Martin G. Weiß: Die Un-Verfügbarkeit des Lebens

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Die Un-Verfügbarkeit des Lebens

Zum Herstellungsbegriff in den Biotechnologien

Die Un-Verfügbarkeit desLebens

Zum Herstellungsbegriff in den Biotechnologien

Verlag
Schwabe

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der Fakultät für Kultur- und Bildungswissenschaften der Universität Klagenfurt und des Forschungsratsder Universität Klagenfurt

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Satz:3w+p, Rimpar

Druck:Hubert& Co., Göttingen

Printed in Germany

ISBN Printausgabe 978-3-7965-4884-0

ISBN eBook (PDF)978-3-7965-4885-7

DOI 10.24894/978-3-7965-4885-7

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Für Franziska

«Life is aself-sustained chemical system capable of undergoing Darwinian evolution.»

Gerald Joyce

«Man kann zwar auch das Lebendige als eine raum-zeitliche Bewegungsgröße auffassen, aber man hat dann nicht mehr das Lebendige.»

Martin Heidegger

«What Icannot create, Idonot understand.»

Richard Feynman

«Lebenkann nur von Lebenerkannt werden.»

Hans Jonas

Inhalt Vorbemerkung ... ... .. .. ... .. .. .. .. ... ... .. .. .... ... .... .. .. ... 11 1Einleitung .. ... .... ... .... .. .. .. .. .. .... ... .... ... ... .. .. .. .. 13 2Die Entfremdung von Mensch und Natur im Objektivismus 31 2.1 Objektivismus als Mathematisierung und Beherrschung der Natur .. ... ... ... .. .. ... .. .. .... ... .... 31 2.2 Objektivismus als Todesontologie .. .. ... .. .. ... .. .. .... ... .... 37 2.3 Die Wiederkehr der Gnosis:Hans Jonas’ Deutung der Moderne als Nihilismus ... ... ... .. .. .... ... .... ... .... ... .... ... .... 51 3 Φύσις und τέχνη.Aristoteles’ grundlegende Unterscheidung ... 57 3.1 Einleitende Zusammenfassung 57 3.2 Physik II, 1. .. .... ... .... .. .. .. .. .. .... ... .... ... .. .. ... .. .. 71 3.2.1 Von(selbst‐)bewegtenbeseelten und unbeseelten natürlichenKörpern .. .. ... ... ... .. .. .... ... .... ... .... 73 3.2.2 Die Form als formende Form 79 3.2.3 Natürlichesund Künstliches ... ... .. .. .... ... .... ... .... 82 3.2.4 Wesentlichesund Zufälliges ... ... .. .. .... ... .... ... .... 86 3.2.5 Die Unbeweisbarkeit der Natur .. ... ... .. .. ... .... ... .... 88 3.2.6 Aristoteles’ Kritik am reduktionistischen Naturalismus Antiphons .. .. ... .. .. .... ... .... ... .... ... .... ... .... 90 3.2.7 Stoff, Form und Vermögen .. .. ... .. .. ... .. .. .... ... .... 93 3.2.8 Vollendung und Wirklichkeit .. ... .. .. ... .. .. .... ... .... 95 3.3 Ζωή und ψυχή. De Anima II, 1 .... .. .. ... ... .... ... .... ... .... 98 3.4 VonAristoteleszur SynthetischenBiologie ... ... .. .. .... ... ... . 113 3.4.1 VonVogelnestern, Spinnennetzenund vollendeten Handwerkern .. .. .. ... ... .... ... .... ... .... 117 3.4.2 Benommenheit und Verfallenheit: Agamben dekonstruiert Heidegger 123
3.4.3 Wachsen, technische Herstellung und unbewusste Herstellung ... .. .. ... .. .. .... ... .... ... .... 131 4Die Verobjektivierung des Lebens und ihr Umschlagen in Unverfügbarkeit. VonSynthetischer Biologie zu Bio-Art .. ... 135 4.1 Künstliches Leben 135 4.1.1 Nekroevolutionoder hartes künstliches Leben .. .. .. ... ... . 137 4.1.2 Lebendige Computerprogramme oder weiches künstliches Leben .. .. .. ... ... .... ... .... ... .... 139 4.1.3 Synthetische Biologie oder nasses künstliches Leben 140 4.2 Aristoteles und die Synthetische Biologie: Leben herstellen oder Leben simulieren?. .. .. ... .. .. .. .. ... ... . 141 4.3 Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 .. ... .. .. .... ... .... ... .... 151 4.4 Herstellen und Verstehen:Von Vico zu Heidegger 158 4.4.1 Verum ipsum factum:Wahrheit, Herstellbarkeit und der Vorwurf des Gottspielens .. ... ... .. .. .. .. ... ... . 159 4.4.2 Das herstellende Verhalten als Paradigma abendländischer Metaphysik .. .. ... ... .... ... .... ... .... 165 4.4.3 Natürlich vs. künstlich:Zurück zu Aristoteles?. ... .. .. .. .. 170 4.5 Vonder Synthetischen Biologie zu Eduardo Kacs Bio-Art .. ... ... . 173 4.5.1 Bio-Art .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. ... .... .. .. .. . 173 4.5.2 Genesis .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. ... .... .. .. .. . 176 5Martin Heideggers seinsgeschichtliche Deutung der Technik .. . 183 5.1 Das Ge-Stell .. ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ... .... ... .... .. .. .. . 185 5.2 Die Zeitalter der Seinsgeschichte .. .. .. ... ... .... ... .... ... .... 196 5.1.1 Seinsgeschichte als Geschichte der Wahrheit. Platons Lehre von der Wahrheit .... ... .... ... .... ... .... 201 5.1.2 Mögliche Gliederungender Seinsgeschichte .. .. ... .. .. .... 215 5.3 Das poietische Wesen der Technik .. .. ... ... .... ... .... ... .... 225 5.4 Agambens Nichtstun und Heideggers messianische Gelassenheit 230 6Schluss mit Heidegger .... ... .... .. .. .. .. .. .... ... .... ... .... 243 Abkürzungender zitierten aristotelischen Schriften .. .... ... .... 253 Bibliographie .. .. .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. ... ... . 255 Personenregister .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. . .. .... .. .. .. . 269 10 Inhalt

