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Ich rechne schnell im Kopf. »Aber die ist doch wesentlich jünger als Sie.« »Wenn Sie es sagen, muss es wohl stimmen. Ich habe mich darüber auch immer gewundert.« Mit 28 Jahren lernt sie im Parkhotel in Baden-Baden ihren Mann, den 19 Jahre älteren Deutschamerikaner Georg Hippel kennen. Trotz des großen Altersunterschiedes (Hippel ist immerhin fast fünfzig) wird die Beziehung fast ein halbes Jahrhundert überdauern. »Mein Mann ist 1934 nach Amerika ausgewandert. Nicht weil er politisch Verfolgter war. Nein, mein Mann hat den Untergang Deutschlands vorausgesehen.« Die beiden siedeln nach Amerika über. »Mein Mann hatte es ja in den USA zu Wohlstand gebracht, so war klar, dass wir nach Florida ziehen würden. Ich habe aber immer die Bedingung gestellt, die Hälfte eines Jahres in Europa zu leben. So haben wir uns hier ein Domizil in BadenBaden geschaffen. Zu Anfang sind wir dann immer mit dem Schiff gereist. Das war die romantische Variante. Später sind wir natürlich geflogen.« Kinder hatten die beiden keine. »Wir hatten uns vorgenommen, immer füreinander und miteinander zu sein.« Etwa zehn Jahre vor seinem Tod wird Georg Hippel schwer krank. »Mein Mann litt an Myasthenia Gravis, einer seltenen Muskelkrankheit. Eines Tages saßen wir in der Kirche, als er mir zuraunte, er könne sich nicht mehr bewegen. Von diesem Tag an habe ich ihn pflegen müssen.« Professionelle Pflege lehnte der alte stolze Mann kategorisch ab. Er ließ lediglich eine Haushälterin und eben seine Frau an sich heran. »Die Nachtwachen habe ich dann immer übernommen. Entweder habe ich mir einen Stuhl ans Bett gestellt oder aber ich habe auf einer Matratze, die ich vor sein Bett gelegt habe, geschlafen. So wurde ich immer sofort wach, wenn er aufstehen wollte. Er musste dann nämlich auf mich treten.« Im Jahre 2001 stirbt Georg Hippel. Nach seinem Tod zieht seine Frau nichts mehr nach Amerika. Sie verkauft alles und kommt für immer zurück nach Deutschland. Kurze Zeit später wird auch sie krank.

»Nach dem Tod meines Mannes ist meine Erkrankung ausgebrochen. Mittlerweile haben Metastasen mein Knochengerüst angegriffen. Es gibt nur einen Mann der mir einigermaßen meine Schmerzen nehmen kann und das ist ein phantastischer Arzt aus Essen. Deshalb fahre ich ja auch zur Behandlung immer wieder ins Ruhrgebiet.« Die letzten Stunden sind nicht spurlos an Dorothea Hippel vorbeigegangen. Sie greift zu ihren Schmerzmitteln, die immer in ihrer Nähe liegen. »Und jetzt bin ich froh, wenn in absehbarer Zeit alles vorbei ist. Ich hatte ein wunderbares Leben. Ich bin sehr dankbar. Aber jetzt reicht es bald. Und wenn nichts mehr geht, hoffentlich hilft man mir dann. Denn einen Sterbenden nicht zu unterstützen, wenn er sterben möchte, wäre für mich ein riesengroßer Skandal.« Selten reden Menschen offen über ihren eigenen Tod. Und wenn sie es tun, bin ich immer etwas verunsichert und weiß nicht recht wie ich darauf reagieren soll. Bei meinem Gespräch mit Frau Hippel ist das zunächst ganz ähnlich. Aber die Gelassenheit mit der sie über das Unausweichliche redet und die Selbstbestimmtheit, die sie beansprucht, bis in den eigenen Tod hinein, beeindrucken mich sehr. Auf dem Weg von Baden-Baden ins Ruhrgebiet habe ich lange Zeit nachzudenken. Ich war mir nie ganz im Klaren, welchen Verlauf das Gespräch nehmen würde. Ohne ins Detail gehen zu müssen: Ich war unter ganz anderen Voraussetzungen gestartet. Wie ich den Nachmittag zu Papier bringen, das Gespräch zusammenfassen würde, wusste ich noch überhaupt nicht. Klar war nur, ich hatte eine ganz außergewöhnliche selbstbewusste Frau kennen gelernt. Und dafür bin ich sehr dankbar. Thomas Schmitz

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