PHANTAST Sonderheft zur Frankfurter Buchmesse 2012

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Sonderausgabe Frankfurter Buchmesse 2012


Inhalt

Beiträge & Rezensionen Buchmesseeindrücke von Jürgen Eglseer und Judith Gor Comic-Gewinnpiel mit Splitter Ruhm im Halbstundentakt - Messebericht von Jeanine Krock Buchtipps zur Messe von Judith Gor White Crows 1: Herz aus Stahl Swamp Thing, Band 1 Eindrücke zur Messe von Verlagsmitarbeitern und Autoren James Bond Bände 1 & 2: Casino Royal / Leben und sterben lassen von Gloria Manderfeld Leseprobe aus James Bond: Casino Royal (nur in der PDF-Ausgabe)

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Interviews mit Jemo Kohiri zum Thema Cosplay mit Kai Meyer zum Thema Buchmessen mit Anika Klüver und Stephanie Pannen zur Neuübersetzung des James Bond

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Impressum

Termine zur Buchmesse rund um das phantastische Genre findet man unter

buchmesse.fictionfantasy.de 2


Willkommen bei den PHANTASTen!

Herzlich willkommen zum ersten Sonderheft der PHANTAST-Redaktion. Wenn sie zum ersten Mal einen PHANTASTen in den Händen halten, wollen wir die Gelegenheit nutzen, uns und unser Projekt vorzustellen. Der PHANTAST wird seit Januar 2011 als quartalsweise erscheinendes PDF-Magazin von den Literaturplattformen literatopia.de und fictionfantasy. de herausgegeben und erfreut sich, den Downloadzahlen zufolge, zunehmender Beliebtheit. Jede Ausgabe wurde bisher von lobenden Kommentaren seitens der Leser und Presse begleitet. Die PDF-Ausgabe des PHANTAST ist dabei kostenlos und in verschiedenen Formaten für den Leser verfügbar. Jedes Heft widmet sich dabei einem vorgegebenen, phantastischen

Thema, zu dem zahlreiche einschlägige Artikel und Rezensionen verfasst werden. Hinzu kommen Interviews mit bekannten Autoren des Genres, die mit uns gemeinsam das Thema der Ausgabe ergründen. Illustriert wird jede Ausgabe von einem einzelnen Künstler, sei es hoffnungsvolles Talent oder namhafter Illustrator. Natürlich, um das Fundament jeder Ausgabe zu verbreitern, wird sie auch mit „themenfremde“ Beiträgen ergänzt. Die bisherigen PDF-Hefte widmeten sich zum Beispiel den Themen „Science-Fantasy“, „Dunkle Zeiten“, „Apokalypsen“ oder dem „Humor“ in der Phantastik. Am Ende eines Jahres erscheint eine Printausgabe des PHANTAST mit den besten Artikeln der vier PDF-Ausgaben. Das Jahrbuch 2012 steht 3

somit schon in den Startlöchern (und kann man vorbestellen). Wir schreiben für den PHANTAST, weil wir Idealisten sind. Freude an der Phantastik, der Spaß am Arbeiten mit Büchern und anderen Medien steht hier im Vordergrund. Unser Ziel ist es, mit einem schön gestalteten Magazin und interessanten, möglichst wertigen Texten das gewählte Thema zu vertiefen und den Lesern neue Möglichkeiten aufzuzeigen. Mit dieser kleinen Sonderausgabe wollen wir das Interesse am Heft wecken. Schauen sie doch einmal in die bislang erschienenen Ausgaben rein. Sie finden sie kostenlos unter der Webadresse: fictionfantasy.de/Phantast Ad Astra Jürgen Eglseer


Buchmesseneindrücke von Jürgen Eglseer und Judith Gor ... zwischen Bücherbergen, Teppichnahrung und Familientreffen

Judith: Die Frankfurter Buchmesse lässt sich für mich wohl am besten als sprichwörtlich phantastischer Stress bezeichnen. Bereits mein allererster, damals noch von der Schule aus organisierter, Buchmessebesuch war stressig. Viel zu viele Menschen, viel zu viele Bücher, viel zu wenig Überblick. Die Mitschüler relativ desinteressiert, nur hier und da einen Kommentar à la „Und so was liest du?“ spendierend. Trotz schlechtem Essen war es dann ein gelungener Tag, an dem ich einige Schätze entdeckte, einer Mitschülerin mit Leseallergie immerhin ein paar Comics schmackhaft machen und für mich diverse Mangas erbeuten konnte. Das erste Mal als Onlineredakteur war natürlich etwas ganz anderes – und wieder stressig. Viele neue Gesichter, deren Namen man

zwar von Mails kannte, aber der persönliche Kontakt ist doch etwas anderes. Verlage ansprechen und sich vorstellen, von Stand zu Stand hetzen und dabei noch nach interessanten Neuerscheinungen für die Leserschaft Ausschau halten. Viel geändert hat sich nicht, außer dass man inzwischen die meisten seiner Kontakte persönlich kennt, immer mehr bereits bekannte und auch neue Autoren trifft und die Frankfurter Buchmesse dadurch von Jahr zu Jahr familiärer wird. Wenn dann zwischen Termin X und Y mal etwas Zeit ist, trifft man sich mit Jürgen, um über den Phantast zu plaudern … Jürgen: Ich kann mich noch an meinen ersten Buchmessebesuch erinnern. Bei Markus Wolf hatten wir unser Nachtlager aufgeschlagen, waren 4

Samstag und Sonntag durch die Gänge marschiert und hatten alles abgegriffen, was die Verlage nicht angekettet hatten. Berge mit Testausgaben von Zeitschriften, Flyern, Katalogen und Ähnlichem haben wir ins Auto entleert und überladen die Heimfahrt angetreten. Nun, das ist ja auch schon wieder Jahrzehnte her ... Bei meinem ersten Buchmessebesuch der Neuzeit vor nunmehr drei Jahren hatte ich den Anspruch, die wenigen Presse- und Marketingvertreter auch persönlich kennen zu lernen, mit denen ich im Rahmen von fictionfantasy Kontakt aufgenommen hatte. Die Seite lief ja bis dahin nur so nebenher und entwickelte sich da erst zu einem Rezensionsportal. Positiv kann ich von diesem ersten Besuch sagen, dass ich überrascht war, wie herzlich man aufgenommen


wurde, negativ habe ich das Gedränge des Samstages in Erinnerung. Apokalyptisch! Judith: Apokalyptisch ist beinahe untertrieben – man kommt sich an den Besuchertagen schon ein wenig vor, als wäre man mitten im Sommerschlussverkauf gelandet. Wenn dann noch ein einigermaßen bekannter Autor signiert, bricht die Hölle los. Es wird geschoben und gedrängelt und bei der Chance, ein Gratisexemplar zu ergattern, führen sich manche Leute auf, als hätten sie nach wochenlanger Wanderung durch ein apokalyptisches Inferno einen Essensvorrat entdeckt. Also warum tut man sich das an? Na ja, wir tun es uns ja nicht mehr wirklich an. Als Presse genießt man den Vorzug, an den Fachbesuchertagen reinzukommen und da ist es zwar immer noch voll, aber erträglich. Dass man meist herzlich aufgenommen wird, kann ich bestätigen – man spürt im persönlichen Kontakt, dass unsere Arbeit geschätzt wird. Noch dazu sind die Bü-

cherfreaks unter sich und viele Verlagsmenschen entpuppen sich als hoffnungslose Leseratten, die es genießen, mit Gleichgesinnten über Bücher zu sprechen. Frankfurt ist stark businessorientiert, was oftmals kritisiert wird, aber gerade im Phantastikbereich geht es auch recht familiär zu. Jürgen: Wenn man ganz pragmatisch überlegt, dann ist die Tatsache, dass man viel Geld ausgibt, um sich die Buchmesse anzutun, eigentlich irrsinnig. Denn die Programme der Verlage erhält man – vielleicht mit einigen Wochen Verspätung – sowieso, halt dann ohne mündliche „Beratung“, welche Produkte besondere Aufmerksamkeit nach sich ziehen sollten. Denn die Buchmesse ist grundsätzlich erst einmal ungesund. Sowohl für den Körper als auch den Geldbeutel. Bei Letzterem zieht es einem fast die Socken aus, wenn man sich die Übernachtungspreise während der Messe in Frankfurt ansieht. Selbst schäbige Absteigen verlangen einen 5

Mindestaufenthalt von 3 Nächten und nicht unter 100 bis 150 Euro reines Schlafen. Die Anreise nach Frankfurt (für einen wie mich, der im fernen und glückseligen Altoberbayern sein Zuhause weiß, schier katastrophal) verschlingt sein Geld, und Nahrung muss man ja auch zu sich nehmen. Damit kommen wir zum Wertvollsten des Menschen, nämlich seinem Körper. Wer Augenoptikermeister oder Handelsvertreter für Autoersatzteile ist, kennt das Problem: Auf einer Messe ernährt man sich primär von vier Dingen - Kaffee, klarem Leitungswasser, irgendeinem trockenen und salzigen Gebäck ... und zu guter Letzt noch dem, was man im Teppich der Messehalle findet. Da ist man schon froh, wenn man den kleinen, erstaunlich günstigen Messesupermarkt kennt, der eine Dose irgendwas auch unter vier Euro anbietet und auch mal anderes zur Verfügung stellt, wie beispielsweise trockenes und salziges Gebäck. Dieses stecke ich im Übrigen immer gerne ein und versorge so meine arme,


hungrige Verwandtschaft, die, in Niederbayern lebend, kaum einmal trockenes und salziges Gebäck zu Gesicht bekommt. Etwas Entwicklungshilfe muss sein. Wer dann, hungrig und dürstend nach stundenlangen Gesprächen, sich an Katalogen entlang durch die Messeflure hangelt, bekommt spätestens ab Freitagnachmittag aufmunternde Schläge mit überdimensionalen Schaumstoffäxten auf den Schädel. Die Cosplayer müssen ja auch ihren Spaß haben. Judith: LOL … tja, das Essen ist echt unverschämt teuer und relativ mies. Die ersten Jahre als Redakteur bin ich immer wieder auf die elenden Frankfurter Würstchen reingefallen, die nach stundenlangem Messestress einen verführerisch anlachen. Aber spätestens wenn ich dann reinbeiße, weiß ich wieder, warum ich kein Geld mehr dafür ausgeben wollte. Aber vergangenes Jahr haben wir einen Pizzastand neben Halle

3 entdeckt, der erst einmal unspektakulär mit Blechpizza daherkam. Einmal Margerita war aber recht günstig – und WOW, das hat geschmeckt! Sogar richtig, richtig gut. Also lohnt es sich, dieses Jahr wieder nach einem Pizzastand neben Halle 3 Ausschau zu halten. Damit man nicht nach Resten auf dem Teppich suchen muss (und davon gibt es wirklich reichlich). Buchmessetradition ist bei mir zudem ein Einkauf bei Millies Cookies, ein unscheinbarer Stand mit sündigem Gebäck am Bahnhof. Ein Biss in einen Double Chocolate Cookie und man weiß wieder, warum man sich die Buchmesse in Frankfurt antut. Als Frau leidet man zusätzlich an den meist überfüllten Toiletten, die am Ende des Tages nicht mehr appetitlich aussehen, zumindest nicht alle. Manchmal wartet man auch eine gefühlte Ewigkeit, weil sich junge Damen auf der Toilette umziehen und man denkt sich: Hallo? BUCHmesse? Bei der katastrophalen Versorgungslage klingt das jetzt, als wäre ein Campingurlaub Luxus 6

gegen die Buchmesse – und von meinem Geldbeutel spreche ich lieber gar nicht, der will dieses Jahr nämlich zu Hause bleiben. Ernsthaft, es tut finanziell weh, vor allem wenn man eben doch „nur“ Onlineredakteur ist, der sich Anreise, Übernachtung und Verpflegung selbst finanziert. Also warum der ganze Stress, das Hungern und Hetzen? Irgendwie ist es einfach immer wieder schön. Man lebt für zwei, drei Tage genau das aus, was man das ganze Jahr neben seinem eigentlichen Beruf und dem Real Life versucht auf die Reihe zu kriegen. Und plötzlich steht genau das im Mittelpunkt. Während man seinen Körper durch die Gänge schleift, spürt man wieder, warum man seine Website eigentlich hat, warum man das Geld und all die Zeit reinsteckt – und die Nerven. Man spürt, dass das Herzensprojekt ernst genommen wird, man bekommt mehr Feedback als im ganzen Jahr und alles fühlt sich seltsam richtig an. In Frankfurt bekomme ich mehr