Vorbemerkung

Der vorliegende Text stellt den Versuch dar, einige Fragen zum Verhältnis von «Natur»und technisch-wissenschaftlicher «Erfassung»derselben, die mich seit Langem beschäftigen, zusammenzudenken, zu verstehen und zumindestansatzweise zu beantworten.

Das angestrebte Ziel des Buches besteht in einer phänomenologisch grundierten, von der «Kritischen Theorie»inspirierten, antireduktionistischen Deutung der «Natur»bzw. des «Lebendigen»und einer «Naturalisierung»der Technik. Die Grundthese des Buches lässt sich folgendermaßenfassen:

Das durch seine Negation (inder Technik)vermittelteNatürliche (verstanden als dasjenige, was das Prinzip seines Werdens in sich selbst hat)zeigt sich in der «Unverfügbarkeit»der Technik – d. h. in der (ästhetischen)Negation des bloß Hergestellten – allererst wieder als φύσις im Sinne der ἀρχή,verstanden als das, «was aus sich entstammen lässt». Daraus erhellt, dass die Technik eine durch den (selbst natürlichen)Menschen vermittelte Weise der ursprünglichen φύσις darstellt, in der diese gleichsam zu sich selbst kommt.

Am Nachmittagdes 11. Mai 2004 wählte Steven Kurtz, Professor am Art Department der University of New York at Buffalo, die Notrufnummer 911, um den plötzlichen Herztod seinerFrau zu melden.

Den Einsatzkräften bot sich ein verstörender Anblick:Die Fenster des Hauses waren von innen mit Plastikplanen luftdicht versiegelt, in einer Art biologischem Labor standenZentrifugen, Brutschränke, unzählige Petrischalen, Reagenzgläser und Erlenmeyerkolben, in den Bücherregalen Abhandlungen über Biotechnologie und Virologie. Das FBI wurde alarmiert und kurz darauf trafen Beamte in Chemieschutzanzügen ein.Steven Kurtz wurde verdächtigt, an biologischen Waffen gearbeitet zu haben, und als möglicher Bioterrorist verhaftet, die Leiche seiner Frau beschlagnahmt.

Die Szene, in der der etwas verwahrlost wirkende vermeintliche Hobbybioterrorist von FBI-Agenten abgeführt wird, während im Hintergrund Tatortfahnder in bunten Schutzanzügen Kartons mit Beweismaterial aus einem biederen Einfamilienhaus tragen, prägte sich tief ein ins (populär‐)kulturelle Gedächtnis und findet sich heute nicht nur in Michael Crichtons Gentechnikthriller Next1 , sondern etwas variiertebenso in Richard Powers Roman Orfeo2 wieder. Hatte sich Powers in seinem Vorgängerroman Generosity.AnEnhancement3 mit der fiktiven Entdeckung eines Glückgens und den daraus resultierenden traurigen Folgen für dessen Besitzerin auseinandergesetzt, so geht es in Orfeo um einen zum Hobbygenetiker mutierten Musiker, dem es in letzter Sekunde gelingt, den sein Labor stürmenden Sondereinheiten der Polizei zu entkommen

