sisterMAG 28 – Kanariengelb & Elefantengrau – Sektion 3

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ELEFANTENGRAU & KANARIENGELB »Je grauer, je schlauer.« [Sprichwort]

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ELEFANTENGRAU

&

KANARIENGELB

Langsam aber sicher hält der Frühling auch hierzulande Einzug und wenn wir abends das Büro verlassen, ist es endlich wieder hell und die Vögel zwitschern. Da könnte es kaum passender sein, dass wir diese letzte Sektion unserer grau-gelben sisterMAG Ausgabe einer tierischen Kombination gewidmet haben: Elefantengrau und Kanariengelb. Die Knallfarbe gibt uns die Energie, die wir brauchen, um nach dem „Winterschlaf“ wieder voll durchzustarten, während das ruhige Grau uns erdet und zu Lese- oder Filmabenden einlädt. Für letztere haben wir auch einige Vorschläge parat, denn wir haben uns mit den ersten Tonfilmen – natürlich noch in allen möglichen Grauschattierungen – beschäftigt und wie diese die Rolle der Frau im Filmbusiness verändert haben und immer noch prägen. Und auch in der Literatur sind Elefanten und Vögel keine Unbekannten. Die sisterMAG Redaktion empfiehlt zwei Lieblingsschmöker – vielleicht könnt ihr diese schon an warmen Frühlingstagen im Park verschlingen? Weniger Parks und dafür viel mehr Stahl und Beton begegneten Bloggerin Mia von Heylilahey, die uns mit den Erfahrungen ihrer Weltreise mit auf eine Großstadtsafari von Tokyo bis nach Panama City nimmt! Ihr sehnt euch nach etwas mehr Ruhe, als sie euch in der Großstadt begegnen wür3

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de? Dann nehmen wir euch mit an den Rand der Stadt, wo wir einen Tag in gemütlichen – und schicken! – Rymhart Pullovern shooten durften. Der Frühling ist auch eine Zeit für Neuanfänge und fürs Flügge werden. Das erleben nicht nur Kanarienvögel und Co., sondern auch viele Familien, wenn die erwachsenen Kinder das Nest verlassen. Wir haben mit beiden Seiten gesprochen, wie es sich anfühlt, wenn Kinder ausfliegen. Und wenn der Trennungsschmerz zu hart wird? Dann braucht es vielleicht eine etwas dickere Haut. Was das eigentlich bedeutet und wieso wir „dickhäutig“ werden sollten, erzählt Life Coach Karin Krümmel im Interview. Ihr seht: von Yellow Press und gelben Karten im Frauenfußball bis zu grauer Literatur und Styleguides für Schreibtisch und Kleiderschrank haben wir für euch wieder einen bunten Themenstrauß zusammengestellt und hoffen, dass dieser euch an sonnigen wie regnerischen Apriltagen eine Freude bereitet. Und für alle Handwerkler unter euch möchten wir noch einmal auf unsere neue Video-DIY-Serie hinweisen, die es jeden Freitag auf unserem Facebook-Kanal (ABONNIEREN!) zu sehen gibt: kurze und super einfache Selbermachideen aus unserer sisterMAG Werkstatt – sofortige Erfolge sind hier garantiert. Wir freuen uns, wenn ihr diese teilt und so die #modernhandmade Idee mit euren Freund_innen und Follower_innen teilt! Bis bald in einem neuen Farbschema (welches das sein wird findet ihr „Berliner Blau“ auf Seite 153),

Euer sisterMAG Team SISTER-MAG.COM

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ELEFANTENGRAU

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KANARIENGELB

Bleib in Kontakt

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FOLGT UNS!

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SISTERMAG28 – WAS BISHER GESCHAH? Jede Ausgabe von sisterMAG besteht aus mehreren Sektionen, die alle zum gleichen Farbschema / Oberthema erscheinen. Hier seht ihr die beiden Sektionen, die zu »GRAU UND GELB« bereits publiziert wurden.

MARMORGRAU & ASCHBLOND

2017 wird bunt! Zumindest für sisterMAG. Dieses Jahr haben wir uns dazu entschieden, jede Ausgabe Leitfarben zu widmen. In der ersten sektion dreht sich demnach alles um »Marmorgrau und Aschblond«. Passend dazu beleuchten wir unter anderem althistorische Marmorkunst und erfahren alles über blondes Haar und das Leben als Blondine. Außerdem haben wir mit unserem Partner SCHOTT CERAN einen Blick in die Zukunft von Küchen und Essen geworfen.

NEBELGRAU UND SAFRANGELB

In der zweiten Sektion dreht sich demnach ­alles um »Nebelgrau und Safrangelb«. Dieser spannende Kontrast führt uns von nebligen Wanderwegen in Brandenburg oder Schottland bis ins farbenfrohe Indien. Wir kosten köstliche Safranrezepte, finden heraus, wo das Gewürz eigentlich herkommt und gruseln uns zu den schönsten Spukgeschichten.

Einfach wieder aufs Inhaltsverzeichnis zurückspringen? Klick auf den grauen Button! 6


ELEFANTENGRAU

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KANARIENGELB

S E I T E 96

S E I T E 124

INHALTVERZEICHNIS 28 SEKTION 3 02 08

EDITORIAL KONTRIBUTORENVERZEICHNIS & TEAMÜBERSICHT

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153 VORSCHAU AUF DIE NÄCHSTE AUSGABE

KANARIENGELB

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DER FASHION GUIDE Saskia Hilgenberg (@rockzipfel) zeigt, wie man Gelb & Grau trägt

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WAS WIR VON VÖGELN &

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AUSGEFLOGEN Wir fragen bei Eltern nach: Wenn Kinder flügge werden

» ACH, SCHÖN IST DAS GELB«

Die Lieblingsfarbe vieler Künstler wird erforscht von Kunsthistoriker Robert Eberhardt YELLOW PRESS – VON DORF­

SIP Barbara Eichhammer schaut in die Geschichte des Geschwätzes

FUSSBALL BEDEUTET LEIDEN­ SCHAFT & NEUGIER sisterMAG im Gespräch mit der ehemaligen Fußballnationalspielerin Nadine Angerer

ELEFANTEN LERNEN KÖNNEN

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ELEFANTENGRAU

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GESCHWÄTZ BIS CYBER-GOS­

VON GELBEN KARTEN UND KAFFEESERVICES Eine Geschichte des Frauenfußballs

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DICKHÄUTIG WERDEN Interview mit Psychologin Karin Krümmel ABENTEUER GROSSSTADT­S AFARI Bloggerin Mia (@heylilahey) erforscht und vergleicht für uns Tokios Winter mit dem sonnigen Panama ZURÜCK IN DIE ANALOGZEIT? Wir stellen Grafikdesignerin Christine Herrin und ihr Projekt im Rahmen der Adobe Creative Residency vor: Erinnerungen festhalten & Alltägliches dokumentieren


#28

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GRAUBROT AUF SEINE SCHÖNSTE

DAS COVER

ART & WEISE Drei Rezepte für den Krustenklassiker

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WARME PULLOVER AN

Zoë Noble

GRAUEN TAGEN Wir zeigen, wie man die klassischen Troyer-Pullover von Rymhart modisch stylt mit sisterMAG-DIY Mode

MAKEUP & HAIR

DIE FILM-ÄRA DER FRAUEN Frauenrollen in Schwarz-Weiß-Filmen von Julia Laukert

Jeannette Mokosch

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VOM BOB DYLAN DER MATHEMATIK Graue Freiheit in der Wissenschaft von Dr. Ulrich Herb SCHREIBTISCH MIT STIL Ein Arbeitstag in Grau & Gelb mit Stylistin Juliane Röthig von indecorate.de

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FOTOS

Aennikin

MODEL KLEID Evi Neubauer I L L U S T R AT I O N Alice Williamson / Designed By Alice


ELEFANTENGRAU

SISTERMAG

&

KANARIENGELB

TEAM

MARKETING & ADMIN

TONI Marketing & Finance

PA R T N E R S

ALEX Vermarktung

O P E R AT I O N S

THEA Chefredaktion & Design

K R E AT I O N

CHRISTINA Content Management

MARIE Design & Kreation

LALE Video & Design

SOPHIE EVI Fashion

SONGIE

Content Management

Design

FRANZISKA MEDEINE Video & Kreation

IRA Design

Content Management


KONTRIBUTOREN

TEXT Saskia Hilgenberg instagram.com/rockzipfel

Mia Marjanovic heylilahey.com

Ulrich Herb scinoptica.com

LEKTORAT Alex Kords kords.net

Christine Herrin christineherrin.com

Julia Laukert julialaukert.com

Robert Eberhardt

Barbara Eichhammer

roberteberhardt.com

die-kleine-schreibecke.de

Alex Kords kords.net Christian Naethler @iamvolta Antje Ritter das-korrektiv.de Dr. Michael Neubauer

sisterMAG Team

ĂœBERSETZUNG

HAIR & MAKEUP

STYLING

Tanja Timmer @tanjastweets

Patricia Heck patriciaheck.de

Evi Neubauer pinterest.com/evin

Alex Kords kords.net

Aennikin aennikin.de

Cesco Spadaro cescospadaro.com

Christian Naethler @iamvolta Franziska Winterling @franziefliegt Sabrina Bäcker SISTER-MAG.COM

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ELEFANTENGRAU

FOTOGRAFIE Saskia Bauermeister ohhedwig.com

&

KANARIENGELB

FOOD

ILLUSTRATION

Carole Poirot mademoisellepoirot.com

Ana Melo nabaroo.com/amalteia

Lale Tütüncübaşı @lale.yla

Mathilde Schliebe schlie.be

Zoe Noble zoenoble.com

Songie Yoon instagram.com/_sy.92 Alice Williamson designedbyalice.co.uk Ira Häussler @goldblackandi

#28 DOWNLOADS SCHNITTMUSTER

Oversize Militärmantel

Doppelreihiger Blazer & Flanellhose

Wickelrock

Lackfaltenrock

REZEPTE

Graubrot

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n o i sa h

FASHION GUIDE

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cooltone

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 DIE ERSTEN KÜHLEN FRÜHLINGSTAGE MÜSSEN NICHT NUR GRAU SEIN. MIT MANTEL UND ROLLI IN UNTERSCHIEDLICHEN GELBNUANCEN BEKOMMT JEDER KÜHLE TAG SEIN HIGHLIGHT.

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KANARIENGELB

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warmtone

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ELEFANTENGRAU

– ein ungleiches Paar. So selten wie Gelb in der Mode auftaucht, so häufig findet man Nuancen von Grau. Ebenso wie die Komponenten Schwarz und Weiß ist auch die Mischung daraus eine beliebte Modefarbe, mit der man auf Nummer sicher geht. So zumindest eine allgemeine Annahme, denn bei Gelb kommt schnell das Argument »steht mir nicht« ins Spiel. Doch eigentlich können genau so viele Typen Gelb wie Grau tragen. Auf den richtigen Ton kommt es nur an. GELB UND GRAU

GRAU IN GRAU UND AM BESTEN MIT AKZENTEN IN PINK. SO WIRD MAN EBEN KEIN GRAUES MÄUSCHEN.

VON SASKIA HILGENBERG

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J E A N S JACK E & OT H E R STORI E S

SONNE NB RI LLE &OTHE R STORI E S

HE M D Z A RA

ROLLK RAG E N K L EID H & M LA N G E R M A N T E L Z A RA

M I D I ROCK Z A RA

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H A U T TÖ N E

Kalte


ELEFANTENGRAU

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KANARIENGELB

Tendenziell gilt: KÜHLE HAUTTYPEN können eher KÜHLE TÖNE tragen, warme die warmen. Nun liegt nahe: Gelb ist eine warme Farbe, Grau kühl. Alles klar. Doch die Skala der Töne dieser Farben ist so groß, dass ihre Mischungen es allen Typen möglich machen, beide Farben zu tragen. Den blassen, beigen und bläuliche Hauttypen stehen reine GRAUMISCHUNGEN aus Schwarz und Weiß gut. Bei Gelb kommt es auf den richtigen Ton an. Kühle Gelbnuancen wie ZARTES PASTELLGELB, MILCHIGE GELBTÖNE, ZITRUS- ODER KANARIEN-

mit einem bläulichen oder grünlichen Unterton stehen ihnen ebenso. Wer sehr blass ist, sollte von grellen Gelbtönen Abstand nehmen. GELB

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KA ROH OS E Z AR A OV ERSI Z E D- JACK E ZA R A

RE G E N M A N T E L Z ARA K LE I D M I T ST I CK E RE I Z A R A

Kombiniert sehen zarte Gelbtöne gut zu gedeckten Farben aus, mit Beerentönen, dunklem Beige oder Braun. Zu Nuancen wie Senf, Safran oder Zitrustönen passen ebenso Beerentöne oder Flaschengrün. Klares Grau passt allgemein gut zu klaren, knalligen oder sehr kräftigen Farben.

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Warme

H A U T TÖ NE

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K EA LEY- JACK E SAM SOE & SA MSO E

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I LANA SW E AT E R W E E K DAY

CROP P E D S P I TZ E N OB E RTE I L ZARA

HOOD I E CA LV I N K LE I N

Reines Grau geht aus Schwarz und Weiß hervor. Doch wie es helle und dunkle Nuancen gibt, gibt es auch wärmere und kühlere Grautöne. Durch eine geringe Beimischung weiterer Farben entstehen neue Grauabstufungen, die deutlich wärmer ausfallen können. Und genau die tragen am besten die warmen Hauttypen. Denen übrigens auch KRÄFTIGES, LEUCHTENDES, WARMES GELB fantastisch steht. Ganz leicht haben es sehr dunkle Hauttypen oder eben knackig gebräunte Urlauber, denn ihnen steht quasi wirklich fast alles. Eine schöne Kombination ist ein GOLDIGES HONIGGELB MIT GREIGE (grau-beige), dazu noch ein leuchtend PINKFARBENER Lippenstift – perfekt.


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SHION

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KASC HM I RS CHAL LA LA B E RLI N JACKE I N WI LD LE D E ROP T I K Z A RA

T-S H I RT PAU L & J OE SI STE R S N E A K E R N EW BA LA N CE

G E LB E S SW E ATS H I RT Z A RA

N I K K I -H OS E N E W LOOK B LUS E ROS E TOP S H OP

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KANARIENGELB & ELEFANTENGRAU

& Y E


WAS WIR LERNEN KÖNNEN

n e t n a f e l E & n l Vöge WA S W I R V O N

LERNEN KÖNNEN

Elefantenfrau und Kanariengelb. Elefanten und Vögel. Die einen schwer, solide und beständig; die anderen klein, zart und stets im Begriff, davonzuflattern. Der Symbolik dieser Tiere hat sich auch die Literatur angenommen, und das in den letzten Jahren durch zwei meiner liebsten Autoren – Jodi Picoult mit » L E AV I N G T I M E « (dt. » D I E S P U R E N M E I N E R M U T T E R « ) und Donna Tartt in ihrem Wälzer » T H E G O L D F I N C H « (dt. » D E R D I S T E L F I N K « ). Was in diesen Romanen aus grauen Elefanten und goldenen Finken wird und warum die Bücher auch darüber hinaus absolut lesenswert sind … TEXT | FRANZI WINTERLING

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ELEFANTENGRAU

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KANARIENGELB

n e t n Elefa

A U F WA C H S E N MIT

Obwohl sie in New Hampshire, im Nordosten der USA, aufwächst, gehört der Umgang mit Elefan- In der Wildnis bleiben eine Elefanten zum Alltag für die junge Jen- tenmutter und ihre Tochter ein Leben na. Sie lebt in einem Elefantenre- lang in enger Nähe zueinander. Ich servat, in welchem die geretteten hoffe, dass ich dasselbe Glück haben werde. und häufig traumatisierten TieJ O D I P I C O U LT, re aus Zoos und Zirkussen einen friedlichen Lebensabend verbrin- » D I E S P U R E N M E I N E R M U T T E R « gen sollen. Denn Jennas Mutter erforscht die Tiere und ihren Umgang mit Trauer, der dem der Menschen so viel voraus zu ha- Jahre alt und kann nicht glauben, ben scheint. Bis sie eines Nachts dass ihre Mutter sie zurückgelasverschwindet, in einem myste- sen hat. Mit der unkonventionelriösen Vorfall, in dem auch eine len Hilfe einer Wahrsagerin, die Pflegerin ums Leben kommt. ihre Gabe scheinbar verloren hat, Jahre später ist Jenna dreizehn und einem Detektiv, der damals

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Eines der bemerkenswertesten Dinge am Trauern von Elefanten in der Wildnis ist ihre Fähigkeit, vollends zu trauern, aber dann wirklich und wahrhaftig loszulassen. Menschen scheinen nicht in der Lage zu sein, das zu tun. Ich habe immer geglaubt, das liegt an unserer Religion. Wir erwarten, unsere Liebsten in einem nächsten Leben wiederzusehen, was auch immer das sein mag. Elefanten haben diese Hoffnung nicht, nur ihre Erinnerungen an dieses Leben. Vielleicht macht es ihnen das leichter, weiterzugehen.

