und klaren Vorstellungen von der Zukunft, Wo die Tatsachen dem Erwartungsdruck nicht standhalten, Wo sich in verdichteter Zufälligkeit die Wirklichkeit unbeaufsichtigt anhäuft, In gescheiterten Versuchen, wie sich durch die Nacht schlagen, Kämpfen mit der Angst, Jedes Mal aufs Neue etwas richtig zu machen.


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Zärtlichkeit

Beruhigung Mit der vor Ungewissheit schwankenden Welt Nähert sich immer in derselben Gestalt: Dass jemand aufpasst – Nicht unbedingt auf mich, Bestimmt aber auf etwas Was alle empfindlichen Dinge miteinander teilen; (Einige Eingeständnisse, Regungen auf einigen Gesichtern, Dämmerung, die über den Berg hinwegzieht) Schönes, Das man unmöglich zu einer Ermahnung degradieren kann – Dass jemand mit seiner Zärtlichkeit Die Wirklichkeit bewacht.

© Beletrina © Übersetzung: Metka Wakounig



Barbara Simoniti

Barbara Simoniti (geb. 1963), Autorin und Übersetzerin. Sie schreibt Lyrik, Kurzprosa und Erzählungen für Kinder. Ihr 2012 bei Mladinska knjiga erschienenes Kinderbuch Močvirniki: zgodbe iz Zelene Dobrave (Moorländer: Geschichten aus dem Grünen Tann) wurde 2013 mit dem Levstik-Preis und dem Gütesiegel „Zlata hruška“ ausgezeichnet, der von der Stadtbibliothek Ljubljana verliehen wird. Zudem wurde es von der Internationalen Jugendbibliothek München in die „White Ravens“ Auswahl der besten 250 Jugend- und Kinderbücher aufgenommen. Auch der Illustrator des Buches, Peter Škerl, wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Simoniti präsentierte das Buch auf der Leipziger und Frankfurter Buchmesse und wurde zum „Rheinischen Lesefest Käpt’n Book 2013“ nach Bonn eingeladen, wo sie mehrere Lesungen hatte. Sie ist Vorstandsmitglied des PEN-Zentrums sowie Mitgründerin und Vorstandsmitglied von MIRA, einer Autorinnenvereinigung des slowenischen PENZentrums. 2014 erschien ihr Bilderbuch Andrej Nespanec (Andreas Schlaflos), wieder mit Illustrationen von Peter Škerl. In der Zwischenzeit wird der zweite Teil von Močvirniki fertiggestellt. Kontakt: www.barbarasimoniti.com, barbara.simoniti@gmail.com


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Auszug aus dem Kinderbuch Močvirniki: zgodbe iz Zelene Dobrave (dt. Moorländer: Geschichten aus dem Grünen Tann)

Erstes Kapitel Grüner Tann, Mooraue und ihre Bewohner Der Grüne Tann ist ein großer und geheimnisvoller Wald. Zwischen den stattlichen Bäumen haben sich stille Pfötchen, Tätzchen und Füßchen ihre Wege geebnet, die den gesamten Grünen Tann durchziehen. Helle und trockene Wege führen zu sonnigen Lichtungen, die schattigen zu feuchten Senken und klaren Bächlein. Und ein solcher schmaler, beinahe unsichtbarer Pfad windet sich zu unserer ruhigen, lichtarmen Senke – der Mooraue. Durch die Mooraue fließt ein langsamer Quellbach, der sich durch die Baumwurzeln schlängelt. Zu beiden Seiten ist er besäumt mit gelben Sumpfdotterblumen und Sumpfgrasbüscheln. An den sanft ansteigenden Ufern des Auenbachs wuchert saftiges Moos, darüber breitet sich buschiger Farn aus. Die gesamte Senke umgeben mächtiges Nadelgehölz und altehrwürdige Laubbäume. Ihre Kronen sind so ausladend, dass sich ihre Äste berühren und darunter einen dichten Schatten bieten. Das ist sehr wichtig, schließlich lieben es alle Bewohner der Mooraue dunkel und feucht. Die Mooraue ist eine Siedlung mit einer langen und stolzen Geschichte. Sie begann, als die ersten Ankömmlinge im Tann den Auenbach auf der Kuppe des Hügels eindämmten und eine hölzerne Schleuse errichteten. Der zuvor reißende Fluss beruhigte sich und ergoss sich im Auenteich. Mit der Schleuse regulierten sie das Wasser, so dass es gleichmäßig aus dem Teich floss und die Senke in ein Moor verwandelte. So entstand die Mooraue. Der Ruf der fruchtbaren Sumpfwiese verbreitete sich rasch und von überall her kamen stetig neue Bewohner. Auch wenn sie aus den entferntesten Winkeln des Grünen Tanns kamen und sich sehr voneinander unterschieden, beschlossen sie sich gemeinsam Moorländer zu nennen. Die Mooraue ist in verschiedene Bezirke unterteilt. Einige sind feucht und moosig, andere beinahe trocken und grasig, wieder andere sumpfig und wild zugewuchert. Jeder Bezirk hat seinen Namen und in jedem leben andersartige Bewohner.


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Über den oberen Teil der Mooraue erstreckt sich die feuchte Mooskuppe. Ihren welligen Boden bedecken runde samtige Mooshügelchen. In den Höhlen der Baumstümpfe und Mooshäuschen wohnen angesehene Salamander, Kröten und einige Frösche. Unter ihnen auch der Bürgermeister der Mooraue, der Salamander Tümpeltorf. Am Fuß der Mooskuppe teilt sich der Auenbach in zwei Arme, den reißenden Weißbuchen-arm und den gemächlichen Rohrkolbenarm. An der Gabelung der beiden Flüsse liegt die Fichteninsel, die von allen Seiten mit Wasser umgeben ist. Die Fichteninsel ist der hohe Baumstumpf eines uralten Baumes, dessen Rinde bewachsen ist mit seidenem Moos und auf dessen Dach ein Wäldchen junger Tannenwedel sprießt. Beiderseits ist die Insel mit einem festen Steg aus Haselnusszweigen mit dem Ufer verbunden. In der grünen Baumhöhle der Insel befindet sich der Ratshof, wo sich zu bedeutenden Anlässen unter der Leitung des Bürgermeisters die Ältesten und bedeutendsten Persönlichkeiten der Mooraue versammeln. Der geteilte Auenbach fließt anschließend durch zwei Bezirke: der Weißbuchenarm rauscht durch den Weißdornhain, während der Rohrkolbenarm sich durch die Nassfußwiese schlängelt. Der Weißdornhain ist die trockenste, mit Bäumen bewachsene Gegend der Mooraue. Dort leben vor allem Salamander, daher nennen ihn die anderen Moorländer Salamanderviertel und seine Bewohner scherzhaft Festländer. – Nassfuß ist der moorländische Name für eine Sumpfwiese, die gerade so feucht ist, dass höchstens deine Füße nass werden. – Die Nassfußwiese ist durchwachsen mit Sumpfgras und niedrigem Moos, das an den wenigen Bäumen und Baumstümpfen emporwächst. In den Wurzelhütten und Baumhäuschen hausen Frösche aller Art: Kröten, Unken, Laubfrösche, sowie Gras- und Teichfrösche. Die Baumkronen werden auch von einigen Spinnen besiedelt. Die ausladenden Äste bieten ihnen ausreichend Platz ihre Netze zu spannen. Die Spinnen sind stille Bewohner der Mooraue, die sich lieber im Hintergrund halten. Die schattige Feuchtigkeit der Sumpfwiese sagt ihnen zu, in die Geschäfte der anderen Moorländer mischen sie sich nicht ein. Einzig das Spinnenmännchen Kreuzler ist eine Ausnahme, er kümmert sich um jeden verstauchten Knöchel und jedes gebrochene Pfötchen. Im unteren Teil der Mooraue ebnet sich der Boden und breitet sich in ein flacheres Gelände aus, so dass sich die Sumpfwiese in ein wahres Moor mit Tümpeln und Altwassern verwandelt.– Altwasser ist der moorländische Name für einen toten Flussarm, in dem das Wasser so still steht, dass es tot scheint, in Wahrheit aber sprudelt es dort vor Leben. –