Ideen für den PHANTAST und Literatopia, als ich umsetzen kann … Jürgen: Ich habe oben angemerkt, dass man sich die Messe persönlich vor Ort theoretisch sparen könnte, da man die entsprechenden Kataloge ja auch irgendwann irgendwie in die Finger bekommt. Aber Judith hat recht, auf der Messe als real existierender Mensch herumzuwandern fördert die Kommunikation, man wird ernster genommen, als dies bei einem reinen Mail-Kontakt möglich wäre. Nicht zuletzt entstehen auch sehr vertrauensvolle Zusammenarbeiten, von denen beide Seiten profitieren. Probleme und Anregungen können ausgetauscht werden und schlussendlich gibt es natürlich auch noch tro-

ckenes und salziges Gebäck ... Und natürlich entdeckt man auf einer Messe all die vielen kleinen Dinge, die man sonst niemals wahrgenommen hätte – neue kleine Verlage, neue Autoren, spannende Projekte. Unterm Strich zählt auf der Messe in Frankfurt trotz aller geschäftsmäßiger Nüchternheit das Gespräch zwischen den Parteien. Autor und Verlag auf der einen Seite, Portalbetreiber auf der anderen Seite – wo anders wäre dies möglich. Judith: Zu guter Letzt vielleicht noch die Bemerkung, dass Frankfurt für Literatopia auch immer eine Art Teamtreffen darstellt. In den vergangenen Jahren war die Buchmesse mit einem Forentreffen verbunden, wo Moderatoren und User gemeinsam am Frühstückstisch

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sitzen und sich über die Buchmessenerlebnisse amüsieren. Für mich ist es zudem schön, Frankfurt mit meinen Kolleginnen in der Literatopia-Chefredaktion zu erleben. Man hetzt gemeinsam durch die Gänge, entdeckt interessante Titel, bespricht geplante Gewinnspiele und alles Mögliche, das online irgendwie zu kurz kommt. Vor allem tut es gut zu sehen, mit wem man das ganze Jahr eng zusammenarbeitet. Inzwischen hat sich dieses Teamtreffen auf fictionfantasy.de erweitert und seit letztem Jahr sind wir auch als PHANTASTTeam auf der Buchmesse unterwegs. Buchmesse in Kombination mit Jürgen ist nochmal etwas ganz anderes! ;) In diesem Sinne, wir freuen uns – trotz Teppichbodennahrung.


Es gibt Comics zu gewinnen! In Zusammenarbeit mit Splitter verlosen wir drei Comicalben

Sie schwört sich, diese Bluttat eines Tages zu rächen. Fünfzehn Jahre später ist aus dem Mädchen eine Kriegerin geworden, die ihre Kampfkunst dem Meistbietenden zur Verfügung stellt. Gemeinsam mit ihrem Söldnergefährten William kämpft sie gegen die »Drachen«, mysteriöse Wesen, die sich an der Grenze zur Realität bewegen und deren Gegenwart nur Marie wahrnimmt. Dann stößt sie auf die Spur der Mörder ihrer Eltern. Wäre es möglich, dass ihre seltsame Fähigkeit etwas mit dem Massaker an ihren Leuten zu tun hat? Maries Drachen, Band 1 Als die zwölfjährige Marie in ihr Dorf heimkehrt, findet sie nur noch Ruinen vor. Ihre Eltern wurden ermordet und ihre Geschwister in die Sklaverei verschleppt.

Das Autorengespann Ange hat sich mittlerweile auch in Deutschland einen Namen gemacht. Zusammen mit dem Zeichner Démarez, der sein Talent bereits in der Serie »Die Legende der Drachenritter« unter Beweis stellte, liefern

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sie hier erneut einen Fantasy-Comic der Spitzenklasse ab. Zombies, Band 0 Der Mensch steht nicht mehr an der Spitze der Nahrungsket-


te, denn die Zombies haben ihm den Platz streitig gemacht, und nichts scheint sie aufhalten zu können. Die Pandemie, die in den unterentwickelten Ländern ihren Anfang nahm, breitet sich rasend schnell über den Rest der Welt aus. Allerdings schätzen die Industrieländer das Risiko nicht hoch genug ein. Auch LaPointe schlägt sich weiterhin als Schauspieler in kanadischen B-Movies durch, als wäre nichts geschehen. Als Ehrengast eines HorrorfilmFestivals sitzt er jedoch plötzlich in Russland fest. Und merkt schnell, dass das Abschlachten hunderter von Untoten in den Horrorstreifen nicht viel mit der Realität zu tun hat. Ohne Stuntman oder Special Effects muss er die Rolle seines Lebens spielen… Prometheus, Band 1 Die Erde wird von einer Reihe unerklärlicher Ereignisse heimgesucht, die jeden Tag um exakt 13.13 Uhr stattfinden. 21. Sept., 13.13 Uhr – Die Raumfähre Atlantis verschwindet bei ihrem letzten Flug von den Kontrollbildschirmen. 22. Sept., 13.13 Uhr – Alle

Die Besatzung eines Fischkutters sieht, wie sich der Rumpf der Titanic aus dem Meer erhebt, die über 100 Jahre zuvor an derselben Stelle versank. Ein Rasant erzähltes Endzeit-Epos von Erfolgsautor Christophe Bec („Heiligtum“)

Wir verlosen diese drei Comicalben unter den Lesern des PHANTAST! Uhren des Planeten bleiben stehen. Im selben Augenblick setzt sich der Andikythira-Mechanismus eines seltsamen Astrolabiums in Gang, das bisher kein Wissenschaftler aktivieren konnte. 23. Sept., 13.13 Uhr – Die Raumfähre Atlantis taucht wieder auf und landet in Cap Canaveral. An Bord ist nur ein Überlebender, der Kommandant der Mission – inmitten der zerstückelten Leichen seiner Mannschaft. 24. Sept., 13.13 Uhr – Ein amerikanisches U-Boot ortet ein deutsches Militär-U-Boot, das sechzig Jahre zuvor verschwand...

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Hierfür müsst ihr keine Frage beantworten, sondern nur eine Email mit dem Betreff „PHANTAST Comicverlosung“ an phantast@fictionfantasy.de schicken. Einsendeschluss ist der 31.12.2012. Unter den Einsendungen werden die drei Gewinner ausgelost. Ein Gewinnanspruch besteht nicht. Der Gewinn kann nicht in Bar ausgezahlt werden, der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Teilnehmer unter 14 Jahren sind von der Verlosung ausgeschlossen.


Ruhm im Halbstundentakt Ein Messe-Bericht aus Leipzig von Jeanine Krock

Alljährlich laden die Messemetropolen Frankfurt und Leipzig zum Jahrmarkt. Dem Ruf folgen Buchstabenfresser, Geschichtenerzähler, Illusionisten und Wortjongleure, Künstler, selbstverliebte Schausteller und Traumtänzer. Frankfurt im Oktober, Leipzig im März. Zwei Jahreszeiten, zwei Welten. Im herbstlichen Frankfurt am Main trifft sich die internationale Bücherwelt. Hier bleibt man – zumindest in den ersten Tagen – unter sich, um Geschäfte zu machen und neue Märkte zu erkunden. Im Frühling zieht es dagegen eine überwiegend deutschsprachige Szene zur publikumsnahen Leipziger Buchmesse. Halbstündlich geben Autorenlesungen den Rhythmus vor.

Nebenher wird verhandelt, beobachtet und analysiert. Renommierte Buchkritiker erklären vor laufenden Kameras ihre Sicht der Welt, die solcherart abgehandelten Schriftsteller bleiben höflich und träumen wohl, so kommt es einem vor, längst vom nächsten Roman. Leipzig gibt sich jung und so findet man hier besonders viele ambitionierte NachwuchsLiteraten, die sehnsüchtige Blicke auf die haushohen Bücherwände großer Publikumsverlage werfen, während sie zu Barcamps oder AutorenWorkshops eilen. Derweil sich die ersten Besucher insgeheim nach ein bisschen Ruhe sehnen, bemühen sich andere um Autogramme, ein paar Worte mit dem Lieblingsautor oder sie versuchen, ihr eigenes Manuskript un10

terzubringen. Für Geld, das wird schnell deutlich, scheint alles möglich auf diesem Büchervolksfest. An kleineren Ständen gelingt womöglich ein kurzes Gespräch mit dem Verleger. Anderswo nimmt man sich Zeit, verspricht Ruhm und Anerkennung. Natürlich, so erfährt der junge Künstler, gehe das nicht ohne Geld. Wie viel ihm der Lebenstraum denn wert sei? Vertreter der Publikumsverlage preisen ihre Bücher an oder sind im Halbstundentakt mit Agenten, Autoren und engagierten Multiplikatoren verabredet. »Sie haben keinen Termin? Tut uns leid ...« Mittags trifft man sich beim Twittagessen. Der Lärmpegel steigt, obwohl die bezaubernden Grundschulkinder, die alljährlich auf Literaturschnit-


zeljagd geschickt werden, langsam das Feld räumen für die ‚Großen’. Cosplayer malen bunte Tupfen in das Leipziger Allerlei, und wenn dann noch die Sonne scheint – was kann es Schöneres geben? Besucher müssen ihre Komfortzone neu definieren, bewegen sich schiebend voran in den gläsernen Röhren, an denen Hallen wie Satelliten hängen. Bücherbeute wird in Rollkoffern abtransportiert. Von wegen „Junge Leute lesen nicht mehr"! Wer beruf-

lich unterwegs ist, verflucht spätestens jetzt den Halbstundenpuls, greift zum Handy, sagt Termine ab. Abends geht es weiter. Leipzig liest. Leser und Fans eilen zu Lesungen und Events. Mit Freunden und Kollegen trifft sich zum Abendessen in überfüllten Traditionslokalen, wer nicht gerade etwas aus seinen Büchern vorträgt oder als Verlagsvertreter seine Schäfchen betreut. Angehende Schriftsteller treffen auf etablierte Stars

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der Szene und werden, je nach Charakter, wieder zum schüchternen Fan. Man beäugt einander kritisch. Derweil ziehen Verlegerpersönlichkeiten an uns vorbei und irgendwo souffliert jemand den Namen der jüngsten Begleitung. Danach die Partys. Asketische Bücherfrauen werden zu lasziven Verführerinnen, Agenten nehmen Witterung auf. Es war so schön! Zur Herbstmesse sehen wir uns in Frankfurt.


Buchtipps zur Messe von Judith Gor

Wer einmal in Frankfurt auf der Buchmesse war, kennt das Gefühl, von den tausenden und abertausenden von Büchern regelrecht erschlagen zu werden. Wer nicht nur von Stand zu Stand rennen und vielleicht ein paar Signiertermine erleben, sondern sich auch Zeit nehmen will, um ein wenig in interessante Titel hineinzulesen, ist hoffnungslos verloren. Daher hier eine kleine Sammlung von Buchtipps zur Messe – aktuelle Bücher, die man sich in Frankfurt genauer ansehen sollte!

seinen zarten und düsteren Illustrationen, die perfekt zur unheimlichen Atmosphäre von Edgar Allan Poes Geschichten und dem Originaltext der Gebrüder Grimm passen. Mit Das Elfen-Bestimmungsbuch kreiert Benjamin Lacombe gemeinsam mit Sébastien Perez eine unheimliche und faszinierende Geschichte um den russischen

Benjamin Lacombe: Das ElfenBestimmungsbuch / L’herbier de Fées Bereits in Unheimliche Geschichten oder Schneewittchen begeisterte Benjamin Lacombe mit 12

Botaniker Alexander Bodganowitsch, der im Wald von Broséliande in Frankreich kleine Wesen entdeckt, die den Elfen keltischer Sagen entsprechen. Zunächst führt er wissenschaftliche Experimente mit ihnen durch und dokumentiert medizinisch relevante Eigenschaften. Doch sehr bald verliert sich Alexander im Zauber dieser Elfen und die anfangs wissenschaftlichen Zeichnungen werden zu verträumten Illustrationen, die den Betrachter in eine phantastische Welt entführen. Das Elfen-Bestimmungsbuch ist ein atemberaubendes Kunstwerk, das mehr als einen Blick wert. Am Stand von Jacoby & Stuart hat man die Gelegenheit, einen zu erhaschen – aufgrund der Kürze des Textes könnte man sogar die ganze Geschichte im Rahmen der Messe lesen.