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ELEFANTENGRAU

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 DIE

SPUREN MEINER MUTTER, J O D I P I C O U LT

in dem Fall ermittelte, macht Jenna sich auf die Suche. Dabei kommt sie nicht umhin, sich auch mit den Forschungen ihrer Mutter zu deren liebsten Tieren, beinahe sogar erweiterter Familie, zu befassen. Und es scheint, als könnten nur die Elefanten mit ihrem berühmten Gedächtnis sie zu ihrer Mutter führen. Die Elefanten in Jodi Picoults Roman sind mehr als Tiere. Sie sind auch mehr als Metaphern, stehen nicht nur symbolisch für das eine oder andere. Sie sind vollwertige Charaktere, sie bereichern und bestimmen die Handlung durch ihre individuellen Geschichten ebenso wie jeder Mensch in diesem Buch. Ihre Geschichten von jahrelanger Tren-

nung, von Zusammenhalt und nicht selten auch von Verlust gehen mindestens so ans Herz wie die von Jenna und ihrer Mutter. Dabei zeigt sich auch immer wieder, wie Elefanten für uns alle zum Vorbild werden können: »Was ich in Wirklichkeit untersuchte, war nicht, wie Elefanten mit Verlust umgingen, sondern wie Menschen dies nicht konnten.«

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Ist nicht der einzige Sinn von Dingen, schönen Dingen, dass sie dich mit einer größeren Schönheit verbinden können? Diese ersten Bilder, die dein Herz weit öffnen und denen du für den Rest deines Lebens hinterherjagst oder versuchst, sie zurückzuerobern, auf die eine oder andere Weise?

EIN ANGEKETTETER

l e g o V

Obwohl Donna Tartts Roman über 1.000 Seiten dick ist (bitte davon nicht abschrecken lassen!), ist es kaum möglich, etwas über seine Handlung zu sagen, ohne zu viel zu verraten. Dieser Roman muss einfach gelesen werden, denn die zehn Jahre, die die Autorin an seiner Fertigstellung arbeitete, zeigen sich in jedem sorgfältig gewählten Wort, in jedem präzise komponierten Satz. Es geht um Theo, einen zu Beginn dreizehnjährigen Jungen, und wie ein unerwartetes Erlebnis an einem Tag, an dem er von der Schule suspendiert wurde, den Rest

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seines Lebens beeinflussen und verändern wird. Wir folgen Theo durch New York, gehen mit ihm nach Las Vegas, verbringen eine Nacht mit einem kleinen Hündchen in Bussen, auf dem Weg zurück in seine Heimatstadt. Wir fliegen gemeinsam nach Amsterdam, sehen das Unglück kommen, das dort auf ihn wartet, unfähig, ihn zurückzuhalten, so gerne wir es auch möchten. Wie fügt sich in all das nun ein Vogel ein? Der Distelfink ist hier tatsächlich kein echter Vogel, sondern ein Gemälde. Ein kleiner, golde-

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DER DISTELFINK, D O N N A TA RT T

ner Vogel, der angekettet auf einem Kasten sitzt und den Betrachter anblickt. Ist er traurig? Wütend? Enttäuscht von den Menschen, die ihn verraten haben? Oder gleichgültig, da er nie etwas anderes kannte? Der Distelfink ist möglicherweise sogar der Auslöser dieser Geschichte, sicher treibt er diese aber voran, lenkt sie und wird für Theo zu so viel mehr als nur ein Gemälde. Er wird sein Spiegelbild, im Wunsch, frei zu sein und davonzufliegen, aber gleichzeitig unfähig, die feinen Fesseln abzustreifen. Er wird seine Gesellschaft in einsamen Stunden, sein größter Schatz, für den es sich zu kämpfen lohnt. Denn in erster Linie ist dieser Roman wohl eine Liebeserklärung an die Kunst und wie ihre Schönheit es schaffen kann uns trotz aller Fesseln zu befreien.

Sie war der goldene Faden, der alles durchzog, eine Linse, die Schönheit so veränderte, dass die ganze Welt verzerrt dastand, im Vergleich zu ihr, und nur zu ihr. D O N N A TA RT T, »DER DISTELFINK«

Schönheit ist selten sanft oder tröstlich. Im Gegenteil, wahrhafte Schönheit ist vielmehr erschreckend.

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AUSGEFLOGEN

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Ausgeflogen Wenn Kinder flügge werden lllustrationen von MATHILDE SCHLIEBE Produktion von SOPHIE SIEKMANN

Man bekommt sie, man zieht sie groß, man erzieht und beschützt sie, man steht ihnen bei – und dann kommt der Tag X. Die Kinder ziehen aus. Das ist nicht nur für die Kinder selbst ein aufwühlender Prozess. Besonders für Mütter ist die Phase des Loslassens eine sehr intensive Zeit. Plötzlich ist das Haus leer, man hat viel mehr Zeit für sich selbst, die Kinder werden zu Gästen – eine Umstellung,

an die sich viele Mütter erst gewöhnen müssen. sisterMAG hat Mütter und Kinder gebeten, über ihre Erfahrungen des »Flüggewerdens« zu sprechen. Entstanden sind liebevolle, persönliche und ehrliche Berichte aus unterschiedlichen Perspektiven, die am Ende alle dieselbe Botschaft haben: Flügel zu haben ist wunderbar, solange man seine Wurzeln nicht vergisst.

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Foodbloggerin Lynn Hoefer (Heavenlynn Healthy) erzählt uns – gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren zwei Schwestern – über ihre Zeit des »Flüggewerdens«. Dagmar Hoefer (Mutter): 52, selbstständige Reiseveranstalterin und Fitnesstrainerin »Warte du erst einmal ab, bis es dich betrifft«, habe ich schon so einige Male zu hören bekommen. Und siehe da, nun ist es soweit: Wir, mein Mann und ich, sind alleine. Zum Glück geht es uns dennoch gut, und dafür bin ich unendlich dankbar. Oft denke ich an meine eigene Jugend zurück – Auszug, Studium, Au-Pair-Zeit in Amerika, meine Erfahrungen als Flugbegleiterin, und alles ohne Handy und Internet. Wie hat meine Mutter das eigentlich ausgehalten? Darüber haben wir nie geredet. Nun habe ich die Erfahrung selbst gemacht, meine drei Töchter sind flügge geworden. Die Zeit zwischen Krabbelgruppe, Studium und vielen Auslandsaufenthalten meiner Kinder verlief wie im Galopp, und das alles mal drei, da gab es keine Zeit für Langeweile. SISTER-MAG.COM

Neben Beruf und Mutterrolle habe ich mir oft Ziele gesteckt, die mich aus dem Alltag herausgeholt haben. Ich hatte einen Nebenjob als Fitnesstrainerin, und zum 40. Geburtstag schenkte ich mir selbst meinen ersten Marathon – das alles fühlte sich gut an. Im Nachhinein würde ich es als ein sanftes »Abnabeln« von den Kindern bezeichnen. Oder bin ich keine gute Mutter, weil ich trotz Selbstständigkeit und Kinder noch Zeit für eigene Bedürfnisse hatte? Vielleicht war es ja auch nur sehr viel Glück, denn richtige Probleme mit unseren Kindern gab es eigentlich nie, dafür unzählige Schmunzelmomente in der Phase, in der die Eltern komisch werden... Dann kam die Zeit, als Lynn, unsere Älteste, ihr High-School-Jahr in Amerika absolvierte. Der erste große Abschied in die Ungewissheit – sie war doch erst 16. Oft saß ich in ihrem Zimmer mit feuchten Augen, es fühlte sich komisch an, aber es sollte nur der Anfang und eine gute Vorbereitung auf die folgenden, immer wiederkehrenden Trennungsschmerze sein. Ein wichtiger Prozess für beide Seiten. Seit September letzten Jahres ist nun alles anders. Jetzt ist

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das Nest wirklich leer, meine Yogamatte wird selten weggeräumt (stört schließlich keinen), von einem geregelten Tagesablauf kann man nicht mehr sprechen. Die Lebendigkeit im Haus ist auf einmal wie weggeblasen. Einen Wecker stelle ich selten. Der Kühlschrank sieht im Vergleich zu vorher so leer aus, die Waschmaschine läuft nicht mehr jeden Tag, das Geschirr wasche ich manchmal mit der Hand ab. Aber alles ist gut, so wie es ist. Gestalterische Veränderungen sind meine große Leidenschaft, doch die Kinderzimmer habe ich noch nicht großartig angerührt – nur aus

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den Einzelbetten sind Doppelbetten geworden, die Familie wird ja auch immer größer. Ansonsten betreibe ich im ersten Stock eher Museumspflege – was eigentlich gar nicht meine Art ist. Werde ich jetzt doch sentimental? Eigentlich hat sich wenig verändert – oder doch ein bisschen. Ich sitze schon öfter mal am Abend alleine vor meinen nach »Heavenlynn Healthy« gekochten Mahlzeiten, wenn mein Gatte einmal wieder bis Mitternacht arbeitet. Ich freue mich über jeden noch so kurzen Besuch meiner Kinder, und ich bin sehr, sehr stolz auf das Ergebnis einer Erziehung, die wirklich nur

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aus dem Bauch heraus passiert ist. Es geht uns gut, die Familie ist gesund, und wir genießen den Augenblick – was brauche ich mehr? Man bekommt ja keine Kinder, um sie zu behalten, oder? Lynn Hoefer (1. Tochter): 27, Food-Bloggerin und BWL-Studentin »Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.« Dieses Zitat von Goethe, welches im Flur des Elternhauses meines Freundes hängt, fasst das Thema »Flüggewerden« meines Erachtens nach sehr gut zusammen. Ich glaube, der erste Abend als »Ausgezogene« war der schlimmste. Meine Eltern blieben sogar noch eine Nacht länger in meiner neuen Studentenstadt, doch in dem Augenblick, als sie wegfuhren, wurde mir das erste Mal richtig bewusst, dass ich nun auf mich alleine gestellt war. Flügel? Wie Fliegen fühlte sich dieser Moment sicherlich nicht an. Als Älteste von drei Schwestern war es irgendwie besonders schwer zu wissen, dass der Rest der Familie dem normalen Leben nachging und man selber auf einSISTER-MAG.COM

mal in der Ferne allein lebte. Da ich das größte Zimmer im Elternhaus hatte, wurde dies gleich an die nächste Schwester weitergegeben. Was ich zu dem Zeitpunkt natürlich absolut verstand. Zumindest redete ich mir das ein. Ich war ja schon immer die vernünftige Älteste. Trotzdem war es ein komisches Gefühl, in einem anderen Zimmer zu schlafen, als ich zum erstem Mal wieder nach Hause kam. Da ich jedoch erst in Reutlingen und dann in den USA meinen Bachelor absolvierte, waren die Heimatbesuche so rar, dass mir die Zimmerweitergabe sehr schnell egal war. In meinem Elternhaus lagen meine Wurzeln, hier erlebte ich meine glückliche Kindheit – mit Liebe geschmierte Pausenbrote waren da inklusive. Die Zimmeraufteilung war eigentlich egal – so fanden die wirklich tollen Erinnerungen eh im Wohnzimmer und in der Küche statt. Heimatbesuche waren mein Ein und Alles und die Belohnung, auf die ich jedes Semester hingearbeitet hatte. Endlich wieder mit unserem Hund Balu zu kuscheln, mit der ganzen Familie laufen zu gehen und danach ausgiebig zusammen zu frühstü-

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DIE HOEFER-MÄDELS

cken. Jeder Besuch war für mich wie Urlaub, und jeder Abschied, vor allem während meiner Jahre in den USA, war tränenreich und wurde auch nicht einfacher mit der Zeit. Die Wurzeln waren wohl zu stark. Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern und zu meinen kleinen Schwestern, doch mein Auszug hat das Verhältnis zu beiden Parteien noch einmal positiv gestärkt. Wann hat man sich vorher schon einmal ausgiebig eine Stunde mit der Schwester unterhalten, ohne dass irgendetwas dazwischenkam? Telefonate, so habe ich es zumindest empfunden, können viel enger zusamSISTER-MAG.COM

menschweißen als das Zusammenleben. Man lernt sich wieder zu schätzen, wenn man sich vermisst, und so erging es mir auch mit meiner Familie. Mein gesamtes Studium lang war mein Elternhaus für mich mein »Safe Haven«, mein Rückzugsort, mein sicherer Heimathafen. Hier fühlte ich mich behütet, hier konnte ich loslassen, den Stress der Uni und die Verantwortung des Lebens abschütteln und einfach wieder Kind sein. Dafür bin ich meinen Eltern unendlich dankbar. Auch dafür, dass unsere Mutter, trotz ihrer Leidenschaft des Umgestaltens unseres Hauses, unsere Zimmer so gelassen hat, wie sie waren:

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Kinderzimmer. Ja, wir haben alle neue Betten bekommen, und die pinken Wände durften dezenteren Farben weichen, aber es fühlte sich immer noch so an wie früher. Der Geruch der Zimmer und unseres »Mädels-Flurs« (von dem alle drei Zimmer abgehen) erinnert bei jedem Besuch erneut an eine unbeschwerte Kindheit. Vor Kurzem musste ich mir jedoch eingestehen, dass mein Elternhaus nicht mehr mein Zuhause ist. Zuerst fand ich diese Einsicht erschreckend, hatte ich mich doch immer so auf die Rückkehr ins Elternhaus gefreut. Ich bin nun irgendwie doch erwachsen geworden (oder zumindest Steuerzahler) und habe endlich ein eigenes Zuhause gefunden: die gemeinsame Wohnung mit meinem langjährigen Freund. Sie ist nun mein Rückzugsort, mein erstes richtiges Zuhause nach unzähligen Studenten-WGs. So fühlt es sich also an, dieses Fliegen. Obwohl ich nun fest im Leben stehe, hilft mir die Gewissheit, dass mein Elternhaus nur einen Anruf entfernt ist und mir zu jedem Zeitpunkt im Leben die Tür offenstehen wird.

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Übrigens: Das Zitat von Goethe wurde von meinem Freund und seinen Geschwistern sehr passend ergänzt: »Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel – und Pausenbrote«. Genau so ist es. May Britt Hoefer (2. Tochter): 25, BWL-Studentin Maracuja-Törtchen mit Schokoladen-Ornament – das ist mein erster Gedanke, der mir in den Sinn kommt, wenn ich an meine Erfahrungen des »Flüggewerdens« denke. Nicht irgendein Maracuja-Törtchen, sondern eines, welches zwar außerordentlich lecker war, mir jedoch nicht so geschmeidig in den Magen gleiten wollte wie normalerweise Kuchenkreationen jeglicher Art. Es war das Stück Kuchen, das in einem schönen kleinen Café direkt gegenüber meiner ersten Studenten-WG in Münster vor mir auf dem Tisch stand, während meine Mutter mir gegenüber ihren Latte Macchiato schlürfte. Kurz danach sollte sie wieder die 266 Kilometer nach Hause in den Norden fahren und den Auszug ihrer zweiten 31

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Tochter damit vollendet haben. Ich war noch nie ein Freund von Abschieden. Na gut, das ist eine Untertreibung. Ich gehöre zu den Menschen, denen immer sofort die Tränen in die Augen steigen beim »Auf Wiedersehen«, beim »Bis bald«, selbst bei »Bis in acht Wochen«. Das kann ich jetzt, fünf Jahre später, eindeutig sagen. In dem Münsteraner Café war meine Unterhaltung mit meiner Mutter daher auch eher spartanisch. Beim Gedanken daran, dass ich nun endgültig ausgezogen bin, formte sich der bekannte Kloß in meinem Hals, und ich kämpfte mit den Tränen. Und das, obwohl ich im Gegensatz zu meiner großen Schwester im Schwabenländle nur eine Entfernung von drei Autostunden zwischen meiner ersten WG und meinem Zuhause gebracht hatte und im Vorfeld auch eher bereit war, das gemachte Nest zu verlassen. Was ich damals nicht wusste, war, das Münster nur eine kurze Zwischenstation in meinem Leben sein sollte, auf die viele weitere folgten. Nach nur einem Semester kehrte ich in das behütete Heim im Norden zurück. Vier Jahre, sechs WGs und damit sechs Um- und Auszüge in EngSISTER-MAG.COM

land und Deutschland später (ja, meine Flügel haben mich bereits jetzt schon weit getragen) hat sich eines jedoch immer noch nicht verändert: Auch mit nunmehr 25 Jahren ist für mich »zu Hause« immer noch mein Elternhaus im Norden. Ich schiebe das darauf, dass ich studiumsbedingt jedes Mal nach maximal einem Jahr meine Zelte an einem Ort wieder abbauen musste und so eine Art Nomadenleben führe. Die Heimatbesuche in den Ferien waren für mich vor allem während meiner Zeit in England immer das Größte. Am besten war es natürlich, wenn dort dann auch die gesamte »Crazy Family« eintrudelte und

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ELTERN DER HOEFER-MÄDELS


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Dagmar und Friedhelm Hoefer 33

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Das klassische »Empty-Nest-Syndrom«, das trifft bei mir so ziemlich den Punkt. Seit das letzte von vier Kindern vor circa einem Jahr ausgezogen ist, musste ich mich komplett neu sortieren und selber flügge werden. Nach fast 30 Jahren mit Kindern im Haus ist es mir zu ruhig, alleine mit dem Hund. Manchmal ist es mir unheimlich, dass meine Kinder so selbstständig und erfolgreich in ihrem Tun sind.

