West-Ost-Journal 4/2016

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WOJ 22. Jg. - 4/2016

ISSN 0947-5273

Foto: Thienemann-Verlag

4 2016 O kto b e r November Dezember

Otfried Preußler – Der Geschichtenerzähler aus dem Böhmerwald Olga Tokarczuk · Leo Baeck · Jakuba Katalpa


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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Gerhart-Hauptmann-Hauses, das Jahr 2016 neigt sich dem Ende entgegen. Bald werden wir die Weihnachtstage festlich begehen und das Jahr beschaulich ausklingen lassen, viele von uns jedenfalls. Vielleicht gelingt uns in den meist ruhigeren Tagen »zwischen den Jahren« auch ein Moment des Innehaltens und der Rückschau. Dabei wird sicherlich nicht zuletzt deutlich werden, dass mit dem kalendarischen Jahresende vieles, das uns 2016 beschäftigt hat, keineswegs beendet sein wird. Unternimmt man etwa den Versuch, das Stichwort »Flüchtlinge« in eine der geläufigen Internetsuchmaschinen einzugeben, so erhält man in Sekundenschnelle knapp 25 Millionen »Treffer«. Die mediale Riesenwelle, die sich dahinter verbirgt, spiegelt natürlich nur, mit welcher Intensität und Wucht die Themen Flucht, Vertreibung, Krieg und Zuwanderung uns in Atem gehalten haben – und weiter in Atem halten werden. Ein ähnlicher Versuch am Ende des kommenden Jahres 2017 wird – diese Prognose sei gewagt – kein grundlegend anderes Ergebnis erbringen.

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s wird also weiterhin unverzichtbar sein, im Hier und Jetzt zu helfen; das ist, zweifellos, die vorrangigste Aufgabe. Zugleich wird es weiterhin Sinn machen, im historischen Rückblick Parallelen aufzuzeigen – und Unterschiede. Menschliche Gesellschaften wurden immer auch von Migration, von Zu-, nicht selten auch von Abwanderung mitgeprägt. Jüngere Ergebnisse der sich auf genetische Untersuchungen stützenden Paläoanthropologie – also der Wissenschaft, die sich mit der vorgeschichtlichen Herkunft des Menschen beschäftigt – haben jedenfalls eines klar gezeigt: Wir alle heute stammen von Vorfahren ab, die vom afrikanischen Kontinent in andere Weltregionen – auch nach Europa – zugewandert sind. Zwar bleibt es schwierig, diesen Vorgang näher zu datieren; die Meinungen der wissenschaftlichen Experten gehen in diesem Punkt weit auseinander. Ob nun der »Wanderungsbeginn« von Afrika nach Europa vor rund 120.000 Jahren oder einige Zehntausend Jahre früher oder später anzusetzen ist, wird vielleicht später einmal geklärt werden können, vielleicht auch nicht. Zweierlei ist jedoch gewiss:

Veranstaltungsreihe Otfried PreuSSler

West-Ost-Journal Oktober November Dezember

Veranstaltungsreihe Deutsche aus Russland

4 Otfried Preußler

6 Deutsche aus Russland

5 Weihnachtslesung Preußler

6 Nachtigall, o Nachtigall

5 Theater Räuber Hotzenplotz

7 Wind in meinem Haar

5 Theater Drei kleine Schweinchen


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Unsere Vorfahren waren, erstens, keineswegs »schon immer« hier, sie sind ihrerseits zugewandert, nur früher – na gut: viel früher. Aber zugewandert sind sie jedenfalls, von »Migranten« also stammen wir ab. Und, zweitens, die Menschen, die heute aus Afrika zuwandern, sind – Verwandte. Die moderne Genetik sagt das ganz unzweideutig aus. Ferne Verwandte gewiss, aber Verwandte. Alle anders gearteten Behauptungen gehören – bestenfalls – ins Reich des Irrtums, schlechtestenfalls ins große Reich der bewussten Lüge. Unser Grundgesetz geht von genau dieser unabweisbaren Verwandtschaft aus, wenn es die Würde des Menschen als unbedingt zu schützenden, vorstaatlichen Wert ins Zentrum allen staatlichen Handelns stellt.

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ber ja: Dergleichen prinzipielle Feststellungen tragen zur Lösung von vielfältigen Problemen, die von Wanderungsbewegungen, vom Zusammentreffen von genetisch verwandten, aber kulturell sehr verschieden geprägten Menschen stets aufgeworfen werden, unmittelbar wenig bei. Aber am Ende

eines schwierigen Jahres 2016 und zu Beginn eines sicherlich nicht viel einfacher werdenden Jahres 2017 mag immerhin daran erinnert werden. Im letzten Quartal des Jahres 2016 versuchen wir wieder gemeinsam mit Ihnen, den Blick auf ganz große Zusammenhänge zu richten, auch auf kleinere, die oft unmittelbar einleuchtender erscheinen mögen. Das werden wir 2017 fortsetzen – die Themen aus Kultur, Geschichte und Gegenwart gehen uns nicht aus. Diese Prognose für das kommende Jahr ist kein bisschen gewagt. Und unsere Hoffnung für 2017 richtet sich auf die Fortdauer Ihres Interesses und Ihrer Unterstützung. Mit allen guten Wünschen für die letzten Monate von 2016, für ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches Ankommen in 2017! Ihr

8 Olga Tokarczuk

26 Ende der Sowjetunion

28 Studienreise Slowakei

9 Jakuba Katalpa

26 Schluck und Jau

31 Tagesexkursion Venlo

10 Tschechische Filme

26 Oskar Gottlieb Blarr

31 Gorki und Hauptmann

11 Im Totaleinsatz

26 Andreas-Gryphius-Preis

32 Bibliothek

13 Die Mörder sind unter uns

27 Geschichte Danzigs

34 Weihnachtsmarkt

16 Leo Baeck

27 Die Ostvertriebenen und der

34 Tagungen

19 Kinder von Zwangsarbeiterinnen 20 Reisebericht

Lastenausgleich

27 Ossip Mandelstam

35 Chronologie


Veranstaltungsreihe Otfried PreuSSler

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Von Räubern, Hexen und Gespenstern

Otfried Preußler – Der Geschichtenerzähler aus dem Böhmerwald Ausstellung im Gerhart-Hauptmann-Haus Do, 01.12. 17.30 Uhr

Am 1. Dezember um 17.30 Uhr eröffnet die Ausstellung mit dem Kindergartenchor »Warwuschel« und mit Schülerinnen und Schülern des Cecilien-Gymnasiums Düsseldorf, die einige Szenen und das Bühnenbild zu »Krabat« vorführen.

»Der Mensch braucht Geschichten wie er sein tägliches Brot braucht« und »Seien Sie gut zu den Kindern – wir haben nichts Besseres!« sind Worte, die Otfried Preußler nicht nur so dahinsagte, sondern die er auch lebte und in seinen Werken vermittelte. Wer sie gehört oder gelesen hat, – die Geschichten vom Räuber Hotzenplotz, der kleinen Hexe, dem kleinen Gespenst, Hörbe mit dem großen Hut oder Krabat – der weiß um die Phantasie, den Lebensmut und die Magie, welche die Geschichten nicht nur unter den Kindern verbreiten. Als Otfried Preußler 2013 mit fast 90 Jahren starb, hatten seine Bücher eine Gesamtauflage von über 50 Millionen Exemplaren in über 50 Sprachen erreicht, mehr als 10.000 an ihn adressierte Leserbriefe aus Brasilien bis Japan, aus Kanada bis Südafrika liegen in den Archiven. Gehen wir auf Spurensuche zu den Inspirationen für seine Geschichten, finden wir diese in den Orten und Begegnungen seiner Kindheit.

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tfried Preußler wurde 1923 im nordböhmischen Reichenberg geboren, dem heutigen Liberec. Sein Vater war neben einer Tätigkeit als Lehrer Heimatforscher. Er sammelte die althergebrachten Sagen des nahe gelegenen böhmischen Isergebirges von Hexen und Zaubermeistern, Nachtjägern und Geistern. Wenn der Sohn ihn auf Wanderungen begleitete, erzählte der Vater dem Sohn die alten Weisen, die Geschichten der Leute Nordböhmens. Der 1962 erschienene und in 41 Sprachen übersetzte Ein besonderes Augenmerk »Räuber Hotder Ausstellung liegt auf zenplotz« z.B. ist Original-Illustrationen aus nach einer Stadt berühmten Werken wie in Mähren an der »Die kleine Hexe«, »Der Grenze zu Schlekleine Wassermann« oder sien benannt, die »Der Räuber Hotzenplotz«. den deutschen Außerdem gibt es HörstatiNamen Hotzenonen, Filmausschnitte und plotz trägt und vieles mehr. nach 1945 zum tschechischen Osoblaha wurde. Die Grundlagen seiner Erzählpsychologie verdankte Preußler, wie er immer wieder betonte, jedoch seiner tschechischen Großmutter Dora.

Von der Großmutter, die als Kind in der Herberge ihres Vaters den Geschichten von Fuhrleuten auf dem Weg nach Prag zugehört hatte, hörte Preußler Geschichten »voll unerwarteter Wendungen, häufig an überlieferte Stoffe und Episoden anknüpfend – und doch frei dahinfabuliert, nach Laune und Gutdünken der Erzählerin sich fortspinnend, bis sie nach mancherlei kühnen Schleifen und listig herbeigeführten Verwirrungen doch noch zu einem guten Ende kamen«. (Nachzulesen im Ausstellungskatalog zur Preußler-Ausstellung 2014 im Bezirksmuseum Dachau). Die Großmutter brachte ihm auch bei, Geschichten in der realen Welt geschehen zu lassen, so dass Kinder die beschriebenen Orte – die dichten dunklen Wälder, Großmutters Küche mit der Kaffeemühle, die Unke im Keller – mit eigener Vorstellungskraft

in ihrer Umwelt entdecken können. »Das Geschichtenbuch meiner Großmutter, das es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat, ist das wichtigste aller Bücher für mich, mit denen ich je im Leben Bekanntschaft gemacht habe«, schrieb Preußler später. Schon mit zwölf Jahren hat Otfried Preußler angefangen, Gedichte und kleine Geschichten zu schreiben. Unmittelbar nach seinem Abitur 1942 wurde Preußler zum Kriegsdienst eingezogen – an die Ostfront und geriet als 21-jähriger Offizier 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Fünf Jahre später kehrt er aus der Gefangenschaft zurück, seine gesamte Familie war inzwischen aus der nordböhmischen Heimat vertrieben worden. Im bayerischen Rosenheim findet er einige Familienmitglieder und seine Verlobte wieder. Preußler wird Volksschullehrer und »allmählich und unter Mühsal« lernt er, Geschichten in Geschriebenes umzusetzen. Sein erstes Kinderbuch, das 1956 erscheint, ist »Der kleine Wassermann«. Heute umfasst sein Werk mehr als 40 Kinder- und Jugendbücher, Erzählungen, Bilderbücher, Theaterstücke und Übersetzungen. Die Bücher sind meistens von dem Zeichner Franz Josef Tripp (1915–1978) illustriert, der übrigens 1960 vom Thienemann-Verlag mit den Illustrationen für das Kinderbuch »Jim Knopf und

Lukas der Lokomotivführer« von Michael Ende beauftragt war. Die Ausstellung zu Otfried Preußlers Lebenswerk, die nun in Düsseldorf zu sehen sein wird, ist vom Thienemann-Verlag erarbeitet worden und war bereits an verschiedenen Stationen in Deutschland zu Gast. Katja Schlenker

Laufzeit der Ausstellung: 02.12.2016 bis 13.01.2017


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Weihnachtliches von Otfried Preußler & Co. Lesung mit Dr. Hajo Buch in gemütlicher Atmosphäre

Räuber Hotzenplotz feiert Weihnachten Ein Theaterstück von und mit Kindern und Eltern

Die drei kleinen Schweinchen Ein musikalisches Theaterstück für Kinder

Viele wissen: Inzwischen ist die vorweihnachtliche Lesung mit dem versierten Rezitator Hajo Buch schon eine liebgewordene Tradition in unserem Haus. Zu dieser Tradition gehören, natürlich, adventliche und weihnachtliche Geschichten – dieses Jahr etwa von Otfried Preußler. Das bietet sich an, denn wir zeigen zugleich eine Ausstellung über Leben und Werk des Mannes, der sich selbst bescheiden einen »Geschichtenerzähler« genannt hat. Als Geschichtenerzähler hat er ungezählten kleinen Menschen Freude bereitet wie auch mindestens genauso vielen großen Menschen manchen Anstoß gegeben, was miteinander zu verbinden wahrhaft Kunst ist. Und dies in lebenskluger und gar nicht mit erhobenem Zeigefinger belehrender Weise, gerade weil Otfried Preußler von Beruf eigentlich Lehrer war, und zwar ein vortrefflicher (so wie Hajo Buch). Freuen wir uns also darauf, den »Geschichtenerzähler« durch Hajo Buchs sonores Organ erzählen zu hören. Und den einen oder anderen Autor auch. Dazu gibt‘ s – schließlich ist’s ja der Nikolausabend – das passende Gebäck und wärmende Getränke. Wir laden herzlich ein!

Der Räuber Hotzenplotz möchte Weihnachten feiern! Kann er aber nicht. Er weiß gar nicht, wie es geht, denn sein geistiger Vater, der Schriftsteller Otfried Preußler, hat ihn nie einen Heiligen Abend erleben lassen. Doch da kommen ihm die anderen Figuren aus Otfried Preußlers Geschichten zu Hilfe: Der Bäcker-Ferdl, der Nappl-Karl und die Klimper-Jule erleben eine wahrhaft wunderbare Weihnachtsgeschichte aus dem tiefen Böhmerwald. Mit selbst gestaltetem Bühnenbild, Tanzund Gesangseinlagen präsentiert die Theatergruppe von Kin-Top e.V. ein eigenes musikalisches Bühnenstück, an dem auch der Räuber Hotzenplotz seinen Spaß hat. Die Welturaufführung findet im GerhartHauptmann-Haus statt.

Unbesorgt und fröhlich leben die drei kleinen Schweinchen Nif-Nif, Nuf-Nuf und Naf-Naf im Wald. Gerne spielen, tanzen und singen sie. Es ist Herbst und es wird Zeit, sich auf den Winter vorzubereiten. Sie wollen ein Haus bauen, um sich vor der Kälte, aber auch vor dem frechen und gefräßigen Wolf zu schützen. Doch der Wolf hat schon lange davon geträumt, die schutzlosen Schweinchen aufzufressen. Jetzt will er seinen Traum verwirklichen, denn auch er denkt an den Winter und an seinen knurrenden Magen. So geraten die Schweinchen in einige Abenteuer. Hilfe erhalten sie von der Schnecke und dem großen Fliegenpilz. Aber gelingt es ihnen zusammen, den Wolf aus dem Wald zu jagen? Theater a parte aus Witten präsentiert ein spannendes musikalisches Theaterstück mit schönen üppigen Kostümen, das den Kindern Raum zum Miterleben und Mitfantasieren lässt.

Otfried Preußler

Leo Litz spielt den Räuber Hotzenplotz.

Foto: Francis Koenig, Thienemann-Verlag

Di, 06.12. 19.00 Uhr

Fr, 16.12. 18.00 Uhr

In Kooperation mit: Kin-Top e.V.

Fr, 13.01. 11.00 Uhr

Für Kindergartengruppen und Grundschulklassen. Um Reservierung wird gebeten: Dr. Sabine Grabowski, grabowski@g-h-h.de, 0211-1699113


Veranstaltungsreihe Deutsche aus Russland

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Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart Eine Ausstellung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.

»Im Lager saßen Männer mit angeschwollenen Gliedmaßen und Ausschlag in ihren Gesichtern auf einem Eishaufen, entstanden aus Spülwasser aus der Speisehalle. Wahrscheinlich hatten sie Frost in ihren Gesichtern und suchten in diesem Eishaufen etwas zum Essen ... Es war kalt, die Arbeit war schwer, das Essen war schlecht. Unsere Kräfte ließen von Tag zu Tag immer mehr ab. Unsere bewaffneten Wächter sagten uns öfter: ›Wir brauchen nicht eure Arbeit, sondern eure toten Körper.‹ – Wir Deutschen sollten dort sterben.«

Mi, 23.11. 16.00 Uhr

Nachtigall, o Nachtigall

Foto: Bundesarchiv

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it diesen Worten beschreibt der Russlanddeutsche Karl Koch, 1913 in dem Dorf Alexandertal in der Wolgarepublik geboren, seine Erfahrungen bei der Deportation in das westsibirische Gebiet Tjumen während des Zweiten Weltkrieges. Sein bitteres Schicksal teilt er mit vielen russlanddeutschen Familien, die nicht nur die Hungersnöte der 1920er Jahre und den Großen Terror der 1930er Jahre in der Sowjetunion miterleben, sondern auch die Deportation nach Kasachstan und Sibirien 1941 überstehen mussten. Viele von ihnen verloren Gesundheit oder Leben. Von den Überlebenden und ihren Kindern nutzten rund 2,5 Millionen die Chance, vor allem nach dem politischen Umbruch der 1990er Jahre, um in die Heimat ihrer Vorfahren nach Deutschland zurückzukehren. Doch auch hier ist ihr Schicksal kein einfaches und die Integration ein schwieriges und langwieriges Unterfangen. Verschiedene Schicksalswege deutscher Familien in Russland und der Sowjetunion sowie ihre Integration in die heutige bundesdeutsche Gesellschaft präsentiert eine Wanderausstellung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V., Stuttgart unter der Projektleitung von Jakob Fischer vom 24. November bis zum 16. Dezember 2016 im Foyer des Eichendorff-Saals. Die vom Bundesministerium des Innern und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderte Wanderausstellung wird am 23. November um 16 Uhr mit Grußworten, Vortrag, Film und Kulturprogramm im Eichendorff-Saal eröffnet. Weitere Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung organisiert die Ortsgruppe Düsseldorf der Landsmannschaft

Russlanddeutsche Frauen, November 1929

der Deutschen aus Russland e.V. dank einer Förderung des Projektes »Point« zur Unterstützung der Integration von Senioren durch das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW. Eugen Eichelberg Ausstellungseröffnung: 23.11. um 16.00 Uhr vor dem Eichendorff-Saal Laufzeit der Ausstellung: 24.11. bis 16.12.2016 In Kooperation mit: Ortsgruppe Düsseldorf der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.

Eine Aufführung des Theater a parte unter der Leitung von Boris Schwarzmann »Nachtigall, o Nachtigall« ist ein Theaterstück und zugleich eine musikalische Videokomposition. Das Thema ist die Deportation der Wolgadeutschen aus der autonomen Republik der Wolgadeutschen in der UdSSR nach Kasachstan und Sibirien in den 1940er Jahren. Die theatralische Handlung entwickelt sich zu einer Reihe von Videos und wird dann zu einer interaktiven Diskussion zwischen den Schauspielern und dem Publikum.

Fr, 25.11. 18.00 Uhr


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Wind in meinem Haar – Ferne Heimat Karatau Ein Film von Marina Anselm

Deutschen trotz der Verfolgung und Diskriminierung, die sie seit Jahrzehnten erlitten. Auf ihrer Reise wird Melitta Anselm von ihrer Tochter, der Autorin des Films, begleitet. Diese war bei der Ausreise aus der Sowjetunion sieben Jahre alt war und hat selbst nur noch wenige Erinnerungen an ihre Kindheit. Die Erzählungen der Protagonistin richten sich also zum einen direkt an die mitreisende Tochter, zum anderen sprechen sie die Zuschauer an und nehmen sie mit in die alte Welt der Russlanddeutschen, in ihre Kultur, ihre Werte und ihre Gefühlswelt. Das einst deutsche Viertel »West-Berlin« ersteht – insbesondere mithilfe beeindruckender Fotografien aus der Sowjetzeit – vor den Augen der Zuschauer wieder auf. Doch auch die Gegenwart kommt nicht zu kurz: Kasachstan beeindruckt durch seine Schönheit und Weite, seine Bewohner sind liebenswürdig und gastfreundlich. All das lässt den Verfall der Stadt in den Hintergrund treten. Am Ende ihrer Reise wird Melitta Anselm bewusst, wie viel ihr dieser Ort tatsächlich bedeutet. Ein poetischer, sanfter Film über Verwurzelung und Identität, ein Familienporträt und ein Stück (russland-) deutscher Geschichte.

Melitta Anselm reist nach Karatau in Kasachstan. 25 Jahre ist es her, seit sie mit ihrer Familie das damals sowjetische Land verlassen hat und nach Deutschland – das Land ihrer Vorfahren – ausgewandert ist. Nun kehrt sie erstmals zurück. Sie will noch einmal das Grab ihres Vaters besuchen, noch einmal vor ihrem alten Haus stehen und noch einmal den sanften Steppenwind spüren. Sie kommt an einen Ort, der ihr näher ist, als ihr jemals bewusst war.

Do, 24.11. 19.00 Uhr

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Im Anschluss an den Film Gespräch mit der Regisseurin Marina Anselm.

© Marina Anselm

und 2,5 Millionen Russlanddeutsche leben in Deutschland – damit sind sie die größte Zuwanderergruppe des Landes. Über ihre Geschichte und ihre Kultur ist hierzulande jedoch nur wenig bekannt. Warum sind so viele Russlanddeutsche in den 1980er und 1990er Jahren nach Deutschland gekommen? Warum ist es vielen so schwer gefallen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, obwohl sie sich als Deutsche verstehen? Warum fällt es noch heute vielen schwer, sich einem Land oder einer Kultur zuzuordnen? Der Film gibt darauf keine direkten Antworten. Er lädt dazu ein, die Protagonistin auf ihrer Reise an jenen Ort zu begleiten, den sie im Februar 1990 mit ihrer Familie verlassen hat: Die Stadt Karatau in Süd-Kasachstan. Dort haben in der Sowjetzeit Tausende Deutsche gelebt. Im Zweiten Weltkrieg hatte Stalin die Deutschen der Sowjetunion nach Sibirien deportieren lassen. Nach Stalins Tod, als die Repressalien gegen die Deutschen aufgehoben worden waren, zog es viele Deutsche ins warme Kasachstan. Hier haben sie sich erneut eine Existenz aufgebaut. Die deutsche Gemeinschaft zeichnete sich durch ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl aus. Ihre Kultur und Sprache pflegten die

Marina Anselm wurde 1982 in Karatau, Kasachstan geboren. 1990 kam sie als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland. Sie studierte Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Sie lebt und arbeitet als Autorin und Regisseurin in München.