Ebenso wie sich in den Romanen der vermeintliche Bioterrorist als relativ harmlos erweist – bei Crichton als fanatischer Umweltschützer, bei Powers als später Nachfahre Adrian Leverkühns auf der Suche nach musikalischen Mustern in wuchernden Zellkulturen –,stellte sich auch das reale Vorbild bald als ungefährlich heraus. Steven Kurtz, Mitbegründer der biotechnologiekritischen Künstlergruppe CriticalArt Ensemble4,war kein Bioterrorist, sondern arbeitete mit sei-

1 Crichton, Michael:Next. New York. Harper 2007.

2 Powers, Richard:Orfeo. New York. Atlantic Books 2014.

3 Powers, Richard:Generosity. An Enhancement. New York. Picador 2010.

4 Vgl. Critical Art Ensemble:Cyborgs &Designerbabies. Flesh Machine:Die biotechnologische Revolution. Wien. Passagen 1998.

1Einleitung

ner Frau an einem Kunstprojekt, genauer an einem Bio-Art-Projekt,dessen Ziel es war,genetisch veränderte, aber völlig harmlose Bakterienher- und öffentlich auszustellen, um so das Treiben der großen international agierenden Agrarkonzerne zu hinterfragen, die tatsächlich Lebensformen mit neuen genetischen Eigenschaften produzieren und in freier Wildbahn aussetzen.

Was die mittlerweile mit Tilda Swinton verfilmte5 Geschichte des Steven Kurtz erhellt, ist die tiefe Ambivalenzdes gentechnologischen Fortschritts, der nicht nur eine Erzählung von Hoffnungen und hochtrabenden Erwartungen ist, sondern auch eine von tiefsitzendenÄngsten und Befürchtungen.

Dabei erinnern die Hoffnungen und Ängste, die mit den unheimlichen Möglichkeiten der Gentechnologie verbunden werden, in ihrer Intensität an die Ängste und Hoffnungen, die bis vor nicht allzu langer Zeit allein die Religion hervorzurufen im Stande war.6 Die Heilserwartung, oftmals eine Naherwartung, die den Diskurs über die Gentechnologien begleitet, gründetauf dem – nicht nur von den Medien, sondern auch von (auf medienwirksame Ankündigungen angewiesenen)Drittmittelforschern – immer wieder neu entfachten Versprechen, dass wir dank der Fortschritte der Gentechnologie über kurz oder lang buchstäblich in der Lage sein werden, Blinde sehend und Lahme gehend zu machen. Aber auch die Befürchtungen bezüglich des möglichen Verschwindens des Menschen (zumindest des Menschen,wie wir ihn kennen), die die Gentechnologie auslösen, erinnern an die alte religiöse Angst vor der Apokalypse. Einerseits erzeugt die Biotechnologie7 paradiesische Heilserwartungen. Diese reichen von der Beseitigung aller Geiseln der Menschheit (mögen diese Blindheit, Querschnittslähmung, Krebs,Parkinson, Diabetes, Herzinfarkt oder HIV heißen)über Enhancementfantasien bezüglich der Verbesserung der geistigen und physischen Fähigkeiten des Menschen (als Ziele gelten eineerhöhte Lebenserwartung sowie eine Steigerung unserer kognitiven und emotionalen Fähigkeiten)bis hin zur Herstellunggänzlich künstlicher Organismen,die unseren (Atom‐)Müll abbauen, Ölteppiche vertilgen oder Biotreibstoffe und Medikamente produzieren. Dabei sind diese Versprechen so alt wie die Gentechnologie selbst.8

5 2007 erschien die dokumentarfilmische Adaptation des Stoffes unter dem Titel Strange Cultures. Regie führte Thomas Jay Ryan.

6 Vgl. Künzli, Arnold:Menschen-Markt. Die Humangenetik zwischen Utopie, Kommerz und Wissenschaft. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt 2001.

7 «Biotechnologie lässt sich grob als die Nutzung lebender Organismen oder ihrer Produkte zum Vorteil des Menschen (und/oder seiner Umgebung), zur Herstellung eines Produkts oder zur Lösung eines Problems definieren.» Thiemann William J. /Palladino Michael A.: Biotechnologie. München. Pearson 2007, 3.

