Michael Sienhold. Notwendig und doch kontingent

Page 1

NOTWENDIG UND DOCH KONTINGENT

Metaphysik am Beispiel des Schmerzes

Notwendigund dochkontingent

MichaelSienhold
SchwabeVerlag
MetaphysikamBeispieldesSchmerzes

Diese Publikation wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt.

Erschienen2023imSchwabeVerlag,SchwabeVerlagsgruppeAG,Basel,Schweiz

BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek

DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.dnb.deabrufbar.

DiesesWerkistlizenziertuntereinerCreativeCommonsAttribution-NonCommercial-NoDerivatives4.0 International(CCBY-NC-ND4.0)

Korrektorat:ConstanzeLehmann,Berlin

Cover:KathrinStrohschnieder,Zunder&Stroh,Oldenburg

Satz:3w+p,Rimpar

Druck:Hubert&Co.,Göttingen

PrintedinGermany

ISBNPrintausgabe978-3-7965-4916-8

ISBNeBook(PDF)978-3-7965-4917-5

DOI10.24894/978-3-7965-4917-5

DaseBookistseitenidentischmitdergedrucktenAusgabeunderlaubtVolltextsuche. ZudemsindInhaltsverzeichnisundÜberschriftenverlinkt.

rights@schwabe.ch

www.schwabe.ch

Inhalt Dank .. .. .. ... .. .. ... ... ... .. .. .. .. ... ... .. .. .... ... .... ... .... 7 Einleitung .. .. ... .. .. ... ... .. .. .. .. ... ... .. .. .. .. ... . .. .. .. .... 9 1Welt und Begriff 13 1.1 Raumzeitstelle, Modus und Welt .. ... ... .. .. ... .. .. .. .. ... .. .. 13 1.2 Modallogische Relationen .. .. .... ... .... ... ... .. .. .. .. ... .. .. 32 1.2.1 Identität ... ... .... .. .. .. .. .. .. .. ... . .. .. .. ... .. .. .. .. 35 1.2.2 Kontradiktorischer Gegensatz .. .... .. .. .. .. .. .. .. ... .. . . 42 1.2.3 KonträrerGegensatz 46 1.2.4 Einseitige (Un‐)Abhängigkeit .. ... .. .. .... ... .... ... .. .. 50 1.2.5 Adjunktion ... ... .. .. ... .. .. .. .. ... . .. .. .. ... .. .. .. .. 53 1.2.6 BeidseitigeUnabhängigkeit .. .. ... .. .. .... ... .... ... ... . 55 1.3 Intentionalität ... ... ... .. .. .... .. .. .. .. .. ... .. .. .... ... .... 59 1.3.1 Gedanke 78 1.3.2 Glaube .... .. .. .. .. .. .. .. ... .... ... .... ... .... .. .. .. . 84 1.3.3 Wissen .... .. .. .. .. .. .. .. ... .... ... .... ... .... .. .. .. . 88 2Sprache 109 2.1 Bedeutung .. .... .. .. .. .. .. .. .. ... .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. . 110 2.1.1 Transparenz und Opazität .. .. .. ... ... .... ... .... ... .... 113 2.1.2 Konditionalaussagen .. ... .. .. ... .. .. .... ... .... ... .... 119 2.1.3 Modallogisch definite Kennzeichnung .. ... .. .. .. .. ... ... . 138 2.2 Wort und Bedeutung 142 2.3 Sprachliche Weltbezüge 153 2.3.1 Bezugsweisen .. ... .. .. .... .. .. .. .. .. ... .. .. .... ... .... 155 2.3.2 Zweck .. ... .. .. .. .. .. .. .. ... .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. . 178 2.3.3 Die Grice’schen Maximen der Quantitätund Qualität ... ... . 181
3Schmerz ... ... ... .. .. ... .. .. .. .. ... ... .. .. .... ... .... .. .. .. . 195 3.1 Identität 195 3.2 Schmerzgedanken ... ... .. .. .... .. .. .. .. .. ... .. .. .... ... .... 211 3.3 Schmerzüberzeugungen .. ... ... .. .. ... .. .. .... ... .... ... ... . 221 3.3.1 Einwand:Anti-Luminositäts-Argument. .. .. .. .. .. ... ... . 236 3.4 Schmerzspezifische Bedeutungen .. .. ... .. .. .... ... .... ... .. .. 241 3.4.1 Strikte und materiale Implikationen .. .. ... .. .. .. .. ... ... . 241 3.4.2 Modallogisch definite Kennzeichnung .. ... .. .. .. .. ... ... . 246 3.4.3 Sprachliche Bezugnahmen. .. .. ... .. .. .... ... .... ... ... . 248 3.5 Das Schmerz-im-Mund-Argument .. .. ... ... .... ... .... ... ... . 260 3.5.1 Fünf Analysen .. ... ... .... .. .. .. .. .. ... .. .. .... ... .... 263 3.5.2 Empirische Untersuchung 269 3.5.3 Begriffliche Diskussion .. ... ... ... .. .. .... ... .... ... .... 273 Schluss .. .... ... .... ... .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .... ... .. .. 279 Glossar 291 Literaturverzeichnis .. .. .... ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .... .. .. .. . 301 Tabellenverzeichnis 309 Personenregister .... .. .. ... .. .. .. .. .. .... ... .... ... .... .. .. .. . 311 Sachregister .. ... .... ... .... .. .. .. .. .. .... ... .... ... ... .. .. .. .. 313 6 Inhalt

Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Kevin Reuter.Ergab mir die Chance, die Arbeit zu schreiben. Ich dankeihm für seine stete und kritische Betreuung meiner Arbeit. In unzähligen philosophischenGesprächen vermittelte er mir immer wieder einen nüchternen Außenblick auf meine Arbeit und ermutigte mich so zu ihrer Weiterentwicklung.