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Der Weißbuchenarm mündet im Schilfrohrtümpel, der Rohrkolbenarm hingegen ergießt sich im Schlammgrund. Der dritte wasser-reiche Bezirk ist das Kressenmoor am Fuße der Mooraue, wo alle Gewässer zum Stillstand kommen. In allen drei sumpfigen Bezirken wohnen überwiegend Molche und verschiedene Frösche. An den schlammigen Ufern haben sie sich vielerlei Wasserheime gebaut, fühlen sie sich doch am wohlsten, wenn ihnen das Wasser bis zur Türschwelle steht. In sumpfigen Gegenden richtet sich alles nach dem Wasser, deshalb nennen sie auch die Jahreszeiten etwas anders: nach dem Frühling kommt die Sonntje und nach dem Herbst folgt die Frostina. Auch die Bäume, Büsche und Baumstämme in der Mooraue haben ihre eigenen Namen, daher stehen auf ihren Wurzeln, Baumhöhlen oder Ästen auch keine Hausnummern, sondern Namen. So wissen alle von jedem Bewohner, wer er ist und woher er kommt. Vor kurzem ist eine neue Salamanderfamilie in den Weißdornhain eingezogen: Vater Feuchtlieb, Mutter Feuchtlieb und Sohn Fridolin. Ihr Häuschen im efeuumrankten Weißdornwinkel ist so sicher verborgen hinter den immergrünen Blättern, das es beinahe unsichtbar ist. Die Salamanderfamilie Feuchtlieb kommt vom anderen Ende des Grünen Tanns, denn Vater Feuchtlieb hat in der Mooraue eine ausgezeichnete Anstellung als Verwalter des Auenbachs bekommen. Weil die Versumpfung für die feuchtliebenden Bewohner der Mooraue von lebenswichtiger Bedeutung ist, sorgt für die Schleuse am Auenbach ein Verwalter. Für diese Arbeit wird eine Moorländer ausgewählt, der viel über das Wasser weiß und Erfahrungen mit dem Wetter hat. Wenn das Moos in den heißen Monaten beginnt seine Farbe zu verlieren und bröselig zwischen den Fingern zerbricht, dann ist das ein verlässliches Zeichen für den Beginn der Dürre. Wassermangel ist eine schlimme Plage, denn dann trocknet die Sumpfwiese aus und die Moorländern können ausmergeln und erkranken. Deshalb muss der Verwalter gut mit dem Auenteich haushalten, so dass ihm das Wasser nie ausgeht. Reicht all das nicht aus und ist kein Regen in Sicht, dann machen sich alle starken Moorländer auf zur Ebene über der Schleuse im Wald. Von allen Seiten graben sie Kanäle, in denen sie dem Teich Wasser aus allen nahen und fernen Quellen und Tümpeln zuführen. Die Dürre ist jedoch nicht die einzige Plage, die der Mooraue droht. Zu viel Wasser kann für die feuchtliebenden Bewohner ebenso gefährlich sein wie zu wenig. Die Moorländer sind eben keine Fische. Sie leben weder im Wasser noch auf dem Trockenen, sondern irgendwo dazwischen. Ihre Lebensweise ist die wohltuende goldene Mitte; das Moor ist


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ein gleich bleibendes, stehendes Gewässer und kein klarer Fluss, auf dem alle irgendwohin brausen. Deshalb muss der Verwalter in der Mooraue auch bei Regenfällen über das Wasser wachen, denn dann trübt sich der Auenbach und wächst gewaltig an. Die wilden, reißenden Wassermassen könnten die Ortschaft überfluten und alle Moos- und Wasserheime fortspülen. In Hochwasserzeiten schließt der Verwalter daher die Schleuse und leitet die Wasserflut in das benachbarte, unbewohnte Tal um, das den Namen Sturzbachtal erhalten hat. Die Arbeit an der Schleuse ist so wichtig, dass der neue Verwalter Feuchtlieb in der Mooraue einen besonderen Stellenwert, den zweitwichtigsten nach dem Bürgermeister hat. Der Bürger-meister Tümpeltorf ist der vornehmste Moorländer überhaupt. Er ist so wichtig, dass keinem Salamander, Frosch oder Molch ein Haar ausfallen darf – wenn sie denn welche hätten – ohne dass er davon erfährt. Nicht einmal der Verwalter Feuchtlieb darf die Schleuse bedienen, ohne dass er den Bürgermeister Tümpeltorf über die Veränderungen des Wetters und des Wassers in Kenntnis gesetzt hätte. Der Salamander Tümpeltorf gibt sich große Mühe seine bürgermeisterliche Vornehmheit bereits mit seinem Verhalten zu zeigen. Wenn er im Dienst ist, geht er langsamer als gewöhnlich und setzt seine Füßchen bedacht in den Schlamm und das Moos. Dann spricht er auch langsamer und benutzt lauter lange und komplizierte moorländische Wörter, die der kleine Fridolin Feuchtlieb nicht einmal wiederholen, geschweige denn verstehen kann. Moorländisch ist eine sehr reiche Sprache. Reich an Wörter für alles, was für die sumpfigen Gegenden und ihre Bewohner von Bedeutung ist: Moos, Wasser, Schlamm und Wetter. Ihre Sprache ist so wichtig, dass alle Bewohner des Grünen Tanns sie sprechen, wenn sie etwas Bedeutendes sagen wollen. Und darum sind auch alle unsere Geschichten über die Moorländer aus dem Grünen Tann in der moorländischen Sprache geschrieben. ×


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Zweites Kapitel Ankunft in der Mooraue Die Salamanderfamilie Feuchtlieb ist aus der fernen, schattenseitigen Gegend des Grünen Tanns in die Mooraue gezogen. Der Schwarze Gumpen ist eine Salamandersiedlung in den Bergen, erbaut an den schattigen, felsigen Hängen über dem Wasser. Die Siedlung bewohnt eine zahlen-mäßig strake Familie der Alpen- und Gebirgssalamander und einige Familien Gelbflecken-Salamander, unter ihnen auch die Familie Feuchtlieb. Vater Feuchtlieb hatte im Schwarzen Gumpen als Wetterbeobachter gearbeitet. Er war der Gehilfe des angesehenen Wetteransagers Nimmerdürr. Eines regnerischen Tages zu Beginn des Frühlings besuchten ihn der Froschmann Wässler und der Salamander Tümpeltorf aus der Mooraue. Wässler ist Wassermann und der älteste der Ältesten in der Mooraue, während Tümpeltorf schon seit mehreren Jahren Bürgermeister der Mooraue ist. Sie boten Vater Feuchtlieb an, bei ihnen als Verwalter des Auenbachs und der Schleuse zu arbeiten. Vater Feuchtlieb wusste sofort, dass das eine Gelegenheit ist, die er versäumen durfte. Bei Nimmerdürr würde er noch jahrelang Gehilfe bleiben, hier bot sich im eine selbstständige Anstellung! Daher versprach er Wässler und Tümpeltorf darüber nachzudenken und bald in die Mooraue zur Besichtigung zu kommen. Daraufhin lief er ganz begeistert nach Hause, um seiner Familie zu erzählen, was ihnen in Aussicht stand. Mutter Feuchtlieb fand die Idee nicht so berauschend; schließlich ist es nicht so leicht den klaren Gebirgsgumpen für einen schlammigen Sumpf im Tal einzutauschen. Jedoch wollte sie ihrem Mann nicht die Freude verderben. Sohn Fridolin machte große Augen, als er die Nachricht hörte. Es wäre wunderbar in eine ferne, so andersartige Stadt zu ziehen! Bestimmt würde er dort viele neue Freunde kennenlernen! Also reiste Vater Feuchtlieb schon bald in die Mooraue, um sich die sumpfige Gegend erst einmal genauer anzuschauen. Als er nach einigen Tagen in den Schwarzen Gumpen zurückkehrte, erzählte er so begeistert von der Stadt in der schattigen Sumpfwiese, dem Häuschen im blühenden Baum, der Schule am Kressenmoor, den freundlichen Moorländern, und, und, und, dass ihn Mutter Feuchtlieb gar nicht mehr aufhalten konnte. Erst recht nicht, weil sich Fridolin mit ihm freute. Und so entschlossen sie umzuziehen. Vater Feuchtlieb teilte dem Ältesten Wässler rasch mit, dass er die Anstellung als Verwalter in der Mooraue annimmt. Als Antwort bekam


