tabula_2/2016 Schadstoffe in Lebensmitteln

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Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE

_n° 2 /2016_CHF 11.00

SCHADSTOFFE IN LEBENSMITTELN

Wissen, was essen.


_EDITORIAL_ Essen ist etwas Intimes, so möchte man seinem Körper nur das Beste zufügen und sicher keinen Giftmix. Es ist daher verständlich, dass Berichte über Schadstoffe im Essen Angst auslösen. Grund genug für tabula, sich auf Spurensuche zu machen. Nach dem Studium von unzähligen Forschungs- und Laborberichten zieht unsere Autorin das Fazit, dass sich die Situation in den letzten Jahrzehnten eher entspannt hat. Die meisten der in der Schweiz und Europa hergestellten Lebensmittel sind laut den Untersuchungen einwandfrei – auch wenn dies subjektiv vielleicht anders wahrgenommen wird. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass man in erster Linie von den schlechten Befunden liest. Und diese sind zum Teil auch einfach Ausdruck einer verbesserten Kontrolle. Trotz dieses verhalten optimistischen Fazits gibt es für Produzenten und Kontrolleure keinen Grund, sich zurückzulehnen: Effiziente Kontrollen sind weiterhin unerlässlich. Gerade durch die Globalisierung finden immer mehr Lebens-

mittel den Weg in die Schweiz, welche aus Regionen stammen, wo die Sensibilisierung gegenüber Schadstoffen in Lebensmitteln noch wenig stattgefunden hat. Hinzu kommt, dass mit neuen technologischen Errungenschaften wie der Nanotechnologie neue Belastungen entstehen, deren Langzeitwirkungen noch weitgehend unbekannt sind. Für mich bedeutet die aktuelle tabula-Ausgabe Zeit zum Abschied nehmen: Nach knapp sechs spannenden und abwechslungsreichen Jahren als Leiter der tabula-Redaktion werde ich ab August eine neue berufliche Herausforderung annehmen. Für Sie als Leserinnen und Leser wird sich allerdings nichts ändern: tabula wird auch unter der neuen Leitung wissenschaftlich fundierte Informationen bieten – verständlich und unterhaltsam aufbereitet. Mein Dank gilt allen SGE-internen und externen Personen, welche alle einen grossartigen Beitrag an den Erfolg von tabula leisten. Last, but not least gebührt mein herzlicher Dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für Ihre Unterstützung und Ihr Interesse! THOMAS LANGENEGGER / SGE Leiter Redaktion tabula

04_ R E P O R T Schadstoffe in Lebensmitteln Immer wieder sorgt die Entdeckung von Schadstoffen in Lebensmittel und die potenziellen Folgen ihres Konsums für Unsicherheit bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Wie steht es wirklich um unsere Lebensmittel?

16_ U N T E R D E R L U P E Chia Vor Kurzem noch unbekannt, ist Chia heutzutage in aller Munde: Ist der Erfolg der Chiasamen nur ein Produkt von gutem Marketing, oder steckt mehr hinter den kleinen Körnern aus Zentralamerika?

10_ A U S D E M L E B E N V O N . . . 12_ R E Z E P T 14_ W I S S E N , W A S E S S E N 20_ B Ü C H E R 22_ D I E S G E 24_ A G E N D A / P R E V I E W N ° 3/2016

Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE Schwarztorstrasse 87 | Postfach 8333 | CH-3001 Bern T +41 31 385 00 00 | F +41 31 385 00 05 | info@sge-ssn.ch

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Wissen, was essen. sge-ssn.ch


SCHADSTOFFE IN LEBENSMITTELN

Spuren der Vergangenheit 

Ungewollte Schadstoffe in unseren Lebensmitteln und deren potenzielle Folgen für die Gesundheit sorgen immer wieder für Unsicherheit und Ängste bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten. Doch insgesamt hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten entschärft. Einige Lebensmittel und neue Substanzen bilden die Ausnahme.

