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WOJ 17. Jg. - 2/2011

April/Mai/Juni 2011

ISSN 0947-5273

Christoph Hein liest in D端sseldorf Literatur im Gerhart-Hauptmann-Haus


Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Inhalt Von Nikolaus II. zu Stalin – Die Russlanddeutschen zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg 3 Die Deutschen in der Sowjetunion zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Stalin-Ära 4 Autorenlesung: Ingeborg Jacobs 5 Catalin Dorian Florescu: In der Welt zuhause

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Die Vertreibung im deutschen Erinnern. Legenden, Mythos, Geschichte 7 Kaiser und Diktator – Wilhelm II. und Josef Stalin in Filmporträts

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Nichts über den Kaiser. Zum 70. Todestag Wilhelms II.

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Christoph Hein: Ein untadeliger Mann 10 Ausstellung: Bukarest - Düsseldorf

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Ausstellung: Eduard von Simson

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Ausstellung: „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“ – Max Herrmann-Neisse

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Ausstellung: „Es betrifft Dich!

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Ausstellung: Berühmte Schlesier auf Postwertzeichen und Stempel 16 Exkursion: „Napoleon und Europa. Traum und Trauma“

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Rose Ausländer: „Der Traum lebt mein Leben zu Ende“

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Breslauer Historiker

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Theater: „Die Kahle Sängerin“ und „Die Unterrichtsstunde“

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Versunkene Geschichte – Der „Spiegel“ entdeckt die Ostdeutschen

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Museumsnacht: East meets west 22/23 Lena: Willkommen in Düsseldorf!

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Bibliothek

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C  hronologie

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Impressum

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es ist bereits wieder Zeit, Ihnen unser Programm für das zweite Quartal des Jahres 2011 zu präsentieren. Wie üblich wollen wir Ihr Interesse durch einen facettenreichen „Blick nach Osten“ wecken und Sie dadurch in unser Haus locken. Ich meine, das vorliegende Programm bildet einmal mehr die Vielfalt von Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa ab. Wir setzen einerseits unsere sich über das ganze Programmjahr erstreckende Vortragsund Veranstaltungsreihe fort, deren Anlass der am 23. August bevorstehende 70. Jahrestag des Beginns der Deportation der Deutschen in der Sowjetunion ist. Neben dieser kollektiven Katastrophe stellen wir andererseits einzelne Schicksale in den Mittelpunkt – die manches gemein haben und dennoch unterschiedlicher kaum sein könnten. Da sind zum Beispiel drei Menschen, die ihr Leben in der Emigration beschließen mussten, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser und König von Preußen, starb vor 70 Jahren im niederländischen Exil. Dass er die letzten 23 Jahre seines Lebens dort zubrachte, hatte er freilich in hohem Maße selbst verschuldet. Wenige Wochen vor Wilhelm II. starb der Dichter Max Hermann-Neiße, auch er fern seiner schlesischen Heimat in London. Max Hermann, der seinem Namen den seiner Vaterstadt angefügt hatte, war in den 1920er Jahren ein vielseitiger und erfolgreicher Schriftsteller; er rangierte unter den bekanntesten Autoren der an prominenten Schreibenden wahrhaft reichen Weimarer Republik. Die Verfolgung durch das NS-Regime vertrieb Hermann-Neiße aus Deutschland – in Großbritannien schrieb er die berühmte Gedichtzeile „Bitter ist es, das Brot der Fremde zu essen.“ Diesen Satz konnte gewiß auch Rose Ausländer unterschreiben. Die uralte kulturelle Symbiose von Juden, Rumänen, Ukrainern und Deutschen in ihrer Heimatstadt Czernowitz, der traditionsreichen Hauptstadt der Bukowina, wurde durch die Gewaltregime des 20. Jahrhunderts unwiederbringlich zerstört. Ihre letzte Heimstatt fand Rose Ausländer in Düsseldorf – der Dokumentarfilm, den wir Ihnen mit Hilfe von Helmut Braun, Rose Ausländers letztem Verleger, präsentieren dürfen, wird alle Stationen ihres Lebens beleuchten. Es gibt jedoch, gottlob, nicht nur tote Dichter, die aller Aufmerksamkeit würdig sind. Wir sind stolz, mit dem in Schlesien geborenen Christoph Hein einen der bedeutendsten lebenden deutschen Autoren bei uns präsentieren zu können – ein literarisches Ereignis der besonderen Art, das Sie sich keinesfalls entgehen lassen sollten! Bis bald im Gerhart-Hauptmann-Haus

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Vortragsreihe

Di, 05.04. | 19.15 Uhr

Von Nikolaus II. zu Stalin – Die Russlanddeutschen zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg 1914-1941 Vortrag von Prof. Dr. Hans Hecker, Düsseldorf Fortsetzung der Vortragsreihe 70 Jahre Deportation der Russlanddeutschen Wenn sich als „Nationalstaaten“ verstehende Mächte zu Kontrahenten werden, geraten ethnische Minderheiten, die nicht in das nationalstaatliche Schema passen, leicht zwischen die Mühlsteine der Machtpolitik. Die Deutschen in Russland beziehungsweise in der Sowjetunion waren nicht die erste und leider auch nicht die letzte Bevölkerungsgruppe, welche diese Erfahrung zu machen hatte. Allerdings waren die Folgen nicht immer so gravierend wie für die Nachkommen jener Deutschen, die im 18. Jahrhundert oder später in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ins Zarenreich gezogen waren, um dort dauerhaft zu bleiben. Im 18. Jahrhundert hatten Sprache und Kultur unterschiedlicher Teile einer Bevölkerung aus der Sicht der Herrschenden noch eine untergeordnete Rolle gespielt – solange sich alle ihrer Rolle als steuer- und dienstpflichtige Untertanen bewusst blieben. Als freilich vor allem mit der Französischen Revolution seit 1789 der Siegeszug der Idee des idealtypisch gedacht in jeder Hinsicht einheitlichen Nationalstaates begann, wandelte sich auch die Sicht auf die vermeintlich „Anderen“, die in den eigenen Grenzen lebten. In Preußen etwa wurde die Eigenart einer großen Minderheit polnischsprachiger Staatsbürger zunehmend als Störfaktor wahrgenommen und behandelt. Einer Minderheit, deren Existenz insbesondere auf die Expansionspolitik Friedrichs des Großen (1712-1786) zurückging, eines Königs, der selbst am liebsten Französisch sprach und schrieb, und dem Sprache, Konfession und Kultur seiner Untertanen herzlich gleichgültig waren, wenn sie nur gehorchten, Steuern zahlten und den geforderten Militärdienst ableisteten. Friedrichs Nachfolger auf dem preußischen Thron wandten sich nach und nach der nationalstaatlichen Idee zu, bis hin zu Wilhelm II., der bezeichnenderweise rückschauend von den meisten Menschen heute wohl

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als deutscher Kaiser, aber kaum noch als König von Preußen erinnert wird, der er freilich auch war. Eine vergleichbare Entwicklung vollzog sich auch im russischen Zarenreich, das ungleich mehr Ethnien umschloß als das Deutsche Reich – eine der größten allerdings waren die Deutschen. Nicht zuletzt im Zeichen des aufkeimenden Panslawismus wurde die Sonderstellung – und das heißt vor allem die sprachliche und kulturelle Autonomie – der Russlanddeutschen Schritt für Schritt beseitigt – eine Autonomie, deren dauerhafte Zusicherung für viele ihrer Vorfahren ein entscheidender Grund für die Zuwanderung nach Russland gewesen war. Der Weg zur zwangsweisen Assimilierung wurde bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beschritten. Der (vorläufige) Höhepunkt der gegen die Eigenständigkeit der Deutschen in Russland gerichteten Politik wurde jedoch erst mit dem Ersten Weltkrieg erreicht. Seit dem August 1914 standen sich das Zarenreich und das Deutsche Reich als Kriegsgegner gegenüber. Unbeschadet der Tatsache, dass etwa 300.000 Männer der damals rund 2,4 Millionen Menschen umfassenden Gemeinschaft der Russlanddeutschen in das Heer des Zaren einberufen wurden und gegen das kaiserliche Heer Wilhelms II. zu kämpfen hatten, wurden die Deutschen in Russland jetzt endgültig als „potentielle Verräter“ und „innerer Feind“ betrachtet. Die deutsche Sprache, die deutsche Presse wurden unterdrückt. Schlimmer noch war, dass bereits das Regime des letzten Zaren zum Mittel der Vertreibung griff; etwa 200.000 Wolhyniendeutsche wurden deportiert, da sie „grenznah“ lebten und dementsprechend besonders argwöhnisch betrachtet wurden. Der Untergang des Zarenreiches 1917/18 stellte in dieser Beziehung für die bisherigen deutschen Untertanen des Zaren eine Erleichterung dar. Denn das mit dem verlorenen Krieg und den verschiedenen Etappen der Revolution einhergehende Chaos verhinderte einstweilen weitere

Nikolaus II.

Schritte vergleichbarer Art. Leichter wurden die Zeiten für die betroffenen Menschen deshalb freilich nicht. Der extrem gewaltsam ausgetragene Bürgerkrieg und die daraus folgenden Hungersnöte forderten auch unter der deutschsprachigen Bevölkerung eine hohe Zahl von Opfern. Außerdem gab es aus den bisherigen Siedlungsgebieten der Deutschen eine zahlenmäßig durchaus bedeutsame Fluchtbewegung. Der Aufstieg der Bolschewiki um Wladimir I. Lenin führte zu einer veränderten Nationalitätenpolitik, welche die junge Sowjetunion vom späten Zarenreich unterschied. Schon seit 1918 waren Bestrebungen im Gange, den Deutschen wenigstens in dem Gebiet, in dem sie am konzentriertesten lebten, einen Autonomiestatus einzuräumen. An den ersten Schritten in diese Richtung war im Einklang mit Lenin Ernst Reuter beteiligt, der als deutscher Soldat in russische Kriegsgefangenschaft geraten war und der sich dann den Bolschewiki anschloß – von denen sich der spätere Berliner Oberbürgermeister nach seiner Rückkehr nach Deutschland allerdings rasch wieder abwandte und zur Sozialdemokratie zurückkehrte. Die formelle Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen fand am 6. Januar 1924 statt. Allerdings lebten in dem Gebiet Fortsetzung auf Seite 4

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Vortragsreihe Fortsetzung von Seite 3 der Republik, das in der Hauptsache aus den Gouvernements Saratow und Samara hervorging, von vornherein keineswegs nur Deutsche. Vielmehr machten diese nur etwa 60 Prozent der Bevölkerung aus, danach kamen als größte Gruppen rund 25 Prozent Russen und knapp 10 Prozent Ukrainer, schließlich eine ganze Reihe sehr kleiner Minderheiten, darunter Kasachen und Tartaren. Dementsprechend waren neben Deutsch auch Russisch und Ukrainisch als Amtssprachen zugelassen. Vielleicht war die zweite Hälfte der 1920er Jahre die „goldene Zeit“ der Wolgarepublik. Zwar war das Sowjetsystem von Beginn an repressiv gegen jegliche tatsächliche oder vermeintliche Oppositi-

ten vor der Gewaltsamkeit und den katastrophalen Folgen, welche die Auflösung der Wolgarepublik infolge des von Hitler befohlenen Angriffs auf die Sowjetunion seit August 1941 hatte. Unter den Generalverdacht der „Unterstützung des Feindes“ gestellt, verloren die deutschen Bewohner der Wolgarepublik wie auch die in anderen Gebieten der Sowjetunion lebenden Deutschen binnen kürzester Zeit ihre

Mi, 25.05. | 19.15 Uhr

Die Deutschen in der Sowjetunion zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Stalin-Ära 1941-1956 Vortrag von Dr. Alfred Eisfeld, Nord-Ost-Institut an der Universität Hamburg on, allerdings hatte gerade das autonome Gebiet der Deutschen aus Sicht der Moskauer Machthaber wenigstens zeitweilig den Charakter eines Vorzeigeobjekts. Dort sollten Gästen aus dem Ausland – vorzugsweise Besuchern, die als Angehörige der KPD aus Deutschland kamen – die Großzügigkeit der sowjetischen Kulturpolitik im besonderen und das vermeintliche Erfolgsmodell Sozialismus im allgemeinen demonstriert werden. Nicht entgangen ist die Wolgarepublik aber natürlich der Verschärfung des Terrors im Zeichen der sich seit Ende der 1920er Jahre durchsetzenden Alleinherrschaft Josef Stalins. Die sogenannten „Säuberungen“ in den 1930er Jahren brachten auch für zahlreiche Bewohner der Wolgarepublik den Tod oder langjährige Lagerhaft mit sich. Dabei wurde bereits gegen angebliche „faschistische Agenten und Spione“ vorgegangen. Dem hier skizzierten Abschnitt der Geschichte der Deutschen in Russland beziehungsweise der Sowjetunion widmet sich der Vortrag von Prof. Hecker in ausführlicher Form. Die bereits vorher erlittenen Maßnahmen des Stalinschen Terrorapparates verblass-

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Heimat, alle Rechte – und sehr, sehr viele auch ihr Leben. Die Deportation in weit entfernte und zumeist höchst unwirtliche Regionen fand unter desaströs schlechten Bedingungen statt, was entsprechend hohe Opferzahlen mit sich brachte. Der Vortrag von Dr. Alfred Eisfeld hat die mit dem deutschen Angriff vom 22. Juni 1941 beginnende, grauenvollste Phase der Geschichte der Deutschen in der Sowjetunion zum Gegenstand. Er wird den Bogen bis zum Ende der Stalin-Ära spannen, denn generell blieben die Deutschen in der Sowjetunion auch nach dem für die UdSSR siegreichen Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 eine diskriminierte und weitgehend entrechtete Bevölkerungsgruppe. Alexander Solschenizyn (1918-2008), der wichtigste literarische Chronist des sowjetischen Terrorregimes, hat im dritten Band seines monumentalen Werkes „Der Archipel Gulag“ (in deutscher Sprache zuerst 1976 erschienen) auch die Vertreibung der Deutschen in der Sowjetunion zum Gegenstand gemacht. Er schreibt im Kapitel „Die Völkerverschickung“ in seinem typischen, zum Zynismus neigenden Duktus, nachdem er eingangs dargelegt hatte,

dass Stalin bereits zuvor in kleinerem Maßstab Zwangsumsiedlungen praktiziert hatte: „All dies waren Vorversuche. Erst der Juli 1941 gab den Startschuß für eine breit angelegte Erprobung der Methode. Die autonome und natürlich hochverräterische Republik der Wolgadeutschen […] mußte leergeschrubbt und innerhalb weniger Tage nach irgendwohin weiter ostwärts verfrachtet werden. Hier war erstmals und in reinster Form das dynamische Verfahren der Völkerverschickung angewandt worden, und dieser Vorteil, sich eines einzigen Schlüssels, nämlich der im Paß vermerkten Nationalität, anstelle der vielen Untersuchungsakten und individuell zu treffender Entscheidungen, bedienen zu können, entpuppte sich als überaus zeitsparende und fruchtbare Errungenschaft. Auch bei den anderen Deutschen, die in allen Winkeln der Sowjetunion aufgestöbert wurden (keiner blieb unbehelligt), brauchte die lokale NKWD keine Hochschulbildung, um zu entscheiden, wer ein Feind, wer keiner war. Ein deutscher Familienname genügte, das Schloß schnappte zu.“ Wer etwas über die Realität der Sowjetunion erfahren möchte, wird von der allerdings über weite Strecken schwer erträglichen Lektüre Solschenizyns immer noch profitieren. Prof. Dr. Hans Hecker, bis zu seiner Emeritierung Lehrstuhlinhaber für Osteuropäische Geschichte an der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, ist den ´Gästen des Gerhart-Hauptmann-Hauses und den Leserinnen und Lesern unseres Journals seit langem bekannt (vgl. auch Ost-West-Journal Nr. 1/2011). Eine nähere Vorstellung erübrigt sich daher an dieser Stelle. Dr. Alfred Eisfeld, der selbst Russlanddeutscher ist, ist studierter Historiker. Er arbeitet am Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa an der Universität Hamburg (Nord-Ost-Institut). Herr Dr. Eisfeld hat eine Vielzahl von Publikationen zu Fragen der russlanddeutschen Geschichte vorgelegt. Darunter befindet sich etwa der Band „Die Russlanddeutschen“, dessen zweite Auflage 1999 erschien. Winfrid Halder