8 Bereits 1993 schreibt Peter Weibel:«Die Gentechnik weckt [ ]hohe Erwartungen. Sie arbeitet an der Herstellung einer wirksamen Waffe im Kampf gegen Krebs, die Immunschwäche Aids und gegen andere unheilbare Krankheiten ebenso, wie an Beiträgen zur Lösung des

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Auf die Versprechens-Ökonomie nicht nur der Lebenswissenschaften, sondern der aktuellen technisierten Gestalt der Naturwissenschaften, der sogenannten Technosciences9 , im Allgemeinen, macht Donna Haraway aufmerksam, wenn sie betont, dass zum Narrativ der technisierten Naturwissenschaften das nicht einlösbare Versprechen wesentlich dazugehört:

Man kann mit Recht behaupten, daß das Versprechen der Technosciences ihre hauptsächliche soziale Bedeutung ausmacht. In der Kultur der Nicht-Kultur waren schwindelerregende Versprechungen immer wieder die Kehrseite der trügerisch nüchternen Pose von wissenschaftlicher Rationalität und modernem Fortschritt. Ob unbegrenzte, saubere Energie durch das friedliche Atom, künstliche, bloß menschliche übertreffende Intelligenz, ein undurchdringlicher Schutzschild gegen Feinde drinnen und draußen oder die Überwindung des Alterungsprozesses jemals Wirklichkeit werden, ist weit weniger wichtig, als daß diese Ideen in der Zeitzone der unglaublichen Versprechungen stets lebendig bleiben. In bezug auf solche Träume ist die Unmöglichkeit ihrer materiellen Umsetzung auf dem üblichen Weg für die Wirksamkeit des Versprechens wesentlich.10

Andererseits speisen Gentechnologien apokalyptische Visionenvon außer Kontrolle geratenen genveränderten Organismen, die das Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen:von neuartigen biologischen Waffen bis hin zur von Huxleys Brave New World11 inspirierten Befürchtungder biologischen Zementierung einer Zweiklassengesellschaft, in der eine genetisch verbesserte Gruppe von Welternährungsproblems, an neuen umweltschonenden Techniken, bis hin zum ‹idealen› Menschen, dem Gentechnik-Menschen.» Weibel, Peter:Leben – Das unvollendete Projekt. In: Gerbel, Karl /Weibel, Peter (Hg.): Genetische Kunst – Künstliches Leben. Ars Electronica 93. Wien. PVS 1993, 9

10, hier 9.

9 Unter Techno-Wissenschaft versteht man den Umstand, dass in der zeitgenössischen Forschung die Wissenschaft ihrer technischen Anwendung nicht mehr vorhergeht, sondern Wissenschaft immer schon durch Technik bedingt ist:«Wissenschaftliche Forschungsprozesse sind nicht nur abhängig von technologischem Wissen und Können, sie werden auch zunehmend durch dieses Wissen und Können gelenkt. Technologie ist nicht nur Anwendung, sondern auch Voraussetzung für Wissenschaft, die damit selbst ‹technische› Züge annimmt. Die alte Gewaltenteilung – Technik, die über die Gesellschaft, und Wissenschaft, die über die Technik herrscht – gilt, was das Verhältnis von Wissenschaft und Technik betrifft, nicht mehr.» Mittelstraß, Jürgen:Leonardo-Welt – Aspekte einer Epochenschwelle. In:Kaiser, Dirk (Hg.): Kultur und Technik im 21. Jahrhundert. Frankfurt/M. Campus 1993, 23.

10 Haraway, Donna:Anspruchsloser Zeuge @Zweites Jahrtausend. FrauMann© trifft OncoMous\T. Leviathan und die vier Jots:Die Tatsachen verdrehen. In:Scheich, Elvira (Hg.) Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie. Hamburg. Hamburger Edition HIS 1996, 347

389, hier 386.

11 Huxley, Aldous:Schöne neue Welt. Frankfurt/M. Fischer 2014.

1Einleitung15

«Übermenschen»über die «Nicht-Verbesserten»herrscht oder der herkömmliche Mensch über eine biologisch gezüchtete «primitive»Sklavenkaste.12

Theoretisch komplexereEinwände gegen eine genetische Veränderung des Menschen befürchten die Auflösung der «emotionalen»Grundlagen menschlicher Gesellschaften13 oder die Untergrabung des Konzeptes gesellschaftlicher Solidarität,14 da es, wenn wir unsere biologische Disposition beeinflussen oder auch nur kennen könnten, de facto keinenBereich des Lebens mehr gäbe, für den wir nicht bis zu einem gewissen Grad selbst verantwortlich wären. Wo es keine unvorhersehbaren Krankheitenmehr gibt, sondern nur noch kalkulierbare Risiken, ist jeder seinesGlückes oder Unglückes Schmied.15