Sie leben ihr Leben,

und das ist auch gut so. An meinem täglichen Leben nehmen sie aus der Ferne teil, sie nennen mich »Instamom«. Barbara Haane, 61, Lifestyle-Bloggerin und Mutter | Scrap Impulse

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man so den Familienritualen, wie zum Beispiel dem gemeinsamen frühmorgendlichen Joggen und anschließendem Brunch, nachgehen konnte. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass mir und meinen Schwestern immer die Türen zu unserem Elternhaus offenstehen. Auch wenn wir uns alle nicht mehr so häufig sehen, so halten wir dennoch (auch dank der Informationstechnik) regelmäßig Kontakt. Das Verhältnis zu meinen Schwestern hat sich nach dem »Flüggewerden« sogar noch weiter verbessert. Jetzt sehne ich mich aber insgeheim danach, im nächsten Kapitel meines Lebens irgendwo richtig anzukommen und irgendwann meine erste eigene Wohnung zu beziehen, die ich dann »Zuhause« nennen kann. Meine Wurzeln sind und bleiben jedoch platt-nordisch. Das Gefühl, mit dem Elternhaus jederzeit einen Ankerplatz im Heimathafen zu haben, ist bei der ganzen Ungewissheit dessen, wo meine Flügel mich hintragen werden, außerordentlich beruhigend.

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Malin Hoefer (3. Tochter): 20, Medizintechnik-Studentin Meine erste Erfahrung mit dem »Flüggewerden« war mein HighSchool-Jahr in den USA mit 16 Jahren. Blickten meine beiden Schwestern auf eher negative Erfahrungen bezüglich Gastfamilien zurück, so sind wohl aller guter Dinge drei, denn ich zog mit meiner Gastfamilie den Sechser im Lotto. Durch das Auslandsjahr lernte ich Selbstständigkeit, auch weil ich dort Ersatz-Eltern hatte, mit denen ich immer noch engen Kontakt habe. Das »echte« Ausziehen von zu Hause war eine ganz andere Erfahrung. Meine Schwestern hatten mir es, ähnlich wie schon mit dem Auslandsaufenthalt, vorgemacht, und so wusste ich, dass ein Auszug den Familienbund nicht schwächt und man sich nicht voneinander entfernt, sondern enger zueinander findet. So blieben mir unsere drei Auslandsaufenthalte immer positiv in Erinnerung, da wir uns in allen drei Jahren nähergekommen sind. Wir haben uns öfter beieinander gemeldet, und man hat viel mehr Details ausge-

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tauscht. Komisch, oder? Anscheinend ist doch jeder sehr mit sich selbst beschäftigt, wenn man zusammenlebt. Wenn man sich jeden Tag sieht, vergisst man wohl doch oft, nach dem Tag des Anderen zu fragen. Zurück zu meinem Auszug: Durch das beruhigende »Vorwissen« meiner Schwestern bin ich mit viel mehr Vorfreude auf Wohnungssuche gegangen, als es bei Lynn und May Britt der Fall war, da mir bewusst war, dass meine Familie immer und unter jeglichen Umständen hinter mit stehen würde. Wäre ich in meinem neuen Zuhause unglücklich gewesen, hätte ich immer noch eine Familie gehabt, die mir helfen würde, einen neuen und richtigen Weg für mich zu finden. Zu meiner Erleichterung habe ich allerdings den für mich richtigen Weg über diverse Zufälle gefunden. Ich habe in Gießen mit meinen Mitbewohnern (wie schon damals in Amerika) eine Ersatzfamilie gefunden. Das erleichtert das WG-Leben und auch das Leben ohne »Hotel Mama« unglaublich. Ebenfalls ist es beruhigend zu wissen, dass meine Familie immer nur

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einen Anruf entfernt ist. Egal ob ich einen Rat brauche oder Haushaltstipps von Mama, wie meine Wäsche weich bleibt. Durch den ständigen Kontakt wird das Heimweh eher auf die vertraute Umgebung beschränkt. Die hessische und die norddeutsche Kultur sind schon etwas verschieden und das platte Heimatland im Herzen tausendmal schöner. Auch wenn ein Anruf leider nicht die manchmal nötige Umarmung von Eltern oder Geschwistern ersetzen kann, ist man doch auch durch die neuen Technologien wie unserer Familien-WhatsApp-Gruppe »Crazy Family« immer miteinander verbunden. Manchmal wünschte ich mir jedoch, dass all unsere Wahlheimatstädte näher beieinander liegen würden. Immerhin lebt zur Zeit keine von uns im Ausland, ein Zustand, den es seit sechs Jahren in unserer Familie nicht mehr gegeben hat. Bei all der Nostalgie soll aber noch gesagt sein, dass Heimatbesuche von drei Schwestern in ähnlichem Alter auch ganz schön anstrengend sein können. So sind die Besuche nur so lange schön, bis wir uns alle auf den

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Geist gehen. Trotzdem liebe ich meine Familie und bin froh, immer ein Zuhause zu haben, in dem ich willkommen bin. Das Tolle an unseren Eltern: Sie haben uns Flügel zum Erwachsenwerden geschenkt. Dass man diese Flügel aber genauso gut zum Heimkehren benutzen kann, macht sie eigentlich umso wertvoller. Foodbloggerin Andrea Natschke (Zimtkeks und Apfeltarte ) berichtet – gemeinsam mit Sohn Phillipp – von ihren Erfahrungen des »Flüggewerdens«. Andrea Natschke 51 und Foodbloggerin

(Mutter):

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern: Es ist jetzt sechs Jahre her, als mein Ältester beschloss, für ein Schuljahr in die USA zu gehen. Wir Eltern fanden das toll, zumal wir beide nie die Möglichkeit gehabt haben, und wir waren sehr stolz auf den Mut unseres Sohnes. Er war 16, und wir hielten diesen Schritt vor dem Einstieg in die Oberstufe für perfekt. Es wurde geplant, recherchiert, überlegt, und danach entschieden wir uns für eine Privatschule im beschaulichen Vermont – wenngleich PhiSISTER-MAG.COM

lipp viel lieber zu den knackigen blonden Mädels an den Beaches von Kalifornien gegangen wäre... :) Auch wenn von allen Seiten gewollt, war es doch ein schwerer Abschied am Flughafen in Frankfurt – ein Jahr ist eine lange Zeit. Letztendlich war es aber doch gar nicht so schlimm, denn Philipp war glücklich dort, und das war für uns immer das Wichtigste. Mein Sohnemann hat sich von Anfang an bei seiner tollen Familie wohlgefühlt, hatte einen »spanischen Bruder«, mit dem er sich das Zimmer teilen musste (auch eine neue Erfahrung), und war einfach happy – also war auch ich happy. Wir haben sehr regelmäßig miteinander geskypt, und so waren wir immer auf dem Laufenden und hatten nie wirklich das Gefühl, nichts von ihm und seinem Leben mitzubekommen. Außerdem war ja klar: Er kommt wieder! So eine Abnabelung auf Raten hat durchaus etwas für sich: Man kann schon mal ein wenig üben. Als unser zweiter Sohn mit dem gleichen Anliegen kam und klar war, dass er auch für ein Jahr in die Staaten düsen würde, war ich bereits wesentlich entspannter: Ich wusste ja, was auf mich zukommt, wenn-

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F A M I L I E N AT S C H K E

gleich mir klar war, Moritz würde keinen so engen Kontakt mit uns haben wollen, wie das bei Philipp der Fall war. Was ich aber zu diesem Zeitpunkt komplett aus den Augen verloren hatte, war die Tatsache, dass nicht nur Moritz sein High-School-Jahr machen, sondern Philipp kurz darauf ausziehen würde, um in Dresden zu studieren... und das war eine wirklich harte Zeit für mich! Moritz hatten wir nach einem wundervollen Urlaub Ende August direkt in den USA »geparkt«, Philipp ist Ende September ausgezogen, und das war für Mutti der Super-GAU. Nicht dass ich eine Glucke bin, aber ich liebe es einfach, wenn die Bude zu Hause voll ist. Ganz oft war bis zu die-

sem Zeitpunkt nicht nur die Familie in unserem Haus unterwegs, häufig haben wir mit mindestens sechs oder noch mehr Menschen am Tisch gesessen und gegessen. Hier waren meine drei Jungs, die Freundinnen und Freunde, und es war immer etwas los... doch dann war es hier einfach nur noch still. Und ich war traurig! Aber nicht, weil für meine Jungs jeweils ein neuer Lebensabschnitt begonnen hatte und sie sich weiterentwickelten, ohne mich. Ich war traurig, weil hier etwas zu Ende gegangen war, was so auch wahrscheinlich nicht mehr sein würde und was mir immer sehr, sehr viel bedeutet hat. Es war das Ende eines ganz besonderen Lebensabschnittes, und das wurde

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A N D R E A N AT S C H K E & SOHN PHILIPP

mir schmerzlich bewusst! Bei allen »erzieherischen Anstrengungen«, die man als Eltern so unternimmt und die einen sicherlich hin und wieder an seine Grenzen bringen, habe ich unser Familienleben und das Zusammensein mit meinen Söhnen immer sehr geliebt. Ich mochte auch immer ihre Freundinnen und Freunde wahnsinnig gerne, hier war jederzeit Open House für alle, und wahrscheinlich war es gerade deswegen besonders schlimm für mich, als es plötzlich so ruhig wurde im Haus. Ein paar Wochen habe ich gelitten, gejammert, manchmal (heimlich) geweint, habe all meine mütterliche Fürsorge Sohn Nr. 3 gewidmet – dann gewöhnte ich mich an die Umstände, und es ging mir wieder besser. Heute SISTER-MAG.COM

kann ich rückblickend nur sagen, dass es – so wie es war – für unsere Jungs perfekt war. Wir haben sie machen lassen, natürlich mit ein wenig »Lenkung« unsererseits, aber sie konnten ihre Erfahrungen machen, und wir haben uns bemüht, ihnen den entsprechenden Freiraum zu gewähren. Das Wunderschöne daran: Sie kommen (so glaube ich) immer gerne wieder zurück, wir fahren nach wie vor gemeinsam in den Urlaub und sind noch immer eine tolle Familie! Philipp (Sohn): 22, InternationalHospitality-Management-Student Es war immer mein Wunsch, einen Teil meiner schulischen Laufbahn in den USA zu verbringen. Nun, da ich im richtigen Alter und es der für mich ideale Übergang zur Oberstufe war, entschied ich mich also, den Schritt zu gehen und ein Jahr lang eine High School in Manchester, Vermont zu besuchen. Es war alles super geplant. Als der Tag der Abreise kam, war ich gespannt und aufgeregt. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch

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nicht ganz klar, was es wirklich bedeutet würde, mein Zuhause und damit meine Familie und vor allem meine Eltern nicht mehr bei mir zu haben. Dies sollte sich circa neun Stunden später in Chicago ändern. Bereits bei der Ankunft in der Windy City habe ich eine SMS meines Vaters bekommen, der schrieb: »Dein Anschlussflug könnte eventuell ausfallen.« Dies lag an Hurricane Irene. Natürlich passierte genau dies, und ich war direkt auf mich allein gestellt. Da ich noch minderjährig war, war die erste Reaktion der Mitarbeiterin am Schalter der Fluggesellschaft, dass ich wieder nach Hause fliegen oder fünf Tage am Flughafen Chicago – wohlgemerkt ohne Gepäck – warten müsse, bis wieder Flügen gingen. Glücklicherweise hatte mein Vater einen Kollegen, der in Chicago arbeitet, der mich nach Stunden am Flughafen aufgegabelt hat und bei dem ich für die nächsten vier Tage unterkommen konnte. Als ich dann endlich in Vermont ankam, war ich einfach sehr froh und fühlte mich gut aufgehoben. Die Familie war super, und ich hatte eine wunderbare Zeit. Als ich nach einem Jahr Auf-

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mich-allein-gestellt-Sein wieder nach Hause kam, war das für mich und auch für meine Eltern natürlich wieder eine ziemliche Umstellung. Ich musste lernen, wieder Auskunft zu geben, was ich wann und wo machen wollte, und meine Eltern mussten lernen, dass ich selbständiger geworden war. Nach dem Abitur entschied ich mich dazu, in Dresden »International Hospitality Management« zu studieren. Also stand der nächste größere Lebensabschnitt bevor. Ich zog mit einem lachenden und einem weinenden Auge aus. Auf der einen Seite würde ich allein wohnen und hätte alle Freiheiten. Auf der anderen Seite würde ich Wäsche waschen und jeden Tag für mich selbst kochen müssen. Außerdem war mir klar, dass ich meine Familie und Freunde vermissen würde. Ich bin kein Mensch, der gerne alleine ist. Deshalb genieße ich es auch immer wieder, wenn ich am Wochenende nach Hause kommen kann, was mittlerweile etwas einfacher ist, da ich in Bad Honnef bei Bonn studiere und nur noch 1,5 Stunden bis nach Hause fahren muss.

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ACH, SCHÖN IST DAS GELB

»ACH, SCHÖN IST

das Gelb!«

Gelb wirkt hell, warm und positiv – aber kann noch mehr. Als Farbe der Sonne ist Gelb Ausdrucksmittel vieler Künstler und zieht sich durch verschiedenste Kunstepochen hindurch. Einer der bedeutensten Maler der Geschichte war so fasziniert von der Farbe, dass er sogar in ein gelbes Haus zog...

DIE LIEBLINGSFARBE VIELER KÜNSTLER TEXT: ROBERT EBERHARDT

Wie jede Farbe erlebte auch Gelb einen Bedeutungswandel im Laufe der Kunstgeschichte, wobei diese helle, als warm empfundene Farbe meist mit positiver Symbolik besetzt war. Als Farbe der Sonne wurde sie schon bei

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Naturvölkern als Gott verehrt, als Ursprung aller Energie und allen Lebens, die Farbe des Gedeihens und der Erkenntnis. Bei den HÖHLENMALEREIEN

VON

LASCAUX

(ca. 16.000 v. Chr.) wurden gelbe Pigmente gefunden, Ägypter

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von Franz Marc, 1911, Öl auf Leinwand, Solomon R. Guggenheim Museum, New York

DIE GELBE KUH

nutzten Ocker zur Darstellung von Haut, und im alten Griechenland raste der Sonnengott Helios mit einem gelben Wagen über den Himmel. Im Mittelalter war Gelb jedoch die SCHANDFARBE , in der sich unerwünschte gesellschaftliche Gruppen kleiden mussten, damit sie zu erkennen waren und gebrand-

markt wurden. Solche Vorschriften sind etwa schon 1067 in Prag und 1097 in Regensburg belegt. Im 16. Jahrhundert wurde der sogenannte »GELBE RING« fast im gesamten deutschen Sprachraum verpflichtend für Juden – 1690 schaffte Österreich, 1790 Preußen diese Judenkennzeichen wieder ab. Die Nationalsozialis- 

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von Giotto di Bondone, 1304–1306, Fresko, Scrovegni-Kapelle, Padua KUSS DES JUDAS

ten erfanden die menschenverachtende Markierung erneut. Ein Ursprung dieser negativen kulturgeschichtlichen Assoziation ist die Zuordnung von Gelb zum Verräter Judas; er wird daher im gelben Gewand dargestellt. Nicht nur Juden mussten daher immer wieder gelbe Markierungen

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tragen – auch Huren hatten sich im Spätmittelalter mittels gelber Hüftbänder oder anderer gelber Kleidungsstücke zu erkennen zu geben. Geächtete waren an gelben Haustüren zu erkennen, und Ketzer mussten bei ihrer Hinrichtung ein gelbes Kreuz tragen. Nach altem Glauben sah man die

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Ursache für jeglichen Ärger in der Galle. Eine Gelbfärbung der Haut symbolisierte ÄRGER UND EWIGEN NEID (»gelb vor Neid«) und Eifersucht, aber auch Geiz. Das Wüten der PEST wurde mit gelben Fahnen angezeigt. von Franz Marc, 1912, Öl auf Leinwand, Sammlung Bernhard Koehler, Berlin TIGER

D

och fern dieser dunklen Geschichte der hellen Farbe strahlt das Leuchtende der zugewandten und lichtintensivsten Farbe durch alle Jahrhunderte der Kunstgeschichte. Nicht nur als Farbe der Sonnengötter erhöht und erfreut das Gelb, auch als gold-gelber Hintergrund auf Ikonen verleiht es dem heiligen Personal göttliches Strahlen. Diente das Gelb in der alten, abbildhaften Kunst als Mischfarbe, um die WIRKLICHKEIT darzustellen – seien es nun gelbe Pflanzen, Landschaftsstimmungen oder Kleidungsstücke –, rückte die Farbe durch die intensiven Pinselstriche und großflächigen Farbfelder des EXPRESSIONISMUS zum Ende des 19. Jahrhunderts in vielen Bildern selbst in den Vor-

dergrund. FRANZ MARC sah im Gelb etwa das »SANFTE, HEITERE, SINNLICHE« . Seine »GELBE KUH« von 1911 im Guggenheim Museum New York ist weltbekannt. Doch mit einem Künstler verbinden wir Gelb mehr als mit jedem anderen: VINCENT VAN GOGH . Dieser Außenseiter und nach dem Tod weltberühmt gewordene Künstler bevorzugte den hellen Farbton in vielen seiner Werke, obwohl er zu Lebzeiten ein unglücklicher, erfolgloser Mensch war, dessen letzte Worte, »LA TRISTESSE DURERA TOUJOURS«

(dt: »Die Traurigkeit wird ewig vorherrschen«), alles andere als die Freudigkeit seiner Bilder nahelegen. 