Zu Dank verpflichtet bin ich auch Prof. Dr. Richard King.Ich danke ihm für sein Vertrauen und Wohlwollen.

Ebenso danke ich Joannes Campell. Sein Verständnis von Modallogik war von unschätzbarem Wert für die Arbeit. Die Gespräche mit ihm waren raumöffnend.

Auch bedanke ich mich bei Christian Wyler, Teresa Geisler, Dr. des. Lorenz

Theilkäs, Dr. Hanno Birken-Bertsch und Mauro Di Cioccio für die inhaltliche und sprachliche Auseinandersetzung mit meinenTexten. Priv.-Doz. Dr. Oliver Schmidtke dankeich für seine weisen Ratschläge in schwierigen Situationen.

Zu guter Letzt danke ich dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF)für die finanzielle Förderung. Die Arbeit ist ein Ergebnis des vom SNF geförderten Forschungsprojekts The Conceptual Space of the Affective Mind,das von Prof. Dr. Kevin Reuter geleitet wurde

Dank

Ziel der Arbeit ist es, ahistorische Zusammenhänge in der Welt und unserem Verhältnis zur Welt zu bestimmen. Ahistorische Zusammenhänge sind in jeder möglichen Welt gleich. Das macht sie ahistorisch. Ahistorische Zusammenhänge variieren nicht in Raum und Zeit. Sie sind konstant.

Ohne Modallogik kann diese Bestimmung nicht gelingen. Denn sie unterscheidet das Kontingente vom Nicht-Kontingenten. Sie unterscheidet zwischen dem, was in jeder möglichen Welt gleich ist, und dem, was nicht in jeder möglichen Welt gleich ist. Sie gibt uns die formalen Begriffe, um das Invariante vom Varianten zu unterscheiden.

Nun bin ich im Laufe des Nachdenkens auf einen modallogischenUnterschied gestoßen, dessen Benennung meines Wissens neu ist. Gemeintist der Unterschied zwischen unbedingten und bedingten Modalitäten. Zustände der Welt haben Modalitäten. Es gibt vier Modalitäten – Unmöglichkeit, Möglichkeit, Nicht-Notwendigkeit und Notwendigkeit. Jede von ihnen ist entweder unbedingt oder bedingt. Die bedingte Notwendigkeit ist nicht Kripkes «Notwendigkeit a posteriori». Das wird sich im Laufe der Untersuchung zeigen. Wenndie Modalität eines Weltzustands unbedingt ist, dann hat er diese Modalität in jeder möglichen Welt. Wenn die Modalität eines Weltzustands bedingt ist, dann hat er diese Modalitätineiner möglichen Welt nicht. Dementsprechend kann ein Weltzustand in einer möglichen Welt notwendig sein, ohne in jedermöglichen Welt notwendig zu sein. Das macht seine Notwendigkeit bedingt. Genau dann, wenn ein Weltzustand in einer möglichen Welt bedingt notwendig ist, ist der gegenteilige Weltzustand in derselben Welt an derselben Raumzeitstelle bedingt unmöglich. In einer möglichen Welt ist dieser unmögliche Zustand der Welt möglich. Das macht seine Unmöglichkeit bedingt.

Der Begriff der bedingten Notwendigkeit beantwortet eine ganze Reihe philosophischer Fragen neu. Er beantwortet die ontologische Frage, ob etwas Notwendiges notwendigerweise notwendig ist. Carnapließ sie unbeantwortet. Mit ihm können wir die epistemischen Fragen beantworten, was Gewissheit ist, wann etwas unbezweifelbar ist, was Überzeugungen infallibel macht und wie modale Illusionen möglich sind. Ebenso können wir mit dem Begriff der bedingten Notwendigkeit zeigen, dass wir ohne Rechtfertigung von kontingenten Zuständen der Welt wissen können. Auch können wir die sprachphilosophischen Fragen be-

Einleitung

antworten, wann Falschbehauptungenunaufrichtig sein und wann Behauptungen die Grice’sche Maxime der Qualität verletzen müssen.

Ich werde behaupten, dass alles, was ist und nicht ist, jederzeit und überall in genau einem von sechs Modi ist. Neben unbedingten und bedingten Notwendigkeiten sowie Unmöglichkeiten gibt es auch nicht notwendige Fakten und nicht notwendige Kontrafakten. Ein nicht notwendiges Faktum ist der Fall und sein Gegenteil möglich. Ein nicht notwendiges Kontrafaktum ist möglich und sein Gegenteil der Fall.