Gespräch

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Mit der Kraft des Wortes

Gegen die Angst – Literatur in Europa heute Gespräch mit der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk Europa befindet sich momentan in schlechter Verfassung. Das Leben und die Politik werden zunehmend von Angst dominiert. Das Andere, Neue, Kommende wird als Bedrohung empfunden, nicht als Chance. Abschottung und Rückbesinnung auf das Eigene, Nationale gelten zunehmend wieder als probate politische Optionen. Was kann in dieser Situation Literatur bewirken? Haben Schriftsteller und andere Intellektuelle eine Verantwortung für die Mitgestaltung sozialer und politischer Prozesse? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Gesprächs mit der polnischen Autorin Olga Tokarczuk.

Di, 15.11. 19.00 Uhr

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eit dem Erscheinen ihres Prosaerstlings »Reise der Buchmenschen« im Jahre 1993 und dem 1996 herausgegebenen Roman »Ur und andere Zeiten« gehört Olga Tokarczuk (geb. 1962) zu den produktivsten, meistgelesenen, gefeierten und auch kontroversen polnischen Autoren der Nachwendegeneration. Tokarczuks Werk zeichnet sich durch eine große formelle Spannweite aus, sie schreibt Romane, Erzählungen, Essays, Kritiken und Feuilletons sowie Drehbücher. Ihre vielschichtigen und komplexen Romane, z.B. »Taghaus, Nachthaus« oder »Unrast«, werden sowohl von der Kritik als auch von einem breiten Publikum geschätzt, mit prominenten Literaturpreisen ausgezeichnet und erfreuen sich eines internationalen Erfolgs, auch in Deutschland.

Olga Tokarczuk unternimmt in ihren Romanen und Erzählungen immer wieder Grenzgänge in Zeit und Raum. Sie erkundet die Welt des deutschen Bürgertums im Breslau der Vorkriegszeit, die schlesische Provinz des polnisch-tschechischen Grenzlands oder das polnisch-slawisch-jüdisch-osmanische Kulturgemisch in den südöstlichen Teilen der polnisch-litauischen Doppelmonarchie. Olga Tokarczuks Figuren sind meist unbehaust, rastlos, auf der Suche. Auch ihr Erzählstil ist fragmentarisch, ihre Romane bestehen oft aus kurzen Texten ‒ Bruchstücken, aus denen der Leser ein Gesamtbild zusammenfügen muss. Über ihr Schreiben hinaus ist Olga Tokarczuk eine engagierte Intellektuelle, die in polnischen Debatten dezidiert Stellung bezieht. Auch hier setzt sie sich für Offenheit ein, stellt das stereotype Bild der auf Patriotismus, ethnischer Homogenität und katholischem Glauben beruhenden Kultur infrage. Dafür wurde sie von der gegenwärtigen polnischen Regierung für die staatlichen Kulturinstitutionen zur Persona non grata erklärt und ist vielen persönlichen Anfeindungen ausgesetzt.

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ie lässt sich in unseren rastlosen, von Globalisierung und Migrationsströmen geprägten Zeiten kulturelle und persönliche Identität schaffen und bewahren? Welche Rolle kann die Literatur dabei spielen? Haben Schriftsteller und andere Intellektuelle eine Verantwortung für die Mitgestaltung sozialer und politischer Prozesse? Diese und andere Fragen, die nicht nur für Polen, sondern für alle europäischen Gesellschaften heute von Belang sind, sollen im Gespräch mit Olga Tokarczuk erörtert werden. Das Gespräch mit der Autorin führt der namhafte Übersetzer aus dem Polnischen und Träger des Karl-Dedecius-Preises Bernhard Hartmann.

Olga Tokarczuk

Bernhard Hartmann (geb. 1972) studierte Polonistik und Germanistik in Mainz und Potsdam. Danach arbeitete er als Lehrbeauftragter und wiss. Mitarbeiter an den Slawistischen Instituten in Potsdam, Berlin (HU), Erfurt, Wien und Bochum. Seit 2001 ist er Übersetzer von literarischen und geisteswissenschaftlichen Texten aus dem Polnischen, seit 2011 als freiberuflicher Übersetzer tätig. Hartmann übersetzt Lyrik, u. a. von Tadeusz Różewicz, Julia Hartwig, Adam Zagajewski, Tomasz Różycki und Artur Szlosarek. Zu seinen Übersetzungen zählen zudem Prosawerke von Hanna Krall und Lidia Amejko, Essays und Theaterstücke. Für seine Arbeit wurde er 2013 mit dem Karl-Dedecius-Preis der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet. In dem märchenhaft poetischen Roman »Ur und andere Zeiten« beschreibt Olga Tokarczuk die Geschichte eines fiktiven ostpolnische Dorfes und ihrer Bewohner vom Ersten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre. Der Roman kann in der Bibliothek des GerhartHauptmann-Hauses entliehen werden.


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Lesung

Eine deutsch-tschechische Familiengeschichte

Die Deutschen – Geographie eines Verlustes Lesung mit Jakuba Katalpa

Jakuba Katalpa

Interessanterweise sind es vor allem tschechische Autorinnen der jüngeren Generation, die sich in den letzten Jahren in ihrem Werk mit der deutsch-tschechischen Vergangenheit auseinandersetzen. Nach Radka Denemarková und Kateřina Tučková erzählt nun die 1979 in Pilsen geborene Jakuba Katalpa (eigtl. Tereza Jandová) in ihrem Roman »Němci – Geografie ztráty«, der 2015 in Deutschland unter dem Titel »Die Deutschen – Geographie eines Verlustes« erschienen ist, eine ungewöhnliche und äußerst spannende tschechisch-deutsche Familiengeschichte.

Do, 10.11. 19.00 Uhr

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ie Romanhandlung beginnt in der Gegenwart: Die erwachsenen Kinder von Konrad Mahler kommen in Prag zusammen, um ihren Vater zu bestatten. Der Vater war ein verbitterter Mann mit einer schwierigen Familiengeschichte. Die Frau, die er für seine Mutter hielt, eröffnete ihm eines Tages, dass er das Kind einer Deutschen ist, die ihn nach dem Krieg in Prag zurückgelassen hatte. Der verstoßene Sohn strafte seine leibliche Mutter mit lebenslanger Ablehnung, öffnete keines ihrer Päckchen und las keinen ihrer Briefe. Konrads Tochter, die im Roman als Ich-Erzählerin auftritt, will herausfinden, was sich in der Vergangenheit wirklich zugetragen hat, und macht sich auf die Suche nach den deutschen Verwandten. Parallel dazu erzählt die Autorin die Geschichte von Konrads leiblicher Mutter Klara Rissmann, die sich während des Zweiten Weltkrieges aus einer deutschen Stadt in das sudetendeutsche Dorf Rzy versetzen ließ, um weiterhin als Lehrerin arbeiten zu können. Obwohl in dem Dorf vor allem Deutsche wohnen, dauert es lange, ehe sie sich dort unter den Sonderlingen und Eigenbrötlern zu Hause fühlt.

Als der Krieg vorbei ist, bleibt sie als einzige im Dorf zurück, schwanger und völlig allein. Da zeigt ihr eine ehemalige Kollegin den scheinbar rettenden Ausweg auf.

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akuba Katalpa beweist viel Geschick darin, die verschiedenen Charaktere anschaulich herauszuarbeiten, die Schicksale ihrer Protagonisten überzeugend zu entwickeln und zu einem klug komponierten Roman zu verweben. Dieser liest sich spannend wie ein Krimi und macht dabei die mitteleuropäische Geschichte des vergangenen Jahrhunderts nacherlebbar. Der Roman ist das dritte Werk der talentierten Autorin und wurde mit dem Preis »Česká kniha 2013« (»Tschechischer Roman des Jahres 2013«) ausgezeichnet. Die deutschsprachige Übersetzung des Romans kann in der Bibliothek des Gerhart-Hauptmann-Hauses entliehen werden.

In Kooperation mit: Tschechisches Zentrum Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturministerium der Tschechischen Republik


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Tschechische FilmE

Tschechische Dokfilme im Gerhart-Hauptmann-Haus

Reihe: Tschechischer DokFilm am Mittwoch Olga CZ 2014, 87 min, OmeU, Regie: Miroslav Janek

Hra o kámen/Stone Games

CZ 2012, 56 min, OmeU, Regie: Jan Gebert

Mi, 12.10. 19.00 Uhr

Special Mention of the Jury

IDFF Ji.hlava

Zum 80. Geburtstag von Václav Havel am 5. Oktober 2016 zeigen wir einen Film über Havels 1996 verstorbene Ehefrau Olga, die zu Lebzeiten nicht gerne im Rampenlicht stand. Olga war Havels engste und zuverlässigste Gefährtin. Sie war eine Freundin, die keinen Spaß verdarb – sondern im Gegenteil für welchen sorgte, eine großzügige Gastgeberin, eine leidenschaftliche Spielerin, Pilzsammlerin und Naturliebhaberin, eine scharfzüngige Kommentatorin und eine mutige Dissidentin, eine lebenskluge und sachliche Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand.

Stone games

A documentary film about Czech patriots

Vítejte v KLDR/Welcome to North Korea CZ 2009, 72 min, OmeU, Regie: Linda Jablonská Mi, 02.11. 19.00 Uhr Wie alle anderen Touristen musste auch Linda Jablonská beim Überqueren der Grenze ihr Handy und das Teleobjektiv abgeben, als sie sich im Jahr 2009 auf eine streng überwachte Reise nach Nordkorea machte. Die Regisseurin ist mit ihrer Kamera dabei, wenn die tschechischen Touristen Sehenswürdigkeiten wie Pionierhäuser, ein Armeemuseum oder die entmilitarisierte Zone an der Grenze zu Südkorea besuchen, es gelingen ihr auch einige seltene Blicke in den nordkoreanischen Alltag. Sie will wissen, was die 27 Touristen dazu bewogen hat, für sechs Tage auf ihre Privatsphäre und persönliche Freiheit zu verzichten.

Dál nic/Byeway CZ 2013, 75 min, OmeU, Regie: Ivo Bystřičan Mi, 14.12. 19.00 Uhr Nicht nur hierzulande kennt man große Bauprojekte wie die Elbphilharmonie oder den Berliner Flughafen, die zu Kostenexplosionen und ewigen Baustellen führen. In Tschechien schleppt sich der Bau der Autobahn D8, die Prag mit Dresden und Berlin verbinden soll, auch schon mehrere Jahre dahin. Dieses LangzeitProjekt, zu dessen Fertigstellung seit Jahren nur 16 Kilometer Fahrbahn fehlten und das dann auch noch die Kräfte der Natur zu spüren bekam, hat der Regisseur Ivo Bystřičan mit der Filmkamera begleitet. Er porträtiert verschiedene Menschen, die vom Autobahnbau betroffen sind und ganz unterschiedliche Interessen und Meinungen zu dem umstrittenen Bauprojekt haben.

Director: Jan Gebert | Producer: Ondřej Provazník, News and Communications Company Co-producer: Nadja Rademacher | Cinematography: Jan Gebert | Editing: Jana Vlčková | Sound design: Václav Flegl Photography of the poster: Stanislav Krupař | Graphic design: Adam Gratz | Translation: Ian Willoughby

Mi, 07.12. 15.00 Uhr

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Ein Gedenkstein für die Opfer der Vertreibung in Nový Bor (dt. Haida) wird zu einem Stein des Anstoßes in der lokalpolitischen Auseinandersetzung eines kleinen tschechischen Ortes.

m 2. Juni 1945, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wurden auf dem Marktplatz von Nový Bor acht deutsche Bewohner des Ortes – allesamt Zivilisten, darunter auch zwei Frauen – von tschechischen Militärs erschossen. Zur Abschreckung wurden die Hingerichteten vierundzwanzig Stunden an Ort und Stelle belassen und dann in einem Massengrab beerdigt. In der kommunistischen Zeit wurde dies in der Öffentlichkeit verschwiegen. 2006 entschied sich die Vertretung der Stadt auf Bitten der deutschen Hinterbliebenen, einen Gedenkstein in deutscher und tschechischer Sprache auf dem Waldfriedhof von Nový Bor zu errichten. Nach Aussage des damaligen Bürgermeisters der Stadt sollte der Gedenkstein eine Geste der Versöhnung zwischen den beiden Völkern darstellen. Die politische Opposition und ein Teil der Öffentlichkeit sah die Situation aber ganz anders: »den Nazis ein Denkmal zu bauen« sei eine Entwürdigung des Vaterlandes. »Hra o kámen«, das Spiel um den Stein – so die deutsche Übersetzung des Filmtitels – begann. In seinem Film dokumentiert Jan Gebert exemplarisch die innenpolitischen Diskussionen in unserem Nachbarland Tschechien nach der politischen Transformation in den 1990er Jahren und zeigt das mühevolle Einüben demokratischer Spielregeln in der postsozialistischen Gesellschaft.

29.01.13 16:59


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Ausstellung

Zwangsarbeit der tschechischen Bevölkerung für das »Dritte Reich«

»Im Totaleinsatz«

Wanderausstellung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds 06.10. bis 18.11.2016

Zwischen 1939 und 1945 arbeiteten mehr als 12 Millionen Frauen und Männer aus allen Teilen Europas im Deutschen Reich, gezwungen durch Verordnungen und Vertragsbedingungen, getäuscht durch falsche Versprechungen ohne Aussicht auf Rückkehr in die Heimat lebten sie in behelfsmäßigen Baracken und Lagern. Bei vielfach ungenügender Ernährung arbeiteten sie für die Deutschen unter Zwang in der Rüstungsindustrie, im Straßenbau, in der Landwirtschaft und in Versorgungsbetrieben. Die meisten von ihnen kamen aus Polen, Weißrussland, Russland und aus der Ukraine.

06.10. bis 18.11.

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pät, für viele zu spät, begannen 1999, mehr als 50 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die internationalen Verhandlungen über die Entschädigung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen. Sie führten zur Gründung der deutschen Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« im Jahr 2000. Über die Geschichte der Zwangsarbeit der tschechischen Bevölkerung war weder in der Öffentlichkeit viel bekannt, noch war sie Gegenstand breiter wissenschaftlicher Forschung. Für die Opfer von Zwangsarbeit aus der Tschechischen Republik z.B. blieb deshalb zunächst unklar, ob gleiche Entschädigungsbedingungen auszuhandeln wären wie für die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aus Polen, Russland, der Ukraine oder Weißrussland. In den Jahren 2001 bis 2006 lief die Phase der Antragstellung und Auszahlung. Es kam zu historischen Teilstudien und zu wesentlich präziseren Vorstellungen von den Lebens- und Arbeitsbedingungen tschechischer Zwangsarbeiter. Die Ausstellung »Im Totaleinsatz« entstand aus zahlreichen, während dieser Phase

zusammengetragenen Dokumenten, Fotografien und persönliche Zeugenaussagen und wurde als Wanderausstellung vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zunächst als tschechische Version konzipiert. Grundlage war eine Ausstellung des Tschechischen Nationalarchivs, des Instituts für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik und des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds mit dem Titel »Sie mussten für das Reich arbeiten«. In der Datenbank für die Entschä- »Ihre Leiden werden digungsopfer des Deutsch-Tsche- wir nicht vergessen.« chischen Zukunftsfonds sind für »Na Vaše utrpení Düsseldorf und Umgebung 200 nezapomeneme.« tschechische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen registriert, (Johannes Rau, die 2001 bis 2006 einen Antrag auf 17.12.1999) Entschädigung gestellt hatten, ihre Zahl während des Krieges dürfte weitaus höher gelegen haben, das individuelle Schicksal aller ist nicht aufgeschrieben. Im Rahmen der Ausstellung im Gerhart-Hauptmann-Haus sollen die Informationen über diese Gruppe der Zwangsarbeiter in Düsseldorf mit Hilfe des Stadtarchivs und der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf unterstützt werden. Katja Schlenker Informationen, Führungsanfragen für Gruppen, Schulprojekte: Dr. Katja Schlenker, 0211-1699123, schlenker@g-h-h.de In Kooperation mit: DeutschTschechischer Zukunftsfonds


Fotos: DEFA-Stiftung/Eugen Klagemann

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Die weibliche Hauptrolle erhielt Hildegard Knef – gerade 20 Jahre alt geworden, weit davon entfernt, ein »Star« zu sein.


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Film

Vor 70 Jahren: Der erste deutsche Nachkriegsfilm »Die Mörder sind unter uns« kommt in die Kinos

ger Schauspieler auch auf »linken« Bühnen gespielt hatte, wurde ihm 1933 Auftrittsverbot erteilt. Staudte hielt sich mit Werbefilm- und Synchronsprecher-Aktivitäten über Wasser, bald kamen auch wieder kleine Nebenrollen in Spielfilm-Produktionen dazu. Seit 1941 bemühte er sich darum, ins Regiefach wechseln zu können; 1943 leitete er mit einem Streifen, in dem der Clown Charlie Rivel sich selbst spielte, seinen ersten abendfüllenden Film. Doch schon Staudtes zweiter Film, die 1944 gedrehte Satire »Der Mann, dem man den Namen stahl« wurde von der NSZensur verboten. Es war den Zensoren wohl doch zu frech, wie Staudte darin mit behördlicher Engstirnigkeit umging. Daraufhin wurde Staudtes Freistellung vom Militärdienst aufgehoben – er entging der Einberufung zur Wehrmacht aber dennoch, da ihn Heinrich George mit Nachdruck als Regisseur für seinen nächsten Film anforderte.

Ein tapferer Anfang Filmvorführung

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ach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und der Besetzung Deutschlands war Staudte fest entschlossen, so rasch wie möglich wieder mit dem Drehen von Filmen zu beginnen. Er hatte auch eine Filmidee, ein Konzept – aber kein Geld. Außerdem benötigte er unter den Bedingungen der Besatzungsherrschaft die Genehmigung mindestens einer der Besatzungsmächte, um an die Verwirklichung seines Planes gehen zu können. Da Staudte im britisch kontrollierten Teil des inzwischen in vier Sektoren aufgeteilten Berlin lebte, wandte er sich zunächst an die Kulturabteilung der dortigen Militärverwaltung. Er erhielt eine rasche Absage, von der französischen Militärregierung desgleichen. Bei der Kulturabteilung des amerikanischen Sektors geriet Staudte mit seinem Vorhaben an einen hervorragend Deutsch sprechenden Offizier, der zudem selbst Erfahrung als Filmschauspieler hatte: Peter van Eyck. Dieser war 1913 im hinteras große, schon seit 1912 entstandene, 1924 von der pommernschen Steinwehr (Kreis Greifenhagen) unter dem NaUniversum Film AG (Ufa) übernommene Filmproduktionsmen Peter Götz von Eick geboren worden. Schon 1931 hatte er und Studiogelände im nahen Potsdam-Babelsberg hatte Deutschland verlassen und war schließlich in die USA gelangt, zwar den Krieg ohne größere direkte Schäden überstanden, war wo ihn Billy Wilder später ins Filmgeschäft holte. Seit 1943 war aber Ende April 1945 von der Roten Armee besetzt und bevan Eyck amerikanischer Staatsbürger, als Offizier der US-Armee schlagnahmt worden. Es kam zu mutwilligen Zerstörungen und war er nach Deutschland zurückgekehrt – und wies Staudte mit Plünderungen – wohl auch durch die örtliche Zivilbevölkerung, seinem Projekt brüsk ab. Die US-Besatzungsmacht hatte einstdie etwa aus dem Kostümfundus ihre (Zivil-)Kleidungsbestände weilen nicht vor, irgendwelche eigenständigen ergänzte. Staudte sollte dementsprechend nur deutschen Filmprojekte zuzulassen. Blieben für ein kleines, nicht zum Ufa-Komplex gehörenlieben für Staudte Staudte nur noch die Sowjets übrig. Er wandte des und von der sowjetischen Besatzungsmacht nur noch die Sosich also an den zuständigen Kulturoffizier im freigegebenes Studiogebäude bei Potsdam zur wjets übrig. Er wandte sowjetischen Sektor Berlins – und erhielt eine Verfügung haben. Die Außenaufnahmen fanden sich also an den zuschnelle Zusage. Vermutlich war es Dr. Alexander demnach tatsächlich direkt in Berlin statt – nicht Dymschitz, mit dem Staudte zu tun hatte, Kultur­ einfach und nicht ungefährlich, da es noch viel- ständigen Kulturoffizier offizier der Sowjetischen Militäradministration fach ungesicherte Trümmerberge und ungezählte im sowjetischen Sektor (SMAD) im Range eines Majors. Gerade DymBomben- und Artillerieblindgänger gab. Haupt- Berlins– und erhielt eine schitz ist ein gutes Beispiel für die sowjetischen darstellerin Hildegard Knef hat sich später daran schnelle Zusage. Kulturoffiziere, die nach Deutschland geschickt erinnert, dass die Filmcrew sich zudem der in der wurden: hochgebildet, meist noch recht jung, mit ausgezeichneTrümmerlandschaft massenhaft auftretenden Ratten zu erwehten Deutsch- und Deutschlandkenntnissen ausgestattet, ehrlich ren hatte. Aber so weit war es zunächst noch gar nicht. Wolfdavon überzeugt, durch einen raschen Wiederaufbau des kultugang Staudte, zu Beginn des Filmprojekts noch keine 40 Jahre rellen Lebens gemeinsam mit – natürlich auch unter politischen alt, hatte bis dahin zwar bereits einige Schauspiel-, aber nur relaAspekten – geeignet erscheinenden deutschen Künstlern einen tiv wenig Regieerfahrung. Im von Propagandaminister Goebbels Neubeginn in Deutschland mitgestalten zu können. Dymschitz, kontrollierten Ufa-Imperium hatte er bis zum Untergang der NS1910 in Reval geboren, war studierter Kunsthistoriker und LiteDiktatur nur eine eher unauffällige Rolle gespielt. Da er als jun-

Um Trümmerkulissen brauchte sich Wolfgang Staudte nicht zu bemühen. Die gab’s im Berlin des Frühjahrs 1946 en masse und frei Haus. Es war ein gleichwohl in mehrfacher Beziehung gewagtes Unterfangen, das Regisseur und Drehbuchautor Staudte nicht einmal ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa in Angriff nahm. Dies schon rein technisch: In der durch den Bombenkrieg und die Eroberung durch die Rote Armee verwüsteten ehemaligen Hauptstadt des untergegangenen Deutschen Reiches zu dieser Zeit einen Spielfilm drehen zu wollen, das hielten wohl nicht wenige für nicht machbar. Alles war knapp: geeignetes Filmmaterial, brauchbare Kameras, Scheinwerfer, sonstige Filmtechnik.

