Zurück ins normale Leben

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Berufliche Integration

Zurück ins normale Leben «Ich möchte nicht stigmatisiert, sondern normal behandelt werden.» Frau M.S. legt grossen Wert darauf, anonym zu bleiben. 2011 hatte sie eine schwere Depression, aufgrund psychotischer Ängste versuchte sie sich umzubringen. «Jetzt bin ich seit vier Jahren stabil und gesund. Und so möchte ich auch behandelt werden.» Die meisten Leute wüssten nicht wirklich, was eine Depression sei, erzählt sie. Und sie wolle nicht allein durch die Brille dieser Krankheit wahrgenommen werden. M.S. verbrachte acht Monate in der psychiatrischen Klinik Meissenberg bei Zug, einen Monat davon in der geschlossenen Abteilung. «Man sagte mir, dass ich voraussichtlich nie mehr ein normales Leben führen könne, man sprach mit mir über betreutes Wohnen», blickt die heute 35-jährige Bernerin zurück. Sie habe jedoch immer eine Art Urvertrauen gehabt, habe immer irgendwie gewusst: Das hast du jetzt, das ist nicht für immer. «Es gibt Menschen, die nach dieser Krankheit wieder voll einsatzfähig werden», sagt sie,

Individuelle, massgeschneiderte Angebote erleichtern die Integration in den ersten Arbeitsmarkt.

«ich wollte eine davon sein.» Sie war entschlossen, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Noch in der Klinik liess sie sich von einer Sozialarbeiterin beraten, diskutierte mit ihr über die Möglichkeit eines Aufbauprogramms, das auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet. Die Sozialarbeiterin riet M.S., sich bei der Invalidenversicherung (IV) anzumelden, diese finanziere Aufbauprogramme. Als M.S. die Klinik nach acht Monaten verliess, mietete sie zusammen mit ihrem Freund eine Wohnung und meldete sich bei der IV an. «Jetzt schon in ein Aufbauprogramm, das gehe viel zu schnell, sagte man mir», erzählt M.S. Doch sie bestand darauf, denn sie hatte ein Ziel: Sie wollte wieder ein normales Leben führen. Die IV meldete M.S. beim SAH Zentralschweiz an. Bald darauf fand ein erstes Treffen mit der zuständigen Beraterin statt. «Ich erfuhr im Detail, welche Angebote bei meiner Ausgangslage angemessen sind. Ich wusste nach diesem Gespräch genau, worauf ich mich einlasse.»


Jahresbericht 2015 6 | 7

Hier konnte ich erproben, wie weit ich gehen kann, was drinliegt und was nicht, und so wieder Vertrauen in mich erlangen.

Arbeit finden Eine der Kernkompetenzen des SAH Zentralschweiz ist es, Erwerbslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Je nach individueller Ausgangslage und zuweisender Stelle ist das eine oder andere Angebot dazu angemessen: beispielsweise SAH VivA, SAH Stellenvermittlung, SAH Stellennetz, SAH horizont06, SAH Integro, SAH blitzblank Vermittlung oder das Restaurant Libelle. Weitere Informationen www.sah-zentralschweiz.ch

In einem ersten Schritt ging es darum, wieder einen Tagesrhythmus aufzubauen. M.S. hatte eine schwere Krise hinter sich, nach dem Klinikaufenthalt fehlte ihr ein fester Tagesrhythmus. Im SAH VivA Kurs Belastbarkeit wollte sie herausfinden, ob das noch geht: von 9 bis 12 Uhr an einem Ort anwesend zu sein, zuzuhören und mitzumachen. «Ich wollte diese Herausforderung meistern», sagt sie – was sie denn auch erfolgreich tat. Nach 13 Kurswochen wechselte sie in ein weiterführendes Angebot, ins SAH VivA Arbeit Aufbau. Neun Monate lang arbeitete sie in einer Eventagentur – anfänglich nur 40 Prozent, dann steigerte sie ihr Pensum kontinuierlich bis auf 70 Prozent. Regelmässig traf sie sich mit ihrer Beraterin beim SAH Zentralschweiz, diese stand ihr – wo nötig – unterstützend und klärend zur Seite. «Vom Kurs und dem anschliessenden Arbeitseinsatz konnte ich sehr profitieren», erzählt M.S. Nach dem Klinikaufenthalt habe sie kaum noch Selbstvertrauen gehabt. Mit dem Kurs und dem Arbeitseinsatz konnte M.S. sich dieses Selbstvertrauen Schritt für Schritt wieder erarbeiten. «Extrem wichtig war für mich der neunmonatige Einsatz. Hier konnte ich erproben, wie weit ich gehen kann, was drinliegt und was nicht, und so wieder Vertrauen in mich erlangen. Jeder kleine Erfolg war eine Selbstbestätigung.» Das Wichtigste für sie sei gewesen, dass ihre Beraterin beim SAH Zentralschweiz sie nie gebremst habe. «Sie liess mir freie Hand, ermunterte mich, Neues auszuprobieren.» Sie habe jedoch stets auch die Risiken benannt. «Sie unterstützte mich, beachtete, was noch da war an Stärke. Sie holte mich dort ab, wo ich stand. Das war extrem wertvoll.» M.S. hat es geschafft. Heute studiert sie an einer Hochschule für Gestaltung. Ein strenges Studium sei es mit täglichen Präsenzzeiten von 8.30 bis 19 Uhr und vielen Projektarbeiten daneben. 2017 wird M.S. ihr Bachelorstudium abschliessen. Danach plant sie, in Mailand ein Masterstudium zu machen in einer Studienrichtung, die es in der Schweiz nicht gibt. Ihr Traum ist es, als Einkäuferin im Modebereich zu arbeiten – in London oder Amerika.


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