Aquarell

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AQUARELL

Edition Scheune Sieben


www.scheune-sieben.de


Aquarell 11.–26. Mai 2019

Mirjana Belik · Klaus Hartung Sabine Hartung · Helga Lang · Sabine Loos

Scheune Sieben


Mit viel Wasser und ganz schnell Möglichst unterschiedliche Positionen rund um das Thema Aquarell sollten in dieser Ausstellung, die vom 11.–26. Mai in Scheune Sieben stattfand, zusammenfinden. Einen Katalog zu gestalten, ob zeitnah oder wie hier im Nachgang, wirft immer die Frage auf, wie auf die Kunstwerke geblickt werden soll – eine Frage, die sich generell auch bei jedem Ausstellungsbesuch stellt. Soll das Bild für sich betrachtet werden oder als Reihung, als Objekt im Raum oder im Zwiegespräch der Exponate untereinander? Der Besucher einer Ausstellung kann seinen Blickwinkel jeden Moment ändern und justieren, er kann vergleichen und Favoriten bestimmen. Die ›Nahsicht‹ auf ein Bild lohnt sich dabei in jedem Fall. Ob die Farbe auf seiner Oberfläche stehen bleibt, sie durchdringt oder aus den Schichten herausleuchtet – die Textur eines Bildes ist die sinnlichste Ebene eines Kunstwerkes, an der sich am ehesten der Entstehungsprozess ablesen lässt. Zugleich führt die nähere Betrachtung des Einzelbildes, wie sie hier vor allem im Katalog stattfindet, zur Frage nach dessen Inhalt – und damit zum Gegenstand, den der Künstler und die Künstlerinnen sich gewählt haben: Was ist das Gegenüber, an dem sie sich abarbeiten? Für Mirjana Belik sind es Landschaften, Naturstücke und Architekturen, mit denen sie sich immer wieder aufs Neue auseinandersetzt. Von München aus begibt sie sich regelmäßig auf Malreisen. Diese haben sie inzwischen an viele Orte der Welt geführt, u.a. nach Italien, Marokko, Ladakh, Indien, Spanien, Kroatien, Irland, Österreich, Myanmar, Griechenland, Laos und Kambodscha. Das jeweils Besondere und Charakteristische der fernen Länder soll eingefangen werden. Sie arbeitet in der Landschaft – und das bei Wind und Wetter – und trägt den Klappstuhl und sämtliche Malutensilien stets mit sich. Da aber nicht immer klar ist, welche Gegebenheiten sie vor Ort antrifft, wird jede Unternehmung zu einem kleinen Abenteuer – einem, das Neugierde und die Bereitschaft, die unbekannte Umgebung zu erkunden, ebenso antreibt wie der Wunsch, den Blick in die fremde Welt schließlich auf das Papier zu übertragen. Entscheidend dabei sind nicht immer die konkreten Vorgaben durch die Landschaft, sondern auch die innere Wahrnehmung, die sich durch den Eindruck vielfältig gestalteter Landschaftsformationen einstellt. Einem Schriftsteller gleich wird der erlebte Augenblick beschrieben – aber mit den Mitteln der Aquarellmalerei. 2