Mi, 05.10. 15.00 Uhr

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14 Der Regisseur Wolfgang Staudte

raturwissenschaftler, später, nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion, als Hochschullehrer tätig. Bevor Staudte also nun mit dem Segen der SMAD mit seinem Projekt beginnen konnte, unterstützte er jedoch Ernst Busch und Friedrich Wolf bei deren Dreharbeiten. Die beiden kommunistischen Künstler Wolf und Busch – ersterer soeben aus der Emigration in der Sowjetunion zurückgekehrt, letzterer nur kurze Zeit zuvor von der Roten Armee aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit – wollten die Ersten mit einem Nachkriegsfilm in Deutschland sein. Allerdings konnten sie ihren Streifen nicht fertigstellen, so dass Staudte der Ruhm zufiel, den ersten deutschen Nachkriegsspielfilm gedreht zu haben. Bei der Besetzung der Rollen in seinem Film entschied sich Staudte für verhältnismäßig unbekannte Gesichter. Die beiden männlichen Hauptrollen erhielten Ernst Wilhelm Borchert und Arno Paulsen. Der 29 Jahre alte Borchert hatte schon in einigen Filmen gespielt, aber bislang keine echte Hauptrolle gehabt. Der 46-jährige gebürtige Stettiner Paulsen hatte reichlich Bühnenschauspiel-, aber noch keine Filmerfahrung. Die Wahl von Regisseur Staudte fiel auch auf Paulsen, weil er für die Rolle des Fabrikanten und früheren Hauptmanns Brückner ein in der Nachkriegsknappheit seltenes Kriterium erfüllte: Er wirkte wohlgenährt. Die weibliche Hauptrolle erhielt Hildegard Knef – gerade 20 Jahre alt geworden, weit davon entfernt, ein »Star« zu sein. Ihre bei der Ufa begonnene Filmkarriere steckte noch in den ersten Anfängen: Im ersten 1943/44 entstandenen Streifen (»Träumerei«) waren die kurzen Szenen mit Knef herausgeschnitten worden. In der zweiten Filmproduktion war ihre Rolle so kurz, dass ihr Name im Abspann ungenannt blieb. In der dritten Spielfilmproduktion, bei der Hildegard Knef 1944 vor der Kamera stehen durfte (»Unter den Brücken«), war sie ganze 34 Sekunden zu sehen – und dies für das deutsche Publikum ohnehin erst 1950, denn der Film wurde angesichts der Kriegssituation in Deutschland nach seiner Fertigstellung im Frühjahr 1945 vorläufig gar nicht aufgeführt. Ein praktisch gänzlich neues Gesicht also, wenigstens für’s Kinopublikum.

durch einen Umstand verstärkt, der Staudte und den anderen Beteiligten selbstverständlich bewusst war. Als die Dreharbeiten Mitte März 1946 in Berlin begannen, tagte in Nürnberg der Internationale Militärgerichtshof im Verfahren gegen die »Hauptkriegsverbrecher« bereits seit dem 20. November 1945. Es hatte bis dahin rund 80 Verhandlungstage gegeben; bis zur Urteilverkündung am 1. Oktober 1946 sollten es insgesamt 218 werden. Vor Gericht standen – nachdem insbesondere Hitler und Goebbels sich durch Selbstmord ihrer Verantwortung entzogen hatten – 22 ehemals führende NSDAP-Funktionäre, politische Amtsinhaber und hochrangige Militärs (Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Robert Ley, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht, Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Martin Bormann [in Abwesenheit; Bormann galt als vermisst, möglicherweise geflohen; sein Selbstmord Anfang Mai 1945 in Berlin wurde erst 1972 sicher bestätigt], Franz von Papen, Arthur SeyßInquart, Albert Speer, Constantin von Neurath und Hans Fritzsche). Die alliierten Siegermächte sorgten für eine umfangreiche Berichterstattung in den deutschen Medien. Als Staudtes Projekt anlief, war in Nürnberg die Beweisaufnahme noch in vollem Gange. Neben Zehntausenden von belastenden Dokumenten, die dem Gericht vorlagen, sagten insgesamt 33 ausgewählte Zeuginnen und Zeugen gegen die Angeklagten aus, darunter ehemalige Häftlinge aus Konzentrationslagern. Die Öffentlichkeit erhielt so detaillierte Informationen über das Ausmaß der von deutscher Seite begangenen Verbrechen.

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ancher Zeitgenosse mochte sich da mit dem Gedanken beruhigen, dass wenn erst die »Großen« abgeurteilt und bestraft sein würden, zur Tagesordnung übergegangen werden könne. Denn die »Kleinen« hätten ja nur mitgetan aus Zwang, um das eigene Leben zu retten, jedenfalls unfreiwillig. Staudtes Film zeigte eine bemerkenswert andere Sicht.

Seine Hauptfigur, der ehemalige Unterarzt Dr. Hans Mertens (E. W. Borchert), ist zwar aus dem Krieg zurückgekehrt, seine Schuldgefühle haben ihn jedoch zum arbeitsunfähigen Alkoholiker gemacht. Er hat am Weihnachtsabend 1942 nicht verhinas Risiko, das Wolfgang Staudte mit seinem Filmprojekt dert, dass der damalige Kompaniechef Brückner (A. Paulsen) im einging, lag allerdings nicht in erster Linie in den techniRahmen einer »Strafaktion« im besetzten Polen schen Unzulänglichkeiten oder der relatiüber 120 Geiseln – darunter Frauen und Kinder ven Film-Unerfahrenheit seiner Schauspielerrieer Zufall führt Mer– erschießen ließ. Der Zufall führt Mertens im ge. Staudte hatte sich vielmehr für ein überaus tens im zerstörten zerstörten Berlin mit der gerade aus der KZ-Haft heikles Thema entschieden: Die von ihm selbst Berlin mit der gerade zurückgekehrten Susanne Wallner (H. Knef) zuentwickelte Filmhandlung war nämlich in der sammen. Und er wird unverhofft der Tatsache geohnehin tristen Gegenwart der Deutschen in- aus der KZ-Haft zuwahr, dass Brückner, den er tot glaubte, den Krieg mitten der dem Untergang der NS-Diktatur rückgekehrten Susanseinerseits überlebt hat, bereits wieder als ebenso folgenden Nachkriegsmisere angesiedelt. Kein ne Wallner (H. Knef) jovial auftretender wie erfolgreicher Unternehmer Streifen also, der zur wenn auch nur vorüberge- zusammen. zu einigem Wohlstand gekommen ist und ein guthenden Flucht aus der Realität einlud und dembürgerliches Familienleben pflegt. Mertens nimmt entsprechend »Entspannung« bot. Dies noch sich vor, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen und Brückner – der viel weniger angesichts des engeren Themas, des Umgangs mit sich im Übrigen für völlig unschuldig hält, da ja Krieg gewesen sei den von deutscher Seite während des gerade erst beendeten – zu erschießen. Nur die junge Frau bringt ihn davon ab. Mertens Krieges begangenen Verbrechen nämlich. Und zwar nicht der bekennt sich schließlich dazu, dass sich nicht der Einzelne zum Verbrechen der »Großen«, der hochrangigen Verantwortlichen Richter und Henker gleichzeitig aufwerfen darf. Der Film endet aus Politik und Militär, sondern vielmehr der »kleinen« Täter, mit der Andeutung eines ordentlichen Gerichtsverfahrens gegen deren Mittun die Massenhaftigkeit der Untaten überhaupt erst Brückner. ermöglicht hatte. Die bohrende Aktualität des Films wurde noch

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15 Filmszene

Außergewöhnlich war an der von Wolfgang Staudte entwickelten Handlung zweierlei: Einerseits zeigt er, dass auch »normale« Wehrmachtseinheiten an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Die Akteure werden nicht etwa als Angehörige von SS oder Gestapo gekennzeichnet. Der Einsicht, dass die Massenverbrechen der NS-Diktatur ohne die direkte oder indirekte Beteiligung auch von Wehrmachtskräften nicht oder jedenfalls nicht in diesem Ausmaß möglich gewesen wären, haben sich lange Zeit erhebliche Teile der (west-)deutschen Öffentlichkeit verschlossen. Die Legende von der »sauberen Wehrmacht« hat über Jahrzehnte Wirkung entfaltet, auch gezielt untermauert von ehemaligen NSPropagandisten wie Paul Carell alias Paul Karl Schmidt. Bezeichnend ist die heftige Debatte um die »Wehrmachtsausstellung«, die seit 1995 gezeigt wurde und in der – trotz mancher Fehler, die darin gemacht wurden – die in der Geschichtswissenschaft längst bekannten Tatsachen grundsätzlich richtig dargestellt wurden. Andererseits ist hervorzuheben, dass Staudte die Schuldgefühle der Hauptfigur Mertens auch darauf gründen lässt, dass der ehemalige Unterarzt sich immer wieder die Frage stellt, ob sein Versuch, Brückner zur Widerrufung des Erschießungsbefehls zu veranlassen, entschieden genug war. Staudte ließ also die Möglichkeit offen, dass manches durch mutiges individuelles Eintreten auch hätte verhindert werden können. Dies konterkariert natürlich die von Täterseite vielfach angeführte Behauptung des »Befehlsnotstandes«: Ich konnte ja gar nicht anders, sonst …

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ge, jedoch kaum zufällige Koinzidenz: Zur gleichen Stunde, da im Admiralspalast das Premierenpublikum zum ersten Mal »Die Mörder sind unter uns« sah, wurden in Nürnberg die letzten Vorbereitungen zur Vollstreckung der Todesurteile des Hauptkriegsverbrecherprozesses getroffen. Am 1. Oktober 1946 hatte das Internationale Militärtribunal seine Entscheidung in seiner letzten Sitzung öffentlich mitgeteilt: Göring, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg, Frank, Frick, Streicher, Sauckel, Jodl, SeyßInquart und Bormann wurden aufgrund ihrer Mitverantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und andere Gewaltdelikte zum Tod durch den Strang verurteilt. Während sieben weitere Angeklagte Haftstrafen erhielten, gab es auch drei Freisprüche (Papen, Schacht, Fritzsche). Als in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 1946 die zum Tode Verurteilten aus ihren Zellen abgeholt und in die zur Hinrichtungsstätte umfunktionierte Turnhalle des Nürnberger Zellengefängnisses gebracht werden sollen, stellt ein Wachposten fest, dass Göring im letzten Augenblick der Selbstmord gelungen ist. Die verbliebenen Delinquenten werden am frühen Morgen des 16. Oktober 1946 zwischen 1 Uhr und 2 Uhr 45 gehenkt. Anwesend sind zahlreiche Offiziere der alliierten Siegermächte und Journalisten, aber nur zwei Deutsche: Der Nürnberger Generalstaatsanwalt Dr. Jakob Leistner und der bayerische Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner. Der Jurist Hoegner, seit 1919 SPD-Mitglied, war nach seiner von den Nationalsozialisten erzwungenen Entlassung aus dem Staatsdienst 1933 zunächst nach Österreich, dann in die Schweiz emigriert. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war Hoegner am Wiederaufbau der SPD in Bayern beteiligt. Im Oktober 1945 hatte ihn die amerikanische Besatzungsmacht zum Regierungschef ernannt. Hoegner hat einen beklemmenden Bericht über die Hinrichtungen geschrieben.

m Juli 1946 waren die Dreharbeiten zu »Die Mörder sind unter uns« abgeschlossen. Inzwischen war in Berlin am 17. Mai 1946 – unter Mithilfe von Alexander Dymschitz – die Deutsche Film AG (DEFA) als neue Produktionsfirma gegründet worden. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte sich sehr frühzeitig um eine Wiedereröffnung der Berliner Kinos bemüht, soweit diese nicht zerstört waren. Bereits am 4. Juli 1945 war die Wiederaufnahme ährend also in Nürnberg ein rechtsstaatliches Verfahren des Spielbetriebs gestattet worden – so rasch, nicht zuletzt weil gegen Hauptverantwortliche zuende ging, erfolgte mit die verantwortlichen Besatzungsoffiziere von der besonderen Wolfgang Staudtes Film zeitgleich ein Appell, es daWirksamkeit der »Umerziehung« der Deutschen durch das Memit nicht bewenden zu lassen. Übrigens kam am Schluss des dium Film überzeugt waren. Zunächst wurden vor allem sowjeFilms der einzige wesentliche Eingriff des zuständigen sowjetitische Produktionen aufgeführt, etwa Sergej Eisensteins neuer schen Kulturoffiziers in die Handlung zum Tragen: In Staudtes Film »Iwan der Schreckliche« (1944/45). Bald zeigte sich jedoch, ursprünglichem Konzept wollte er Mertens den Mord an Brückner dass – zumal die Synchronisationsmöglichkeiten unzulänglich tatsächlich vollbringen lassen. Dies hat der SMAD-Offizier schon waren – das deutsche Publikum diesem und bei der ersten Vorstellung des Exposés sofort und anderen Streifen aus der Sowjetunion nur beentschieden verworfen: Er befürchtete, dass der chnurre sah die grenztes Interesse entgegenbrachte. Deutsche Film so als Aufruf zur Selbstjustiz verstanden werFigur des Dr. Produktionen – unter sowjetischer Kontrolle Mertens als »schuldigden könnte. Der Film wurde ein großer Publikumsund zugleich unter dem Dach der DEFA – wurerfolg, wenngleich die Kritiken gemischt ausfielen. ›unschuldigen‹ Durchden daher nachdrücklich gefördert, was WolfFriedrich Luft meinte im Berliner »Tagesspiegel«, schnittsdeutschen«, der gang Staudtes Filmvorhaben zuerst zugutekam. es handele sich um ein »erstes Tasten nach einem »tat, was wir alle taten: wichtigen Thema«, Wolfdietrich Schnurre, der 1938 als 18-jähriger Wehrpflichtiger zur Wehrie Uraufführung von »Die Mörder sind Er kapitulierte vor der macht einberufen worden war und den ganzen unter uns« fand am 15. Oktober 1946 im Gewalt«. Krieg als Soldat mitgemacht hatte, schrieb für die Berliner Admiralspalast statt. Dieser war »Deutsche Film-Rundschau« wesentlich entschiedener: Schnurso ziemlich der einzige während des Krieges leidlich unversehrt re sah die Figur des Dr. Mertens als »schuldig-›unschuldigen‹ gebliebene große Veranstaltungsort im sowjetischen Sektor der Durchschnittsdeutschen«, der »tat, was wir alle taten: Er kapiStadt – daher war er unter anderem Ersatzspielstätte der zertulierte vor der Gewalt«. Trotz mancher Kritik an Staudtes Umstörten Staatsoper Unter den Linden und wenige Monate zuvor setzung des Themas meinte Schnurre dennoch, der Film sei »ein auch Schauplatz des ominösen »Vereinigungsparteitages« von tapferer Anfang«. Das stimmt – und macht »Die Mörder sind unKPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands SED ter uns« noch heute sehenswert. (21./22. April 1946). Nun also auch Großkino. Eine merkwürdiWinfrid Halder

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Vortrag

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Zum 60. Todestag von Leo Baeck (1873–1956)

»Wer das Recht antastet, der untergräbt den besten Schutz der Heimat.« Vortrag von P. Elias H. Füllenbach OP (Düsseldorf)

Im Sommer 1914 konnte Dr. Leo Baeck, gerade 41 Jahre alt geworden, bereits auf eine bemerkenswerte wissenschaftliche und berufliche Vita zurückblicken. Baeck stammte aus einer Rabbiner-Familie; sein Vater Samuel Baeck (1834–1912) amtierte fast fünf Jahrzehnte in der bedeutenden jüdischen Gemeinde in Lissa (damals preußische Provinz Posen, heute Leszno/Województwo wielkopolskie), wo Leo Baeck am 23. Mai 1873 geboren wurde. Der junge Baeck hatte sich nach dem am ComeniusGymnasium seiner Heimatstadt erworbenen Abitur entschlossen, ebenfalls Rabbiner zu werden. Das entsprechende Studium absolvierte er seit 1891 zunächst in Breslau, ab 1894 in Berlin. Parallel zum Besuch der »Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums« studierte er an der Berliner Universität und wurde 1895 von Wilhelm Dilthey, einem der prominentesten Philosophen der Zeit, promoviert. Bald darauf erhielt Baeck seine erste Stelle als Rabbiner und zwar im oberschlesischen Oppeln. Noch während seiner Oppelner Jahre veröffentlichte er 1905 mit dem Buch »Das Wesen des Judentums« eine der wichtigsten Positionsbestimmungen des Judentums in der Moderne. Wenngleich noch jung, gehörte Baeck fortan zu den bekanntesten Stimmen aus dem Kreis der liberal orientierten jüdischen Deutschen.

Mo, 21.11. 19.00 Uhr

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olgerichtig wurde Leo Baeck im Herbst 1907 von Oppeln in die erheblich größere jüdische Gemeinde nach Düsseldorf berufen. Er wurde dort Rabbiner als Nachfolger Samson Hochfelds (1871–1921), der seinerseits dem Reformjudentum zugerechnet wurde. Erst kurz zuvor war während Hochfelds Amtszeit im September 1904 die neue Große Synagoge in der Kasernenstraße eingeweiht worden, die weit über 1.000 Gläubigen Platz bot. Baecks Bekanntheitsgrad wuchs in den Düsseldorfer Jahren weiter, da er sich neben dem Gemeindedienst in jüdischen Organisationen engagierte und auch weiterhin publizierte. Im Dezember 1912 wechselte Baeck dann als Vorsitzender zur jüdischen Gemeinde in Berlin-Charlottenburg, die erst wenige Monate zuvor das neu erbaute Gotteshaus in der Fasanenstraße bezogen hatte. Dieses war noch erheblich größer als die Düsseldorfer Synagoge. Zugleich begann Baeck an der »Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums« zu unterrichten. Seit 1896 war Baeck verheiratet, wenig später wurde er Vater einer Tochter. Zu Beginn seines fünften Lebensjahrzehnts war er Familienvater, zudem ein erfolgreicher, weithin bekannter jüdischer Geistlicher, Autor und Lehrer, der in der Reichshauptstadt und damit im wichtigsten Zentrum auch der deutschen Judenheit wirkte. Dennoch meldete sich Baeck sofort nach Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 freiwillig zum Dienst als Feld­ rabbiner in der kaiserlichen Armee. Die Betreuung der jüdischen Soldaten, die im Militär des Kaiser-

reichs Dienst taten, durch eigene Seelsorger stellte ein Novum dar. Zwar waren in Preußen seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (1813/14) auch jüdische Wehrpflichtige einberufen worden, anders als im Falle der christlichen Dienstpflichtigen hatte es für sie bislang jedoch keine gesonderte Militärseelsorge gegeben. Einem entsprechenden Ansinnen von Seiten jüdischer Organisationen in Deutschland war nun im Sommer 1914 rasch stattgegeben worden, so dass neben den katholischen und evangelischen Feldgeistlichen auch Feldrabbiner bestellt werden konnten. Eine evangelische Feldpropstei als Leitungsinstanz für die Feldgeistlichen gab es in der preußischen Armee schon seit 1717, ein katholisches Pendant dazu mit einem Feldpropst im Bischofsrang existierte seit 1849. Noch vor Kriegsbeginn 1914 gab es über 100 hauptamtliche evangelische und rund 60 katholische Militärseelsorger (meist Divisionspfarrer). Schon die Zahl der Feldrabbiner war weit geringer; Leo Baeck war 1914 einer von zunächst sechs Männern in dieser Funktion, später stieg ihre Zahl auf 30. Darüber hinaus gab es einen weiteren bedeutsamen Unterschied: Die Tätigkeit der Feldrabbiner war – anders als im Falle der christlichen Feldgeistlichen – von den jüdischen Gemeinden zu finanzieren. Erst mehr als ein Jahr nach Einführung des Feldrabbinats wurde ihnen vom preußischen Kriegsministerium eine Aufwandsentschädigung gewährt. Die weiterhin enge Bindung an die Herkunftsgemeinde zeigte sich bei Baeck nicht zuletzt darin, dass er während seiner gesamten Tätigkeit als Feldrabbiner regelmäßige Berichte nach Berlin sandte, die dort im Gemeindeblatt veröffentlicht wurden. Der bereits vor Kriegsbeginn bekannte Leo Baeck nahm bald auch im Kreis der Feldrabbiner eine herausgehobene Stellung ein. Bei verschiedenen Konferenzen, auf denen die Erfordernisse und Probleme der Seelsorge und der Betreuung der jüdischen Soldaten besprochen wurden, führte Baeck den Vorsitz. Die Aufgabe der Zusammenstellung eines »Feldgebetbuchs« für die jüdischen Soldaten fiel ebenfalls ihm zu. Auch in diesem Falle mussten die Geldmittel für den Druck von rund 17.000 Exemplaren allerdings von den jüdischen Gemeinden aufgebracht werden.

