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Denkwerkstatt 2017: Die Wirtschaft aus Sicht von Wissenschaft und Sozialdemokratie 22. April 2017

Jakob Kapeller Johannes Kepler University Linz
 Department of Philosophy and Theory of Science &
 Institute for Comprehensive Analysis of the Economy (ICAE)
 Editor: Heterodox Economics Newsletter www.jakob-kapeller.org | www.icae.at | www.heterodoxnews.com


Wie sieht die Wissenschaft die Wirtschaft?


Politische Ziele, Politische Mittel und die Rolle von Philosophie und Wissenschaft

Die Auseinandersetzung über die Probleme der Gesellschaftsordnung wurde und wird nie anders geführt als mit dem Gedankengut nationalökonomischer Theorien.“ Mises (1940), Nationalökonomie - Theorie des Handelns und des Wirtschaftens, S. 744

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Jakob Kapeller


Politische Ziele, Politische Mittel und die Rolle von Philosophie und Wissenschaft

Die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen, sowohl wenn sie im Recht, als auch wenn sie im Unrecht sind, sind einflussreicher, als gemeinhin angenommen. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes beherrscht. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen.“ Keynes, General Theory

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Die Einseitigkeit moderner Wirtschaftswissenschaft

Interparadigma,c.Discourse.in.Economics.(198982008). 120.00%' 100.00%'

97.15%'

80.00%' 60.00%'

47.58%'

52.42%'

40.00%' 20.00%' 2.85%' 0.00%' in'top'13'orthodox' percentage'of'cita<ons'from'top'13'orthodox'journals'

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Jakob Kapeller

in'top'13'heterodox' percentage'of'cita<ons'from'top'13'heterodox'journals'


Was ist die Neoklassik? Drei Beispiele

Der Mensch als Taschenrechner: „homo oeconomicus“

Der Markt als Konkurrenzmarkt Supply

Price

P*

Freihandel als ‚win-win‘-Situation

Demand Q*

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Kosten Portugal Kosten GB

Quantity

Tuch

8

10

Wein

6

10

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Das Standardmarktmodell als Ideologie? •

Standardmodelle verwenden unrealistische Annahmen •

Typischerweise: Ideologie als System von Aussagen mit „falschen Behauptungen, die sich als Waffe im politischen Kampf verwenden lassen“ (Albert 1954, 126)

Viele Standardmodelle haben einen Doppelnatur (Albert 1954)

Modell als Erklärung Wenn es mit den Fakten in etwa übereinstimmt, kann das Modell als ‚Erklärung’ verwendet werden.

Supply

Price

P*

Demand Q*

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Quantity

Modell als Utopie Wenn es mit den Fakten nicht übereinstimmt, kann das Modell als Vorlage für politische Reformen / individuelle Verhaltensänderungen dienen.


Eigentum, Macht und Verteilung im Marktmodell

• Eigentum… • … basiert alleinig auf Leistung und individuellen Entscheidungen (Arbeit vs. Freizeit, Konsumieren vs. Investieren).

• Macht… • … hängt nur von der Anzahl der Wettbewerber ab und bezieht sich nur auf den Preis der Güter.

• Verteilung… • … ist immer gerecht (Grenzproduktvitätstheorie → jedeR bekommt, was sie/er verdient) und hat keinen weiteren Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung.

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Neoklassik und Neoliberalismus

Wissenschaft, Ideologie und unrealistische Annahmen

Zwei Merkmale sind es vor allem, die den IdeologieCharakter eines Aussagesystems kennzeichnen: Es enthält unwahre Aussagen, und diese dienen dazu, das System als Waffe im politischen Kampf verwendbar zu machen. Unwahrheit und darauf beruhende politische Brauchbarkeit machen also das Wesen der Ideologie aus.“ Albert (1954): Ökonomische Ideologie und Politische Theorie, 126

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Neoklassik und Neoliberalismus

Die Unfehlbarkeit von Modellen: Utopisch vs. realistisch

Die ‚guten’ Aspekte der Wirtschaft sind – so wird suggeriert – im Modell zu finden. Für ‚Fakten’ dieser Art wird die Theorie realistisch interpretiert. Alles ‚Schlechte’ an der Wirtschaft [ist der] der Hinweis, dass die Wirtschaft nach dem Vorbild des Marktes ‚reformiert’ werden muss. Für ‚Fakten’ dieser Art wird die Theorie utopisch interpretiert.“ Ötsch (2009): Mythos Markt, 113

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Neoklassik und Neoliberalismus Kontinuität zentraler Denkfiguren Denkfiguren der frühen Neoklassik (ab 1870)