Skandale oder Berichte der WHO können uns verunsichern, und wir fragen uns: Sind unsere Lebens­ mittel schädlich? Zum Beispiel im Februar dieses Jahres: Die Konsumentenschutzorganisationen Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) und Fédération romande des consommateurs (FRC) reichten eine Petition für ein Verwendungsverbot des Pflanzenschutzmittels Glyphosat ein. Anlass für dieses Vorgehen war eine neue Erkenntnis des Internationalen Krebsforschungsinstituts (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass das bereits seit langem und sehr breit eingesetzte Glyphosat krebserregend sei. Wegen wissenschaftlich ungelöster Fragen überprüfen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV diesen IARC-Bericht: Sie werden im Sommer 2016 ihre Entscheidung zur Einstufung von Glyphosat bekanntgeben. Das zweite Ereignis betrifft ebenfalls die Pflanzenschutzmittel (Pestizide) und andere Stoffe: Das Amt für Wasser und Abfall im Kanton Bern wies einen «Pestizid- und Chemikalien-Cocktail» in Schweizer Flüssen und Bächen nach. Abbauprodukte von Pestiziden und anderen Chemikalien sind auch im Grundwasser nachweisbar. Auch wenn keine Vorfälle bekannt wurden, rütteln solche Ereignisse auf. Wie steht es um unser Trinkwasser und um unsere Lebensmittel? Ein Blick in die Jahresberichte kantonaler Laboratorien beruhigt: Nur einzelne Lebensmittel müssen wegen Überschreitung von Höchstmengen oder Nachweis eines in der Schweiz nicht erlaubten Stoffes beanstandet werden. Die Mehrheit der in der Schweiz und Europa hergestellten Produkte ist einwandfrei. Das Trinkwasser ebenfalls. Diese

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positive Nachricht heisst aber nicht, dass sich alle – Konsumenten, Produzenten wie Behörden – bequem zurücklehnen können. Risikobasierte Lebensmittelkontrolle Die Lebensmittelproduzenten sind verantwortlich dafür, dass sichere Lebensmittel in den Handel gelangen. Die kantonalen Laboratorien kontrollieren hauptsächlich dort, wo sie aus Erfahrung, aufgrund neuer Erkenntnisse oder Informationen anderer Stellen Probleme erwarten. Der Hauptfokus liegt daher – neben Hygienekontrollen – auf der Bestimmung von Rückständen von Pestiziden und Tierarzneimitteln (inkl. Antibiotika) sowie Verunreinigungen mit Schwermetallen, Organochlorverbindungen (Dioxine, Furane, PCB etc.) und Kohlenwasserstoffen (PAK) (siehe Übersicht auf S. 9). Ein solches Vorgehen wird als «risikobasiert» bezeichnet und macht angesichts der begrenzten finanziellen Ressourcen Sinn. In den vergangenen Jahren führten die von den Kantonslaboratorien gemachten Funde von Umweltschadstoffen selten zu Beanstandungen, weil der Gehalt an unerwünschten Substanzen unterhalb der erlaubten Höchstmenge lag – zum Teil weit unterhalb. Die tierischen Lebensmittel können in erster Linie Quelle für Arzneimittelrückstände und Verunreinigungen mit Schwermetallen und organischen Umweltschadstoffen wie Dioxin und PCB sein. Bei pflanzlichen Lebensmitteln stellen Rückstände von Pestiziden das grösste Problem dar und in einzelnen Pflanzen Cadmium- und Nitratgehalte. Die kantonalen Lebensmittelkontrolleure konzentrieren sich zurzeit auf importierte Lebensmittel aus Asien, Afrika und Amerika sowie auf einzelne bekannte «heikle» Lebensmittel aus der Schweiz und Osteuropa. Müssen sie ein Lebensmittel wegen eines unerlaubten Arzneimittels oder wegen Grenzwertüberschreitungen beanstanden, dann werden die Ursachen abgeklärt und die nötigen Massnahmen mit dem Produzenten getroffen. Eine nächste Kontrolle muss die Effektivität der Massnahmen zeigen. So wie die Grenzwerte festgelegt werden, bedeutet deren Überschreitung nicht automatisch Gesundheitsgefahr. Unsicherheiten bestehen dagegen bei