Schließlich stellensich Philosophen und Philosophinnen die Frage, inwieweit die Etablierung einer liberalenEugenik das Selbstbild des Menschen verändern wird, der sich bisher «von Natur aus»als selbstverantwortliches Freiheitswesen und als Gleicher unter Gleichen verstand.16 Denn in der liberalenEugenik ist es – im Gegensatz zur klassischen Eugenik von Platon über die Eugenikbewegung der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts in den USA bis hin zum Rassenwahn der Nationalsozialisten17 – nicht das Kollektiv bzw. der Staat, der darüber zu entscheiden hat, welche biologischen Eigenschaften«gezüchtet»und welche «ausgemerzt»werden sollen, sondern der Einzelne,der sich nach den Grundsätzen des (Wirtschafts‐)Liberalismusim«genetischen Supermarkt»18 bedient, um die genetische Ausstattung seiner Kinder zu optimieren. Aber wo der Mensch sich nicht mehr als alleiniger Autor seiner Handlungen zu verstehenvermag, stehen die Grundlagen der liberalenDemokratie, d. h. die Ideale von Freiheit und Gleichheit, zur Disposition. Damit schlägt die Freiheit des neuzeitlichen Subjekts auf ihrem praktischen Höhepunkt, d. h. auf dem Höhepunkt der Naturbeherr-

12 Vgl. Silver, Lee M.: Das geklonte Paradies. Künstliche Zeugung und Lebensdesign im Neuen Jahrtausend. München. Droemer 1998, 317 ff.

13 Vgl. Fukuyama, Francis:Das Ende des Menschen. München. dtv 2004.

14 Vgl. Sandel, Michael J.: Plädoyer gegen die Perfektion. Ethik im Zeitalter der genetischen Technik. Mit einem Vorwort von Jürgen Habermas. Wiesbaden. Berlin University Press 2008.

15 Vgl. Weiß, Martin G.: Die Auflösung der menschlichen Natur. In:Weiß, Martin G. (Hg.): Bios und Zoë. Die menschliche Natur im Zeitalter ihrer technologischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt/M. Suhrkamp 2009, 34–55.

16 Vgl. Habermas, Jürgen:Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?Frankfurt/M. Suhrkamp 2002.

17 Vgl. Weingart, Peter /Kroll, Jürgen /Bayertz, Kurt (Hg.): Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Frankfurt/M. Suhrkamp 1992.

18 Nozick, Robert:Anarchy, State, and Utopia. New York. Basic Books 1974, 315.

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schung, in die Gefahr um, sich aus freien Stücken selbst abzuschaffen, bzw. ihre eigenen Grundlagen unwiederbringlich zu vernichten.19

Zwar gehört das Paradoxon der Freiheit – d. h. der Umstand, dass die Freiheit des Menschen die Möglichkeit ihrer Selbstnegation, den Freitod, immer schon mit einschließt20 – zum Wesen der menschlichen Freiheit,21 doch beschränkte sich die Freiheit, das Ende der Freiheit zu wählen, bis vor kurzem auf das einzelne Individuum. Erst mit dem Aufkommen des Zeitalters der Kerne

zunächst jenes des Atom-, dann desjenigen des Zellkerns (die jeweils den Höhepunkt der Beherrschung der äußeren und der inneren «Natur»des Menschen bezeichnen) – erreicht die Freiheit des Menschen ihrehöchste Stufe. Diese geht freilich mit der Möglichkeit ihrer vollständigen (Selbst‐)Vernichtung, d. h. der Vernichtung jeglichen freien Individuums, einher.22 Der Unterschied beider Kerntechnologien, der Atom- und der Gentechnologie, ist dabei der, dass die Manipulation des Atomkerns die Gefahr birgt, ihre individuellen Träger materiell zu vernichten, während die Manipulation des Zellkerns, verstanden als Eingriff in die Keimbahn,zwar das biologischeSubstrat der Freiheit äußerlichnahezu unverändert ließe, das Subjekt aber die Fähigkeit zur Freiheit im Sinne der alleinigen Autorschaft seiner Handlungen verlöre.23

Spätestens in ihrer Anwendung auf den Menschen hat die Biotechnologie, gemeinhin verstanden als «die Nutzung lebender Organismen oder ihrer Produkte zum Vorteil des Menschen»24,also radikal politische Implikationen, da das Selbstverständnis des Menschen als eines selbstverantwortlichen Gleichen unter Gleichen durch die Ideen der liberalenEugenik untergraben wird. Dabei spielt die Frage, ob diese spätestens seit der Etablierung des «Genome Editing»(d. h. des als CRISPR/Cas9 bekannten Verfahrens)25 absolut real gewordenen Manipu-

19 Vgl. Habermas, Jürgen:Die Zukunft der menschlichen Natur. – Vgl. Lettow, Susanne: Biophilosophien. Wissenschaft, Technologie und Geschlecht im philosophischen Diskurs der Gegenwart. Frankfurt/M. Campus 2011, 240–251.