Ein Zustandder Welt ist genau dann kontingent,wenn er in einer möglichen Welt der Fall und in einer anderen möglichen Welt nicht der Fall ist. Denn dann ist er nicht in jeder möglichen Welt im gleichen Modus. Das impliziert strikt eine formale Mehrdimensionalität kontingenter Zustände der Welt. Jeder kontingente Weltzustand hat über alle möglichen Welten hinweg mindestens zwei und maximal vier Modi. Die Mehrdimensionalität griffen zwar Philosophen und Philosophinnenbereits unter der Bezeichnung der «Zweidimensionalen Semantik»auf. Doch ist sie keineswegs vollständig ausbuchstabiert. Das soll meine Arbeit leisten.

Ebenfalls nicht in Gänze ausbuchstabiert sind sechs Relationen,die zwischen zwei Weltzuständenbestehen. Ihr Bestehen ist jeweils eine modaleKonstante.

Genau dann, wenn zwei Weltzustände in einer möglichen Welt in einer der sechs Relationen zueinanderstehen, stehen sie in jeder möglichen Welt in dieser Relation zueinander. Diesen Relationen wird zwar seit den Anfängen der Philosophiegeschichte nachgespürt. Doch wurden sie selten als modallogische Relationen betrachtet. Auch ist ihre modallogische Komplexität mitnichten in Gänze bestimmt. Das zu tun, ist ein weiteres Ziel meiner Arbeit.

Die Modi der Weltzustände auf der einen Seite sind von ihren Relationen zueinander auf der anderen Seite zu unterscheiden. Diese Unterscheidung beugt dem modalen Fehlschlussvor, die unbedingte Notwendigkeit der striktenImplikation ziehe die Notwendigkeit des Implizierten nach sich. Ein Weltzustand kann einen anderenWeltzustand strikt implizieren, obschon dieser nicht notwendig ist. Die unbedingte Notwendigkeit des strikten Implizierens ist das eine, die Notwendigkeit oder Nicht-Notwendigkeit des Implizierten das andere.

Zwei Konstanten wurde bisher erwähnt.Zustände der Welt haben Modi und sie stehen in Relationen zueinander. Es gibt eine dritte Konstante. Sie ist das «Medium», in dem die Zustände der Welt Modi haben und in dem ihreRelationen bestehen. Raum und Zeit ist das «Medium». Zustände der Welt sind in Raum und Zeit unmöglich, möglich, nicht notwendig oder notwendig. Sie sind an Raumzeitstellen unmöglich, möglich, nicht notwendig oder notwendig. Die sechs Relationen zwischen zwei Zuständen der Welt bestehen ebenfalls in Raum und Zeit.

Die Arbeit hat drei Kapitel. Das erste Kapitel ist Metaphysik und Philosophie des Geistes. Das zweite Kapitel ist Sprachphilosophie.Das dritte Kapitel ist

10 Einleitung

Philosophie des Schmerzes. Das erste Kapitel besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil bestimmen wir die sechs Modi, was die Raumzeitstelle von der möglichen Welt unterscheidetund was Weltzustände sind. Ebenso bestimmen wir das Kontingente der aktualen Welt. Im zweiten Teil analysieren wir die sechs Relationen. Jede Relation hat ein spezifisches modallogisches Muster. Es besteht aus möglichen Modi-Paaren der beiden Relata. Wenn zwei Zustände der Welt z. B. identisch sind, dann sind sie an jedermöglichen Raumzeitstelle derselben Welt im gleichen Modus. Im dritten und letzten Teil des ersten Kapitels widmen wir uns der Relation der Intentionalität. Sie ist zentral für die gesamte Arbeit. Anschließend bestimmen wir die spezifischen intentionalen Relationen des Gedankens, der Überzeugung und des Wissens. Auch sie haben je ein einzigartiges modallogisches Muster.

Im zweiten Kapitel geht es um Sprache. Im Besonderen geht es um entscheidungsabhängigeZustände der Welt. Sie sind in jedermöglichen Welt nicht notwendig. Auch das zweite Kapitel besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil klären wir, was Bedeutungen sind. Anschließend bestimmen wir die referenzielle Transparenz und Opazität verschiedener Bedeutungen. Konditionalaussagen widmen wir uns in diesem ersten Teil ebenso wie definiten Kennzeichnungen. Sie sind prädestiniert für modallogische Analysen. Im zweiten Teil bestimmen wir die Relation von Wort und Bedeutung. Sie sind beidseitig voneinanderunabhängig. Die beidseitige Unabhängigkeit ist eineder sechs Relationen, die wir im ersten Kapitel kennenlernen. Im dritten und letzten Teil des zweiten Kapitels widmen wir uns sprachlichen Weltbezügen. Zu zeigen sein wird, dass es keine mögliche Raumzeitstelle gibt, an der derselbe Bezug konstativ und performativ ist – John Langshaw Austin lag richtig. Außerdem analysieren wir die Grice’schen Konversationsmaximen der Quantität und Qualität modallogisch. Zu klären sein wird, wann es notwendig und unmöglich ist, sie zu verletzen. Nahezu jede Überlegung des zweiten Kapitels ist semantisch. Nur bei der Analyse von Moores Paradox, dem wir uns in diesem dritten und letzten Teil des zweiten Kapitels widmen, kommen wir nicht ganz ohne Pragmatik aus.