Kenneth Oppel: Düsteres Verlangen Kenneth Oppel erweckt in seinem Jugendroman Düsteres Verlangen – Die wahre Geschichte des jungen Victor Frankenstein Mary Shelleys Figuren zu neuem Leben. Allerdings hat Victor in Oppels Version einen Zwillingsbruder namens Konrad, der schwer erkrankt und dem offenbar kein Arzt helfen kann. Vollkommen verzweifelt wendet sich Victor der Alchemie zu und begibt sich auf die Suche nach dem legendären Elixier des Lebens. Elizabeth und Henri unterstützen ihn bei der gefährlichen Suche, doch Victor verliert sich zunehmend in den Verheißungen der Alchemie und phantastischen Vorstellungen. Zudem entwickelt sich eine Rivalität zu seinem schwerkranken Bruder, der mit Elizabeth eine Liebesbeziehung hat. Kenneth Oppel arbeitet dabei den FrankensteinStoff jugendgerecht auf, auch wenn es einige grausige Szenen gibt. Düsteres Verlangen widmet sich vor allem der schwe-

ren Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein, der ersten Liebe und Enttäuschung und der Suche nach Antworten in einer Welt, in der sich volkstümlicher Aberglaube und moderne Naturwissenschaften gegenüberstehen. Ein beeindruckender Jugendroman, der auch optisch einiges hermacht und in den man am Stand von Beltz & Gelberg unbedingt einmal reinlesen sollte! Bernd Perplies: Flammen über Arcadion Bereits mit seiner Magierdämmerung erregte Bernd Perplies die Aufmerksamkeit der Messebesucher, dieses Jahr dürfte Flammen über Arcadion noch mehr interessierte Leser locken. Das Hardcover sieht traumhaft aus und der Roman selbst dürfte als Dystopie ins Beuteschema vor allem junger Phantastikleser fallen. Arcadion ist die letzte Zufluchtsstätte in einer düsteren, verwüsteten Welt und wird von einem fanatischen Orden namens Lux Dei be13

herrscht. Als Carya beobachtet, wie der Geliebte einer Freundin von der Inquisition festgenommen wird, begehrt sie gegen die Herrschaft der Lux Dei auf und setzt damit ihr Leben aufs Spiel. Bernd Perplies zeigte in der Vergangenheit bereits sein großes Talent, eine dichte und stimmige Atmosphäre zu kreieren und seine Welten mit facettenreichen Charakteren zu bevölkern. Der Stand von Egmont Lyx bietet zudem gemütliche Ecken zum Schmökern!


Victoria Francés: Favole Jüngst ist bei Cross Cult eine aufwändige Sammelausgabe von Favole erschienen, inklusive Schmuckschuber. Viele dürften Victoria Francés‘ Werk von Kunstkalendern kennen, so mancher in der schwarzen Szene schmückt seine Forenidentität mit ihren Bildern und bemüht sich, diese nachzuzeichnen. Favole entführt den Leser in eine mittelalterliche Welt voll düsterer Kreaturen, charmanter Vampire und üppiger Kostüme. Melancholie und Poesie verbinden sich zu einem magischen Gesamtkunstwerk, die Figuren haben stets etwas Verlorenes an sich, sind rastlos Suchende in einer zerfallenden Welt. Das Artwork strahlt insbesondere diese Melancholie aus, aber auch Romantik und Leidenschaft.

Andreas Brandhorst, der stets mit durchdachter Science Fiction aus Deutschland aufwarten kann. Dieses Mal wird es wieder mystisch, denn der Protagonist Zacharias Calm vermag mit dem Bewusstsein anderer Menschen in Kontakt zu treten. Als mehr und mehr Menschen ins Koma fallen und kurz darauf sterben, begibt sich Zacharias gemeinsam mit der Ermittlerin Florence in die geistige Welt der Komapatienten. Die Thematik

Andreas Brandhorst: Seelenfänger Pünktlich zur Buchmesse erscheint Seelenfänger von 14

bietet viele Möglichkeiten, kann aber auch furchtbar schiefgehen. Es dürfte spannend werden, wie Brandhorst diese Reisen ins Bewusstsein anderer Menschen technisch ermöglicht. ScienceFiction-Fans sollten bei Heyne unbedingt Ausschau nach Seelenfänger halten! Mathias Malzieu: Die Mechanik des Herzens Das poetische Märchen Die Mechanik des Herzens ist bereits im Juni bei carl’s books erschienen und erzählt die Geschichte des jungen Jack, dessen Herz mit einer Kuckucksuhr verbunden ist. Er wurde am kältesten Tag aller Zeiten in Edinburgh geboren und wuchs bei Doktor Madeleine auf, die die Kinder von Huren und aus Fehltritten zur Welt bringt. Madeleine warnt Jack stets, sich niemals zu verlieben, denn die Mechanik seines Herzens würde verrücktspielen und ihn umbringen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Jack sieht die schöne Tänzerin Miss Aca-


cia, die nicht gut sieht, aber auch keine Brille tragen will. Sein Kuckucksuhrenherz pfeift sprichwörtlich aus dem letzten Loch, doch für Jack ist klar: Miss Acacia ist die Eine! Und so reist er ihr bis nach Spanien nach, erlebt den Rausch der

Liebe, aber auch ihren Schmerz. Mathias Malzieus Schreibstil ist voll überschwänglicher Metaphern, passend zur Magie der Liebe, ihren Höhen und Tiefen. Immer wieder kreiert er ganz außergewöhnliche und kreative Bilder und fängt den Leser

Bei Beltz-Gelberg ist immer etwas los!

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mit seiner charmanten Erzählweise ein – doch genau hier ist Vorsicht geboten. Die Mechanik des Herzens ist moderne Poesie, oftmals übertrieben und immer bildhaft. Man muss diesen Stil mögen – daher vor dem Kauf reinlesen!


White Crows Band 1: Herz aus Stahl Eine Rezension von Frank Drehmel

Originaltitel: White Crows: Cœur d'acier Szenario: Djief (unter Beteiligung von Mikaël) Zeichnungen und Farben: Djief Übersetzer: Thomas Schöner Lettering: Delia Wüllner-Schulz Ausstattung: Hardcover, Albumformat, 56 Seiten Verlag: Splitter Verlag, 2012, ISBN: 978-3-86869-493-2

Frank Willis bekleidet als Seargant eine exponierte, herausragende Position bei der GTI, der Gruppe für Taktische Intervention. Das ist insofern bemerkenswert, als Willis ein Mensch ist und Menschen im Jahre 2253 auf dem Stadtplaneten Primor, Willis‘ neuer Heimat, bestenfalls als unerwünscht betrachtet werden, hat sich die Menschheit doch nach einer zunächst freundlichen Annäherung an die interstellare Konföderation – die Constelnations – ab dem Jahre 2095 einige kriegerische Vertrauensbrüche geleistet. Dank seiner wagemutigen und zupackenden Art weiß sich Willis, der als erster seiner Spezies einen solch hohen Rang innehat, zwar der Wertschätzung seiner Kollegen und Vor16

gesetztin, der humanophilen Milornierin Ralins‘k, sicher, aber die Luft für den Seargant wird dünner, als eine Ermittlung gegen Schmuggler in einem teuren Desaster endet. Und dann zeichnen sich auch noch private Probleme ab: unerwartet stehen seine 15-jährige Tochter Shelly und ihr kleiner Roboter Vektor als einzige Überlebende einer gewaltigen Raumkatastrophe vor Willis‘ Tür. Allerdings erweist sich seine Tochter weniger traumatisiert, als vielmehr als ziemliche Nervensäge, die dann, weil Willis so gar kein Händchen für Teenager hat, die Gelegenheit zum Abhauen nutzt, während der Polizist auf eigene Faust weiter an dem Schmugglerfall arbeitet. Doch der stählerne Stadtplanet ist kein idealer Platz für


und farbenfroh daher, wobei nette digitale Effekte das Salz in einer Suppe sind, die zuweilen an Luc Bessons „Das fünfte Element“ erinnert; vielleicht auch wegen des Namens „Willis“.

menschliche Ausreißer, denn in den heruntergekommen Sektoren jagen Organhändler ihre humanoiden Opfer, da sich um deren Verschwinden keiner schert. Und Shelly erregt schnell die Aufmerksamkeit dieser Verbrecher. Zwar kann sie zunächst entkommen, da sie mehr kann und ist als normale Teenies in ihrem Alter, aber sollte Papa Willis nicht rechtzeitig auftauchen, sähe es zappenduster aus.

und Shelly – sind lebendig und humorvoll angelegt, wobei dem Autor insbesondere hoch anzurechnen ist, dass Shelly von Beginn an als mehr als nur ein nervtötendes, zickiges Gör auftritt, sondern eher als junge, selbstbewusste und toughe Frau, die ihrem alten Herrn in nichts nachsteht. Grafisch kommt Djiefs exotische Welt mit ihren fremdartigen Bewohnern und exotischen Gebäuden hochdetailliert, klar

Auch wenn Setting und Grundkonflikt zwischen einer intergalaktischen Allianz und ausgestoßener Menschheit anfangs frappierend an Sylvain Runbergs Orbital-Comics oder den Mass-Effect-Game-Background erinnern, so dauert es nur wenige Seiten, bis sich eine vollkommen eigenständige Welt auftut, in der sich interessante Charaktere in einer exotischen Umgebung tummeln. Die Handlung selbst ist vielschichtig-spannend und äußerst rasant inszeniert, die Dialoge und Interaktionen der beiden Hauptpersonen – Willis

Angelika Mandryk beim Interview mit Wolfgang Hohlbein (mitte) und Dieter Winkler

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Fazit: Eine saucoole, spannende, atmosphärische intensive und reinrassige SF-Story, die von High-Tech bis Emotionen alles bietet, was Genere-Fans lieben.


Swamp Thing #1 Eine Rezension von Frank Drehmel

Originaltitel: Swamp Thing 1-8 Autor: Scott Snyder Zeichnungen: Yannick Paquette et al. Tusche: Marco Rudy et al. Farben: Nathan Fairbairn et al. Übersetzer: Josef Rother Lettering: Walproject Ausstattung: SC, 156 Seiten Verlag: Panini Comics, 2012, ISBN: 978-3-86201-421-7

Im Zuge des „New 52“-Relaunches fanden auch einige Vertigo-Serien bzw. -Helden ihren Weg zurück in die „normale“ DC-Universum-Kontinuität, darunter unter anderem John Constantine, Shade – beide innerhalb der „Justice League Dark“ –, „Animal“ Man sowie „Swamp Thing“. Gemeinsam ist diesen Titeln – respektive Figuren –, dass sie mit ihrem starken Horror-Einschlag eher eine dunkle Spielart des Superhelden präsentieren, wobei, bemüht man die Veröffentlichungshistorie, sicherlich „Swamp Thing“ die düstersten Wurzeln aufweist, angefangen beim gothischen und viktorianischen Horror Len Weins und Bernie Wrightson bis hin zum eher epischen Grusel eines Alan Moore. Mit Scott Snyder versucht nun ein Autor der Fi18

gur Leben einzuhauchen, der mit seiner Eisner Award-prämierten Comic-Reihe „American Vampire“ (dt. bei Panini) in jüngster Zeit für Furore sorgt. Nur noch vage Träume und ungute Gefühle erinnern Alec Holland an ein anderes Leben als Swamp Thing, ein Leben, mit dem er endgültig gebrochen hat. Als ihn eines Tages Superman aufsucht, um nach ihm zu sehen und ihn über seltsame Vorkommnisse innerhalb der Natur rund um den Globus zu informieren, erteilt er dem Stählernen ebenso eine Abfuhr wie dem Avatar, den das Parlament der Bäume gesandt hat, um Holland als Krieger-König des Grün im Kampf gegen die Fäulnis und ihren Herren – Sethe – zu rekrutieren, indem ihn die Entitäten in eine weitere


Inkarnation des Swamp Thing verwandeln. Bevor der Avatar vergeht, warnt er Alec vor den Schergen Sethes, die schon seine Spur aufgenommen hätten, und er warnt ihn insbesondere vor der weißhaarigen Frau namens Abigail Arcane, deren genetische Determinierung sie zu einer Gefolgsfrau der Fäule machen soll. Und doch ist es just diese junge Frau, die Alec Holland schon bald vor dem Zugriff der Anhänger Sethes beschützt, um sie seinerseits in ihrem Bemühen zu unterstützen, ihren kleinen Bruder, William Arcane, zu erretten. Für William jedoch kommt die Hilfe zu spät, denn der Junge hat mittlerweile Kräfte entwickelt, die ihn zu einer tödlichen Gefahr für jedes lebende Wesen machen. Während Abigail und Alec gegen William und seine Monstrositäten in den Kampf ziehen, steht die Fäule kurz davor, das Parlament der Bäume zu vernichten. Scott Snyders „Swamp Thing“Einstand nur als gelungen zu

bezeichnen wird der Qualität dieses ersten Tradepaperbacks nicht gerecht. Tatsächlich gelingt es ihm scheinbar mühelos, einen Relaunch des über vierzig Jahre alten HorrorKlassikers zu entwickeln, der sowohl Motive insbesondere der Moore'schen Ära aufweist und zudem mit einigen Reminiszenzen aufwartet als auch eine frisch wirkende, actionreiche und brutale Story mit modernen, vielschichtigen Charakteren präsentiert. Im Gegensatz zum viktorianischen Grusel und dem gothischen Horror der früheren Wein/Wrightson-Ausgaben, die gleichermaßen von den fast schon poetisch zu nennenden Texten Weins wie den nebelverhangenen, romantisierendgrotesken, knorrigen Bildern Wrightsons lebten, setzen Autor und Künstler der NeuInterpretation eher auf explizites, körperliches, voyeuristisches Grauen mit starkem chtuloiden Einschlag. Neben der expliziten Darstellung verdrehter menschlicher Körper und bizarrer Monstrositäten, 19

wozu auch die Swamp Things des Parlaments gehören, überzeugt das detailreiche, visuell tiefe Artwork durch eine dynamische Panelaufteilung, die – bei Bedarf – ihrerseits fast schon organisch daherkommt und die zuweilen wie die Bilder selbst einen regelrecht psychedelischen Einschlag aufweist. Fazit: Auch diese visuell spannende und hochdynamische, gewalttätige und horror-betonte Neu-Definition einer vierzig Jahre alten Figur reiht sich in die Phalanx der gelungenen Serien-Auftakte von DC's „New 52“-Relaunch ein.