20 Vgl. Améry, Jean:Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod. Wien. Deuticke 1976.

21 «Der Selbstmord, nur den Menschen möglich, ist ein Echo der Freiheit [ ].» Trawny, Peter:Irrnisfuge. Heideggers Anarchie. Berlin. Matthes &Seitz 2014, 38.

22 Vgl. Jonas, Hans:Laßt uns einen Menschen klonieren:Von der Eugenik zur Gentechnologie. In:Ders.: Technik, Medizin und Ethik. Frankfurt/M. Suhrkamp 1987, 162–204.

23 Vgl. Habermas, Jürgen:Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?Frankfurt/M. Suhrkamp 2002.

24 Vgl. Thiemann, William J. /Palladino, Michael A.: Biotechnologie. München. Pearson Studium 2007, 3.

25 Vgl. Barrangou, Rodolphe:RNA Events. Cas9 Targeting and the CRISPR Revolution. Science 344 (2014), 707–708. – Vgl. auch Ledford, Heidi:Riding the CRISPR Wave. Nature 531 (2016), 156–59. – 2018 wurden allerdings erste Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dieser Methode und einem erhöhten Krebsrisiko gefunden:Vgl. Schmierer, Bernhard u. a.:

CRISPR-Cas9 genome editing induces ap53-mediated DNA damage response. In:Nature medicine (2018). Abrufbar unter:https://doi.org/10.1038/s41591-018-0049-z.

1Einleitung17

lationsmöglichkeiten tatsächlichverwirklichtwerden oder ob sie unangewandt bleiben, eine untergeordnete Rolle. Denn allein schon das Wissen um die theoretischen Möglichkeiten der Genmanipulation und ihrer möglichen, vielleicht auch nur gedachten Folgen könntezueiner Veränderung unseres Selbstverständnisses führen:

Es geht [ ]weder um die Gefahren oder Risiken, die sie [die bevorstehenden Technologieentwicklungen]etwa bei der Bekämpfung von Krankheiten darstellen, noch um die sozialen Einstellungen und moralischen und rechtlichen Regelungen, die ihre Entwicklung hindern oder fördern. [ ]Davon unabhängig [ ]muß geklärt werden, ob die genannten Technologieentwicklungen unser Selbstverständnis als Menschen berühren [ ].26

Die folgendenSeiten widmen sich dem Versuch einer antireduktionistischen Deutung des Natürlichen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und der «naturalistischen»Interpretation der Technik.

Ausgehend von HansJonas’– aufgrund der rasanten Entwicklung der Biotechnologien immer virulenter werdenden – Frage bezüglich der Möglichkeit, den metaphysischenSpalt zwischen Natur und Mensch wieder zu schließen, der spätestens seit Descartes ein adäquates Verständnis sowohl der Natur als auch des Menschen verunmöglicht, soll im Folgenden in Anlehnung an Aristoteles’

φύσις-Konzeption und Martin Heideggers Deutung der modernen Technik als unverfügbareWeise des Erscheinens von Seiendemaufgewiesen werden, dass das «Wesen»der von Natur aus seienden φύσει οντα und jenes der vom Menschen technisch hergestelltenArtefakte (ποιούμενα)dasselbe ist, nämlich: φύσις oder «Entbergung»27,d.h.das Geschehen des Werdens als Bewegung (κίνησις).28 Ge-

26 Böhme, Gernot:Über die Natur des Menschen. In:Barkhaus, Annette /Felig, Anne (Hg.): Grenzverläufe. Der Körper als Schnitt-Stelle. München. Fink 2002, 233–247, hier 238.

27 Heidegger, Martin:Vom Wesen und Begriff der φύσις.Aristoteles, Physik B, 1. In:Ders.: Wegmarken. Gesamtausgabe Bd. 9, 239–301, hier 301.

28 «Die Idee des Werdens (γένεσις)und Wachsens (φύεσθαι)ist [ ]für Aristoteles leitend bei der Zusammenstellung und Klassifikation der diversen Naturdefinitionen im V. Buch der Metaphysik, 4. Kapitel, dem sogenannten Definitionsbuch, in dem er die zu seiner Zeit sowohl im alltäglichen wie im wissenschaftlichen und philosophischen Sprachgebrauch gängigen Naturdefinitionen katalogisiert. An erster Stelle nennt er die Genese des Wachsenden (ἡ των φυομένων γένεσισ)(1), also den Entstehungs- und Wachstumsprozeß selbst. Es folgen zwei damit zusammenhängende Definitionen, von denen die eine das Woraus (εχ ὁυφύεται πρώτον)(2),die andere das Woher (ὅθεν ἡ κίνησισ ἡ πρώτη)(3) der für Naturgegenstände charakteristischen Prozessualität nennt. Die übrigen Definitionen bestimmen die Natur einmal als Stoff (ὕλη)(4),der in den Wachstumsprozeß eingeht und sowohl das konkrete Material wie auch die Grundstoffe Erde, Wasser, Luft und Feuer umfaßt, und zum anderen als Form (εἶδος) bzw. Gestalt (μορφή)oder Wesen (οὐσία)(5),die dem Prozeß das Ziel [τέλος]vorgeben. Im übertragenen Sinne wird schließlich das Wesen aller Gegenstände einschließlich der künstlichen ‹Natur› genannt (6).» Gloy, Karen:Das Verständnis der Natur I. Die Geschichte des wis-

