Spielzeitschwerpunkt Henze

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– nach »Undine« – zweiten abendfüllenden Handlungsballett, »Orpheus«. Schon länger hatte Hans Werner Henze sich mit dem Mythos beschäftigt, der 2. Cantiere stand ganz im Zeichen von »Orpheus«-Vertonungen, ergänzt durch einen Vortrag des Gräzisten Franco Serpa, der Henze so sehr beeindruckt hatte, dass er Edward Bond, seinen Librettisten von »We come to the River«, bat, ihm ein Szenario zu schreiben. Bonds Version setzt gegenüber der Überlieferung höchst eigene Akzente, so stirbt Eurydike in Zusammenhang mit politisch motivierten Ausschreitungen, und am Ende steht die Emanzipation der Menschen von den Göttern: Vor Zorn über den erneuten Verlust seiner Geliebten zertrümmert Orpheus die ihm von Apoll geschenkte Leier. Doch als er auf dem zerbrochenen Instrument spielt, ertönt eine neuartige, utopische Musik! Die Uraufführung der »Geschichte in sechs Bildern« fand 1979 am Staatstheater Stuttgart statt, mit einer Traumbesetzung: Richard Cragun (Orpheus), Birgit Keil (Eurydike) und Reid Anderson (Apoll). Choreograf des Abends war William Forsythe, der ein Jahr zuvor bereits, ebenfalls in Montepulciano, Henzes »Aria de la folia española« choreografiert hatte. Knapp zehn Jahre später, 1988, erlebte dann eine instrumentale Neufassung des Werkes in der Regie und Choreografie der Gret Palucca-Schülerin Ruth Berghaus in Wien ihre Uraufführung. Viel wäre zu berichten über weitere BallettKompositionen Henzes, die einzelnen Choreografien, die Bedeutung des Tanzes für sein Opernschaffen, wie sie sich am deutlichsten in seiner »Oper in einem Akt für Sänger und Tänzer« von 1993/95, »Venus und Adonis«, zeigt – eine vertiefte Auseinandersetzung, die ein kursorischer Überblick nicht leisten kann. War zu Beginn von den Parallelen zwischen Henzes Musiktheater- und Tanztheaterwerken die Rede, so ist mit Bedauern festzustellen, dass das Interesse des Komponisten am Tanz, im Gegensatz zur Oper, in den letzten Jahren offensichtlich etwas nachgelassen hat. So bleibt zu hoffen, dass die Feierlichkeiten zum 85. Geburtstag Hans Werner Henzes Anlass sind, sich erneut mit seinen Ballettmusiken zu beschäftigen.

te auch Konsequenzen für die Musik: So gibt es zum einen zwei Jazz-Kapellen auf der Bühne, die – wie in der Realität – abwechselnd die Wettbewerbspaare begleiteten und »zu bestimmten Morgen- oder Nachtstunden durch ein schäbiges Grammophon ersetzt werden«. Zum anderen sitzt im Graben ein »traditionelles« Orchester, dessen Aufgabe es nach Henze ist, betont barock zu klingen, »nach Matthäuspassion und Gluck, damit der Kontrast zwischen der bitteren auf der Bühne dargestellten Realität und einer im Orchestergraben zum Ausdruck gebrachten Idealvorstellung von Edelmut und klassisch-olympischer Gesinnung schreiend deutlich« erkennbar ist. Visconti motivierte dann noch ein weiteres Werk Henzes, seinen »Prinz von Homburg«, indem er dem Komponisten glaubhaft mit der Beendigung ihrer Freundschaft drohte, sollte er diesen Stoff, an dessen Eignung für die Oper Henze einigen Zweifel hatte, nicht verkomponieren. Von den elf Ballettmusiken, die das Werkverzeichnis aufzählt (»Jack Pudding« von 1950 erfuhr 1997 unter dem Titel »Le disperazioni del Signor Pulcinella« als Teil der »Tanzstunden«-Trilogie eine Neubearbeitung, ebenso wie das 1952 komponierte »Labyrinth«, das seinen Namen behielt; »Pas d’action« wurde 1966 zu »Tancredi«, choreografiert von Rudolf Nurejew), entstand ein Großteil in den 1950er und 1960er Jahren. In Henzes Leben folgte nun bekanntlich eine Phase verstärkten politischen Engagements – im Kontext der studentischen 68-Revolte, auf Kuba, schließlich seine kulturpolitische Arbeit zum Beispiel für den von ihm 1976 gegründeten »Cantiere internazionale d’arte« in Montepulciano. All diese Ereignisse finden ihren Niederschlag in seinem

Sophie Becker ist Dramaturgin an der Semperoper.

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