_Report_

den zunehmend in die Umwelt gelangenden winzig kleinen, nanometergrossen Teilchen aus der Nanotechnologie – und aus dem Plastikmüll. Nanopartikel werden bereits in vielen Alltagsprodukten wie Farben, Textilien, Kosmetika und Lebensmitteln eingesetzt. Es besteht also die Möglichkeit, Nanopartikel mit der Nahrung inkl. Trinkwasser aufzunehmen. Was das für unsere Gesundheit bedeutet, ist noch ungenügend erforscht. Ähnlich ist es mit Plastikpartikeln. Plastik schwimmt nicht nur tonnenweise im Meer herum. Es befindet sich auch im Gärgut (dem Rest von vergorenem Material in Biogasanlagen) und im Kompost und stammt von verpackten ausrangierten Lebensmitteln sowie aus der Grünabfuhr. Da mit Gärgut und Kompost Felder gedüngt werden, gelangen auch kleine Plastikteile auf die Felder. Es ist anzunehmen, dass zumindest ein Teil davon mit der Zeit vom Regenwasser ins Grundwasser geschwemmt und somit im Trinkwasser wieder auftauchen wird. Unerwünschtes in Fleisch, Eiern und Milch Im nationalen Fremdstoffuntersuchungsprogramm von Lebensmitteln tierischer Herkunft des BLV konzentrieren sich die regelmässigen und umfassenden Analysen von tierischen Lebensmitteln auf Tierarzneimittelrückstände, Pestizide, Organochlorverbin-

dungen und die Schwermetalle Blei und Cadmium. Dem letzten Bericht dieses Programms von 2014 zufolge war das Gros der Proben, nämlich 99,7 Prozent von über 5'000 Proben, einwandfrei – keine Pestizide, keine Organochlorverbindungen. Es überschritten nur vier die Höchstmenge für Blei- und Cadmium, die restlichen 14 Beanstandungen bezogen sich auf Arzneimittel, darunter eine Milchprobe und neun Rindfleischproben. Wenn allerdings die überarbeitete Fremd- und Inhaltsstoff-Verordnung dieses Jahr vom Parlament angenommen werden sollte, dann gelten strengere Grenzwerte, die nicht immer von den Rind- und Kalbfleischproben eingehalten würden. Gras und vor allem die Dauer der Milchfütterung sind dabei die Hauptquelle für diese Umweltschadstoffe, wie die Forschungsstelle Agroscope feststellte. Das Fleisch von Kälbern enthält mehr Dioxine und PCBs, je länger die Tiere Milch trinken. Somit schliesst Kalbfleisch aus der Mutterkuhhaltung schlechter ab. Aber: Die gefundenen Werte sind nicht gesundheitsgefährdend – wenn auch unerwünscht. Anders als im Muskelfleisch sieht es bei Leber aus. Diese ist als sehr stoffwechselaktives Organ prädestiniert für eine Anreicherung mit Schadstoffen, besonders mit Organochlorverbindungen und Quecksilber. Medikamente passieren die Leber ebenfalls. Das Zürcher Kantonslabor fand 2014 überhöhte Werte von Medikamenten in 4 von 53 Leberproben. Das Berner Kantonslabor wies im letzten Jahr in allen 31 Proben Spuren von PCBs nach, in einer Probe auch zusätzliche Spuren von Dioxinen und Furanen. Ein weiteres Kontrollobjekt ist das radioaktive Isotop Cäsium-137 (Cs-137), das noch von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl vom April 1986 stammt und immer wieder gefunden wird. Danach suchen die Kantonslaboratorien gezielt in Pilzen, Wildfleisch und hier insbesondere in Wildschweinfleisch. Im Tessin, wo der radioaktive Fallout in der Schweiz am grössten war, können sehr hohe Werte in Wildschweinfleisch gemessen werden, die über dem Toleranzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm Lebensmittel liegen können. Welche Auswirkungen die Reaktorkatastrophe in Fukushima von 2011 auf unseren Lebensmittelkonsum haben wird, weiss man noch nicht. Altlasten in Fisch und Meeresfrüchten «Im Wasser bauen sich viele Stoffe langsamer ab als im Boden», so Marc Häni vom Berner Amt für Wasser und Abfall. Ein Grund, warum langlebige