Mehr Eindrücke und Informationen zu DCs Reihen-Relaunch, der in Deutschland bei Panini erscheint, findet ihr in der nächsten PHANTASTAusgabe #7.


Preisgekrönte SF-Storys von internationalen Stars Science Fiction Ted Chiang Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes Deutsch von molosovsky Klappenbroschur 224 S. | 14,90 € Paolo Bacigalupi Der Spieler Deutsch von Birgit Herden, Dorothea Kallfass & Hannes Riffel Klappenbroschur 216 Seiten | 14,90 € David Marusek Wir waren außer uns vor Glück Deutsch von Jasper Nicolaisen & Jakob Schmidt Klappenbroschur 224 Seiten | 14,90 € Außerdem: Samuel R. Delany & die Brüder Strugatzki, Captain Future & Hellboy, Robert Bloch & Tobias O. Meißner, Frank Böhmert & K. J. Parker ... Bitte richten Sie Ihre Bestellung an: Golkonda Verlag GmbH Charlottenstraße 36 12683 Berlin-Biesdorf phone 030-50 36 12 79 e-mail golkonda@gmx.de

Geschichten, die ein ganzes Universum enthalten: Die Wahrheit über den Turmbau zu Babel; der folgenreiche Erstkontakt mit einer außerirdischen Spezies; die Verzweiflung angesichts des Verlusts eines unersetzlichen Menschen; ein Zeitreiseabenteuer der anderen Art; und ein bestürzender Ausflug an die Grenzen des wissenschaftlich Machbaren ... Kein anderer Science-Fiction-Autor hat in den letzten zwanzig Jahren auch nur ansatzweise so viel Begeisterung ausgelöst wie Ted Chiang. Kein anderer Science-Fiction-Autor wurde für ein so schmales Werk mit mehr Preisen ausgezeichnet. Nun liegt endlich auch auf Deutsch ein Auswahlband mit seinen Erzählungen vor.

Ein religiöser Führer existiert nur noch als digitale Kopie, ein Flüchtling kämpft ums Überleben, und ein Journalist wird mit einem völlig neuen Paradigma der Berichterstattung konfrontiert ... In einer global vernetzten Welt sind die Folgen politischer Entscheidungen, ob sie nun in New York oder Bangkok gefällt werden, in allen Gesellschaftsschichten spürbar. Überkommene Traditionen werden infrage gestellt, Lebens- und Arbeitsverhältnisse neu definiert. Auch wenn wir uns darüber nicht immer im Klaren sind − die Zukunft hat uns längst eingeholt. Und Paolo Bacigalupi erzählt aus dieser Welt von Morgen.

Eine Zukunft, in der ein Teil der Menschheit länger lebt, als wir uns das überhaupt vorstellen können; eine Zukunft, in der Kinder zu Objekten der Begierde einer ganzen Nation geworden sind; eine Zukunft, in der Nanotechnologie das Leben maßlos bequem, aber auch maßlos gefährlich gemacht hat ... Im Golkonda Verlag erschien nun ein Sammelband mit fünf Erzählungen und Novellen, die alle vor dem Hintergrund desselben Zukunftsentwurfs spielen wie Maruseks Romane. Darin enthalten sind unter anderem seine beiden Meisternovellen »We Were Out Of Our Minds With Joy« und »The Wedding Album«, die im englischsprachigen Raum zu den am häufigsten nachgedruckten SF-Texten überhaupt zählen.

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www.golkonda-verlag.de


Eindrücke Verlagsmitarbeiter und Autoren zur Frankfurter Buchmesse

Die Buchmesse ist immer wieder eine Wunderwelt für mich. Kein Jahr ohne tolle und verrückte Begegnungen. Vor fünf oder sechs Jahren traf ich zufällig den BuchwissenschaftsProfessor wieder, bei dem ich studiert hatte; wenig später referierte ich in seiner Vorlesung über "PERRY RHODAN". Vor zwei Jahren stand ich am PERRY RHODAN-Stand, als mich jemand von hinten ansprach: "Entschuldigung, mein Name ist Schätzing, wissen Sie, wo Herr Frick zu finden ist?" Witzig, denk ich noch, Schätzing ist ein cooler Name auf der Buchmesse. Ich dreh mich um ... und da steht tatsächlich DER Kollege Schätzing samt seiner Frau. Christian Montillon Autor

Die Frankfurter und natürlich auch die Leipziger Buchmesse sind jedes Mal Jahreshighlights. Als Verlag freuen wir uns, die Gelegenheit zu bekommen, Programmschwerpunkte gezielt zu kommunizieren und auch zeigen zu können: sei es mittels Veranstaltungen in Foren oder am Stand oder einfach durch das Ausstellen unserer Bücher und das direkte Gespräch mit Kooperationspartnern und Lesern. Was die Messe außerdem bedeutet: viel Reden, viele Kekse, viel Kaffee, wenig Pausen und wenig Schlaf - aber es macht immer wieder aufs neue Spaß Christina Knorr Pressearbeit Egmont LYX Ich mag die Messe in ihrer Vielseitigkeit. Ganz beson21

ders mag ich den Kontakt mit den Leuten, die an den PERRY RHODAN-Stand kommen. Darunter sind einige Fans, aber auch viele Menschen, die sich nicht gut oder überhaupt nicht mit der Serie auskennen. Ich erhalte überraschend viele Rückmeldungen von Leuten, denen ich einen signierten Roman geschenkt habe - und die ihn dann auch gelesen haben. Das freut mich sehr. Marc A. Herren Autor Zu schmale Gänge. Zu viele Menschen. Zu teures Essen. Zu viele Bücher, die ich entweder schon kenne (das Internet ruiniert hier den Aspekt der Neuheitenschau) oder die mich nicht interessieren (und die Mehrheit der übrigen Mes-


sebesucher offenbar auch nicht, wenn man die unglücklichen Gesichter all der Kleinverleger als Indiz nimmt, die aufgereiht wie Hühner auf der Stange in ihren winzigen Präsentationsbuden hocken). Also warum gebe ich mir die Frankfurter Buchmesse eigentlich jedes Jahr? Weil es doch irgendwie eine ganz andere Welt ist, ein Bücherwunderland, das fünf Tage im Jahr auf dem Messegelände entsteht und dessen Atmosphäre einen in den Bann schlägt, kaum dass man den Eingang durchschritten hat. Man kann eintauchen in diese Hallen voller Gedrucktem, kann sich von Stand zu Stand treiben lassen und gelegentlich findet man tatsächlich kleine Schätze, mit denen man überhaupt nicht gerechnet hätte. Ganz abgesehen davon ist so eine Buchmesse natürlich wie ein Familientreffen für Autoren. Während wir normalerweise über ganz Deutschland verteilt vor unseren PCs sitzen,

finden wir hier zusammen, haben Gelegenheit zum Plausch, zu einem Kaltgetränk im Hof, zu ein wenig spontaner Projektplanerei. Wir können unsere Agentinnen und Lektoren, Redakteurinnen und Verleger treffen und einfach mal ein paar Worte von Angesicht zu Angesicht wechseln. Das ist – menschlich gesehen – mehr wert als hundert Emails und Telefonate! Und deswegen bin ich, ungeachtet aller Widrigkeiten (zu denen man noch platte Füße und zu wenig Schlaf hinzufügen könnte), immer wieder gerne dort. Bernd Perplies Autor Auf meine erste Frankfurter Buchmesse als Autor bin ich noch die ganze Woche gefahren. Ich habe jedoch schnell gemerkt, dass Frankfurt die Geschäftsmesse ist: Lektoren, Verlagsmitarbeiter, Agenten treffen sich und schließen Verträge. Als Autor ist man da ein wenig verloren. Inzwischen

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weiß ich, dass ein Tag vollkommen ausreichend für die Messe ist, um sich alles anzusehen. Der interessantere Teil sind ohnehin die Veranstaltungen um die Messe herum, auf denen man Kollegen und Leser trifft und sich austauschen kann. Christoph Hardebusch Autor Die Buchmesse in Frankfurt ist natürlich ein riesiges Event, das man einmal erlebt haben sollte. Aber unserer bescheidenen Meinung nach ist die Messe vor allem eines: nämlich stressig. Jeder, der da ist, hat tonnenweise Termine und hetzt nur durch die Gegend. Da bleibt für ausgedehnte und entspannte Gespräche kaum Zeit. Viel schöner und angenehmer ist da die Buchmesse in Leipzig - hier hat man wenigstens auch etwas Zeit für die Leser, und man kann mit vielen netten Kollegen ein Schwätzchen halten. Thomas Plischke und Ole Johan Christiansen Autoren


Die Frankfurter Buchmesse ist für mich immer wieder ein spannendes Ereignis. Das fängt schon damit an, dass es ein echtes Abenteuer sein kann, in dem Gewimmel den richtigen Stand zu finden. Mitunter fühle ich mich in den Gängen vor allem mit Blick auf die Kleidung zwischen die Grauen Herren aus Momo versetzt. Vergangenes Jahr hatte ich jedoch das Glück, dass ich nach wenigen Schritten in der richtigen Halle von meinem eigenen Buchcover empfangen wurde. Die Chroniken der Schattenwelt. Nephilim prangte als meterhohes Poster am Stand des LYXVerlages, und nach dem ersten Schock und der Erleichterung darüber, dass stattdessen kein Portrait von mir dort hing, war jedes Verlaufen ausgeschlossen. Nach einigen interessanten Gesprächen zwischen Büchern und Keksen habe ich dann den Auftakt meiner neuen Trilogie im Rahmen einer Lesung vorgestellt (ein schönes Erlebnis, auch wenn leider viel zu wenig Stühle da waren und es sich zahlreiche Zuhörer auf

dem Boden bequem machen mussten). Anschließend fand meine Signierstunde statt, am Ende waren sowohl Bücher als auch Autogrammkarten aufgebraucht und die Schmerzen in der Hand konnte ich durch die vielen lieben Leser, die ich auf diese Weise kennengelernt oder wiedergesehen habe, leicht verkraften. Es blieb noch etwas Zeit für Interviews und Fotos, dann ging es für mich weiter auf den BuCon, der parallel zur Messe stattfindet und jedes Jahr ein Highlight der phantastischen Szene ist. Hier geht es etwas legerer zu, und es ist immer wieder schön, alte Bekannte zu treffen und sich über die Branche auszutauschen. Auch hier hielt ich eine Lesung, es waren deutlich weniger Menschen in Anzügen dort, was wohl der Hauptunterschied zu der Lesung auf der Messe war. Am Abend fand dann die jährliche Verleihung des Deutschen Phantastik Preises statt, bei der ich mit Grim für das Beste Deutschsprachige Romandebüt 23

ausgezeichnet wurde. Meine Rede dazu findet sich bis heute im Internet, ich denke, man merkt mir an, dass dieser Preis etwas ganz Besonderes für mich war. Abschließend kann ich sagen, dass ich sowohl die Frankfurter Buchmesse als auch den BuCon sehr gern besuche. Ich freue mich schon auf dieses Jahr. Gesa Schwartz Autorin Auf Messen, wie der Buchmesse in Frankfurt, zu sein ist für mich als Comiczeichnerin immer sehr spannend, denn hier begegne ich meinen Lesern. Man kann schon sagen, dass dies einer der Momente ist, für die ich das Jahr über in meinem Atelier sitze und fleißig zeichne, denn hier komme ich schließlich mit den Menschen zusammen, die sich über meine Arbeit freuen. Ich bekomme so direktes Feedback und lerne meine Leser kennen. Natürlich besteht auch ein gewisser Austausch im Internet, doch das ist nie vergleichbar mit direktem Kontakt. Beson-


ders schön ist es, wenn man sieht, wie viel Freude man als Zeichner einem Leser machen kann, indem man ihm live vor Ort einen Sketch in seinen Comic zeichnet. Ich mag übrigens sehr die Idee des jährlichen Ehrengastes auf der Frankfurter Buchmesse. Gerade auf Neuseeland freue ich mich sehr. Ich möchte auch unbedingt einmal dort hinreisen. Generell ist es immer toll, was für liebe und großartige