18 1Einleitung

zeigt werden soll, dass das verbal verstandene «Wesen»des «Gewachsenen»und des

freilich durch die ψυχή des Menschen vermittelten – «Gemachten»dasselbe «Sich-von-sich-selbst-her-Zeigen», d. h. Phänomenalität ist und dass diese selbst im Prinzip der φύσις,verstanden als das «was aus sich entstammen lässt»29,gründet.

Der φύσις als Prinzip des «Von-sich-selbst-her-Zeigens»entspricht das Verständnis des Seienden als Erscheinendes, d. h. als eines Werdenden, dessen Wirklichkeit ein «Am-Werk-Sein»(ἐνέργεια), d. h. ein Prozess, ist. Die Vorrangigkeit des Prozessualen scheint auch Aristoteles’ Ausführungen zum Naturbegriff im vierten Kapitel des fünften Buches der Metaphysik zugrunde zu liegen, wie Karen Gloy betont, wenn sie ausführt:

Obwohl Aristoteles eine Systematik der mehr oder weniger willkürlich aufgegriffenen Definitionen [der Natur]unter dem dominierenden Begriff seiner Philosophie, dem Wesen (

ο

ὐσία), anstrebt, das er auch hier [in Met. V, 4] zur Hauptbedeutung erklärt, von der her sich alles übrige erschließt, insofern das Wesen nicht nur das Ziel des Entstehungs- und Wachstumsprozesses bezeichnet, sondern auch die Prozeßquelle sowie den zwischen Ursprung [ἀρχή]und Ziel [τέλος]sich vollziehenden Prozeß [ἐνέργεια]und schließlich auch den Stoff [ὕλη]bestimmt, der in dem Entstehungs- und Wachstumsprozeß das Wesen annehmen soll, bleibt doch in diesem ganzen Vorgang das organische Werden und Wachsen leitend;ohne es wäre auch das Wesen in seinen diversen Funktionen nicht verständlich. Ursprung und Ziel des Wachstumsprozesses ebenso wie Bestimmungsgrund desselben einschließlich der Materie, die in dem Prozeß steht, kann das Wesen nur sein, wenn es an diesen Prozeß gebunden ist.30

Das im Folgenden vertretene Verständnis der Natur als φύσις im eben erklärten Sinn lässt sich, wie wir noch sehen werden, zwar auf die vorsokratischen Anfänge der abendländischen Philosophie zurückführen, erfährt seine bis heute wirkmächtigste Ausdeutung aber bei Aristoteles. Deren Verständnis wird aber nicht zuletzt dadurch erschwert,dass sich in ihr nahezu alle zentralen Begriffe der aristotelischen Philosophie kreuzen. Denn Aristoteles definiert die φύσις «imSinne der vier Ursachen»31 zunächst als immanentes Prinzip (ἀρχή)der Bewegung

senschaftlichen Denkens. München. Beck 1995, 112. Die in Zitaten in Umschrift wiedergegebenen griechischen Begriffe wurden hier und im Folgenden stillschweigend in griechische Schrift umgewandelt.

29 Heidegger, Martin:Vom Wesen und Begriff der φύσις,301.

30 Gloy, Karen:Das Verständnis der Natur I. Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens. München. Beck 1995, 112.

31 Herzberg, Stephan: Ἀρχή.In: Höffe, Otfried (Hg.): Aristoteles-Lexikon, 68

76, hier 68.

