Semper Magazin No. 3 13/14

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Carolin Ströbel, Autorin Matthias Creutziger, Fotograf

Es sieht ziemlich gebraucht aus, das dicke Terminbuch im Raum der Physiotherapie, in das sich die Tänzerinnen und Tänzer des Semperoper Ballett eintragen. Da werden Termine notiert und wieder gestrichen, in Klammern gesetzt, getauscht, abgesagt und verschoben. Das Terminbuch lebt von diesen Änderungen, die meist halbstündigen Sitzungen sind sehr begehrt und der Probenplan sowie auftretende Verletzungen erfordern viel Flexibilität – natürlich vom Terminkalender, aber vor allem von den beiden Physiotherapeuten des Semperoper Ballett. Neben der Fähigkeit zur Flexibilität sind es aber vor allem Einfühlsamkeit und viel Fingerspitzengefühl auf allen Ebenen, was die Arbeit der Ballett-Physiotherapeuten auszeichnet. »Das Wichtigste ist, dass die Tänzer wissen, dass wir für sie da sind. Sie müssen sich sicher fühlen und dürfen niemals das Gefühl bekommen, dass sie mit ihren Problemen alleine sind«, erzählt Barbara Hohlfeld, eine der beiden Physiotherapeuten an der Semperoper. Seit 1986 arbeitet sie schon hier, sie kennt die einzelnen Persönlichkeiten im Ensemble und ist für viele so etwas wie die gute Seele des Hauses. Nach ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin arbeitete sie mehrere Jahre in einer Praxis, zu deren Patientenstamm auch viele Tänzer gehörten. Die Arbeit mit ihnen war für sie ein Schlüsselerlebnis. »Ich habe damals meine Liebe für den Tanz entdeckt und wollte die Arbeit mit den Tänzern unbedingt intensivieren. Als ich dann die Möglichkeit bekam, das Ensemble der Semperoper physiotherapeutisch zu betreuen, habe ich nicht lange gezögert«, sagt sie rückblickend. Unterstützung erhält sie von ihrer Tochter, Friederike Hohlfeld, mit der sie gemeinsam das Körpercentrum in Dresden leitet und auch dort einige Ensemblemitglieder langfristig betreut.

Sicherheit und das Gefühl von Vertrauen sind besonders wichtig für die Qualität der Company Seit September 2013 ist außerdem Ballett-Physiotherapeut Matthew Squire zur Verstärkung mit im Team. Als ehemaliger Tänzer und Physiotherapeut an der Palucca Hochschule für Tanz Dresden kennt er die Bedürfnisse des Tänzerkörpers sehr genau. »Mit meiner Tätigkeit am Semperoper Ballett schließt sich für mich endlich ein Kreis. Da ich selbst ausgebildeter Tänzer bin und lange in diesem Beruf gearbeitet habe, weiß ich, wie wichtig eine umfassende physiotherapeutische Betreuung ist. Das ist nicht an jedem Theater üblich, gerade an kleinen Häusern erhält das Ensemble

in dieser Hinsicht nicht immer die notwendige Unterstützung«, erklärt er. Über das Elevenprogramm des Semperoper Ballett und der Palucca Hochschule für Tanz Dresden haben einige noch sehr junge Studenten die Möglichkeit, bereits während ihrer Ausbildung in einer professionellen Company zu tanzen. Dies erfordert sehr viel Disziplin und ist eine starke Belastung für den noch nicht vollständig ausgebildeten Körper. Matthew Squire kann die Anforderungen einschätzen und durch seine Arbeit an der Semperoper und an der Hochschule optimale Synergien herstellen. »Die Bandbreite vom Anfänger bis zum Profi ist für mich sehr spannend. Langfristig hoffe ich, ein bestmögliches Feedback in beide Richtungen geben zu können. Ich sehe, welche Belastungen auf den Körper zukommen, und kann einschätzen, ob ein junger Tänzer bereits ausreichend vorbereitet ist oder woran noch gearbeitet werden muss«, erzählt er und ergänzt begeistert: »Ich bin sehr glücklich, hier zu sein. Die Atmosphäre innerhalb der Company ist sehr familiär und vertrauensvoll. Das hängt auch damit zusammen, dass dem Ensemble durch unsere Anwesenheit eine gewisse Sicherheit gegeben wird.« Diese Sicherheit und das Gefühl von Vertrauen sind besonders wichtig für die Qualität der Company. Ein Tänzer muss, vergleichbar mit einem Spitzensportler, enorme Leistungen vollbringen. Tägliches Training und Proben sowie Vorstellungen an den Abenden und Wochenenden erfordern einen perfekt trainierten Körper. Verletzungen können dabei natürlich auftreten. Umso wichtiger ist es, präventiv vorzubeugen und mittels einer guten physiotherapeutischen Betreuung mögliche Unfälle abzuwenden. Kraft aufbauen durch gezielte Stärkung bestimmter Muskelgruppen und Gelenke, aber auch Entspannung und Auflockerung durch spezielle Übungen und Massagen helfen dabei, die Tänzerinnen und Tänzer zu schützen, wobei die reine Körperarbeit immer nur einen Teil der täglichen Arbeit der beiden Ballett-Physiotherapeuten ausmacht, wie Barbara Hohlfeld betont. Fast genauso wichtig wie die Hände seien die Worte; Zuhören und Mut machen gehören dazu. »Wenn ein Tänzer zu mir kommt, dann ist das eine sehr private und auf Vertrauen basierende Situation. Gerade wenn er bereits verletzt ist, benötigt er unseren Zuspruch. Die Sorge davor, nicht 100 Prozent seiner Leistung abrufen zu können oder eine Vorstellung nicht durchzuhalten, ist dann sehr groß. Gemeinsam schauen wir, wie wir mit der Verletzung umgehen können. Als Physiotherapeuten sind wir gefordert, nach der Ursache zu suchen und diese gezielt zu trainieren, so dass der Tänzer den Muskel oder das Gelenk bewusst fühlen und dieses Gefühl auch jeder Zeit wieder konzentriert abrufen kann«, erklärt sie. Dies sei auch der grundlegende Unterschied in der Arbeit


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