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Buchvorstellung

Do, 19.05. | 19.15 Uhr

Die eiserne Marie Die Geschichte des Wolfskindes Liesabeth Otto Im Mai 1994 war die Filmemacherin Geschwistern schlägt fehl und so werden Ingeborg Jacobs im Gebiet Kaliningrad aus wenigen Wochen acht lange Jahre, unterwegs. Für eine Reportage suchte die sie über die Dörfer zieht – fast immer sie Russlanddeutsche, als sie auf die allein. Nur selten schließt sie sich anderen alte Ostpreußin Liesabeth Otto traf. Sie Kindern an, die in der gleichen Lage sind wurde neugierig, lebten damals doch nur wie sie: „Wolfskindern“. So nannte man noch rund zwanzig bis dreißig ehemalige die ostpreußischen Kriegswaisen und KinEinwohner in dem Gebiet. Als sie auf der, die von ihren Eltern getrennt wurden Deutsch zu erzählen begann, war sogleich und die der Hunger ins ländliche Litauen klar: Liesabeth Ottos Lebensgeschichte ist trieb. Wie viele Kinder es bei Kriegsende einmalig. Die Filmautorin fragte sie, ob waren, ist nicht bekannt. Schätzungen gesie einverstanden sei, vor hen davon aus, dass sich die Kamera zu treten und 1948 ca. 5.000 deutsche durfte sogleich mit den Kinder und Jugendliche Dreharbeiten beginnen, in Litauen aufhielten. die wenige Monate später Im Jahr 1953, Liesabeth im Gebiet Kaliningrad, ist fünfzehn Jahre alt, in Litauen und der ruswird sie wegen eines sischen Taiga fortsetzt Diebstahls zu sieben Jahwurden. Staunend und ren Straflager verurteilt oft erschüttert erhielt das und kommt ins KinderFilmteam dabei Einblick gefängnis in Kineschma in ein einzigartiges Lean der Wolga. Weil sie ben. sich außerordentlich gut Liesabeth Otto stammt führt, wird sie nach zwei aus Wehlau, einer KleinJahren begnadigt. Aber Ingeborg Jacobs stadt östlich von Königsder 17-jährigen gelingt berg. Ende Januar 1945 es nicht, Fuß zu fassen. ist sie sieben Jahre alt, als sie von dort Allein und mittellos, ohne Arbeit, ohne mit der Mutter und den beiden älteren Wohnung und ohne jede Aussicht auf Geschwistern über Pillau bis nach Dan- eine Existenz, begeht sie aus lauter Verzig flieht, wo die Mutter nach mehreren zweiflung wieder einen Diebstahl – um Vergewaltigungen durch sowjetische zurück ins Lager zu kommen, wo sie ein Soldaten stirbt. Auf sich gestellt ziehen Dach über dem Kopf, Schutz und etwas zu die drei Kinder zu Fuß nach Osten in ihre essen hat. Doch statt im Kinderstraflager Heimat zurück, doch das Elternhaus ist endet der Gefangenentransport in einem von sowjetischen Soldaten besetzt und so Frauenstraflager bei Archangelsk am hausen sie in einem leer stehenden Haus Weißen Meer. Dort wird aus Maritje die vor der Stadt. Wo sich ihr Vater befindet, „eiserne Maria“: Sie ist kräftig, lässt sich wissen sie nicht. Einige Wochen später von niemandem etwas sagen und kann läuft Liesabeth nach einem Streit mit gut arbeiten. Nach vier Jahren Haft unter Bruder und Schwester davon. Der Hunger skrupellosen, gewalttätigen Frauen, die treibt die Kleine aus dem besetzten Ost- mit dem Urteil „mehrfach lebenslänglich“ preußen nach Litauen: bei Bauern findet ohnehin nichts mehr zu verlieren haben, sie Unterschlupf, solange es dort Arbeit wird sie vorzeitig entlassen. gibt, sonst übernachtet sie in Scheunen, 1959 beginnt Liesabeth Ottos Irrfahrt Wäldern oder unter Brücken. Sie wird als durch die Sowjetunion. Von Taganrok Deutsche mit Hunden gejagt, bei Hitler- nahe Rostov am Don geht sie nach Spielen aufgehängt, vergewaltigt und mit Baku, dann wieder zurück nach Litauen, einem Sack über dem Kopf in einen Fluß schließlich nach Sibirien. Immer wieder geworfen. Um nicht weiter aufzufallen, versucht sie – durch eine Ehe mit einem nennt sich Liesabeth bald Maritje, „kleine Russen längst Maria Logwinenko - ihre Maria“ auf Litauisch. Verwandten zu finden. 1975 findet sie endDie stets beabsichtigte Rückkehr zu ihren lich durch Vermittlung des Roten Kreuzes

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ihren Vater und Bruder wieder. Kaum ein halbes Jahr vergeht bis zur Ausreise in den Westen. Mit einem Eimer voller Beeren, einem Koffer und der neunjährigen Tochter an der Hand kommt Liesabeth Otto im September 1975 in Braunschweig an. Die 38-Jährige will ein neues Leben beginnen, erlernt innerhalb kürzester Zeit wieder ihre Muttersprache, lebt zuerst beim Vater, schließlich in einer eigenen kleinen Wohnung. Doch sie fühlt sich nicht willkommen in Westdeutschland. Weihnachten 1976 packt Liesabeth Otto ihre Koffer – und fährt zurück hinter den eisernen Vorhang. Anfang der achtziger Jahre gelingt es Liesabeth Otto unter großen Schwierigkeiten, in ihre alte Heimat, ins Gebiet Kaliningrad, das ehemalige nördliche Ostpreußen, zurückzukehren. 2010 erhält sie endlich ihre deutsche Staatsangehörigkeit zurück. Daraufhin zieht sie wieder nach Deutschland und lebt nun in der Nähe von Hannover. Wenn sie aber das Heimweh packt, besucht sie Tochter und Enkelkinder im Gebiet Kaliningrad. Nur hier fühlt sie sich zu Hause, in ihrem kleinen Holzhäuschen und einem Garten, in dem sie Kartoffeln und Gemüse anbaut. Ingeborg Jacobs Die Autorin- und Filmemacherin Ingeborg Jacobs stellt ihr 2010 erschienenes Buch „Wolfskind. Die unglaubliche Lebensgeschichte des ostpreußischen Mädchens Liesabeth Otto“ vor. Im Rahmen der Abendveranstaltung wird auch der 30minütige Dokumentarfilm „Irgendwo gebettelt, irgendwo geklaut…“ (1995), in dessen Mittelpunkt das bewegende Schicksal des „Wolfskindes“ Liesabeth Otto steht, gezeigt.

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Buchvorstellung

Di, 14.06. | 19.30 Uhr

In der Welt zuhause: Adelbert-von-Chamisso Preisträger zu Gast in Düsseldorf Catalin Dorian Florescu wurde 1967 im rumänischen Timişoara geboren und lebt heute als Autor und Suchttherapeut in der Schweiz. 2002 erhielt er den Adelbertvon-Chamisso Preis der Robert-BoschStiftung. In seinen Büchern spannt der vielfach ausgezeichnete Autor Catalin Dorian Florescu historisch und geographisch einen weiten Bogen und nimmt seine Leser mit auf eine Zeitreise von Osteuropa bis Amerika. „Jacob beschließt zu lieben“ In Catalin Dorian Florescus Roman «Jacob beschliesst zu lieben» wagen vierhundert Familien aus dem Dorf Triebswetter die Rückkehr nach Lothringen, jene Landschaft, aus der zweihundert Jahre zuvor Frederick Obertin, der Vorfahr der im Dorf angesehenen Familie Obertin, ausgezogen war. Maria Theresia versprach, damals am Ende des 18. Jahrhunderts, den Siedlern Steuererleichterungen und weitere Privilegien. Ebenso gross wie damals ist auch jetzt die Ungewissheit, was die Zukunft bescheren wird. rd. Um das vertraute Leben wenigstens stückweise zu retten, ziehen die Menschen mit ihren Tieren und Möbeln in die unbekannte Ferne, ja auch mit ihren Toten, deren Särgee sie der Familiengruft entnommen haben. Selbst die grosse Glocke der Kirche nehmen sie mit, weil das religiöse Leben dann weiterhin seine „Stimme“ behalte - wie die Dorfbewohner sagen. Zurück im Dorf Triebswetter bleiben nur wenige – unter ihnen Jacob Obertin und sein Vater Jakob. Sie werden wenige Wochen später, im Sommer 1951, am Bahnhof von Timişoara von den rumänischen Kommunisten zusammengetrieben und in Güterwagen deportiert – angeblich nach Sibirien. In Wirklichkeit aber setzt man die Deportierten in einem Niemandsland, noch innerhalb der rumänischen Grenzen, buchstäblich aus. Jede Familie bekommt ein markiertes Rechteck zugeteilt, „das eigene Land“, wie die Soldaten höhnisch anmerken. „Ich baue uns ein Haus am Ende der Welt“: Jacobs Satz, gesprochen

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in apokalyptischer Ausweglosigkeit, beendet Florescus Roman. Der Roman ist mehr als Familiengeschichte. Florescus Familiensaga der Obertins umspannt in sechs grossangelegten Kapiteln 300 Jahre und reicht bis in die Zeit des Dreissigjährigen Krieges zurück. Denn während des Schwedisch-Französischen Krieges (1636–1648) taucht der erste Obertin auf, der Lothringer Caspar Obertin, der sich als Soldat in der Schwedenarmee eingereiht hat und im Elsass gegen die Kaiserlichen, d. h. gegen das Haus Habsburg, kämpft. So verschränkt der Roman individuelle Schicksale zwanglos mit historischen Ereignissen und mit der Geschichte der Eroberungen, Diktaturen und politischen Umwälzungen. „Zaira“ Zaira wächst auf einem rumänischen Gutshof unter der Obhut ihrer stolzen Großmutter und ihres Cousins Zizi auf. Um sie über ihre Einsamkeit hinwegzutrösten, spielt er für sie Theater, das sie begeistert und das ihr Lebensinhalt wird. Der Krieg, der Faschismus, dann der Kommunismus verändern dramatisch die Lage der Fadra milie. Dank ihrer Begabung wird milie Zaira zu einer berühmten MariZai onettenspielerin, doch bleibt sie unstet und rastlos. Eine gefährliche Flucht über Prag bringt Zaira mit Mann und Tochter nach Amerika. Kämpferisch und zäh, dabei menschlich und liebenswert, gelingt es ihr, in der Fremde eine Existenz aufzubauen, doch glücklich wird sie nicht. Als alte Frau faßt sie den Mut, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Catalin Dorian Florescu, erhielt für seine Romane „Wunderzeit“ (2001), „Der kurze Weg nach Hause“ (2002), „Der blinde Masseur“ (2006) und Zaira (2008) u. a. das Hermann-Lenz-Stipendium, den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis und den Anna Seghers Preis. „Wunderzeit“ war Buch des Jahres 2001 der Schweizerischen Schillerstiftung. Übersetzungen von „Der blinde Masseur“

Catalin Dorian Florescu ins Spanische, Niederländische, Rumänische, Französische und Italienische sind bereits erschienen oder in Vorbereitung. Im Zusammenhang mit dem neuen Roman „Jacob beschließt zu lieben“ wurde der Autor bereits zum Stadtschreiber von Erfurt und Stadtschreiber von BadenBaden ernannt und erhielt ein Heinrich Heine-Stipendium. Lesung & Diskussion im Rahmen der Düsseldorfer Literaturtage - Bücherbummel auf der Kö 2011 Catalin Dorian Florescu: „Jacob beschließt zu lieben“ & „Zaira“ Moderation: Maren Jungclaus, Literaturbüro NRW e.V. Eintritt an der Abendkasse: 4 EUR (Schüler frei) Termine für eine Lesung für Schülerinnen und Schüler ab 8. Klasse am 13. Juni und am 14. Juni mit dem Autor können vereinbart werden (Ansprechpartnerin: Dr. Katja Schlenker, Tel. 0211 1699123,schlenker@g-h-h.de) K.S. Literaturbüro NRW e.V. in Kooperation mit dem Gerhart-Hauptmann-Haus

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Buchvorstellung

Mi, 29.06. | 19.15 Uhr

Die Vertreibung im deutschen Erinnern. Legenden, Mythos, Geschichte Buchvorstellung mit Dr. Eva Hahn und Prof. Dr. Hans Henning Hahn, Carl-von Ossietzky-Universität Oldenburg Wer gegenwärtig Informationen zum Thema Flucht und Vertreibung aus dem historischen deutschen Osten sucht, wird leicht fündig. Gibt man die entsprechenden Stichworte bei einem der einschlägigen Internetanbieter für Bücher und andere Medien ein, so erhält man in Sekundenschnelle gleich mehrere Hundert „Treffer“. Es herrscht beileibe kein Mangel an wissenschaftlichen Untersuchungen, Quellensammlungen, Zeitzeugenberichten oder auch fiktionalen Verarbeitungen des Themas, gleichviel ob nun in gedruckter Form oder als Film. Und auch im Bereich des nutzerfreundlichen „Hörbuchs“ bieten sich inzwischen den Interessierten diverse Möglichkeiten. So hat etwa Walter Kempowski noch kurz vor seinem Tod im Jahr 2007 seinen letzten, eine Flucht aus Ostpreußen behandelnden Roman noch vollständig aufgenommen – wer mag, kann sich also „Alles umsonst“ vom Autor selbst gelesen auch anhören. Der „Markt“ für das Thema war wohl noch nie so günstig wie heute, und zwar zu einem Zeitpunkt, da die „Erlebnisgeneration“ schrumpft und es gleichwohl viele andere, jüngere Menschen gibt, die sich dafür interessieren. Nicht von ungefähr haben die Medien längst die Generation der „Kriegskinder“ entdeckt und richten ihr Augenmerk inzwischen verstärkt gar schon auf die „Kriegsenkel“. Die sind offenbar ihrerseits bereit, für Informationen über das Geschick ihrer Großeltern und anderer Anverwandter „aus dem Osten“ auch Geld auszugeben – denn hielte die Konjunktur nicht an, wäre der Strom der medialen Angebote längst versiegt oder wenigstens schmaler geworden. Dass dem offenbar aber nicht so ist, zeigt etwa der Umstand, dass der renommierte C. H. Beck Verlag – der nicht eben zu den „Billiganbietern“ auf dem Buchmarkt zählt – in Kürze einen neuen Überblicksband über „Flucht und Vertreibung der Deutschen“ herausbringt, der mit mindestens einem halben Dutzend vergleichbarer Darstellungen jüngeren Datums zu konkurrieren haben wird. Der „Erinnerungsboom“, dessen Ursprün-

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ge spätestens mit dem Erscheinen von Günter Grass` Novelle „Im Krebsgang“ über den grauenvollen Untergang der mit Flüchtlingen überfüllten „Gustloff“ im Januar 1945 im Jahr 2002 fassbar geworden ist, hält also an. Das zeigt auch der Umstand, dass die Art und Weise des Umgangs mit dem Thema Flucht und Vertreibung in der öffentlichen – will heißen staatlich-offiziellen – Erinnerungskultur noch immer heikel ist. Das Projekt der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mit öffentlichen Mitteln in der Bundeshauptstadt Berlin eine repräsentative Erinnerungsstätte zu schaffen, steht noch immer im Fokus großen medialen Interesses und dies durchaus über die Grenzen Deutschlands hinaus. All dies ist erklärungsbedürftig – eine umfassende Zusammenschau über den Umgang mit Flucht und Vertreibung in der deutschen Öffentlichkeit haben nun Dr. Eva Hahn und Prof. Dr. Hans Henning Hahn vorgelegt. Ihr Bestreben ist es, „eine analytische Bestandsaufnahme des bisherigen Erinnerns an die Vertreibung“ zu bieten und gleichzeitig weiterführende Forschungen anzuregen. Da die Autorin und der Autor bei ihrem Unterfangen einen Zeitraum von inzwischen mehr als sechs Jahrzehnten zu berücksichtigen hatten, in denen sich das Auf und Ab der Erinnerung an die Geschehnisse im historischen deutschen Ostens gegen Ende des Zweiten Weltkrieges vollzog, verwundert es nicht, dass ihr Werk mehr als 800 gewichtige Seiten aufweist. Die wichtigsten Erkenntnisse und Thesen daraus werden beide gemeinsam vor- und zur Diskussion stellen. Beide sind bereits durch eine Vielzahl einschlägiger früherer Veröffentlichungen als streitbare Experten ausgewiesen. Eva Hahn ist gebürtige Pragerin; sie hat ihre tschechoslowakische Heimat 1968 verlassen und lebt seither in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist wie ihr Mann Osteuropahistorikerin und hat in Prag, Stuttgart und London studiert. Dort wurde sie 1981 an der London School of Economics promoviert. Ihr Spezialgebiet ist die jüngere tschechische Geschichte sowie die Geschichte