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_Rezept_

SCHARFER LINSEN-GEMÜSE-TOPF MIT PFEFFERMINZ-JOGHURT Für 4 Personen. Vor- und zubereiten: ca. 2 Stunden. / Pro Person: 10 g Fett, 25 g Eiweiss, 55 g Kohlenhydrate, 407 kcal 300 g grüne Linsen (Du Puy) / Salz / Die Linsen am besten im Vorfeld 1–2 Stunden in kaltem Wasser einweichen. Linsen abspülen und in Wasser bei kleiner Hitze 30 Minuten köcheln lassen. Am Schluss salzen. 100 g Lauch / 400 g Bundrüebli / 300 g Sellerie / Butter / 1–3 EL rote Currypaste / 1–2 dl Gemüsebouillon / Lauch in kleine Stücke schneiden, Rüebli längs vierteln und Sellerie in

kleine Würfel schneiden. Butter in einer Pfanne schmelzen. Currypaste darin andünsten, bis sich das Aroma entfaltet. Lauch, Rüebli und Sellerie dazugeben und andünsten. Mit Bouillon ablöschen. Je nach Belieben Flüssigkeit mehr oder weniger einkochen lassen. 400 g Joghurt / 1 Bund Pfefferminze / Salz / Pfeffer / Pfefferminze fein hacken. Alle Zutaten verrühren. Linsen unter das Gemüse mischen und abschmecken. Alles auf Suppentellern anrichten, Joghurt dazu servieren. Mit Pfefferminze servieren. Rezept und Bild: Swissmilk

ERNÄHRUNGSBILANZ

ÖKOBILANZ

Linsen: Linsen gehören zu den ersten kultivierten Nahrungsmitteln überhaupt. Ihr landwirtschaftlicher Anbau lässt sich bis zu 8'000 Jahren v. Chr. nachweisen. In grossen Teilen der Welt, wie Lateinamerika, Afrika und Asien, sind Linsen in der traditionellen Küche tief verwurzelt. In Industrieländern werden sie jedoch nur in geringem Masse konsumiert. Eigentlich schade, denn Linsen bieten ein sehr interessantes Nährstoffprofil: 100 g getrocknete Linsen enthalten 23,4 g pflanzliches Protein (doppelt so viel Eiweiss wie Weizen und gar dreimal so viel wie Reis), 40,6 g Kohlenhydrate und eine beachtliche Menge an Nahrungsfasern (17 g). Des Weiteren stellen sie eine gute Quelle von Vitamin B dar. Joghurt: Joghurt wird durch Fermentation von Milch mit der Zugabe von Bakterien hergestellt. Enthält Joghurt nebst dem Streptococcus thermophilus andere geeignete Joghurtbakterienstämme, muss dieser entsprechend gekennzeichnet sein, zum Beispiel mit «Joghurt mild» oder «Bifidus Joghurt». Der Nährwert von ungesüsstem Naturjoghurt entspricht in etwa dem der Milch, aus der er hergestellt wird. Nennenswert ist vor allem der Gehalt an Mineralstoffen. Allen voran Calcium (140 mg auf 100 g) und Phosphor (110 mg auf 100 g). Des Weiteren enthalten 100 g Joghurt 4 g Protein. Da Hitze die im Joghurt enthaltenen Milchsäurebakterien zerstört, sollte Joghurt vorzugsweise nicht erhitzt verzehrt werden. Tellermodell: Die Proportionen von Gemüse-, Stärkebeilage und Proteinlieferanten entsprechen dem optimalen Teller. Linsen liefern sowohl Kohlenhydrate als auch pflanzliches Eiweiss. Somit ergänzen sie die bescheidene Eiweissportion, die das Joghurt liefert, optimal. Das Gericht liefert mit 440 kcal pro Portion relativ wenig Energie für eine Hauptmahlzeit und könnte zusätzlich mit einer Scheibe Vollkornbrot oder einem Dessert auf Fruchtbasis kombiniert werden.