Menschen auf der Buchmesse anzutreffen sind. Man begegnet vielen großartigen Künstlern und Verlagen und der Austausch kann gar nicht groß genug sein. Leider vergeht die Zeit immer viel zu schnell. Und damit beginnt schon dir Vorfreude auf das nächste Mal! ;) Marie Sann Zeichnerin & Autorin Zwischen Messe-Stress und Messe-Tratsch: Zu den festen Terminen im Jahr gehört

Marie Sann beim Signieren in Frankfurt

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bei mir schon seit Jahrzehnten die Frankfurter Buchmesse. Es sind einige Tage, an denen ich mich in einen Anzug zwänge und eine Krawatte um den Hals schlinge – ich übernehme dann die Rolle als seriöser und gestrenger Chefredakteur. Ich führe Lizenzgespräche, ich spreche mit möglichen Kooperationspartnern, ich informiere Leser. Aber das ist nicht alles, wie ich gern gestehe: Längst hat die Frankfurter Buchmesse für mich auch einen sozialen Charakter. Ich treffe Kolleginnen und Kollegen aus anderen Verlagen, die ich seit vielen Jahren kenne – der Gedankenaustausch ist häufig nicht rein fachlich, sondern geht in den Branchen-Tratsch über. Aber das gehört dazu. Mit Autoren plaudere ich über ihre neuen Themen, und das ist stets spannend. Ganz ehrlich: Ich freue mich auch 2012 wieder auf die Frankfurter Buchmesse! Klaus N. Frick Chefredakteur Perry Rhodan


Gesa Schwartz signiert Gewinnspielexemplare f端r literatopia / Menschenmassen / Bern Perplies und Daniela Knor

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Cosplay Ein Interview mit Jemo Kohiri, geführt von Jürgen Eglseer

Jürgen: In den letzten Jahren sieht man sie immer häufiger – junge Menschen, die sich auf Conventions und Messen in alle möglichen, meist auf Animes und Mangas bezogenen Wesen verkleiden. Jemo Kohiri ist in dieser Szene schon seit längerem aktiv und nicht nur passiver Fan des Cosplay. Vielleicht möchtest du dich den Lesern des Phantast kurz vorstellen. Jemo: Hi, meine Name ist Jemo Kohiri und Cosplay ist seit 2008 mein größtes Hobby. Ich bin 27 Jahre jung, liebe es, kreativ zu sein, zu zeichnen, zu schreiben oder aber zu schneidern. Jürgen: Erkläre unseren Lesern doch, was man sich unter Cosplay vorstellen muss und wie dieses Hobby entstand.

Jemo: Cosplay bedeutet so viel wie Kostümspiel. Ziel ist es, einen existierenden Charakter möglichst originalgetreu nachzustellen. Dabei kann es sich um Charaktere aus Animes, Mangas, Spielen, Filmen oder Comics handeln. Die Entwicklung eigener Charaktere ist ebenfalls möglich. Die Kostüme werden selbst geschneidert, ebenso Waffen und Zube27

hör selbst hergestellt. Ehrlich gesagt war das Hobby bei mir einfach irgendwann nur da. 2008 habe ich angefangen, so richtig intensiv ist es allerdings schätzungsweise erst seit 2010. Heute möchte ich diese Art der kreativen Auslebung nicht mehr missen. Jürgen: Woher kommt denn dieser Trend, vermutlich aus


dem asiatischen Bereich, oder? Seit wann existiert Cosplay und wie entstand es? Jemo: Genau genommen schwappte die Welle des Verkleidens aus dem nordamerikanischen Raum nach Japan über. Dort übten speziell Sciene-Fiction-Fans die Kunst bereits aus. Sie wurde von den japanischen Fans aufgenommen und weiterentwickelt. So wie wir Cosplay heute kennen, kam es erst im Japan der späten 70er/frühen 80er in die Gänge. Nobuyuki Takahashi, Gründer des japanischen Verlages Studio Hard, prägte diesen Begriff mit. Hier in Deutschland nahm Cosplay im Zuge von Sailor Moon und Co. sowie den ersten Conventions seinen Anfang. Jürgen: Nimmt man sich speziell Anime- oder Mangafiguren als Vorbild oder entwirft man seinen eigenen Charakter? Oder ist hier ein Unterschied zwischen dem Mal-am-Wochenende-Cosplayer und dem ernsthaften Betreiber dieses Hobbys zu finden? 28


Jemo: Ob existierende Figur oder nicht, wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Ein Teil der Cosplayer liebt es, Figuren zu cosplayen, die bereits existieren, und wieder andere entwerfen lieber selbst. Ich beispielsweise gehöre zu den Menschen, die lieber eigene Charaktere entwickeln. Ich habe dort viel mehr Freiheiten, kann frei gestalten und weiß vor allem, dass der Charakter wirklich zu mir passt. Ehrlich gesagt finde ich den Begriff Mal-am-Wochenende-Cosplayer nicht so toll. Es stimmt, nicht jeder betreibt Cosplay mit der gleichen Intensität, aber trotzdem möchte ich sie ungern einordnen. Mir selbst ist dieses Hobby sehr wichtig und ich verbringe viel Zeit damit, das Outfit richtig gut werden zu lassen, nach passendem Zubehör zu suchen und mir einen Kopf darüber zu machen, wie was sein soll. Natürlich ist es mitunter fraglich, was noch Cosplay ist und was nicht. Allerdings möchte ich mich in dem Punkt nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen 29


und überlasse die Definition eigenem Empfinden. Jürgen: Siehst du eine Schnittmenge zwischen den Cosplayern und Live-Rollenspielern (LARP), die sich ebenso verkleiden und sich auch innerlich in einen bestimmten Charakter verwandeln, den sie dann spielen? Jemo: Ich persönlich habe mit LARP keinerlei Erfahrungen, aber der Begriff an sich ist mir nicht fremd. Beide folgen der Leidenschaft für Kostüme und der Darstellung von Charakteren. Im Falle eines LARP-Charakters spielen jedoch weitere Dinge eine Rolle, unter anderem die zur Story passende Umgebung. Jürgen: Beschränkt sich also Cosplay doch mehr auf das Äußere des Charakters? Jemo: Diese Aussage muss ich in dem Falle verneinen. Sicher, das Aussehen in Form von Nähe am Original, der passenden Perücke und Ähnlichem

ist nicht unwichtig, aber es gibt etwas, das ist noch viel wichtiger. Ich meine hier speziell die Ausstrahlung. Ein Cosplayer kann ein noch so gutes Kostüm anhaben, aber es nützt nichts, wenn er es nicht überzeugend rüberbringt. Man muss schon merken, dass er hinter seinem Werk steht, weiß, wer er ist, und es liebt, so zu sein. Die Magie muss einfach zu spüren sein. Jürgen: Wie entsteht so ein Kostüm – wie entsteht dein Entwurf und schlussendlich das fertige Werk? Jemo: Ehe ich anfange, etwas zu entwerfen, überlege ich mir erst mal, was ich überhaupt möchte. Fragen nach der Rasse, dem Geschlecht und Charakter tauchen auf. Anschließend skizziere ich meine Ideen auf Papier. Dabei notiere ich mir auf einem Nebenblatt Farbinfos, Verarbeitungshinweise und alles, was sonst so wichtig ist. Anschließend übertrage ich die Skizzen ins Digitale und 30

arbeite dort nochmal alles ordentlich auf. Sobald die Entwürfe endgültig vor mir liegen, beginnt die eigentliche Arbeit: Materialsuche. Das Internet wird nach Stoffangeboten durchforstet, Farben werden besorgt, Zubehör wird ausgemacht, die Perücke gekauft und was sonst noch alles anfällt. Doch damit nicht genug, im nächsten Schritt sorge ich für vernünftige Schnittmuster und erstelle mir Schablonen, die mir die Arbeit erleichtern sollen. Sind die Schnittmuster fertig, werden sie auf die Stoffe übertragen und die Einzelteile ausgeschnitten. Diese Einzelteile wiederum müssen nun zusammengenäht, gestopft, geklebt werden oder was auch immer. Gerade für diese Arbeit kann viel Zeit draufgehen. Besonders wenn man manches nochmal neu machen muss oder zwischendurch was schiefgeht. Jedes Detail aus den Entwürfen wird verarbeitet und oftmals


werden die Pläne geändert. Schlafmangel und schmerzende Finger sind keine Seltenheit. Sind irgendwann mal alle Näharbeiten abgeschlossen, ist die Perücke gestylt und Zube-

hör bereit, kann man von einem fertigen Cosplay sprechen. Jürgen: Hast du dir das selbst beigebracht oder besitzt du eine entsprechende Ausbildung als

Arbeitsplatz Fußboden

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Schneiderin oder Ähnliches? Was würdest du einem an der Kostümherstellung interessierten, aber bislang unbedarften Menschen raten, wie er an die Sache herangehen soll.


Jemo: Nein, ich besitze keine Ausbildung in dem Bereich, leider. Ich habe mir alles soweit selbst beigebracht. Taucht was Neues auf, gucke ich mir gern vorhandene Kleidungsstücke an, hole mir notfalls Hilfe von Freunden oder aber probiere einfach mal aus. Kurzum: Ich lerne viel durch Testen. Jedem Anfänger kann ich nur eines raten: Mach dich nicht selbst fertig und probiere viel. Nimm Rückschläge in Kauf und entwickle deine eigenen Methoden.

hen. Wird das akzeptiert oder hat man hier eher Probleme?

nem Interessenten am Cosplay denn empfehlen?

Jemo: Das ist teilweise sehr unterschiedlich, wobei ich bisher nur gute Erfahrungen gemacht habe. So gut wie fast alle meine Freunde sind selbst Cosplayer oder aber kennen zumindest den Begriff/die Thematik allgemein. Ich durfte feststellen, dass dieses Hobby mir eher Türen öffnet und es damit sogar leichter ist, Kontakt zu neuen Freunden zu knüpfen.

Jemo: Animexx auf jeden Fall. Animexx ist die Seite schlechthin, um sich über Events zu informieren, Cosplays zu entdecken, sich mit anderen auszutauschen. Eben einfach ideal für Gleichgesinnte.

Jürgen: Wie wird denn Cosplay im Freundeskreis angese-

Jürgen: Welche Gruppierungen und Foren würdest du ei-

Jürgen: Vielen Dank für das Interview!

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Internetseiten wie worldcosplay.net und Deviantart sind zwar auch nicht schlecht, aber gerade für Neueinsteiger ist doch animexx eher geeignet.


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Interview mit Kai Meyer zum Thema Buchmessen Geführt von Judith Gor

Judith: Hallo, Kai! Schön, wieder einmal mit Dir zu sprechen. Du kommst seit zehn Jahren regelmäßig nach Frankfurt und Leipzig und dürftest damit einer der messeerprobtesten Autoren sein. Wie läuft denn ein typischer Messetag bei Dir ab?

nicht früh genug damit anfangen. Danach habe ich – meist in halbwegs lockerer Folge – Termine mit Verlagsleuten, dann natürlich Lesungen, Signierstunden oder einfach nur Verabredungen mit Bekannten und Freunden, die ich oft nur auf den beiden Messen sehe.