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eo Baeck erlebte nahezu den gesamten Ersten Weltkrieg in der selbst gewählten Funktion eines Feldrabbiners. Anfangs war er an der Westfront in Frankreich eingesetzt, seit 1916 jedoch war Baeck an der Ostfront tätig und zwar im von der deutschen Armee besetzten Litauen, das formal noch zum russischen Zarenreich gehörte. Unweit von Kaunas/Kowno stationiert, hatte er einen großen Einzugsbereich zu betreuen, was überhaupt nur möglich war, weil Baeck als guter Reiter die großen Strecken zu Pferd bewältigen konnte. Der Einsatz an der Ostfront brachte Baeck auch zum ersten Mal in enge Berührung mit dem Ostjudentum, welches sich erheblich vom westlich geprägten, weithin assimilierten Judentum unterschied, dem Baeck selbst angehörte.


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während des Krieges: Am 11. Oktober 1916 erging ein Erlass ut möglich, ja wahrscheinlich ist, dass Baeck schon frühdes amtierenden preußischen Kriegsministers General Adolf zeitig auch Erfahrungen mit antisemitischen Haltungen Wild von Hohenborn an alle militärischen Dienststellen. Dieser im kaiserlichen Militär sammeln musste. Dies insbesonordnete eine umfassende statistische Erhebung über die kriegsdere seit er in den Zuständigkeitsbereich von »Oberost« verdienstpflichtigen jüdischen Männer an, bald kam der Begriff setzt worden war – Kaunas lag gewissermaßen in dessen Mitte. »Judenzählung« auf. In Teilen der Presse des Kaiserreichs und Nachdem deutsche Truppen 1915/16 große Teile der westlichen der politischen Öffentlichkeit bis hin zum Reichstag waren zuvor Gebiete des Zarenreichs erobert und besetzt hatten, wurde im immer wieder Anschuldigungen erhoben worden, wonach sich nordöstlichen Teil des Besatzungsgebietes eine deutsche Militärjüdische Kriegsdienstpflichtige in großer Zahl dem Militärdienst verwaltung installiert. Deren Zuständigkeitsbereich umfasste daganz entziehen oder aber dass sie sich gezielt Verwendungen im mals zum Zarenreich gehörende Teile Polens, Litauens, Lettlands ungefährlicheren »Hinterland« anstelle eines Dienstes unmittel(Kurland) und Weißrusslands. Für die umständliche Bezeichnung bar an der Front besorgen würden. Unterstellt wurde also eine »Zuständigkeitsbereich des Oberbefehlshabers für die gesamsystematische, etwa auch durch jüdische ten deutschen Streitkräfte im Osten« wurde Ärzte unterstützte »Drückebergerei«. bald die Kurzformel »Oberost« gebräuchlich. Das Gebiet von Oberost wurde von einer ethnisch gemischten Bevölkerung bewohnt, emäß dem Erlass Wild von Hohendarunter Litauer (rund 35 Prozent), Weißborns waren nun alle jüdischen russen (ca. 20 Prozent), Polen (ca. 11 ProKriegsdienstpflichtigen zu zählen; zent), Letten (ca. 10 Prozent), Russen (ca. ihre militärischen Verwendungen waren 6 Prozent), Deutsche (ca. 2,5 Prozent) – der anzugeben, es wurde ferner nach jüdiAnteil der jüdischen Bevölkerung lag mit schen Gefallenen, nach erhaltenen Ausrund 13 Prozent ungleich höher als im Gezeichnungen, nach Zurückstellungen vom biet des damaligen Deutschen Reiches (ca. Kriegsdienst (aufgrund gesundheitlicher 1 Prozent). Obwohl vor und während der Einschränkungen oder »kriegswichtiger« Eroberung der westlichen Teile des Zarenreiziviler Tätigkeit) gefragt, schließlich sollte ches von deutscher Seite den dort lebenden auch die Zahl derer erfasst werden, die als Juden günstigere Lebensbedingungen verWehrpflichtige einberufen worden waren sprochen worden waren, wenn das Gebiet beziehungsweise derjenigen, die sich schon erst in deutscher Hand sein würde, wurden vor einer Einberufung freiwillig gemeldet diese Versprechungen dann nicht eingelöst. hatten. Später, als die Ergebnisse der ErEs kam im Gegenteil häufig – wenn auch fassung vorlagen, sollte sich herausstellen, meist von der Einstellung lokaler Akteure dass sämtliche Vorwürfe an die Adresse der abhängig – zu antisemitischen Maßnahmen. kriegsdienstfähigen deutschen Juden jeder Teile der jüdischen Bevölkerung wurden zur Grundlage entbehrten. Insgesamt dienten Zwangsarbeit herangezogen, verschiedentzwischen 1914 und 1918 etwa 100.000 lich wurden Synagogen beschlagnahmt und jüdische Männer in den deutschen Streitzweckentfremdet. Zeugen dieser Vorgänge kräften; ihre Mobilisierungsquote lag dabei Auch die beste Verfassung, wurden naturgemäß auch im Bereich von sogar knapp über derjenigen der nichtsei es die, auf welche ein Oberost eingesetzte jüdische Angehörige jüdischen Kriegsdienstleistenden. Ähnlich Staat sich gründen will, sei es der deutschen Armee. Dies gilt etwa für den verhielt es sich mit den Freiwilligmeldungen die, welche Völker zu einen aus dem schlesischen Glogau stammenden und der Zahl der Gefallenen. Das Perfide Schriftsteller Arnold Zweig (1887–1968), allerdings war: Die ermittelten Zahlen wurversucht, bleibt ohne sittliche der seine Ostfronterfahrungen später in den während des Krieges vom KriegsminisWirkung und ist darum unmehreren Romanen verarbeitete. Der Berliterium überhaupt nicht veröffentlicht. Erst wirklich, wenn das Recht der ner Zeichner und Lithograf Hermann Struck seit 1919 wurden sie zum Gegenstand einer Wahrheit, dieses echte Recht, (1876–1944) war eine Zeitlang im Offiziersöffentlichen Kontroverse, nachdem ein andas allein den Frieden schafft, rang als Referent für jüdische Angelegentisemitischer Interpret sie in verzerrender nicht Tag um Tag und überall heiten bei Oberost tätig und brachte 1920 Weise publiziert hatte. seine Richter und Anwälte begemeinsam mit Zweig den auf beider ErfahViele jüdische Soldaten reagierten unmitrungen beruhenden Band »Das ostjüdische telbar nach Ergehen des Zählungserlasses sitzt. Jüdische Juristen, diese Antlitz« heraus. empört. Hauptmann Georg Meyer etwa, Juristen aus dem Stamme des im Zivilberuf Ingenieur bei den SiemensRechts, die diesem Rechte Schuckert-Werken, der den Wunsch der as, was Zweig, Struck und andere erdienen wollen, dienen darum Firmenleitung, sich – da er als Experte belebten, kann Leo Baeck schwerlich ihrem Lande und der Welt.« nötigt wurde – vom Kriegsdienst freistellen entgangen sein. Ganz sicher war der

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Feldrabbiner Baeck – wie alle anderen jüdischen Angehörigen der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg – konfrontiert mit dem wohl aufsehenerregendsten Niederschlag des offenen oder latenten Antisemitismus

zu lassen, mehrfach zurückgewiesen hatte, schrieb Ende Oktober 1916 in sein Tagebuch: »Das nach 2 Jahren großer Zeit und völliger Hingabe an unsere Heimat! Mir ist, als hätte ich eine furchtbare Ohrfeige er-


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halten!« Arnold Zweig schrieb im Herbst 1916 den bitteren Text »Judenzählung vor Verdun«, in dem er die gefallenen jüdischen Soldaten zum Appell antreten lässt. Zweig war bei Kriegsausbruch 1914 unter den zahlreichen Deutschen gewesen, die in patriotische Begeisterung verfielen. Zum Frontdienst aufgrund seiner extremen Kurzsichtigkeit untauglich, diente Zweig später vor Verdun »nur« als Armierungssoldat und war trotzdem nahe genug am Grauen, um aller Illusionen verlustig zu gehen. Über seinen Text zur Judenzählung schrieb er an Martin Buber, dieser sei »eine Reflexbewegung unerhörter Trauer über Deutschlands Schande und unsere Qual« gewesen, er fühle sich angesichts des Antisemitismus im Heer »vor mir selbst als Zivilgefangener und staatenloser Ausländer«. Und Feldrabbiner Leo Baeck, der stets als Mann des Ausgleichs und des Vermittelns galt? Baeck äußerte sich über die Judenzählung nicht direkt – jedenfalls nicht öffentlich. Wer allerdings Baecks Tätigkeitsbericht vom 18. November 1916, der wenig später im Berliner Gemeindeblatt veröffentlicht wurde, aufmerksam liest, kann gar keinen Zweifel daran hegen, dass hier ebenfalls mit größter Deutlichkeit, wenngleich indirekt, von der beschämenden »Judenzählung« die Rede ist.

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aeck schrieb: »Deutlicher als irgendeine geschichtliche Zeit hat die Gegenwart es hüben und drüben offenbart, wie der starke Wille, der Mut zu sich selber dieser moralische Faktor auf die Dauer nur dort bleiben und wachsen kann, wo ein jeder das Bewußtsein hegen darf, dass er zum Staate gehört und dass der Staat auch auf ihn rechnet. […] Zur Durchführung des Krieges gehört darum, zumal heute, wo es auf jeden ankommt, der Sinn für das Moralische, und zu ihm wiederum gehört ein gewisses Maß an Psychologie, d. h. der Fähigkeit, das Seelenleben der Menschen zu verstehen, zu begreifen, wie sie empfinden, was sie erhebt und worunter sie leiden. Man möchte fast sagen, ein gewisses seelsorgerliches Gefühl muß heute jeder, der leiten will, haben, sei er nun in einen engeren Kreis hineingestellt oder in den weiten, umfassenden.« Unschwer kann dies als scharfe Kritik an der militärischen Führung, welche die »Judenzählung« veranlasst hatte, gelesen werden. Doch damit nicht genug, fuhr Baeck fort: »Auch die bitteren Erfahrungen, die innerhalb des Staates gemacht werden, können diese Wirkung haben, dass Menschen den Glauben an einander einbüßen […]. Für den Staat bedeutete dies eine Schwächung, eine Einbuße an Kraft. […] Wer zu sehen versteht, der beobachtet immer wieder, in wie vielen Menschen, nicht zum mindesten in den einfachen Leuten, das Verlangen nach dem großen Gedanken lebt, diese Sehnsucht nach der Gerechtigkeit, dieses Begehren nach dem Guten und Rechten, das im Vaterlande wirklich werden soll. […] Gerade hier draußen kann man es immer wieder erkennen, wie stark sich der Sinn für Heimat und Vaterland im Sinne für die Gerechtigkeit verankert. Sie ist es, die in schwankenden Stunden die Gemüter wieder festhält. Nur die moralischen Kräfte können die Entscheidung bringen, können die Geduld und Ausdauer geben, bis diese kommt, und das Gefühl für die Gerechtigkeit, die Sehnsucht nach ihr, ist die stärkste, die lebendigste moralische Kraft, die, welche im Grunde alles andere umfasst.«

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ls Leo Baeck diese Worte vor ziemlich genau 100 Jahren niederschrieb, stand die Schlacht um Verdun, die Ende Februar 1916 als bis dahin größte je durchgeführ-

te Angriffsoperation eines deutschen Heeres begonnen hatte, kurz vor ihrem Ende. Das strategische Konzept der deutschen Heeresleitung, Frankreich mit dem blutigen Ringen in die Knie zu zwingen, war – trotz des Todes von Hunderttausenden Soldaten auf beiden Seiten – nicht aufgegangen. Mit dem Abbruch der Schlacht wenig später war im Grunde deutlich, dass das Deutsche Reich knapp am Rande der Niederlage stand, auch wenn die militärische Führung nicht mutig genug war, dies einzugestehen. Auch dieser Hintergrund muss in Rechnung gestellt werden, wenn man Leo Baecks weitere Worte liest: »Um Heimat und Vaterlang geht es in dieser Zeit. Wer das Recht antastet, der untergräbt den besten Schutz der Heimat, den starken Boden des Willens zu ihr. Wer für die Gerechtigkeit eintritt, hat damit das Vaterland verteidigt; denn er gibt denen, welche kämpfen und standhalten, neue Gewißheit, neue moralische Kraft, er festigt in ihnen das Bewußtsein, dass sie die Heimat besitzen und für die Heimat ausharren und feststehen.«

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eo Baeck blieb ein Rufer in der Wüste, der vergeblich vor dem Antisemitismus und der zerstörenden Wirkung von Diskriminierung und Ausgrenzung warnte. Als er 1918 aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrte, standen ihm als jüdischem Deutschen noch ganz andere Enttäuschungen, bald auch Verfolgung und völlige Entrechtung, schließlich die Erfahrung von Massenmord und anderen Verbrechen bevor. Leo Baeck, der das Konzentrationslager Theresienstadt knapp überlebte, während zahlreiche Verwandte, darunter seine Schwestern, ermordet wurden, hielt gleichwohl zeit seines Lebens an seinem jüdischen Glauben und an der Idee der Gerechtigkeit fest. Im Dezember 1951 schrieb der inzwischen fast Siebzigjährige an die »Arbeitstagung jüdischer Juristen«, die in Düsseldorf zusammenkam. Deren Teilnehmer wollten das Leben in der jungen Bundesrepublik Deutschland, welche die Wahrung der Menschenwürde als erste staatliche Pflicht an die Spitze ihres Grundgesetzes gestellt hatte, mitgestalten – auch und gerade als Repräsentanten der wenigen überlebenden und in Deutschland verbliebenen Juden. Baeck mahnte: »Auch die beste Verfassung, sei es die, auf welche ein Staat sich gründen will, sei es die, welche Völker zu einen versucht, bleibt ohne sittliche Wirkung und ist darum unwirklich, wenn das Recht der Wahrheit, dieses echte Recht, das allein den Frieden schafft, nicht Tag um Tag und überall seine Richter und Anwälte besitzt. Jüdische Juristen, diese Juristen aus dem Stamme des Rechts, die diesem Rechte dienen wollen, dienen darum ihrem Lande und der Welt.« Leo Baeck, einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Judentums im 20. Jahrhundert, starb vor 60 Jahren am 2. November 1956. Wir erinnern an Leben und Werk Baecks. Der Referent des Abends, Pater Elias H. Füllenbach OP, ist einer der besten Kenner der Materie und hat über Leo Baeck zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. Winfrid Halder Veranstaltungsort: Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Zietenstraße 50, Düsseldorf. Bitte Personalausweis mitbringen. Um Anmeldung bis 15.11. wird gebeten: Dr. Katja Schlenker, 02111699123, schlenker@g-h-h.de In Kooperation mit: Franz-Rosenzweig-Loge (B’nai B’rith) und Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf


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Vortrag

Die Diagnose entschied über Leben und Tod

Kinder von Zwangsarbeiterinnen Vortrag von Dr. Regina Plaßwilm

Der Vortrag von Regina Plaßwilm thematisiert ein wichtiges, noch wenig beleuchtetes Kapitel in der europäischen Erinnerungs- und Gedenkkultur – den Umgang mit den im Dritten Reich geborenen oder nach NS-Deutschland verschleppten Kindern und Jugendlichen der deportierten Ostzwangsarbeiter/innen.

Do, 03.11. 19.00 Uhr

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ie NS-Zwangsarbeit wird als ein Massenphänomen mit 20 Millionen Frauen, Männern und Kindern aus 18 Ländern beschrieben. Die Zwangsarbeit wurde in der NS-Diktatur in verschiedensten Formen geleistet – als angeworbene ausländische Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter (Anfangsphase des Krieges), ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge mit ihren Untergruppen. Zur Anzahl von Kindern von Zwangsdeportierten gibt es unterschiedliche Angaben. Sie reichen in der aktuellen Forschung bis zu 1,5 Millionen der allein aus Polen und der Sowjetunion deportierten Kinder während des Zweiten Weltkrieges.

Foto: Bundesarchiv

Die Lebensbedingungen der in der Zeit des Dritten Reichs geborenen Zwangsarbeiterkinder waren eng verknüpft mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der ausländischen Schwangeren und Wöchnerinnen sowie den Gesetze und Erlassen, die gegenüber Schwangeren und Müttern Anwendung fanden. Für den größeren Teil der Zwangsarbeiterinnen, welche aus Polen und der Sowjetunion kamen, galt kein Mutterschutz, sondern der offizielle Mindestschutz und der musste oft hinter den ökonomischen Gesichtspunkten der Firmen zurücktreten. Aus diesem Grunde mussten diese Frauen auch oft bis kurz vor ihrer Niederkunft an ihren Arbeitsplätzen arbeiten, sodass es als Folge zu Früh-, Fehl- und Totgeburten kam. Oft mussten polnische und sowjetische Zwangsarbeiterinnen in den Wohn- oder Krankenbaracken ihrer Arbeitsstellen entbinden. Dies geschah unter den schlechtesten hygienischen Bedingungen und oft ohne ärztlichen Beistand. Es gibt aber auch Berichte und Belege, dass sie in einigen Fällen in Krankenhäusern entbinden konnten. Gesetze und Erlasse entschieden über Leben und Tod von Kindern im NS-Reich. Die sogenannten »Eignungsprüfer« des Rasse-

Ostarbeiterinnen mit ihren Kindern

und Siedlungshauptamtes (RuS) der SS entschieden beispielsweise, dass Abtreibungen bei Frauen, die einen »gutrassischen« Nachwuchs zu erwarten hatten, nicht gestattet wurden. Diese Kinder wurden in Kinderheimen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt oder in Familienpflegestätten getrennt von ihren Müttern erzogen. Hingegen wurde bei schwangeren Ostarbeiterinnen dieser medizinische Eingriff gegen den Willen der Frauen zwangsweise ausgeführt. Die geborenen »schlechtrassischen Kinder« wurden in »Ausländerkinderpflegestätten« untergebracht, wo die Sterblichkeit sehr groß war.

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it ihrem Vortrag im Rahmen der im GerhartHauptmann-Haus bis zum 18. November gezeigten Ausstellung »Im Totaleinsatz« (siehe Seite 11) und ihren qualitativen Forschungen leistet Regina Plaßwilm aktive Erinnerungsarbeit an die weibliche Zwangsarbeit. Zur Tragweite dieser Erinnerungsarbeit gehört es auch, tabuisierten Themen wie der massenhaften Tötung von sogenannten »schlechtrassischen Kindern« von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus der ehemaligen Sowjetunion, Abtreibungen sowie Sterilisationen dieser Opfer einen angemessenen Platz im kollektiven Gedächtnis Europas einzuräumen und dem Phänomen des Verschweigens oder des Nicht-SprechenKönnens entgegenzutreten.

ie Diagnose »schlechtrassischer« Nachwuchs oder »gutrassische« Kinder entschied über Leben und Tod.

Dr. Regina PlaSSwilm, Historikerin und Kulturmanagerin, promovierte 2009 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zur Erinnerungsarbeit von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern des Zweiten Weltkrieges unter einer komparativen Perspektive. Seit 2015 ist sie Koordinatorin für Genderforschung an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.


20 Blick über Lemberg, Lwów, Lviv

Reisebericht

Unterwegs in der einstigen Habsburgermonarchie: Siebenbürgen, Bukowina und Galizien Eine Reise nach Rumänien und in die Ukraine

Stepan versäumt es kein einziges Mal. Als ich darauf aufmerksam werde, achte ich darauf – und in der Tat: jedes, aber auch wirklich jedes Mal, wenn wir eine orthodoxe Kirche passieren, schlägt unser ukrainischer Busfahrer das Kreuzzeichen. Die kleinen Bildchen, offenbar Reproduktionen von Ikonen, waren mir schon zuvor aufgefallen. An den Scheiben zu beiden Seiten des Fahrersitzes, weit oben, um nicht die Sicht zu behindern, sind sie angeklebt. Der beständig wiederholten Geste des Kreuzzeichens werde ich erst später gewahr, als wir fahren. Und wir fahren lang. Stepan hat uns in Czernowitz mit seinem Bus erwartet.