Im dritten und letzten Kapitel geht es um Schmerz und weitere schmerzspezifische Weltzustände. Es besteht aus fünf Teilen. Im ersten Teil bestimmen wir die Identität des Schmerzes. Gezeigt werden soll, dass er ein intensionaler Weltzustand ist, auf den die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Realität nicht anwendbar ist. Im zweiten Teil widmen wir uns dem positiven und negativen Schmerzgedanken. Der positive Schmerzgedanke hat die für Gedanken seltene Eigenschaft, bedingtnotwendig sein zu können. Im dritten Teil analysieren wir die positive und negative Schmerzüberzeugung. Beide können bedingt notwendig und infallibel sein. UnserSchmerz und unser Nicht-Schmerz kann uns gewiss sein. Im vierten Teil analysieren wir den sprachlichen Bezug auf schmerzspezifische Weltzustände. Die Falschbehauptung, Schmerzen zu haben, kann eine Lüge sein müssen. Das bloße Annehmen eines Wahrheitswerts einer Schmerzaussage

Einleitung11

kann nicht-ernsthaft sein müssen. Im fünften und letzten Schritt des dritten Kapitels widmen wir uns dem sogenannten «Schmerz-im-Mund-Argument». Seit jüngerer Vergangenheit wird ihm vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser letzte Teil der Arbeit ist der einzige empirische. In ihm besprechen wir ein von mir durchgeführtes Befragungsexperiment. Die Richtigkeit alleranderen Überlegungen sollte logisch unabhängigvon jeder kontingenten Wahrheit sein.

12 Einleitung

Es gibtinvariante modallogische Strukturen. Ihre Benennung ist der begriffliche Rahmen meiner Arbeit. Sie benennen wir in den ersten beiden Teilen dieses ersten Kapitels. Alle Folgeüberlegungen stellen wir in diesem Rahmen an. Er ist das logische Rahmenwerk meinerArbeit. Seine zentralen Begriffe sind Raumzeitstelle, Modus, Relation, mögliche Welt und aktuale Welt.

Im dritten und letzten Teil des ersten Kapitels widmen wir uns der Relation der Intentionalität. Sie ist von zentralerBedeutung für die gesamte Arbeit. Zunächst analysieren wir Intentionalität als solche. Anschließend widmen wir uns den spezifischen intentionalen Relationen des Gedankens, der Überzeugung und des Wissens. Ihre Analyse legt den Grundstein für eine ganze Reihe von Folgeüberlegungen,die wir im zweiten und dritten Kapitel anstellen. Ohne sie sind weder die Spezifika sprachlicher Weltbezüge zu verstehen noch die des Schmerzgedankens und Schmerzwissens.

Alles, was der Fall sein kann, kann in dem Rahmen der Fall sein, den das logische Rahmenwerk benennt – ob es physikalischeEreignisse, Schmerzen1 , Überzeugungen, Behauptungen oder Wertungen sind. Buchstabieren wir das logische Rahmenwerk aus.

1.1 Raumzeitstelle, Modus und Welt

Ein Weltzustand ist das, was der Fall (Faktum)und nicht der Fall (Kontrafaktum)sein kann. Seine Möglichkeit,der Fall zu sein, ist entweder unbedingt oder bedingt. Genau dann, wenn die Möglichkeit des Weltzustands unbedingt ist, ist er überall und jederzeit möglich. Genau dann ist der gegenteilige Weltzustand überall und jederzeit nicht notwendig. Der Weltzustand des Nicht-Regnens ist z. B. unbedingt möglich. Deshalb ist das Regnen überall und jederzeit nicht notwendig. Genau dann, wenn die Möglichkeit des Weltzustands bedingt ist, ist er an einem Ort und zu einem Zeitpunkt unmöglich. Genau dann ist die Nicht-Not-

1 Über meine Verwendung des Wortes «Schmerzes»behaupte ich, dass sie in Gänze unserer alltagsprachlichen Verwendung des Wortes «Schmerz»entspricht, sofern sie nicht-metaphorisch ist und sich auf körperlichen Schmerz bezieht. Mit «körperlichem Schmerz»meine ich Schmerz, der in einem Körperteil seiend empfunden wird – also keinen psychischen Schmerz, wie z. B. Ohnmachtsgefühl oder Wut.

1Welt und Begriff

wendigkeit des gegenteiligen Weltzustands bedingt. Beispielsweise ist die Möglichkeit jedes Wissens bedingt. Deshalb ist jedes Nicht-Wissen an einem Ort und zu einem Zeitpunkt notwendig.

Auch die Unmöglichkeit eines Weltzustands ist entweder unbedingt oder bedingt. Genau dann, wenn sie unbedingt ist, ist er jederzeit und überall unmöglich. Genau dann ist der gegenteilige Weltzustand jederzeit und überall notwendig. Beispielsweise ist das Wissen eines intentionalen Objekts, das für einen nicht der Fall seienden Zustand der Welt (Kontrafaktum)steht, unbedingt unmöglich. Deshalb ist das Nicht-Wissen jedes intentionalen Objekts eines Kontrafaktums überall und jederzeit der Fall. Genau dann, wenn die Unmöglichkeit des Weltzustands bedingt ist, ist er an einem Ort und zu einem Zeitpunkt möglich. Genau dann ist sein Gegenteil an einem Ort und zu einem Zeitpunkt nicht notwendig. Beispielsweise kann das Wisseneines intentionalen Objekts, das für einen der Fall seienden Zustand der Welt (Faktum)steht, bedingtunmöglich sein. Genau dann ist sein Nicht-Wissen bedingt notwendig. Bedingt notwendig ist NichtWissen immer dann, wenn kein wissensfähigesWesen vor Ort ist.