Prof. Dr. Hans Henning Hahn der deutsch-tschechischen Beziehungen. Von 1981 bis 1999 war Eva Hahn wissenschaftliche Mitarbeiterin am Collegium Carolinum in München. Seither ist sie als freischaffende Historikerin tätig. Hans Henning Hahn hat Osteuropäische Geschichte und Germanistik an den Universitäten Köln und Freiburg i. Br. studiert. 1977 wurde er in Köln als Schüler Theodor Schieders promoviert. Er hat sich frühzeitig auf die Geschichte der deutschpolnischen und der deutsch-tschechischen Beziehungen spezialisiert. Im Jahre 1986 habilitierte sich Hans Henning Hahn in Köln und wurde 1992 auf eine Professur für Osteuropäische Geschichte an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg berufen, wo er nach wie vor lehrt. Er hatte Gastprofessuren an den Universitäten von Warschau und Krakau inne, außerdem ist er Beauftragter der Universität Oldenburg für die Partnerschaft mit der Universität Thorn/Torún. Prof. Hahn gehört zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen und Gremien an, darunter die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission der Historiker und Geographen. Im September 2010 erhielt er in Berlin in Gegenwart von Bundestagspräsident Norbert Lammert aus den Händen des polnischen Staatspräsidenten Bronisław Komorowski die Dankesmedaille des Europäischen Zentrums der Solidarność, mit der Menschen geehrt werden, die sich frühzeitig für die Unterstützung der polnischen Gewerkschafts- und Bürgerrechtsbewegung engagiert haben. Winfrid Halder

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Kinemathek

Mo, 23.05. (Stalin) 20.06. (Wilhelm) | jeweils 15 Uhr

Kaiser und Diktator – Wilhelm II. und Josef Stalin in Filmporträts Majestät brauchen Sonne (D 1999) | Stalin (D 2003) Auch wenn die beiden Männer nicht viel gemein hatten, so ist es doch bedenkenswert, dass ihre Lebensläufe rein äußerlich betrachtet lange Zeit parallel verliefen. Wilhelm II. war noch keine 20 Jahre alt, als Stalin geboren wurde. Seinen „Kampfnamen“ als Untergrundkämpfer der russischen Bolschewiki hat er sich freilich erst viel später zugelegt. Einstweilen hieß der am 18. Dezember 1878 in Gori geborene spätere sowjetische Gewaltherrscher Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili. Der georgische Schuhmachersohn und der preußische Prinz lebten in völlig verschiedenen Welten – vielleicht teilten sie dennoch ein Antriebsmoment ihrer Adoleszenz: Nämlich den Widerstandswillen gegen das, was die Eltern aus ihnen machen wollten. Jossif allerdings wandte sich vor allem gegen den prügelnden, oft betrunkenen Vater, Wilhelm wehrte sich gegen übermächtigen Willen seiner Mutter, aus ihm den bestmöglichen Thronfolger – oder das, was sie darunter verstand – zu machen. Beider Rebellionen wirkten sich langfristig zerstörerisch aus: Der Kaiser sperrte sich gegen alle Versuche, im Deutschen Reich nach dem von seiner Mutter favorisierten Vorbild

Großbritanniens den Parlamentarismus zu stärken. So wurde Deutschland erst 1918 demokratisiert, ohne den zwangsweise abgedankten Kaiser. Stalin hasste die Welt des späten Zarenreiches, das seit 1894 von Wilhelms Cousin Nikolaus II. regiert wurde. So hat er an der Seite Lenins nach Kräften zu ihrer Vernichtung beigetragen – eben jenes Lenin, der ohne die Hilfe des kaiserlich deutschen

die Mehrheits-Sozialdemokraten um Friedrich Ebert mit herbeigeführt – sie wollten vor allem eines verhindern, nämlich „russische Zustände“. Wir zeigen – im Zusammenhang mit den entsprechenden Vortragsveranstaltungen – zwei Filmdokumentation. Der 1999 entstandene Film des Regisseurs und Produzenten Peter Schamoni „Majestät brauchen Sonne“ hat Furore gemacht. Niemand hatte zuvor das reichhaltige Filmmaterial, das über Wilhelm II. existiert, so konsequent „sichtbar“ gemacht wie Schamoni. Der über weite Strecken selbst agierende Kaiser war tatsächlich in gewissem Sinne Deutschlands erster „Filmstar“. Winfrid Halder

Generalstabs wohl kaum rechtzeitig aus dem Exil in der Schweiz nach Russland hätte zurückkehren können, um sich an die Spitze der Revolution zu stellen. Die verantwortlichen Generäle Wilhelms II., Ludendorff und Hindenburg, unterstützten die bolschewistischen Revolutionäre, um den Kriegsgegner Russland in die Knie zu zwingen. So fiel Wilhelm II. wenigstens eine indirekte Mitschuld an der Ermordung Nikolaus’ II. und seiner Familie auf Befehl Lenins und seiner Helfer im Juli 1918 zu. Stalins Aufstieg zum gewalttätigen Diktator in der Sowjetunion erlebte Wilhelm II. nur aus der Ferne als abgedankter Kaiser im niederländischen Exil mit. Das Ende der Monarchie in Deutschland im November 1918 hatten

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Vortrag

Do, 09.06. | 19.15 Uhr

Nichts über den Kaiser. Zum 70. Todestag Wilhelms II. Vortrag von Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Chemnitz Am 9. Juni 1941, vor genau 70 Jahren, wurde Wilhelm II. beigesetzt. Der ehemalige Kaiser war fünf Tage zuvor im Alter von 82 Jahren verstorben. Er hatte ausdrücklich verfügt, dass bei der Trauerfeierlichkeit im niederländischen Doorn über ihn persönlich nichts gesagt werden solle, vielmehr hatte sich Hofprediger Dr. Bruno Doehring darauf zu beschränken, einige vom Verstorbenen beizeiten selbst ausgesuchte Bibelstellen vorzutragen. So wurde also an jenem Frühsommertag nichts gesagt über den Mann, dessen persönliche Rolle so kontrovers und breit diskutiert wurde wie die kaum einer anderen Persönlichkeit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nicht von ungefähr hatte der französische Autor Jules Arren bemerkt, über Wilhelm II. sei bereits „schlechterdings alles gesagt worden“ – dies allerdings bereits 30 Jahre vor dem Tod des Monarchen, nämlich 1911. Arren konnte damals natürlich nicht ahnen, dass der Streit über Wilhelm II. in den folgenden Jahrzehnten noch weit heftiger ausgetragen werden würde als zu dem Zeitpunkt, an dem er seine Feststellung traf. 1911 war Wilhelm II. erst 52 Jahre alt, amtierte aber bereits seit 23 Jahren als deutscher Kaiser und König von Preußen. Der frühe Tod seines Vaters, der als Friedrich III. im Jahre 1888 keine hundert Tage auf dem Thron zugebracht hatte, als den 57-Jährigen eine Krebserkrankung hinwegraffte, hatte Wilhelm II. an die Spitze des Deutschen Reiches gebracht bevor er noch sein drittes Lebensjahrzehnt vollendet hatte. Schon von jenem Juni 1888 an, in dem Wilhelm II. seine erste öffentliche Äußerung als Herrscher nicht etwa an das deutsche Volk insgesamt, sondern erst einmal an „seine“ Armee richtete, schieden sich die Geister an ihm. Kein deutscher oder preußischer Herrscher vor ihm hat so die Öffentlichkeit gesucht wie Wilhelm II.; er wollte stets Eindruck machen, ließ keine Gelegenheit aus, „markige“ Reden zu halten – während aber die Untertanen, die bei den Auftritten des Kaisers zugegen waren, zumeist pflichtschuldig in Hochrufe ausbrachen, schüttelten viele Angehörige der

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politischen Eliten hinter den Kulissen den Kopf. Seine eigene Mutter, die Kaiserinwitwe Victoria, Tochter der gleichnamigen britischen Königin, fand Wilhelms herrscherliches Gebaren schlicht „kindisch“, man wisse oft nicht, „ob man lachen oder weinen“ solle, wie sie ihrer Mutter schon 1890 schrieb. Der Architekt Paul Wallot, der dem für den jungen Kaiser offenbar selbstverständlichen Versuch, in die vor seiner Thronbesteigung längst fertigen Pläne für das Reichstagsgebäude in Berlin hineinzureden, ein mutiges und entschlossenes „Majestät, das geht nicht!“ entgegensetzte, konnte die Eingriffe zur „Verbesserung“ des Entwurfs zwar erfolgreich abwehren, zog sich aber dauerhaft den Zorn Wilhelms II. zu, der nie lernte mit Widerspruch konstruktiv umzugehen. Wallot schrieb 1893 einem Freund: „Uebrigens stehe ich mit meiner Wut nicht allein. Der Kaiser hat es verstanden, in kurzen 3-4 Jahren das große hinterlassene Kapital von Anhänglichkeit und monarch. Gefühlen in der Nation gründlich abzuwirtschaften.“ Die Fürstin Marie Radziwill, stets bestens informierte Angehörige der Berliner Hofgesellschaft, stellte ein gutes Jahr später fest, „[…] Tag für Tag verliert er [der Kaiser] jene Popularität, die die Stärke seines Großvaters [Kaiser Wilhelms I.] war.“ Und da hatte Wilhelm II. die umstrittensten Handlungen als Herrscher noch vor sich. Nicht zuletzt über seinen persönlichen Anteil am Weg des Deutschen Reiches in den Ersten Weltkrieg ist äußerst erbittert gestritten worden. Klar ist, dass die von ihm wenigstens mitverschuldete Katastrophe der Jahre 1914 bis 1918 Wilhelm II. den Thron kostete. Am 9. November 1918 verkündete der letzte von Wilhelm II. berufene Reichskanzler, Prinz Max von Baden, dessen Thronverzicht als deutscher Kaiser und preußischer König – wozu ihm Wilhelm II., realitätsblind wie eh und je, zuvor die Zustimmung ausdrücklich verweigert hatte. Der saß allerdings weit weg im militärischen Hauptquartier an der Westfront im belgischen Spa, während Max von Baden im revolutionären Berlin eine weitere Eskalation der Gewalt zu

Kaiser Wilhelm II. im Rosengarten seines niederlänische Exils, Haus Doorn verhindern suchte. Erst am 28. November 1918, als in Berlin längst der „Rat der Volksbeauftragten“ um den MehrheitsSozialdemokraten Friedrich Ebert regierte, hat Wilhelm II. formell abgedankt. Dass er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in den Niederlanden befand, die im Ersten Weltkrieg ihre Neutralität hatten wahren können, also persönlich unbehelligt ins Exil entwich, ist ihm in Deutschland selbst von überzeugten Monarchisten schwer verübelt worden. Der liberale Breslauer Historiker Johannes Ziekursch stellte unumwunden fest: „Als der Kaiser nach Holland ging, tötete er die Monarchie in Deutschland.“ Wilhelm II. hatte in den Niederlanden, zunächst als Gast des Grafen Bentinck in Amerongen, dann in einem von ihm erworbenen Schlösschen im unweit von Utrecht gelegenen Doorn residierend, noch 23 Jahre Zeit, über die eigene Verantwortung nachzudenken. Wirklich getan hat er dies gleichwohl nicht. Als er schon 1922 seine Erinnerungen unter den Titel „Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918“ vorlegte, handelte es sich um eine erkennbar bemühte Selbstrechtfertigung, die einige prekäre Aspekte der Regierungszeit Wilhelms II. einfach beiseite ließ oder die Verantwortung anderen anlastete. Der einst äußerst umtriebige Ex-Monarch, aus dessen Initialen „W. I. R.“ – Wilhelm Imperator Rex – der Berliner Volksmund rasch „Wilhelm Immer Fortsetzung auf Seite 10

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Vortrag / Lesung Fortsetzung von Seite 9 Reisefertig“ gemacht hatte, sah sich in Doorn festgehalten, da an ein Verlassen der Niederlande nicht zu denken war, auch nachdem Bestrebungen, ihn wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen, relativ rasch im Sande verlaufen waren. Im Park von Doorn sind freilich noch heute die Spuren des bevorzugten, geradezu mit Besessenheit betriebenen Zeitvertreibs des abgedankten Herrschers erkennbar: Die Lücken im Baumbestand weisen auf Tausende von Stämmen hin, die Wilhelm zu Kleinholz verarbeitete. Auch sein letztes Lebensjahr verbrachte Wilhelm II. in den Niederlanden, obwohl das Land seit dem Mai 1940 von Hitlers Wehrmacht besetzt war. Ob die „Ehrenwache“, die ihm auf Hitlers Befehl gestellt wurde, mehr der Ehre oder der Bewachung eines faktisch Gefangenen diente, steht dahin. Jedenfalls verschwendeten die Machthaber des NS-Staates keinen Gedanken daran, Wilhelm etwa wieder nach Deutschland zurückzuholen – und er selbst wollte das auch gar nicht. Vor seinem Tod verfügte er, dass sein Leichnam im Doorner Mausoleum zu bleiben habe, solange in Deutschland nicht die Monarchie wiederhergestellt sei. Da ruht er noch heute – und wird dort bleiben. Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll wird sich in seinem Vortrag mit den unterschiedlichen Bewertungen Wilhelms II. bis hin zu seiner Exil-Zeit auseinandersetzen. Er ist ein hervorragender Kenner der Materie, der sich bereits in seiner Dissertation mit der Geschichte des Hauses Hohenzollern auseinandergesetzt hat (in diesem Falle mit dem Großonkel Wilhelms II., mit König Friedrich Wilhelm IV., ohne dessen kinderlosen Tod ersterer wohl nie Kaiser geworden wäre). Prof. Kroll ist Inhaber des Lehrstuhls für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Technischen Universität Chemnitz. Er hat zahlreiche einschlägige Veröffentlichungen vorgelegt, darunter „Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates“, Paderborn u. a. 2001 sowie als Herausgeber und Autor des Beitrages über Wilhelm II. „Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II.“, München 2000. Er ist darüber hinaus Vorsitzender der Preußischen Historischen Kommission sowie Mitherausgeber der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“. Winfrid Halder

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Mo, 13.06. | 19 Uhr

Ein untadeliger Mann Christoph Hein liest in Düsseldorf Als Christoph Hein 1998 zum Präsidenten des endlich auch gesamtdeutsch gewordenen PEN-Zentrums gewählt wurde, bezeichnete die Wochenzeitung „Die Zeit“ dies als „glücklichen Griff“, denn Hein sei ein „untadeliger Mann“. Dergleichen berechtigtes Lob kommt beileibe nicht allen zu, deren Lebensweg Parallelen zu dem Heins aufweist. Denn er hat die ersten 45 Jahre seines Lebens im Zeichen der Unfreiheit zubringen müssen, war allen Gefahren und Versuchungen ausgesetzt, die damit verbunden waren (und sind), in einer Weltanschauungsdiktatur bestehen zu müssen – obendrein als intellektuell und künstlerisch ambitionierter Mensch und damit des besonderen Misstrauens der Machthaber gewiss. Den Nationalsozialismus hat Hein nicht bewusst erleben müssen, freilich verdankt er der NS-Diktatur den Verlust der Heimat als er kaum ein Jahr alt war. Christoph Hein wurde im April 1944 als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Heinzendorf, unweit der schlesischen Kreisstadt Münsterberg geboren. Wie für so viele andere gebürtige Schlesier wurde Sachsen auch für Christoph Hein das eigentlich prägende Umfeld in Kindheit und Jugend. Nach der Vertreibung gelangte er mit seiner Familie nach Bad Düben, etwa 20 Kilometer nördlich von Leipzig gelegen. Die Erfahrungen, die er als Heranwachsender dort gemacht hat, hat Christoph Hein viel später in seinem Roman „Landnahme“ (2004 erschienen) verarbeitet. Da kommt ein Junge neu in die Schulklasse und sein schlesischer Dialekt stempelt ihn für die Mitschüler sogleich zum „Polacken“. Der politisch korrekte Mathematiklehrer macht ihm klar, dass sein Herkunftsort keineswegs Breslau heißt, sondern Wrocław. Als der so Belehrte sich endlich setzen darf, läßt Hein ihn sagen: „Aber geboren wurde ich in Breslau.“ Daraufhin kündigt ihm der Lehrer an, dass er ihm „die Flötentöne noch beibringen“ werde. Christoph Hein freilich hat sich in seinem Leben die „Flötentöne“ der SED-Diktatur nicht beibringen lassen, er blieb ein Eigensinniger und Unbequemer. Schon in Anbetracht seiner Herkunft aus einem

Pfarrhaus wurde ihm der Zugang zum Abitur an einer höheren Schule der DDR verwehrt. Bis zum Mauerbau in Berlin im August 1961 hat er daher ein West-Berliner Gymnasium besucht; als dieser Weg abgeschnitten wurde, hat er als Monteur, Kellner, Buchhändler und in anderen Berufen gearbeitet, bis er 1964 sein Abitur an einer Abendschule nachholen konnte. In Leipzig hat er später Philosophie studiert, bevor ihn Benno Besson an die Berliner Volksbühne holte. Dort hat er zunächst als Dramaturg, später als Hausautor gewirkt – allerdings durften längst nicht alle seine Stücke aufgeführt werden. Dass Hein der Beobachtung durch den Staatssicherheitsdienst unterlag, versteht sich von selbst. Denn spätestens seit im Jahre 1983 seine Novelle „Der fremde Freund“, die im Jahr zuvor in der DDR erschienen war, auch in der Bundesrepublik eine große Leserschaft fand (aus rechtlichen Gründen unter dem Titel „Drachenblut“), rangierte Hein unter den bekanntesten Autoren des zweiten deutschen Staates. Mit den beiden folgenden Romanen „Horns Ende“ (1985) und „Der Tangospieler“ (Anfang 1989 erschienen) knüpfte Hein an „Der fremde Freund“ an, indem er jedes Mal den tristen Alltag im „real existieren Sozialismus“ unter der SED-Fuchtel ebenso unspektakulär wie treffend literarisch abbildete. Nicht von ungefähr rühmt ihn das Standardwerk zur DDR-Literatur wegen seiner „schnörkellosen, genauen Prosa, die ihresgleichen in der DDR kaum hatte“ und attestiert Hein, er habe die „Rolle eines Chronisten der verdrängten Innenwelt des Landes wahrgenommen.“ (Wolfgang Emmerich). Christoph Hein lebte freilich nicht einfach in einer künstlerischen „Innenwelt“. Auf dem 10. Schriftstellerkongress der DDR im November 1987 wandte er sich – in Gegenwart der SED-Führung –, unterstützt von Günther de Bruyn, offen gegen die Zensur. Hein führte aus: „Die Zensur ist volksfeindlich. Sie ist ein Vergehen an der so oft genannten und gerühmten Weisheit des Volkes. Die Leser unserer Bücher sind souverän genug, selbst urteilen zu können. […] Die Zensur ist ungesetzlich, denn sie ist verfassungswidrig. Sie ist