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DAS GELBE HAUS

von Vincent van Gogh, 1888, Öl auf Leinwand, Van Gogh Museum

von Vincent van Gogh, 1887/88, Öl auf Leinwand, Metropolitan Museum of Art SELBSTBILDNIS

STILLEBEN MIT 12 SONNENBLUMEN

von Vincent van Gogh, 1888, Öl auf Leinwand, Metropolitan Museum of Art SISTER-MAG.COM

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Für ihn war es die Farbe sei- – und Violett und Blau, um die ner Wahlheimat Arles, satt-gel- Kraft des Gelbs noch zu unterbe Sonnenblumen liegen bei ihm streichen. In einem seiner Wahneffektvoll vor dem anfälle aß er die gifkomplementär tige Farbe, um das »JETZT HABEN WIR blauen Hintergrund, Gelb zu spüren und HIER EINE GLORREIsogar die Abbildung die dunklen KonflikCHE, GEWALTIGE seines provenzalite in sich rein mateHITZE OHNE WIND, schen gelben Hauriell zu bekämpfen. DAS IST ETWAS FÜR ses oder seines Das Gelb in van GoMICH. EINE SONNE, Schlafzimmers erghs Bildern ist heute EIN LICHT, DAS ICH langten Kultstaoft abgemildert und MANGELS BESSEtus. Das warme zum Braun mutiert, RER BEZEICHNUNLicht der Provendenn der Maler beGEN NUR GELB, BLASce, das oft alles in nutzte CHROMGELB , SES SCHWEFELGELB, einem gelbem Ton das seit 1818 inBLASSES ZITRONENbeleuchtet, inspidustriell hergestellt GOLD NENNEN KANN. rierte ihn: »Jetzt wurde und durch ACH, SCHÖN IST DAS haben wir hier eine chemische ProzesGELB!« glorreiche, gewaltise nachdunkelt. Van ge Hitze ohne Wind, Gogh hatte zudem das ist etwas für mich. Eine Son- die Angewohnheit, sein Gelb mit ne, ein Licht, das ich mangels weißer Farbe aufzuhellen, und besserer Bezeichnungen nur nutzte dafür barium- und schweGelb, blasses Schwefelgelb, blas- felhaltige Pigmente, die auch zur ses Zitronengold nennen kann. Braunfärbung beitrugen. Wir dürAch, schön ist das Gelb!« Wenn fen uns viele seiner Bilder also van Gogh an seinen Bruder Theo noch strahlender vorstellen!  schrieb und um Farben bat, beginnt er jedes Mal mit der Bitte um große Tuben Gelb und Weiß

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YELLOW AND BLUE

[bit.ly/1jQgSSo

]

von Mark Rothko, 1955


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ihren Höhepunkt: Gold-gelb leuchten die edlen Damen der HAUTEVOLEE . Noch heute erregt uns beim Betrachten im Museum das Schöne dieser eleganten Erscheinungen, etwa beim Gemälde »DER KUSS« oder dem Porträt der ADELE BLOCH-BAUER. »ES GIBT MALER, DIE MACHEN AUS

Auch der

Künstler ABSTRAKTI-

konnten auf GELBEN FLECK, ABER von Gustav Klimt, Gelb nicht verzich1907, Öl auf Leiwand ES GIBT ANDERE, ten. MARK ROTHKO DIE DANK IHRER schuf als Pionier KUNST UND INTELLIeliebt war Gelb auratische FarbfelGENZ EINEN GELBEN schließlich auch der, natürlich auch FLECK IN DIE SONNE im JUGENDSTIL mit in Gelb, meistens VERWANDELN« seinen lebenszugein Bildpaaren wie wandten Schwunbei »ORANGE AND glinien und floraler YELLOW« , »YELLOW Ornamentik. Das FIN DE SIÈC- AND BLUE« oder »NO 14 NO 10 LE strahlte in dem ausgehenden YELLOW GREEN« . Und auch der Glanz der absterbenden Monar- deutsche Künstler GOTTHARD chien des europäischen Konti- GRAUPNER kreierte bei seinen nents, und Gelb respektive Gold »KISSENBILDER« gelbe Exempwar der geeignete Kolorit, um lare. Wobei Picasso mahnende die Eleganz und den Charme je- Worte fand, mit denen er handner Jahre ins Bild zu setzen. Die werkliche Fähigkeiten des Künstüber Jahrhunderte gesteigerte lers einfordert: »Es gibt Maler, die Empfindung und Mode fand etwa machen aus der Sonne einen gelin den Bildern von GUSTAV KLIMT ben Fleck, aber es gibt andere,  ADELE BLOCH-BAUER

DER SONNE EINEN

ON

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die dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln«.

I

n der zeitgenössischen Kunst fallen einige Künstler und Positionen auf, die auffällig mit Gelb verbunden sind: Der deutsche Bildhauer und Konzeptkünstler WOLFGANG LAIB (geb. 1950) sammelt etwa Blütenstaub verschiedener Pflanzen und Gewächse, den er leuchtend gelb zu geometrischen Formen streut. Seine Werke, die zwischen der Kunstrichtung des MINIMALISMUS und der LAND ART zu verorten sind, nennt er zum Beispiel »BLÜTENSTAUB

oder

VON

HASELNUSS«

»BLÜTENSTAUB

VON

LÖ-

WENZAHN« .

Für seine poetischen Arbeiten erhielt Laib den japanischen »PRAEMIUM IMPERIALE« , der als wichtigster und mit einer Summe von umgerechnet 112.500 Euro höchstdotierter Kunstpreis der Welt gilt. Ein natürliches Material dient auch JOHANNES GIRARDONI für seine gelben Arbeiten: WACHS . Wie mit Lack übergießt er damit altes Holz. Der amerikanische Bildhauer mit österreichischen Wurzeln lässt das Material strahlen und kreiert ein Gelb von hoher Leuchtkraft, das in diesem Farbton eine ähnlich anziehende, fast hypnotische Kraft entwickelt, wie es die ultramarinblauen Arbeiten von YVES KLEIN schaffen. Und

COLORVOID

von Johannes Girardoni, 2007, PDX Contemporary Art [bit.ly/2mLWGIY ] SISTER-MAG.COM

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wer hätte gedacht, dass gerade diese Künstler-Ikone der Farbe Blau das Gelb adelte?

BEISPIELSWEISE DIE

YVES KLEIN :

FARBE GELB IN SICH

»ICH GLAUBE, DASS

»Ich glaube, dass beispielsweise die Farbe Gelb in sich ausreicht, um eine Atmosphäre und ein Klima ,jenseits des Denkbaren‘ zu schaffen. Zudem sind die Nuancen unendlich, und daher ist es möglich, die Farbe auf viele Arten zu interpretieren.«

AUSREICHT, UM EINE ATMOSPHÄRE UND EIN KLIMA ‚JENSEITS DES DENKBAREN‘ ZU SCHAFFEN. ZUDEM SIND DIE NUANCEN UNENDLICH, UND DAHER IST ES MÖGLICH, DIE FARBE AUF VIELE ARTEN ZU INTERPRETIEREN.«

BLÜTENSTAUB VON HASELNUSS

von Wolfgang Laib, 2013, MoMA [bit.ly/2nCCiOw ]

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YELLOW PRESS

YELLOW PRESS Von Dorfgeschwätz bis Cyber-Gossip

Text: Barbara Eichhammer Illustrationen: Ana Melo

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Schon die alten Ägypter taten es, Iago stachelte dadurch Othello an, und Bill Clinton blieb nicht verschont – Klatsch und Tratsch ist das soziale Öl, das unsere Kommunikation offenbar am Laufen hält. Ob als Dorfgeschwätz oder Cyber-Gossip, unsere kleine Kulturgeschichte des Klatsches geht dem Gesellschaftsphänomen des lustvollen Plauderns über Andere auf den Grund. Klatsch und Tratsch fesseln uns Menschen schon, seitdem es Sprache gibt. Bereits die alten Ägypter tauschten sich über die Intimitäten ihrer Mitbürger aus. Hinter vorgehaltener Hand über das Privatleben anderer zu sprechen, bereitet gar lustvolles Vergnügen und steigert das eigene Wohlbefinden. Von reinem Voyeurismus bis hin zu mitfühlender Anteilnahme am Schicksal Anderer erfüllt das Reden über Abwesende nämlich soziale Grundbedürfnisse. Nach den neuesten Forschungserkenntnissen sind sich Soziologen und Psychologen einig, dass Klatsch als mündliche Kommunikationsform gemeinschaftsstiftend wirkt und soziale

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Gruppen zusammenhält. Das intime Plaudern integriert Gruppenmitglieder, versorgt sie mit allen für das Zusammenleben wichtigen Informationen und löst Konflikte. Wer nicht klatscht, isoliert sich. Oder mit RTL gesprochen: Wenn im Dschungelcamp die Bohnenration an den Kräften von Kader Loth und Co. zehrt, bilden sich Grüppchen am besten mit heimlich geflüsterten Gerüchten während der Feuerwache.

Schmutzige Wäsche waschen: Klatsch im Mittelalter Unser heutiges Verständnis von Klatsch geht auf den mittelalterlichen Waschplatz und dessen Funktion als Neuigkeitenbörse zurück. Wortgeschichtlich leitet sich »Klatsch« vom mittelhochdeutschen Wort »klatz« ab, das lautmalerisch »das Geräusch durch das Aufschlagen von etwas Weichem, Schweren auf etwas Hartes« bedeutete, beispielsweise das Klatschen von nasser Wäsche gegen Steine. Während sich die Frauen um die Wäsche kümmern mussten, tauschten

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sie Geschichten über das Privatleben anderer Dorfbewohner aus. Häufiger Ausgangspunkt der Indiskretionen: Wer für die verräterischen Flecken auf weißen Bettlaken verantwortlich war! Der mittelalterliche Waschplatz avancierte zum Ort des öffentlichen Informationsaustauschs. Klatsch entwickelte sich zum Teil einer oralen Kultur, die zur Arbeitsfreude der Frauen bei monotonen Beschäftigungen beitrug und als Mittel sozialer Interaktion diente. Wem das so gar nicht gefallen wollte: Männern. Schon Martin Luther assoziierte Klatsch oder das »mit dem Maule waschen« der »Waschweiber«, wie er es nannte, mit Schmutz.

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Klatsch & Gender im 18. Jahrhundert Klatsch wurde in europäischen Ländern im 18. Jahrhundert anhand von Gender-Stereotypen konstruiert, indem er als nutzloses und zeitverschwendendes Gerede Frauen zugeschrieben wurde. Allerdings lässt sich das Tratschen vielmehr als Zeichen von weiblicher Solidarität verstehen. In patriarchalen Gesellschaften war allein Männern der Zugang zur öffentlichen Sphäre vorbehalten; Frauen mussten sich auf den häuslichen Bereich beschränken und waren von öffentlichen Aktivitäten oder politischen Debatten ausgeschlossen. Durch das öffentliche Plaudern über Privates holten sie sich dieses verweigerte Recht symbolisch zurück. Weibliche Kommunikation war so nicht reines Gerede, sondern auch eine Art rebellischer Sprechakt, der männliche Autorität untergraben und die öffentliche Meinung beeinflussen konnte. Apropos: Besonders schön klatschen konnte die britische

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Schriftstellerikone Virginia Woolf, die sich in ihren Briefen über das Londoner Bohème-Leben ausließ und lustvoll über »Mrs. Cliffords wabbeligen Hals, wie ein orientalischer Truthahn ihn hat« schrieb.

Männlicher Klatsch und die Kaffeehauskultur im 17. und 18. Jahrhundert Aber auch Männer klatschen gern. Was den Frauen im Mittelalter die Waschplätze, waren den Männern im 18. Jahrhundert die Kaf-

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feehäuser. Mit der Eroberung der Kolonien veränderten die neuen Kolonialwaren wie Kaffee und Tabak das gesellschaftliche Zusammenkommen. So eröffneten in England in den 1650ern die ersten Kaffeehäuser in Oxford, zwischen 1670 und 1740 entstanden in London allein 2.000 »coffeehouses«. Da es zu dieser Zeit noch keine Tageszeitungen gab, entwickelten sie sich schnell zu bedeutsamen Kommunikationszentren im frühbürgerlichen Kultur- und Wirtschaftsleben. Kaffeehäuser avancierten zu öffentlichen Institutionen, in denen Geschäfts-

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männer, Wissenschaftler, Kaufleute und Künstler das Plaudern über Politik und Wirtschaft als männlich konnotierte Gesprächskultur etablierten. Denn für Frauen galt nach der Ideologie der getrennten Sphären: »Wir müssen leider draußen bleiben.« Klatsch diente regelrecht als Währung, was sich räumlich zeigte: Kaffeehäuser in London siedelten sich vornehmlich rund um die Börse an, da die Handelsleute geschäftliches Interesse an Neuigkeiten hatten. Kaffeehausklatsch erwies sich dabei als konstitutiv für eine bürgerliche Öffentlichkeit: Aus

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den Gesprächen entstanden nicht nur Institutionen wie Lloyds Versicherungsgesellschaft, sondern auch das Pressewesen. Richard Steele spielte etwa bewusst auf die männliche Klatschkultur an, indem er seine Zeitschrift »Tatler« (»Plauderer«) nannte und die Kaffeehausgespräche in Heftform konservierte.

Die Yellow Press seit dem 19. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert entwickelte sich weltweit durch diese Lust

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an Indiskretionen die sogenannte »Yellow Press«, die Klatsch- oder Boulevardpresse. Dabei stammt der Begriff der »Gelben Presse« nicht etwa davon, wie Zyniker behaupten, dass es sich um Klolektüre handele. Vielmehr wurden Klatschzeitungen zu ihren Anfangszeiten auf billigem Papier gedruckt, das gelblich schimmerte. Konkreter stammt der Begriff von einem Streit in den 1890er Jahren zwischen Joseph Pulitzers »New York World« und William Randolph Hearsts »New York Journal«, die im Zuge eines Auflagenwettbewerbs beide einen Comicstrip »The Yellow Kid« publizierten. In simpler Ghettosprache geschrieben, war das besagte Kind mit einem gelben T-Shirt gezeichnet und stand exemplarisch für den unseriösen Sensationsjournalismus. Oftmals im Fokus der Yellow Press: das Privatleben von Prominenten. Während Privatklatsch eher eigene Schwächen projiziert, fungieren Stars als heterogene Identifikationsfiguren oder Projektionsflächen, die wir verehren oder verachten können, auf die wir unsere Wünsche, Ängste und Hoffnungen übertragen oder mit den wir

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uns vergleichen können. Sei es bei der vermeintlichen Cellulite von Kim Kardashian oder ein kahlgeschorener Kopf von Britney Spears. Wie die klassischen Mythenerzählungen konstruieren solche Geschichten unsere Identität, indem sie einen verbindlichen Rahmen an moralischen Werten für das menschliche Zusammenleben schaffen. Die Faszination begründet sich auf der Tatsache, dass Promiklatsch die Stars als Menschen »wie du und ich« erfahrbar macht.

Cyber-Gossip im 20. und 21. Jahrhundert Noch rasanter gelingt der Informationsaustausch am »Waschplatz« des weltweiten Netzes. Am 17. Januar 1998 berichtete ein Matt Drudge auf seiner Homepage von der Affäre des US-Präsidenten Bill Clinton mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky und schrieb damit einen der medienwirksamsten Skandale des 20. Jahrhunderts. Er begründete zugleich das World Wide Web als größten Klatschbeschleuniger. Als Mittel sozialer Kontrolle deckt

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hier Klatsch Missetaten auf, die moralische Gesetze verletzten. Das Internet erwies sich bei »Lewinskygate« als grenzüberschreitendes Medium, das eine Kultur der rasanten Offenheit erschuf. Als Mischung aus Massen- und Individualmedium ermöglicht das Internet jedem Benutzer, Informationen zu veröffentlichen. Ein Lied davon singen kann Schau-

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spielerin Jennifer Aniston. Wenn es nach der Yellow Press ginge, hätte sie bereits mehr als 100 Kinder. Daran zeigt sich auch die Kehrseite des Klatsches: Die Protagonisten können schnell zu Medienopfern werden, aufgrund unautorisierter Paparazziaufnahmen oder Falschdarstellungen der Redakteure und Journalisten.

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XOXO, GOSSIP GIRL


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»There is only one thing worse in the world than being talked about, and that is not being talked about.« Oscar Wilde

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FRAUENFUSSBALL

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Text von A L E X K O R D S Illustrationen von I R A H Ä U S S L E R

Von gelben Karten & Kaffeeservices EIN BLICK IN DIE GESCHICHTE DES FRAUENFUSSBALLS

Sie gehört zu den am häufigsten erzählten Anekdoten im Zusammenhang mit dem Frauenfußball: Als die deutsche Nationalmannschaft der Damen im Jahr 1989 die Europameisterschaft gewann, erhielt sie vom Deutschen Fußball-Bund ein 41-teiliges Kaffeeservice – während die Herren schon 25 Jahre zuvor für ihren WM-Titel umgerechnet fast 36.000 Euro pro Spieler bekommen hatten. Doch so oft man diese Geschichte hört, so signifikant ist sie für die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland.