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er einen großen grünen Brief, versiegelt mit einem Lehmsiegel. Darin informierte ihn Wässler amtlich, dass ihn die Anstellung erwartete und in wenigen Tagen alles bereit wäre für die Ankunft der Familie Feuchtlieb. Den Brief hatten außerdem der Bürgermeister und alle Ältesten unterzeichnet. Jetzt musste sich Familie Feuchtlieb nur noch auf den Umzug vorbereiten. Und eines schönen, nassen Morgens reisten sie ab und begaben sich auf die breite Straße durch den Grünen Tann. Obwohl Vater Feuchtlieb die meisten Sachen mit der moorländischen Post verschickt hatte und sie nur mit dem Nötigsten umzogen, hatten sich am Ende doch viele Kleinigkeiten angesammelt, so dass sie alle schwer bepackt waren. Mutter Feuchtlieb fiel es schwer die steinige Gegend zu verlassen, obwohl sie wusste, dass ihren Mann in der Mooraue eine bessere Arbeit und ein eigenes Haus erwarteten. Es tat ihr Leid um den Flechtenspalt im Felsenblock, wo sie gewohnt hatten. Die Steinwohnung war zwar beengt, hatte sich aber mit der Zeit in ein gemütliches Heim verwandelt. Jetzt musste sie sich von allen felsigen Nachbarn und Freunden verabschieden und von Neuem beginnen! In der Mooraue würde alles ganz anders sein: das Haus in den Baumwurzeln, der gesamte Ort schlammig und die Bewohner so fremd! Außer den Salamandern wohnten dort noch Molche, Frösche, Kröten und andere unbekannte Moorländer. Sie konnte sich nicht helfen, ihr erschienen sie ein wenig hässlich und unscheinbar. Sie war wirklich besorgt, wie sie sich mit ihnen verstehen würde. Fridolin war ein braves Kind: er wusch sich immer die Zähne und hörte auf seine Eltern, wenn er denn musste. Er war jedoch nicht einer Meinung mit seiner Mutter über die Frösche und Molche. Er war überzeugt, dass das Leben mit ihnen in der Mooraue noch viel interessanter sein würde, als es das Leben im Schwarzen Gumpen zwischen lauter Salamandern gewesen war. Die sumpfigen Mulden und moosigen Hügel würden ihnen immerzu neue Möglichkeiten zum Spielen bieten. „Nur noch ein wenig und wir sind da!“ sagte Vater Feuchtlieb, um seine in Gedanken vertiefte Frau aufzumuntern. Schon seit mehreren Stunden wanderten sie rastlos auf dem Waldweg. „Ich kann es kaum erwarten!“ rief Fridolin, während Mutter Feuchtlieb nur aufseufzte und sich den Rucksack zurechtrückte. „Hinter dieser Biegung endet der Haselnusswald,“ erklärte Vater. „Dann sehen wir den Auenteich und direkt dahinter ist auch schon die Mooraue!“ Fridolin blickte anstrengt in die Ferne, um den versprochenen Ort möglichst früh zu entdecken.


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„Ich sehe es schon! Dort glänzt schon der Wasserspiegel!“ sprang er plötzlich aufgeregt auf und zeigte mit seinem Pfötchen in die Ferne. Jemand auf der anderen Seite des Auenteiches bemerkte die Ankömmlinge und begann zu winken. Drei Froschmänner sprangen ihnen entgegen: es waren der Redakteur Quakmeyer, Lehrer Froschfeldner und Bauer Krötner. Vater Feuchtlieb kannte alle drei bereits. „Familie Feuchtlieb, herzlich Willkommen! Wir sind schon den ganzen Tag an der Schleuse und halten Ausschau nach euch!“ wurden sie von den Fröschen begrüßt, die ihnen mit ihren Froschfüßchen fröhlich die Pfötchen schüttelten. Rasch nahmen sie Mutter Feuchtlieb und Fridolin das Gepäck ab. Vater Feuchtlieb wollte seinen Rucksack zuerst behalten, doch der starke Krötner winkte nur mit seinem Füßchen ab und nahm ihm den Rucksack von der Schulter. Unterhalb der Schleuse wurden sie von der gesamten Familie Froschfeldner begrüßt: Frau Froschfeldner umarmte Mutter Feuchtlieb herzlich, Tochter Frieda reichte ihr einen großen Strauß Buschröschen und Schlüsselblumen, während Sohn Fred möglichst schnell Fridolin kennenlernen wollte. In der Zwischenzeit war jemand zum Bürgermeister Tümpeltorf gelaufen, um ihn zu benachrichtigen, der die bürgermeisterliche Ratsche drehte, die er für besondere Anlässe benutzte. Jetzt wussten alle Moorländer in der Mooraue, dass der neue Auenverwalter und seine Familie kamen. Sie öffneten ihre Fenster und Türen, und die neugierigsten unter ihnen gingen auf die Straße, um die Neuankömmlinge so schnell wie möglich kennenzulernen. In der Mooskuppe wurden sie schon von alle Ältesten erwartet: dem Wassermann Wässler, der Ältesten Rosilde, dem Krämer, dem Schulhausmeister Nasshold und der Küchenmeisterin Bachtrude. Alle trugen ihr Son Klammberger ntagsgewand und begrüßten die Gäste feierlich. Auf der Veranda vor dem Laden in der waldrebenumrankten Birke hatten sie Efeuwein und Limonade aus Sauerampfern aufgetischt. Mit Freude ließen sich die erschöpften Feuchtliebs nieder und löschten ihren Durst. Der Bürgermeister Tümpeltorf und seine Frau gesellten sich zu ihnen, beide waren festlich gekleidet. Aus der Küche war das Geklapper von Töpfen zu hören. „Unsere Moorländerinnen kochen heute etwas laut,“ schmunzelte der Salamander Klammberger. Die Tür öffnete sich und eine lange Tafel war zu sehen, beladen mit erlesenen Speisen. Jetzt wurde es wirklich fröhlich! Die Moorländer und die Neuankömmlinge stellten sich kreuz und quer vor, stießen mit Efeuwein an und bedienten sich an der üppigen Tafel. Fridolin


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huschte mit Fred von Tablett zu Tablett, um keinen moorländischen Leckerbissen auszulassen. „Na, Sohn, was sagst du zur Mooraue?“ klopfte ihm Vater Feuchtlieb auf die Schulter und sah dabei seine Frau an. „Alles ist köstlich, aber dieser Quarkstrudel ist am besten!“ antwortete Fridolin mit vollem Mund. Alle um ihn lachten und Vater Feuchtlieb stellte mit Erleichterung fest, dass auch Mutter Feuchtliebs Gesicht sich langsam aufhellte. „Das war noch nicht alles!“ sagte die Salamanderfrau Bachtrude. „Das Wichtigste kommt erst noch! – Wässler, ich glaube es ist Zeit ihnen ihr neues Zuhause zu zeigen,“ wand sie sich an den Ältesten. „Bestimmt sind sie sehr erschöpft und obendrein wird es auch schon dunkel!“ „Natürlich, natürlich!“ antwortete der Froschmann Wässler aus der Familie der Grasfrösche. Er richtete sich auf und griff sich an die großen, doppelreihigen Knöpfe seines blauen Jacketts, wie seine gewöhnlich Körperhaltung war. Salamanderfamilie Feuchtlieb bedankten sich für den gastfreundlichen Empfang und die vorzügliche Bewirtung. „Wenn ihr etwas braucht, meine Tür im Buchenschlag ist immer offen!“ versicherte die Meisterin Bachtrude Mutter Feuchtlieb und drückte ihr noch einmal das Pfötchen. Daraufhin führte Wässler sie mit einer Gruppe Moorländer die Straße entlang zum Weißdornhain. Mutter Feuchtlieb war so erschöpft, dass sie den Gastgebern nur noch teilnahmslos folgte, bis sie vor dem ansehnlichen Baumhaus stehen blieben. Sie konnte sich nicht helfen und ein überraschter Freudenschrei entwich ihr. Das freute Vater Feuchtlieb sehr. „Willkommen daheim! Das ist euer efeuumrankter Weißdornwinkel,“ sagte der Älteste Wässler stolz und zeigte auf die Beschriftung auf dem Haus. Dann überreichte er feierlich dem Verwalter Feuchtlieb den Schlüssel, der die Tür öffnete. „Hurra!“ jauchzte Fridolin und lief als erster ins Haus. „Hier sind die Küche und das Wohnzimmer,“ präsentierte Bürgermeisterfrau Tümpeltorf das Haus. „Das Badezimmer ist hinten, die Schlafzimmer oben und Fridolins Zimmer auf dem Dachboden!“ Auch sie war stolz, dass sie den neuen Verwalter so vornehm empfangen konnten. „Die wichtigste Einrichtung ist schon da,“ mischte sich der Redakteur Quakmeyer ein, „also die Betten und Schränke. Für


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alles andere, das euch noch fehlt, wendet euch an den Korbmacher Unkenbolt in der Bachweide!“ „Vielen herzlichen Dank für alles!“ bedankte sich Vater Feuchtlieb. „Ich glaube, dass uns zum vollkommenen Glück nur noch etwas Schlaf fehlt!“ Noch einmal reichten sich alle die Pfötchen und Froschfüßchen und verabschiedeten sich. Fridolin lief so begeistert von Raum zu Raum, dass ihn die Eltern, nachdem er sich rasch gewaschen hatte, kaum ins Bett bekamen. „Und, was sagst du jetzt?“ fragte Vater Feuchtlieb Mutter Feuchtlieb, als sie endlich alleine im Schlafzimmer waren. „Ich stimme Fridolin zu,“ schmunzelte Mutter Feuchtlieb und befühlte die Moormatratze, „nur dass mir das Schlafzimmer noch viel besser gefällt als der Quarkstrudel!“ Sie lachten fröhlich und krochen jeder von seiner Seite in das breite Bett aus Weidenruten. Sie hielten sich an den Pfötchen wie jeden Abend und schliefen im Nu ein. ×