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Lesung mit der geltenden Verfassung der DDR nicht vereinbar, steht im Gegensatz zu mehreren ihrer Artikel. Und die Zensur ist strafbar, denn sie schädigt im hohen Grad das Ansehen der DDR […]. Das Genehmigungsverfahren, die Zensur muß schnellstens und ersatzlos verschwinden […].“ Bezeichnend ist der Kommentar zu den Vorgängen auf dem Schriftstellerkongress, den Erich Mielkes Ministerium für Staatssicherheit wenig später an das Zentralkomitee der SED sandte. Dort heißt es: „Der Inhalt einiger Diskussionsbeiträge im Plenum bzw. in Arbeitsgruppen folgte in der Tendenz Grundlinien der politisch-ideologischen Diversion gegen die DDR und konzentriert[e] sich auf solche Fragen, bei denen äußere und innere feindlich-negative Kräfte im besonderen Maße zersetzende Wirkungen erhoffen, wie […] klassenindifferente Debatten um bürgerliche Freiheiten und Rechte [..] Propagierung eines Pluralismus, durch den sozialismusfeindliche Kräfte als Dialogpartner anerkannt werden und politischen Einfluß erhalten sollen […].“ Unter den im Folgenden genannten Namen befand sich auch der Christoph Heins. Die von der Stasi ins Auge gefassten „Abwehrmaßnahmen“ griffen freilich in der Spätzeit der vor dem wirtschaftlichen Ruin stehenden DDR nicht mehr recht. Christoph Hein konnte etwa im April 1989 sein als „Komödie“ bezeichnetes Stück „Die Ritter der Tafelrunde“ auf die Bühne des Dresdner Staatsschauspiels bringen. Zuvor war mit den zuständigen SED-Oberen wochenlang darum gerungen worden, ob die bereits fertige Inszenierung überhaupt öffentlich gezeigt werden dürfe. Der Premierentermin wurde mehrfach verschoben. Die Uraufführung wurde dann freilich als Sensation empfunden. Ein Journalist stellte damals fest, jeder Satz des Textes wirke „wie eine aktuelle politische Anspielung.“ Tatsächlich waren die in die Jahre gekommenen Ritter um König Artus unschwer in Beziehung zu setzen zu den angesichts der wachsenden Oppositionsbewegung immer ratloser werdenden Greisen im Politbüro der SED um den damals 77-jährigen Erich Honecker. Das Durchschnittsalter der 22 Angehörigen des mächtigsten politischen Gremiums der DDR lag bei 64 Jahren, acht Mitglieder waren über 70 Jahre alt. Hein läßt einen der Ritter sagen: „Wir haben unser Leben für eine Zukunft geopfert, die keiner haben will.“

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Christoph Hein Es war natürlich kein Zufall, dass Christoph Hein sich auch unter den Rednern der von Künstlern organisierten Großdemonstration in Ost-Berlin am 4. November 1989 befand. Hier mahnte er nüchtern, dass die Veränderungen in der DDR gerade erst begonnen hätten und forderte dazu auf, Leipzig – wo bekanntlich sehr viel früher demonstriert worden war – den Titel einer „Heldenstadt“ zu verleihen. Fünf Tage später fiel die Mauer. Das Ende der DDR und die Schaffung der deutschen Einheit stellten naturgemäß auch für den in der DDR aufgewachsenen Autor Hein eine Zäsur dar. Wieviel Respekt und Anerkennung ihm auch in Westdeutschland entgegengebracht wurden, davon zeugt die eingangs erwähnte Wahl zum PEN-Präsidenten, in dem Moment, da es die beiden deutschen PEN-Zentren in Ost und West endlich geschafft hatten, den Schritt zur Einheit nachzuvollziehen. Christoph Hein ist aber auch mit seiner Arbeit längst in der veränderten Bundesrepublik „angekommen“ – was beileibe nicht allen Schreibenden mit DDR-Vergangenheit gelungen ist. Von Heins ungebrochenen Gegenwartsbezug getragen ist etwa der schon erwähnte Roman „Landnahme“; das Leben des Protagonisten wird hier keineswegs nur bezüglich der von der Vertreibung geprägten Kindheit geschildert, sondern bis hin zu den Jahren nach 1990. Auch in dem Roman „Willenbrock“ zeigt Hein die Existenz eines Menschen vor und nach dem „Wendejahr“ 1989/90. Und zuletzt stellte Christoph Hein seine volle

Foto: Jürgen Bauer / Suhrkamp Gegenwärtigkeit unter Beweis, als er in der „Neujahrsrede“, welche „Die Zeit“ am 1. Januar 2011 veröffentlichte, die junge Generation dazu aufrief, „alles anders [zu] machen als die Alten.“ Denn deren – unsere – Hauptsünde sei die unstillbare Gier, welche den Ruin der Menschheit sehr schnell herbeiführen werde, wenn, ja eben wenn die Jungen nicht alles anders machen. Christoph Hein hat in seinem künstlerischen Leben zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten, zuletzt im vergangen Jahr 2010 den EichendorffLiteraturpreis. Die Laudatio hielt ihm damals Dieter Hildebrandt, gebürtiger Schlesier wie Hein. Als Christoph Hein 2004 den Roman „Landnahme“ der Öffentlichkeit vorstellte, stellte die Rezensentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beeindruckt fest: „Das Vorlesen macht ihm Spaß.“ Das Publikum habe miterleben können, „wie sich ein Schriftsteller sichtlich und hörbar am eigenen Text erfreute. Christoph Hein bewies, dass er nicht nur ein Meister der Rollenprosa, sondern auch des Rollensprechens ist.“ Insofern dürfen wir uns alle auf einen besonderen Literaturabend freuen, dessen Leitung in den kundigen und bewährten Händen von Michael Serrer, seines Zeichens Leiter des Literaturbüros NRW, liegen wird. Winfrid Halder In Zusammenarbeit mit dem Literaturbüro NRW

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Ausstellung

bis 07.04.

Bukarest - Düsseldorf Eine Ausstellung in der Stiftung Gerhart- Hauptmann-Haus Eine Ausstellung in der Stiftung GerhartHauptmann-Haus – Deutsch-Osteuropäisches Forum vom 19.3. bis 7.4.2011 Laufzeit: 19. März bis 07. April 2011 Öffnungszeiten: Mo-Do 10 bis 17 Uhr, Fr 10 – bis 14.00 Uhr und auf Anfrage: 0211/16991 0 Sonderöffnungszeit: Nacht der Museen, 02.04.2011 von 19 bis 22 Uhr Viktoria und Marian Zidaru (Bukarest), Senta Connert, Julia van Koolwijk und Ulrike Kessl lernten sich 2010 durch einen deutsch-rumänischen Künstleraustausch in Bukarest kennen. Der künstlerische Dialog begann mit gegenseitigen Atelierbesuchen und zwei gemeinsamen

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Ausstellungen in Bukarest im Kulturzentrum Mogosoaia und im „Muzeul Taranului“ (Bauernmuseum) und setzt sich 2011 in Düsseldorf fort. Ein verbindendes Element in den Arbeiten der Künstler ist die „Handarbeit“, sei es in der konkreten Form der Bearbeitung von Material (Textil, Holz, Papier) oder auch in der Reflektion darüber mittels Fotografie oder Video. Viktoria und Marian Zidaru greifen Elemente orthodoxer Ikonografie auf und verbinden diese mit zeitgenössischen Codes zu ihrer eigenen, bisweilen surreal anmutenden Bildsprache. Reiseeindrücke und Begegnungen mit Menschen und Orten in Rumänien sind Themen der fotografischen und plastischen Arbeiten von Julia von Koolwijk.

Ulrike Kessl verwendet in ihren Materialcollagen ebenfalls Fotos: flüchtige, aus dem Autofenster geschossene Momentaufnahmen einer Reise durch Rumänien während Senta Connert in ihren Fotografien und Videos von Textilfabriken (Deutschland, Marokko, Rumänien) einen seriellen Ansatz verfolgt. Senta Connert, Ulrike Kessl und Julia von Koolwijk studierten an der Kunstakademie Düsseldorf und waren Meisterschülerinnen von Prof. Fritz Schwegler, Ulrike Kessl Meisterschülerin bei Prof. Erwin Heerich. Viktoria und Marian Zidaru absolvierten ihr Studium an der Akademie der Künste in Bukarest. Die Künstler waren an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland vertreten. Weitere Informationen unter: Tel. 0211 169 991 23. K.S. Diavortrag und Künstlergespräch Dienstag, 05.04.2011 um 19.15 Uhr

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Ausstellung

Vom 30.03. bis 21.04.

Eduard von Simson Schlüsselfigur des deutschen Parlamentarismus Eine Wanderausstellung unter der Schirmherrschaft von Eckhard Uhlenberg, MdL, Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen. „Er gehörte zum Besten, was das oft geschmähte und doch atemberaubend interessante 19. Jahrhundert unter Deutschen hervorgebracht hat“ würdigte Richard von Weizsäcker Eduard von Simson acht Jahrzehnte nach dessen Tod. Eduard von Simson gehört zu jenen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte, die, wenn auch nicht ganz in Vergessenheit, so doch aus dem näheren Blick geraten sind. Warum ist Simson in Vergessenheit geraten? Im Nationalsozialismus wurde Eduard von Simson, der einer Königsberger jüdischen Familie entstammte, systematisch aus dem historischen Gedächtnis getilgt; Straßen und Plätze, die seinen Namen trugen, wurden umbenannt, seine Bilder wurden abgehängt. Damit schmähte die NS-Ideologie nicht nur einen wichtigen Streiter für den Rechtsstaat und Parlamentarismus, sondern auch den Präsidenten von insgesamt sieben Parlamenten. Präsident der Frankfurter Nationalversammlung, Präsident des Norddeutschen Reichstages, Vorsitzender des Zollparlaments, erster Präsident des Deutschen Reichstages, erster Präsident des Reichsgerichts – dies sind nur einige der Positionen, die Simson

Frankfurter Nationalversammlung 1848/49

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in seiner glanzvollen politischen Karriere vorzuweisen hatte. Als Sohn jüdischer Eltern wurde von Simson 1810 in Königsberg geboren, in eine kaum 100 Jahre junge und noch kleine jüdische Gemeinde hinein. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen, die nicht ahnen ließen, dass er einmal zu einer der bedeutendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten des deutschen Parlamentarismus werden würde. 1823 entschlossen sich die Eltern, ihre fünf Kinder zur evangelischen Konfession übertreten zu lassen. Damit eröffneten sie ihren Söhnen die Möglichkeit einer Laufbahn im Staatsdienst, die nur Angehörigen einer christlichen Konfession vorbehalten war. Dennoch blieb von Simson seinen jüdischen Wurzeln in Königsberg treu, was sich aus seinem privaten Lebensumfeld ableiten lässt. Nach dem Jurastudium schlug er als Professor an der Königsberger Juristischen Fakultät eine akademische und als Richter an verschiedenen Gerichten eine juristische Laufbahn ein. Seine politische Karriere begann im Jahre 1848, als er zum Deputierten der Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde. Bei seiner parlamentarischen Arbeit war von Simson in entscheidendem Maße an der Entwicklung der Grundrechte, des Parlamentsrechts

und bei der Ausgestaltung einer Verfassung in Deutschland beteiligt. Sein Leben und Wirken spiegeln den Kampf und die Bestrebungen um die nationale Einheit und Demokratie wider. Aufgrund seiner Stellung und seiner Bemühungen um die deutsche Reichseinigung war er immer wieder auch beliebtes Motiv der Künstler jener Zeit. Wir finden ihn auf Ölgemälden porträtiert und in politischen Satirezeitschriften karikiert, insbesondere in den „Düsseldorfer Monatsheften“, einer Zeitschrift, die von Künstlern der „Düsseldorfer Künstlervereinigung Malkasten“ gestaltet und in einer für die damalige Zeit erstaunlich hohen Auflage verbreitet wurde. Die Wanderausstellung entstand unter Mitwirkung von Studierenden der Heinrich-Heine-Universität (Alexander Mauer und Christian Lunkenheimer) und ist ein Beitrag der Stiftung zu den „Jüdischen Kulturtagen“ (2. März – 17. April 2011). Die Ausstellung kann von Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen leihweise übernommen werden. Weitere Informationen dazu: Dr. Katja Schlenker (schlenker@g-h-h.de, 0211 16991 0) K.S. Eröffnung der Ausstellung: Mittwoch, 30.03.2011, 18 Uhr Foyer vor dem Eichendorff-Saal

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Ausstellung

Vom 14.04. bis 05.05.

„Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“ – Max Herrmann-Neisse Eine Ausstellung zum 70. Todestag „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“, schrieb Max Herrmann-Neisse angesichts der Bedrohung durch das nationalsozialistische Hitler-Regime. Enttäuscht von den Deutschen, die Hitler blind folgten, ging er 1933 nach London ins Exil. Obwohl Max Herrmann-Neisse in der Weimarer Republik ein bekannter Literat und einer der wenigen Schriftsteller war, die sich schon 1914 vehement gegen die deutsche Kriegsbegeisterung ausgesprochen hatten, geriet er nach seinem Tod 1941 schnell in Vergessenheit. Anlässlich seines 70. Todestages erinnert eine Ausstellung im Gerhart-HauptmannHaus Düsseldorf an den Autor und die Stationen seines Lebens. Sie dokumentiert in Text, Bild und Ton Leben und Werk Max Herrmann-Neisses im Kontext seiner Zeit und zeigt bisher unveröffentlichte Arbeiten des Autors. Die Ausstellung wird am 14.4. um 19 Uhr mit einem Vortrag über Max Herrmann-Neisse und mit Lesungen seiner Texte eröffnet. Musikalische Beiträge aus den 1920er und 1930er Jahren runden das Programm ab. Aus der politischen Enge des späten Kaiserreichs in der schlesischen Provinzstadt Neisse bricht Max Herrmann-Neisse 1917 in die europäische Metropole Berlin auf. Dort tritt er in den Clubs der Expressionisten und Dadaisten auf, schreibt Gedichte, Essays und Kritiken u. a. für Franz Pfemferts „Aktion“, ist ständiger Gast und Akteur der beliebten Kabaretts und des Tingeltangel um Willi Schaeffers, Claire Waldoff und Liesl Karlstadt, übernimmt Rollen in eigenen Stücken und im Stummfilm und gehört mit seinem Mentor Alfred Kerr zu den Rundfunkpionieren der „Schlesischen Funkstunde“ des Senders Breslau. Getrennt von seinen Künstlerfreunden und -kollegen Heinrich, Thomas und Klaus Mann, Stefan Zweig, Else Lasker-Schüler, George Grosz u. v. a. gründet Max Herrmann 1934 mit Lion Feuchtwanger und Ernst Toller den Londoner Exil-PEN. Seine Erfahrung des Exils und die Geschichte seiner Zeit verarbeitet er in Gedichten und Romanen. Vor siebzig Jahren ist er am 8.

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April 1941 in London gestorben. Die Ausstellung wurde von Studierenden der Heinrich-Heine-Universität in Kooperation mit dem Max-HerrmannNeisse-Institut, Studierenden und Lehrenden der Universität Breslau und der Fachhochschule Neisse konzipiert. Gefördert wird die Ausstellung durch den Lehrförderungsfonds der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, das Bundesministerium für Kultur und Medien und das Gerhart-Hauptmann-Haus.