Denn zum einen waren die Europameisterinnen von 1989 noch Amateure und durften deshalb keine Prämie in Form von Geld bekommen. Zum anderen war der EM-Sieg der erste Titel für die Nationalmannschaft, die erst sieben Jahre zuvor ihr erstes offizielles Länderspiel überhaupt bestritten hatte. Inzwischen hat das Team zwei Welt- und acht Europameisterschaften sowie eine Goldmedaille bei Olympischen Spielen gewonnen und damit mehr Trophäen als die männlichen Kollegen.

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Von Beginn an dabei Dass der Frauenfußball auf eine verhältnismäßig kurze Historie zurückblickt, ist eigentlich eine große Ironie der Geschichte. Denn seit es den Sport gibt, treten Frauen und Männer gleichermaßen gegen den Ball. So existieren verschiedene Dokumente, die beweisen, dass chinesische Frauen schon vor 7.000 Jahren am Cuju – dem Vorläufer des heutigen Fußballs – teilnahmen. Und nachdem Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Regeln für den Fußball festgelegt worden waren, wurden sie wenig später extra nochmal angepasst, um das Spiel weniger

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brutal und damit frauenfreundlicher zu machen. Das erste dokumentierte Match zwischen zwei Frauenteams fand im Mai 1881 in Edinburgh statt: ein Aufeinandertreffen einer schottischen und einer englischen Mannschaft. Doch schon das zweite Spiel, das eine Woche später in Glasgow angepfiffen wurde, musste nach einem gewalttätigen Platzsturm abgebrochen werden. Es folgten weitere Vorfälle dieser Art, die alle die gleiche Botschaft transportierten sollten: Fußball sei ein harter Männersport, in dem Frauen nichts zu suchen haben.

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Der erste Fußballclub für Frauen Dennoch gründete die britische Frauenrechtlerin Nettie Honeyball im Jahr 1895 den ersten Damen-Fußballverein der Welt, den British Ladies‘ Football Club. Etwa 30 Frauen meldeten sich auf die Zeitungsannonce, mit der Honeyball in London nach Spielerinnen suchte. Für das erste Match, bei dem ein Nord- und ein Süd-Team des Clubs gegeneinander spielten, interessierten sich nicht weniger als 10.000 Zuschauer – von denen aber viele nur kamen, um die kuriose Bekleidung der Fußballerinnen zu sehen. Diese trugen nämlich Röcke über ihren wadenlangen Ho-

sen, dazu Männer-Fußballschuhe und Hüte. Nach jedem Kopfball wurde das Spiel kurz unterbrochen, damit die entsprechende Dame ihre Kopfbedeckung wieder zurechtrücken konnte. Kurze Zeit später ging der British Ladies‘ Football Club auf Tour durch England und absolvierte mehr als 100 Spiele. Weil viele Kickerinnen die damit verbundenen Strapazen nicht aushielten und dem Team dann auch noch das Geld ausging, löste es sich nach knapp zwei Jahren wieder auf. Allmählich schlief auch das generelle Interesse am Frauenfußball ein – bis der Erste Weltkrieg begann.

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Ein Weltkrieg als Chance Inzwischen hatte sich der Fußball zu einer enorm populären und geradezu unverzichtbaren Sportart entwickelt. Und weil die meisten männlichen Spieler zum Kriegsdienst eingezogen wurden, gingen die in der Heimat Verbliebenen statt zum Männer- eben zum Frauenfußball ins Stadion. Der Hype war vor allem in England riesengroß, auch nach Ende des Weltkriegs kamen zu manchen Spielen mehr als 50.000 Zuschauer. Im Jahr 1921 verbot der englische Fußballverband den Damen allerdings, in Stadien zu spielen – mit der schwammigen Begründung, dass der Sport nicht für Frauen geeignet sei. Das Verbot hatte bis zum Jahr 1971 Bestand. In Deutschland, wo der Frauenfußball ohnehin noch nicht besonders populär war, untersagte der DFB seinen Vereinen

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im Jahr 1955 sogar generell die Unterhaltung von Frauenmannschaften. In der Begründung hieß es, dass »diese Kampfsportart der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd« sei und »das Zurschaustellen des Körpers [...] Schicklichkeit und Anstand« verletze. Darüber hinaus leide angeblich die Gebärfähigkeit unter den Auswirkungen des Fussballs. Die Damen ließen sich das Spielen aber nicht verbieten und begannen, außerhalb des Verbands ihre eigenen Clubs zu gründen.

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Stetiger Aufschwung Weil der Frauenfußball immer größer wurde und zu mächtig zu werden drohte, empfahl der europäische Verband UEFA im Jahr 1971, die Damen in die nationalen Strukturen aufzunehmen. Schon ein Jahr zuvor hatte der DFB sein Verbot aufgehoben, ab 1974 veranstaltete er die Deutsche Meisterschaft der Frauen. Die erste Damen-Europameisterschaft wurde 1984 ausgetragen, die erste WM im Jahr 1991. Alles recht spät, wenn man bedenkt, seit wann es die entsprechenden Turniere für Herrenmannschaften gibt. Dennoch genießt der Frauenfußball eine konstante Fan-Basis – und ist imstande, bei Großereignissen Euphorie auszulösen. Als die deutsche Nationalmannschaft etwa zum Auftakt

der WM 2011 im eigenen Land auf Kanada traf, kamen 73.680 Zuschauer ins Berliner Olympiastadion. Umso ernüchternder ist dabei der Bundesliga-Alltag der kickenden Damen, wo im Schnitt »nur« rund 1.000 Leute einem Spiel beiwohnen. Und auch wenn die Frauen inzwischen Geld mit ihrem Sport verdienen, so betragen ihre Gehälter nur ein Bruchteil derer ihrer männlichen Kollegen. Laut diversen Angaben aus der Branche verdienen selbst die besten Spielerinnen selten mehr als 5.000 Euro pro Monat, die geringer Vergüteten müssen daher neben dem Fußball oft einen weiteren Job ausüben. Und so schade es auch ist: Neben dem überpräsenten Männerfußball werden die Damen wohl noch eine Weile das Nachsehen behalten.

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Photo: Von Anders Henrikson - a_54_5095, CC BY 2.0,

NADINE ANGERER

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Interview von S O P H I E S I E K M A N N

»Fußball bedeutet Leidenschaft und Neugier!«

Im Gespräch mit....

NADINE ANGERER Die ehemalige deutsche Fußballnationalspielerin und zweifache Weltmeisterin Nadine Angerer hat im Frauenfußball alles erreicht, was man erreichen kann. Die ­Profitorhüterin hat 2003 und 2007 die Fußballweltmeisterschaft gewonnen, wurde fünfmal Europameisterin und hat mittlerweile in Portland beim Thorns FC ihren absoluten Traumjob gefunden: Dort arbeitet sie als Torwart­trainerin und trainiert professionelle Torhüterinnen. sisterMAG sprach mit Nadine Angerer über ihre Liebe zum Sport, Veränderungen im Frauenfußball und über das Geheimnis eines glücklichen Lebens.

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»Ich wusste lange gar nicht, dass es Frauenfußball gibt und man damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. «

Wie sind Sie dazu gekommen, Fußball zu spielen? Ich komme aus einer ganz sportbegeisterten Familie und meinen Eltern war es eigentlich immer egal, was ich mache, solange es etwas mit Sport zu tun hat. Von Tischtennis, Karate, Handball bis hin zu Triathlon habe ich alles ausprobiert. Letztendlich bin ich dann aber

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beim Fußball hängengeblieben, einem Mannschaftssport. Ich habe dann immer mit Jungs aus der Nachbarschaft gespielt und die meinten irgendwann, dass ich mit ihnen im Verein spielen solle. Und das habe ich dann auch getan! Und ich fand es super. Selbst im Ligabetrieb habe ich anfangs immer nur mit Jungs gespielt, und hatte damit ¬auch niemals Probleme.


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Wann war klar, dass sie Berufssportlerin werden wollen? Das war ein absolut schleichender Prozess. Ich wusste lange gar nicht, dass es Frauenfußball gibt und man damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Aber ich habe immer mit Leidenschaft gespielt und wurde immer erfolgreicher, und das, obwohl ich anfangs noch parallel einen anderen Weg gegangen bin: Ich habe Fachabitur und meine Ausbildung zur Physiotherapeutin gemacht und habe dann aber gemerkt, dass Sport mein Beruf ist und auch sein soll. Erst dann habe ich mich wirklich bewusst dazu entschieden, den Sport professionell zu machen. Und ich habe es nie bereut! Es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.

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Was bedeutet Fußball für Sie? Fußball bedeutet Leidenschaft und Neugier. Dadurch, dass Fußball ein Mannschaftssport ist, lernt man, wenn man es nicht eh schon von Grund auf kann, empathisch zu sein. Man lernt, wie wichtig der Teamspirit ist, um erfolgreich zu sein. Zudem weiß man, was Disziplin ist.

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Photo: Dontworry - Own work, CC BY-SA 3.0

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Wird Frauenfußball in Ihren Augen von der Gesellschaft anders wahrgenommen als Männerfußball?

»Das mittelfristige Ziel sollte daher sein, dass Frauen viel mehr die Gelegenheit haben, professionell trainieren zu können.«

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Der Frauenfußball hat sich rasant entwickelt, sportlich wie optisch. Trotzdem ist er dem Männerfußball noch lange nicht gleichgestellt, zumindest nicht in Deutschland. Dafür ist der Männerfußball ja aber auch mehr als doppelt so alt! Wenn man bedenkt, dass viele Spielerinnen heute in der Bundesliga neben dem Fußball noch einen ganz anderen Halbtagsoder sogar Vollzeitjob haben, wird klar, dass es einfach noch nicht dasselbe ist wie bei den Männern.

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Das mittelfristige Ziel sollte daher sein, dass Frauen viel mehr die Gelegenheit haben, professionell trainieren zu können. Gewisse Faktoren sollten sich ändern, es sollte mehr professionelle, festangestellte Trainer im Frauenfußball geben und die Personen in wichtigen Positionen sollten sich voll und ganz auf ihre Stelle konzentrieren können. Ich glaube, man muss dem Frauenfußball einfach noch ein wenig mehr Zeit geben, aber allgemein sehe ich die Zukunft in diesem Sport sehr positiv.

Vermissen Sie die Zeit als aktive Spielerin? Nein. Ich vermisse es wirklich überhaupt nicht und bin mit ganzem Herzen Torwarttrainerin in Portland. Es macht mir generell einfach Spaß, neue Sachen auszuprobieren und neue Strategien zu kreieren. Heute kann ich sagen, dass ich in Portland meinen absoluten Traumjob gefunden habe. Ich weiß auch, dass ich da viel Glück gehabt habe!

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Wie sieht ihr neuer Job als Trainerin aus? Prinzipiell ist jeder Tag anders. Ich muss mich immer wieder an die jeweiligen Trainingsformen des Cheftrainers anpassen. Mal fliegen wir eine Woche an die Ostküste der USA, weil wir gleichzeitig Spiele in New York und Boston haben, dann ist sehr viel los. Manchmal habe ich aber auch ein bis zwei Tage frei, in denen ich Zeit habe, mir Collegespiele anzusehen, um neue Torhüterinnen zu sichten. An trainingsfreien Tagen kann ich mich auch fachlich weiterbilden, Fitness und Athletik sind zum Beispiel ein großes Thema in den USA. Oder ich entdecke Portland und Umgebung. Dann kommt mal wieder eine sehr zeitintensive Phase, in welcher wir verschiedene Auswärtsspiele haben. Da ist man dann locker vier Tage lang unterwegs, und in solchen Zeiten bin ich 24 Stunden nonstop ansprechbar für die Spielerinnen. Eine normale 40-Stunden-Woche gibt es in meinem Job also nie! Aber ich habe so viel Spaß an meinem Beruf, dass es dann auch eine

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80-Stunden-Woche sein kann. Für mich ist das keine Arbeit, sondern mein Hobby.

Gibt es einen Unterschied zwischen deutschem und amerikanischem Frauenfußball? Die USA sind das Vorzeigeland für Frauenfußball. Fußball an sich ist in Amerika ein Frauensport und viel größer aufgezogen als in Deutschland. Männer spielen hierzulande Rugby oder Baseball, da ist das Sportbild einfach ein anderes als in Europa. In Amerika wird generell sehr viel in Sport investiert, der Stellenwert ist höher. Ich konnte hier auch viel Neues über Fußball und Sport im Generellen lernen. Auch wenn manche Haltungen eher unrealistisch und typisch »amerikanisch« sind, tut es gut, auch mal über den Tellerrand zu blicken und den Sport aus der Sicht von anderen Kulturen zu sehen. Hier in Amerika haben die Frauen auf Länderspielebene sogar mehr Zuschauer als die Männer. Gerade wird in den USA darüber verhandelt, ob Frauen dieselbe

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Gage wie Männer für ihre Spielertätigkeit bekommen. »Equal Play – Equal Pay« lautet da die Devise! Die USA ist also beim Thema Frauenfußball ein absoluter Vorreiter, besonders Portland, hier wird Fußball total geliebt und es gibt keinen Unterschied zwischen Frauen- und Männerfußball.

Was würden sie Mädchen und jungen Frauen raten, die Fußballspielerin werden wollen? Ich würde empfehlen, dass Leben in vollen Zügen zu genießen, aber gleichzeitig nie zu vergessen, wann man diszipliniert sein muss. Eine Balance zwischen diesen beiden Faktoren ist wichtig. Ich kann jetzt allerdings nur von mir sprechen, bei mir hat diese Devise einfach immer gut funktioniert. Man muss Bock haben auf das, was man macht. Spaß stand und steht für mich immer an erster Stelle! Und wenn man das auch auf andere Lebensbereiche übertragen kann, sollte es sich relativ entspannt und glücklich leben lassen.

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DIE 5 LIEBLINGE von Nadine Angerer LIEBLINGSGERICHT?

LIEBLINGSBUCH?

Süßkartoffelbrei mit Lachs und Spinat.

Das ist schwer zu beantworten, das wechselt immer wieder, aber ich höre zum Beispiel total gerne Ska-Music.

Da habe ich zwei. »Tipping Point – Wie kleine Dinge großes bewirken können« von Malcolm Gladwell und »The Big Five for Life« von John Strelecky. Da geht es sehr viel um eine gewisse Lebenseinstellung und eine Geschichte, die jeder auf sein eigenes Leben projizieren kann. Lesen!

LIEBLINGSFILM?

LIEBLINGSFARBE ?

Ich schaue alles querbeet – da kann ich mich nicht entscheiden!

Da ich gerne am Meer bin, das Wasser liebe und begeisterte Taucherin bin – ganz klar blau! [Da kann sie sich auf sisterMAG29 freuen ;)]

LIEBLINGSLIED?

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DICKHÄUTIG WERDEN

DICKHÄUTIG WERDEN

KARIN KRÜMMEL ist studierte Psychologin mit therapeutischer Ausbildung. Seit 2001 ist sie in ihrer Coaching-Praxis in Berlin tätig. Die Spezialisierung aufs Life Coaching war 2001 noch ein Novum. Inzwischen gehört Life Coaching fast zum guten Ton. Mit ihr sprach sisterMAG über Dickhäutigkeit. SISTER-MAG.COM 74


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Interview von C H R I S T I N A R Ü C K E R

WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN EINER KLASSISCHEN PSYCHOTHERAPIE UND EINEM LIFE-COACHING?

Eine klassische Psychotherapie ist etwas, bei dem man in einer Struktur landet: Es gibt nicht DIE klassische Psychotherapie. Das ist entweder eine Analyse, eine Verhaltenstherapie oder eine tiefenpsychologisch-orientierte Gesprächstherapie. Diese werden oft von den Krankenkassen übernommen und von ausgebildeten Therapeuten in verschiedenen oder in einer Methode durchgeführt. Dort gehe ich hin, um bestimmte tiefere Prozesse für mich klarzukriegen und mit Ängsten umzugehen. Das ist ein therapeutischer Ansatz.

Life Coaching hingegen ist kein geschützter Begriff. Am liebsten spreche ich da von mir und nicht von einer allgemeinen Definition. Ich benutze diesen Begriff als Abgrenzung zum klassischen Business- und Karriere-Coaching, weil ich klarstellen möchte: Mir geht’s um das Leben im Ganzen, um den Mensch in seinem authentischen Dasein. Nicht: »Wie müsste er sich verhalten, damit...«, sondern: »Wer ist er wirklich?«, »Wer ist er in seinem Leben?« Und dieses Potenzial will ich an die Oberfläche und den Mensch praktisch auf seinen eigenen Platz, auf seinem eigenen Lebensweg, in seine Kraft bringen. Das war und das ist immer noch mein Anliegen. Jetzt wird der [Begriff] für sehr, sehr viele Sachen verwandt, und da gibt es keine feste Definition.