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Neuntes Kapitel Erster Bogen und Reisepläne Es war ein sonniger Samstag zu Beginn der Dürreferien. Bei so schlechtem Wetter konnte Familie Feuchtlieb keinen längeren Ausflug machen, also bereiteten Mutter und Vater Feuchtlieb ein festliches Mittagessen zu. Sie ließen sich die Löwenzahnsuppe und Polenta aus Farnsamen munden und zum Nachtisch gönnten sie sich Birkenkipferl. „Was wollen wir heute unternehmen?“ fragte Vater, nachdem er sein Glas Efeuwein geleert hatte. Fridolin schwieg für einen Augenblick. „Wir könnten auf dem Hof Boule spielen,“ überlegte er laut, „oder in der Huflattichlache schwimmen oder Papierschiffchen auf den Stromschnellen über der Fichteninsel sausen lassen,“ zählte er die besten Möglichkeiten auf. „Und wenn ihr heute einen Bogen für Fridolin macht?“ fiel Mutter ein. Mit dem Schwäm-mchen der Kamillenblüte wusch sie das Geschirr ab, während ihr Fridolin die Teller und das Besteck reichte. „Hurra, das wäre fein!“ freute sich Fridolin und machte einen Freudensprung, so dass ihm der feuchte Teller beinahe aus den Pfötchen gerutscht wäre. „Gut, dann machen wir einen Bogen; ich bin sofort dabei,“ stimmte auch Vater zu. Schon vor langer Zeit hatte er seinem Sohn den ersten Bogen versprochen. „Die Ruten könnt ihr auch ohne mich besorgen,“ entschied sich Mutter und spülte das restliche Geschirr ab. „Abgemacht,“ stimmte Vater zu, „in einer Stunde sind wir wieder zurück!“ Fridolin lief los, um seine Tasche vom Dachboden zu holen und weil er es so eilig hatte, rutschte er auf dem Rückweg einfach das Treppengeländer herunter. Dann machte er sich mit Vater auf den Weg zum Haselnussstrauch, der hinter dem Ufer des Kressenmoors wuchs. Der üppige Haselnussstrauch bot den Moorländern Ruten in Hülle und Fülle. In der Zwischenzeit kochte sich Mutter einen Kaffee aus gerösteten Grassamen und machte es sich auf dem Moossofa bequem. In kleinen Bissen ließ sie sich die Kipferl schmecken und blätterte in der Zeitschrift Grüner Wohnen. Gänzlich in ihre Lektüre vertiefen konnte sie sich aber nicht, ständig dachte sie daran, wie sie Vater und Fridolin für den Sonnenhang begeistern konnte. Wenigstens für einen kurzen Besuch bei den Eidechsen Dechsendrini!


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Sie hatte ihre Zeitschrift noch nicht durchgeblättert, als die beiden Bogenschießer schon aus dem Kressenmoor zurückkehrten. Sie hörte, wie sie die Haustür zuschlugen. Einen Augenblick später standen die beiden in der Küche: schwer beladen mit zwei großen Bündeln Haselnussruten. „Seid ihr schon wieder da?“ wunderte sich Mutter. „Und ob! Ruten gibt es reichlich, der Haselnussstrauch ist jung, wir waren im Nu fertig,“ erklärte Vater. Mutter half ihnen Zeitungspapier auf dem Boden auszulegen, damit sie darauf die Ruten ablegen konnten. Vater holte das scharfe Schnitzmesser und machte sich daran die Rinde der dünnen Haselnussruten für die Pfeile zu entfernen. Fridolin half ihm mit einem weniger scharfen Küchenmesser. Er konnte es kaum erwarten, dass Vater begann den Bogen aus dem dicken, geraden Jungtrieb zu schnitzen, den er eigens dafür abgeschnitten hatte. Immer wieder spannte er zwischen den Fingern die Schnur aus Gras, die als Bogensehne dienen würde. Mutter beobachtete die beiden interessiert. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, dass sie sie überhaupt nicht beachteten. Daher räusperte sie sich vorsichtig und begann ihre große Ansprache. Sie erzählte ihnen, wie schön es wäre, wenn sie diese Dürreferien die Eidechsenfamilie Dechsen-drini am Sonnenhang besuchen würden. Mutter Dechsendrini hatte schon vor langer Zeit eine herzliche Einladung ausgesprochen. Bestimmt wäre es eine angenehme Abwechslung für Fridolin; er würde neue Freunde kennen lernen und mit Dora spielen. Vater und Fridolin hatten schon alle Haselnussruten, die sie aus dem Wald gebracht hatten, von der Rinde befreit, der Bogen war bereits gespannt und sie hatten genügend Pfeile für einen ganzen Köcher angefertigt, während Mutter immer noch begeistert vom Sonnenhang sprach. „Nun,“ meldete sich letztendlich auch Vater, „vielleicht können wie sie wirklich besuchen wenn du dir das so sehr wünscht. – Was hast du gesagt: Schattenhang?“ „Am Sonnenhang!“ berichtigte ihn Mutter fröhlich. „Hm, die Sonne gefällt mir zwar gar nicht und auch für unsere Haut ist sie nicht sonderlich gut, ganz besonders in den Dürrezeiten nicht. Aber vielleicht können wir uns ja einen Tag in der Fremde umsehen, wenn das Wetter passt,“ grübelte Vater. Fridolin hörte ihnen interessiert zu und knabberte brav an seinen Kipferln. „Nur einen Tag?“ wiederholte Mutter etwas enttäuscht, sie hatte sich etwas längere Ferien am Sonnenhang erhofft.


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„Ich fürchte, es wird nicht anders möglich sein,“ entgegnete Vater bestimmt. „Ich kann die Moor Aue nicht für mehr als ein, zwei Tage verlassen. Ganz besonders dieses Jahr nicht, in dem es allem Anschein nach eine schlimme Trockenzeit geben wird. Die Zeichen auf dem Moos und den Flechten deuten darauf hin und wir haben auch bei Weitem nicht genug Pilze und Schimmel.“ Mutter nickte stumm. – Besser als nichts. „Und, was meinst du Fridolin?“ fragte Vater, nachdem das Salamanderkind während des gesamten Gesprächs geschwiegen hatte. Fridolin jagten so viele Gedanken durch den Kopf, dass er sich gar nicht entscheiden konnte. Einerseits fand er es schade, dass er gerade jetzt irgendwohin gehen sollte, wo ihm doch Vater einen Bogen gefertigt hatte, also schwieg er. Er freute sich auf Zielscheiben aus Blättern zu schießen – und einen so prächtigen Bogen hatte kein anderer Salamander oder Frosch oder Molch! – Dora Dechsendrini hatte bestimmt nichts übrig für seinen Bogen. Achwas! Mädchen und Bogenschießen! – Andererseits überlegte er, dass die Dürreferien noch sehr lange dauern würden und er ausreichend Zeit fürs Bogenschießen haben würde. Außerdem war er neugierig zu erfahren, wie die Welt auf der Sonnenseite des Grünen Tanns aussah. So weit waren sie noch nie gereist. „Ich glaube, das wäre schön,“ antwortete Fridolin nach reiflicher Überlegung, woraufhin Mutter entzückt in die Pfötchen klatschte. „Aber – sprechen die Dechsendrinis überhaupt Moorländerisch?“ fragte er etwas besorgt. „Natürlich! Und das ausgezeichnet!“ bejahte Mutter zufrieden. „Gut,“ beschloss Vater und drehte sich wieder zu Mutter, „verabrede dich mit den Dechsen-drinis. Und wenn das Wetter sicher und feucht genug ist, reisen wir ab.“ „Abgemacht!“ lachte Mutter. „Also, Fridolin, wenn wir jetzt schnell aufräumen, können wir den Bogen noch auf dem Hof ausprobieren!“ fügte Vater hinzu. „Aber die Sonne geht schon unter!“ „Meine beiden Bogenschießer, geht ruhig, bevor euch die Dunkelheit überrascht. Ich räume schon auf!“ bot sich Mutter an und begann das Zeitungspapier voller Haselnussrinde und Span zusammenzufalten. Fridolin ließ sich das nicht zweimal sagen. Es juckte ihn schon in den Fingern, endlich den Bogen das erste Mal zu spannen. Mit wenigen Sprüngen war er an der Tür. Mutter lachte über seinen Feuereifer und Vater zwinkerte ihr noch kurz zu, bevor er die Tür hinter sich schloss.