Zustände der Welt sind an Raumzeitstellen2 möglich und unmöglich. Eine Raumzeitstelle ist ein Bestandteil des unbedingt notwendigen Mediums Raum und Zeit,indem alles Mögliche möglich und alles Unmögliche unmöglich ist.3 Alles Mögliche und Unmögliche ist an Raumzeitstellenmöglich und unmöglich. Beispielsweise ist Schmerz an Raumzeitstellenmöglich oder unmöglich. Er ist an jeder Raumzeitstelle unmöglich, an der kein empfindungsfähiges Wesen ist. Denn nur empfindungsfähige Wesen können Schmerzen haben. Ein empfindungsfähiges Wesen ist deshalb an jeder Raumzeitstelle, an der Schmerzen möglich sind.4

2 Beispielsweise Carnap (1931:436, 440), Popper (1971:Unterkapitel 13, 28, 77), Tugendhat (1976:106, 463, 464)und Lyre (2015:91, 94)verwenden diese Bezeichnung.

3 Alle meine nachfolgenden Ausführungen implizieren, dass eine Raumzeitstelle dieselbe ist, unabhängig davon, was in verschiedenen Welten an ihr geschieht. Da dies physikalisch wohl nur dann stimmt, wenn das, was in den verschiedenen Welten geschieht, im gleichen Bezugssystem geschieht, weil die Raumzeitstelle keine absolute Identität hat, beschränkt sich der Richtigkeitsanspruch meiner Ausführungen darauf, dass die verschiedenen Welten im gleichen Bezugssystem sind.

4 Nun könnte man meinen, es sei ein syntaktischer Fehler, Raumzeitstellen zu quantifizieren, indem ich beispielsweise sage, für jede oder keine mögliche Raumzeitstelle gelte dies oder jenes. Schließlich ließe sich nur das quantifizieren, was an Raumzeitstellen ist, nicht aber die Raumzeitstelle selbst. Warum bin ich anderer Auffassung?Weil die Möglichkeit einer Raumzeitstelle äquivalent dazu ist, dass unbedingt Unmögliches nicht existiert und unbedingt Notwendiges existiert. Unbedingt Unmögliches ist quantifizierbar (wie z. B., es gibt kein x, das F und nicht-F ist),genauso wie unbedingt Notwendiges (wie z. B., jedes xist entweder Foder nicht-F). Wenn zwei Elemente äquivalent sind, dann sind entweder beide quantifizierbar oder beide nicht. Also sind Raumzeitstellen quantifizierbar.

14 1Welt und Begriff

Was ist das Medium Raumund Zeit nicht? Es ist wederein Weltzustand nocheine relationale Weise seines Der-Fall- und Nicht-der-Fall-Seins5 nochbloß eine Form vonAnschauungen6 oder Empfindungen nochein Begriff für einen Weltzustand. Wäre es erstens ein Weltzustand, dann gäbeeseineRepräsentation, die unabhängig vom Repräsentieren der Raumzeit ist.Dennjedem Weltzustand WZx,wie z. B. entweder podernicht-p,entsprichtein andererWeltzustand WZy, wie z. B. entweder qoder nicht-q,dessen (WZy )Repräsentationsmöglichkeit unabhängig von derMöglichkeit seiner Repräsentation (WZx )ist.Esgibt keineRepräsentation,die unabhängig von der Repräsentation der Raumzeit ist.7 Alsoist die Raumzeit kein Weltzustand. Wäre die Raumzeit zweitens eine relationale Weise des Der-Fall- und Nicht-der-Fall-Seins einesWeltzustands, dann hätte sieein von ihr verschiedenes synchrones Äquivalent. Denn jederelationaleWeise des DerFall-Seins bzw.Nicht-der-Fall-Seins eines Weltzustands ist äquivalentzueiner Weise des Nicht-der-Fall-Seinsbzw.Der-Fall-Seins des gegenteiligenWeltzustands. Notwendigkeit ist z. B. eine Weise des Der-Fall-Seins und Unmöglichkeit des Nicht-der-Fall-Seins, sodass die Notwendigkeit von p äquivalentzur Unmöglichkeit von nicht-p ist 8 Keine Raumzeitstelle(logisches Paaraus einemOrt xn und einemZeitpunkt tn )hat ein vonihr verschiedenessynchronesÄquivalent. Wenn etwas äquivalentzuund verschieden von ihr ist,dann istesnichtsynchron mit ihr. Äquivalentzuund verschiedenvon derGegenwart ist die Konjunktion ausder Nicht-Vergangenheitund Nicht-Zukunft.Alsoist die Raumzeit keinerelationaleWeise desDer-Fall-und Nicht-der-Fall-Seins vonWeltzuständen. Wäre die Raumzeit drittens bloßeine Formvon Anschauungen oderEmpfindungen, alsolediglich eine Eigenschaftvon Wahrnehmungen oder Empfindungen, dann hätten wir kein Wissen von nichtanschauungs- und empfindungsfähigen Strukturen derWelt. Dannkönntenwir nur daswissen, was angeschautoderempfunden werden kann, weilnur das gewusstwerdenkann, was in Raumund Zeitist. Wir wissenabermodale Strukturen der Welt, die wederangeschautnochempfunden werden können, wie z. B. die obengenannte Äquivalenzzwischender Notwendigkeit einesWeltzustands und der Unmöglichkeit des gegenteiligen Weltzustands. Alsoist die Raumzeit nichtbloßeineAnschauungs- oder Empfindungsform.9 Wäresie viertens einBegriffeinesWeltzustands, dann gäbe es einen anderenBegriff einesWeltzustands, dessen Anwendungohnedie Vorstellung von