Eröffnung: 14. April 2011, 19 Uhr Begrüßung Prof. Dr. Bruno Bleckmann Dekan der Philosophischen Fakultät Eröffnung PD Dr. Winfrid Halder Direktor der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus Leben und Werk Max Herrmann-Neisses Lesung und Einführung Prof. Dr. Sibylle Schönborn und Studierende des Germanistischen Instituts der HHU Musikalische Umrahmung Max Herrmann-Neisse: Melancholisches Kabarett

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Ausstellung

Vom 11.05. bis 03.06.2011

„Es betrifft Dich!“ Demokratie schützen – Gegen Extremismus in Deutschland Der Schutz der Demokratie und des Grundgesetzes ist fester Bestandteil des rechtsstaatlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Die Bedrohung der Inneren Sicherheit durch extremistische und terroristische Bestrebungen erfordert die ständige Aufmerksamkeit von Staat und Gesellschaft. „Es betrifft Dich!“ ist der Titel einer bundesweit präsentierten Wanderausstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz(BfV). Schon der Titel der Präsentation macht deutlich, dass über die Wissensvermittlung hinaus der Besucher auch emotional involviert werden soll. Mit Informationstafeln, Multimediaund anderen interaktiven Elementen sowie in Vitrinen ausgestellten Tat- und Propagandamitteln wird umfassend über die Erscheinungsformen und Gefahren aller Extremismusformen in der Bundesrepublik Deutschland aufgeklärt. Extremismus gefährdet Demokratie und Freiheit. „Es bedarf gut informierter Bürger, um die tatsächlichen Ziele von Extremisten erkennen zu können“, betont Ralf Frauenrath, Leitender Regierungsdirektor im Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Ausstellung will zeigen, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat ein hohes Maß an individueller Freiheit genießen, uns anderseits aber auch der Gefahren bewusst sein müssen, die diese Freiheit bedrohen. Wer sein Gesicht im Spiegel der „Blackbox“ sieht – umgeben von Opferbildern – soll wissen: Jeder, auch ich, kann Opfer von politisch motivierter

Gewalt oder Diskriminierung sein. Wenn es gelingt, den Besucher der Ausstellung „betroffen“ zu machen, besteht auch eine Chance, sein persönliches Engagement zu fördern, und ihn zu veranlassen, aktiv für Grundrechte und Toleranz einzutreten. In der Präsentation werden darüber hinaus Aufgaben, Befugnisse, Arbeitsweise und die Kontrolle des Verfassungsschutzes dargestellt. Gemäß § 3 Bundesverfassungsschutzgesetz hat das BfV „Auskünfte, Nachrichten und sonstige Unterlagen“ zu sammeln und auszuwerten über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind; die durch Anwendung von Gewalt die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind. Ferner wirkt das BfV bei der Spionagebekämpfung sowie beim Geheimnis- und Sabotageschutz mit. Die Ausstellung beleuchtet die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus (Neonazis, Skinheads), Aktivitäten und Aktionsfelder der Linksextremisten und militanten Autonomen sowie Ziele und Aktionsschwerpunkte extremistischer Ausländerorganisationen. Innenminister Dr. Thomas de Maizière äußerte im Verfassungsschutzbericht 2009 u. a. seine Sorge über den gewaltbereiten Rechtsextremismus: „Zwar hat sich die Zahl der so genannten Skinheads verringert. Ein Rückgang der Gewaltbereitschaft ist jedoch nicht zu verzeichnen: Die rechte

Gewaltbereitschaft hat heute ein anderes Gesicht. Es sind die ‚Autonomen Nationalisten’, die in der gewaltbereiten Szene heute besonders hervortreten. Vor allem Jugendliche erliegen der Anziehungskraft der ‚Autonomen Nationalisten’ und werden so an die rechtextremistische Szene und ihre Ideologie herangeführt. Rechtsextremistische Musik, die mittlerweile unterschiedliche Stilrichtungen umfasst, hat für den Bestand der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene eine herausragende Bedeutung. Um Jugendliche zu erreichen, ist die Szene auch im Internet sehr präsent.“ Daneben gäben auch die jüngsten Entwicklungen im Bereich des Linksextremismus „besonderen Anlass zur Sorge“. Die Präsentation ist ein Beitrag zur geistig - politischen Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen und soll deutlich machen, dass die Demokratie grundlegende Wertorientierungen braucht, die gegenüber extremistischen Positionen verteidigt werden müssen. Die Ausstellung wird von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes betreut. Für Schulklassen und Gruppen werden Führungen angeboten. Der Eintritt ist frei. Anmeldungen im Gerhart-HauptmannHaus unter Tel.: 0211 / 169914 oder per E-Mail: bittenbinder@g-h-h.de Dirk Urland Eröffnung: Mittwoch, 11. Mai 2011 - 15 Uhr Es sprechen: PD Dr. Winfrid Halder Direktor des Gerhart-Hauptmann-Hauses

Die Ausstellung wird von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes betreut. Für Schulklassen und Gruppen werden Führungen angeboten. Der Eintritt ist frei. Interessenten können die Ausstellung kostenlos anfordern.

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Ein Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz

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Kinemathek

Vom 08.06. bis 15.07.

Berühmte Schlesier auf Postwertzeichen und Stempel Ein Briefmarken-Salon Berühmte Schlesier stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Wem aber sind noch die bedeutenden Schlesier bekannt? Kaum jemand hat etwas von Hedwig von Schlesien (1174 Andechs - 1243 Trebnitz) gehört, auch wenn sie dort nicht geboren wurde. Die Gemahlin des schlesischen Herzogs Heinrich I. (um 1165 Glogau - 1238 Crossen an der Oder) wurde bereits 24 Jahre nach ihrem Tod heilig gesprochen. Aber nicht allen berühmten Schlesiern wurde eine Würdigung auf Postwertzeichen zuteil, doch einigen sogar in verschiedenen Staaten. – Und dass diese Provinz im Südosten Europas viele be-

deutende Menschen hervorgebracht hat ist ein unumstößliches Faktum der dortigen Kultur. Doch wer kennt noch einen Martin Opitz, dem 1597 in Bunzlau geborenen bedeutenden Barockdichter und Begründer der „Schlesischen Dichterschule“? Sein Landsmann Andreas Gryphius, der 1616 in Glogau geborene und auch dort 1664 verstorbene, wurde zumindest von 1957 bis 1999 durch den von der »Esslinger Künstlergilde« vergebenen Literaturpreis geehrt. Dieser große Dichter und Dramatiker hat zumindest mit seinem Namen überlebt; sein Werk ist kaum noch bekannt. Aber auch der „Schlesische Bote“ Angelo Silesius (1624-1677 in Breslau), Christian Hoffmann von Hoffmanswaldau (1616-1679 in Breslau) oder Gustav Freytag (1816 Kreuzburg – 1895 Wiesbaden), der immerhin mit seinem Roman „Soll und Haben“ und seinem Drama „Die Journalisten“ zu seiner Zeit ein Erfolgsschriftsteller war, sind im Gegensatz

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zu Joseph von Eichendorff und Gerhart Hauptmann kaum noch im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Da sieht es mit dem Schauspieler, dem Bonvivant vieler Filme, Willy Fritsch (1901 Kattowitz - 1973 Hamburg) oder auch mit einem der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts und Komponisten Otto Klemperer, der 1885 in Breslau geboren wurde und 1973 in Zürich verstarb, etwas anders aus. Wem ist noch bekannt, dass die Verleger Wilhelm Goldmann, Benjamin Gottlob Hoffmann, der später als Hoffmann & Campe Verlag in Hamburg Heines Verleger wurde, Wilhelm Gottlieb Korn 1739 in Breslau geboren und dort 1806 verstorben, aber auch Hugo Schwaneberger, der 1853 in Neumarkt geboren wurde und 1934 in Bückeburg starb, mit seinem philatelistischen Verlag in diesem Kulturland geboren wurden. Alle Verlage existieren noch heute. Der von W. G. Korn gegründete Bergstadtverlag gehört seit dem 1. Januar 1980 zur „Stiftung Kulturwerk Schlesien“ in Würzburg. Doch auch berühmte Wissenschaftler, Nobelpreisträger oder Industrielle wie beispielsweise Friedrich Schleiermacher, Max Born, Carl Josef Bayer, Paul Ehrlich oder Fritz Haber und der Dampfmaschinenhersteller August Borsig stammen aus Schlesien. Eine Person, die vor allem mit Düsseldorf eng verbunden war, ist der 1825 in Breslau geborene Ferdinand Lassalle, der in einem Haus der zwanzig Jahre älteren Gräfin Hatzfeld, die wiederum 1805 im niederschlesischen Trachenberg geboren wurde, an der Friedrichstraße 53 einige Jahre lebte. Er war ihr Rechtsanwalt in ihrem langwierigen Scheidungsprozess gegen ihren gewalttätigen Ehemann. Doch wegen einer vom Brautvater nicht gewünschten Verlobung mit einem Fräulein kam es in der Nähe von Genf zu einem Duell, an

dessen Folgen er drei Tage später starb. Ein bedeutender Schlesier darf nicht vergessen werden, dem wir nämlich den »holdesten Seim« in großer Menge zu verdanken haben. Es ist der 1811 in Lowkowitz geborene und 1906 dort auch gestorbene Pfarrer Johann Dzierzon. Er war sicherlich nicht nur ein guter Gottesmann, sondern auch ein Forscher der 1835 entdeckte, dass sich Bienen „eingeschlechtlich“ fortpflanzen. Als erster Imker baute er in die Bienenstöcke „bewegliche Holzleisten“, wodurch der Bienenstock nicht zerstört und der Ertrag wesentlich erhöht wurde. Doch diese intensive Beschäftigung brachte ihm den Vorwurf der Vernachlässigung seiner Amtspflichten ein. Er verzichtete auf das Amt des Pfarrers, trat 1873 zu den Altkatholiken über, um sich erst später wieder mit der römisch-katholischen Kirche zu versöhnen. Diese wenigen Anmerkungen können nur einen kleinen Abriss des geistigen Potenzials Schlesiens aufzeigen. Auch die beiden bedeutenden Kunstmaler Adolph von Menzel und Otto Mueller, der eine in Breslau, der andere in Liebau geboren, dürfen nicht fehlen. Doch musste ich den fast unübersichtlich gewordenen Uradel Schlesiens und die Herzöge unberücksichtigt lassen, obwohl der 1781 in Lüben geborene Hochadelige Friedrich Wilhelm Carl als Wilhelm I. zweiter König von Württemberg wurde. Die Schirmherrschaft dieses Briefmarkensalons der Briefmarkenfreunde Düsseldorf e. V. hat der 1932 in Glatz geborene, ehemalige langjährige Chefredakteur der Rheinischen Post, Dr. Joachim Sobotta, übernommen. Günter Lanser Eröffnung: Mittwoch, 08. Juni 2011 | 19.15 Uhr Es sprechen: PD Dr. Winfrid Halder Direktor des Gerhart-Hauptmann-Hauses Christian Schlachetzki Vorsitzender der Briefmarkenfreunde Düsseldorf e. V. Dr. Joachim Sobotta Chefredakteur Rheinische Post a.D.

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Exkursion

Mi, 06.04. | 9.30 Uhr

Napoleon und Europa. Traum und Trauma Exkursion zur Napoleon-Ausstellung in die Bundeskunsthalle nach Bonn Napoleon Bonaparte (1769–1821) hat in seiner knapp 16-jährigen Regierungszeit die Grundlagen der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts wie keine andere historische Persönlichkeit geprägt – im Positiven wie im Negativen. Die von der Kunst- und Ausstellungshalle entwickelte Ausstellung zeigt exklusiv ein umfassendes Bild von Napoleon und seiner Zeit anhand hochrangiger Leihgaben aus ganz Europa: Malerei und Skulptur liefen damals zur Hochform auf – in den Propagandabildern von David, Gérard und Ingres wie in der Opposition mit Goya und der deutschen Romantik. Abseits der Klischees vom Kriegstreiber oder übergroßen Staatsmann setzt sie sich zum Ziel, ein differenziertes Panorama der napoleonischen Ära zwischen Krieg, Politik, Verwaltung, Propaganda, Kunstraub und Kulturblüte darzustellen. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Der „Generation Bonaparte“ widmet sich die Eingangssequenz der Ausstellung. Napoleon war ein typischer Vertreter jener novi homines („neue Männer“), dessen kometenhafte Karriere durch die neue soziale, geographische und psychologische Mobilität der Jahre nach der Französischen Revolution ermöglicht wurde. „Faszination und Abscheu“, „Leibliche und symbolische Geburt“, „Der Traum vom Weltreich“, „Blut und Sex …“, „Raum, Recht, Religion …“, „Objekte der Begierde …“, „Das Reich der Zeichen“, „Duelle“, „Nationen – Emotionen“, „Symbolischer und leiblicher Tod“ und „Projektionen. Eine ‚geteilte‘ Ikone“ sind weitere Kapitel der Ausstellung. Die Legende Napoleon, zu deren Inszenierung der abgedankte Kaiser selbst maßgeblich beitrug, nahm ein nie dagewesenes politisches und emotionales Ausmaß

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an. Aus heutiger Sicht ist Napoleon ein kompliziertes Geflecht aus Heroenkult, mystischer Verklärung, politischer und nationaler Projektionen jeder Couleur. In jedem Land im heutigen Europa sind so auch gegensätzliche und oft leidenschaftlich gegeneinander kämpfende Napoleonbilder entstanden. Die Ausstellung wurde von der Kunstund Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, entwickelt und wird 2013 in Paris bei dem Kooperationspartner der Ausstellung, dem Musée de l‘Armée, gezeigt werden. Die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus besucht die Ausstellung im Rahmen einer Exkursion mit einer wissenschaftlich orientierten Führung durch die Ausstellung. Die Abfahrt erfolgt direkt vor dem Gerhart-Hauptmann-Haus am Mittwoch, 06.04. um 9.30 Uhr. Die anderthalbstündige Führung durch die Ausstellung

beginnt um 11 Uhr, danach besteht die Gelegenheit, einzelne Ausstellungsteile zu vertiefen. Nach einem gemeinsamen Mittagessen in Bonn wird die Rückfahrt gegen 15 Uhr angetreten. Die Kosten betragen pro Person 20 €, darin sind die Fahrtkosten, der Eintritt in die Bundeskunsthalle und die Führung enthalten, nicht jedoch das Mittagessen. Eine Anmeldung ist unter der Rufnumer 0211/16 99 10 oder unter der E-Mail patzke@g-h-h.de unbedingt erforderlich. Markus Patzke

Pressestimmen zur Ausstellung „Erbe der Gewalt: Eine grandiose Bonner Schau zeigt, wie Napoleon das moderne Europa der industrialisierten Gesellschaften möglich machte“ … „Es ist ein überwältigend wichtiges Verdienst der glanzvollen und erschütternden Ausstellung, die in der Bonner Bundeskunsthalle für vier Monate zu sehen ist (dann 2012 auch in Paris), dass sie die unter Abstraktionen verschüttete Geschichte dieser für Europa entscheidenden Epoche in die Handgreiflichkeit zurückübersetzt.“ (Süddeutsche Zeitung, Gustav Seibt, 17. Dezember 2010) „Eine intelligente, provokante Ausstellung in Bonn wagt sich an Napoleon und seine Epoche“ (DIE ZEIT, Volker Ullrich, 22. Dezember 2010) „Wenn man die Bonner Schau, statt sie bildungsbürgerlich zu genießen, als Vergrößerungsglas zur Erkenntnis der Gegenwart benutzt, entdeckt man überall Napoleonisches: in den Eskapaden Berlusconis, dem Macho-Kult Putins, der Ruhmredigkeit amerikanischer Präsidenten, selbst in der politischen Maske eines Tony Blair. … Eine seltene Qualität der Bonner Schau, … liegt in ihrer Übersichtlichkeit. Weder erschlägt sie den Besucher durch Opulenz, noch verwirrt sie ihn durch Thesenhaftigkeit. Stattdessen wird er zwanglos eingeladen, … Am dramatischsten wirkt die Ausstellung da, wo sie die körperliche Kehrseite der ‚gloire‘, des ruhmreichen Strebens für Kaiser und Vaterland, illustriert.“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Andreas Kilb, 2. Januar 2011)