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Als Fridolin diesen Abend erschöpft in sein Korbbett und unter die feuchte Moosdecke kroch, konnte er lange nicht einschlafen. Seinen Bogen hatte er an die Wand gehängt, so dass er ihn sehen konnte. Er freute sich darauf ihn seinen Freunden zu zeigen. Und er versuchte sich vorzustellen, was ihn alles noch erwartete in diesen Dürreferien. ×

© Barbara Simoniti (Text) und Peter Škerl (Illustration) und Mladinska knjiga © Übersetzung: Rosemarie Linde


Goran Vojnović

Goran Vojnović (geb. 1980), Schriftsteller, Regisseur, Kolumnist, Film- und Fernsehautor. Sein bei Študentska založba veröffentlichtes Debüt Čefurji raus! aus dem Jahr 2008 wurde mit dem Kresnik-Preis für den besten slowenischen Roman des Jahres sowie 2009 mit dem Preis des Prešeren-Fonds ausgezeichnet und bisher in mehrere Sprachen übersetzt. 2013 verfilmte Vojnović den Roman in eigener Regie. Sein zweiter Roman Jugoslavija, moja dežela (Jugoslawien, mein Heimatland) wurde 2012 veröffentlicht; die deutsche Übersetzung wird 2016 beim Folio Verlag erscheinen. Im Jahr 2010 erschien unter dem Titel Ko Jimmy Choo sreča Fidela Castra (Jimmy Choo trifft Fidel Castro) auch eine Auswahl seiner Zeitungskolumnen. Kontakt: goranvojnovic@hotmail.com, renata.zamida@zalozba.com


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Auszug aus dem Roman Jugoslavija, moja dežela (dt. Jugoslawien, mein Heimatland)

Von Onkel Danilo erfuhr ich zum ersten Mal an exakt dem Morgen, an dem ich meinen Vater zum letzten Mal sah. Am Abend zuvor verlautete meine Mutter nach einem weiteren schweigsamen Telefongespräch mit ihm der im Zimmer anwesenden Öffentlichkeit, dass morgen früh Oberst Borojević mit uns frühstücken würde. Sie sagte ihm auch, als hätte sie es schon damals gewusst, dass Nedeljko weder ihr Mann mehr sei noch mein Vater, sondern nur noch Offizier der Jugoslawischen Volksarmee. Meine Ahnung, dass beim Frühstück außer fein geschnittenem Käse und Wurst nichts Gutes in Aussicht stand, wurde durch Mutters mitternächtlichen Spaziergang bestätigt, der im Hotelrestaurant begann und endete, wo sie eine Schachtel Zigaretten rauchte und ihren ersten Weinbrand trank. Dann rief sie mich von der Rezeption aus an, ich solle zu ihr kommen und eine Cola mit ihr trinken. Es war halb zwei Uhr morgens, als ich mit meiner Mutter in der leeren Hotelhalle saß, mein zweitliebstes Getränk trank und sie beobachtete, während sie eine Zigarette nach der anderen rauchte. Um zwei bestellte sie noch einen Weinbrand, ohne mich zu fragen, ob ich auch noch etwas trinken will, und nicht einmal der müde Kellner fragte mich, der ihn ihr ohne unnötige Worte brachte. Um halb drei schlug meine Mutter vor, dass wir, wenn sie ausgeraucht hat, schlafen gehen, und um zehn vor drei machten wir uns endlich ins Zimmer auf und legten uns daraufhin auch gemeinsam ins Bett, aber ich bin überzeugt, dass sie in dieser Nacht kein Auge zugetan hat. Am Morgen hatten wir bereits gefrühstückt, als mir Nedeljko über den Kopf strich und sich an den Tisch setzte. Meine Mutter fragte ihn, ob er hungrig sei, doch er schüttelte den Kopf. Es stellte sich heraus, dass uns anstelle meines Vaters diese Stimme aus dem Telefonhörer besuchte und mir dämliche Fragen stellte, die ich ihm bereits am Telefon mindestens achtzehnmal beantwortet hatte. Als ihm die Fragen ausgingen, verstummte er und saß nur noch mit uns da in der Stille, und auf meine


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einzige Frage, wann wir wieder nach Hause gehen, zuckte er nur die Achseln. Dann bat mich meine Mutter, dass ich ins Zimmer gehen soll, weil sie und mein Vater sich ernsthaft unterhalten müssen, ein Satz, den ich schon seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Als ich noch kleiner war, wollten sie nicht vor mir streiten und schickten mich regelmäßig in mein Zimmer, doch jetzt nahmen sie bei ihren Streitereien schon lange keine Rücksicht mehr auf mich, wahrscheinlich überzeugt, dass ich bereits alt genug sei, um die wirkliche Welt kennenzulernen. Mir wurde also bewusst, dass die ernsten Dinge jetzt noch viel ernster waren als sonst und dass sie leise, fast schon flüsternd miteinander sprechen würden, vielleicht sogar leiser als damals, als sie über Tante Enisa gesprochen hatten, als diese im Krankenhaus gewesen war. Darum stand ich wortlos auf und ging ins Zimmer, ohne mich wirklich von meinem Vater zu verabschieden. Ich rutschte etwa eine Stunde lang ungeduldig auf dem Bett herum und zappte durch die Kanäle, ehe meine Mutter schließlich wieder ins Zimmer kam. Sie ging direkt ins Badezimmer, und als sie einige Minuten später wieder herauskam, ließ sie, während sie etwas in ihrem Koffer suchte, nebenbei fallen, dass wir am nächsten Tag nach Novi Sad gehen würden. Zu Onkel Danilo. Ich nickte und fragte nicht, wer Onkel Danilo war, weil ich nur zu gut wusste, dass das nicht die richtige Zeit war für Fragen, geschweige denn für Antworten. ××× Meine Mutter brauchte, während sie unseren Berg an Sachen im Zimmer 211 zusammenpackte, jemanden, der ihr widersprochen hätte, jemanden, dem sie all ihre Argumente ins Gesicht schütten hätte können und sich somit selbst überzeugt hätte, dass Onkel Danilo in Novi Sad, Vaters Cousin zweiten Grades, die beste vorübergehende und provisorische Wahl war, die wir hatten. Sie brauchte das, habe ich jetzt den Eindruck, weil sie dem allem nicht im Geringsten glaubte und darum auf meinen Vater und auf sich wütend war, weil sie sich erlaubt hatte, sich in eine Lage zu bringen, die sie selbst nicht mehr kontrollieren konnte und in der sie bald vollkommen auf Unbekannte angewiesen sein würde. Ich aber schwieg, weil ich Angst hatte, denn ich war es nicht gewöhnt, unbekannte Menschen zu besuchen, und ich befürchtete, dass ich dort


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kein eigenes Zimmer haben würde. Noch mehr aber hatte ich Angst davor, dass dort bei Onkel Danilo meine novisadischen Altersgenossen hausen, die mich abschätzig anschauen und jede meiner Bewegungen aufmerksam beobachten werden, auf einen Fehler wartend, der mich dann noch teuer zu stehen kommen würde. Ich fürchtete mich vor ihnen, diesen novisadischen Zehn- bis Zwölfjährigen, ich fürchtete mich davor, mich vor ihnen zu beweisen und vor dem unerbittlichen Kampf, damit sie mich als Ebenbürtigen in ihren Kreis aufnehmen. Aber meine Mutter hatte keine Zeit für meine Ängste, schließlich hatte sie mit ihren eigenen genug zu tun. Sie konnte mich nicht trösten, weil sie, das weiß ich jetzt, sich selbst tröstete und sich selbst immer wieder vorsagte, dass alles gut wird, denn Danilo ist schließlich unsere Familie und das bedeutet bei diesen Leuten etwas, dass das nicht so ist wie bei den Podlogars und dass sie uns wahrscheinlich wärmstens empfangen werden und dass wir freundlich sein müssen und dankbar und dass wir jetzt keine andere Wahl haben, weil wir warten müssen, dass dieser Ausnahmezustand vorbeigeht und mein Vater zurückkommt und wir dann gemeinsam zurückgehen nach Pula. Doch als mein Vater am Abend am Telefon verkündete, dass er ins „Terrain“ gehen würde und deswegen nicht nach Belgrad kommen und uns nach Novi Sad begleiten könne, wie er das noch am Morgen versprochen hatte, explodierte meine Mutter endlich, brach am Boden des Zimmers 211 zusammen und weinte. Ich wollte mich an sie drücken, etwas von ihrem Schmerz übernehmen, den ich nicht verstand, doch sie wich zurück, als hätte sie Angst, mich mit ihrer Verzweiflung anzustecken. Ihr Mut, so schien es mir zumindest, verschwand an jenem Tag im Hotel Bristol unwiderruflich. Sie war eine besiegte Frau, die endgültig erkannt hat, dass sie in dieser Geschichte allein geblieben ist. Ich weiß nicht, ob sie schon damals ahnte, dass der Ausnahmezustand niemals enden wird, aber ich bin überzeugt, dass ihr sechster Sinn das Grauen wahrnahm, das sich näherte, und dass sie sich, dort zwischen unseren Kartons und Koffern sitzend, endgültig als eine Frau auf der Flucht entpuppt hat, die danach noch jahrelang vor allem davonlaufen wird, was sie auf den Boden des Zimmers 211 geworfen hat. ××× Meine Mutter betrat die Wohnung von Danilo Radović im vierten Stock des Gebäudes in der Žarko-Vasiljević-Gasse in unmittelbarer Nähe des