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a liegt der erste Teil unserer Reise schon hinter uns: Von Cluj – dem alten Klausenburg – aus sind wir durch den nördlichen Teil Siebenbürgens gefahren, über Bistriţa/ Bistritz und dann quer über den sich in einem gewaltigen Halbrund von Nordwesten nach Südosten schwingenden Karpatenbogen hinüber nach Rǎdǎuţi/Radautz. Auch unser rumänischer Busfahrer ist ein Virtuose: Manche enge Kehre gilt es mit dem großen Fahrzeug zu nehmen und nicht selten trottet hinter einer unübersichtlichen Kurve unversehens ein hoch mit Heu beladenes Pferdefuhrwerk gemächlich auf der Straße vor uns oder uns entgegen. Wahrscheinlich habe ich in meinem ganzen Leben bis dahin nicht so viele Gespanne gesehen wie an diesen drei Tagen in Rumänien. Die Männer auf dem Kutschbock, meist schon etwas älter, wirken gelassen – selbst wenn eine aufgeregte deutsche Touristengruppe aus dem Bus stürzt, mehr oder weniger geschickt mit Fotoapparaten und Handykameras hantiert, um das ach so pittoresk wirkende, von unseren Straßen seit Jahrzehnten gänzlich verschwundene Bild einzufangen, ja, selbst dann lächeln sie freundlich in die Objektive. Womöglich denken sie sich ihren Teil über die Städter, aber anmerken lassen sie es sich nicht … Durch den siebenbürgischen Teil Rumäniens begleitet uns Anna, und ich bin oft genug Landsleuten von ihr begegnet, um sofort die Siebenbürger Sächsin herauszuhören, ein Landeskind, ohne Zweifel. Ungewöhnlich vielleicht nur insofern als die junge, um die 35 Jahre zählende, in Hermannstadt geborene Reiseleiterin – anders als wohl die allermeisten ihrer rumäniendeutschen GeneratiCzernowitz, orthodoxe Heilig-Geist-Kathedrale

onsgenossen – der Heimat nie den Rücken gekehrt hat, immer geblieben ist, Deutschland nur von Besuchsreisen her kennt. Dafür hat sie gewiss einiges in Kauf genommen (die, die sich zum Gehen gezwungen sahen, auch, aber anderes). Sie ist, das mag eine Rolle bei der Entscheidung zum Bleiben gespielt haben, stolz auf ihre Heimat. Da erträgt sie es auch mit Gleichmut, wenn auch ein wenig ironisch, dass ihr, der Muttersprachlerin, weniger gut informierte Gäste immer wieder Anerkennung dafür zollen, dass sie, die »Rumänin«, aber »wirklich gut Deutsch gelernt« habe. Und der Stolz auf die ungemein reiche, vielfältige, auch von Deutschen über Jahrhunderte mitgeprägte Kultur und Geschichte ihrer Herkunftsregion schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass Anna uns nahezu unablässig an ihrem staunenswert breiten Wissen darüber teilhaben lässt. Im Bus ein wenig dösen, den Blick mit hin und wieder zufallenden Lidern auf die in der dunstigen Ferne verblauenden, teils noch schneebedeckten Karpatengipfel richten und träumen? Oh nein, zuhören! Wer die dazu nötige Aufmerksamkeit beständig aufbringt, sie sich vielleicht in manchem Augenblick auch abringen muss, der erhält einen hochkonzentrierten Schnellkurs über das Wichtigste in der Region: Anna schlägt mühelos und beredt den Bogen von den alten Römern, deren Eroberung im frühen zweiten Jahrhundert dem Land viel später zum heutigen Namen verhelfen sollte, über den spätmittelalterlichen König Matthias Corvinus (1443–1490), der gar Wien eroberte, über die habsburgische Herrschaft bis 1918, weiter über den unsäglichen kommunistischen Diktator Nicolae Ceaușescu (1918–1989), der das Land nach Kräften ruinierte, bis hin zum gegenwärtigen Staatspräsidenten und früheren Hermannstädter Bürgermeister Klaus Johannis (geb. 1959), der mit seinem Wahlsieg im November 2014 alle Welt, wohl einschließlich nicht weniger Rumänen überraschte. Bald bin ich mir sicher, dass ich mit meiner Mutmaßung richtig liege: eine Historikerkollegin. Dann besuchen wir – nach Überschreitung der früheren, heute unsichtbar gewordenen ehemals habsburgischen Provinzgrenze zwischen Siebenbürgen und der Bukowina – die Moldauklöster, oder vielmehr nur drei davon, nämlich Moldoviţa (gegr. 1532), Voroneţ (gegr. 1488) und Suceviţa (gegr. 1581). Da zeigt sich: Unsere Reiseleiterin ist kunsthistorisch mindestens


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Reisebericht

ebenso versiert wie historisch. Sie erschließt uns souverän das überwältigende, auf den ersten Blick verwirrend anmutende Bildprogramm der Klosterkirchen, die außen wie innen über und über mit mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Malereien bedeckt sind. Wahrhaft farbige Predigten für die Besucher der Klöster, die den Weg zum Heil im Glauben zeigen sollten und die Schrecken der Hölle dagegensetzten!

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und Paul Celan haben die antisemitische Verfolgung mit knapper Not überlebt, gezeichnet indes beide. Fern von Czernowitz sollte ihr Leben enden, da für beide nach dem Ende der deutschen bzw. rumänischen Besetzung auch unter der sowjetischen Diktatur kein Bleiben war. Immerhin gibt es aber inzwischen an den Geburtshäusern Gedenkplatten und für Celan seit 1992 überdies ein eigenes Denkmal.

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ie rücksichtsvollen ukrainischen Grenzbeamten, andernngleich prominenter indes – am Ring, dem schlechtertags am nahen Grenzübergang Siret, verschaffen uns dings zentralen Platz der Stadt – ist ein anderes Denkmal Gelegenheit, darüber zu meditieren, inwieweit für uns platziert: die monumentale Statue Taras Schewtschenkos vermeintlich aufgeklärte Westeuropäer Himmel und Hölle, die (1814–1861). Der hatte mit Czernowitz jedoch – eigentlich – für die Künstler der Klöster ehedem unmittelbare Realität wanichts zu tun. In der Zentralukraine geboren, hat Schewtschenko ren, noch von Belang sind. Wir stehen jedenfalls lange genug am den wichtigsten Teil seines Lebens in St. Petersburg zugebracht; Schlagbaum, um gründlich nachdenken zu können. Doch dann er wird als ukrainischer Nationaldichter ver- und allenthalben ist es so weit, wir sind in der Ukraine, historisch gesehen freilich durch Straßen- und Platzbenennungen wie eben auch Denkmalunverändert in der Bukowina. Das ist ja eine der Merkwürdigkeisetzungen geehrt. Am Czernowitzer Ring steht das Schewtschenten unserer Reise: Wir bewegen uns durch drei moderne Staaten ko-Denkmal seit 1999. Schade, dass der heutige Besucher nicht – Rumänien, die Ukraine und zuletzt Polen – und alle Monumente zugleich sehen kann, die den bleiben dabei doch die ganze Zeit über in den Platz schon geschmückt oder jedenfalls auf ihm ie Buchen, die im einstigen Grenzen der 1918 untergegangenen hellen Frühjahrsgrün gestanden haben. Denn dann könnte er anhand Habsburgermonarchie. Die Buchen, die im hel- die Straße säumen, dieser Denkmal-Galerie die wechselhafte Gelen Frühjahrsgrün die Straße säumen, sagen uns schichte der Stadt durchdeklinieren: Im Zentrum sagen uns eigentlich eigentlich deutlich genug, dass wir immer noch der Hauptstadt des habsburgischen Kronlandes im Buchenland, in der Bukowina sind. Ja, wir er- deutlich genug, dass wir Bukowina stand nach dem Willen der katholiimmer noch im Buchenreichen jetzt ihr Herz, Czernowitz. schen Dynastie eine Mariensäule. Die wich, als die Mythenumrankter Ort der Literatur, Heimstätte land, in der Bukowina Bukowina nach dem Ersten Weltkrieg an »Großeiner unverwechselbaren und unwiederholba- sind. rumänien« fiel, der Statue eines rumänischen ren kulturellen Symbiose, aber auch Stätte des Soldaten. Als Czernowitz nach dem Zweiten WeltSchreckens. Rose Ausländer (1901–1988), Paul Celan (1920– krieg mit dem nördlichen Teil der Bukowina zur Sowjetunion, 1970) und Selma Meerbaum-Eisinger (1924–1942) sind nur die genauer zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik kam, wohl prominentesten Stimmen der Lyrik, die im Czernowitz der war der erzene rumänische Held natürlich nicht mehr opportun, ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Wurzeln hatten. Aus der zumal Rumänien zuvor an der Seite NS-Deutschlands gegen die weithin deutschsprachigen Kultur des nicht nur zahlenmäßig UdSSR gekämpft hatte. 1952 trat eine Statue Wladimir Iljitsch starken jüdischen Bevölkerungsteils der Bukowina stammend, Lenins an seine Stelle. Lenin hatte mit Czernowitz unmittelbar hat für alle drei (und für viele andere) die nahezu vollständige so wenig zu tun wie Schewtschenko, allerdings überschwemmte Vernichtung dieser Menschen durch das nationalsozialistische die Sowjetmacht ihren gesamten Herrschaftsbereich zwischen Regime und seine Helfer nach dem Einmarsch der Wehrmacht Elbe und Japanischem Meer mit Denkmälern ihres bereits 1924 1941 zentrale Bedeutung gehabt. Die erst 18-jährige Selma verstorbenen Gründervaters, da nicht alle von ihr Beglückten Meerbaum-Eisinger starb im Dezember 1942 nach der Deporzu dessen einbalsamierter Leiche im Reliquienschrein auf dem tation aus Czernowitz in einem Zwangsarbeitslager in TransnisRoten Platz in Moskau pilgern konnten. Mit dem Untergang der trien; nur für kurze Zeit also konnte sie ihr junges lyrisches TaSowjetunion vor jetzt fast genau 25 Jahren indes setzte auch die lent entfalten und wurde erst lange nach ihrem Tod als eine der drastische Korrektur der Lenin-Denkmals-Inflation ein, so auch bedeutendsten Dichterinnen ihrer Zeit erkannt. Rose Ausländer in Czernowitz.

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22 Grabstätte der »Lemberger Adlern« auf dem Lytschakiwski-Friedhof in Lemberg

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heitlich säkular geprägten Westeuropäern überhaupt auffallen, etzt also Schewtschenko, na gut. Goethe steht bei uns ja manchem vielleicht gar befremdlich erscheinen. Ich schätze Steauch an allerhand Orten, an denen er nie verweilte, gepan auf etwa 45 Jahre; er hat also vermutlich zumindest einen schweige denn dichtete. Und dafür, dass sich im Schatten erheblichen Teil seiner Kindheit und Jugend bis 1991 noch in der des Bronzeriesen ein Werbetrupp der rechtsextremen und naexplizit religionsfeindlichen Sowjetunion zugebracht. Wann er tionalistischen Partei »Swoboda« niedergelassen hat und an zum gläubigen Christen geworden ist, vermag ich natürlich nicht seinem Tischchen ein ganze Reihe vermutlich nicht nur echt zu sagen – aber dass er unter seinen ukrainischen Landsleuten wirkender Schusswaffen und einige Munition zeigt, dafür kann durchaus nicht aus dem Rahmen fällt, das kann aus einigen Zahder vor mehr als 150 Jahren verstorbene Dichter wahrlich nichts. len geschlossen werden. Gemäß einer Umfrage vom April 2014 Keine sehr beruhigende Nachbarschaft jedenfalls. Immerhin: Bei bezeichneten sich 76 Prozent der Befragten als »gläubig«, weider letzten, vorgezogenen Parlamentswahl in der Ukraine Ende teren knapp 12 Prozent fiel es schwer, sich zwischen »gläubig« Oktober 2014 verlor die Swoboda-Partei mehr als die Hälfte der oder »ungläubig« zu entscheiden. 4,7 Prozent der Ukrainer beStimmen, die sie 2012 erhalten hatte und verfehlte mit 4,71 zeichneten sich demgegenüber ausdrücklich als »nicht gläubig«, Prozent der abgegebenen Stimmen die auch im ukrainischen allerdings nur weitere 2,5 Prozent als »überzeugte Atheisten«. Wahlrecht geltende Fünfprozenthürde (erhielt jedoch sechs Die Zahl derer, die sich als »gläubig« bezeichneten, lag im Jahr Direktmandate). Die politische Landschaft in der Ukraine ist für 2000 noch bei 57,8 Prozent, ist also in den anderthalb Jahrzehnunsereinen nicht leicht zu verstehen, schon weil sie stark zerten seither um mehr als 18 Prozent gestiegen. Dabei gibt es zwisplittert ist. Derzeit sind im ukrainischen Parlament 11 Parteien schen den Regionen in der Ukraine beträchtliche Unterschiede: vertreten, vier davon allerdings mit nur einem Mandat. Es gibt In der Westukraine, durch die unsere Reise führt, auch eine beträchtliche Anzahl von Abgeordnebezeichneten sich 2014 93 Prozent der Befragten ten, die als Direktkandidaten ohne Parteizugeals »gläubig«, in der Ostukraine dagegen lediglich hörigkeit gewählt wurden (96 von insgesamt 450 o war Galizien 62,5 Prozent. Abgeordneten). Der Einfluss mehr oder weniger eine Region der anonymer Geldgeber auf die Parteien ist groß, »Schtetl«, der stark wie überhaupt die Korruption eines der schwerin – inzwischen wieder – klar mehrheitlich wiegendsten Hindernisse auf dem Weg der Uk- jüdisch geprägten oder christliches Land also? Ja, aber näher beraine zu stabilen demokratischen Verhältnissen auch dominierten Dörfer sehen doch erheblich komplizierter. Denn war und ist. Derzeit ringt man allerdings um eine und (Klein-)Städte. die orthodoxe Kirche, der die große Masse der künftige staatliche Parteienfinanzierung, die für ukrainischen Christen anhängt, ist in mehrere, mehr Transparenz und größere Unabhängigkeit und zwar konkurrierende Richtungen aufgespalvon einzelnen Finanziers sorgen soll. Das Vertrauen der Ukrainer ten. In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat vor allem die in »ihre« Parteien ist, kaum verwunderlich, zurzeit gering: In eiBedeutung der Ukrainisch-orthodoxen Kirche, die einem eigener Umfrage vom November 2015, in der die Befragten sich dazu nen, in Kiew residierenden Patriarchen untersteht, erheblich zuäußern sollten, ob es eine Partei gebe, von der sie ihre Interesgenommen. Nach der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine, sen vertreten sähen, antworten 56,5 Prozent mit einem klaren die mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991/92 erreicht wurde, Nein, für weitere 20,2 Prozent war dies »schwer zu sagen«. Über löste sich auch die Verbindung zum Moskauer Patriarchat der die Hälfte der Befragten sagte zugleich aus, dass sie kein VertrauRussisch-orthodoxen Kirche – allerdings blieb ein Teil der jetzt en in die Parteien hätten, anders war dies nur bei 11,8 Prozent. gegründeten Ukrainisch-orthodoxen Kirche dem Moskauer PaDie Zahl der Menschen, die sich durch Mitgliedschaft zu einer triarchat treu, während ein anderer Teil sich dem neu geschaffePartei bekennen, ist seit 2010 deutlich gesunken. nen Kiewer Patriarchat unterstellte. Bekannten sich im Jahr 2000 Die Ukrainer suchen in der schwierigen Lage, in der sie sich mit nur 12,1 Prozent der Angehörigen der Ukrainisch-orthodoxen ihrem Land befinden, offenbar vielfach anderen Rückhalt. WoKirche zum Kiewer Patriarchat, so hatte sich ihr Anteil bis 2014 mit wir wieder, endlich, bei Stepan, dem Busfahrer, wären. Seine auf 22,4 Prozent erhöht. Der größte Teil der Christen in der Ukmit der unentwegten Bekreuzigung ganz selbstverständlich zum raine bezeichnet sich aber noch immer als »einfach orthodox«, Ausdruck kommende Frömmigkeit mag wohl nur uns mehrohne Festlegung auf eines der beiden Patriarchate (2000: 38,6

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Prozent; 2014: 28,1 Prozent). Auch hier gibt es wieder gravierende Unterschiede zwischen den Regionen der Ukraine. Zweifellos hat die Entscheidung zwischen der Anhänglichkeit an eines der beiden Patriarchate auch mit der Haltung zur ukrainischen Nationalstaatlichkeit bzw. der Haltung zum großen Nachbarn Russland zu tun. Die kirchlichen Verhältnisse sind mithin ihrerseits – jenseits der starken Zunahme der christlichen Gläubigen im Allgemeinen – nicht ganz leicht zu durchschauen (die kleinen christlichen Kirchen seien hier beiseitegelassen) und obendrein wenigstens teilweise politisch konnotiert. Jedenfalls: Stepan hat viele Gelegenheiten, das Kreuz zu schlagen, auch als wir Czernowitz verlassen und uns auf den Weg nach Lemberg gemacht haben. Denn offenbar sind in den letzten Jahren nicht wenige Kirchen in der Ukraine neu errichtet worden – viele an den Rändern von Städten, oft hineingepflanzt in hässliche Plattenbausiedlungen. Als die atheistische Sowjetunion ihren Bürgerinnen und Bürgern auch in der Ukraine diese neue Art des Wohnens bescherte (vor allem seit den 1970er Jahren), da waren Kirchen nicht vorgesehen. Jetzt wird das nachgeholt – und so glänzen mitten im tristen Grau des einfallslosen Betons neue goldene Kuppeln und Kreuze. Stepan sieht sie alle.

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nterwegs, die Straße führt entlang des Pruth (der zum großen Donau-Schwarzmeer-Flußsystem gehört), passieren wir nach nur etwa 30 Kilometern bei Snjatyn wieder eine heute unsichtbare habsburgische Provinzgrenze, verlassen also die Bukowina und erreichen galizischen Boden. Das einstige »Königreich Galizien und Lodomerien«, das mit der Ersten Teilung Polens 1772 an die Habsburger fiel, war bis zum Zerfall von deren Monarchie eine der vielfältigsten Kultur- und Sprachlandschaften im habsburgischen Machtbereich. Ähnlich der benachbarten Bukowina ein vielleicht gelegentlich eher vernachlässigtes Nebenland der Herrscher in Wien, in weiten Teilen ein bescheidenes, zuweilen auch armes Bauernland, besonders im östlichen Teil – dies obwohl Galizien von der Fläche her die größte habsburgische Provinz im cisleithanischen (nicht-ungarischen) Reichsteil war. Hier lebten unter dem habsburgischen Zepter Polen, Ruthenen (die heute Ukrainer genannt werden), Deutsche, die als bäuerliche Siedler, Kaufleute oder Beamte hierhergekommen waren, einige andere, kleinere Völkerschaften (etwa Armenier) und – Juden. Nach der Volkszählung von 1890 lebten in Galizien circa 6,6 Millionen Menschen, davon 45 Prozent Ruthenen, 43 Prozent Polen, etwa zwei Prozent Deutsche und rund 10 Prozent Juden. Das waren deutlich mehr als die 4,4 Prozent

im Durchschnitt der Habsburgermonarchie (im damaligen Deutschen Reich gehörte zu diesem Zeitpunkt nur rund ein Prozent der Bevölkerung der jüdischen Religionsgemeinschaft an). So war Galizien eine Region der »Schtetl«, der stark jüdisch geprägten oder auch dominierten Dörfer und (Klein-)Städte. Eine eigenartige Pflanzstätte, in der viel Armut herrschte, aber auch viel Bildungs- und Aufstiegswille. Hier wurde Jiddisch gesprochen, aber auch Deutsch, vor allem in den Familien, die ihren Kindern durch den Besuch höherer Schulen einen Ausweg aus den ärmlichen Verhältnissen schaffen wollten. So hat das jüdische Galizien der Welt viele herausragende Köpfe beschert, Joseph Roth (1894–1939) etwa, den großen Schriftsteller, dessen wesentlich weiter nördlich gelegenen Geburtsort Brody wir leider nicht zu Gesicht bekommen. Aber wir fahren direkt durch Zablotow (heute Sabolotiv) – hier kam mit Manès Sperber im Dezember 1905 ein anderer Meister der Sprache zur Welt. Sperber floh noch als Kind mit seinen Eltern in den Wirren des Ersten Weltkriegs nach Wien, als russische Truppen große Teile Galiziens eroberten. Der Welt seiner Herkunft hat er im ersten Band seiner Autobiographie »Die Wasserträger Gottes« (1974) ein Denkmal gesetzt – ein Zeugnis, dessen Wert noch steigt angesichts der Vernichtung des galizischen Judentums im Zuge des von deutscher Seite in Gang gesetzten Massenmordes seit dem Sommer 1941. Manès Sperber, inzwischen studierter Psychologe, lebte später längere Zeit in Berlin, schloss sich der KPD an, musste vor der nationalsozialistischen Verfolgung 1933 nach Frankreich fliehen und hat sich 1937 – als er von den mörderischen »Säuberungen« in der stalinistischen Sowjetunion erfuhr – vom Kommunismus wieder abgekehrt. Der gewaltige, von seinem eigenen Lebensweg mitgeprägte Romanzyklus »Wie eine Träne im Ozean« (entstanden zwischen 1949 und 1955) gehört zu den wichtigsten politischen Erzählwerken des 20. Jahrhunderts. Sperber hat darin versucht, exemplarisch den nicht selten leidvollen Weg von Menschen seiner Generation zwischen den Totalitarismen zu zeichnen – eine fesselnde, »normale« Geschichtsbücher an Anschaulichkeit und Spannung weit hinter sich lassende Lektüre. Wenige Monate vor seinem Tod im Februar 1984 erhielt Sperber den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Laudatio auf ihn hielt damals Siegfried Lenz.

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asch, allzu rasch fliegt Zablotow vorüber, wir fahren über Kolomea (Kolomya) weiter nach Ivano-Frankivsk, ehemals Stanislau. Auch hier gab es bis zum Einmarsch der Wehrmacht 1941 und dem folgenden Massenmord eine große jüdi-


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sche Gemeinde. In jüngerer Zeit mag der Name der Stadt hier und da wahrgenommen worden sein, als Swetlana Alexijewitsch 2015 den Literaturnobelpreis erhielt. Die Autorin wurde als Kind einer ukrainischen Mutter und eines aus Weißrussland stammenden Vaters 1948 dort geboren, wuchs aber bald darauf in der Heimat ihres Vaters auf. 1960 wurde in Ivano-Frankivsk Jurij Andruchowytsch geboren, derzeit einer der international bekanntesten Autoren der Ukraine. Am Rande unserer Strecke liegt noch Stryj, wo 1933 Ludwik Begleiter geboren wurde, den vermutlich wesentlich mehr Menschen unter dem Namen kennen, den er annahm, nachdem ihm nach vielen Verfolgungen und einem lange Zeit ganz unwahrscheinlichen Überleben mit seinen Eltern 1947 die Emigration in die USA gelungen war: Louis Begley. Viele Jahre als Rechtsanwalt in New York lebend, hat Begley erst 1991 mit »Lügen in Zeiten des Krieges« seinen autobiographisch geprägten, während der Judenverfolgung im besetzten Polen spielenden Erstlingsroman vorgelegt. Seither gehört der aus Galizien stammende Autor zu den großen Namen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Galizien – noch immer ein Land der Literatur.