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Ausstellung

Di, 07.06. | 19.30 Uhr

„Der Traum lebt mein Leben zu Ende“ Filmvorführung und Diskussion zu Rose Ausländer In den Jahren 2008/2009 drehte die Grimme-Preisträgerin Katharina Schubert einen Film über das Leben der Poetin Rose Ausländer. Dabei wurde auch eine Szene im Eichendorff-Saal des GerhartHauptmann-Hauses gedreht. Hier hatte Rose Ausländer im Jahr 1977 den AndreasGryphius-Preis entgegengenommen und zum letzten Mal in der Öffentlichkeit Gedichte aus ihrem ungewöhnlich umfangreichen Werk gelesen. Sie las zehn Minuten und in der Erinnerung scheint es mir, als dauerten damals die stehenden Ovationen des Publikums ebenso lange. Der 110. Geburtstag der Dichterin wird der Tag der Premiere sein. Vom 11. Mai 2011 an wird der neunzigminütige Film in der „Filmpalette“ in Köln gezeigt. Natürlich sind auch Aufführungen in Düsseldorf geplant; eine davon im GerhartHauptmann-Haus. Hier wurden seit dem Tod der Autorin vier große Ausstellungen zu ihrem Leben und Werk gezeigt und wurde ihrer in mindestens einem Dutzend Veranstaltungen von der Lesung bis zum mehrtägigen Symposion gedacht. In diesem Sinne setzt die Filmvorführung die gute Tradition des Hauses fort, immer wieder die große deutsch-jüdische Lyrikerin und ihr meisterhaftes Werk in Erinnerung zu rufen. Rose Ausländer, 1901 in Czernowitz in der Bukowina geboren, erlebte und erlitt ein Leben, das fast das ganze 20. Jahrhundert umfasste und von den großen Katastrophen dieser Zeit unauslöschbar geprägt wurde. 1914 endet abrupt ihre glückliche Kindheit. Der 1. Weltkrieg beginnt, die Familie Scherzer – Vater, Mutter und zwei Kinder – flieht über Budapest nach Wien, wo sie fast vier Jahre lang entbehrungsreich leben. Die Rückkehr erfolgt 1919 in ein nun rumänisches Czernowitz, das vom Krieg stark gezeichnet ist und in dem Mangel an allem herrscht, was zum Leben nötig ist. 1920 stirbt Rose Ausländers nur 49 Jahre alter Vater an Tuberkulose. Die Tochter wandert in die USA aus, nach New York, in die „große, gleißende, kalte und abweisende“ Stadt. Die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit eskalieren in die Weltwirtschaftskrise. Zurück in der Bukowina beginnt der

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Kampf um eine gesicherte materielle Existenz, der erst 1934 mit der Anstellung als Fremdsprachenkorrespondentin in einer Bukarester Firma ein zufrieden stellendes Ende findet. Doch nun beginnen für die Jüdin die antisemitischen Verfolgungen. 1937 werden ihr sowohl ihre amerikanische Staatsanghörigkeit in den USA als auch ihre rumänische Staatsangehörigkeit aberkannt. Als Staatenlose lebt sie rechtlos in Bukarest. Die erneute, geglückte Flucht nach New York ist nur von kurzer Dauer. Die an Herzasthma erkrankte Mutter bittet die Tochter um Pflege. Rose Ausländer kehrt im Oktober 1939 zurück und geht zur Mutter nach Czernowitz. Dort wird sie von der Besetzung der Stadt durch sowjetische Truppen im Juni 1940 überrascht, wird als vermeintliche amerikanische Spionin vom NKWD, dem sowjetischen Inlandsgeheimdienst, verhaftet, vier Monate eingekerkert, strengen Verhören - das ist Folter - unterzogen und schließlich im Februar 1941 wieder freigelassen. Im Juli 1941 flüchten die sowjetischen Truppen. Rumänische Soldaten besetzen die Stadt; die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung beginnen. Eine SS-Einheit ermordet rund 3.000 jüdische Menschen; am 11. Oktober 1941 richtet die rumänische Verwaltung ein Getto in der Stadt ein. Die Deportationen nach Transnistrien, dem Gebiet zwischen den Flüssen Dnjestr und Bug, beginnen. Von den 55.000 Czernowitzer Juden überleben nur 15.000 die Shoa. Rose Ausländer zählt zu diesen „Glücklichen“, die traumatisiert, geschunden für ihr ganzes Leben, überleben. Erneut wird New York ihr Fluchtort, das rettende Exil. Die Mutter- und Dichtersprache Deutsch ist zur Mördersprache geronnen. Erst ab 1956 schreibt die Poetin wieder deutsche Gedichte. Aber sie schreibt anders; nicht mehr den Gesetzen der Metrik folgend, nicht in strengen Formen, nicht mit den wohlklingenden Endreimen. Was alptraumhaft über sie hereingebrochen war, forderte einen anderen Stil. Daraus erwächst die Dichterin, deren Werke wir heute schätzen, die in hohem Alter bekannt und schließlich berühmt wurde. 1965 folgt einem kurzen Intermezzo in

Wien die Übersiedelung nach Deutschland, nach Düsseldorf. Auch hier kann sie sich nicht verwurzeln, aber es gelingt ihr die Übersiedelung ins Wort, in die deutsche Sprache, in der die Dichterin heimisch wird: „Ich habe mich / zersplittert / auf meinem Wortweg / Mutter Sprache / setzt mich zusammen“ und „ Ich lebe / in meinem Mutterland / Wort“. Ausgehend von einer Pension in Düsseldorf als Basis reist Rose Ausländer sieben Jahre lang durch Deutschland und Europa. Ein Unfall zwingt sie 1972 zum Einzug in das Nelly-Sachs-Haus, dem Elternhaus der Jüdischen Gemeinde. Dort verbringt sie ihre restliche Lebenszeit, ab 1978 bettlägerig. In diesen Jahren erlebt sie einen kometenhaften Aufstieg: vom literarischen Geheimtipp zur gefeierten, mit Kritikerlob bedachten, mit Preisen ausgezeichneten Lyrikerin. In der Nacht vom 03. auf den 04. Januar 1988 stirbt Rose Ausländer. Sie hinterlässt ein Werk „ wie es stärker im Ausdruck, feiner in der Form und präziser in der Aussage kaum zu denken ist“. Der Film zeichnet dieses Leben in der Erzählung von Weggefährten und Zeitzeugen, den Angaben von Literaturwissenschaftlern, mit autobiografischen Schriften der Dichterin und natürlich mit ihren Gedichten. Die Bilder entstanden in Köln, in den Lebensorten Czernowitz, New York und Düsseldorf und in Venedig, der Traumstadt der Dichterin, die sich sicher war: „Mein Venedig versinkt nicht“! Die Regisseurin Katharina Schubert und Helmut Braun sind anwesend. Helmut Braun

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Historie

Ein fruchtbarer Boden Breslau und die Historiker im 20. Jahrhundert Die Tatsache, dass die alte schlesische Metropole Breslau ein geschichtsträchtiger Ort ist, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung. Die Stadt an der Oder hat aber nicht nur Geschichte „hervorgebracht“, sondern auch bedeutende Historiker. Der Umstand im Schatten der viele Jahrhunderte widerspiegelnden Baudenkmäler Breslaus aufgewachsen zu sein, hat offenbar immer wieder das Interesse an der Historie grundgelegt – und manch einer hat die Geschichtswissenschaft dann zum Beruf gemacht. Dies gilt etwa für Johannes Ziekursch, der aus einer Breslauer Kaufmannsfamilie hervorging. Im Jahre 1876 geboren, verließ Ziekursch mit 20 Jahren seine Vaterstadt, um in Bonn zu studieren. Zwischenzeitlich nach Breslau zurückgekehrt, wurde Ziekursch im Jahre 1900 in München promoviert. Es zog ihn allerdings wieder zurück in die Heimat, so dass er sich 1904 an der Schlesischen FriedrichWilhelms-Universität habilitierte. Seither war er dort nicht nur lehrend tätig, sondern hat sich auch intensiv als Forscher mit der Geschichte Schlesiens auseinandergesetzt. Mehrere seiner Studien, darunter insbesondere seine Agrargeschichte Schlesiens (1915 erschienen), gelten noch heute als Standardwerke. Ziekurschs politische Haltung – er stand dem Linksliberalismus nahe – machte ihn zum Außenseiter in der damals mehrheitlich klar konservativ dominierten deutschen Historikerschaft. So erhielt er erst spät, nämlich 1917 in Breslau ein „persönliches Ordinariat“. Dass Ziekursch dann mit 51 Jahren 1927 an auf einen Lehrstuhl für Geschichte an die Kölner Universität berufen wurde, hatte er nicht zuletzt dem damaligen Oberbürgermeister Dr. Konrad Adenauer zu verdanken. Adenauer sympathisierte nicht unbedingt mit Ziekurschs politischen Ansichten, setzte sich aber dafür ein, dass Ziekursch gewissermaßen als Gegengewicht zu dem deutschnational eingestellten Historiker Martin Spahn den Ruf nach Köln erhalten sollte. Mit dazu beigetragen hatte freilich auch, dass seit 1925 Ziekurschs „Politische Geschichte des deutschen Kaiserreichs“ erschien, die 1930 mit dem dritten Band abgeschlossen wurde. Die ungewöhnlich kritische Sicht, die Ziekursch darin vor allem auf die Zeit Kaiser Wilhelms II. entwickelte, war in

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der Weimarer Republik, da die meisten Zeitgenossen der vermeintlich „guten alten Zeit“ vor dem Ersten Weltkrieg nachtrauerten, ausgesprochen unpopulär. Nicht von ungefähr wurde der dritte Band nach 1933 von den Nationalsozialisten unterdrückt. Ziekursch behielt zwar seine Kölner Professur, wurde aber misstrauisch beargwöhnt. Seine Konsequenz bestand darin, dass er – ein zuvor ausgesprochen produktiver wissenschaftlicher Autor – in den verbleibenden 12 Jahren seines Lebens fast nichts mehr publiziert hat. Ziekursch starb im Mai 1945 in Köln. So sehr er zu Lebzeiten nicht zuletzt aus dem Kreis der Historikerkollegen wegen seiner Kaiserreichs-Geschichte angefeindet wurde, so groß war langfristig Ziekurschs Einfluß auf eine Neubewertung der zuvor vielfach verklärten deutschen Geschichte zwischen 1871 und 1918. Ziekurschs Schüler Hans Rosenberg – 1933 von ihm in Köln habilitiert – hat den kritischen Impuls Ziekurschs aufgenommen. Dies allerdings in der Emigration, in welche der „Halbjude“ Rosenberg bereits 1933 zunächst nach Großbritannien und dann in die USA fliehen mußte. Vermittelt durch Rosenberg, hat Ziekursch erheblich auf die moderne Kaiserreich-Forschung im Zeichen des Aufstiegs der Sozialgeschichte vor allem seit den späten 1960er Jahren eingewirkt. Willy Cohn wurde ebenfalls als Kind einer Breslauer Kaufmannsfamilie geboren, und zwar 1888. Was Cohns Leben aber wesentlich mitbestimmen sollte, war die Tatsache, dass seine Familie zur großen jüdischen Gemeinde Breslaus gehörte. Cohn studierte in seiner Heimatstadt – wo er gewiß auch Johannes Ziekursch als akademischem Lehrer begegnete – und dann in Heidelberg, wo er 1910 promoviert wurde. Die ersehnte akademische Karriere blieb Cohn allerdings verwehrt, dem stand der latent auch an den Universitäten längst präsente Antisemitismus entgegen. So ging Cohn als Geschichtslehrer an das renommierte Breslauer Johannes-Gymnasium. Er war, wie viele seiner Schüler bestätigt haben, ein außerordentlich engagierter Lehrer und setzte daneben gleichwohl seine Tätigkeit als Geschichtsforscher fort. Davon zeugen zahlreiche Veröffentlichungen vor allem zur mittelalterlichen Geschichte, darunter

Walter Laqueur eine Biographie über Hermann von Salza. Wenngleich ohne akademisches Lehramt, galt Cohn doch als anerkannter Experte. Mit dem Jahr 1933 begann auch für Willy Cohn die Katastrophe. Es nutzte ihm nichts, dass er im Ersten Weltkrieg als Frontsoldat gedient hatte und mit dem Eisernen Kreuz dekoriert worden war. Schon Ende August 1933 verlor er seine Stelle am Johannes-Gymnasium. Danach mußte sich der verheiratete Familienvater – Cohn hatte aus erster Ehe drei, aus der zweiten Ehe zwei Kinder – mit Vorträgen und gelegentlichen Artikeln durchschlagen. Seinen drei älteren Kindern konnte Cohn helfen, ins Ausland zu gehen. Seine eigene Emigration mit der restlichen Familie scheiterte, obwohl er 1937 nach Palästina reiste, von dort aber in Ermangelung von Existenzperspektiven nach Breslau zurückkehrte. Seinen und den Leidensweg seiner Familie seit 1933 hat Cohn als akribischer Chronist in seinem erst 2006 veröffentlichten Tagebuch festgehalten – bis fast zur Ermordung Ende November 1941 im litauischen Kaunas, gemeinsam mit seiner Frau und den beiden jüngsten Kindern. Den Lehrer Willy Cohn hat Walter Laqueur am Johannes-Gymnasium erlebt. Laqueur feiert am 26. Mai 2011 seinen 90. Geburtstag. Damit gehört er zu den letzten Zeugen aus dem Kreis der Breslauer Juden. Er hat vermutlich überlebt, weil er in der Grundschule aufgrund seiner herausragenden Leistungen eine Klasse überspringen durfte und dementsprechend schon 1938 seinen Schulabschluß machen konnte. Anders als Willy Cohn gelang es dem jungen Mann – unmittelbar vor dem Pogrom vom 9. November 1938 – Fortsetzung auf Seite 20

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Historie/Theater Fortsetzng von Seite 19 Deutschland zu verlassen und zunächst in Palästina Fuß zu fassen. Seine Eltern und zahlreiche Verwandtschaft allerdings wurden im Verlauf des Holocaust ermordet. Nachdem Laqueur in Palästina eine Zeitlang in einem Kibbuz gelebt hatte, begann er in Jerusalem als Journalist und Publizist zu arbeiten. Seit 1955 lebte Laqueur in London, wo er 1964 die Leitung der Wiener Library übernahm. Zuvor bereits hatte er begonnen, historische und politikwissenschaftliche Abhandlungen zu veröffentlichen. Rasch avancierte er zu einem führenden Experten sowohl für die deutsche wie für die europäische Zeitgeschichte. Laqueur hat unter anderem eine Vielzahl von Abhandlungen zur Geschichte des Holocaust vorgelegt, daneben aber auch zum Stalinismus im besonderen wie zur Geschichte der Sowjetunion im allgemeinen. In jüngerer Zeit hat er sich als einer der ersten Terrorismusforscher profiliert. Seit 1957 hat Walter Laqueur verschiedene Professuren innegehabt, zuletzt bis zu seiner Emeritierung an der Georgetown University in Washinton D. C., die als eine der Elitehochschulen in den USA gilt. 2009 hat Laqueur einen Erinnerungsband unter dem Titel „Mein 20. Jahrhundert. Stationen eines politischen Lebens“ vorgelegt, der ein früheres Erinnerungsbuch („Wanderer wider Willen“, 1995) ergänzt. Für einen Historiker und Politologen vielleicht ein wenig überraschend, kommt Laqueur darin zu dem Schluß, dass „sein“ Jahrhundert durch „zuviel Politik“ geprägt worden sein. Er hätte es vorgezogen, im 19. Jahrhundert zu leben. Da er sich dies nicht aussuchen konnte, beschreibt er im Folgenden das eingangs beklagte „Zuviel“ an Politik und wie es sich auf sein persönliches Leben ausgewirkt hat. Dabei geht er von seiner Breslauer Schulzeit im Zeichen der NS-Diktatur aus und endet mit dem von ihm in vieler Beziehung kritisch bewerteten politischen Zustand im Europa der Gegenwart. Soeben ist eine Taschenbuchausgabe des lesenswerten Bandes erschienen. Die kleine Galerie von Breslauer Historikern im 20. Jahrhundert wäre natürlich ohne den nachdrücklichen Hinweis auf Fritz Stern nicht vollständig. Fritz Stern ist unwesentlich jünger als Walter Laqueur, er wurde 1926 in Breslau geboren. Anders als dieser konnte Stern 1938 mit seiner Familie in die USA emigrieren. Dort hat er später viele Jahre lang an der Columbia University in New York

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gelehrt. Noch heute gilt Stern als einer der führenden amerikanischen Experten für deutsche und europäische Geschichte. Seine Lebenserinnerungen – 2007 unter dem Titel „Fünf Deutschland und ein Leben“ veröffentlicht – sind eine ebenso spannende und erkenntnisreiche Lektüre wie die von Walter Laqueur. Sie wurden in dieser Zeitschrift (WOJ 2/2008) ausführlich vorgestellt. Schließlich ist Norbert Conrads zu erwähnen, gebürtiger Breslauer auch er, aber eine ganze Generation jünger als Laqueur und Stern. Er wurde 1938 in der schlesischen Metropole geboren und verlor als Kind seine Heimatstadt im Zuge von Flucht und Vertreibung. Conrads hat in Wien und Köln studiert, wo er 1968 promoviert wurde. Die Habilitation folgte 1978 in Saarbrücken. Von 1981 bis zu seiner Emeritierung 2003 hat Conrads als Lehrstuhlinhaber für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität

Stuttgart gewirkt. Dort hat er einen Schwerpunkt der neueren historischen Schlesienforschung aufgebaut und selbst eine Vielzahl von Veröffentlichungen beigetragen. Darunter ist das Standardwerk „Schlesien“ in der „Reihe Deutsche Geschichte im Osten Europas“, das Conrads mitverfasst und herausgegeben hat (1994, Sonderausgabe 2002). Große Verdienste hat sich Norbert Conrads auch dadurch erworben, dass er für die Tagebücher von Willy Cohn den schwierigen Weg zur Veröffentlichung geebnet hat. Er konnte sie schließlich im Jahr 2006 in zwei Bänden unter dem Titel „Kein Recht, nirgends“ herausgeben. Sie haben in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregt. Norbert Conrads hat Cohns Tagebücher im Oktober 2007 in unserem Haus vorgestellt (WOJ 4/2007). Bemerkenswert ist, dass vor wenigen Monaten auch eine polnische Ausgabe erschienen ist. Winfrid Halder