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Riblja-pijaca-Platzes im Vorhinein mit allem abgefunden, was sie in dieser Wohnung erwartete. Mich überfiel neben ihr, die nicht in der Lage war, mir zumindest ein bisschen Mut zu machen vor der drohenden Konfrontation mit der entfernten Verwandtschaft, die größte Angst, die ich je verspürt hatte. Als wir schließlich in der Vasiljevićeva 2 ankamen, machte ich mir vor dieser Angst fast in die Hosen, mein Herz pochte wie noch nie zuvor, meine Beine zitterten, meine Handflächen waren schweißnass, sodass mir einer der Kartons zweimal nacheinander zu Boden fiel. Ich hätte mich am liebsten mitten in Novi Sad, wie meine Mutter am Tag zuvor in Belgrad, auf den Boden gesetzt und geweint. Und wahrscheinlich hätte ich das auch getan, wenn da nicht schon Onkel Danilo angerannt gekommen wäre, uns umarmt und geküsst und gebrüllt hätte, wie er danach bis zu jenem Tag brüllen würde, an dem meine Mutter und ich ihn bitten würden, uns zur Bushaltestelle zu bringen und uns in den Autobus nach Ljubljana zu setzen. Sein Gebrüll rettete mich in diesem Augenblick also vor einem Ohnmachtsanfall, noch mehr aber seine starken Hände, die mich hinter sich her zogen und mich zur Eingangstür seines Wohnhauses zerrten und über die Treppen hinauf in den vierten Stock und mich schließlich noch durch die Tür in die Wohnung schubsten. Danilo wiederholte währenddessen ständig, ich soll meine Sachen jetzt lassen, dass man sie schon nach oben bringen wird, dass ich mir keine Sorgen machen soll, dass nur wichtig ist, dass meine Mutter und ich gesund und munter und hier bei ihnen sind. Und natürlich, dass ich „wie mein Vater Nedeljko bin, als er zwölf Jahre alt war und als die beiden zusammengelebt haben und wie zwei Brüder waren“. So fanden meine Mutter und ich uns zwischen den Radovićs wieder, den ersten Verwandten, die ich je kennenlernte. In der Tür erwarteten uns neben Danilo sauber aufgereiht auch seine Frau Sava, ihre siebenjährige Tochter Jovana und der zehnjährige Sohn Mišo. Um die Freude so groß wie möglich zu machen, war noch die Nachbarin Kosa mit ihrem Mann Risto und ihrer Tochter Nataša da, die ein bisschen älter war als ich. Meine Mutter und ich waren also der achte und neunte Bewohner dieser höchstens fünfzig Quadratmeter großen Wohnung, denn Kosa, Risto und Nataša verbrachten hier mehr Zeit als in ihrer Wohnung auf der anderen Seite des Gangs. Unsere Ankunft unterbrach diese nachbarliche Idylle nur für einige Augenblicke, gerade so viel, dass mich alle der Reihe nach dreimal auf die Wange


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küssen und uns unzählige Male fragen konnten, ob wir hungrig sind, ob wir Kaffee oder Saft wollen und ob wir müde sind. Dann zeigten sie uns zwei Matratzen am Schlafzimmerboden und erklärten uns, dass wir im Zimmer von Mišo und Jovana schlafen würden, die sich in Danilos und Savas Ehebett zusammendrängen würden, und fragten uns zwischen alldem durcheinander und nacheinander noch nach meinem Vater, und nach Pula und Belgrad und noch einmal nach Vater, Pula, wieder Belgrad und wieder Vater. ××× Nach diesem Einzugsritus und ein paar unausweichlichen Häppchen begannen die Nachrichten, und das Empfangskomitee platzierte sich wie auf Befehl um den zu lauten Fernseher und verstummte für kurze Zeit sogar. So erfuhr ich, dass in Slawonien, also dort, wohin mein Vater ins „Terrain“ gegangen war, die Jugoslawische Volksarmee die verfeindeten Seiten zu beruhigen versuchte. Welche Seiten das sein sollten und wer überhaupt verfeindet war, konnte ich damals nicht herausfinden, denn Danilo und Risto begannen auf einen Politiker einzubrüllen und kurz darauf noch aufeinander, im Bestreben, den Fernsehsprecher zu übertönen, der den Zusehern eine enorm wichtige Neuigkeit erzählte. Daraufhin fielen noch die ebenso lauten Sava und Kosa in die Debatte ein, und bald darauf schrie alles durcheinander, und ich konnte aus ihrem Gebrüll nur heraushören, dass Sava und Danilo überzeugt waren, dass Risto und Kosa Ristos Eltern zu sich nach Novi Sad bringen müssten, Risto aber lehnte das mit den Worten ab, „dass die Gojkovićs dort bleiben werden, wo sie auch geboren wurden“. Den Rest dieser „Unterhaltung“ verstand ich nicht wirklich, weil es um Politik ging und alle über Serben, Kroaten und Slowenen redeten und alles zusammen klang wie ein Bericht von einem interrepublikanischen Sportwettkampf. Ich begriff nur, dass diese Leute, je weniger ich nicht verstehe, worüber sie reden, desto lauter schreien und wütender werden. Ich saß auf der Couch und drückte mich erschrocken an meine Mutter, die die ganze Zeit über versuchte fernzusehen und nicht einmal reagierte, als Danilo mit beiden Händen, wahrscheinlich, um seine Meinung so anschaulich wie möglich zu untermauern, auf den Tisch schlug. Neben mir saß die kleine Jovana und aß Brot mit Argeta-Pastete, sodass die Brotkrümel schon im ganzen Zimmer verteilt waren, und benahm sich wie meine Mutter so,


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als würde um sie herum nichts Besonderes passieren. Nur als Danilo mit seinem Schlag auf den Tisch ihre Milch im Glas verschüttete, schärfte sie ihrem Vater ein, dass er jetzt alles selbst aufwischen muss, worauf alle lachten, und Danilo drückte seine Tochter stolz an sich und küsste sie. Am anderen Ende des Zimmers saß Mišo und beobachtete die ganze Zeit interessiert seine Eltern, und ab und zu streifte er mit ähnlichem Interesse auch mich und meine Mutter. Über den Bildschirm spazierten an diesem Tag so viele Polizisten, Soldaten und Politiker, dass mir bis zum Abend schön langsam dämmerte, dass die Situation sehr ernst war. Risto und Danilo kommentierten das Geschehen die ganze Zeit lautstark, forderten sich ohne Zurückhaltung gegenseitig auf, es sich selbst zu machen, schenkten sich Rakija ein und prosteten sich zu. Danilo schwor dazwischen mindestens dreimal bei seinem „einzigen Sohn“, und Risto wiederholte fünfmal die Phrase „bei meiner mir geborenen Tochter“, doch der eine konnte den anderen nicht einmal mit der loyalen Hilfe seiner Frau um einen einzigen Millimeter bewegen, sondern sie wiederholten nach ein paar Stunden noch immer dieselben Sätze. Und Risto verkündete für die erlesene Gesellschaft wieder, dass „die Gojkovićs dort bleiben werden, wo sie geboren wurden“, und Danilo stellte sich sowieso den ganzen Abend die rhetorische Frage, „wieso die Slowenen ihre Meinung vor sich hertreiben können, die Serben dürfen das aber nicht?“. 
Irgendwann erschien auch Slobodan Milošević am Bildschirm, und mir war mit einem Mal klar, dass man seine Worte in der Wohnung der Radovićs nicht unterbricht und nicht mit ihnen polemisiert. Sein Denken wurde adoptiert, als das eigene angenommen und dann den ganzen Abend über wiederholt, weil Slobo immer genau das sagte, was Danilo und Risto dachten, was sie aber nicht so klar und so gescheit artikulieren konnten. Nur Sava verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf, und als würde sie sich dafür entschuldigen, erklärte sie, dass sie sich nicht helfen kann, aber dass er etwas Unheimliches an sich hat, dass sie Angst hat, wenn sie ihn sieht, wahrscheinlich, weil sie sich von jeher vor Menschen fürchtet, die so extrem intelligent sind. Nataša aber rollte nur die Augen, während Danilo die Anwesenden schon total panisch darauf hinwies, sich zu beruhigen und still zu sein, damit er jedes seiner Worte hören kann, und beklagte sich darüber, dass sie „diesem alten Sack“ zuhören muss, dem man schon vom Flugzeug aus ansieht, dass er „nicht alle beisammen hat“.