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bracht. Wer – wie wir – den berühmten Lytschakiwski-Friedhof besucht, erhält zumindest eine Ahnung davon. Und er lernt, dass die Geschichte Lembergs oder Lwóws oder Lvivs und der Ukraine im 20. Jahrhundert eines jedenfalls nicht ist, nämlich einfach. Der Lytschakiwski-Friedhof wurde Ende der 1780er Jahre angelegt, bald nachdem Lemberg habsburgisch geworden war. Seither finden dort bis heute Bestattungen statt. So fallen sogleich nach Betreten des weitläufigen Geländes frische Gräber auf, die mit Fähnchen und Bändern in den blau-gelben ukrainischen Nationalfarben geschmückt sind. Nicht selten finden sich auf den Grabkreuzen auch Fotos der Verstorbenen, die zum Teil erst in den letzten Wochen beigesetzt wurden: fast durchweg junge Männer, oft in die Kamera lachend, einige, aber keineswegs alle in Uniform. Es ist nicht schwer zu erraten: Es handelt sich um Gefallene aus dem Krieg in der Ostukraine, der seit dem April 2014 mit wechselnder Intensität tobt. In den Kämpfen zwischen ukrainischen Armee- und Freiwilligen-Einheiten mit den von Russland unterstützten ostukrainischen Separatisten sind nach Schätzungen von Experten der Vereinten Nationen bis zum Mai 2016 über 9.400 Menschen getötet und nahezu 22.000 verwundet worden. Vermutlich liegen die realen Zahlen weit höher. Allein im Monat unseres Besuches in der westlichen Ukraine sind in den umkämpften östlichen Teilen des Landes mindestens 58 Menschen gewaltsam umgekommen, mehr als 250 sind durch Kampfhandlungen verletzt worden. Ein trügerischer Friede, der uns Touristen umgibt.

ndlich: Lemberg oder Lwów oder Lviv; auf welche Phase der Geschichte dieser Stadt man schaut, entscheidet letztlich darüber, für welchen Namen man sich entscheidet. Dass diese schöne Stadt zur polnischen, ukrainischen, österreichungarischen und ein Stück weit auch zur deutschen Geschichte gehört, geht schon aus der Mehrsprachigkeit ihres Namens hervor. Seit die Siedlung, die später Lemberg oder Lwów oder Lviv genannt werden sollte, Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals er Lytschakiwski-Friedhof macht uns unversehens die schriftlich erwähnt wurde, haben viele Herren und mehrere Völschwierige Gegenwart der Ukraine bewusst, ihre nicht minker ihre Geschicke bestimmt oder wenigstens mitbestimmt. Nach der schwierige Vergangenheit tritt uns nur wenige Schritte der Gründung durch den slawischen Fürsten Danilo gehörte die weiter vor Augen. Auf einem recht großen Areal befinden sich Stadt zu dessen galizischem Fürstentum. Schon seit Mitte des 14. die Gräber der polnischen Verteidiger von Lemberg, die 1918/19 Jahrhunderts streckten die polnischen Könige ihre Hände nach gefallen sind. Die Stadt geriet damals, mit dem Zerfall der Habsihr aus, seit 1375 war sie Mittelpunkt einer Woiburgermonarchie am Ende des Ersten Weltkriegs, emberg/Lwów/Lviv wodschaft der polnischen Krone. 1356 hatte die sogleich in die Gebietsstreitigkeiten zwischen dem Stadt das Magdeburgische Stadtrecht verliehen wiedererstehenden polnischen und dem neu geund seine Toten … bekommen (wie viele andere Städte im östlichen Schweres historisches gründeten ukrainischen Staat. Diese wurden krieEuropa auch); bedingt durch die Zuwanderung Gepäck, zu dessen gerisch ausgetragen; den ukrainischen Versuch, deutscher Kaufleute wurde die Amtssprache für Lemberg zu erobern, wehrten polnische Einheiten Gewicht wir Deutschen rund 200 Jahre Deutsch. 1661 erhob der polniab. Diese bestanden zum Teil aus sehr jungen Freische König Johann II. Kasimir ein seit einigen Jahr- nicht wenig beigetragen willigen, darunter viele Schüler und Studenten. zehnten vorhandenes Jesuitenkolleg zur Universi- haben. Also sollte uns Den umgekommenen »Lemberger Adlern« wurde tät – heute ist sie damit die älteste Universität der die Ukraine von heute in den 1920er Jahren, als Lemberg zur polnischen Ukraine. Als Galizien mit der Ersten Teilung Polens interessieren. Republik gehörte, eine repräsentative Grabstätte 1772 an die Habsburger fiel, behauptete Lemberg errichtet. Als die Stadt aber im Zweiten Weltkrieg den Rang als Hauptstadt der neuen Provinz. In der Stadt wurde zunächst von deutscher Seite besetzt, nach dessen Ende zur soweiterhin Deutsch, Polnisch, Jiddisch und Ruthenisch (Ukrainisch) wjetischen Ukrainischen Volksrepublik kam, wurden die Gräber gesprochen. Im Jahre 1910 hatte Lemberg etwa 206.000 Einwohder »Adler« dem Verfall preisgegeben. Erst 2005 wurde nach einer, davon gaben 88,9 Prozent Polnisch, 8,7 Prozent Ruthenisch ner Einigung zwischen der polnischen und der ukrainischen Re(Ukrainisch) und 2,3 Prozent Deutsch als Umgangssprache an. gierung der wiederhergestellte Friedhofsteil erneut eingeweiht. Das Jiddische jedoch war in der Habsburgermonarchie nicht als Die rot-weißen Bänder und Blumen auf einigen der Gräber zeueigenständige Sprache anerkannt. Die Sprachenverhältnisse korgen davon, dass offenbar immer noch – oder wieder – polnische relierten also nur bedingt mit den ethnischen bzw. religiösen GeBesucher die Grabstätten ihrer Lemberger Vorfahren besuchen. gebenheiten; rund 28 Prozent der Lemberger bekannten sich zu Ganz in der Nähe der »Adler« ruhen indessen ihre ukrainischen dieser Zeit zum Judentum, die meisten davon waren mehrspraGegner, die in den Kämpfen um die Stadt 1918/19 umkamen. chig. Auch die große jüdische Gemeinschaft Lembergs fiel seit Wiederum unweit davon erinnert ein Mahnmal an die Ukrainer, 1941 der antisemitischen Verfolgung zum Opfer. die zuvor als Angehörige der österreichisch-ungarischen Armee Überhaupt: Das 20. Jahrhundert hat ein schauriges Maß an Geim Ersten Weltkrieg gefallen waren. Erinnerungsorte gibt es hier walt und Zerstörung über Galizien und über seine Hauptstadt geweiterhin für die Opfer des sowjetischen Geheimdienstes NKWD:

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25 Lytschakiwski-Friedhof: Gräber der jüngst Gefallenen aus dem Krieg in der Ostukraine

riert hatte, dann jedoch längere Zeit im KZ Sachsenhausen inhaftiert war, liegt allerdings nicht auf dem Lytschakiwski-Friedhof begraben, sondern in München, wo er, inzwischen emigriert, 1959 im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes ermordet wurde. Im August 2014 – mithin einige Monate nach Beginn der Kampfhandlungen in der Ostukraine – wurde das Bandera-Grab in München von Unbekannten gezielt beschädigt. Zuweilen ist die Ukraine mit ihrer verwickelten, oft blutigen Geschichte uns Deutschen näher als viele denken. Ach, Lemberg oder Lwów oder Lviv und seine Toten … Schweres historisches Gepäck, zu dessen Gewicht wir Deutschen nicht wenig beigetragen haben. Also sollte uns die Ukraine von heute interessieren. Dies natürlich nicht nur wegen der Toten, sondern mehr noch wegen der Lebenden. Da sind etwa die nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats rund 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge, die angesichts der ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung geführten Kämpfe aus der Ostukraine geflohen sind. Viele davon haben in Russland Zuflucht gesucht, viele aber eben auch innerhalb der Ukraine. Rund 3 Prozent der ukrainischen Gesamtbevölkerung (ca. 45,5 Millionen Menschen, Stand 2013) sind von der Fluchtbewegung betroffen – die derzeit etwa eine Million Flüchtlinge in Deutschland machen demgegenüber nur rund 1,2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Als Lemberg im Herbst 1939 im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes nach der Niederlage Polens von sowjetischen Truppen besetzt wurde, verhaftete der Geheimdienst eine große Zahl von Personen, die man für Gegner des kommunistischen Systems hielt. Oft handelte es sich dabei um Angehörige der polnischen Bildungselite. Als dann schon wenige Tage nach Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941 bereits Wehrmachtseinheiten vor Lemberg standen, ließ das NKWD die Gefangenen, die nicht abtransportiert werden konnten, ermorden. Und wieder nur ein Stückchen weiter steht ein anderer Gedenkstein von beachtlicher Größe: Er ist den ukrainischen SS-Freiwilligen gewidmet, die seit dem Frühjahr 1943 rekrutiert wurden. Auf dem Gedenkstein findet sich zwar kein direkter Hinweis darauf, dass es sich um einen SS-Verband handelte, das Wappen der zunächst unter dem Namen »SS-Schützendivision ›Galizien‹« aufgestellten Einheit ist jedoch klar erkennbar – es wird heute noch von extrem nationalistischen Kräften in der Ukraine verwendet. Dieser SS-Verband war an Verbrechen gegen jüdische und polnische Zivilisten beteiligt.

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berhaupt hat es während des Zweiten Weltkrieges in Galizien viel ethnisch begründete Gewaltsamkeit gegeben, teils mit, teils ohne direkte Unterstützung von deutscher Seite. Die auch in Lemberg und Umgebung zigtausendfach ermordeten jüdischen Opfer liegen indessen nicht auf dem christlichen Lytschakiwski-Friedhof. Noch einige Jahre über 1944/45 hinaus kämpften ukrainische Partisanen gegen die von der Roten Armee wiedererrichtete sowjetische Herrschaft. Stepan Bandera, eine der Führungsfiguren, ist bis heute eine der umstrittensten Persönlichkeiten der ukrainischen Geschichte, für die einen ein Verbrecher, für die anderen ein Nationalheld. Bandera, der seit 1939 zeitweilig mit der deutschen Besatzungsmacht koope-

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tadtbesichtigungen machen hungrig, selbst wenn Friedhöfe auf dem Programm stehen. Wir besuchen auf Empfehlung unseres ukrainischen Reiseleiters ein großes Schnellrestaurant, wo man sich an einem langen Buffet aus einer Fülle von Speisen die Mahlzeit selbst zusammenstellen kann. Alles sehr sauber, ordentlich, appetitlich. Ich nehme eine große Bratwurst mit reichlich Krautbeilage, ein Brötchen, einen Beilagensalat und ein großes Glas Orangensaft. An der Kasse bezahle ich 52,50 Hrywnja. Umgerechnet waren das für mich im Mai 2016 1,88 Euro. Ein Spottpreis, wahrhaftig. Wir Touristen sind obendrein stark begünstigt durch den drastischen inflationären Wertverlust der ukrainischen Währung, welcher durch den Krieg im Osten des Landes massiv verstärkt wurde. Zwischen Anfang 2010 und Ende 2015 hat die Hrywnja gegenüber dem Euro deutlich mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren, gegenüber dem Dollar noch erheblich mehr. Heute übrigens, im September 2016, bräuchte ich für den gleichen Betrag beim Essen umgerechnet nur noch 1,75 Euro zu bezahlen. Ob nun 1,88 oder 1,75 Euro, unsereinem fällt das kaum auf. Für viele Ukrainer sieht das indes völlig anders aus. Nach Angaben des Ukrainischen Statistikamtes sind die Preise zwischen 2014 und 2016 um rund 82 Prozent gestiegen. Das monatliche Durchschnittseinkommen lag im Juni 2016 in der Ukraine bei 5.300 Hrywnja. Davon sind für Einkommensteuer und »Kriegsabgabe« knapp 20 Prozent abzuziehen. Bleiben also etwa 3.700 Hrywnja. Da stellt sich der »Spottpreis« von 52,50 Hrywnja schon anders dar. Der gesetzliche Mindestlohn lag im Juni 2016 in der Ukraine bei 1.450 Hrywnja monatlich, das sind derzeit etwa 48 Euro. Unerreichbar für sehr viele Ukrainer also mein »billiges« Essen. Ach, die Ukraine, ein so von der Geschichte geschlagenes, armes und doch kulturell so reiches und vielfältiges Land. Wir waren unterwegs auf den Spuren des alten Galizien – dessen Geschichte geht uns Deutsche auch ein Stück weit an. Gegenwart und Zukunft der Ukraine gehen uns im vereinten Europa noch viel mehr an. Winfrid Halder


Verschiedenes

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Eine Supermacht dankt ab. Das Ende der Sowjetunion vor 25 Jahren Gespräch mit Prof. Dr. Stefan Creuzberger Als Michail Gorbatschow im März 1985 zum Generalsekretär der KPdSU gewählt wurde, steckte die UdSSR in einer kritischen Phase der Stagnation. Der neue Mann an der Spitze sah sich gezwungen, das bis dahin bestehende Sowjetsystem notwendigen Reformen »von oben« zu unterwerfen. Doch weder »Perestrojka« (Umbau) noch »Glasnost« (Transparenz) konnten den Niedergang der Sowjetunion aufhalten. Am 25. Dezember 1991 wurde die Fahne der einstigen Supermacht endgültig über dem Kreml eingeholt. Stefan Creuzberger diskutiert Ursachen und Hintergründe des Zerfalls der einstigen Großmacht.

Mi, 16.11. 19.00 Uhr

Schluck und Jau Komödie von Gerhart Hauptmann

Andreas-Gryphius-Preis Verleihung an Jenny Schon

Zwei Zechkumpane, Schluck und Jau, schlüpfen zur Belustigung einer Hofgesellschaft in die Rollen des Fürsten und seiner Frau. Was als harmloser Scherz beginnt, entwickelt sich zum bitterernsten Spiel. Vor allem Jau, der die Rolle des Fürsten übernimmt, vermag nicht mehr Spiel und Wirklichkeit zu unterscheiden und verwandelt sich in einen mordlüsternen Despoten. Gerhart Hauptmann demonstriert in seiner 1900 uraufgeführten Komödie die Verführbarkeit und Gefährdung des Menschen durch die Macht. Eine Aufführung des Theater-Vereins Kaarst Büchner-Ensemble unter der Leitung von Wilhelm Schiefer

Den diesjährigen großen Literaturpreis der KünstlerGilde Esslingen erhält die Autorin und Herausgeberin Jenny Schon. 1942 in Trautenau/Trutnov im böhmischen Riesengebirge geboren, wurde Jenny Schon mit ihrer Mutter im Juli 1945 vertrieben. Nach Lebensstationen in Brühl und Köln zog sie 1961 nach Berlin, wo sie Sinologie, Japanologie und Publizistik, später auch Philosophie und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin studierte. Das literarische Schaffen von Jenny Schon umfasst vor allem Lyrik, aber auch Romane, Sachbücher und Essays sowie zahlreiche Beiträge in Anthologien. Zu ihren Werken zählen die Gedichtsammlungen Böhmische/Česká Polka (2005), PostelbergKindeskinder – Träume und Trauma (2011), Rheinisches Rondeau (2012), endlich sterblich – de brevitate vitae (2016), die Romane Der Graben (2005) 1967 Wespenzeit (2015) sowie die Sachbücher Emil Schwantner (1996) und Böhmen nicht am Meer – Eine Spurensuche bis heute (2016). Ihre Themen sind der frühe Heimatverlust und das Vertriebenenschicksal in einer fremden und abweisenden Umgebung, aber auch die lange verdrängte und schließlich wiederentdeckte böhmische Herkunft. Jenny Schon hat erfolgreich an Literatur- und Schreibwettbewerben teilgenommen. Sie lebt heute in Berlin, wo sie seit 1999 auch als selbständige Stadtführerin tätig ist.

Fr, 28.10. 19.00 Uhr

Oskar Gottlieb Blarr Verleihung der Ehrendoktorwürde

Mi, 02.11. 18.30 Uhr Do, 03.11. 18.30 Uhr

Feierstunde anlässlich der Verleihung der Doktorwürde honoris causa durch die Uniwersytet Warmińsko-Mazurski w Olsztynie/ Ermländisch-Masurische Universität in Allenstein (Polen) im Gerhart-Hauptmann-Haus. Orgelkonzert in der Neanderkirche, Bolkerstraße 36. Prof. Andrzej Chorosiński spielt Werke von Frédéric Chopin, Karol Szymanowski, Krzysztof Penderecki, Feliks Nowowiejski, Oskar Gottlieb Blarr und Modest Mussorgski

Fr, 18.11. 18.00 Uhr


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Vorträge

Geschichte Danzigs im Überblick Vortrag von Prof. Dr. Winfrid Halder Die Lage an der großen, später nach Danzig benannten Ostseebucht einerseits und im Mündungsgebiet der Weichsel, also eines der bedeutendsten Ströme im östlichen Mitteleuropa überhaupt, andererseits machte die Stadt, deren Ursprünge bis ins 10. Jahrhundert zurückreichen, von vorherein zu einem Knotenpunkt im Ostseeraum. Ihre Geschichte wurde daher geprägt durch vielfältige kulturelle Einflüsse aus dem deutschen, skandinavischen, polnischen und auch russischen Bereich, wie auch durch Machtkämpfe um einen Raum, der zeitweilig zentrale Bedeutung für die Wirtschaft Europas hatte. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde um den Besitz der Stadt gerungen. Danzig ist daher gleichsam ein Spiegel der Geschichte. In dem Vortrag wird die wechselvolle Geschichte dieser Metropole an der Weichsel skizziert.

© wikipedia.com

Sa, 22.10. 14.00 Uhr

Die deutschen Ostvertriebenen und der Lastenausgleich Vortrag von Prof. Dr. Manfred Kittel

Ossip Mandelstam – ein Dichter im Zeitalter der Extreme Vortrag und Lesung mit Natascha Janovskaja

Wie sah die wirtschaftlich-soziale Integration von Flüchtlingen im Fall von Millionen deutscher Heimatvertriebener aus dem Osten nach 1945 aus? Als ein Kernstück des Prozesses gilt in der Bundesrepublik das sogenannte Lastenausgleichsgesetz von 1952. Finanziert vor allem auch aus Abgaben auf das Vermögen der westdeutschen Altbevölkerung verteilte es bis 2002 über 145 Milliarden DM an Kriegsschadenrenten, Hausrat- und sogenannte Hauptentschädigung, Wohnungsbaudarlehen oder Ausbildungshilfen an die vertriebenen Neubürger (aber auch an die einheimischen Bombengeschädigten). Über der schönen großen Erzählung von einer rundum gelungenen Eingliederung, die so gut zur Erfolgsgeschichte der alten Bundesrepublik passte, geriet aber weitgehend in Vergessenheit, wie konfliktträchtig das Thema Lastenausgleich politisch bis in die 1970er Jahre hinein tatsächlich blieb. Die Erinnerungs- und Forschungslücke zu schließen, ist das Ziel einer Studie, an der Manfred Kittel seit letztem Jahr arbeitet. Nachdem die Stoffsammlung zwischenzeitlich fortgeschritten ist, kann er erste Zwischenergebnisse und Arbeitsthesen der Arbeit präsentieren und zur Diskussion stellen.

Seine Werke gehören zur Weltliteratur, für die russische Lyrik war er von prägender Bedeutung. Doch sein Leben verlief eher tragisch und spiegelt die politischen Bruchlinien im östlichen Europa des frühen 20. Jahrhunderts wider. Ossip Mandelstam, vor 125 Jahren im damals russischen Warschau geboren und bei St. Petersburg aufgewachsen, verlor sein Leben im Dezember 1938 als Deportierter in einem Durchgangslager für Zwangsarbeiter bei Wladiwostok. Zweimal hielt sich der Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie für längere Zeit in Westeuropa auf. Er studierte in Paris und Heidelberg und beschäftigte sich intensiv mit den literarischen Größen seiner Zeit. Seiner Mutter schrieb er aus Paris über Leo Tolstoj und Gerhart Hauptmann. »Ich lebe hier sehr einsam Я от жизни смертельно устал, und beschäftige mich mit fast nichts Ничего от нее не приемлю, Но люблю мою бедную землю anderem als Poesie und Musik.« An Оттого, что иной не видал. der St. Petersburger Universität sah er sich den Zugangsrestriktionen Bin vom Leben sterbensmüde, für jüdische Studenten ausgesetzt Nichts mehr nehm ich an von ihm, und konvertierte daher 1911 zum Doch liebe ich mein armes Land – Christentum. Mit seinen jüdischen Hab ein anderes ich nie gekannt. Wurzeln hatte er schon lange geha- Ossip Mandelstam, 1908 dert. Zunächst sympathisierte Mandelstam noch mit der Revolution in Russland, doch bald distanzierte er sich und wurde unter Stalin zum literarischen Kritiker des Systems und seines Führers. Diese Haltung brachte ihm die Deportation nach Sibirien, wo er noch einmal, unterstützt von seiner innig geliebten Frau, eine intensive schöpferische Phase erlebte, bevor ihn ein allzu früher Tod ereilte. Sein Werk überlebte ihn vor allem dank seiner Frau, die die Gedichte auswendig lernte und so für eine spätere Veröffentlichung bewahrte. In ihrem Vortrag schilder Natascha Janovskaja das Leben des Dichters und trägt Gedichte Mandelstams in Deutsch und Russisch vor.