Kai Meyer: Ich bin meist zwischen neun und zehn Uhr auf der Messe, trinke am Stand eines meiner Verlage Kaffee (manchmal auch am Stand von Freunden, z. B. der Perry Rhodan-Redaktion) und schimpfe zum ersten Mal am Tag über Leute, die abrupt mitten auf dem Gang stehen bleiben oder Trolleys durch die Gegend ziehen und damit die Korridore verstopfen; das werde ich danach noch viele Male bis zum Abend tun, aber man kann gar

Judith: Für die diesjährige Buchmesse stehen auf Deiner Website schon „diverse Signiertermine und evtl. Lesungen“ – kannst Du uns schon etwas Konkreteres verraten? Kai Meyer: Diesmal gibt´s nur eine einzige Signierstunde auf der Messe selbst, Samstag um 10.30 Uhr im Signierzelt. Offiziell geht es dort um die drei Alchimistin-Bücher, vor allem das neueste, Die Gebannte. Aber natürlich signiere ich auch jedes 34

andere Buch, das man mir vor die Nase hält, so lange mein Name als Autor darauf steht. Was selbstverständlich sein sollte, es aber offenbar nicht für jedermann ist. Am Nachmittag lese und signiere ich dann auf dem BuchmesseCon. Judith: Musst Du Dich allein mit Deinem Terminkalender durch den Messewahnsinn kämpfen oder wirst Du von jemandem umsorgt? Wer trägt alles dazu bei, Dir die Messetage so angenehm wie möglich zu gestalten? Kai Meyer: Die Damen von den Pressestellen der Verlage erinnern mich immer mal an irgendwelche Termine, woraufhin ich dann erbost verkünde, natürlich hätte ich die doch alle selbst im Kalender stehen.


Die Wahrheit ist aber, dass ich auch schon mal einen Termin vergesse und es dann panische Anrufe gibt, wo ich denn stecke und wie ich denn gerade zu diesem wichtigen Interview nicht erscheinen könne. Passiert aber zum Glück sehr selten. Judith: Letztes Jahr warst Du am Splitter-Stand vertreten und hast gemeinsam mit den Zeichnern die Comicumsetzungen zu Das Wolkenvolk und Frostfeuer signiert. Ging es wie so oft Schlag auf Schlag oder hast Du durch das doch länger andauernde Signieren mit Zeichnungen Zeit gehabt, mit Deinen Lesern ein wenig zu plaudern?

lich eine Selbstverständlichkeit sein, aber es gibt Autoren, die machen es anders: sehen nicht, wer da vor ihnen steht, wirken meist genervt und scheinen es gar nicht abwarten zu können, bis sie endlich fertig sind. Falls ich tatsächlich einmal ein wenig hektisch wirke, liegt es allerhöchstens daran, dass ich noch meinen Zug bekommen muss. Ansonsten gibt es definitiv auf der Messe nichts Wichtigeres als den Kontakt zu den Lesern. Ich stehe auch durchaus mal mit jemandem eine halbe

Kai Meyer: Ich versuche eigentlich immer, mit den Leserinnen und Lesern ein paar Worte zu wechseln – falls genug Zeit dafür ist. Selbst bei den großen Signierstunden mit zweihundert, dreihundert Leuten bemühe ich mich, jedem zumindest in die Augen zu sehen, freundlich Hallo zu sagen und Fragen zu beantworten. Auch das sollte eigent35

Stunde am Stand und trinke Kaffee, wenn ich nicht gerade einen Termin habe oder schon wieder in die andere Halle laufen muss. Judith: Hast Du beobachtet, was Marie Sann und Ralf Schlüter in der Kürze mit Bleistift in die Comichefte zaubern? Und hast Du Dich vielleicht selbst einmal an einer kleinen Zeichnung für Deine Fans versucht? Kai Meyer: Klar, ich hab ja genug Zeit zum Zuschauen, während sie zeichnen – gefühlte 45 Minuten pro Zeichnung. Aber, nein, sie machen auch nur das, weswegen sie dort sind, und das sind nun mal diese schicken Illustrationen in den Comics der Leute. Dass das länger dauert als die zwei Sekunden, die ich für meine Unterschrift brauche, ist schon klar. Beim Wellenläufer-Comic habe ich ab und an mal Totenköpfe mit gekreuzten Knochen in die Bücher gekrakelt, aber für einen Drachen oder eine Schneekönigin reicht es dann doch nicht. Vielleicht sollte ich


es mal mit einer Wolke versuchen. Judith: Lesungen gehören zur Buchmesse, trotz unübersichtlichem Stimmengewirr. Kannst Du die Zeit mit Deinen Fans in diesem Trubel überhaupt genießen? Und hast auch Du es schon erlebt, dass sich die Zuhörer kaum trauen, Fragen zu stellen? Kai Meyer: Die Sache mit den Fragen ist von Lesung zu Le-

sung unterschiedlich. Auf der Buchmesse geht es meist sehr schnell, ehe die erste Frage kommt. Da sind die Leute in Buchhandlungen oft etwas verstockter und trauen sich nicht. Auf den Messen scheinen sie lockerer zu sein, gerade die Jüngeren hören dann oft gar nicht mehr auf zu fragen.

den. (Auch da gilt: Falls man mal etwas ruppig und in Eile rüberkommt, liegt es nicht an Unhöflichkeit, sondern daran, dass irgendwo gerade der nächste Termin wartet – in der Regel drei Hallen weiter und auf der anderen Seite des völlig überfüllten TV-Promi-Auftritts am Lübbe- oder Heyne-Stand.)

Judith: Welchen Nutzen bringt Deiner Meinung nach eine große Buchmesse wie in Frankfurt den Verlagen? Den Autoren? Und vor allem den Lesern?

Judith: In Frankfurt dreht sich alles rund ums Buch und als bekannter Fantasyautor sollte man auffallen – erkennen Dich die Leute auf den Gängen? Oder wird den meisten erst bewusst, dass Kai Meyer anwesend ist, wenn sie Dich am Stand erblicken?

Kai Meyer: Die Verlage haben auf der Messe früher viele ihrer Geschäfte abgewickelt. Auslandsverkäufe werden dort immer noch gern angekurbelt, wobei vieles natürlich längst per E-Mail abläuft, vor oder nach der Messe. Was Autoren und Leser angeht: Für uns ist der Nutzen eindeutig der gegenseitige Kontakt. Die meisten Autoren, die zur Messe kommen, sind ja doch recht publikumsnah und haben nichts dagegen, auch mal auf dem Gang angesprochen zu wer36

Kai Meyer: Ungefähr seit der Wellenläufer-Trilogie werde ich einigermaßen häufig auf den Gängen erkannt. Am Anfang hat es mich noch ein wenig irritiert, wenn mich plötzlich jemand anstrahlte oder tuschelte, aber mittlerweile nicht mehr. Normalerweise freue ich mich und grüße zurück. Dazu kommt, dass ich ein ziemlich entsetzliches Gesichts-Gedächtnis habe und ich nie ganz


sicher sein kann, ob die- oder derjenige jemand ist, der mir im vergangenen Jahr als Tochter des Verlegers vorgestellt wurde. Judith: Du meintest einmal, dass es auf den großen Messen einfach zu viele Bücher gibt und Du gar keine Zeit zum Schauen hast. Warst Du früher schon einmal als Besucher in Frankfurt? Oder gehst Du ab und an auf kleinere Veranstal-

tungen, um nach Lesefutter zu suchen? Kai Meyer: Ich hole mir alle meine Leseempfehlungen aus Magazinen wie „Locus“, „Rue Morgue“, „SFX“ und einem Dutzend anderen, außerdem natürlich aus dem Internet. Außerdem habe ich „Zeit“, „Spiegel“ und eine Tageszeitung im Abo, das muss reichen. Auf den Messen bin ich für meine Verlage regelmäßig seit 2000 oder

Messeandrang am Samstag

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2001, privat war ich vorher nur ein einziges Mal in Leipzig, als die Messe dort noch in der Innenstadt stattfand – das muss Anfang/Mitte der Neunziger gewesen sein. Als Autor ist man aber ja auch kein typischer Leser mehr, zwangsläufig versucht man, auch das Jahr über auf dem aktuellen Stand der Veröffentlichungen zu bleiben. Judith: Herzlichen Dank für das Interview, Kai!


James Bond, Bände 1 & 2 Casino Royale Leben und Sterben lassen Eine Rezension von Gloria Manderfeld Band 1

Originaltitel: Casino Royale Autor: Ian Fleming Übersetzer: Anika Klüver und Stephanie Pannen Verlagsdaten: Cross Cult, September 2012, 352 Seiten, ISBN-13: 9783864250729

Im Frankreich der Nachkriegszeit treffen sich die Reichen und Schönen in den mondänen Seebädern der Republik, um die dortigen Casinos zu frequentieren. Aber auch die Unterwelt gibt sich dort ein Stelldichein – der geheimnisvolle Le Chiffre, insgeheim ein russischer Agent, der eine große Menge Geld veruntreut hat, versucht dort der Rache seiner Auftraggeber zu entgehen und das verlorene Geld beim Baccara wiederzugewinnen. Der britische Geheimagent James Bond, ausgestattet mit der Lizenz zum Töten, wird nach Royale-les-Eaux geschickt, um Le Chiffre beim Glücksspiel zu ruinieren und ihn in den Augen der sowjetischen Führungsriege zu kompromittieren. 38

Bond zur Seite stehen der französische, mit allen Wassern gewaschene Deuxième-BureauAgent René Mathis, der amerikanische CIA-Mann Felix Leiter und die schöne Vesper Lynd vom MI6, die Bond ganz und gar nicht kalt lässt, obwohl er Frauen bislang eher als Zerstreuung betrachtete denn als ernstzunehmenden Lebensinhalt. Als es Bond nach einem Tiefschlag gelungen ist, Le Chiffre am Spieltisch bankrott zu machen, erreicht ihn eine Hiobsbotschaft – Vesper hat sich durch eine gefälschte Nachricht aus dem Casino locken lassen und wurde entführt. Bei dem Versuch, sie aus der Gewalt Le Chiffres zu retten, wird Bond selbst gefangen genommen und sieht sich mit einem wü-


tenden Gegner konfrontiert, der auf Bonds Gewinnscheck aus ist und vor keinem Mittel zurückschreckt, um ihn zu erhalten …

Originaltitel: Live and let die Autor: Ian Fleming Übersetzer: Anika Klüver und Stephanie Pannen Verlagsdaten: Cross Cult, September 2012, 352 Seiten, ISBN-13: 9783864250729

Mit diesem ersten Band legte Ian Fleming vor mehr als fünfzig Jahren den Grundstein für den Weltruhm seiner Romanfigur James Bond, des eiskalten britischen Geheimagenten, dessen Schwächen Frauen, gute Cocktails, Morland-Zigaretten und das Glücksspiel ihn immer wieder in Schwierigkeiten bringen. Dabei findet der Autor bereits in seinem ersten Werk eine gute Balance zwischen Situations- und Hintergrundbeschreibung, seinen klaren Formulierungen und Beobachtungen merkt man die zugrundeliegende Lebenserfahrung deutlich an. Mit wenigen Worten versteht es Fleming, die Stimmung einer Situation bildhaft zu beschreiben, auch die handelnden Personen werden mit ihrer Gestik und ihren Kleidungsvorlieben stimmungsvoll charakterisiert. Gerade bei Actionszenen spielt 39

Fleming seine Erzählroutine gelungen aus, Bond beweist gerade durch seine Nehmerqualitäten und die Fähigkeit, auch verletzt noch seinen Auftrag erfüllen zu wollen, seine Eignung zum Geheimagenten. Doch wären die Bond-Romane keineswegs, was sie sind, gäbe es nicht auch Momente, in denen Fleming das Geschehen zwischen Mann und Frau auf fast poetische Weise in Worte fasst, man erlebt die Irritationen zwischen Liebenden genauso glaubhaft mit wie deren Prozess des Sich-ineinanderverliebens. Harte Action wird gekonnt mit sehr menschlichen Ereignissen abgewechselt, sodass weder das eine noch das andere langweilig erscheint. Gerade die sehr unvorhersehbar handelnde Vesper bildet zum eher geradlinigen Bond einen reizvollen Kontrast, auch sein Verzweifeln über ihr Verhalten lässt den Leser ein gewisses Verständnis empfinden. In Casino Royale lernt der Leser alle wichtigen Elemente


von Bonds Geheimdienstwelt kennen – sowohl seinen Chef M wie auch dessen Sekretärin Moneypenny, das interne Vorgehen des MI6 wird mittels Memos beschrieben, auch Bonds langjähriger Freund Felix Leiter spielt bereits eine (noch kleine) Rolle und lässt diesen in Verhalten und Gewohnheiten Bond durchaus als ebenbürtig erscheinen. Einer der Hauptgegner in den kommenden Romanen, die russische Spionageabwehr SMERSCH, erhält durch die Verbindung zu Le Chiffre ebenfalls eine Einleitung und Erklärung. Da die vorliegende Ausgabe eine neue Übersetzung und auch neue Aufmachung erhalten hat, will ich auf diese zudem noch eingehen: Das Cover im 60er-Jahre-Stil passt hervorragend zur Welt des James Bond und der Zeit, in der die Reihe spielt, besonders positiv ist die Tatsache, dass die Dame auf dem Cover der Beschreibung der weiblichen Hauptfigur ähnelt und damit einen Bezug zum Inhalt herstellt.