«Platons Aitiologie aus dem Phaidon aufnehmend und weiterführend – wobei die Weiterführung hauptsächlich schulmäßige Formulierungen, weniger die inhaltliche Weiterbestimmung betrifft

das Prinzip der

,nennt Aristoteles als Ursachen:erstens die Materie bzw. den Stoff (ὕλη), zweitens die Form bzw. Gestalt (εἶδος

μορφή, παράδειγμα, οὐσία, τὸ τί ἦνεἶναι),
1Einleitung19
,
drittens

(κίνησις)bzw. der Veränderung (μεταβολή) – einschließlich des Entstehens (γένεσις)und Vergehens (φθίσις)des natürlichen Seienden (φύσει οντα) –,doch nur um dieses Prinzip dann näher als Gestalt (μορφή)bzw. Form (εἶδος)zubeschreiben, die er ihrerseits mit dem Ziel (τέλος)bzw. Zweck (οὗἕνεκα)identifiziert.32 Das Ziel aber fasst Aristoteles als Wirklichkeit, sprich «Am-Werk-Sein » (ἐνέργεια)des Seienden. Daher kann er die Wirklichkeit auch als ἐντελέχεια, wörtlich «Im-Ende-haben», bezeichnen. Bewegung, deren Prinzip die φύσις beim Natürlichenist, versteht Aristoteles als Übergang von Möglichkeit (δύναμις)zu Wirklichkeit (ἐνέργεια). Die Möglichkeit aber identifiziert er mit dem Stoff (ὕλη) und die Wirklichkeit mit der Form (εἶδος). Sodann wirft der Begriffder Bewegung die Frage nach ihrem ersten Anstoß, also nach der causa efficiens, auf, sodass nun auch der letzte der vier Gründe (αἰτία)aus Aristoteles’ Vier-Ursachenlehre – causa formalis (εἶδος), causa materialis (ὕλη), causa finalis (τέλος, ο

ἕνεκα)und causa efficiens,das «Woher, der Anfang der Bewegung und Ruhe (ο

ἡἀρχή τῆςκινήσεωςκαί στάσεως)» – in die Erklärung der φύσις hineinspielt.33 Schließlich gehört auch das Lebendige (ζῷον), einschließlich des

)und viertens den Zweck (

Gloy, Karen:Das Verständnis der Natur I, 116. 32 «Zum einen sind sie [die Ideen]Formalursachen, logische Bedingungen – modern ausgedrückt:Begriffe –,die den gemeinsamen Merkmalskomplex der an ihnen partizipierenden Sinnengegenständen artikulieren, zum anderen Zweckursachen, die für eben diese Dinge das Ziel ihrer Selbstverwirklichung darstellen. Dies erklärt sich daraus, daß die Ideen das Wesen der Sinnendinge ausdrücken, welches ihr eigentliches Sein ausmacht, in dem sie ihre Vollendung finden. Indem sich die vollkonkreten, sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände ihrem Wesen annähern, streben sie zu ihrer größtmöglichen Selbstverwirklichung.» Und an anderer Stelle heißt es:«Obwohl sämtliche Ursachen zur Konstitution von Gegenständen unerläßlich sind, scheinen doch drei von ihnen enger zusammenzugehören, und zwar Form, Wirkursache und Zweck. Vonihnen fallen zunächst Form und Zweck numerisch wie eidetisch zusammen, sodaß, was immer als Form auftritt, auch als Zweck fungiert, und was immer als Zweck auftritt, eine Form darstellt. Einen Beweis allerdings bleibt Aristoteles schuldig, jedoch fügt sich die Identifikation von Form- und Zweckursache in das platonische Erbe des Aristoteles ein, gilt doch für Platon die Form der Gegenstände, die deren Wesen und eigentliches Sein artikulieren, immer auch als Ziel und Abschluß (Vollendung), in dem die Dinge ihre Selbstverwirklichung finden.» Gloy, Karen:Das Verständnis der Natur I, 117.

33 «Vom Ursächlichen [αἰτίαι]redet man in vierfachem Sinne:Erstens meint man das Wesen (οὐσία), zweitens den Stoff [ὕλη]oder das Zugrundeliegende [ὑποκείμενον], drittens das, woher der Anfang einer Veränderung [ὅθεν ἡἀρχή τῆςκινήσεως)stammt, viertens das Gegenteil dazu, nämlich das weswegen (οὗἕνεκα)etwas geschieht und das Gute (ἀγαθόν).» Met. 983a 26.

Hans Driesch erläutert die Verwobenheit der aristotelischen Grundbegriffe folgendermaßen:«In diesen Definitionen sind alle Begriffe der aristotelischen großen Metaphysik, wenn auch zum Teil nur implicite, enthalten. Wir beginnen mit dem Wesen (οὐσία), der essentia der mittelalterlichen Philosophie. Wesen ist begriffliches Sosein;esist das, als was Etwas definiert ist, also der es meinende Begriff, wobei aber der Inhalt dieses Begriffs als ein Sein besitzend

Bewegung und Ruhe (ἀρχή κινήσεως και στάσεος
τέλος, οὗἕνεκα) […].»
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