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Wir Kinder mussten vor Slobo in der Küche Zuflucht suchen, und dort aßen wir auch zu Abend, und Mišo und ich wechselten endlich die ersten Worte. Er fragte mich, ob ich heuer schon schwimmen gewesen sei, und ich sagte, nur einmal, und er meinte, dass er, wenn er am Meer leben würde, schon im Mai schwimmen gehen und jeden Tag zweimal schwimmen und überhaupt nicht mehr vom Strand weggehen würde. Nataša warf gelangweilt ein, dass er keinen Stuss reden soll, weil er nicht weiß, wie es ist, wenn man am Meer lebt, weil das anders ist, und sie zerstritten sich schnell darüber, wer besser wisse, wie es ist, am Meer zu leben. Jovana, die wieder Argeta und Brot aß, gab zu, noch nie am Meer gewesen zu sein, aber dass sie nächstes Jahr allein hingehen wird, wenn Mutter und Vater sie nicht bringen, und alle lachten, und diesmal küsste Kosa sie, die uns in der Küche ihrer Nachbarin bediente. Später gingen wir zurück ins Wohnzimmer, wo Risto und Danilo mit ihrer Polemik weitermachten und sich dabei schon konkret verrakisiert hatten, sodass sie immer überzeugter waren von dem, was sie redeten. Obwohl ihre Worte immer weniger Sinn ergaben und Risto jetzt wiederholte, dass „die Gojkovićs dort geboren werden, wo sie gelebt haben“, und Danilo schrie, dass „die Slowenen die Serben vertreiben dürfen, es aber nicht können“.

Anmerkung der Übersetzerin: Die kursiven Passagen markieren die Verwendung des Serbokroatischen im Original. © Beletrina © Übersetzung: Metka Wakounig

Ich glaube, dass ich, an meine Mutter gelehnt, die noch immer abwesend in den Fernseher starrte, irgendwie in dem Moment einschlief, als Risto, Danilo, Sava und Kosa gemeinsam feststellten, „dass Tito die Serben schon immer gehasst hat“, und Danilo, wahrscheinlich die Tatsache vergessend, dass meine Mutter Duša neben ihm saß, den großen Abschluss seiner abendlichen „Auslegung“ ausführte und triumphierend herausplatzte: „Scheiß auf die Slowenen. Meinetwegen sollen sie sich zusammenpacken und sich gemeinsam mit ihrem Staat nach Afghanistan schleichen. Ich war in Bled und muss nicht noch einmal hin. Ich scheiß auf alle und auf diesen ihren Schnauzer, wie heißt er noch nochmal ... Drnovšek, ich scheiß auf sie, diese beschissenen Arschlöcher afghanistanischen.“



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ÜbersetzerInnen

Hendrik Jackson (geb. 1971) brachte seit dem Erstling Einflüsterungen von seitlich im Jahr 2001 vier weitere Gedichtbände heraus und wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium und dem Wolfgang-Weyrauch-Preis. Sein letzter Gedichtband Im Licht der Prophezeiungen, kookbooks 2013, illustriert von Andreas Töpfer, erhielt den Preis der Stiftung Buchkunst als eines der 25 schönsten Bücher Deutschlands 2013, und die Kritik schrieb begeistert, Jacksons neuer Gedichtband hielte „eine Fülle an Formen und Bildwelten bereit. Vom experimentellen Prosagedicht bis zum guten, alten Endreim.“ Ruhm erlangte Jackson auch als Übersetzer von Marina Zwetajewa und als luzider Lyrikkritiker und Performer (http://parlandopark.wordpress. com/), der mit Tönen arbeitet. Im Jahr 2002 gründete er das Portal www. lyrikkritik.de, das er mit vielen Mitarbeitern bis heute gestaltet. Kontakt: hendrikjackson@gmx.de Daniela Kocmut (geb. 1980), Übersetzerin und zweisprachige Autorin. Lebt in Graz und ist als Redaktionsmitglied bei der Literaturzeitschrift LICHTUNGEN, sowie als Slowenisch-Lektorin bei Urania und treffpunkt sprachen an der Universität Graz tätig. Seit 2013 ist sie Werkstattleiterin des internationalen Übersetzungsprojekts „TransStar Europa”. Seit 2004 Übersetzungen literarischer und fachlicher Texte in den Sprachen Deutsch, Slowenisch, Englisch und Kroatisch. Sie übersetzte u. a. Drago Jančar, Katarina Marinčič, Maruša Krese, Veno Taufer, Marjan Tomšič, Zofka Kveder, Stanka Hrastelj. Sie schreibt in deutscher und slowenischer Sprache. 2013 erschien ihr Erstlingswerk zwiesprachig. GeDICHte beim Leykam Verlag, das mit dem Literaturpreis der Steiermärkischen Sparkasse ausgezeichnet wurde. Kontakt: daniela_kocmut@hotmail.com Rosemarie Linde (geb.1964), Übersetzerin, Gerichts- und Konferenzdolmetscherin. Studium der Germanistik in Ljubljana und des Konferenzdolmetschens in Graz. Übersetzt Prosa, Hörspiele (Žarko Petan) und Philosophische Schriften aus dem Slowenischen, dolmetscht Literaturveranstaltungen


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(Literaturfestival Vilenica, Literaturhaus Hamburg mit Boris Pahor), lehrt Übersetzen und Dolmetschen an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Kontakt: rosemarie.linde@gmail.com Ana Jasmina Oseban (geb. 1978), Studium des Übersetzens und Dolmetschens in Maribor und Graz und der Sozialpädagogik in Ljubljana. Übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Deutschen, B/K/S und Englischen u. a. Christa Wolf, Heinrich Böll, Joseph Roth, Franz Grillparzer, Robert Musil, Rose Ausländer. 2013 erhielt sie für ihre Übersetzung des Romans Blumenberg von Sibylle Lewitscharoff den slowenischen Nationalpreis für junge Übersetzer „Radojka Vrančič“. Diverse Stipendien und Übersetzungsprämien, im Jahr 2013 Translator in Residence im Europäischen Übersetzerkollegium Straelen, NRW. Schreibt Lyrik auf Slowenisch und Deutsch (Veröffentlichungen u. a. im Slowenischen Rundfunk, Poetikon und Locutio). Kontakt: anajasmina.oseban@gmail.com Urška Potočnik Černe (geb. 1971), aufgewachsen in einer slowenischhessischer Familie, ist Komparatistin, Germanistin und Juristin. Sie übersetzt seit 1998 Lyrik, Prosa, Theaterstücke und Fachtexte aus dem Deutschen und in Tandems auch ins Deutsche. Lehrbeauftragte an der Universität Maribor. Seminarmentorin »Literarisches Übersetzen Premuda« am ITAT Graz. Leiterin des Pranger Poesiefestivals. 2008 erhielt sie den slowenischen Nationalpreis für literarische Übersetzung (Andreas Maier, Wäldchestag). In den Jahren 2010 (Durs Grünbein, Poesie) und 2013 (Kevin Vennemann, Mara Kogoj) erhielt sie nationale Prämien für übersetzerische Leistung. Vielfach prämiert im Ausland, zuletzt Translator in Residenz in der Schweiz und auf Gut Siggen BRD. Kontakt: gorus@s5.net Metka Wakounig (geb. 1983), wuchs zweisprachig in Kärnten/Koroška auf und studierte Translationswissenschaften und Germanistik in Graz und Bristol. Ist als freie Übersetzerin und Lektorin sowie als Veranstaltungsbetreuerin und Verlagsmitarbeiterin tätig. Sie lebt und arbeitet in Wien. Aus dem Slowenischen übersetzte Lyrik und Prosa u. a. Marjan Rožanc, Marjan Tomšič, Boris Pahor, Lipej Kolenik, Anton Haderlap, Goran Vojnović, Katja Perat, Nataša Kramberger, Tadej Golob.