Die Übersetzung selbst kommt dem gewohnten Sprachgefühl sehr nahe und verzichtet glücklicherweise darauf, zeitgerechte Bezeichnungen in den modernen Sprachgebrauch umzuformen. Viele immer wieder eingestreute fremdsprachige Bezeichnungen für Berufe oder Orte lassen zudem das Gefühl aufkommen, tatsächlich in ein fremdes Land und dessen Gebräuche einzutauchen. Fazit: Sehr gelungene Neuauflage eines weltbekannten Klassikers. Wer nur die Filme kennt, sollte unbedingt auch dem ursprünglichen Bond eine Chance geben! Neun von zehn möglichen Sternen. Band 2 Als in den USA immer mehr Goldmünzen aus einem alten Piratenschatz auftauchen, wird der MI6 misstrauisch, da diese indirekt zu dem schwarzen New Yorker Gangster Mr. Big zurückverfolgt werden kön40

nen und dieser ein Agent der skrupellosen Geheimorganisation SMERSCH ist. Es wird vermutet, dass der Erlös aus dem Verkauf der Goldmünzen direkt der Finanzierung sowjetischer Spionage in den Vereinigten Staaten zugutekommt, was den westlichen Geheimdiensten natürlich ein Dorn im Auge sein muss. James Bond fliegt zur Unterstützung der CIA nach New York und trifft dort auf seinen alten Bekannten und CIA-Agenten Felix Leiter, mit dem er bei dieser Angelegenheit zusammenarbeiten soll. Vor der Abreise nach Florida, wo die vermeintliche Schmuggler-Yacht Secatur in der Stadt St. Petersburg ankert, hören sich Bond und Leiter in Harlem um und geraten prompt in die Fänge von Mr. Big, der über Leiters Geheimdienst-Hintergrund erschreckend gut Bescheid weiß. Nur das Eingreifen der schönen Solitaire, die als Mr. Bigs Hellseherin den Wahrheitsgehalt der Aussagen Bonds überprüfen soll, rettet ihn vor erns-


teren Konsequenzen – Bond gelingt schließlich die Flucht. Solitaire kontaktiert Bond und bittet ihn, ihr bei der Flucht aus Mr. Bigs Nähe zu helfen, da dieser sie wie eine Gefangene hält und zunehmend ihr gegenüber zudringlicher wird. Zum einen von der Anziehung Solitaires, zum anderen von ihrem Wissen um Mr. Bigs Organisation getrieben, organisiert Bond die Flucht der Wahrsagerin und reist mit ihr, getarnt als Ehepaarper, per Zug nach St. Petersburg. Die beiden kommen sich auf der Fahrt rasch näher, doch dann wird ein Anschlag auf den Zug verübt und der lange Arm Mr. Bigs erwartet Bond, Solitaire und Leiter bereits in St. Petersburg – der Gangster sinnt inzwischen auf Rache ... Wieder muss sich James Bond der Herausforderung durch einen Superverbrecher stellen, und dieser Gangster ist, bedenkt man das Erscheinungsjahr (1954) der Erstausgabe, erstaunlicherweise auch noch schwarz. Mr. Bigs Schatten-

imperium wird von Fleming derart glaubhaft beschrieben, dass man sich des Gedankens nicht ganz erwehren kann, ob es dergleichen nicht wirklich gegeben hat und der Autor es aufgrund seiner Geheimdiensterfahrung schlichtweg nur noch übernehmen musste. Doch derlei Überlegungen sind bei James-Bond-Romanen trotz der teilweise sehr grotesk wirkenden Oberschurken nie ganz von der Hand zu weisen, da all diese Gangster mit der Angst und Gier ihrer unmittelbaren Umgebung arbeiten und davon enorm profitieren. Bonds Reise nach New York konfrontiert ihn mit einer Welt, in die er ganz offensichtlich nicht hineinpasst – wer als Weißer in das Harlem der 50er Jahre geht, fällt zwangsläufig auf. Die Beschreibung des allgegenwärtigen Voodoo, den sich Mr.Big zunutze macht, verstärkt diesen Eindruck einer fremdartigen Welt zusätzlich. Die weibliche Hauptperson des Romans, die hellseherisch begabte Solitaire, findet 41

prompt Gefallen an dem Gentleman-Geheimagenten, lässt sich von ihm retten und sinkt dann auch an seine Brust, um sich von ihm die Liebe zeigen zu lassen. Erst in der letzten dramatischen Szene des Romans wird sie von einer zu beschützenden, eher unselbständig wirkenden Frau zu einer Erwachsenen, die gemeinsam mit Bond gefasst dem Tod ins Auge blickt. Neben dem Können und Wissen, das einem Schwarzen zu einer Zeit offener Vorurteile zugesprochen wird, dürfte diese Entwicklung Solitaires der bemerkenswerteste Aspekt des Romans sein, liegen doch Diskussionen um Feminismus und Gleichberechtigung noch einige Jahre in der Zukunft. Die große Liebe Flemings zu Jamaica lässt sich in den detailverliebten und atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen wiederfinden, zudem gelingt es ihm, den Kontrast zwischen der hektischen, schnellen Lebensweise New


Yorks und dem eher beschaulichen Tempo der Karibikinsel anschaulich darzustellen. Auch bei diesem Band muss angesichts der Neuübersetzung die Entscheidung des Verlages gelobt werden, möglichst nahe am Original übersetzen zu lassen: Hier werden, dem damaligen Sprachgebrauch entsprechend, Schwarze noch als Neger bezeichnet, auch dem technischen Stand entsprechende Typenbezeichnungen wurden nicht modernisiert.

Interview mit Anika Klüver und Stephanie Pannen zur Neuübersetzung der James Bond-Reihe

So bleibt das Lesegefühl für all jene gewahrt, die noch an die Übersetzung in den Ullsteinund Scherzauflagen gewöhnt sind.

Anika Klüver und Stephanie Pannen leben beide in der Nähe von Bonn. Seit mehreren Jahren arbeiten sie als Übersetzerinnen aus dem Englischen, besonders häufig und gerne für den Cross Cult Verlag, für den beide Star-Trek- und RichardCastle-Romane übertragen. Ihre Übersetzungen im Bereich Science-Fiction waren u.a. bereits für den renommierten Kurd-Laßwitz-Preis nominiert.

Fazit:

Phantast: Würdet ihr beide euch kurz vorstellen?

Hektische Stadtabenteuer und hitziges Karibikfeeling – auch der zweite Band aus der BondReihe lockt mit Abwechslung, dezenter Erotik und Action. Lesenswert! Acht von zehn möglichen Punkten.

Stephanie: Mein Name ist Stephanie Pannen, ich bin seit fünf Jahren freiberufliche Übersetzerin mit Schwerpunkt auf Literaturübersetzungen von der englischen in die deutsche Sprache. 42

Anika: Mein Name ist Anika Klüver und ich bin seit 2009 freiberuflich als Übersetzerin, Lektorin und Autorin tätig. Phantast: Wie seid ihr zur deutschen Neuübersetzung der Bond Romane gekommen? Anika: Ich arbeite viel für den Cross-Cult-Verlag, und als mich Redakteur Markus


Rohde gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, James Bond zu übersetzen, dachte ich mir: Coole Sache! Immerhin ist James Bond ein weltweites Phänomen. Die Idee, das ganze als Teamarbeit anzugehen, entstand dann recht schnell, und jetzt stecken wir mitten im Geheimagentengetümmel. Stephanie: Ich übersetze seit ein paar Jahren für den Verlag Cross Cult Romane aus dem Star-Trek-Universum. Anika und ich sind sehr gut befreundet und arbeiten intensiv für den selben Verlag. Da ich die Figur James Bond auch einfach extrem faszinierend finde, habe ich mich natürlich wahnsinnig gefreut, den Auftrag zu bekommen, das Meisterwerk von Ian Fleming komplett im Tandem mit Anika zu übersetzen. Phantast: Was ist es für ein Gefühl, Ian Fleming zu übersetzen? Anika: Ein ziemlich gutes. Zuerst war es ein wenig gewöh-

nungsbedürftig, da der Stil größtenteils sehr nüchtern ist, aber sobald man den Dreh einmal raus hat, macht es großen Spaß. Und man hat das Gefühl, ein bisschen zur Bond-Legende dazuzugehören. Stephanie: Ich habe zuerst natürlich eine große Ehrfurcht empfunden, aber sobald man sich in den Text eingearbeitet hat, geht man damit um wie mit jedem anderen zu übersetzenden Roman. Phantast: Wie ist eure Herangehensweise für die neuen Übersetzungen? Bezieht ihr euch auch auf die alten Übersetzungen oder die Filme? Stephanie: Die Herangehensweise ist eigentlich wie bei jedem anderen Roman auch. Man liest sich den Text durch und übersetzt ihn, wobei er am Ende idealerweise sowohl originalgetreu sein als auch gut klingen sollte. Da Romane und Verfilmungen handlungsmäßig meistens ziemlich weit 43

auseinandergehen, orientieren wir uns kaum an den Filmen. In die alten Übersetzungen habe ich bewusst keinen Blick geworfen. Das würde mich nur einengen. Anika: Das kann ich nur bestätigen. Auch ich gehe ganz „unvorbelastet“ an die Übersetzung heran. Die alten Übersetzungen kenne ich nicht, aber auch ich denke, das ist besser so. Das würde einen bei der Arbeit in diesem Fall nur unter Druck setzen. Außerdem wollen wir ja ganz bewusst eine Neuübersetzung machen und nicht die alte einfach nur überarbeiten. Die Filme habe ich teilweise gesehen, aber die haben ohnehin, wie gesagt, meist nicht mehr viel mit den Büchern zu tun. Phantast: Wie viel Recherchearbeit – z.B. Spielregeln bei Casino Royale - habt ihr bisher in die Übersetzung investieren müssen? Stephanie: Die Romane sind, was Recherche angeht, extrem aufwendig. Dazu schauen


wir im Internet, in speziellen Bond-Nachschlagewerken und in Fachliteratur nach, zu allen möglichen Gebieten: Geheimdienst, Kartenspielregeln, Meeresbiologie, Kommunismus, Waffenkunde, Essen, Getränke, Autos … die Liste ist endlos. Baccara kann ich jetzt zum Beispiel ziemlich gut spielen. Dazu kommt, dass Fleming in seinen Romanen viele Markennamen erwähnt. Da kann man also nicht einfach schreiben, dass

Bond einen Wein trinkt, sondern man muss nachschauen, welche Marke und welcher Jahrgang dieser spezielle Wein ist und ob es dafür einen festgelegten deutschen Begriff gibt, der sich von der englischen Bezeichnung möglicherweise unterscheidet. Anika: Genau, man muss schon gewaltig recherchieren. Das ist zwar bei jeder Übersetzung der Fall, aber hier kommt

auch hinzu, dass die Romane in einer Zeit geschrieben wurden und spielen, in der Dinge selbstverständlich waren, die heute eben nicht mehr jeder kennt. Deswegen wird wohl in der Casino Royale-Verfilmung von 2006 auch Poker statt Baccara gespielt. Vieles wird nicht erklärt, weil es damals einfach bekannt war, und da muss man gelegentlich schon mal ein wenig länger nachforschen. Ich für meinen Teil bin jedenfalls sehr froh, dass das Internet für fast alles eine Antwort parat hat. Phantast: Welche war für euch bisher die lustigste Szene? Die spannendste? Und welche vielleicht die bisher härteste Szene konkret zum Übersetzen? Stephanie: Persönlich gesprochen fand ich die aus Casino Royale sehr lustig, in der sich Bond furchtbar darüber aufregt, dass ihm das Hauptquartier eine Frau zur Unterstützung schickt. Die Gespräche zwischen ihm und seinem Chef M sind auch