Mirjana Beliks abstrakte Bilder kommen dagegen ohne gegenständlichen Bezug aus, lediglich der Titel dient als möglicher Hinweis. Form und Farbe teilen das Format frei unter sich auf und folgen dabei eigenen Vorgaben. Furcht vor Farben kennt die Malerin jedenfalls nicht, dies hat sie mit den anderen Künstlern in der Ausstellung gemeinsam. Das Wiedererkennen eines Motives mag für manch einen der Rettungsanker bei der Betrachtung von Kunst zu sein. Die Fahnenobjekte von Sabine Loos, die sie unter dem Titel ›slides‹ ausstellt, bieten diesbezüglich keine Hilfe. Die einzelnen Folien haben keine Referenz zu einem Gegenstand. Sie sind aus einem spontanen Malduktus heraus entstanden. Dennoch meint man in den Texturen organische Oberflächen wiederzuerkennen. Ihre physische Präsenz lässt sie darin verblüffender Weise viel realer erscheinen, als ein Abbild echter Natur. Sie sind sie selbst und darin echt. Zu Fahnen zusammengefügt, hängen sie in einer losen Reihe im Raum und wiegen sich dank ihrer Leichtigkeit bei dem leisesten Windzug. Die Arbeit befindet sich dadurch immer in leichter Bewegung und in Veränderung. Mal gewährt sie dem Besucher einen schmalen Durchgang, mal ist dieser wieder versperrt. Man muss sich als Besucher schon mit den Fahnen arrangieren und wird dadurch unweigerlich Teil der Rauminstallation. Es liegt in der Eigenschaft der durchsichtigen Folien, dass sie den Hintergrund des Raums stets zum Bild hinzuaddieren. ›slides‹ kann daher als eine analoge Bildererzeugungs-Maschine mit schier unendlichen Kombinationen gesehen werden. Einige der Folien hat Sabine Loos wie bei einem Leuchtkasten auf den Fenstern im Heuboden des Ausstellungsraumes ausgelegt, welche hinunter zum Bach ausgerichtet sind. So fließt das Wasser durch den Hintergrund hindurch, während die Farben wie bei einem Kirchenfenster in den Raum hineinleuchten. Wer Bilder malt, zeigt eine imaginäre Welt, wie sie so nicht sichtbar ist. Bilder sind wie ein Fenster, in das man hinein oder durch das man hinausschauen kann. Klaus Hartung sieht Himmel, Wald- und Naturstücke in fulminanten, leuchtenden, mitunter glühenden Farben, als seien Polar- und Südlichter und die verrücktesten Sonnenuntergänge dieser Welt untereinander vermischt worden. Ice und Sunshine Yellow, Tropic und Indian Yellow lauten einige seiner Gelbtöne und lassen sogleich an ferne Länder denken. Weiter geht es mit Burnt Orange, Ming-Red, Flame Red und Alizarin Crimson. Letzteres klingt wie eine Persönlichkeit und 3


das sind Farben ja schließlich auch. Es folgen Norway Blue, Aquamarine und Hooker’s Green. Schon allein der Namen wegen möchte man am liebsten all die kleinen Fläschchen mit den flüssigen Wasserfarben öffnen und sie allesamt ausprobieren. Als Tochter von Klaus Hartung bin ich mit diesen wunderbaren Farben aufwachsen. Über 300 Aquarelle wurden von ihm seit den 70er Jahren geschaffen. Seine Motive, Landschaften, Menschen, Tiere und Blumen findet er auf Reisen, auf Wanderungen und Streifzügen durch die Natur oder einfach im Garten zuhause. Die Verbundenheit zur Natur hat diese zu seinem Thema werden lassen. Sein bevorzugter Bildträger ist ›Japanpapier‹, welches je nach Stärke und Maserung höchst unterschiedlich auf die Wasserfarben reagiert. Auf der Suche nach dem besten Reispapier werden immer wieder die Eigenschaften des Materials untersucht und damit experimentiert. Für den Katalog wurden die Bilder fotografiert und mussten aus den Glasrahmen heraus. Erst da offenbart sich die Fragilität des Papieres, manches ist feiner als Seide und fast durchsichtig. Die Farbe wird vom Papier ganz aufgenommen und ist somit auch auf der Rückseite sichtbar. Manchmal, so wurde mir anvertraut, würde das Blatt einfach gewendet und auf der Rückseite weitergemalt, falls der Verlauf nicht zufriedenstellend war… Das Atelier, welches bis vor ein paar Jahren in Kirchzell im Odenwald lag, hat er sich heute in Rembrücken eingerichtet. Dort verbringt er viele Stunden und malt, um Landschaften, Blumen und Baumformationen in einer ganz eigenen Art und Weise zu interpretieren. Mit ihren ›Wasserbildern‹ hat Helga Lang ebenfalls eine ganz eigene Form der Interpretation gefunden. Seit einigen Jahren malt sie ausschließlich blaue Bilder – mit Wasser als Thema. Dabei verwendet sie eine Mischung aus Acrylfarbe und Farbpigmenten, die sich aquarellähnlich aber auch pastos verarbeiten lässt. Ihre meist sehr großen Gemälde, bis zu 4,50 x 3,50m, entstehen auf dem Fußboden. Dementsprechend groß muss man sich ihr Atelier in Hamburg vorstellen. Helga Lang malt mit einem breiten Pinsel am langen Stiel. Ihr ganzkörperlicher Einsatz mit diesem Werkzeug führt zu einem kraftvollen und großzügigen Malduktus. Sie bearbeitet den Bildträger von allen Seiten und steht auch oft mitten auf dem Bild. Ihr Malgrund ist Karton, ein lebendiger Malgrund, der im Gegensatz zur Leinwand ein Eigenleben führt, »der mal für sie, mal gegen sie arbeitet«. Manchmal sammelt sich Farbe an Stellen, wo es von der Künstlerin nicht gewünscht ist – dies macht die Prozesshaftigkeit der Arbeit aus – es muss gegengesteuert werden. Die 4