Linsen: Die Linsen machen rund 40 Prozent der Umweltbelastung dieses Gerichts aus. Die Umweltwirkung der Linsen wird zu über 90 Prozent durch den landwirtschaftlichen Anbau bestimmt, wobei vor allem die Landnutzung und der Düngereinsatz von Bedeutung sind. Mit Bezug auf den Eiweissgehalt schneiden die Linsen im Vergleich zu tierischen Eiweissquellen sehr gut ab. Die Verwendung der gleichen Eiweissmenge in Form von Rindfleisch anstelle der Linsen würde mit dieser Bewertungsmethode zu einer Verdreifachung der Umweltwirkung dieser Rezeptkomponente führen. Gemüse: Der Anteil von Gemüse an der Umweltbelastung der gesamten Mahlzeit liegt bei rund einem Fünftel. Die Umweltbelastung der Gemüsesorten Lauch und Sellerie unterscheidet sich pro Kilogramm kaum, diejenige von Karotten liegt etwas tiefer. Die Umweltbelastung von Gemüse entsteht mehrheitlich durch den landwirtschaftlichen Anbau. Die Distribution, die Verpackung und der Transport spielen eine untergeordnete Rolle. Für die Zubereitung des Gerichts wird nur Freilandgemüse aus der Schweiz verwendet, wie es bei diesen Gemüsesorten ganzjährig möglich ist. Die Verwendung von Gemüse aus biologischem Anbau würde die Umweltbelastung dieser Menükomponente um rund einen Zehntel reduzieren. Säulendiagramm: Ein Linsen-Gemüse-Topf mit Joghurt für vier Personen verursacht rund 7‘900 Umweltbelastungspunkte (UBP) und liegt damit weit unter der durchschnittlichen Umweltbelastung einer Hauptmahlzeit von 20‘000 UBP pro Gericht. Aus Umweltsicht sind die Linsen die bedeutendste Zutat dieser Mahlzeit. Das verwendete Gemüse und der Joghurt sind ebenfalls relevant. Letzterer macht zusammen mit dem Butter rund einen Viertel der Umweltbelastung des Gerichts aus.

SABINE OBERRAUCH / SGE

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SIMON EGGENBERGER, NIELS JUNGBLUTH / ESU-SERVICES


8 0 9 6 nd 6 7 5 u 7 7 82 r 4 e 3 n 16 ng ng ort 8 u en te te itu hl üs sp a ns ut re Kü m an B ut Li Tr Ge e Z ube t& Z h ur lic gh st Jo Re

Rezept 1985

Ø 5000 UBP *

Swissmilk / Infografik: Truc, Bern

Zusammensetzung des Rezeptes im Vergleich zum optimal geschöpften Teller (oben rechts) Lebensmittelgruppen: = Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier & Tofu = Getreideprodukte, Kartoffeln & Hülsenfrüchte = Früchte & Gemüse

Die Säulengrafik zeigt die Umweltbelastung durch das Rezept pro Person. Als Vergleich dazu ein grober Durchschnittswert einer zu Hause zubereiteten Hauptmahlzeit. Die Berechnung der Umweltbelastungspunkte fasst verschiedene Umweltbelastungen bei der Produktion der Lebensmittel zu einer einzigen Kenngrösse zusammen (je höher die Punktzahl, desto grösser die Umweltbelastung). Quelle: ESU–services.

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_Unter der Lupe_

Chia Mehr als ein Marketingwunder?

Praktisch über Nacht eroberten die winzigen schwarz-grauen Körner der Salvia hispanica L. in Europa den begehrten Superfood-Markt. Sie wurden bei ihrer Markteinführung im Jahr 2009 für die Verwendung in Backwaren zugelassen. Erst 2013 gestattete die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den Import der reinen Chiasamen als Lebensmittel. Mittlerweile sind die kleinen Körner bereits in unzähligen Haushalten anzutreffen.

gabe. Die historischen Anbaugebiete sind aufgrund der erhaltenen Steuerbücher des Aztekenreiches, zum Beispiel der «Matricula de los Tributos» oder der aztekischen Handschriften «Matricula de Huexotzinco» bekannt. Sie erstreckten sich von Zentralmexiko nach Guatemala. Ein zweites Anbaugebiet war in Honduras und Nicaragua bekannt. Aus dem gesamten Reich mussten Chiasamen und Chiamehl als Steuer an die Obrigkeit entrichtet werden. 1581 schrieb Fray Diego Duran, dass Chia­samen von der indigenen Bevölke-