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Die Abgrenzung zum therapeutischen gibt’s, jedoch manchmal nicht so klar. Denn um erstmal in mein Potenzial zu kommen und sich authentisch ausdrücken zu können, stolpere ich über meine Ängste, über meine alten Muster und Blockaden, über Kindheitstraumata [...], also über therapeutische Themen, die, wenn man sie angeht, auch einen therapeutischen Charakter haben.

le ins Stocken kommen und jetzt etwas Anderes brauchen. Also Menschen, die bereits gut reflektiert haben, aber an einer Stelle einfach nicht weiterkommen. Es ist immer der Wunsch nach Veränderung, nach mehr Klarheit, nach mehr Lebenszufriedenheit, beruflich, privat, gesundheitlich, finanziell.

WELCHER TYP MENSCH KOMMT ZU IHNEN? IN WELCHER LEBENSPHASE KOMMEN DIESE MENSCHEN ZU IHNEN? WAS SIND TYPISCHE FRAGEN, MIT DENEN MENSCHEN ZU IHNEN KOMMEN?

Die meisten kommen zu mir in einer Lebensphase, in der sie schon einiges selbst versucht haben: über Bücher, über Gespräche mit Familie und Freunden, manchmal auch über Therapien. Sie haben versucht, bestimmte Dinge im Leben für sich zu klären, sei es privat oder beruflich, und haben festgestellt, dass sie immer wieder an der selben StelSISTER-MAG.COM

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Als Sie 2001 anfingen, gab es den Begriff des »Life Coachings« nur sehr vereinzelt. INZWISCHEN IST ES FÖRMLICH ZU EINEM GEFLÜGELTEN WORT GEWORDEN. Wie würden Sie die Veränderungen in den letzten Jahren beschreiben?

Dadurch, dass es den Begriff nur sehr vereinzelt gab, wusste man nicht, was [Life Coaching] ist. Dies hat sich klar verändert. Inzwischen weiß man, was es ist bzw. glaubt zu wissen, was es ist, da es ja in gewisser Form in aller Munde ist – hier in Berlin denkt man schnell, dass jeder Zweite nun auch Coach ist. Angenehm daran ist, dass der Prozess nicht mehr stigmatisiert ist. Es ist ja fast »in«, zu einem Coach zu gehen und fast merkwürdig, wenn man noch nicht bei einem Coach war [lacht]. Das ist jetzt nicht meine Meinung, aber es ist fast gebräuchlicher, zu sagen: »Heute ist Donnerstag, heute gehe ich zu meinem Coach.« Vor zehn Jahren war dies noch nicht so.

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THEMEN WIE BURN-OUT UND DEPRESSION SIND INZWISCHEN VERSTÄRKT IN DEN ÖFFENTLICHEN FOKUS GERÜCKT. Haben Sie das Gefühl, das hat sich auch in Ihrer Praxis widergespiegelt? Hat sich die Klientel diesbezüglich weiterentwickelt und kommt nun mit anderen Problemen zu Ihnen als am Anfang Ihrer Karriere?

Ich würde bei mir nicht so deutlich sagen, dass die Themen sich geändert haben. Und die Themen, die sich geändert haben, haben sich so auch aus meiner persönlichen Entwicklung geändert. Dass ich andere Dinge durchlebt habe in der Zeit und somit die Tür auf ist für andere Thematiken. Dadurch habe ich das Gefühl, die Themen wachsen mit meinem eigenen Wachstum. Aber dass die Themen jetzt grundsätzlich anders geworden sind, würde ich nicht sagen. Natürlich sind Depression, Burn-out und Lebenszufriedenheit gerade ein großes Thema. Daher ist viel-

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SIND WIR ZU SENSIBEL GEWORDEN? SIND WIR ZU DÜNNHÄUTIG?

leicht momentan auch der Fokus mehr darauf gerichtet. Weshalb die Leute schneller sagen, da ist vielleicht eine seelische Komponente zu meinem Gemütszustand – auch körperlich und warum man gerade so wenig Energie hat. Der Fokus hat sich hier eindeutig verändert, einschließlich den Vor- und Nachteilen. SISTER-MAG.COM

Ich glaube, es geht im Leben generell immer um Balance. Ich glaube, alle Thematiken haben zwei Pole, und es gilt, sich da gut zu balancieren. Genauso ist es auch beim Thema Dickhäutigkeit und dem Zu-sensibel-Sein. Dies sind zwei Extreme. Entweder habe ich eine zu dicke Haut, wodurch ich gar nichts mehr mitbekomme und nichts an mich ranlasse, oder ich bin extrem dünnhäutig – heute ist auch der Begriff »Hochsensibilität« in aller Munde und wird fast wie eine Diagnose verwendet, als wäre etwas mit der Person nicht in Ordnung. Dies sind einfach zwei Extreme, und wenn man nur auf einer Seite steht, kann man nicht funktionie-

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ren. Es gibt Situationen, da ist es total günstig, und da raten einem alle Menschen, sich eine dickere Haut zuzulegen. Dann gibt es aber auch Situationen, in denen genau das nicht der Tipp ist, der funktioniert, weil es eben darum geht, sich feiner mitzukriegen, weil man sonst eben nicht mehr mitbekommt, dass man schon längst in ein Burn-out rast, längst erschöpft ist und nicht mehr das bekommt, was man braucht. Dies gilt es auszubalancieren und für diese Skala ein Bewusstsein zu entwickeln. HABEN SIE EIN PAAR TIPPS UND TRICKS, WIE MAN SICH IM ALLTAG EINE DICKERE HAUT ZULEGEN KÖNNTE?

Wenn wir bei der angesprochenen Skala bleiben, geht es mal um das Eine und dann um das Andere. Man muss immer nach der Situation gucken. Ich glaube, kein Mensch hat vor, sich dauerhaft eine dicke Haut zuzulegen. Die meisten Menschen, die zwar mit diesem Anliegen hierherkommen, wollen sich auf dieser Ska-

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la frei bewegen können. Dafür, wie das ganz praktisch geht, gibt es tolle Übungen, bei denen man mitkriegt, wo die Grenzen um einen herum sind. Es gibt einerseits unseren Körper, eine klare physische Grenze. Andrerseits merken wir jedes Mal, wenn wir in einem vollen Fahrstuhl stehen, dass diese Grenze nicht ausreicht. Es gibt also noch einen Raum um uns herum, in dem der Körper nicht ist, bei dem wir es aber schon unangenehm finden, wenn jemand in ihn eindringt. Das gleiche haben wir auch auf seelischer Ebene. Wie groß ist hier der Bereich um uns herum, in den wir Dinge nicht reinlassen? Ab wann ist uns etwas also seelisch zu nah? Hierzu gibt es den Begriff »Seelenhygiene«, ein Bereich, bei dem ich aufpasse, dass der »clean« bleibt. Und wenn da etwas reinkommt, dann kümmere ich mich darum. Eigenverantwortung ist hier das Schlagwort schlechthin – wie bekomme ich Dinge, die hier drin sind, wieder raus, und wie verhindere ich, dass andere Dinge hineingelangen? Wenn ich diesen Bereich gefunden habe, dann

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kann ich ihn wie eine Art Mauer um mich behalten, quasi wie eine dicke Haut, die aber flexibel reagiert. In manchen Situationen kann man sie festhalten und Sachen aussperren, in anderen Situationen kann man Dinge an sich heranlassen. Je nachdem, wie geübt man ist, kann man sich um sie aber entweder sofort oder auch erst später kümmern. HABEN DIE VERÄNDERUNGEN IN DER ARBEITSWELT EINEN BEITRAG DAZU GELEISTET, DASS MEHR MENSCHEN DAS GEFÜHL VON ÜBERFORDERUNG VERSPÜREN?

Als ich in einem kleinen Dorf im Osten aufwuchs – wo der Versand und Erhalt von Briefen eine Woche in Anspruch nahm –, hatte man

ßen Katalog an Anforderungen und einer so engen Zeittaktung, dass man diesem unmöglich Herr werden kann. Das gab es früher nicht. Da war viel zu tun, aber da war die Arbeit eher grob und körperlich, greifbarer. Heute ist die Arbeit auch durch die technologische Revolution und den einhergehenden Informationsüberfluss viel überbordender. Wenn man, wie hier erforderlich, nur noch reagiert und abarbeitet, fehlt das Bewusstsein für den eigenen Zustand: »Wie geht’s mir gerade?« Das ist eine Voraussetzung, um überhaupt eine Seelenhygiene betreiben zu können. WAS SIND INDIKATOREN DAFÜR, DASS ICH MIR EINE ZU DICKE HAUT ZUGELEGT HABE?

sehr viel Zeit zu agieren. Heute erhält man am Tag zig Mails,

Basierend auf dem vorher be-

Facebook, WhatsApp-Nachrich-

schriebenen Bild mit den Krei-

ten, bei denen man froh ist, diese

sen, hilft uns die Klarheit der

überhaupt alle zu beantworten.

deutschen Sprache sehr wei-

Man reagiert also hauptsäch-

ter. Wenn es mir zu eng ist und

lich. Diese Informationsüberflu-

ich Sachen weghaben will, dann

tung geht einher mit einem gro-

bin ich darin gefangen und habe

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zu viele Sachen, zwischen denen ich mich nicht bewegen kann, die mich erdrücken. Das passiert genau, wenn ich diesen Bereich nicht um mich habe. Dann habe ich zu viel an mich herangelassen. Und dann ist es nur eine logische Konsequenz, wenn ich mich einmal überfordert gefühlt habe, alles von mir wegzuschieben und zu sagen: »Jetzt bin ich hier hart.« Dies ist dann das Gegenteil von Balance. Wichtig ist, dass ich mich hier eigenverantwortlich verhalte. Auch mal »Nein« sage. Es anerkenne, dass mein persönlicher Raum »clean« bleibt.

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wieder Unterstützung.« Insofern kann Life Coaching ein »ongoing process« sein, bei dem sich die Themen ähneln, jedoch die Situationen unterscheiden. Wenn jetzt aber jemand neu zu mir kommt, gehe ich schon davon aus, dass wir uns nicht über Wochen und Monate hier sehen, sondern dass wir das locker mit drei bis vier, fünf Treffen soweit durchleuchtet haben, dass es sich anfängt zu bewegen, neu zu sortieren und eine Veränderung einsetzt.

WIE LANGE IST DER PROZESS DES LIFE COACHINGS?

Es gibt keine bestimmte Zeitspanne hierfür. Dadurch, dass das Leben immer wieder neue Herausforderungen bereithält und bestimmte Thematiken sich auch immer mal wieder zeigen [...], [b] in ich ein Mensch, der immer mal wieder so reagiert. Dann kann es hilfreich sein [...], zu sagen: »Okay, jetzt hätte ich mal gerne 81

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ABEN TEUE R GROS SSTA DTSA FARI

ABENTEUER

i r a f a s t d a t s Groß r e t n i W s TOKIOS vs. sonnigePANAMA

Unterschiedlicher könnten zwei Städte kaum sein. Doch auf unserer Weltreise haben wir genau dieses Kontrastprogramm erlebt: fröstelnd kalte Spaziergänge durch das graue Shibuya im Winter sowie schweißtreibende Stadtbesichtigungen im sonnigen Panama. Mein City-Survival-Guide der beiden Extreme sorgt für eine schriftliche HeißKalt-Dusche.

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TEXT & FOTOS: HEYLILAHEY


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MIA IST BLOGGERIN UND YOUTUBERIN AUS BERLIN. SEIT EINEM HALBEN JAHR UMRUNDET SIE MIT IHREM FREUND DIE WELT UND LIEFERT DABEI GEHEIMTIPPS UND REISETRICKS AUS ERSTER HAND. 83

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Vernetzt und Verhandelt

Das öffentliche Verkehrssystem von Tokio ist so gut vernetzt, dass lange Fußmärsche und teure Taxifahrten zum Glück nicht nötig sind. Auf den ersten Blick undurchschaubar, bieten U-Bahn & Co. das, was jeder Reisende im Winter braucht: PANAMA einen Ort zum Aufwärmen und Für längere Strecken bietet sich in schnellen Transport von A nach B. Panama City indessen ein Taxi an – EIN KLEINER TIPP: VIELE STATIONEN schnell und dank Klimaanlagen kein SIND DIREKT DURCH WETTERFESTE schweißtreibendes Unterfangen. Mit UNTERFÜHRUNGEN MIT DEN GROSSEN fließenden Spanischkenntnissen und SHOPPING-MALLS VERBUNDEN. einem guten Verhandlungstalent frisst eine Fahrt außerdem kein Loch ins Portemonnaie. Eine weitere Option ist die Uber-App – kein Feilschen nötig!

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s a t is n io sh a F r ü f s p Geheimtip 84


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s a i n a s e t r A e d o d a c Mer

 SHOP ’TILL YOU DROP – genau dafür ist Tokio perfekt. Insbesondere für Modebegeisterte, die auf gut selektierte und ausgefallene Vintage-Mode stehen. HARAJUKU ist mit Boutiquen wie »Pass The Baton«, »Chicago« und »Ragtag« für Second-Hand-Liebhaber das Einkaufsparadies! Außerdem reicht schon allein das schneller schlagende Shopping-Herz, um sich von innen heraus aufzuwärmen.

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Panama verleiht hingegen nicht nur dem berühmten Kanal seinen Namen. Der beliebte PANAMA-HUT ist mehr als ein Souvenir, sondern auch der perfekte Schattenspender unter der brütenden Sonne. Es hat eben einen Grund, warum ihn auch die Einheimischen gerne tragen. Ein guter Ort, um nach der typischen Kopfbedeckung Ausschau zu halten, ist der kleine, aber feine MERCADO DE ARTESANIAS, 5 DE MAYO . Ein bisschen fernab von den Touristen-Meilen finden Schnäppchenjäger dort authentische Ware zu fairen Preisen.

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T r in k b a r e K u l t u r

SHIBUYA

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Für alle Tokio-Reisenden sollte ein Wort besonders groß und fett auf der Agenda geschrieben sein: MATCHA – das perfekte Getränk, um sich aufzuwärmen und in die japanische Kultur einzutauchen. Hierfür empfehle ich persönlich das traditionelle Teehaus KOSO-AN in der belebten Gegend Jiyugaoka sowie – für den modernen Kontrast – eine Zeremonie im SAKURAI

In Panama spürt man den Vibe der Stadt am besten mit einem Glas RUM AUF EIS. Das Land produziert dank seines Klimas und des Überflusses an ZUCKERROHR RUM , der zum weltbesten zählt. Für die köstlichsten Drinks lohnt sich ein Abstecher in die PEDRO MANDINGA RUM BAR – die erste auf Rum spezialisierte Bar in Casco Viejo.

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Wenn es schnell gehen muss, führt P A N A M A kein Weg an den unzähligen AUTODas panamaische Pendant? SHAMATEN in Japans Hauptstadt vorVED ICE – geraspeltes Wasserbei. Aus den Getränkeautomaten eis in den verschiedensten Gekommen zum Beispiel Grüner Tee, schmacksrichtungen, von Piña Kaffee und Kakao in der Flasche bis Coco! Bei heißem Wetter soll heiß aus der Maschine. Wer am man ja bekanntlich viel trinken. Wochenende in Tokio unterwegs Doch nichts ist besser als ein leist, sollte sich außerdem den FARckeres, kaltes Eis, das bereits MER’S MARKET @UNU in Shibuya beim Bezahlen schmilzt. nicht entgehen lassen. Die Handarbeitsstände bieten die perfekte TOKIO Gelegenheit, individuelle Souvenirs zu entdecken, und frischgemachter, HEISSER GINGER-ALE sorgt für das leibliche Wohl. 

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t l a k d n u Heiß To Go

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ivnst. er W s TOKIOS sonnigePANAMA

r o o d t u O . s v Indoor

Wer sich traut, eine der vielen lauten SPIELARENEN Tokios zu betreten, wird mit aufdringlichen Farben und blinkenden Lichtern empfangen. Nach ein paar Challenges auf elektrischen Trommeln oder mit Ballspielen werden müde Knochen wieder munter. Ein weiteres Muss in Sachen Indoor-Aktivitäten: Wer hingegen der Mittagshitze sowie ein paar amüden Touristenmassen entkommen sante Minuten will, muss in Panama wirklich sehr im JAPANISCHEN FOTO-AUTOMATEN! früh aufstehen. Aber auch Nachteulen kommen auf ihre Kosten. Denn CASCO VIEJO erwacht mit seinen vielen TOKIO P A N A M A  Restaurants, Bars und Clubs abends zum blühenden Leben, besonders am Wochenende. Den perfekten Blick auf die Skyline gibt es zum Beispiel von der Dachterrasse der CENTRAL GASTROBAR aus. Mittags, während der heißesten Zeit des Tages, empfiehlt sich hingegen der Besuch am Panama-Kanal. Die mehrstöckige Ausstellung inklusive Video-Vorführung an den MIRAFLORES LOCKS ist komplett klimatisiert.