Paradigmatische Konsolidierung der Neoklassik (ab 1920)

Neoliberale Parole (ab 1980)

Zentrale Fragestellung

Verhalten in ökonom. Kontexten (Marshall)

Knappe Mittel vs. Konkurrierende Ziele (Robbins)

„there is no such thing as a free lunch“: Effizienz als Ziel

Individuum und Gesellschaft

„Werte“ als Privatsache: sind immer subjektiv (Menger)

Methodologischer Individualismus

„there is no such thing as society“

Menschliches Verhalten

Marginalismus (Jevons/Walras/Menger)

Homo oeconomicus

„Jeder ist seines Glückes Schmied“

Eigenschaften von Märkten

Gravitating Prices (Smith) Partialmarkt (Marshall, Cournot)

Allgemeine Gleichgewichtstheorie (Arrow-Debreu)

„Märkte als überlegene soziale Institutionen"

Pareto-Kriterium

Hauptsätze der Wohlfahrtstheorie + Coase-Theorem

„Eigentumsrechte sind notwendig: Privatisierung“

Eigentum

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Wie sieht die Sozialdemokratie die Wirtschaft?


Sozialdemokratische Programmatik im Laufe der Zeit

1869/1875 Soziale Reform Demokratie Genossenschaften F. Lassalle

Erfurt 1891 Revolution Sozialismus Gem. Planung K. Marx

Reichtagswahl 1932 SPD: Für oder gegen 
 den „WTB-Plan“?

1850

1890

Österreich

Deutschland

Eisenach/Gotha

Hainfeld

Linz

1889 Revolution Sozialismus Sozialreform Lassalle/Marx

1927 Demokratie Sozialismus Sozialreform Lassalle/Marx

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1930

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Godesberg

Berlin/Hamburg

1959 Marktsozialismus Wider Kapital Aktiver Staat Marx/Keynes

1989/2007 Marktwirtschaft Demokratie Wohlfahrtsstaat Keynes/Neoklassik

1970

Kreisky 1978 Demokratisierung Sozialismus Staat als Akteur Keynes/Marx/
 Myrdal/Galbraith

2010

Klima 1998 Demokratie Marktwirtschaft Staat setzt Rahmen Keynes/Neoklassik


Sozialdemokratische Programmatik im Laufe der Zeit

“

Deshalb stell sich den Sozialisten nach wie vor die historische Aufgabe, der konservativen Illusion von den Selbstheilungskräften der Marktwirtschaft eine klare Analyse der wirklichen Krisenursachen entgegenzustellen. SPĂ–, 1978, 42

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Sozialdemokratische Programmatik im Laufe der Zeit

Funktionierende Märkte und fairer Wettbewerb leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Wohlstands durch ihren Zwang zu effizienter und preiswerter Erbringung von Leistungen und Gütern im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir treten daher für offene Märkte und gegen bestehende und neue Monopole mit ihren Nachteilen und Kosten ein. Ein modernes Wirtschafts- und Kartellrecht hat daher die Aufgabe, das Funktionieren des Marktes zu gewährleisten. SPÖ, 1998, 9

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Sozialdemokratische Programmatik im Laufe der Zeit

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Wir hätten es wissen können.“ Poul Nyrup Rasmussen,
 Vorsitzender der SPE 2004-2011,
 in einer Sitzung der SPE-Fraktion 2008

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Wirtschaftswissenschaft und Sozialdemokratie (fast) alle vor 1980

Marx

alle seit 1980

alle nach 1945

Eisenach/Gotha & 
 Hanfeld (Lassalle) Kreisky (Myrdal/
 Galbraith)

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Der klassische Liberalismus Klassischer Liberalismus

Politischer Liberalismus politische Freiheit Gleichheit & Abschaffung der Stände Gewaltenteilung Menschenrechte Demokratie und freie Wahlen Der Bürger als Teil der res publica: citoyen Diskurs und Konsens als ideale Interaktion z.B.Gesellschaftsvertrag, Demokratie Menschenwürde als Zieldimension Wie handelt der freie Mensch gut? Schwerpunkt der sittlichen Vernunft 19

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Wirtschaftsliberalismus ökonomische Freiheit freie Märkte freier Außenhandel freies Unternehmertun starke Eigentumsrechte Der Bürger als Besitzbürger: Bourgeois Wettbewerb als ideale Interaktion z.B. Arbeitsmarkt, Freihandel Wohlstand als Zieldimension Wie handelt der freie Mensch richtig? Schwerpunkt der instrumentellen Vernunft


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