SALIS VORSCHAU FRÜHJAHR 2016

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Neuerscheinung // Sachbuch Leseprobe Mir ist vor Kurzem etwas extrem Peinliches passiert. Ich war in meinem Lieblingsrestaurant zum Abendessen, und am Ende des Abends hat mir der Kellner gesagt, dass ich das Preisschild von der Bluse am Rücken habe. Ich bin dann sofort nach Hause und seither nie mehr dorthin gegangen. Ich weiß nicht, wie ich mich jetzt verhalten soll. Was raten Sie mir? R.W., 23 Liebe Frau W. Als ich Ihre Frage gelesen habe, musste ich herzhaft lachen. Ich hoffe, Sie verzeihen mir das. Ich habe mich nicht etwa über Sie und Ihr Erlebnis amüsiert, sondern über die Tatsache, dass ich in meinem Repertoire unzählige solcher Geschichten habe! Und dann habe ich auch noch das riesengroße Glück, Freundinnen zu haben, die mir in regelmäßigen Abständen ähnliche Schauergeschichten erzählen. Und wissen Sie was, ich liebe solche Lapsus! Sie passieren mir häufig und ich möchte keine dieser Storys missen, sie sind ein unschätzbarer Quell der nachhaltigen Freude. Wirklich. Das wissen Sie jetzt vielleicht noch nicht zu schätzen, aber mit etwas zeitlicher Distanz werden Sie drüberstehen, glauben Sie mir. Sie befinden sich mit diesem Preisschild-Fauxpas im mittleren Anfängerbereich. So sind wir alle gestartet. Mit etwas Übung werden Sie sich an anspruchsvollere Projekte wagen, wie zum Beispiel ich, die zu den Anfangszeiten von Skype in Unterwäsche mit meinem Lehrer online-telefonierte und am Ende des Gesprächs in kindlicher Freude sagte: »Lustig, ich konnte Sie während dem ganzen Gespräch auf meinem Bildschirm sehen!« Die Begeisterung war schnell verflogen, als er antwortete: »Ich auch!« Oder als ich in meiner supertollen, superengen Acne-Jeans, in die ich eigentlich nur nach einer langwierigen Magen-Darm-Grippe passe und die ich den Rest des Jahres ausschließlich liegend zubekomme und die den nicht wirklich zuverlässig schließenden Reißverschluss hinten statt vorne trägt, halbnackig durch ganz Zürich spazierte. Oder als ich mit einem Kleiderbügel, der an der Garderobe im Restaurant runtergerutscht und in der Kapuze meines Mantels hängen geblieben war, quer durch den Flughafen gewandelt bin und erst an der Gepäckkontrolle aufgehalten wurde, weil das glänzende Metall den Detektor zum Glühen brachte. Ach, ich könnte Ihnen noch unzählige solcher Schwänke erzählen! Sie sehen selber, es gibt noch viel zu tun. Geben Sie nicht auf, Sie sind auf gutem Wege. Mit der Zeit wird es weniger schmerzen, jedes weitere Fettnäpfchen stählt Ihre schwachen Nerven zusätzlich. Ziehen Sie Ihr neues Blüsli an und gehen Sie essen, in Ihr Lieblingsrestaurant! Und zwar jetzt, machen Sie, dass Sie rauskommen!

Zur Autorin Kafi Freitag wuchs in einem Dorf im Kanton Solothurn auf, welches sich über Jahre mit japanischen Metropolen um den ersten Platz auf der Liste der Selbstmordrate stritt. Sie verlebte eine mäßig glückliche Kindheit und nutzte die erstbeste Gelegenheit, um nach Zürich zu ziehen. Dort arbeitete sich Kafi zur Anlageberaterin und später zur rechten Hand eines Generaldirektors einer Großbank hoch. Sie führte eine fürchterliche Billig-Modekette, schrieb als Ghostwriterin einen Politik-Blog für die NZZ und kleidete einen Politiker ein, der danach zwar Karriere machte, die knackig geschnittenen Anzüge jedoch nie trug. Heute führt sie die Praxis Freitag Coaching und gibt unter dem Label Tribute Workshops für Frauen und Firmen. Kafi Freitag ist Kolumnistin bei watson.ch und bei bref. Sie hat einen besorgniserregenden Musikgeschmack und versucht, ihren Alltag so vernünftig wie nötig und amüsant wie möglich zu leben. www.fragfraufreitag.ch


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