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Kurzprosa: Kurzgeschichten in Wien schön trinken (2013, Milena Verlag) und Radfahren schön trinken (2014, Milena Verlag) sowie in der slowenischsprachigen Literaturzeitschrift Rastje (2013). Kontakt: marj.wak@gmx.at Sebastian Walcher (geb. 1981), Slawistikstudium in Graz und Ljubljana. Lebt und arbeitet als Übersetzer und Dolmetscher für die Sprachen Deutsch und Slowenisch (u. a. Botschaft der Republik Slowenien in Österreich, Kärntner und Steiermärkische Landesregierung, Artikel-VIIKulturverein für Steiermark, Joanneum, Leipziger Buchmesse, ÖSHK, Internationales Städteforum, Zentrum für slowenische Literatur in Ljubljana, MKC Maribor, Styriarte), sowie als Moderator ein- und mehrsprachiger Veranstaltungen in Graz. Übersetzte Literatur zahlreicher slowenischer Autoren ins Deutsche u. a. Svetlana Makarovič, Berta Boetu, Stanka Hrastelj, Andrej Skubic, Peter Svetina, Dušan Šarotar, Marko Sosič, Marjan Pungartnik, Nino Flisar, Lidija Gačnik Gombač. Kontakt: sebastian.walcher@gmx.at Uljana Wolf (geb. 1979), lebt als Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin in Berlin und New York, wo sie u. a. am Pratt Institute Seminare zu Poesie und Übersetzung unterrichtete. Sie studierte Germanistik, Kulturwissenschaft und Anglistik in Berlin und Krakau. Bisher veröffentlichte sie vier Gedichtbände und zahlreiche Lyrikübersetzungen, vor allem aus dem Englischen. Ihre Gedichte wurden in einige Anthologien aufgenommen, in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Peter-Huchel-Preis 2006, dem Dresdner Lyrikpreis 2006, dem RAI-Medienpreis beim Lyrikpreis Meran 2008. Uljana Wolf war zudem Mitherausgeberin des Jahrbuchs der Lyrik, erschienen 2009 beim S. Fischer Verlag. Kontakt: uljana.wolf@gmail.com


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Javna agencija za knjigo / Die Slowenische Buchagentur

Kontakt: Javna agencija za knjigo Republike Slovenije Metelkova 2b 1000 Ljubljana Slowenien Tel: +386 1 369 58 20 Fax: +386 1 369 58 30 E-Mail: gp.jakrs@jakrs.si Webseite: http://jakrs.si/eng

Die Slowenische Buchagentur ist eine unabhängige staatliche Institution mit der Aufgabe und Funktion, als einer der Hauptförderer die slowenische Literatur und das Verlagswesen zu unterstützen. Die Buchagentur arbeitet sowohl national als auch international und ist auf allen Ebenen an der Buchproduktion beteiligt. Förderung der slowenischen Literatur im Ausland 1. Slowenische Stände auf den Buchmessen in Frankfurt, Bologna, Leipzig usw. 2. Jährliches Übersetzerseminar für ÜbersetzerInnen slowenischer Literatur (16 Teilnehmer). 3. Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen und Fachberatung. 4. Jährliche Ausschreibung: Reisekostenzuschuss für slowenischsprachige AutorInnen, die zu einer literarischen Veranstaltung im Ausland eingeladen sind. Es werden ausschließlich Eigenbewerbungen der AutorInnen akzeptiert. Die Buchagentur übernimmt bis zu 100 % der Reisekosten. 5. Jährliche Ausschreibung: Übersetzerförderung für Probeübersetzungen aus dem Slowenischen in andere Sprachen. Berücksichtigt werden Werke aus den Bereichen Belletristik und Essay. Bewerben können sich die Inhaber der Autorenrechte der Originaltexte im Slowenischen. 6. Jährliche Ausschreibung: Übersetzerförderung für Übersetzungen aus dem Slowenischen. Berücksichtigt werden Werke aus den Bereichen Belletristik, Kinder- und Jugendliteratur, Essay und Literaturkritik in Kultur und Geisteswissenschaften, Theaterstücke und Comics. Bewerben können sich ausländische Verlage und Theater sowie ÜbersetzerInnen. Der Vertrag wird mit dem Übersetzer bzw. der Übersetzerin abgeschlossen.


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Trubarjev sklad / Der Trubar-Fonds

Kontakt: Društvo slovenskih pisateljev/Trubarjev sklad Tomšičeva 12 1000 Ljubljana Slowenien

Der Trubar-Fonds wurde auf eine gemeinsame Initiative des Slowenischen Schriftstellerverbandes, des Slowenischen P.E.N.Zentrums und des Zentrums für slowenische Literatur mit der Aufgabe der Förderung von Übersetzungen slowenischer Literatur gegründet. Verlagsförderung: Druckkostenzuschuss für Übersetzungen aus dem Slowenischen

Tel: +386 1 251 41 44 Fax: +386 1 421 64 30 E-Mail: dsp@drustvo-dsp.si Webseite: www.drustvopisateljev.si

Bewerben können sich ausländische Verlage, die eine Übersetzung eines belletristischen Werkes aus dem Slowenischen herausgeben wollen, unter der Bedingung, dass dieses Werk vor dem Jahr der Bewerbung in dieser Sprache noch nicht veröffentlicht wurde. Der Trubar-Fonds kann bis zu 50 % der Druckkosten übernehmen. Der Beirat entscheidet über alle eingetroffenen Bewerbungen, wobei die Werke der noch lebenden, in Slowenien bereits gestandenen Autoren und Autorinnen bevorzugt werden. Berücksichtigt werden Werke in den Bereichen Belletristik, Lyrik, Dramatik und Essays über Literatur. Der Beirat setzt sich aus sieben gleichberechtigten Mitgliedern zusammen, darunter den Präsidenten des Slowenischen Schriftstellerverbandes und des Slowenischen P.E.N.‑Zentrums. Die Auswahl findet zweimal jährlich statt, für gewöhnlich im März und Oktober. Am Schnellsten werden die Bewerbungen berücksichtigt, die bis Ende Februar bzw. Ende September eingetroffen sind.


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TRADUKI

Kontakt: Geschäftsstelle TRADUKI S. Fischer Stiftung Neue Grünstraße 17 D-10179 Berlin Deutschland Tel.: +49 30 847 1211 22 Fax: +49 30 847 1211 19 E-Mail: geschaeftsstelle@traduki.eu Webseite: www.traduki.eu

Ein europäisches Netzwerk für Literatur und Bücher, an dem Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Deutschland, Kosovo, Kroatien, Liechtenstein, Mazedonien, Montenegro, Österreich, Rumänien, die Schweiz, Serbien und Slowenien beteiligt sind. Verlagsförderung: Übersetzerkosten und Lizenzgebühren Im Rahmen von TRADUKI werden Übersetzungen aus dem Deutschen ins Albanische, Bosnische, Bulgarische, Kroatische, Mazedonische, Montenegrinische, Rumänische, Serbische und Slowenische, aus diesen Sprachen ins Deutsche sowie zwischen diesen Sprachen gefördert. Berücksichtigt werden Werke des 20. und 21. Jahrhunderts aus den Bereichen Belletristik, Sachbuch sowie Kinder- und Jugendbuch. TRADUKI finanziert die Lizenzgebühren und das Übersetzerhonorar. Die Programmjury entscheidet zweimal jährlich über die eingetroffenen Bewerbungen.


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SKICA

Kontakt: SKICA Kolingasse 12 A-1090 Wien Österreich Leiterin: Ana Novak E-Mail: office@skica.at Webseite: www.skica.at

Das Slowenische Kultur- und Informationszentrum SKICA ist das erste slowenische Kulturinstitut im Ausland. Gegründet im Jahr 2011, ist SKICA ein Vorläufer für weitere ähnliche Einrichtungen Sloweniens in anderen Ländern der Welt. SKICA vernetzt und vermittelt, fördert neue Trends in Kunst und Kultur und unterstützt Kooperationen zwischen den KünstlerInnen und Kulturschaffenden im Austausch zwischen Slowenien und Österreich. Mit unterschiedlichen Projekten der Literaturvermittlung, öffentlichen Veranstaltungen und Publikationen slowenischer Literatur in deutscher Übersetzung, ist SKICA auch ein wichtiger Promoter der zeitgenössischen slowenischen Literatur – in Österreich und dem gesamten deutschsprachigen Raum.


Für diese Zusammenstellung: © 2014 SKICA Slowenisches Kulturinformationszentrum, Wien Für die Selfies: © Die jeweiligen AutorInnen Für das Foto von Maruša Krese: © Jakob Weidner Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der Vervielfältigung, liegen bei den jeweils angegebenen Rechteinhabern. Redaktion: Ana Novak und Ana Jasmina Oseban Gestaltung und Satz: Barbara Predan, Pekinpah Titelfoto: Boris Benko Druck und Bindung: RemaPrint Wien

isbn: 978-3-9503927-0-8


Einblicke in die zeitgenรถssische slowenische Literatur SKICABUCH Einblicke in die zeitgenรถssische slowenische Literatur

isbn: 978-3-9503927-0-8

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