Mo, 07.11. 19.00 Uhr

Mo, 14.11. 19.00 Uhr


Studienreise

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Studienreise in die Slowakei

Kultur und Geschichte im Herzen des Kontinents Europas unbekannte Mitte

Markt und Rathaus von Bardejov

Im Juli 2016 hat die Slowakei die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union übernommen. Es handelt sich um eine Premiere: Seit das Land im Rahmen der EU-Osterweiterung 2004 gemeinsam mit Polen, Ungarn, Slowenien und den drei baltischen Staaten der EU beigetreten ist, übernimmt es erstmals bis zum Jahresende 2016 diese wichtige Funktion. Auch seine Hauptstadt Bratislava (Preßburg) wird damit verstärkte Aufmerksamkeit erhalten. So steht die Slowakei immerhin zeitweilig im Mittelpunkt des (medialen) europäischen Interesses, ein Land, das recht besehen geographisch ohnehin die Mitte des alten Kontinents darstellt.

03.05. bis 10.05.2017

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rotz ihrer zentralen Lage dürfte die Slowakei indes noch immer zu den weniger bekannten Regionen Europas zählen – was allerdings nicht am Mangel an kulturellem und historischem Reichtum liegt. Vielmehr begründet sich dies vor allem in einer Eigenart der slowakischen Geschichte: Sie ist ein junger Staat in Europa. Im Juli 2017 wird die Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit der Slowakei 25 Jahre zurückliegen. Als diese zum 1. Januar 1993 wirksam wurde, begann zum ersten Mal überhaupt die Existenz eines wirklich souveränen slowakischen Staates. In den Jahrhunderten zuvor war die heutige Slowakei durchweg Teil größerer Staatsgebilde und ihre Bevölkerung war stets gemischt aus unterschiedlichen Nationen: Slowaken, Ungarn, Tschechen, Deutsche, Polen, Ruthenen (Ukrainer) und Roma lebten in ihr mit- und nebeneinander und bescherten der Slowakei ein dementsprechend vielfältiges kulturelles und historisches Gepräge. Dieses ist heute noch vielfach sichtbar, wenngleich das gewaltsame 20. Jahrhundert die ethnische Vielfalt der Slowakei zwar nicht völlig beseitigt, aber stark geschmälert hat.


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ald nachdem die Geschichte des heute slowakischen Raumes im frühen Mittelalter überhaupt erst in der Gegenwart noch nachvollziehbare Konturen zu gewinnen begann, kam das Land im 10. Jahrhundert unter die Herrschaft der Könige von Ungarn, die allerdings mit den polnischen Piasten und den böhmischen Przemysliden konkurrierten. Die Befestigung der ungarischen Herrschaft gelang König Stephan I. (969–1038). Daher setzte sich die Bezeichnung des Landes als »Oberungarn« durch. Als im 13. Jahrhundert in den slowakischen Westkarpaten Silber- und andere Erzvorkommen entdeckt wurden, wurde die Region zeitweilig zu einer der reichsten in Europa und zog nicht zuletzt zuwandernde deutsche Berg- und Kaufleute an. Von diesen getragene Stadtgründungen bzw. -erweiterungen prägen die Slowakei bis heute mit, insbesondere in der früheren Grafschaft Zips im Norden des Landes. Der gewaltige St. Elisabeth-Dom in Košice (Kaschau) ist bis heute nicht allein die größte Kirche der Slowakei, sondern er stellt zugleich die östlichste hochgotische Kathedrale Europas dar. Er zeugt von der kulturellen Verbundenheit mit dem abendländisch-westeuropäischen Kulturkreis – errichtet wurde der Bau seit 1378, zeitweilig folgten seine Erbauer dem Vorbild des nicht minder imposanten Domes St. Viktor in Xanten.

Nachdem im Jahre 1526 der ungarische König Ludwig II. (1506– 1526) im Kampf gegen das expandierende Osmanische Reich in der Schlacht bei Mohács umgekommen war, fiel nach langwierigen Erbstreitigkeiten der verbliebene Teil des Königreichs Ungarn an die Habsburger. Da ie kulturellen und andere Gebiete des Königreichs historischen einstweilen von den Osmanen Verbindungslinien zwibeherrscht wurden, erhielt schen deutscher Preßburg den Rang der ungarischen Haupt- und Krönungsund slowakischer stadt. Die Stadt, deren UrsprünGeschichte sind enger ge bis in die römische Antike als es auf den ersten zurückreichen, wurde damit bis Blick erscheinen mag. zum Zerfall des Habsburgerreiches 1918 eine der Metropolen der österreichisch-ungarischen Monarchie, ein kultureller und politischer Brennpunkt von großer Vielfalt. Noch heute sind Wien und Preßburg/Bratislava die am nächsten benachbarten Hauptstädte Europas. Seit Anfang 1914 bestand zwischen beiden Städten eine Art »Straßenbahn«, jedenfalls eine der ersten elektrifizierten Bahnverbindungen der Donaumonarchie; in gut zwei Stunden konnte man (bis 1935) vom Wiener Hauptzollamt bis in die Preßburger Altstadt fahren (etwa 60 Kilometer).

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rst im 19. Jahrhundert begannen sich die Slowaken als eigenständige Nation zu verstehen, allerdings vorerst ohne dieses Selbstverständnis angesichts der straffen Dominanz der ungarischen Sprache und Kultur in diesem Teil der Habsburgermonarchie wirklich entfalten zu können. Nach dem Ersten Weltkrieg bildeten Tschechen und Slowaken einen gemeinsamen Staat; die Autonomierechte der Slowaken blieben allerdings begrenzt. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei durch den NS-Staat 1938/39 bescherte der Slowakei eine Schein-Unabhängigkeit; faktisch war sie ein Vasallenstaat Hitlers und seiner Helfer. Die Wiedergründung der Tschechoslowakei im Machtbereich der Sowjetunion 1945 brachte wiederum nur sehr eingeschränkte Eigenständigkeit für den slowakischen Teil

Vorgesehenes Programm 1. Tag: Mittwoch, 3. Mai Flug von Düsseldorf nach Wien (Abflug 13.15 Uhr, Ankunft 14.45 Uhr). Treffen mit der slowakischen Reiseleitung am Flughafen Wien. Busfahrt nach Bratislava. Stadtrundfahrt mit Außenbesichtigung der Burg, die das Wahrzeichen Bratislavas ist. Heute dient die Burganlage als Museum und Repräsentationsgebäude. Anschließend Hotelbezug, danach kleiner Rundgang durch die historische Innenstadt. Abendessen und Übernachtung in Bratislava. 2. Tag: Donnerstag, 4. Mai Frühstück im Hotel. Stadtrundgang durch Bratislava auf dem Krönungsweg der ungarischen Könige (Rathaus, Dom St. Martin, Jesuitenkolleg). Anschließend Fahrt nach Banská Bystrica/Neusohl. Unterwegs Rundgang in Nitra/Neutra, der ältesten slowakischen Stadt (Altstadt, Burg). Hotelbezug in Banská Bystrica. Anschließend Rundgang durch die Bergstadt am Fuße der Niederen Tatra (u.a. kulturgeschichtlich bedeutsame Marienkirche). Abendessen und Übernachtung in Banská Bystrica/Neusohl. 3. Tag: Freitag, 5. Mai Frühstück im Hotel. Tagesausflug auf der Route der bedeutendsten mittelalterlichen Bergbaustädte. Erste Station ist Banská Štiavnica/Schemnitz, die älteste Bergstadt der Slowakei; sie wurde komplett unter UNESCOSchutz gestellt (Kalvarienberg, Altes und Neues Schloß). Weiterfahrt ins »goldene« Kremnica/Kremnitz. Das ruhige Stadtidyll lässt nicht vermuten, dass hier einstmals das »Zentrum des monetären Mittelalters« war, wo die weithin begehrtesten Zahlungsmittel (z. B. die Kremnitzer Dukaten) geprägt wurden. Viel von der architektonischen Pracht hat überlebt und erstrahlt heute in neuem Glanz. Stadtrundgang (u.a. Katharinenkirche). Abendessen und Übernachtung in Banská Bystrica/ Neusohl. 4. Tag: Samstag, 6. Mai Frühstück im Hotel. Die Fahrt führt zunächst durch die herrliche Landschaft der Niederen Tatra Richtung Rožňava/Rosenau. Besichtigung der Burg in Krásna Hôrka. Besuch des Herrenhauses von Betliar/Betler. Nach der Ankunft in Košice/Kaschau Stadtrundgang mit Besuch der St. Elisabeth-Kathedrale. Abendessen und Übernachtung in Košice.

Burg von Bratislava

Niedere Tatra

Dreifaltigkeitsplatz in Schemnitz

Kaschau


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des Staates, der bald zur kommunistischen »Volksdemokratie« umgeformt wurde. Immerhin wurde mit Alexander Dubček (1921–1992), der 1963 an die Spitze der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei trat, ein Slowake zu schlechterdings der Leitfigur des dann rasch gewaltsam beendeten »Prager Frühlings« 1968. Auch die Slowakei blieb somit im Satellitensystem Moskaus.

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rst mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges schlug 1992/93 die Stunde der ersten wirklichen Eigenständigkeit eines slowakischen Staates. Bemerkenswert bleibt, dass Tschechen und Slowaken ihren gemeinsamen Staat zwar nicht völlig spannungsfrei, aber insgesamt doch einvernehmlich und vor allem gewaltlos aufteilten. Schon bald nach der Gründung der Slowakei als Staat begannen die Verhandlungen um ihre Aufnahme in die Gemeinschaft der europäischen Staaten, die 2004 verwirklicht wurde. Die Slowakei ist seit Ende 2007 Mitglied des Schengen-Raums, seit dem 1. Januar 2009 gehört sie zur Eurozone. Ihre derzeit rund 5,4 Millionen Einwohner repräsentieren etwa 1,1 Prozent der EUGesamtbevölkerung.

5. Tag: Sonntag, 7. Mai Frühstück im Hotel. Erste Station des Tages ist die griechisch-katholische Lukaskirche in Tročany, ein typisches Beispiel ostslowakischen Kirchenbaus. Besuch des Kurortes Bardejov/Bartfeld, das »Karlsbad des Ostens« am Fuße der Ostbeskiden. Der mittelalterliche Ortskern gilt heute als der besterhaltene der Slowakei. Höhepunkt des Tages ist dann der Besuch der Zipser Burg. Diese Burg aus dem 12. Jh. zählt zu den größten Adelsburgen Europas. Weiterfahrt nach Levoča/Leutschau. Stadtrundgang (bedeutendes Renaissance-Rathaus; höchster gotischer Altar der Welt in der Jakobskirche). Abendessen und Übernachtung in der Hohen Tatra, in Spišská Nová Ves/Neuendorf. 6. Tag: Montag, 8. Mai Frühstück im Hotel. Stadtrundgang in Kežmarok/Käsmark (u.a. evangelische Holzkirche). Dann Fahrt in den PieninyNationalpark. Besuch des Roten Klosters (Červený Kláštor), direkt an der Dunajec und an der Grenze zu Polen gelegen (heute Museum). Möglichkeit einer Floßfahrt auf der Dunajec (wetterabhängig; ca. 10 € pro Person). Weiter geht es nach Ždiar, ein Dorf der polnischen Minderheit (Goralen) mit einzigartiger Holzarchitektur. Abendessen in einer typischen slowakischen Koliba mit Zigeunermusik und Wein. Übernachtung in Spišská Nová Ves/Neuendorf.

Die kulturellen und historischen Verbindungslinien zwischen deutscher und slowakischer Geschichte sind enger als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Bis zu Flucht und Vertreibung 1944/45 lebte in der Slowakei eine beträchtliche Zahl von Deutschen; insbesondere die Städte der Zips und die Hauptstadt Preßburg waren noch immer ihre Zentren. 1890 waren fast 60 Prozent der Preßburger Deutsche, knapp 20 Prozent Ungarn und nur etwa 16 Prozent Slowaken. Erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schwand das Übergewicht der Deutschen in der Stadt. Die Deutschen in der späteren Slowakei haben eine ganze Reihe bedeutender Persönlichkeiten hervorgebracht, etwa den Komponisten Johann Nepomuk Hummel (1778–1837), der mit Ludwig van Beethoven befreundet war. Der in Ružomberok (Rosenberg) geborene Leo Kestenberg (1882–1962) wurde einer der bedeutendsten Kulturpolitiker der Weimarer Republik. Der Sozialdemokrat Kestenberg, selbst ein Musiker von hohem Rang, war seit 1920 im preußischen Kultusministerium unter Ministerpräsident Otto Braun tätig. Kestenberg gilt bis heute als einer der wichtigsten Wegbereiter eines zeitgemäßen Musikunterrichts an Schulen; zudem verhalf er der musikalischen Moderne zum Durchbruch an den Berliner Staatstheatern. Die von Kestenberg mitverantwortete Berufung des in Breslau geborenen Dirigenten Otto Klemperer (1885–1973) an die Krolloper (1927) zählt zu den Meilensteinen der deutschen Musikgeschichte im 20. Jahrhundert. Aus dem gleichen Ort wie Kestenberg stammte übrigens der berühmte Schauspieler Peter Lorre (1904–1964).

7. Tag: Dienstag, 9. Mai Frühstück im Hotel. Über Liptovský Mikuláš/Liptau-St. Nikolaus geht es nach Ružomberok/Rosenberg, hier evtl. Besichtigung des Dorfes Vlkolínec, eine außergewöhnliche, unberührte Siedlung mit 40 originalen, bewohnten Holzhäusern. Dann Weiterfahrt ins Waagtal nach Piešťany/Pistian (Bäderinsel mit prachtvollen Jugendstil-Kurhotels). Weiterfahrt nach Trnava/ Tyrnau. Diese Stadt war lange Jahre das geistige Zentrum Oberungarns, viele Kirchtürme zieren das Stadtbild, so dass sie auch als das »slowakische Rom« bezeichnet wird. Fahrt durch Weinbauorte in den Kleinen Karpaten (mit Weinverkostung). Abschiedsabendessen in einem typischen Preßburger Restaurant. Übernachtung in Bratislava.

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8. Tag: Mittwoch, 10. Mai Frühstück im Hotel. Freie Zeit in Bratislava. Gegen Mittag Transfer zum Flughafen Wien (geplanter Abflug 15.25 Uhr, Ankunft 16.55 Uhr).

iele andere und vieles mehr wäre zu nennen – das soll der Reise bzw. deren Vorbereitung vorbehalten bleiben. Die Reise knüpft an die Studienreisen der Jahre 2015 und 2016 an, die sich mit den benachbarten Regionen Galizien und Siebenbürgen beschäftigt haben. Sie nimmt also wieder Teile der Geschichte der Habsburgermonarchie und die kulturelle Symbiose deutscher und slawischer Bevölkerungsteile in Ostmitteleuropa in den Blick. Und: Auch für diejenigen, die in den vergangenen Jahren nicht mitreisen konnten, führt sie ganz einfach in eine der schönsten und (kultur-)geschichtlich reizvollsten Regionen Europas, hinein in dessen unbekanntes Herz. Winfrid Halder

Preis für die Reise: 1099,00 € pro Person mit Halbpension und Unterbringung im Doppelzimmer. Einzelzimmerzuschlag: 170,00 €. Weitere Information und Anmeldung: Stiftung Gerhart-HauptmannHaus, Matthias Lask, 0211-1699118, lask@g-h-h.de, Anmeldefrist: 31.01.2017

Lukaskirche Tročany

Holzkirche in Käsmark

Schloss Betliar

Kirche von St. Ladislaus in Nitra

Rathaus und Dom von Levoca


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Tagesexkursion

Venlo – Besuch bei den niederländischen Nachbarn

Exkursion & Erinnerungen

Erinnerungen Maxim Gorki und Gerhart Hauptmann

70 Jahre Nordrhein-Westfalen

Der Besuch in »Holland« mit günstigem Einkauf von Kaffee und Zigaretten gehörte seit den 1950er Jahren zum oft und gern gepflegten Ritual der Nordrhein-Westfalen. Lange Schlangen am Grenzübergang nach Venlo und vor den Zapfsäulen der niederländischen Tankstellen prägten jahrzehntelang unser Bild vom Besuch bei dem Nachbarn im Westen. Erst die Reisefreiheit im Rahmen der europäischen Einigung machte den direkten Weg nach Venlo frei. Was aber wissen wir eigentlich wirklich über das hübsche Städtchen an der Maas? Ein Ausflug in die kleine Metropole der Provinz Limburg dient der Erkundung der deutsch-niederländischen Nachbarschaft. Mit einer Stadtführung und einem Besuch im Limburgischen Museum nähern wir uns dem Königreich im Westen. S.G.

Do, 10.11. 9.40 bis 18.00 Uhr

Teilnahmekosten 35,00 €, plus Fahrkosten (ca. 10,00 €) Anmeldeschluss: 07.11.2016; Treffpunkt: Hauptbahnhof »Servicepoint«, 9.40 Uhr (pünktlich) Abfahrt 9.49 Uhr; Fahrkosten werden vor Fahrtbeginn auf die Teilnehmer umgelegt (Gruppenticket Schöner-Tag-NRW/Zusatzticket VRR) Anmeldung über die VHS Düsseldorf, Info unter 0211-899-4150 http://www.duesseldorf.de/vhs/service/an_und_abmeldung.shtml In Kooperation mit: VHS Düsseldorf

V

or 70 Jahren starb in seiner schlesischen Heimat der Dichter und Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann. Erinnern möchten wir heute an ihn und den russischen Dichter Maxim Gorki, der vor 80 Jahren in Moskau starb. Bewegt nahm Hauptmann die Nachricht von Gorkis Tod auf und bedauerte, dass es nie zu einer persönlichen »näheren Berührung von Mensch zu Mensch« gekommen sei. Dabei war das Verhältnis von Gerhart Hauptmann und Maxim Gorki von gegenseitiger Hochachtung geprägt. Bereits 1905, als der russische Dichter in der Peter-Pauls-Festung eingekerkert war, setzte sich sein deutscher Kollege für die Freilassung ein. In einem Geburtstagsgruß an Hauptmann schreibt Gorki 1913: »dass ihr empfindendes und tiefes Talent den Menschen viel Gutes gegeben hat, ihren Geist und ihr Herz mit bezaubernder Schönheit bereichert«. In den Jahren des Ersten Weltkrieges trat eine gewisse Entfremdung ein, doch im Sommer 1921 kam es zu neuen Kontakten im Zeichen der Humanität. Mit der Oktoberrevolution von 1917 hatte die Sowjetmacht vom Zarismus ein rückständiges und verarmtes Land übernommen. Durch große Missernten im Wolgagebiet, Georgien und Armenien brach eine furchtbare Hungersnot aus, tausende Menschen starben auf der Flucht aus ihren verödeten Dörfern. Appelle gingen in die Welt hinaus und damals wandte sich auch Gorki direkt an Hauptmann. Hans von Hülsen, Hauptmanns Freund, der ihm den französischen Text des Appells übersetzte, erzählt, wie Hauptmann erschüttert ausgerufen habe: »Bedenken Sie doch nur, was das heißt: Russland hungert! … Es ist entsetzlich … Wo die Menschlichkeit angerufen wird, hat die politische Sympathie und Antipathie zu verstummen.«

Rathaus von Venlo

Limburgs Museum

Foto Maxim Gorki: Museum Villa »Irmgard«, Heringsdorfs; Foto Gerhart Hauptmann: Jäschke/Görlitz (Sammlung Hüther)

A

m 25. Juli 1921 antwortet Hauptmann auf den Appell Gorkis mit den Worten: »Vielleicht trägt der übergrelle Strahl Ihres Notrufs dazu bei, das wiederum aus der blutgetränkten armen Erde hervorzulocken… Die ganze zivilisierte Welt hat Ihren erschütternden Ruf nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen gehört.« Persönlich bittet er den Außenminister Rathenau um eine »große, warme, von Menschenliebe getragene Aktion von ›Volk zu Volk‹« und unterstützt tatkräftig das Auslaufen eines Sanitätsschiffes mit Ärzten, Sanitätern und Medikamenten in die Sowjetunion. Für die Broschüre »Rußland und die Welt«, in der der norwegische Polarforscher und Nobelpreisträger Fridtjof Nansen von Fahrten durch die Hungergebiete berichtete, schreibt Hauptmann das Geleitwort. Der Erlös dieser Broschüre kommt den Hilfsaktionen zugute (Mai 1922). In einer »Geburtstagsfestschrift« erklärte Gorki 1922, dass er für Hauptmann die größte Verehrung empfunden habe und seine Bedeutung für das russische Kulturleben sehr groß sei. Er habe besonders den »Fuhrmann Henschel« liebgewonnen, dessen »mächtiger Schattenriss« ihn nachhaltig beeindruckt habe. Hauptmann sah in Gorkis »Nachtasyl« und in der »Mutter« die künstlerisch vorweggenommene Revolution. Durch das gemeinsame, humanistische Wirken von Maxim Gorki, Gerhart Hauptmann und auch Fridtjof Nansen gelang es damals, die Weltöffentlichkeit zu mobilisieren. Schade, dass es für unser »Heute« keine vergleichbaren Hoffnungen gibt Konrad Hüther


Bibliothek

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Bibliothek

50 Jahre Bibliothek im Gerhart-Hauptmann-Haus Wir laden ein!

Eine junge Frau forscht nach ihren Urgroßeltern, die in der Nähe von Königsberg gelebt haben. Ein Doktorand sucht alles über die Verstrickungen des rumänischen Geheimdienstes in den Freikauf von Rumäniendeutschen durch die Bundesregierung. Ein älterer Herr möchte nach Schlesien fahren und kopiert eine Straßenkarte. Eine Schülergruppe sammelt Materialien für eine Hausarbeit über die deutsch-polnischen Beziehungen während der 1970er Jahre. Eine ältere Dame braucht noch unbedingt eine Reiselektüre und nimmt den neuen Roman von Ljudmila Ulickaja mit.

