Q-VEL: Die Lust am Schmerz - Was hält uns am Negativen fest?

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„Die Lust am Schmerz“ bespricht Alexandra von Kempski

Die Lust am Schmerz – Was hält uns am Negativen fest? nt im Kopf Gesundhei t begin

Q-VEL No. 2

Lust am Schmerz? Das ist vielleicht ein Thema für die Sado-Maso-Szene, werden Sie denken? Aber für „normale“ Menschen? Was sollte am Schmerz so schön sein? Wie entstehen denn schmerzhafte Gefühle, gegen die wir uns nicht wehren können? Die Ursache für solche Gefühle scheint zunächst immer in der Außenwelt zu liegen. Informationen, Wahrnehmungen, irgendwelche Ereignisse beeinflussen uns plötzlich. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie sehen Ihren Ehemann mit einer fremden Frau. So von Ferne. Und am selben Tag sagt Ihr Chef in einem Meeting, dass die Firma wohl Personal abbauen müsse. Allein diese Informationen genügen, um Gefühle des Unwohlseins, der Angst und vielleicht sogar der Verzweiflung auszulösen. Sicher kennen Sie das. Natürlich sind es nicht die Ereignisse selbst, die unsere Gefühle auslösen, sondern unsere Gedanken darüber. Und es müssen natürlich nicht immer negative Gedanken sein, die zu schmerzhaften Gefühlen führen. Der Blick auf Ihren Kontoauszug kann eine positive oder negative Reaktion auslösen. Der Gedanke an ein gutes Essen, das Ihnen bevorsteht, wird immer positive Gefühle auslösen. Es sei denn, Sie denken jetzt schon an die Schmerzen, die Sie haben, wenn Sie viel zu viel essen und trinken. Wieder einmal… Das Interessante ist, dass wir von Beginn unseres Lebens an all diese Informationen und Einflüsse, all die Gedanken und Gefühle abspeichern und in uns herumtragen. Nicht nur in unserem bewussten Denken tragen wir diese Erinnerungen, auch unser Körper speichert sie in seinem „Körpergedächtnis“ und unsere Psyche in dem unter- und unbewussten Selbstbild, das wir von uns haben. Die gefühlsmäßige Verarbeitung unserer Erfahrungen prägt unser Leben und beeinflusst unser Bild von der Realität. Und oft können wir uns aus bestimmten Interpretationen und Konstrukten nicht mehr befreien, auch wenn die Wirklichkeit um uns herum es zuließe.

Reden wir vielleicht erst einmal über Gefühle. Auch Schmerz ist nur ein Gefühl.

>> Gedanken lösen stets Gefühle aus <<

Welche Erinnerungen sind in Ihrem Körpergedächtnis gespeichert?


„Die Lust am Schmerz“ bespricht Alexandra von Kempski

Ein Beispiel:

>> Es scheint ein verrückter Kreislauf von Schmerz und Lust zu sein, dessen emotionale Quelle nie versiegt. <<

Eine Tochter leidet unter ihrem Vater, der sie schlägt und misshandelt. Dieses Mädchen sucht sich nun, als erwachsene Frau, just einen Partner, der gewalttätig ist. Ein Muster, das wir oft finden. Warum ist das so? Warum hat das Mädchen, die junge Frau, aus ihrem Schmerz nichts „gelernt“? Weil die wiederholten Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle unser Selbstbild, unser Ich formen, eine „Identität“, die daran festhält, dass die Welt, wie wir sie erleben und fühlen, die Normalität ist. Und diese unsere eigene Normalität stellen wir immer wieder her und bestätigen sie. Auch wenn die Gefühle schmerzhaft sind, die sie mit sich bringt. Das Schmerzhafte kann das Normale werden, das uns – so unverständlich dies für einen Außenstehenden klingen mag – Sicherheit gibt. Deshalb entwickeln Menschen so etwas wie die „Lust am Schmerz“.

Es scheint ein verrückter Kreislauf von Schmerz und Lust zu sein, dessen emotionale Quelle nie versiegt. Kann man solche Kreisläufe durchbrechen, die Normalität der schmerzhaften Wiederholung hinter sich lassen?

Kontakt: 030.889 22 446 www.q-vel.de

In meiner Praxis mache ich die Erfahrung, dass Verfahren, die das Körpergedächtnis ansprechen, wie z.B. die Zwei-Punkt-Methode, dazu geeignet erscheinen. Der Clou ist, dass ich mit dem Klienten nicht oder kaum über Gefühle oder Erlebnisse spreche, sondern auf physiotherapeutischer Basis arbeite, also der Körper im Mittelpunkt steht. Freilich nicht, wie in der „reinen“ Physiotherapie als Mechanismus aus Knochen, Muskeln und Nerven, sondern als Träger von Gefühlen. Schmerz betrachte ich nicht als Biochemismus, sondern als die emotional kodierte, gefühlsmäßig zugängliche Erinnerung an Erfahrungen und Erlebnisse, die unser Leben bestimmen oder bisher bestimmt haben.

Q-VEL No. 2

Nicht selten leben Paare in einer solchen Schmerzlust, die in fast regelmäßigen Abständen streiten, sich gegenseitig verletzen, in tiefer Enttäuschung versinken, um sich dann wieder zu versöhnen. „Die Versöhnung ist so wunderbar nach so einem Streit“, sagte mir einmal eine Betroffene, „wir sind uns dann ganz nah“.


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