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Wer auf kostenlose CITY-HIGHLIGHTS steht und die Stadt einmal von oben erleben will, sollte sich das TOKYO METROPOLITAN GOVERNMENT BUILDING nicht entgehen lassen. Das 360-Grad-Panorama wird dank voll aufgedrehter Heizkörper im Winter fast schon zu einem Saunabesuch. Für alle, die sich im 40. Stock nicht wirklich wohlfühlen, lohnt sich ein Spaziergang durch Tokios PARKS – selbst in den kalten Monaten! Diese sind nämlich auch in der grauen Jahreszeit bis ins kleinste Detail so schön gepflegt, dass kein bisschen trüber WinterManchmal ist ein Entkommen aus blues zu spüren ist. der Stadthitze einfach nicht möglich. Auch wenn diese mit Vorsicht zu genießen sind, sollten in Panama City Outdoor-Aktivitäten auf dem Plan stehen: Sonntags ist zum Beispiel die TOKIO CINTA COSTERA vormittags für den StraPANAMA ßenverkehr gesperrt und stattdessen für Fahrradfahrer, Inlineskater, Egal zu welcher Jahreszeit, Skateboarder und Läufer geöffnet. jede Stadt hat unzählige FaAußerdem sind ausgedehnte Spazier- cetten zu bieten, fernab von gänge durch PANAMAS ALTSTADT CASCO windigen Häuserschluchten VIEJO Pflicht! Wer gerne einen Blick oder glühend heißen Betonins Leben der Locals werfen will, bauten. Mit einem nicht zu schlendert über die AVENUE CENTRAL . straffen Zeitplan und vielen, Wenn all dies den Kopf zu sehr zum am besten kulinarischen PauGlühen bringt, ist Standup-Paddle- sen wird jede anstrengende boarding aka SUP, z.B. mit PANAMA Großstadtsafari zu einer anPADDLE , eine erfrischende Alterna- genehmen Vergnügungstour. tive! SISTERMAG 28 | 04 / 2017 89 

Großtstadt Panorama


ERINNERUNGEN BEWAHREN

n e l a t i g i d m i Wie man n e g n u r e n n i r E r e t l a t i e Z s e h c i l g ä t l l a d n u t l ä h t fes od kumentiert

ZURÜCK IN DIE ANALOGZEIT?

Christine Herrin ist Grafikdesignerin, kreiert Handschriften und widmet sich mit Leidenschaft allem, was mit Papier, Geschichten und Reisen zu tun hat. Mit ihrem Tagebuchset für Alltagsabenteurer will sie auch euch animieren, mit Hilfe dieser drei Dinge eure Erlebnisse auf kreative und aussagekräftige Weise zu dokumentieren.

TEXT | CHRISTINE HERRIN

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ERFORSCHEN, FESTHALTEN, GESTALTEN Wenn ich einen kreativen Schub brauche, mache ich eine Reise. Ein Tapetenwechsel ist immer die beste Art, schnell neue Ideen für meine Arbeit zu entwickeln — und manchmal finde ich nur auf einem 14-Stunden-Flug ohne Internet die Ruhe, konzentriert zu arbeiten. Meine Kreativität wird durch Entdeckungen wachgerüttelt: Ich schreibe auf, was mir auffällt, weil es anders ist. Das wiederum öffnet meine Augen für das alltägliche und seine Umgebung. 

CHRISTINE HERRIN GRAFIKDESIGN & HANDSCHRIFTEN

: e l m m a s n e is e R f u a h ic ie d , e Ding , s t e k ic T n h a B U , n e t r a k s t it r Eint ! s n ig s e D n e l a k o l e l ie p is e B d n Prospekte u

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» DURCH DIE DOKUMENTATION BLEIBT DER ENTDECKER WACHSAM «

 Das halte ich dann fest. Ich versuche, den einprägsamsten Aspekt zu erfassen. Früher habe ich hauptsächlich Dinge gesammelt wie Eintrittskarten, Prospekte, Postkarten – und lustige Begebenheiten, Erfahrungen und Begegnungen in meinem Tagebuch festgehalten. Heute halte ich was geht schon unterwegs fest: durch iPhoneFotos, (eigentlich verhasste) Selfies, z.B. grinsend neben einer Wandmalerei oder eine kurze Notiz, etwas beim nächsten Mal anzuschauen. Durch die direkte kurze Dokumentation bleibe ich auf meinen Entdeckungsreisen wachsam.

, it e Z r h e m h Früher hatte ic s k o o b p a r c S e h ic umfangre ! n e r ie e r k u z meiner Reisen SISTER-MAG.COM

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Das Set für Entdecker

 Durch die Zusammenstellung schaffe ich dann eine bleibende Erinnerung an meine Reise. Wenn ich könnte (aber dafür fehlt die Zeit) würde ich für jeden Trip ein umfangreiches Scrapbook mit alltäglichen Dingen und Geschichten zusammenstellen. Meistens ist es aber nur eine Seite mit Tickets und Schnappschüssen und ein paar Notizen hier und da. Dabei geht es nicht um Perfektion, sondern darum, durch das haptische Erlebnis die Erinnerung lebendiger zu machen.

UNTERWEGS FESTHALTEN Natürlich bin ich nicht die einzige bin, der die Zeit zur umfangreichen Dokumentation ihrer Reiseerlebnisse fehlt. Während meiner Adobe Creative Residency habe ich daher versucht, das Festhalten von Erlebnissen einfacher zu machen – und unterhaltsamer! Meine Lösung: Das Entdecker-Set mit allem, was man braucht, um Erlebnisse schon unterwegs festzuhalten, inklusive Tagebuch, Postkarten und hilfreicher Tipps. 

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 Das Set für Alltagsabenteurer beinhaltet ein Heft mit Tipps, die helfen, kleine aber erinnerungswürdige Momente zu erkennen und festzuhalten, wie z.B. das erste Essen an einem neuen Ort, der erste Eindruck, den eine Stadt auf dich macht usw. Auf kleine Karten mit entsprechenden Hinweisen kann man schöne Momente für immer festhalten.

Erinnerungskarten

Box Abenteuerführer

Mahlzeitkartens

Tagebuch

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ALLES FESTHALTEN? Stempelset

Postkarten

Der Hauptgrund, aus dem ich Erinnerungen an Reisen sammle, ist, dass ich mir vorstelle, wie ich eine solche Sammlung in 20 Jahren wiederentdecke und sie mich in den Moment zurückträgt, an dem ich sie zusammengestellt habe. Jede Postkarten, jedes Foto oder Ticket kann mich dann daran erinnern, wie ich mich als 25-jährige gefühlt habe, als ich in Ägypten die Pyramiden erforschte. Kleine Geschichten aufzuzeichnen kann uns auch mehr Achtsamkeit im Alltag lehren: auf der Suche nach erinnerungswürdigen Details sind wir präsenter in jedem Moment und nehmen unsere scheinbar vertraute Umgebung bewusster wahr.

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GRAUBROT

Graubrot AUF SEINE SCHÖNSTE ART & WEISE

DREI REZEPTE FÜR DEN KRUSTENKLASSIKER

Rezepte und Fotos | Mademoiselle Poirot SISTER-MAG.COM

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Es ist das beliebteste Brot der Deutschen – das Graubrot. Egal ob mit süßem oder herbem Aufstrich: Graubrot geht immer. Die traditionsreiche Kruste ist auch unter dem Namen Mischbrot bekannt und wird oftmals aus Weizen- und Roggenmehl hergestellt. Die Rezeptur klingt oftmals eher unspektakulär – bis jetzt. Wir haben Foodstylistin und Fotografin Mademoiselle Poirot gebeten, Graubrot mal ganz genau unter die Lupe zu nehmen und uns ihre Lieblingsrezepte zu verraten. Das Ergebnis ist nicht nur sehr ästhetisch, sondern auch ziemlich lecker – und lässt den Brotklassiker in ganz neuem Licht erstrahlen. Viel Spaß beim Nachbacken!

ALLGEMEINE INFORMATIONEN Zeitaufwand insgesamt: ca. 1:45 h Ofentemperatur: 225 °C Backzeit pro Laib: 35 min

HILFREICHE TIPPS * gusseiserne Pizzaplatte oder Backblech im Ofen vorheizen * tiefe Backform mit heißem Wasser gefüllt auf den Ofenboden stellen, damit die Kruste der Brote noch besser gelingt * Standmixer mit Teighaken benutzen * extra Weizenmehl für die Arbeitsfläche und extra Öl für die Schale und die Backform benutzen, damit der Teig der Brote nicht festklebt

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Ing w e r C u r r y B r o t

Der Klassiker

S chw

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RE Z E P T E H E RUN T E RL A D E N SISTER-MAG.COM

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DER KL A SSIKER 350g Weizenmehl 100g Roggenmehl 350ml lauwarmes (38°C) Wasser 2 TL Salz 2 TL Zucker 2 TL (7g) Trockenhefe 60ml helles Olivenöl

SCHW ARZES SESAMBROT 300g Weizenmehl 120g Roggenmehl 30g schwarze Sesamkörner – gemahlen 15g schwarze Sesamkörner – ungemahlen 1 TL Aktivkohle 320ml lauwarmes (38°C) Wasser 10g Trockenhefe 2 TL Salz 2 TL Zucker 60ml Sesamöl

INGWER-CURRY-BROT 320g Weizenmehl 100g Roggenmehl 2 TL Salz 2 TL Zucker 2 TL (7g) Trockenhefe 60ml leichtes Olivenöl 1 TL Currygewürz ½ TL Ingwer-Pulver 320ml lauwarmes (38°C) Wasser

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Alle drei Brote werden auf dieselbe Art vorbereitet und gebacken: 1.

Das lauwarme Wasser mit 2 TL Zucker verrühren und die Trockenhefe drüberstreuen.

2.

Das Wasser für 10 Minuten zur Seite stellen, bis die Hefe aufschäumt.

3.

Eine große Schale leicht einölen.

4.

Mehl und Salz durch ein Sieb in die Mixerschale geben. Beim Sesambrot können nun die gemahlenen Sesamkörner untergemischt werden. Beim Ingwer-Curry-Brot können nun die Gewürze hinzugefügt werden.

5.

6.

7.

Nachdem die Hefe aufgegangen ist, den Mixer auf mittlere Stufe stellen, das Hefewasser langsam hineingeben und eine Minute lang weiterkneten. Jetzt das Öl langsam dazugeben und noch 3 Minuten weiterkneten. Der Teig wird sehr feucht und klebrig sein, das ist jedoch ganz normal.

doppelter Größe aufgehen lassen. 8.

Den Backofen auf 225°C vorheizen und eine tiefe Backform mit heißem Wasser auf den Ofenboden stellen. Dadurch wird die Kruste der Brote schön knusprig.

9.

Die Arbeitsfläche großzügig mit Mehl bestreuen und den Teig darauf geben.

10. Der

Teig sollte nun per Hand für 3 Minuten leicht geknetet werden. Falls er zu klebrig ist, ruhig noch etwas Mehl benutzen. Für das Sesambrot sollten nun die 15g der ungemahlenen Sesamkörner eingearbeitet werden.

11. Den

Teig in die Brotform geben, mit dem Tuch abdecken und nochmal 10 Minuten aufgehen lassen.

12. Der

Den Teig nun in die geölte Schale geben, mit einem Tuch abdecken und in warmer Umgebung eine halbe Stunde zu

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Teig wird nun leicht mit Wasser bestrichen. Es sollte auch ein wenig Mehl auf die Oberfläche gestreut werden. Je nach Gusto können kleine Einschneidungen in den Laib geschnitzt werden.


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RE Z E P T E H E RUN T E RL A D E N

13. Die

Brotform auf die gusseiserne Pizzaplatte (alternativ geht auch ein Backblech) geben und das Brot ca. 35 Minuten lang backen.

14. Nach

dem Backen das Brot aus der Form nehmen und vor dem Anschneiden komplett abkĂźhlen lassen. Guten Appetit!

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RYMHART

Fotos: Saskia Bauermeister

Models: Annabell Ewert Henrik Folkesson

Styling für Sie: Evi Neubauer Styling für ihn: Cesco Spadaro Hair & Make-Up: Patricia Heck 102


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r e v o l l u P Warme n e g a T n e u an gra 103

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Die Marke RYMHART steht unverwechselbar für weiche und warme Wollpullover. Egal ob Seemannspullover, Norwegerpullover oder Zip Sweater: Gefroren wird nie!

Das Geheimnis der RYMHART-Troyer sind ihre konstante Temperaturregulierung und die hochwertige Materialverarbeitung. Egal ob beim Fahren auf dem Wasser, beim Wandern in den Bergen, beim Spaziergang im Wald oder beim Shopping-Trip in der Stadt – die Pullover halten warm! Dass sie zudem wahnsinnig gut aussehen und zu vielerlei Modetrends locker kombiniert werden können, zeigt unser sisterMAG-Shooting mit Annabel und Henrik. Und die wollten ihr wärmstes Accessoire nach einem Tag am Rande der Großstadt am liebsten gar nicht mehr ausziehen …

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DAS STRICKMUSTER Der Troyer wird im so genannten Perlfangmuster gestrickt. Durch die Doppelmasche entsteht optisch der Effekt von aneinandergereihten Perlen.

Durch die Engmaschigkeit verfügt der Pullover über eine besonders prägnante Wärmeisolierung.

DIE NÄHTE Durch maschengenaues Ketteln entstehen qualitativ hochwertige Nähte. Zudem befindet sich in der Schulternaht ein eingearbeitetes Schulterband, welches die Schulterpartie stabilisiert und die Naht nicht ausleiern lässt. Die Bündchen sind mit einer Spezialnaht bestückt, die für zusätzliche Sprungkraft sorgt. 105

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DER ZIPPER

DIE BÜNDCHEN Sämtliche Bündchen bestehen beim Troyer aus einem Zwei-LagenGestrick. Somit werden Ein- und Ausgänge der Pullover doppelt gesichert, und die Kälte hat keine Chance!

Der robuste Reißverschluss besteht aus verchromtem Messing und ist speziell vernickelt. Wind und Wetter haben keine Chance, der Reißverschluss hält dicht!

DAS INNENFUTTER Auf Wunsch gibt es den RymhartTroyer mit einem zusätzlichen Innenfutter aus 100-prozentiger Baumwolle. Der Stoff wird in Deutschland gefertigt, wird azofarbstofffrei gefärbt und ist besonders eng gestrickt.

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nd so We meet

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Annabell im kurzen, handgenähten Lackrock trifft auf Henrik in einer Steppweste von Tom Tailor.

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SIE: Pullover: Rymhart | Lackrock: Schnittmuster hier | Mütze: Elbsegler | Schuhe: Carven // ER: Hose – SELECTED HOMME Ι Pullover – Rymhart Ι Weste – Tom Tailor Ι Schuhe – Element Outfit


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Schnittmuster Lackrock 110


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ho´s The boss

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SIE: Pullover – Rymhart Blazer – Schnittmuster hier Hose – Schnittmuster hier Schuhe – Coco California

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ER: Pullover – Rymhart Hose – Wrangler Mütze – Barbour Schuhe – LEVI'S ®


Schnittmuster Blazer Hose SISTER-MAG.COM

Der Rymhart-Pullover wird zum Business-Outfit mit dem Oversized-Blazer mit passender OverlengthHose aus hochwertigem Wollstoff. Der Blazer ist zweireihig und an den Schultern besonders breit, sodass auch der Troyer gut darunter passt. 114


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ove & the sea

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Schnittmuster Mantel

Üppig und von Hand bestickt, trägt Annabell einen beigen OversizeMantel über dem anthrazit-farbenen Troyer-Pullover. SISTER-MAG.COM

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SIE: Pullover – Rymhart Hose – privat Mantel – Schnittmuster hier

ER: Hose – Cheap Monday Hemd – Fred Perry Jacke – Levi's® Schuhe – Red Wings Shoes Schal – Borsalino

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vening Glow

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SIE: Pullover – Rymhart Rock – Schnittmuster hier

ER: Hemd – Levi's® Weste – Selected Homme Jackett – Selected Homme Hose – Selected Homme Pullover – Rymhart Schuhe – Levi's®

Schnittmuster Rock

Dass der Troyer durchaus elegant kombiniert werden kann, zeigt das Outfit mit asymmetrisch geschnittenem Federrock, inspiriert von Prada. Um die Taille zu betonen, eignet sich ein dünner Gürtel – gern in Knallfarbe getragen. Henrik trägt die Strickjacke mit Kapuze in Dunkelblau.

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! u o y See 123

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Die Film-Ära

FILM-ÄRA DER FRAUEN

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Frauenrollen in Schwarz-Weiß-Filmen 124


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Text: Julia Laukert

M

it der Erfindung des Massenmediums dokumentiert der Film seit Anfang des 20. Jahrhunderts die sich wandelnden Geschlechterverhältnisse von Frau und Mann. Das Stereotyp der unterdrückten Frau wird um die Jahrhundertwende durch ein modernes, selbstbestimmtes Frauenbild abgelöst. Die Neue Frau in ihrer vielfältigen Erscheinung als die unberechenbare Femme fatale, das kecke und partywütige Flapper-Mädchen oder die glamouröse Diva finden durch den Film eine Verbreitung in der modernen Welt. Während vor allem Frauen den Stummfilm vor und hinter der Kamera für sich eroberten und damit ein neues Frauenideal der Kreativen und Mitgestaltenden kreierten, änderte sich mit dem Aufkommen des Tonfilms die Frauenrolle in der Branche der Schwarz-WeißFilme und damit im gesamten Filmbusiness.