Titel ihrer Bilder lauten ›Wasserspiel‹, ›Wildwasser‹, ›Flussbett‹ und sprechen für sich. Die verschiedenen Schichten leuchten aus der Tiefe des Bildgrundes heraus und ändern ihren Farbklang mit dem Lichteinfall. Einzelne, zum Relief herausgearbeitete Partien reflektieren, spiegeln und glitzern – ähnlich wie Wasser, wenn es als flüchtiger Bildträger, Bilder, Farben und Licht auf seiner Oberfläche einfängt und zurückgibt. Ein virtuelles Aquarell ist mein Beitrag zur Ausstellung. Am Computer gemalt und das ganz schnell, ein Bild nach dem anderen. Es läuft als Endlosschleife an einem Monitor. Das Aquarell malt sich vor dem Auge der Betrachter quasi wie von selbst, wenn in 360 Bildern stetig weitere Pinselschläge hinzugefügt werden, Farben sich überlagern und übermalen. Der Entstehungsprozess ist somit das Thema, nicht das Einzelbild. Die digitale Malerei verblüfft dabei mit einem erstaunlichen Illusionismus. Die Oberflächenstruktur des Papiers kann ebenso simuliert werden wie die Zugabe von Wasser, ein lasierender oder deckender Anstrich. Die Pinselspitzen in allen Größen und mit unterschiedlichsten Eigenschaften sind aus dem Netz herunterladen und in die Fotoverarbeitungssoftware integriert. Der Pinsel muss dann nur noch virtuell in die Farbe getaucht werden und los geht’s. Und das Beste: Man spart sich das lästige Auswaschen der Pinsel, kein Kleckern der Farben, keine Farbspritzer auf der Kleidung. Am Computer zu malen, ist also sehr bequem. Aber darf sich denn diese Bilderzeugung überhaupt Aquarell nennen? Fehlt hier nicht in Wirklichkeit das Wichtigste – nämlich Wasser? Wie geht eigentlich Aquarell? Mit viel Wasser und ganz schnell? Diese Ausstellung war für mich Anlass, genau das zu fragen. Während ich selbst als Malerin stets versuche, Formen zu definieren, beobachte ich das Verfließen der Wasserfarben mit einer Art Schrecken. Aber darin, so Mirjana Belik, liegt gerade das Spannende. Denn der Maler muss überlegen, wie er den Fluss der Farbe kontrolliert und lenkt. Dabei stehen verschiedene Techniken zur Verfügung, die viel Erfahrung erfordern. Aquarellmalen ist nämlich alles andere als einfach. Es mag schnell gehen, fordert aber viel Handlungsbedarf, sonst sind die Farben verflossen und das Motiv ist weg! Sabine Hartung, Flörsbachtal Dezember 2019

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Mirjana Belik Aufgewachsen in Germering bei München, kaufmännische Grundausbildung, langjährige Berufstätigkeit im kaufmännischen Bereich, Abitur 1991, Studium der Kunstgeschichte, Abschluss 1997 M.A. 2003 erste Kontakte mit der Aquarellmalerei durch Bekanntschaft mit Christian Eckler, ab 2003 Pflanzenzeichnen im Botanischen Garten. www.mirjana-belik.com

Malreisen 2004 Italien/Gardasee, 2008 Marokko/Straße der Kasbahs, 2010 Andalusien, 2011 Lipari, 2012 Irland, 2013 La Palma, 2014 Sizilien, Indien/Ladakh, 2015 Kroatien, Italien/Golf von Neapel, 2016 Marokko/der Norden, 2017 Griechenland, 2017 Südfrankreich/Toulouse, Albi und Collioure, 2018 Myanmar, Apulien, 2019 Nord- und Südlaos, Kambodscha Abbildungen Grünsee, 28,5 x 38 cm, 2017 O.T., 28,5 x 38 cm, 2019 O.T., 28,5 x 38 cm, 2019 Torre Incina, 28,5 x 38 cm, 2018 Kitzeck, 28,5 x 38 cm, 2010 Grünsee 3, 28,5 x 38 cm, 2016 Uferlos, 28,5 x 38 cm, 2019 Unwetter Chefchouen, 38 x 28,5 cm, 2016 O.T., 38 x 28,5 cm, 2019 Bananenplantage, La Palma, 28,5 x 38 cm, 2017 Cala St. Vicenc, 28,5 x 38 cm, 2016

Mirjana Belik, Thessalien/Griechenland, 2017

Klaus Hartung Geb. 1936 in Bremen, Kindheit in Verden an der Aller, 1952 Auswanderung in die USA, Malunterricht an der Linden Art School/New York, 1956 Abitur in Verden, Ausbildung an der Fliegerschule Bremen. Lebt in Heusenstmm, wo er regelmäßig an den Ausstellungen des dort ansässigen Künstlervereins teilnimmt.