5 Modi sind relationale Weisen des Der-Fall- und Nicht-der-Fall-Seins. Ihnen widmen wir uns später.

6 Vgl. KrV,A23–24/B37–38.

7 Vgl. KrV,A24/B38–39.

8 Diese Weisen des Der-Fall-Seins und Nicht-der-Fall-Seins bestimmen wir später als Modi.

9 Im Übrigen sind Anschauungen und Empfindungen selbst Weltzustände. Deshalb hätte es ausgereicht zu zeigen, dass Raumzeit kein Weltzustand ist, um zu zeigen, dass sie keine Eigenschaft ist, die nur Anschauungen haben.

1.1 Raumzeitstelle, Modus und Welt 15

Raumzeit möglich ist. Denn jedem Begriff einesWeltzustands Bx entsprichtein andererBegriffeinesWeltzustands By,dessen Besitz (By )ohneseinenBesitz (Bx ) möglich ist.Esgibt keinenBegriff, dessen Anwendung ohnedie Vorstellung von Raumzeit möglichist 10 Alsoist Raumzeit keinBegriffeines Weltzustands.11

Die Raumzeit ist also weder Weltzustand noch eine relationale Weise seines Der-Fall- bzw. Nicht-der-Fall-Seins noch bloße Anschauungs- oder Empfindungsform noch Begriffeines Weltzustands. Stattdessen ist sie, wie gesagt, das Medium von Welt, also allem Der-Fall-Seienden und Nicht-der-Fall-Seienden, von Anschauungen wie Nicht-Anschauungen, von Begriffsbesitzen wie NichtBegriffsbesitzen. Warum kann es nun nichts geben, das nicht in Raum und Zeit ist oder nicht ist?

Gäbe es etwas, das nicht in Raum und Zeit ist oder nicht in Raum und Zeit nicht ist, dann wäre die Eigenschaft, an Raumzeitstellen zu sein und nicht zu sein, nicht konstitutiv für Welt. Dann gäbe es etwas, das weder jetzt noch wann anders oder weder hier noch woanders ist oder nicht ist. Jetzt und wann anders bilden einen Gegensatz, genauso wie hier und woanders. Wenn nicht mindestens eines von zwei gegensätzlichen Relata zutrifft, dann resultieren begriffliche Bezugnahmen auf die Relata aus verschiedenenBegriffen. Begriffliche Bezugnahmen auf die gegensätzlichen Relata jetzt und wann anders resultieren aus dem gleichen Begriff der Gegenwart und begriffliche Bezugnahmen auf die gegensätzlichen Relata hier und woanders aus dem gleichen Begriff des Hier. Also trifft mindestens eines der beiden Relata jetzt und wann anders zu und mindestens eines der beidenRelata hier und woanders. Also ist Raumzeit konstitutivfür Welt.12

Das Der-Fall- und Nicht-der-Fall-Seiende an jedem Ort ist in der Zeit und zu jedem Zeitpunkt im Raum. Gäbe es Der-Fall- und Nicht-der-Fall-Seiendes an einem Ort außerhalb der Zeit, dann wäre dies weder jetzt noch wann anders der Fall und nicht der Fall. Dann gäbe es mit jetzt und wann anders gegensätzliche Relata, die beide nicht zuträfen, obschon sie aus dem gleichen Begriff – nämlich

10 Vgl. KrV,A24/B38–39.

11 Begriffsbesitz ist selbst ein Weltzustand. Deshalb hätte es ausgereicht zu zeigen, dass Raumzeit kein Weltzustand ist, um zu zeigen, dass sie kein Begriffsbesitz ist.

12 Die indexikalischen Begriffe hier und jetzt sind wichtig für die gesamte Arbeit. Hier bildet die Identität zwischen dem Ort des bezugnehmenden Weltzustands und dem Ort des in Bezug genommenen Weltzustands ab. Jetzt bildet die Identität zwischen dem Zeitpunkt des bezugnehmenden Weltzustands und dem Zeitpunkt des in Bezug genommenen Weltzustands ab. Bezugnehmende Weltzustände sind entweder intentional (z.B.Gedanken)oder sprachlich (z.B.Behauptungen). Der Gedanke, jetzt hier zu sein,nimmt Bezug auf die Anwesenheit der denkenden Entität, sodass sie an der Raumzeitstelle seines Denkens anwesend ist. Wenn z. B. «hier»auf den Eiffelturm und «jetzt»auf Silvester referiert, dann liegt es einigen von uns Menschen nicht fern, ihn zu denken. Ausgerechnet an Silvester auf dem Eiffelturm zu sein, hätte man sich nicht träumen lassen.