Fr, 08.04. | 19 Uhr

„Die Kahle Sängerin“ und „Die Unterrichtsstunde“ Die Schülerinnen und Schüler der TheaterAG unter Leitung von Wilhelm Schiefer hatten im vergangenen Jahr ihren großartigen Auftritt auf der Bühne im EichendorffSaal mit dem Hauptmann-Stück „Der Bieberpelz“. Am 08. April 2011 um 19 Uhr zeigen sie eine Aufführung zweier Einakter des französisch-rumänischen Autors Eugène Ionesco. Und dies, wie die Presse bereits kommentierte – mit herausragender schauspielerischer Leistung und vollem Einsatz. Eugène Ionesco zählt zu den bedeutendsten französischen Dramatikern der Nachkriegsjahre und zu den frühen Vertretern des absurden Theaters. „Die Unterrichtsstunde“ mit einer intelligenten Mischung zwischen Tragödie und Komödie verbunden mit den verschiedensten Facetten von Kommuni-

kation wurde im Juni 1950 von Ionesco geschrieben und wird bis zum heutigen Tage ununterbrochen und in der noch immer gleichen Inszenierung (zusammen mit Ionescos Einakter „Die kahle Sängerin“) im Pariser Théatre de la Huchette gezeigt. „Die Kahle Sängerin“ und „Die Unterrichtsstunde“, Eugène Ionesco inszeniert von Wilhelm Schiefer. Eine Aufführung der Theater-AG des GeorgBüchner-Gymnasiums aus Kaarst Termin: 08. April 2011 um 19 Uhr im Eichendorff-Saal Eintritt (zugunsten der Theater-AG): 8,00 erm. 4,00 EUR Kartenvorbestellung und Informationen unter: 0211 169910

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Rezension

Versunkene Geschichte „Spiegel“ entdeckt die Ostdeutschen Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ war seit seiner Gründung 1948 den rund zehn Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, die seit 1945/47 in den Westzonen lebten und später in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland, nicht sonderlich wohl gesonnen. Obwohl die Ostdeutschen entscheidend am wirtschaftlichen Wiederaufbau Nachkriegsdeutschlands beteiligt waren, werden sie beschimpft, verhöhnt, als „Ewiggestrige“ beargwöhnt, wo sie doch nur ihre Liebe zur verlorenen Heimat bekunden wollten. Dass mit dieser journalistischen Aversion gegen alles Ostdeutsche auch die konfliktreiche Geschichte und die reichhaltige Kultur jener Regionen in Vergessen zu geraten drohte, wurde im Kampfeseifer übersehen. Jetzt aber, wo es fast zu spät ist, erschien in der Reihe „Spiegel Geschichte“ ein Heft von 148 Seiten, das an jedem Zeitungskiosk zwischen Freiburg und Greifswald, Flensburg und Berchtesgaden für 7,50 Euro zu kaufen ist: „Die Deutschen im Osten. Auf den Spuren einer verlorenen Zeit“. Allein das Inhaltsverzeichnis kann den Leser, zumal den aus Ostdeutschland stammenden, begeistern. Der in die vier Abteilungen „Siedler vom Osten“, „Fremde, Freunde, Nachbarn“, „Krieg, Flucht, Vertreibung“ und „ Schatten der Vergangenheit“ gegliederte Stoff bringt in den einzelnen Kapiteln eine Fülle von Beispielen dafür, wie wichtig Geschichte und Kultur Ostdeutschlands für das Selbstverständnis des heutigen Deutschland sind. Da liest man einen Aufsatz „Neue Schlüssel zur Geschichte“, wo im Untertitel auf die „Enkelgeneration der Vertriebenen“ verwiesen wird, die die „Vergangenheit unverkrampfter“ sieht, weitere Artikel berichten über die „wechselvolle Geschichte der 1348 gegründeten Universität Prag“ und den wirtschaftlichen „Erfolg der mittelalterlichen Hanse“. Der Stuttgarter Emeritus Norbert Conrads, 1938 in Breslau geboren, der 1994 in der Reihe „Deutsche Geschichte im Osten Europas“ des Berliner Siedler-Verlages den umfangreichen Band „Schlesien“ veröffentlichte und als Historiker an der Universität Stuttgart den Projektbereich „Schlesische Geschichte“ vertrat, würdigt auf vier Seiten „Schlesien zwischen Polen, Habsburgerreich und Preußen als

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„Hort der Toleranz“, während der 1962 geborene Germanist Johannes Salzwedel die unvergleichliche Barockdichtung aus Schlesien vorstellt, deren bedeutendster Vertreter Andreas Gryphius (1616 – 1664) aus Glogau war. Der in Berlin lebende Historiker Andreas Kossert (geb. 1970), dessen Großeltern aus Ostpreußen stammen, der 2001/09 am „Deutschen Historischen Institut in Warschau arbeitete und dessen letztes Buch „Kalte Heimat. Die Geschichte der ostdeutschen Vertriebenen nach 1945“ (2008) hohes Aufsehen erregte, ist mit einem Interview über die politische und kulturelle Sonderstellung Ostpreußens vertreten, während Christian Neff darüber schreibt, wie im nördlichen Ostpreußen, der russischen Provinz Oblast Kaliningrad, die Regionalregierung versucht, die Geschichte 1231 / 1945 vergessen zu machen, wogegen die heutigen, aus allen Himmelsrichtungen der Sowjetunion eingewanderten Bewohner des Landstrichs und ihre Nachkommen emsig nach Spuren deutscher Vergangenheit suchen. Erfreulich ist, dass neben den „reichsdeutschen“ Vertriebenen auch die aus Russland, Ungarn, Serbien, Kroatien und Rumänien ausführlich benannt werden, während die aus der Tschechoslowakei, Polen und dem Baltikum leider unerwähnt bleiben, immerhin ist „Danzig zwischen Deutschen und Polen“ ein eigenes Kapitel gewidmet. Wie es den jenseits von Oder und Lausitzer Neiße lebenden Deutschen nach 1945 ging, kommt im Artikel über das Wüten der „Roten Armee“, über die „Breslauer Apokalypse“ und „Die Zeit der Abrechnung“ zur Sprache. Hie wird auch endlich das Thema „Vergewaltigungen“ von zwei Millionen ostdeutschen Mädchen und Frauen angeschnitten, worüber die Aachener Physikerin Gabriele Köpp (1929 – 2010), die in Schneidemühl/Pommern geboren wurde, als erste Betroffene mit vollem Namen das autobiografische Buch „Warum war ich bloß ein Mädchen? Das Trauma einer Flucht 1945“ (2010) veröffentlicht hat. Dass die vorrückenden „Rotarmisten“ auch Tausende von Polinnen, Slowakinnen, Rumäninnen, Ungarinnen vergewaltigt haben, lässt das Argument brüchig werden, die Verbrechen der „Roten Armee“ wären die gerechte Antwort auf die Verbrechen der „Wehrmacht“

1941/1945 gewesen. Wo man sich festliest in diesem Heft, bekommt man aufschlussreiche Informationen geliefert, so über die Westverschiebung Polens unter dem Titel „Churchills Streichhölzer“ (Michael Sontheimer) oder über „Die Vertriebenen nach 1945“ unter dem Titel „Hitlers letzte Opfer“ (Norbert F. Pötzl), selbstverständlich durfte da ein kritische Beitrag, wenn auch anonym, über Erika Steinbachs Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nicht fehlen. Leider wird die rigorose Eingliederungspolitik, die im SED-Staat gegen die „Umsiedler“ betrieben wurde, nirgendwo analysiert, der einzige Beitrag zu diesem Thema erschöpft sich in Uwe Klussmanns Artikel über das „Görlitzer Abkommen“ von 1950, worin die „Oder – Neiße – Friedensgrenze“ einseitig anerkannt wurde. Erfrischend zu lesen sind die vier Seiten von Journalistin Petra Reski, die als 1958 geborenes Kind einer Schlesierin und eines Ostpreußen im Ruhrgebiet aufgewachsen ist und die im Jahre 2000 das Buch „Ein Land so weit. Ostpreußische Erinnerungen“ (Ullstein – Taschenbuch 2002) veröffentlichte, weil sie das Land an der Ostsee als Heimat ihrer Vorfahren entdeckte. Dass deutsche und polnische Historiker an einem gemeinsamen Geschichtsbuch arbeiten, erfährt man von Jan Friedmann unter dem Titel „Heikle Kapitel“. Und unter dem Titel „Aktenzeichen ungelöst“ wird dem Leser durch Thomas Darnstädt mitgeteilt, dass die an Deutschen begangenen Vertreibungsverbrechen noch immer ungesühnt sind. Die Liste der weiterführenden Literatur ist leider ziemlich willkürlich zusammengestellt worden und bedarf dringend der Ergänzung. Auf dem Titelbild sieht man einmal ein fröhliches Fest 1928 im niederschlesischen Schreiberhau und dann die Flucht der Ostpreußen im Winter 1945 übers Kurische Haff auf die Nehrung. Damit waren 800 Jahre Geschichte Ostdeutschlands ausgelöscht! Jörg Bernhard Bilke

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Lange Nacht der Museen

Sa 02.04. | 21 Uhr

East meets west Russlanddeutsche im Fokus Die Integration von Spätaussiedlern im kulturellen Bereich ist seit mehr als zwei Jahrzehnten erklärtes Ziel der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus und wurde bisher mit erfolgreichen Aktivitäten im kulturellen Bereich durchgeführt. Insbesondere stand in den vergangenen Jahren die Förderung von jungen Russlanddeutschen im Mittelpunkt. Jugendliche Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion galten in den Herkunftsländern vor der Ausreise als weitgehend in ihr Lebensfeld integriert. Die russische und deutsche Kultur hat sie geprägt und ihren Lebensweg bestimmt. Die Aussiedlung von Russland nach Deutschland geschieht oftmals nicht ohne Probleme. Viele fühlen sich häufig als Wanderer zwischen zwei Welten. Vor diesem Hintergrund bot die Stiftung GerhartHauptmann-Haus jungen Spätaussiedlern Raum für die kreative Entfaltung im musikalischen Sektor. So versammelten sich junge Russlanddeutsche im Gerhart-

Eine kompakte Präsentation von Musikern insbesondere mit russischem Hintergrund soll in der Nacht der Museen im Eichendorff-Saal erfolgen. Das mehr als dreistündige Programm mit dem Titel „east meets west“ von den drei Bands „Spiderpigs“, „Norbert Transport“ und „Hans Dampf“ vermittelt ein facettenreiches Bild des bikulturellen Kapitals in Deutschland. Spiderpigs The Spiderpigs steht für Rock’n’Roll, Drive und entfesselte Energie! Gekonnt setzen die fünf jungen Leute, die unterschiedlicher nicht sein könnten, ihre Erfahrungen und Gefühle in einer Symbiose aus eigenen Texten und Melodien, heißer Show und impulsivem, ansteckendem Sound um. Direkter und ehrlicher Rock’n’Roll wird zum experimentellen Medium und fusioniert mit Reggae, Funk, Jazz und Kraut zum Pulsschlag der Band. Die Texte auf Russisch, Deutsch und Englisch handeln von zwischenmenschlichen

Spiderpigs

Hauptmann-Haus, um eine Band nach ihrer Prägung entsprechend zu gründen. Eine Grundausstattung an Instrumenten, wie Gitarren, Keyboard, Mischpult und Verstärkeranlage wurde der Band zur Verfügung gestellt sowie Räumlichkeiten für die regelmäßigen Proben. Im Laufe der Jahre hat die Band ein eigenes Repertoire erarbeitet und tritt unter dem Namen „Spiderpigs“ erfolgreich in Düsseldorf und anderen Nordrhein-Westfälischen Städten auf. Sie sind inzwischen fester Bestandteil der deutsch-russischen Musikszene in NRW.

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Beziehungen, Konkurrenzdenken und (Sehn)Süchten… www.the-spiderpigs.de Hans Dampf gegründet im Herbst 2007, hat sich die Band ehrlicher deutscher Tanzmusik verschrieben. Gerne rockig, oft aber auch südamerikanisch, bluesig, jazzig oder popig… Von Anfang an war klar, es darf keine Begrenzung, keine Schublade geben in der man sich irgendwann wieder- und nicht mehr herausfindet. Dementsprechend

Hans Dampf

vielfältig ist die musikalische Brandbreite und entsprechend ehrlich sind die Texte, die sich um all das drehen was tagtäglich um einen herum geschieht. Liebe, Leben, Sehnsüchte, Verantwortung und Selbstreflektion. www.hansdampf.tv www.myspace.com/hansdampftv Norbert Transport Norbert Transport machen es vor: Während der Proben werden Protektoren für besonders ausschweifende Festivitäten konzipiert, die Farbe von Gummibärchen am Geschmack erkannt oder PhantasiePanini-Bildchen getauscht. Und von der Gitarre erklingt eine Sandkasten-Melodie. Solange man also auf dem Weg ist, ist alles nicht so schlimm. Eine Art selbstverständlicher Optimismus stellt sich ein. Norbert Transport ist musikalische Untermalung für einen verwirrenden Morgen, einen ereignisreichen Tag oder einen entspannten Abend. Norbert ist Erfinder der Ein-MinutenMeditation, textet, singt und spielt Gitarre. Sara wuselt herum und spielt Bass. Christoph will es immer ganz genau wissen und spielt Gitarre. Till weiß es nicht immer so genau und spielt Schlagzeug. www.norbert-transport.de M.L.

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Lange Nacht der Museen

Sa 02.04. | 21 Uhr

East meets west Die lange Nacht der Museen im Gerhart-Hauptmann-Haus Programm zur Nacht der Museen „Ost trifft West“ heißt es in der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, die entsprechend ihrem Stiftungsprogramm den interkulturellen und historischen Dialog fördert und Jung und Alt zusammenbringt. Ausstellung: RUMÄNIEN-DÜSSELDORF, Fünf Künstler im Dialog. (Ausstellungsraum): Viktoria und Marian Zidaru (Bukarest) - Senta Connert, Julia van Koolwijk, Ulrike Kessl ( Düsseldorf) Viktoria und Marian Zidaru, Senta Connert, Julia van Koolwijk und Ulrike Kessl lernten sich 2010 durch einen deutsch-rumänischen Künstleraustausch in Bukarest kennen. Ein verbindendes Element in den Arbeiten der Künstler ist die „Handarbeit“, sei es in der konkreten Form der Bearbeitung von Material (Textil, Holz, Papier) oder auch in der Reflektion darüber mittels Fotografie oder Video.

Guido Westerwelle zeigen wie kompetent sie sind. Sie philosophieren, agieren und messen sich. Selbstverständlich erfährt man auch viel Privates über ihre Schützlinge. Höchst politischer Quatsch! Bandauftritte/Livemusik Die extravagante russische Rockband The Spiderpigs, bereits langjährige Hausband des Gerhart-Hauptmann-

Hauses, startet die Show und weiter geht’s mit rockiger deutscher Tanzmusik mit „Hans Dampf“ und „Norbert Transport, echter “Rheinländer Schule“. 21.00: The Spiderpigs (experimenteller Rock`n`Roll) 22.00: NorbertTransport („Rheinländer Schule“) Ab 23.00 Uhr: Hans Dampf (rockige deutsche Tanzmusik) Specials Ab 21.00 Uhr: kühle Drinks und heißer Samowar K.S.

