Steintime Österreich 1-2010

Page 10

LEBEN MIT EXTREMEN Die Optionen der Zukunft zeigen dagegen extremere Leidenschaften – bis auf eine Ausnahme: das Automobil. Die Gründe dafür sind bekannt. Das Niedliche wird vom Eleganten ersetzt, dunkle Farben ersetzen helle. Das Futuristische schlägt das Traditionelle. Und, so Venn, am meisten änder t sich bei unseren Wohnwünschen: Das Beliebige ist out und das Individuelle ist in. Authentizität gewinnt vor Adaption. Im Vordergrund steht die Sehnsucht nach Geborgenheit. Die Geschichte des Designs war gerade im vergangenen Jahrhunder t durch ein ständiges Kommen und Gehen verschiedener Stilar ten gekennzeichnet. Aus heutigem Blickwinkel betrachtet war dieses Jahrhunder t eine Zeit sprühender Energie und entschlossener Zielsetzungen in Kunst, Architektur und Design. Um diese Periode zu umschreiben, wird der Begriff »Moderne« ver wendet. Natürlich waren auch im 20. Jahrhunder t Gegenrichtungen erkennbar, besonders Revivals der klassischen Stile. MASCHINEN MACHEN STILE Der nachhaltige Einfluss auf den heutigen zeitgenössischen »Look der Dinge« geht wohl von dem sogenannten Modern Movement aus, das in den 1920er-Jahren gemeinsam mit einem weiteren prosperierenden Design-Konzept, dem Ar t déco, auftauchte. Schon damals förder ten einschlägige Magazine das Interesse an Raumdesign und machten »Wohnen nach Maß« einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. So schuf vor allem die damals beginnende Mechanisierung ehemaliger Handwerksprozesse die Voraussetzung und den Impuls für die Stilentwicklung der 1920er- und 1930er-Jahre. Die Maschine wurde zum wichtigsten Instrument ästhetischer Formgebung.

Bald kommt der Sommer. Wir wollen so leicht wohnen, wie wir uns fühlen.

Konzept wurde Jahrzehnte später vom schwedischen Möbelanbieter Ikea aufgenommen und seit den 1970er-Jahren in der ganzen Welt propagiert. In Magazinen und Katalogen des Möbelhauses werden Künstler, Designer, Architekten, Fotografen, aber auch junge Geschäftsleute und ganze Familien in ihren Wohnbereichen por trätier t. Sie geben ihre Vorlieben und Vorstellungen für das Wohnen preis und wecken somit bei den Betrachtenden Ideen und Inspirationen für das eigene Wohnen. Heute, nach dem Zusammenbruch der Banken und dem verlorenen Glauben an die Globalisierung, verkriechen sich viele Menschen wieder in ihrer Privatsphäre. Der Wohnraum wird aufgewer tet. Das Zuhause ist Bühne für Freunde und Rückzugsbasis geworden – als Ausgleich für die im Beruf geforder te Flexibilität. Wir werden heute nicht mehr zur Kellerpar ty eingeladen. Bei Einladungen dür fen wir wieder das Wohnzimmer betreten. Die Wohnung soll Entspannung vermitteln und wird sich laut Trendforscher

Wippermann wie der Kleidungsstil »der aktuellen Gefühlslage« anpassen. Zu Hause »beamen« sich die »Manager der Globalisierung« farbige Ornamente aus den verschiedensten Natursteinen aus der Welt an die Wand. Die Strenge des Edelstahlkühlschranks wird mit einem Hirschgeweih aus Marmor gebrochen, das als Handtuchhalter auf Höhe der Digitalanzeige an der Wand hängt. Wer selbst keinen Humor hat, kauft ihn sich eben im Einrichtungshaus. »Hightech-Jugendstil« oder »Biedermeier-Glam« heißen diese Trends, die eigentlich das bestickte Blumendeckchen unter dem Laptop meinen. Trends sind allerdings dann schon längst ver wässert, wenn sie in der breiten Masse ankommen. Ornamente und Hirschgeweihe waren schon in TVEinrichtungsshows ein Thema, ein klares Zeichen für den baldigen Abschied von Kitsch und Glamour. DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT Wir können nur hoffen: Hoffentlich entdecken die Redakteure dieser Sendungen nicht auch die wirklich schönen Steine. Solange Enie van de Meiklokjes im ihrem TV- Magazin »Wohnen nach Wunsch« nur graue Platten aus China verbauen lässt, besteht keine Gefahr. Wehe sie entdeckt die schönen Steine aus Österreich, dann ist Schluss mit lustig. WAS BEI RTL LÄUFT, IST DURCH Denn: Was in der Ver wertungskette von RTL bis zu Vox oder RTL2 durchgereicht wurde, ist bereits verbrannte Erde. Eher, so muss man sagen, würde jemand sein Schlafzimmer asphaltieren, als den Stil vom Fersehen zu kopieren. Griffig hat diesen Individualismus Ikea formuliert. »Wohnst du noch oder lebst du schon?«, so der bekannte Spruch. Will heißen: Erlaubt ist, was gefällt. Es lebe das Ornament!

VOM BAUHAUS LERNEN In Deutschland wurde um die gleiche Zeit vom Deutschen Werkbund und vor allem vom Bauhaus unter Walter Gropius das Konzept einer sozial gerechten Gestaltung propagier t. Die Bauhausmeister forder ten gutes, erschwingliches Design für alle. Dieses

11


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.