16 1Welt und Begriff

dem der Gegenwart – stammen. Das ist ausgeschlossen, wie wir zuvor gesehen haben. Analoges gilt auch umgekehrt. Gäbe es Der-Fall- und Nicht-der-Fall-Seiendes zu einem Zeitpunkt außerhalb des Raumes, dann wäre dies weder hier noch woanders der Fall und nicht der Fall. Dann gäbe es mit hier und woanders gegensätzliche Relata, die beide nicht zuträfen, obschon sie aus dem gleichen Begriff – nämlich dem des Hier – stammen. Das ist ebenfalls ausgeschlossen.13

Dass Weltzustände nur an Orten möglich und unmöglich sind, heißt im Übrigen nicht, dass jeder Weltzustand räumlich ausgedehnt ist. Es heißt nur, dass jeder Weltzustand, ob ausgedehnt oder nicht ausgedehnt (wie z. B. Gedanken und Überzeugungen), nur in räumlich ausgedehnten Entitäten der Fall sein kann. Der Ort der Existenz der räumlich ausgedehnten Entität ist dann der Ort des Der-Fall-Seins des nicht ausgedehnten Weltzustands. Z. B. kann die räumlich ausgedehnte Entität Angela Merkel im nicht-ausgedehnten Weltzustand sein, zu glauben, dass es regnet.

Die Raumzeitstelle unterscheidetsich von der möglichen Welt. An derselben Raumzeitstelle kann der gleiche Weltzustand möglich und unmöglich sein, nicht aber in derselben Welt. Die Raumzeitstelle, nachts um vier am 1. Januar 2022 im Mittelkreis des Fußballfeldes des Berliner Olympiastadions,ist dieselbe, ob das Wissen, dass es an Ort und Stelle regnet, an ihr möglichoder unmöglich ist. Dagegen muss es sich um zwei verschiedene Welten handeln, wenn dieses Wissen an derselben Raumzeitstelle möglichund unmöglich ist. In einer Welt regnet es an dieser Raumzeitstelle, in der anderennicht. In derselben Welt kann es nicht an derselben Raumzeitstelle regnen und nicht regnen.

Es kann also keine einzelne Welt geben, in der der gleiche Weltzustand an derselben Raumzeitstelle möglichund unmöglich ist. Es kann nur eine einzelne Raumzeitstelle geben, an der der gleiche Weltzustand möglich und unmöglich ist. Die Raumzeitstelle ist die Form, an der der gleiche Weltzustand möglich und unmöglich sein kann. Dagegen ist eine Welt entweder die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des gleichen Weltzustands an derselben Raumzeitstelle.Inderselben Welt ist der gleiche Weltzustand an derselben Raumzeitstelle nicht sowohl möglich als auch unmöglich. In derselben Welt ist er entweder möglich oder unmöglich.

Genau dann, wenn ein Weltzustand der Fall ist, ist er in genau einem der folgenden drei ontologischen Modi. Er ist entweder unbedingtnotwendig oder bedingt notwendig oder bloß tatsächlich. Genau dann, wenn ein Weltzustand nicht

13 VonKarl Valentin stammt die komische Frage:«War jetz’ des gestern oder im dritten Stock?» Grund ihrer Komik ist, dass sie suggeriert, Ort und Zeitpunkt variierten wie zwei verschiedene Weltzustände miteinander. Genauer gesagt suggeriert sie, die Tatsächlichkeit dessen, dass etwas gestern stattfand, mache es unwahrscheinlicher oder schließe es gar aus, dass es im dritten statt nicht im dritten Stock stattfand.

1.1
und Welt 17
Raumzeitstelle, Modus

der Fall ist, ist er in genau einem der folgenden drei ontologischen Modi. Er ist entweder unbedingtunmöglich oder bedingt unmöglich oder bloß möglich.

Unbedingt notwendig ist ein Weltzustand genau dann, wenn er an jeder möglichen Raumzeitstelle der Fall ist. Unbedingt unmöglich ist ein Weltzustand genau dann, wenn er an jedermöglichen Raumzeitstelle nicht der Fall ist. Genau dann, wenn ein Weltzustand unbedingt notwendig ist, ist der gegenteilige Weltzustand unbedingt unmöglich. Unbedingt notwendig ist der Weltzustand, entweder podernicht-p. Er ist an jeder möglichen Raumzeitstelle der Fall. Deshalb ist der gegenteilige Weltzustand, nicht (entweder poder nicht-p),anjeder möglichen Raumzeitstelle nicht der Fall.14

Bedingt notwendig ist ein Weltzustand genau dann, wenn er der Fall sein muss, ohne an jeder möglichen Raumzeitstelle der Fall zu sein. Bedingt unmöglich ist ein Weltzustand genau dann, wenn er nicht der Fall sein kann, ohne an jeder möglichen Raumzeitstelle nicht der Fall zu sein. Das Nicht-Wissen, dass p, ist z. B. an jeder möglichen Raumzeitstelle bedingtnotwendig, an der der Begriff für p nicht besessen oder p nicht geglaubt oder fälschlich geglaubt wird. An jeder dieser Raumzeitstellen ist der gegenteilige Weltzustand, also das Wissen, dass p, bedingt unmöglich. Gleichwohl wird p an einer möglichen Raumzeitstelle gewusst. An ihr ist das Nicht-Wissen von p nicht notwendig. Also ist es bedingt und folglich kontingent, dass das Nicht-Wissen von p notwendig ist.