Abbildungen Herbstsee, 2002 Winter am Bach, 2016 Herbst, 1988 Mohn, 2013 Waldszene, 1991 Waldfantasie, 2018 Winterbach, 2018 Südsee 1, 1987 Südsee 2, 1987 Gelber Fingerhut, Eichenwald, 2018 Frühlingsblätter, 2016 Ohne Titel, 1979 (Formate ca. 18 x 23 cm bis 30 x 40 cm) Klaus Hartung, New York, 1953


Helga Lang 1961 in Bremen geboren, 1983–1988 Studium an der Hochschule für gestaltende Kunst und Musik Bremen, Diplom im Studiengang Freie Kunst, Malerei, 1988. Wohnung und Atelier in Hamburg, 1993 Geburt des Sohnes Nils, 2003–2013 Dozentin für Gestaltung an der Akademie für Mediendesign (AMD) in Hamburg, insbesondere für Kreativitätsworkshops, Aktzeichnen, Freies Zeichnen und Workshops für experimentelle Malerei, Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen. www.helga-lang.de

Abbildungen Flussbett, 216 x 216 cm, 2017 Wildwasser 1, 80 x 80 cm, 2018 Wildwasser 2, 80 x 80 cm, 2018 Wildwasser 3, 80 x 80 cm, 2018 Linien, 108 x 108 cm, 2019 Wasserspiel 1–6, 30 x 30 cm, 2011 Mosaik 1, 80 x 80 cm, 2018 Helga Lang, Hamburg, 2019

Sabine Loos 1962 geboren in Stuttgart , 1987 Diplom KommunikationsDesign/FH Saarland, seit 1987 Grafische Auftragsarbeiten und Lehrtätigkeiten in schulischen und außerschulischen Bereichen, 1998 Diplom Freie Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, 1997–2000 Mitbegründerin und Betreiberin der Produzentengalerie O.T./Saarbrücken, 2001–2003 Vorstandsmitglied des Saarländischen Künstlerhauses/Saarbrücken, 2004 Beitritt in den BBK/Bundesverband Bildender Künstler, Landesverband Saar, 2012 Beitritt in den BBK/Bundesverband Bildender Künstler Darmstadt/Landesverband Hessen. Sie lebt und arbeitet in Zellhausen und unterrichtet Kunst an der Einhardschule Seligenstadt. www.sloos.de Abbildungen ›slides‹, Tusche auf Folie, 2017, verschiedene Ansichten der Rauminstallation und Ausschnitte der Arbeiten Sabine Loos, Saarbrücken, 1986

Sabine Hartung Jahrgang 65, freie Künstlerin und Gestalterin. Studium an der Hochschule für gestaltende Kunst und Musik Bremen, Studiengang Freie Kunst/Malerei und Visuelle Kommunikation an der HfG Offenbach. 2018 Gründung von Scheune Sieben. Abbildungen Virtuelles Aquarell, Adobe Photoshop CS6, 360 Bilder (Auswahl), 2012 Sabine Hartung, Bremen, 1985


Der Katalog erscheint im Nachgang zur Ausstellung ›Aquarell‹, 11.–26. April 2019. Herausgeber Scheune Sieben Kunst · Ausstellungen · Projekte Mühlgasse 7, 63639 Flörsbachtal info@scheune-sieben.de Konzept und Gestaltung Sabine Hartung Redaktion Olivia Thomas Auflage 100 © 2019 Scheune Sieben Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Künstler Mit freundlicher Unterstützung

Scheune Sieben ist eine unabhängige und unkommerzielle Kulturinitiative. Der Verkauf von Kunst steht nicht in unserem Programm. Wer eines der ausgestellten Werke erwerben oder weitere Informationen erhalten möchte, kann sich gerne direkt mit den Künstler*innen in Verbindung setzen.

Foto Holger Senzel

… Am Tag der Ausstellungseröffnung regnete es in Strömen. Es war kalt. Die B276 Richtung Süden wegen einer Vollsperrung nicht passierbar, es blieben Besucher aus. Der guten Stimmung der Künstlergruppe konnten die widrigen Umstände indessen nichts anhaben. Schon beim gemeinsamen Aufbau erwies sich die Truppe gleichermaßen professionell, motiviert wie auch bestens gelaunt. Mit diesem Katalog möchte ich mich bei den Künstlern für ihr Engagement und ihren Beitrag recht herzlich bedanken!



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