Mi, 26.10. 16.00 Uhr

S

o unterschiedlich können die Anfragen der Leserinnen und Leser sein, die in der Bibliothek des Gerhart-HauptmannHauses beantwortet werden – und das seit einem halben Jahrhundert.Kaum zu glauben: die Bibliothek feiert im Herbst diesen Jahres ihr fünfzigjähriges Bestehen. Am 26. Oktober 1966 wurde die Bibliothek feierlich eröffnet. Bereits drei Jahre zuvor hatte der erste Leiter der Bibliothek, Richard Günzel, mit dem Aufbau des Bestandes begonnen. Dieser umfasste in den ersten Jahren rund 17.500 Medieneinheiten und konnte problemlos in den zwei Räumen der Bibliothek auf der zweiten Etage des Gerhart-Hauptmann-Hauses untergebracht werden. Unter der Leitung von Barbara Hofmann (1970–1994), Beate Runge (1995– 2005) und Margarete Polok (seit 2006) wuchs der Bestand auf nunmehr ca. 90.000 Medieneinheiten. Mittlerweile verfügt die Bibliothek über fünf weitere Magazinräume für Bücher und Zeitschriften.

M

it diesem Bestand zählt die Bücherei heute zu den wichtigen Bibliotheken in Deutschland, die Literatur über die historischen deutschen Ost- und Siedlungsgebiete in Ostund Südosteuropa, aber auch über Ostmittel- und Osteuropa allgemein sammeln. Wer beispielsweise etwas über Schlesien, Ostpreußen, Böhmen, Mähren, das Banat oder Siebenbürgen, über Tschechien, Polen oder Russland wissen möchte, wird garantiert fündig. In der Sammlung gibt es neben Büchern über Geschichte, Kunst, Kultur, Literatur und Geografie dieser Regionen auch Landkarten, Stadtpläne, Zeitungen und Zeitschriften und eine große Belletristiksammlung deutsch- und fremdsprachiger Autoren aus dem östlichen Europa; viele davon auch in Originalsprachen wie Russisch oder Polnisch. In den vergangenen Jahren wurden alle Bestände der Bibliothek in einem elektronischen Katalog erfasst und können nun auch weltweit recherchiert und entliehen werden. Seit 50 Jahren steht die Bibliothek allen, die mehr über das östliche Europa erfahren, die unsere Nachbarn im Osten näher kennenlernen oder die nach ihren familiären Wurzeln in diesen Regionen forschen wollen, offen. Gerne möchten wir dieses Jubiläum feiern und laden Sie am 26. Oktober um 16.00 Uhr zu einem kleinen Umtrunk ein. Bei Kaffee und Kuchen gibt es Geschichten und Anekdoten rund um die Bibliothek. Wir bitten um Anmeldung bis zum 20. Oktober bei: Margarete Polok, 0211-1699129, polok@g-h-h.de

Das Bibliotheksteam: Margarete Polok, Anne Geppert, Dina Horn (v.l.n.r.)

Streckbrief der Bibliothek

pp Wissenschaftliche Spezialbibliothek pp Ca. 90.000 Medieneinheiten pp 110 laufende Periodika pp Online-Katalog: http://onbib.de/cgi-bin/ghh.pl pp Öffnungszeiten:

Mo -Mi 10.00 – 12.30 Uhr • 13.30 – 17.00 Uhr Do 10.00 – 12.30 Uhr • 13.30 – 18.30 Uhr pp Die Anmeldung und Nutzung der Bibliothek sind kostenlos Literatur über folgende Gebiete: pp Historische deutsche Ostgebiete: Schlesien, Ost- und Westpreußen, Danzig, Pommern, das Posener Land und Ostbrandenburg pp Siedlungsgebiete der Deutschen im gesamten Raum Ost- und Südosteuropa: Böhmen, Mähren, Donaugebiet, Polen, Baltikum, Russland pp Historische mitteldeutsche Länder: Thüringen, Mecklenburg, Sachsen, Anhalt, Brandenburg, Berlin pp DDR Thematische Schwerpunkte pp Geschichte pp Historische Landeskunde pp Kunst- und Kulturgeschichte pp Kirchen- und Religionsgeschichte pp Geografie pp Völkerkunde pp Literaturwissenschaften pp Deutschland und seine Beziehungen zu den östlichen Nachbarn pp Migration und Minderheitenforschung pp Belletristik


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Bibliothek

Bibliothek

Unsere Neuzugänge im 3. Quartal 2016 Eine Einladung zum Lesen, Entdecken, Schmökern Die Deutschen in der Kaukasusregion

Das Tor zur Freiheit

Infolge einer großen Natur- und Hungerskatastrophe wanderten erstmals 1816/1817 schwäbische Siedler aus Württemberg in den Südkaukasus aus. Ebenfalls seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Nordkaukasus von deutschen Kolonisten besiedelt. Diese stammen hauptsächlich aus dem Wolgaund Schwarzmeergebiet sowie aus Bessarabien. Nina Paulsen beschreibt in ihrem Buch die deutschen Siedlungen im Kaukasusgebiet, von ihrer Entstehung über die Blüte bis zu ihrer Auslöschung 1941, als auf Stalins Befehl die deutsche Bevölkerung den Kaukasus Richtung Kasachstan verlassen musste, und würdigt die wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen der Deutschen in Russland.

Wie konnte sich das Flüchtlingslager Friedland innerhalb weniger Jahre von einem Provisorium unter vielen zu einem bundesweit bekannten und symbolisch hochgradig aufgeladenen »Tor zur Freiheit« entwickeln? Sascha Schießl beschreibt die Geschichte Friedlands von seinen Anfängen in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1970 und zeigt, wie Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsheimkehrer und Aussiedler in Friedland aufgenommen wurden und welche Bedeutungen mit ihrer Ankunft in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft verbunden waren.

Nina Paulsen: Die Deutschen in der Kaukasusregion. Wien, 2016.

Sascha Schießl: »Das Tor zur Freiheit«. Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945–1970). Göttingen, 2016.

Sarmatien in Berlin

Böhmisches Bäderdreieck

Sarmatien ist der antike Name für die weite Landschaft zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, zwischen Weichsel und Wolga. Kein anderer deutscher Autor des 20. Jahrhunderts ist so eng mit diesem Namen verbunden wie Johannes Bobrowski (1917–1965). Bobrowski, in Tilsit geboren, in Königsberg aufgewachsen, machte die Geschichte dieser Landschaft zu seinem Thema. Sein erster Gedichtband trägt den Titel »Sarmatische Zeit«. Die Anthologie »Sarmatien in Berlin« stellt nun literarische Reaktionen auf das Leben und das Werk Johannes Bobrowskis vor. Sie versammelt Gedichte und Prosastücke von bekannten Autoren, die mit Johannes Bobrowski befreundet waren, ihn verehrten oder ihm erst in einem großen zeitlichen Abstand lesend begegneten – darunter Sarah Kirsch, Lew Kopelew, Heiner Müller, Stephan Hermlin, Reiner Kunze, Herta Müller, Durs Grünbein, Ingo Schulze und Günter de Bruyn.

Die westböhmischen Bäder Karlsbad, Marienbad und Franzensbad waren durch alle Epochen beliebte Anziehungspunkte für Schriftsteller und andere Persönlichkeiten aus Kunst und Politik. Dies spiegelt sich in einer Fülle literarischer Texte, die sie hinterlassen haben. Die Spaziergänge durch die berühmten Kurorte führen auf die Spuren von Autoren wie Goethe und Kafka, aber auch von weniger bekannten Namen wie Marie von Ebner-Eschenbach oder Louis Fürnberg. Zitate wichtiger Vertreter der tschechischen Literatur wie Božena Němcová, Jan Neruda oder Karel Čapek zeigen wiederum einen ganz eigenen Blick auf die Bäder, die nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil verfielen, zum Teil neue künstlerische Treffpunkte wurden. Das Buch lädt zu einer Entdeckungsreise in die reizvolle Kurregion ein.

Andreas Degen (Hrsg.): Sarmatien in Berlin. Autoren an, über und gegen Johannes Bobrowski. Berlin, 2015.

Roswitha Schieb: Literarischer Reiseführer Böhmisches Bäderdreieck. Karlsbad, Marienbad, Franzensbad. Potsdam, 2016.

Czernowitz – Stadt der Dichter

Der Wassermann an der Hotzenplotz

Das von Amy Colin herausgegebene Werk widmet sich dem Leben der 1921 in Czernowitz geborenen und 2008 in Düsseldorf verstorbenen Schauspielerin, Rezitatorin, und Sängerin Edith Silbermann. In einem autobiographischen Fragment schildert Edith Silbermann selbst ihre bewegte Familiengeschichte sowie ihre Jugendjahre in Czernowitz vor und während des Zweiten Weltkrieges. Sie zeichnet ein plastisches Bild einer versunkenen Kulturwelt, die Paul Celan, Rose Ausländer, Edgar Hilsenrath und viele andere deutschsprachige, aber auch jiddische, rumänische und ukrainische Autoren hervorbrachte und mit denen Edith Silbermann teilweise persönlich bekannt war.

Im südwestlichen Oberschlesien, begrenzt von Oder und Schelitzer Heide im Norden sowie den Höhenzügen des Gesenkes im Süden, liegt am Flüßchen Hotzenplotz eine besondere ländliche Region: das »Oberglogauer Land«. Kulturell handelt es sich um eine ausgesprochene Grenzregion. Deutsche, polnische und tschechisch-mährische Einflüsse treffen hier aufeinander. Damit haben Geschichte und Kultur dieser Region eine europäische Dimension. In dem Buch werden die Geschichten und Sagen, die Volkslieder und -tänze sowie das Brauchtum aus Oberglogau, Zülz und Krappitz sowie den umliegenden Dörfern umfassend dokumentiert

Amy-Diana Colin (Hrsg.): Czernowitz – Stadt der Dichter. Geschichte einer jüdischen Familie aus der Bukowina (1900–1948). Fink, 2015.

Ralph Michael Wrobel: Der Wassermann an der Hotzenplotz. Sage und Brauch im Oberglogauer Land. Görlitz, 2005.


Tagungen

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Kultur und Kulinarisches Weihnachtsmarkt Am zweiten Advent Wie jedes Jahr findet am zweiten Advent von 10.00 bis 16.00 Uhr im Gerhart-HauptmannHaus unser traditioneller Weihnachtsmarkt statt. Wir laden Sie dazu recht herzlich in die Bismarckstraße 90 ein. Es erwarten Sie Kunsthandwerk, traditionelle Handarbeiten, ein antiquarischer Büchermarkt und kulinarische Spezialitäten sowie ein musikalisches und tänzerisches Bühnenprogramm.

So, 04.12. 10.00 bis 16.00 Uhr

Legendär und lecker: Die »Liegnitzer Bombe«

Haus Schlesien lädt ein

Begegnungs- und Informationstagung

Fachtagung zum Umgang mit der Entwurzelung

Beratung der Betreiber Ostdeutscher Heimatsammlungen

Flucht und Heimatverlust

Flucht und Vertreibung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit. Weltweit sind heute mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Die erzwungene Entwurzelung ist für viele Flüchtlinge und Vertriebene eine seelische Wunde, die nie gänzlich verheilt.

Sa, 19.11. 10.00 bis 18.00 Uhr

Diese Entwurzelung und ihre Folgen sind das Thema einer eintägigen Tagung im HAUS SCHLESIEN. Wie gehen Menschen mit dem Heimatverlust um? Welche Spuren hinterlässt ein solcher Bruch bei der Erlebnisgeneration, welche bei ihren Nachkommen? Vor 70 Jahren wurden rund 12 Millionen Menschen aus ihrer Heimat im Osten Deutschlands vertrieben, mehr als eine Millionen Polen mussten Haus und Hof in Ostpolen verlassen. Etwa vier Millionen Menschen flohen in den 40 Jahren ihres Bestehens aus der DDR, Hunderttausende aus den kommunistischen Staaten in Osteuropa. Heute kommen täglich Tausende aus den Krisenregionen in Afrika und Asien nach Europa auf der Flucht vor Krieg und Terror in ihrer Heimat. Die einzelnen Referate greifen diese Themen auf, gehen auf Erfahrungen und Probleme der Flüchtlinge und Vertriebenen ein, auf die Traumata und Ängste, die sie begleiten, und darauf, wie sie selbst, aber auch ihr Umfeld damit umgegangen sind und umgehen.

Wege der Erhaltung und Vermittlung wertvollen Kulturgutes

Mi 09.11. bis Do 10.11.

Wie bereits eine gleichartige Veranstaltung im Juni 2016 ergab, besteht bei den Betreibern der zahlreichen Heimatsammlungen und Heimatstuben aus allen ehemals ostdeutschen Regionen, welche heute vorhanden sind, vielfältiger Beratungsbedarf.

Die Sammlungen entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg und wurden von Flüchtlingen, Vertriebenen und Aussiedlern mit viel ehrenamtlichem Engagement aufgebaut und betreut. Nicht wenige der Sammlungen sind heute jedoch in ihrer Existenz bedroht. Es gilt, sie nachhaltig zu sichern. Am 9. und 10. November wird daher erneut eine Tagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und HAUS SCHLESIEN für die Betreiber der Sammlungen in Königswinter-Heisterbacherrott stattfinden. Aus der praktischen Erfahrung heraus werden Experten neue Einzelthemen behandeln, doch soll auch wiederum Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch der Mitarbeiter der Sammlungen geboten werden. Tagungsprogramm und nähere Informationen: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen/Elke Wilming, Kaiserstr. 113, Bonn, 0228/ 91512-0, kulturstiftung@t-online.de.

Tagungsprogramm und nähere Informationen: www.hausschlesien.de, kultur@hausschlesien.de, 02244-886-231 Tagungspausschale: 40,- € pro Teilnehmer, inklusive Mahlzeiten, Kaffeepausen und Programm. Anmeldeschluss: 31.10.2016 Veranstaltungsort: Haus Schlesien, Dollendorfer Str. 412, Königswinter


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Chronologie

Oktober bis Dezember 2016

Chronologie

Veranstaltungen im Gerhart-Hauptmann-Haus Mi jeweils 18.00 bis 20.30 Uhr

Mi, 02.11. - 19.00 Uhr

Mi 05.10., 02.11., 07.12. jeweils 15.00 Uhr

Mi, 02.11. – 18.30 Uhr

Probe der Düsseldorfer Chorgemeinschaft OstpreußenWestpreußen-Sudetenland Leitung: Radostina Hristova

Ostdeutsche Stickerei mit Helga Lehmann und Christel Knackstädt Raum 311 Do 06.10., 17.11., 01.12., 08.12. jeweils 19.00 Uhr

Offenes Singen mit Marion Abshof de Cals Raum 412

Vítejte v KLDR/Welcome to North Korea Film Konferenzraum Feierstunde zu Ehren von Prof. Oskar Gottlieb Blarr Eichendorff-Saal Do, 03.11. – 18.30 Uhr

Konzert zu Ehren von Prof. Oskar Gottlieb Blarr Veranstaltungsort: Neanderkirche, Bolkerstraße 36, Düsseldorf Do, 03.11. – 19.00 Uhr

Mi, 05.10. – 15.00 Uhr

Die Mörder sind unter uns Film Eichendorff-Saal

Kinder von NS-ZwangsarbeiterInnen Vortrag von Dr. Regina Plaßwilm Konferenzraum

Mi, 05.10. – 19.00 Uhr

Die Ukraine - literarisch Lesung und Gespräch mit Dr. Michael Zeller Konferenzraum Do, 06.10. – 19.00 Uhr

Im Totaleinsatz. Zwangsarbeit der tschechischen Bevölkerung für das Dritte Reich Ausstellungseröffnung Ausstellungsraum Mi, 12.10. – 19.00 Uhr

Olga Film Konferenzraum

Sa, 22.10. – 14.00 Uhr

Geschichte Danzigs im Überblick Vortrag von Prof. Dr. Winfrid Halder Raum 312 Mi, 26.10. – 16.00 Uhr

50 Jahre Bibliothek der Stiftung Gerhart-HauptmannHaus Bibliothek Fr, 28.10. – 19.00 Uhr

Schluck und Jau. Komödie von Gerhart Hauptmann Theateraufführung Eichendorff-Saal

Mo, 14.11. – 19.00 Uhr

Ossip Mandelstam – ein Dichter im Zeitalter der Extreme Vortrag von Natascha Janovskaja Konferenzraum Di, 15.11. – 19.00 Uhr

Gegen die Angst – Literatur in Europa heute Gespräch mit Olga Tokarczuk Ausstellungsraum Mi, 16.11. – 19.00 Uhr

Das Ende der Sowjetunion vor 25 Jahren Gespräch mit Prof. Dr. Stefan Creuzberger Raum 412 Fr, 18.11. – 18.00 Uhr

Andreas-Gryphius-Preis Preisverleihung Sa, 19.11. – 10.00 bis 18.00 Uhr

Sa, 05.11. – 15.00 Uhr

Deutschbaltischer Kulturtag 2016 Musikalische Impressionen mit Vladimir Mogilevsky (Klavier) Konferenzraum

Flucht und Heimatverlust Tagung Veranstaltungsort: Haus Schlesien, Dollendorfer Str. 412, Königswinter Mo, 21.11. – 19.00 Uhr

Die deutschen Ostvertriebenen und der Lastenausgleich Vortrag von Prof. Dr. Manfred Kittel Konferenzraum

Leo Baeck Vortrag von P. Elias H. Füllenbach Veranstaltungsort: Leo-BaeckSaal der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Zietenstraße 50, Düsseldorf

Mi, 09.11. bis Do, 10.11.

Mi, 23.11. – 16.00 Uhr

Mo, 07.11. – 19.00 Uhr

Heimatstubentagung in Haus Schlesien Veranstaltungsort: Haus Schlesien, Dollendorfer Str. 412, Königswinter

Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart Ausstellungseröffnung Eichendorff-Saal

Do, 10.11. – 09.40 bis 18.00 Uhr

Venlo – Besuch bei den niederländischen Nachbarn Tagesexkursion Do, 10.11. – 19.00 Uhr

Die Deutschen – Geographie eines Verlustes Lesung mit Jakuba Katalpa Konferenzraum

24.12. bis 01.01.2017

Do, 24.11. – 19.00 Uhr

Wind in meinem Haar Film Konferenzraum Fr, 25.11. – 18.00 Uhr

Nachtigall, o Nachtigall Theateraufführung Eichendorff-Saal Do, 01.12. – 17.30 Uhr

Otfried Preußler – Der Geschichtenerzähler aus dem Böhmerwald Ausstellungseröffnung Ausstellungsraum So, 04.12. – 10.00 bis 16.00 Uhr

Traditioneller Weihnachtsmarkt Di, 06.12. – 19.00 Uhr

Otfried Preußler & Co. Weihnachtslesung mit Dr. Hajo Buch Ausstellungsraum Mi, 07.12. – 15.00 Uhr

Hra o kámen/Stone Games Film Eichendorff-Saal Mi, 14.12. – 19.00 Uhr

Dál nic/Byeway Film Konferenzraum

Fr, 16.12. – 18.00 Uhr

Räuber Hotzenplotz feiert Weihnachten Theateraufführung Eichendorff-Saal Fr, 13.01.2017 – 11.00 Uhr

Die drei kleinen Schweinchen Ein musikalisches Theaterstück für Kinder Eichendorff-Saal

Winterpause

Vom 24.12. bis zum 01.01.2017 ist unser Haus geschlossen. Ab dem 02.01. ist die Stiftung wieder geöffnet und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Sie da. Das Team der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus wünscht allen Ihren Gästen, Freunden, Unterstützern und Förderern ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!


Absender

Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, Postfach 10 48 61, 40039 Düsseldorf, Postvertriebsstück, Entgelt bezahlt, G 9353 F

Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus Postfach 10 48 61, 40039 Düsseldorf Postvertriebsstück, Entgelt bezahlt G 9353 F

Info

Impressum

Servicezeiten der Verwaltung Mo-Do 08.00 – 12.30 Uhr und 13.00 – 17.00 Uhr Fr 08.00 – 14.00 Uhr

Herausgeber Stiftung Gerhart-HauptmannHaus · Deutsch-osteuropäisches Forum Bismarckstr. 90 40210 Düsseldorf

Servicezeiten der Bibliothek Mo-Mi 10.00 – 12.30 Uhr und 13.30 – 17.00 Uhr Do 10.00 – 12.30 Uhr und 13.30 – 18.30 Uhr Öffnungszeiten der Ausstellungen Mo und Mi 10.00 – 17.00 Uhr Di und Do 10.00 – 19.00 Uhr Fr 10.00 – 14.00 Uhr Sa auf Anfrage Sonn- und feiertags geschlossen Weitere Informationen über das Gerhart-Hauptmann-Haus und zu den im Heft behandelten Themen finden Sie auch im Internet unter: www.g-h-h.de.

Abonnementen

Vorsitzender des Kuratoriums Reinhard Grätz Vorsitzender des Vorstandes: Helmut Harbich Postanschrift Stiftung Gerhart-HauptmannHaus · Deutsch-osteuropäisches Forum Postfach 10 48 61 40039 Düsseldorf Telefon: (02 11) 16 99 111 Telefax: (02 11) 35 31 18 Mail: bergmann@g-h-h.de Internet: www.g-h-h.de

Chefredakteur Prof. Dr. Winfrid Halder

Sehr geehrte Abonnentinnen und Abonnenten,

Redaktion Margarete Polok

Herstellung Griebsch & Rochol Druck GmbH & Co. KG Vertriebsbüro Oberhausen Musikweg 2 46047 Oberhausen

damit Sie auch weiterhin das aktuelle West-OstJournal unseres Hauses zum Versandkostenpreis erhalten, bitten wir Sie, den Jahresbeitrag von 6,50 € auf das Konto der Stiftung zu überweisen: Stadtsparkasse Düsseldorf IBAN: DE 30300501100036005007 BIC: DUSSDEDDXXX

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Foto: Thienemann-Verlag

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4 2016 O KTO B E R NOVEMBER DEZEMBER

Otfried Preußler – Der Geschichtenerzähler aus dem Böhmerwald Olga Tokarczuk · Leo Baeck · Jakuba Katalpa


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