Wissen und Nicht-Wissen sind qua ihrer intentionalen Objekteintensionale Zustände der Welt. Es können auch extensionaleZustände der Welt bedingt notwendig sein. Die gegenteiligen Weltzustände, ein Hund bellt und kein Hundbellt, sind z. B. extensional. Das Bellen eines Hundes ist an jeder Raumzeitstelle bedingt unmöglich, an der kein Hund ist. Genau dann, wenn das Bellen eines Hundes bedingt unmöglich ist, ist das Bellen keines Hundes bedingt notwendig. Also ist das Bellen keinesHundes an jeder Raumzeitstelle bedingt notwendig, an der kein Hund ist.

In den bisherigen Beispielen des Wissens und Hundebellens war immer der negative Weltzustand bedingt notwendig und der positive bedingt unmöglich. Es kann aber auch umgekehrt sein und der positive Weltzustand bedingt notwendig und der negative bedingt unmöglich sein. Das folgende Beispiel zeigt dies. Der positive Weltzustand des Glaubens, dass Ermordete tot sind,ist genau dann bedingt notwendig, wenn die Begriffe für Ermordung und Tod besessen werden. Genau dann ist der negative Weltzustand des Nicht-Glaubens, dass Ermordete tot sind,bedingt unmöglich. Die positivenWeltzustände der beiden Schmerzüber-

14 Die unbedingte Notwendigkeit ist eine «logical truth»imSinne Carnaps (1947:§ 39). Quine (1960:195)bestimmte sie ebenso als solche. Jeder unbedingten Notwendigkeit entspricht eine «logical truth»imSinne Carnaps (1947:§ 39). Quine (1960:195)bestimmte sie ebenso als solche. Sätze über unbedingte Notwendigkeiten bestimmte Carnap (1947:§ 2) als «L-determinate». Das bedeutet, dass sie allein aus logischen Gründen wahr sind.

18 1Welt und Begriff

zeugungen (Glaube an den Schmerz und Glaube an den Nicht-Schmerz)können auch bedingt notwendig sein. Das werden wir im Laufe der Untersuchung sehen.

Im soeben erwähnten Beispiel eines positiven und bedingt notwendigen Weltzustands handelte es sich um einen intensionalen Weltzustand. Schließlich war von Überzeugungen die Rede. Können auch positive extensionale Weltzustände bedingtnotwendig sein?Nein. Denn jederpositive und notwendige extensionale Weltzustand ist unbedingt notwendig. Dass Rotes farbig ist,ist z. B. extensional,positiv und unbedingt notwendig. Gleiches gilt für den Weltzustand, dass ein Schuh ein Volumen hat.

In Meaning and Necessity stellt Carnapdie Frage, ob der Satz «Wenn pnotwendig ist, dann ist es notwendig, dass pnotwendig ist»wahr oder falsch ist. Er stellt zu Recht fest, dass der Satz wahr ist, wenn p eineunbedingte Notwendigkeit ist.15 Denn eine unbedingte Notwendigkeit, wie z. B., dass nur wahre Überzeugungen Wissen sind, ist in jeder möglichen Welt der Fall. Hingegen nicht fest stellt er, dass der Satz genau dann falsch ist, wenn p eine bedingte Notwendigkeit ist. Denn immer dann, wenn p bedingtnotwendig ist, gibteseinemögliche Welt, in der p nicht der Fall und damit auch nicht notwendig ist. Genau dann ist p’ Notwendigkeit nicht notwendig. Angenommen p steht für den Weltzustand des Nicht-Wissens, dass Napoleon 1815 starb. In unserer Welt ist er bedingtnotwendig, weil Napoleon in ihr nicht 1815, sondern 1821 starb. Dieses Nicht-Wissen ist nun aber nicht unbedingt notwendig. Denn es gibt eine mögliche Welt, in der Napoleon 1815 starb und jemand weiß, dass er 1815 starb. Deshalb ist die Notwendigkeit des Nicht-Wissens, dass Napoleon 1815 starb, nicht notwendig. Deshalb ist die Notwendigkeit eines bedingt notwendigen Weltzustands nicht notwendig.

Nun könnteman meinen, dass dieses Beispiel zur Notwendigkeit des NichtWissens von Napoleons Tod 1815 in einer Welt wie der unsrigen zwar eine begriffliche,nicht aber eine metaphysische Notwendigkeit ist. Schließlich sei jede falsche Überzeugungzwar begrifflich notwendigerweise Nicht-Wissen, doch zeige dieses Beispiel nicht,dass jede falsche Überzeugungauch metaphysisch notwendigerweise Nicht-Wissen sei. Die begrifflicheNotwendigkeit resultiere lediglich aus unserer Entscheidung, Wissen so definiert zu haben, dass es eine wahre Überzeugungsein muss. Ich bin anderer Auffassung. Jede begrifflicheNotwendigkeit ist eine metaphysische. Warum?

Zum einen ist es unbedingt unmöglich, dass die Notwendigkeit einer Bedingung für die Möglichkeit eines Weltzustands die Folge einer Entscheidung ist. Denn notwendig für seine Möglichkeit ist sie genau dann, wenn sie es in jeder möglichen Welt und damit auch in der ist, in der keine entscheidungsfähigen Wesen existieren. Das Der-Fall-Sein von p ist in jeder möglichen Welt notwendig für die Möglichkeit des Wissens von p und somit auch in der, in der keine Ent-

15
1.1 Raumzeitstelle, Modus und Welt 19
Vgl. Carnap 1947, §39.
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.