Wanderausstellung: EDUARD VON SIMSON. SCHLÜSSELFIGUR DES DEUTSCHEN PARLAMENTARISMUS (Foyer Eichendorff-Saal) Kabarett 19.30, 20, 20.30: politisches Kurzkabarett mit Ozan Akhan/Tunç Denizer Sie spielen Ausschnitte aus ihrem aktuellen Comedy Programm „Da sind wir“ (Kurzauftritte von ca. 15 Minuten) u.a. mit „The Loosa Brothers“: Zwei afghanische Brüder: Abdel Loosa und Oba Loosa träumen von der großen Musicalkarriere. Doch ihr größtes Hindernis sind sie selbst. Ihre Tollpatschigkeit und ihr Missgeschick kennen keine Grenzen. Missverständnisse und Vorurteile sind vorprogrammiert! „Die Bodyguards“: Die Bodyguards von Angela Merkel und

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Vermischtes

Willkommen in Düsseldorf! Lena Meyer-Landrut hat einen berühmten Großvater Sie ist wieder in aller Munde: Lena Meyer- als Kind lernte er von seiner russischen Landrut, die deutsche Gewinnerin des Kinderfrau russisch und wurde mit der Eurovision Song Contest (ESC) aus dem russisch-orthodoxen Kultur vertraut. 1939 Vorjahr. Das neue deutsche Fräulein-Wun- wurde er wie alle Deutschen mit der Fader schickt sich an, zum zweiten Mal in milie aus dem Baltikum ins das besetzte dem internationalen Gesangswettbewerb Polen, dem „Warthegau“ das erste Mal anzutreten, dem sie ihren kometenhaften vertrieben. Im Januar 1945 schickte der Aufstieg im letzten Jahr verdankt. Ausge- Vater seine Frau und die beiden Kinder tragen wird er im Mai 2011 in Düsseldorf. in Richtung Westen. Schließlich landete Am 8. Februar erschien dazu das Album Meyer-Landrut im westdeutschen Bie„Good News“, das die von ihr vorgestell- lefeld. Die typische Biographie eines Baltenten zwölf Lieder enthält. Für Düsseldorf ist die Austragung des deutschen aus der ersten Hälfte des 20. Eurovision Song Contest 2011 ein Mega- Jahrhunderts. Diese Jugend, und die im juEvent. Die teuerste Fernsehproduktion gendlichen Alter gesammelten Erfahrunaller Zeiten mit einem Gesamtvolumen gen haben wohl prägend gewirkt. Andreas von rund 25 Millionen Euro wird erwar- Meyer-Landrut studierte nach dem Abitur tet. Die Stadt Düsseldorf ist mitten in am Ratsgymnasium Bielefeld an der Unider Vorbereitung für das Ereignis. Auch versität Göttingen Slawistik, osteuropäifür eine 600.000-Einwohner-Stadt sind sche Geschichte und Soziologie. Zum Dr. Tausende Fans aus drei Dutzend europä- phil. wurde er 1954 promoviert, übrigens ischen Ländern, 4000 Journalisten und mit einer Dissertation über das kroatische Delegationen aus etwa 40 Ländern, die Theater des 19. Jahrhunderts – er hatte in den ersten beiden Maiwochen in die zuvor ein Studienjahr in Zagreb verbracht. Landeshauptstadt einfallen werden, eine Das Interesse an Literatur, Musik und der bildenden Kunst hat ihn nie losgelassen. Herausforderung. Lena Meyer-Landrut sieht die ganze Auf- Eine Neigung, die er vielleicht an seine regung – nicht zuletzt um ihre eigene Per- Enkelin weitergegeben hat. son – gelassen. Nach dem sensationellen Was folgte war „ein Leben im Dienst der deutschen AuGewinn im Vorßenpolitik“ (FAZ). jahr hat sie nichts Vier Jahrzehnte, zu verlieren. Ihr von 1955 bis erklärtes Ziel ist 1994, war Andrees, nicht Letzte as Meyer-Landrut werden zu wollen. Darüberhinim Auswärtigen aus geben sie und Dienst tätig – daihr Umfeld sich von mehr als zwölf Jahre in Moskau. zugeknöpft, was private Vorhaben, Fünfmal schickihre Familie oder te die Bundesreihre Zukunft anpublik Andreas geht. Meyer-Landrut in unterschiedlichen Dabei gibt es durch- Auf dem neuen Album mit dem Titel Funktionen in die aus interessante „Good News“ sind alle zwölf Songs zu Moskauer BotDetails aus ihrer hören, die zur Auswahl für den deutschen schaft. Zunächst Verwandtschaft Eurovisions-Beitrag 2011 stehen. als Botschaftssezu berichten. kretär und später Lena stammt väterlicherseits aus einer baltendeutschen Presseattaché der Deutschen Botschaft, Familie. Ihr Großvater, Andreas Meyer- danach von 1980-1983 sowie 1987-1989 Landrut, wurde 1929 in Reval geboren als Botschafter. Fünf Jahre lang vermittelund stammt aus einer traditionsreichen te er als deutscher Botschafter zwischen deutschen Industriellenfamilie. Bereits der Bundesregierung unter Helmut Kohl

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Andreas Meyer-Landrut vor der deutschen Botschaft in Moskau und der Sowjet-Führung unter Michail Gorbatschow. Er sorgte so mit dafür, dass sich die politischen Lager in dieser Phase der Annäherung verständigen konnten. Offensichtlich hat er sich in dieser Zeit auch das besondere Vertrauen der Deutschen in Russland erworben, für deren Belange er sich in besonderer Weise eingesetzt haben soll. Die Umwälzungen 1989 bis 1991 erlebte Meyer-Landrut nicht in Moskau, sondern als Chef des Bundespräsidialamtes in Bonn mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Als „Zaungast“, dem die Beteiligung am politischen Entscheidungsprozeß versagt war, wie er einmal bedauernd feststellte. 2002 wurde Dr. Andreas Meyer-Landrut das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen – für sein Lebenswerk zur Annäherung von Deutschen und Russen. Gleich nach Beendigung des Staatsdienstes zog es den Russlandkenner wieder nach Moskau, diesmal im Dienste der Wirtschaft, als Repräsentant von DaimlerChrysler. Selbst heute lebt Meyer-Landrut noch zeitweise in Russland, er pendelt zwischen Köln und Moskau. Lenas Großvater hat also eine durchaus osteuropäisch geprägte Biographie, die Beschäftigung mit Russland ist dem Baltendeutschen zum Lebensthema geworden, wie er selbst einmal bekannte. Es wäre seltsam, wenn nicht etwas von diesem östlichen Erbe auch auf Lena Meyer-Landrut abgefärbt hätte. Wir wünschen ihr auf jeden Fall viel Erfolg für den Eurovision Song Contest 2011 in Düsseldorf. Markus Patzke

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Bibliothek

Capesius, der Auschwitzapotheker Eine fiktionale Figur berichtet anhand der Quellen Viktor Capesius war Apotheker in Schäßburg und Vertreter der Firma Bayer, bevor er als SS-Offizier nach Auschwitz kam. Als eines Tages ein Transport mit Juden aus seiner siebenbürgischen Heimat eintraf, standen sich plötzlich Täter und Opfer, seit Jahren bekannt, an der Rampe des Lagers gegenüber. Capesius schickte sie kaltblütig ins Gas und bereicherte sich an ihrer Habe. Dieter Schlesak schrieb diese wahre Geschichte auf als komplexe Kollage aus Dokumentation, Rückblende und Erzählung: ein historisches Werk, das sich literarischer Mittel bedient, von enormer sprachlicher Kraft und Authentizität, ein erschütterndes zeitgeschichtliches Zeugnis. Seit 30 Jahren ist Dieter Schlesak dem Auschwitzapotheker auf der Spur. Vom Täter und seinen Opfern sammelte er Dokumente, Interviews, Briefe und Aufzeichnungen. Damit kreiste er den SS-Offizier Capesius wie in einem Prozess ein und ließ die Menschen in ihren Worten schildern, was mit ihnen, ihren Angehörigen und Kindern geschah. Wohl einmalig in der Auschwitzliteratur ist die persönliche Begegnung zwischen Opfern und Tätern aus der gleichen Stadt, dem gutbürgerlichen Massenmörder und seinen früheren Bekannten, Nachbarn, Kunden. Der Erzähler im Buch ist der jüdische Häftling Adam. Er ist die einzige fiktionale Figur. Doch was er berichtet und wie er es berichtet, entstammt bis in die Sprache der Opfer, die „Lagerszpracha“ hinein den historischen Quellen. SCHLESAK, DIETER: Capesius, der Auschwitzapotheker. Dietz, 2006.

„Jetzt sind wir hier“

Eine endliche Geschichte

Gespräche mit Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion

Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen

Hier bleibe ich immer die „Russin“, in Russland war ich nur „die Deutsche“. Wer bin ich, wo gehöre ich hin? Um dieses Thema kreist der vorliegende Band, in dem Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion über ihr Schicksal berichten, das sie wie Zugvögel tausende von Kilometern zurücklegen ließ, um endlich ein zu Hause zu finden. Sie erzählen von einer Zeit, über die man nur sehr allgemein in Geschichtsbüchern nachlesen kann. Dank der subjektiven Erlebnisberichte gewinnt der Leser eine emotional bestimmte Vorstellung solcher Begriffe wie „Entkulakisierung“, Vertreibung, Trauer um Stalins Tod, Perestroika. Aber auch die schöne Zeit der Jugend, die Liebe zur Familie, der Glaube und die Hoffnung auf ein besseres Leben und nicht zuletzt die Dankbarkeit, in Deutschland eine Heimat gefunden zu haben, sind Gegenstand der Erinnerungen. JETZT SIND WIR HIER. GESPRÄCHE MIT ZUWANDERERN AUS DER EHEMALIGEN SOWJETUNION. Hrsg.: zu Hause e.V., Grimma, 2008.

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Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen, die im Mittelpunkt der Untersuchung von Jutta Faehndrich stehen, sind eine bislang kaum beachtete Literaturgattung. Nicht Historiker und Fachleute, sondern die Betroffenen selbst sammelten darin nach 1945 all das, was ihnen von ihrer Heimat erinnernswert schien, und schufen so gleichsam ein kollektives Gedächtnis der Erlebnisgeneration und eine Form der Heimwehliteratur. Zu Hunderten wurden nach 1945 solche Bücher von deutschen Vertriebenen im Rückblick auf ihre verlorene Heimat geschrieben. Oft könnten sie unterschiedlicher nicht sein, doch haben sie eines gemeinsam: Sie schreiben die „endliche Geschichte“ von etwas, das verloren war und blieb. Auf diese Weise stellen sie nicht nur die porträtierten Landschaften vom Baltikum bis Bessarabien vor und bewahren darin deutsches Kulturerbe im Osten Europas, sondern geben auch Auskunft auf die Frage, was Heimat eigentlich ausmacht, wenn man sie verloren hat. So entsteht ein facettenreiches und nuanciertes Bild, das wenig mit dem oft einseitigen öffentlichen Bild der Vertriebenen in der Bundesrepublik zu tun hat. FAEHNDRICH, JUTTA: Eine endliche Geschichte. Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen. Böhlau, 2011.

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Chronologie Mi jeweils 18.10 bis 20.30 Uhr Probe der Düsseldorfer Chorgemeinschaft Ostpreußen-WestpreußenSudetenland Leitung: Radostina Hristova Bis 07.04. Ausstellung „Bukarest - Düsseldorf“ Werke von Victoria und Marian Zidaru, Senta Connert, Ulrike Kessl und Julia van Koolwijk dazu: Di 05.04. | 19.15 Uhr Diavortrag und Künstlergespräch Ausstellungsraum (Siehe S. 12) Sa 02.04. | 21 Uhr „East meets west“ Lange Nacht der Museen Eichendorff-Saal (Siehe S. 22/23) Di 05.04. | 19.15 Uhr „Von Nikolaus II. zu Stalin – Die Russlanddeutschen zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg 1914 - 1941“ Vortrag von Prof. Dr. Hans Hecker, Düsseldorf, Raum 312 (Siehe S. 3) Mi 06.04. | 9.30 Uhr „Napoleon und Europa. Traum und Trauma“ Exkursion zur Napoleon-Ausstellung in die Bundeskunsthalle Bonn (Siehe S. 17) Mi 06.04., 04.05., 08.06. | jeweils 15 Uhr Ostdeutsche Stickerei mit Helga Lehmann und Christel Knackstädt, Raum 311 Fr. 08.04. | 19 Uhr Theateraufführung „Die kahle Sängerin“ und „Die Unterrichtsstunde“ Ausführende: Theater-AG des GeorgBüchner-Gymnasiums Kaarst Eichendorff-Saal (Siehe S. 20) Do 14.04. | 19.15 Uhr Ausstellungseröffnung „Ein deutscher Dichter bin ich einst

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gewesen“ – Max Herrmann-Neisse Ausstellungsraum (Siehe S. 14)

Katharina Schubert und Helmut Braun Konferenzraum (Siehe S. 18)

Do 14.04., 19.05., 16.06.| jeweils 19.30 Uhr Offenes Singen mit Barbara Schoch Raum 312, 412

Mi 08.06. | 19.15 Uhr Ausstellungseröffnung „Berühmte Schlesier auf Postwertzeichen und Stempel. Ein BriefmarkenSalon“ Ausstellungsraum (Siehe S. 16)

Bis 21.04. „Wer war Eduard von Simson?“ Ausstellung zu einer Schlüsselfigur des deutschen Parlamentarismus im 19. Jahrhundert Ausstellungsraum (Siehe S. 13) Mi 11.05.| 15 Uhr Ausstellungseröffnung „Es betrifft Dich! Demokratie schützen – Gegen Extremismus in Deutschland“ Konferenzraum/ Eichendorff-Saal (Siehe S. 15) Do 19.05. | 10 Uhr Frühjahrstagung der AG Heimatstuben Raum 412 Do 19.05. | 19.15 Uhr „Wolfskind. Die unglaubliche Lebensgeschichte des ostpreußischen Mädchens Liesabeth Otto“ Autorenlesung von Ingeborg Jacobs Konferenzraum (Siehe S. 5) Mo 23.05. | 15 Uhr Kinemathek „Stalin“ Deutschland 1992/93 Konferenzraum (Siehe S. 8) Mi 25.05. | 19.15 Uhr „Die Deutschen in der Sowjetunion zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Stalin-Ära 1941 - 1956“ Vortrag von Dr. Alfred Eisfeld, NordOst-Institut an der Universität Hamburg Konferenzraum (Siehe S. 4) Di 07.06. | 19.30 Uhr „Der Traum lebt mein Leben zu Ende. Das Leben der Dichterin Rose Ausländer“ Filmvorführung und Diskussion mit

Do 09.06. | 19.15 Uhr „Nichts über den Kaiser. Zum 70. Todestag Wilhelms II.“ Vortrag von Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Technische Universität Chemnitz Konferenzraum (Siehe S. 9) Mo 13.06. | 19 Uhr Autorenlesung Christoph Hein Eichendorff-Saal (Siehe S. 10) Di 14.06. | 19.30 Uhr Autorenlesung Catalin Dorian Florescu Konferenzraum (Siehe S. 6) Mo 20.06. | 15 Uhr Kinemathek „Majestät brauchen Sonne“ Deutschland 1999 Konferenzraum (Siehe S. 8) Mi 29.06. | 19.15 Uhr „Die Vertreibung im deutschen Erinnern. Legenden, Mythos, Geschichte“ Buchvorstellung mit Dr. Eva Hahn und Prof. Dr. Hans Hennig Hahn, Carl-von-Ossietzky - Universität Oldenburg Konferenzraum (Siehe S. 7)

Fr 01.07. | 19.15 Uhr Ausstellungseröffnung „In Böhmen und Mähren geboren – bei uns (un) bekannt? 12 ausgewählte Lebensbilder“ Einführung: Dr. Wolfgang Schwarz, Kulturreferent für die böhmischen Länder im Adalbert Stifter Verein e. V. Ausführliche Informationen im West-Ost-Journal Nr. 3/2011

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WOJ 16. Jg. - 3/2010

Juli/August/September 2010

ISSN 0947-5273

Sommer, Sonne, Sand, Meer und mehr ...

WOJ 16. Jg. - 4/2010

Oktober/November/Dezember 2010

ISSN 0947-5273

Von Brandt zur europäischen Einigung Welche Wirkung hatte die Neue Ostpolitik?

Geöffnet

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Viele weitere Informationen über das Gerhart-Hauptmann-Haus und zu den im Heft behandelten Themen finden Sie - rund um die Uhr - auch im Internet unter www.g-h-h.de.

Herausgeber: Stiftung „Gerhart-Hauptmann-Haus. Deutsch-osteurpäisches Forum“ Vorsitzender des Kuratoriums: Reinhard Grätz Vorsitzender des Vorstandes: Helmut Harbich Bismarckstr. 90 40210 Düsseldorf Postanschrift: Postfach 10 48 61 40039 Düseldorf Telefon: (02 11) 16 99 10 Telefax: (02 11) 35 31 18 Mail: bergmann@g-h-h.de Internet:www.g-h-h.de

Redaktion: PD Dr. Winfrid Halder, Chefredakteur; Dirk Urland M.A. Satz und Layout: Markus Patzke Herstellung: WAZ-DRUCK GmbH & Co. KG vorm. Carl Lange Verlag, Theodor-Heuss-Straße 77, 47167 Duisburg

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D

er international renommierte Militärhistoriker Prof. Dr. Jürgen Förster (r.), Lehrstuhlinhaber an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., war Anfang März d. J. zu Gast im Düsseldorfer Gerhart-HauptmannHaus. In einem eindrucksvollen Vortrag – mit seltenem, originalem Kartenmaterial – referierte der 1940 in Reichenberg geborene Wissenschaftler unter dem Titel „Vernichtungskrieg ist nicht gleich Vernichtungskrieg“ über die differenzierten Aspekte der deutschen Kriegsführung gegen Polen und die Sowjetunion 1939 / 1941.

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Datum und 28Unterschrift

Christoph Hein (* 08. April 1944 in Heinzendorf bei Münsterberg, Schlesien) ist Schriftsteller, Übersetzer und Essayist. Bekannt geworden ist Christoph Hein durch seine sehr erfolgreiche Novelle „Der fremde Freund“, die 1982 in der DDR veröffentlicht wurde. Von 1998 bis 2000 war Christoph Hein erster Präsident des gesamtdeutschen PEN-Clubs.

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