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MARLENE DIETRICH Als prägnante Persönlichkeiten der Goldenen Zwanziger sind uns Stilikonen und Schauspielerinnen wie MARLENE DIETRICH (1901 – 1992) oder GRETA GARBO (1905 – 1990) bekannt. Die wohl prominentesten Aktricen des 20. JahrhunSISTER-MAG.COM

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derts feierten in der Ära der Schwarz-Weiß-Filme internationale Erfolge und prägten das Bild der emanzipierten, berufstätigen Frau. Jedoch gab es weitaus mehr von denen, die das Filmgeschehen beeinflussten. Die Columbia University widmet diesem


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Thema das Projekt Women Film Pioneers , in dem alle bahnbrechenden Wegbereiterinnen der Filmgeschichte aufgeführt und aus der Vergessenheit gehoben werden. Dieses Projekt ist dringend notwendig, betrachtet man den heutigen Frauenanteil im Filmgeschäft, der bei unter 10 % liegt. Ein peinlicher Rückschritt, wenn man an die Anfangsjahre der Filmgeschichte denkt.

MARY PICKFORD

I

n Zeiten des Stummfilms fiel hauptsächlich Frauen die Rolle als Produzentin, Drehbuchautorin oder Regisseurin zu. Als weibliche Hauptfiguren des Schwarz-Weiß-Films sind zum Beispiel die Regisseurin und Produktionsleiterin ALICE GUY BLACHÉ (1873–1968) zu nennen, die über 600 Stummfilme drehte, oder die Produzentin MARY PICKFORD (1892 - 1979), die ab 1916 mit der Mary Pickford Film Corporation eine bedeuten-

de Geschäftsfrau in Hollywoods Gründerzeit darstellt. Des Weiteren gehörten LOIS WEBER (1879 – 1939) oder DOROTHY ARZNER (1897 – 1979) zu den gefeierten Persönlichkeiten hinter der Kamera. 1915 schrieb das weltweit erste Fanmagazin Motion Picture Magazin in dem Artikel Women’s Conquest in Filmdom, dass in keiner anderen Branche die faire Verteilung zwischen Männern und Frauen so ausgeprägt ist wie im Film.

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ALICE GUY BLACHÉ

Mit dem Tonfilm und dem immer lukrativ werdenden Filmgeschäft samt den gigantischen Studioimperien und Filmpalästen wurden ab den 1930er-Jahren die unabhängigen Regisseurinnen und Produzentinnen in ihrem Schaffen eingeschränkt und vom Markt getrieben. Rasant verwandelte sich die Branche zu einer Männerdomäne. Auch die Darstellung der Frau im Film veränderte sich mit dem überwiegend männlichen Blick der Regisseure – auch wenn die Drehbucharbeit weiterhin den Frauen vorbehalten war. Die Frauenrolle vor der Kamera sollte immer anziehender werden. Diese Attraktion wird bis heute mit Körperlichkeit und Sinnlichkeit erreicht. Die Heroine, die dem Zuschauer in den Anfängen des Kinos begegnet, wird mit den Jahren immer mehr zum Sexobjekt degradiert – Fluch und Segen zugleich. Zu den selbstbewussten Diven der Goldenen Zwanziger gesellten sich wohlgeformte, naiv wirkende und verführerische Charaktere wie MARILYN MONROE (1926 – 1962) oder Brigitte Bardot (*1934), die ebenfalls noch in der Ära der Schwarz-Weiß-Filme zu Ruhm gelangten.

DOROTHY ARZNER


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Im Hinblick auf den männlichen Blick entstand ab 1975 mit der Veröffentlichung des Aufsatzes Visual Pleasure and the Narrative Cinema von LAURA MULVEY ein Diskurs über das Phänomen des »male gaze«. Ein Begriff, der einen aktiv-männlichen, kontrollierenden und voyeuristischen Blick beschreibt. Mulvey geht davon aus, dass die Bildproduktion von Männern für Männer geschaffen wird. Dabei wird die Frau vom Subjekt

GRETA GARBO

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zum Objekt und ist ausschließlich dem Blick des heterosexuellen Mannes ausgesetzt, der sie sowohl bewundert als auch bloßstellt. Der Ausdruck »male gaze« stammt ursprünglich aus der Filmtheorie und spielt besonders in den Genderstudies eine viel diskutierte und bedeutende Rolle. Zusammenfassend erschaffen Filme nicht nur Traumbilder, sondern auch Vorbilder. Vor allem der Stummfilm verstärkte und beschleunigte die Entwicklung der Geschlechterbewegung vor und hinter der Kamera. Frauen erhielten mit dem Film die Möglichkeit, sich international als Kreativschaffende zu behaupten und ihre Vorbilder frei auszuwählen. Bis heute erfinden sich Frauen neu und feiern die Weiblichkeit in ihrer selbstbewusste und verführerischen Art und Weise. Die einzig wahre und vorgesetzte Rolle der Frau in der modernen Gesellschaft gibt es schließlich nicht mehr.

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VOM BOB DYL AN DER MATHEMATIK

Vom

Bob Dylan der Mathematik

GRAUE FREIHEIT IN DER WISSENSCHAFT VON DR. ULRICH HERB

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Graue Literatur klingt nach billigem Recycling-Papier und Copy Shop, freundliche ­ ­Assoziationen kommen nicht so recht auf – aber was ist graue Literatur eigentlich? Der Begriff bezeichnet Publikationen, die nicht im Handel erworben werden können. Veröffentlichungen, die über Buch- und Zeitschriftenhandel bezogen werden können, nennt man weiße Literatur. Diese Kolorierung vermittelt einen Eindruck, welche der beiden Gattungen allgemein als höherwertig gilt. Doch das Lexikon des gesamten Buchwesens wusste bereits 1993 zu mahnen: »Wie bei Buchhandelspublikationen gibt es neben Belanglosem auch Material mit höchstem Quellen- und Informationswert.« Und tatsächlich: Graue Literatur ist besser als ihr Ruf – und nicht selten besser als weiße Verwandte.

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Zu ihr zählen beispielsweise Projekt- und Forschungsberichte, Diskussionspapiere und Dissertationen, die nicht bei einem Verlag erscheinen – Publikationen, deren Verbreitung in den Händen der Produzenten, einzelner Wissenschaftler, Arbeitsgruppen oder Institutionen liegt. Weiße Literatur hingegen verbreiten Verlage und Journale, die bei der Auswahl der zu publizierenden Texte einer gewissen Ökonomie folgen: Wissenschaftliche Buchverlage leiden seit Jahren an sinkenden Absatzzahlen, da ihre Hauptkunden – wissenschaftliche Bibliotheken – notorisch klamm sind. Je heißer das Thema meines Buchmanuskriptes, desto höher die Absatzchancen und umso eher wird ein Verlag es publizieren – und umso geringer fällt der Zuschuss aus, den ich zahlen muss. Diesen veranschlagt der Verlag, wenn er mein Buch verlegt, um keinen finanziellen Verlust zu machen, falls es wie Blei in den Regalen liegt.

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Noch drastischer regiert die Aufmerksamkeitsökonomie bei wissenschaftlichen Journalen. Ihre Bedeutung wird, vor allem in den Naturwissenschaften und der Medizin, an Zitationsraten gemessen. Je höher diese Raten, desto höher die Reputation eines Journals und desto größer die Anziehungskraft für Wissenschaftler. Über 90% der Wissenschaftler an deutschen Universitäten arbeiten befristet und im Kampf um den nächsten Vertrag ist ein Artikel in einem hochzitierten Journal ein Trumpf. Allerdings produziert diese Attraktivität fragwürdige Effekte: Da sie Unmengen an Artikelvorschlägen erhalten, selektieren sie sehr stark und vertrauen auf ein Verfahren, das sich Peer Review nennt. Dabei bewerten Experten die Publikationswürdigkeit eines eingereichten Textes. Originalität und Neuheit der Ergebnisse sind wichtige Kriterien zur Beurteilung der Einreichungen, und Autoren wissen, dass aufsehenerregende Texte größere

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Chancen auf Veröffentlichung haben als andere. Daher sehen sich Wissenschaftler nicht selten dazu verleitet, ihre Artikelvorschläge in einer Art zu designen, die die Publikationswahrscheinlichkeit steigert – und überschreiten dabei mitunter die Grenzen integrer Wissenschaft. Es überrascht nicht, dass in den höchstzitierten Journalen publizierte Artikel mit weit überdurchschnittlicher Häufigkeit zurückgezogen werden, da sich herausstellt, dass ihre Erkenntnisse schlichtweg erfunden waren. Oft setzt die Produktion eines sensationellen Textes auch voraus, dass alle Untersuchungsfälle, die das Ergebnis weniger atemberaubend machen würden, aus der Auswertung entfernt werden – mit der Folge, dass die Resultate häufig in Wiederholungsstudien nicht bestätigt werden können und ihr wissenschaftlicher Gehalt angezweifelt wird.

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in der Kritik: Studien belegen, dass Artikeleinreichungen weiblicher Autoren negativer bewertet als die männlicher Kollegen (selbst wenn die Review durch Frauen erfolgt), sie gilt als innovationsfeindlich, da Reviewer fürchten, einen revolutionären Text zur Publikation zu empfehlen, der sich später als unhaltbar herausstellt. Ebenfalls bietet die Peer Review Gutachtern die Chance zur Sabotage, denn leicht kann man den Artikel eines unliebsamen Konkurrenten als fehlerhaft oder lapidar abtun und eine Publikation verhindern oder eine Karriere torpedieren. Teils wird sie gar in die Nähe der Zensur gerückt. Bei genauem Hinsehen kommen leider Zweifel daran auf, ob die weiße Literatur wirklich so rein ist wie ihr Name es vermuten lässt.

Auch die Peer Review selbst steht

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Wie aber steht es mit der grauen Literatur? Da sie nicht von kommerziellen Akteuren vertrieben wird, unterliegt sie keinen thematischen Zwängen. Insbesondere Forschungsberichte werden zwar durchaus von Kollegen kritisch kommentiert, so dass eine Begutachtung meist gegeben ist, eine zeitraubende Peer Review, die je nach Fach und Journal zwischen mehreren Monaten und Jahren dauern kann, kennt die graue Literatur aber nicht. Darum erfüllt sie ihren primären Zweck besser als weiße Literatur: Kollegen rasch über neue Erkenntnisse zu informieren und sie mit ihnen zu diskutieren, ohne dass die Resultate besonders marktschreierisch sein müssen, sondern einfach Ergebnis solider wissenschaftlicher Arbeit – ohne geschönte oder gefälschte Daten, ohne Übertreibungen und ohne Mainstream-Forschung. Graue Literatur kann auch gehaltvoller sein als weiße: Da Journale oft auch rigide Vorgaben bzgl. des

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Umfangs eines Artikels machen, fallen wichtige methodische Informationen, ohne die geschilderte Ergebnisse nicht wirklich überprüfbar sind, unter den Tisch. Nicht selten wurde ein Journalartikel aber bereits Jahre zuvor in einer umfangreicheren und detaillierteren Vorabversion als Bericht und damit als graue Literatur publiziert, so dass ein Blick in den grauen Vorläufer wichtigste Informationen zur Überprüfbarkeit des Artikels liefert. Jedoch sollte man nicht glauben, graue Literatur können keine revolutionären Inhalte hervorbringen: Grigori Perelman veröffentlichte 2002 seinen Beweis der Poincaré-Vermutung, eines der bedeutendsten mathematischen Probleme, nicht in einem Journal, sondern frei und grau im Internet. Erst anschließend wurde in den höchstzitierten Journalen der weißen Wissenschaftsliteratur über seine Forschung berichtet. Die Verleihung der Fields-Medaille, des Nobelpreis-Pendants der Mathematik, lehnte Perelman übrigens ab.

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Originalität und Neuheit der Ergebnisse sind wichtige Kriterien zur Beurteilung der Einreichungen

Über den Autor DR. ULRICH HERB Soziologe und Informationswissenschaftler, Open-Access-Experte an der Universität des Saarlandes und freiberuflicher Wissenschaftsberater. 135

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SCHREIBTISCH MIT STIL

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t i m h c s i t b i e r h c S – EIN ARBEITSTAG IN GRAU

& GELB –

Interior-Design: Juliane Röthig Fotos: Thea Neubauer Text: Sophie Siekmann 137

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DIE FARBEN GRAU & GELB ziehen sich seit drei Sektionen durch den sisterMAG-Kosmos – und wir bekommen einfach nicht genug von dieser zeitlosen Kombination. Und das, obwohl wir seit Wochen jeden Tag im Bßro sitzen und immer dieselben zwei Farben im Kopf haben. Dabei kam uns ein folgenschwerer Gedanke: Wieso nicht gleich den kompletten Arbeitsplatz in Grau und Gelb tauchen? Und wieso daraus nicht gleich eine farbintensive Fotostrecke kreieren?

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Gesagt, getan: Unterstützung holten wir uns von InteriorExpertin Juliane Röthig, Gründerin von INDECORATE . Mit ihrem Startup bietet sie maßgeschneidertes Interior-Design für jedes Budget. Ob man Hilfe beim letzten Schliff der Einrichtung braucht oder in eine neue Wohnung ohne Möbel zieht – INDECORATE berät persönlich und gleichzeitig erschwinglich. Unser Auftrag an Juliane war klar: Kreiere zwei Arbeitsplätze – in Grau und in Gelb. Nichts leichter als das!

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Das Ergebnis ist ein harmonisches Zusammenspiel aktueller Trendfarben – und bringt neuen Schwung in eingefahrene Schreibtischmotive. Da geht die Arbeit doch gleich viel leichter von der Hand …

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. . . s p p i T s e Julian ELEFANTENGRAU

Elefantengrau ist eine warme, natĂźrliche und elegante Farbe. Sie harmoniert wunderbar mit Naturmaterialien wie dem hellem Holz im Schreibtisch, Seegras in den KĂśrben oder Wolle in Form des Teppichs.

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Abgerundet wird das Ganze durch kleine Akzente, die das Elefantengrau in verschiedenen Nuancen aufgreifen: die marmorierten Pinboards, Vasen aus Beton und frische Zweige aus Eukalyptus, die dank ihres grauen Untertons perfekt zu diesem Look passen.

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Schwarze Akzente unterstreichen den eleganten Charakter und hauchen durch den entstehenden Kontrast dem Look mehr Leben ein.

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. . . s p p i T s e Julian

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Das fröhliche Knallgelb macht Lust auf Sommer und Sonne – ich kombiniere es am liebsten mit hellen Farben wie Weiß und hellem Holz, um dem Look Leichtigkeit und Wärme zu geben. Gelb ist ein toller Ton, aber nur mit Weiß oder Schwarz kombiniert, wirkt es schnell zu hart – daher ist das Holz eine schöne Ergänzung.

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Übrigens: Wer mit großflächiger Farbe spielen will, aber die Wände nicht streichen kann oder will, dem empfehle ich über dem Schreibtisch große Papierbögen in der jeweiligen Farbe mit Washi Tape anzubringen – sieht cool aus und bietet viel Platz für schöne Inspirationen!

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Der fröhliche Ton passt für mich besonders gut zu modernen Design mit verspielten Elementen — kleine DIYs wie der Bügel, wild gemusterte Postkarten oder verspielte Aufbewahrungsobjekte wie die Toto Box von Umbra.

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IMPRESSUM

IMPRESSUM SISTERMAG – JOURNAL FÜR DIE DIGITALE DAME w w w. s i st e r - m a g . co m Chefredaktion Operations Fashion

Theresa Neubauer Christina Rücker, Sophie Siekmann, Franziska Winterling Eva-Maria Neubauer (Fashion Dir.), Cesco Spadaro

Design

Theresa Neubauer (Art Dir.), Marie Darme, Ira Häussler, Lale Tütüncübaşı, Songie Yoon

Illustration

Ana Melo, Mathilde Schliebe, Ira Häussler, Songie Yoon

Redakteure (Text)

Robert Eberhardt, Alex Kords, Saskia Hilgenberg, Ulrich Herb Christine Herrin, Barbara Eichhammer, Lynn Hoefer, Andra Natschke, Julia Laukert, Mia Marjanovic, Juliane Röthig

Redakteure (Foto)

Saskia Bauermeister

Redakteure (Food)

Carole Poirot

Video

Lale Tütüncübaşı

Übersetzung

Alexander Kords, Christian Naethler, Tanja Timmer, Franziska Winterling, Sabrina Bäcker

Endkorrektur

Alexander Kords, Christian Naethler, Dr. Michael Neubauer, Antje Ritter

sisterMAG erscheint alle zwei Monate in der Carry-On Publishing GmbH, Gustav-Meyer-Allee 25, 13355 Berlin, Deutschland. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird keine Haftung übernommen. Die Carry-On Publishing GmbH übernimmt keinerlei Garantie und Haftung für die Richtigkeit, Aktualität und Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen. Alle Angaben sind ohne Gewähr. Kontakt: mail@sister-mag.com Geschäftsführung

Antonia Sutter, Theresa Neubauer, Alex Sutter

Vermarktung

Alex Sutter (Sales Dir.)

Marketing

SISTER-MAG.COM

Antonia Sutter (Marketing Dir.)

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VORSCHAU

SI ST ER M AG 29 SE KT IO N 1

Zuckerwatte & Berliner Blau

ZUCKER WATTE

ER SC HE IN T AM 19 . AP RI L

BERLINER BL AU

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Bis bald!

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