VON MONIKA MÜLLER

rung in Zeiten von Krieg und erzwungener Migration vermehrt gegessen würden. Die spanischen Koloni-

Vor bald zwei Jahren beim Einkaufen im Supermarkt

alherren fanden im Gegensatz zur Schokolade keinen

stolperte ich über einen sogenannten Kundenstop-

Gefallen an Chia und verboten es alsdann, da es in

per, diese Körbe mit Ware, die so platziert sind, dass

ihren Augen unchristlichen Göttern geopfert wurde.

der Einkaufswagen darum herum manövriert werden

Chia konnte nach der spanischen Eroberung von den

muss und der Kunde nicht umhinkommt, die Ware zu

Einheimischen nur noch heimlich in entlegenen Ge-

begutachten. Es waren Cellophantüten mit Mohn-

genden angebaut werden.

samen – dachte ich zumindest. Ich liebe Mohn. Also

Bis auf 200 Hektar Anbaufläche war Chia im 20. Jahr-

hopp, eine Tüte geschnappt und in den Einkaufswa-

hundert schliesslich fast ausgerottet und vergessen.

gen. Aber halt, das war ja gar kein Mohn. «Chia» stand

Im Jahr 1932 wurden im Hauptanbaugebiet in Mexi-

auf der Packung, aus Bolivien und aus biologischem

ko gerade noch 16,5 Tonnen angebaut. Doch langsam

Anbau seien die Körner. «Da ist wohl ein Trend an mir

begann der erneute Aufschwung für die vergessene

vorbeigegangen.» dachte ich und stürzte mich, wie-

Pflanze. In den 1970er- und 1980er-Jahren des letzten

der zu Hause angekommen, ins Internet, um zu erfah-

Jahrhunderts begann in Nord- und Südamerika die

ren, was ich da soeben gekauft hatte. Freund Google

intensive Suche nach neuen Agrarprodukten, um nicht

schleuderte mir alsdann mehrere Millionen Resultate

mehr rentable Kulturen zu ersetzen. So war die Haupt-

zum Stichwort «Chia» entgegen. Heute sind es bereits

produktion in Argentinien auf Zuckerrohr und Tabak

132 Millionen Ergebnisse. Für eine Pflanze, die bis ins

fokussiert, und bei diesen beiden Produkten waren die

Jahr 2009 in Europa quasi unbekannt war, ist das ein

Einnahmen massiv rückläufig. Chia bot sich als eine

beachtliches Ergebnis. Sie gehört der Familie der Lip-

in dieser Klimaregion einfach zu kultivierende alter-

penblütler und der Gattung Salbei an und trägt den

native Einnahmequelle an, und so begannen ab 1991

botanischen Namen Salvia hispanica, dies obwohl die

in Argentinien und Kolumbien gross angelegte Agrar-

Pflanze in Mexiko und Guatemala heimisch ist und die

versuche unter der Leitung von Wayne Coates, Profes-

Spanier eher etwas zu ihrem Verschwinden denn zu

sor an der Universität Arizona. Zu dieser Zeit waren

ihrer Kultivierung beigetragen haben.

die Omega-3-Fettsäuren noch nicht in aller Munde, und in den ersten Versuchsdokumentationen wurde

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Die wiederentdeckte Aztekenpflanze

das Chiaöl als ideale Fettquelle für den industriel-

Bis zur spanischen Eroberung des Aztekenreiches im

len Gebrauch und für Kosmetika vorgeschlagen. Das

16. Jahrhundert wurde Salvia hispanica bei den Ma-

Mehl sei protein- und faserreich und damit ideal als

yas und Azteken kultiviert und war neben Bohnen und

Tierfutter. Die nächsten zehn Jahre brachten dann den

Mais Grundnahrungs- und Heilmittel sowie Opfer-

Omega-3-Boom und wenig später den Veganerhype –

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