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immer herrlich sarkastisch. Die spannendste? Das BaccaraTurnier zwischen Bond und Le Chiffre in Casino Royale. Das ist echt zum Nägelbeißen. Unangenehm zu übersetzen war jetzt noch nichts; die Szene, in der in Leben und sterben lassen eine Person von Barrakudas und Haien lebendig gefressen wird, war allerdings schon ziemlich eklig. Schwierig zu übersetzen finde ich immer die Verfolgungsjagden, da ich keine Ahnung von Autos habe und jeden Begriff nachschlagen muss. Anika: Stimmt, die sind echt am schwersten! Weil es da immer so sehr ins technische Detail geht. Wenn Bond zum Beispiel mit seinem Bentley fährt und sich dabei am besten auch gerade noch mitten in einer Verfolgungsjagd befindet, dann ist das für mich, die sich nicht wirklich gut mit Autos

auskennt, schon eine gewisse Herausforderung. Den größten Spaß hatte ich definitiv bei fast allen Szenen mit Felix Leiter, Bonds Freund von der CIA. Diese Figur wurde in den Verfilmungen leider viel zu wenig genutzt. Wenn ich ein Wortgeplänkel zwischen Leiter und Bond übersetze, sitze ich nicht selten laut lachend vorm Computer. Tatsächlich ist mir Bond selbst auch erst durch seine Freundschaft zu Leiter so richtig sympathisch geworden, da Letzterer eine Art Gegenpol zu dem knallharten Geheimagenten darstellt und dafür sorgt, dass Bond auch mal lachen kann. Lustig ist auch, wenn Bond sich über irgendwas aufregt. Frauen, schlechtes Essen, amerikanische Autos – Bond kann über so einiges schimpfen. Phantast: Wie teilt ihr die Arbeit zwischen euch beiden

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auf? Wer hat welche Schwerpunkte? Anika: Spezielle Schwerpunkte hat keiner. Wir haben die Romane jeweils halbiert und übersetzen immer abwechselnd die erste oder die zweite Hälfte, sodass jeder mal den Anfang macht, wo meistens viel erklärt wird, und das Ende, das in der Regel eher actionlastig ist. Diese Art der Aufteilung hat auch den Vorteil, dass wir uns über problematische Stellen gemeinsam Gedanken machen können, da jeder den übersetzten Teil des anderen gegenliest. Stephanie: Ja, so machen wir das. Wenn ich mit meinem fertig bin, schicke ich ihn Anika zu, die sie noch einmal überarbeitet und anpasst. Genauso verfahre ich mit ihrer Hälfte. Ein reibungsloses Zusammenspiel in perfekter Harmonie!


Oben links - Literaturportale unter sich: J端rgen Eglseer von fictionfantasy, Angelika Mandryk, Jessica Idczak und Judith Gor von literatopia und Anke Brandt von Geisterspiegel. Alles mit .de ;-) Oben rechts - Thomas Thiemeyer bei einer Messelesung zu Stadt der Weltenfresser (Chroniken der Weltensucher, Band 1) Links - Ein Teil des PHANTAST-Teams: J端rgen, Jessica, Angelika beim Umtrunk bei Egmont LYX/INK

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James Bond 007

Band 1: Casino Royale von Ian Fleming Ins Deutsche übertragen von Stephanie Pannen und Anika Klüver Kapitel 9 Das Spiel heisst Baccara Bond sah sich um, aber es schien keine Gefahr zu bestehen, belauscht zu werden. Und der Kaviar wartete wahrscheinlich noch auf den heißen Toast aus der Küche. »Legen Sie los.« In seinen Augen funkelte Interesse. »Sie haben den dritten Bulgaren auf der Straße nach Paris geschnappt. Er fuhr in einem Citroën und hatte zur Tarnung zwei britische Anhalter mitgenommen. An der Straßensperre war sein Französisch so schlecht, dass er nach seinen Papieren gefragt wurde. Da zog er eine Waffe und schoss auf einen der Polizeibeamten. Aber seinem Kollegen gelang es

irgendwie, ihn zu überwältigen und davon abzuhalten, Selbstmord zu begehen. Dann wurde er nach Rouen gebracht, wo sie den Rest der Geschichte aus ihm herausholten – ich nehme an, auf die übliche französische Art. Offenbar gehörten sie zu einer Gruppe von Saboteuren, Schlägern und so weiter, die in Frankreich für diese Art von Arbeit engagiert wird. Mathis ist bereits dabei, den Rest einzukassieren. Sie sollten für Ihren Tod zwei Millionen Franc bekommen, und der Agent, der sie instruierte, hat ihnen versichert, dass sie auf keinen Fall geschnappt werden könnten, solange sie seine Anweisungen genau befolgen.« Sie nahm einen Schluck Wodka. »Jetzt kommt der in47

teressante Teil. Der Agent gab ihnen die beiden Kamerataschen, die Sie gesehen haben. Er sagte ihnen, die grellen Farben würden es ihnen leichter machen. Er erklärte, dass die blaue Tasche eine sehr kräftige Rauchbombe enthalte. In der roten befände sich der Sprengstoff. Wenn der eine die rote Tasche warf, sollte der andere einen Knopf an der blauen drücken, damit sie im Schutz der Rauchwolke entkommen konnten. Doch in Wahrheit war die Rauchbombe eine reine Lüge, um den Bulgaren vorzugaukeln, dass sie davonkommen würden. Beide Taschen enthielten eine identische, hochexplosive Bombe. Es gab keinen Unterschied zwischen der blauen und der roten Ta-


sche. Der Plan bestand darin, erst Sie und dann die Bombenleger ohne eine Spur zu beseitigen. Wahrscheinlich gab es für den dritten Mann ähnliche Pläne.« »Sprechen Sie weiter«, sagte Bond voller Bewunderung für das raffinierte Doppelspiel. »Nun, offenbar fanden die Bulgaren, dass das alles zwar gut und schön klang, entschieden aber insgeheim, kein Risiko einzugehen. Sie dachten, es wäre besser, zuerst die Rauchbombe zu aktivieren, und dann aus der Deckung heraus den Sprengsatz auf Sie zu werfen. Was Sie sahen, war der zweite Bulgare, der auf den Knopf der vermeintlichen Rauchbombe drückte. Und natürlich wurden dadurch beide in die Luft gesprengt. Der dritte Bulgare wartete hinter dem Splendide darauf, seine beiden Freunde mitzunehmen. Als er sah, was passiert war, nahm er an, dass sie es vermasselt hatten. Aber die Polizei hatte ein paar Fragmente der nicht explodierten roten

Bombe eingesammelt, und ihn damit konfrontiert. Als er erkannte, dass sie reingelegt worden waren und dass man seine beiden Freunde mit Ihnen hatte umbringen wollen, begann er zu reden. Ich schätze, er redet immer noch. Aber es gibt nichts, was das alles mit Le Chiffre in Verbindung bringen würde. Der Auftrag wurde ihnen von einem Zwischenhändler vermittelt, vielleicht einem von Le Chiffres Leibwächtern. Und derjenige, der überlebt hat, kann mit Le Chiffres Namen nichts anfangen.« Sie beendete ihre Geschichte, gerade als der Kellner den Kaviar und einen Stapel warmer Toastscheiben brachte. Dazu wurden kleine Schalen mit fein gehackten Zwiebeln und hartgekochten, geriebenen Eiern gereicht, das Eiweiß in einer Schale und das Eigelb in einer anderen. Der Kaviar wurde auf ihre Teller gehäuft, und eine Zeit lang aßen sie schweigend. Nach einer Weile sagte Bond: »Es ist sehr befriedigend, eine Leiche zu sein, die mit ihren 48

Mördern den Platz getauscht hat. Sie haben sich im wahrsten Sinne des Wortes in ihrer eigenen Schlinge verfangen. Mathis muss mit seinem Tagwerk sehr zufrieden sein – fünf unserer Gegner wurden in vierundzwanzig Stunden neutralisiert.« Dann erzählte er ihr, wie sie die Muntzens überlistet hatten. »Übrigens«, fragte er, »wie sind Sie eigentlich in die Angelegenheit verwickelt worden? Zu welcher Abteilung gehören Sie?« »Ich bin die persönliche Assistentin des Leiters von S«, sagte Vesper. »Da er sich den Plan ausgedacht hat, wollte er, dass seine Abteilung an dem Einsatz beteiligt ist, und fragte M, ob ich gehen könnte. Es schien nur ein Kontaktauftrag zu sein, also willigte M ein, auch wenn er meinem Vorgesetzten sagte, dass Sie wütend darüber sein würden, dass man Ihnen eine Frau zur Seite stellt.« Sie wartete, aber als Bond nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Ich sollte Mathis in Paris treffen und mit ihm herkommen. Ich habe eine Freundin, die eine vende-


use bei Dior ist und es irgendwie geschafft hat, mir dieses Kleid und das von heute Morgen zu leihen. Ansonsten hätte ich wohl kaum mit all diesen Leuten mithalten können.« Sie deutete in den Speisesaal. »Im Büro waren alle sehr neidisch auf mich, auch wenn sie nicht wussten, um was für einen Auftrag es sich genau handelt. Sie hatten nur gehört, dass ich mit einem Doppelnullagenten zusammenarbeiten darf. Sie sind natürlich unsere Helden. Ich war entzückt.« Bond runzelte die Stirn. »Es ist nicht schwer, eine Doppelnull zu bekommen, wenn man bereit ist, Menschen zu töten«, sagte er. »Mehr steckt nicht dahinter. Es ist nichts, worauf man besonders stolz sein kann. Ich habe diesen Status den Leichen eines japanischen Chiffrierexperten in New York und eines norwegischen Doppelagenten in Stockholm zu verdanken. Wahrscheinlich waren sie ganz anständige Leute. Sie gerieten lediglich ins Minenfeld der Welt, wie dieser Jugoslawe, den Tito kaltgemacht

hat. Es ist ein verwirrendes Geschäft, aber wenn man sich diesen Job nun einmal ausgesucht hat, tut man, was einem gesagt wird. Wie schmeckt Ihnen das geriebene Ei zum Kaviar?« »Es ist eine wunderbare Kombination«, sagte sie. »Ich liebe dieses Essen. Es ist wirklich eine Schande, dass …« Ein kalter Blick von Bond warnte sie, weiterzusprechen. »Ohne den Auftrag wären wir gar nicht hier«, sagte er. Plötzlich bedauerte er die Intimität ihres gemeinsamen Abendessens und ihrer Gespräche. Er hatte das Gefühl, zu viel gesagt zu haben, und dass das, was zuvor nur eine Arbeitsbeziehung gewesen war, nun durcheinandergeraten war. »Wir sollten darüber sprechen, was getan werden muss«, sagte er sachlich. »Ich werde Ihnen erklären, was ich vorhabe und wie Sie mir dabei helfen können. Was, wie ich befürchte, nicht sehr viel sein wird«, fügte er hinzu. »Das sind also die grundlegenden Fakten.« Und er begann, den Plan zu erläutern und die zahlreichen Even49

tualitäten aufzuzählen, denen sie sich gegenübersahen. Der maître d’hôtel wies das Auftragen des zweiten Gangs an, und während sie die köstlichen Gerichte verspeisten, fuhr Bond fort. Sie hörte ihm emotionslos, aber aufmerksam zu. Sein scharfer Tonfall hatte sie verunsichert, und sie ärgerte sich darüber, der Warnung des Leiters von S nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. »Er ist ein äußerst zweckorientierter Mann«, hatte ihr Vorgesetzter gesagt, als er ihr den Auftrag zugeteilt hatte. »Glauben Sie bloß nicht, dass dieser Einsatz Spaß machen wird. Er denkt an nichts anderes als an seine Mission. Und währenddessen ist es die Hölle, für ihn zu arbeiten. Aber er ist ein Experte, und von denen gibt es nicht viele, also werden Sie nicht Ihre Zeit verschwenden. Ich glaube nicht, dass er viel Herz hat. Wie auch immer, viel Glück und passen Sie auf sich auf.« All dies hatte für sie so etwas wie eine Herausforderung dar-


gestellt. Und als sie intuitiv gespürt hatte, dass er sie attraktiv und interessant fand, hatte ihr das eine gewisse Befriedigung verschafft. Doch dann hatte er sich aufgrund einer beiläufigen Bemerkung, dass sie sich miteinander amüsierten, in Eis verwandelt und brutal zurückgezogen, als ob Wärme Gift für ihn wäre. Im ersten Moment war sie gekränkt gewesen und war sich wie eine Idiotin vorgekommen. Doch dann hatte sie innerlich mit den Schultern gezuckt und sich mit aller Aufmerksamkeit auf das konzentriert, was er sagte. Sie würde den gleichen Fehler kein zweites Mal begehen. »… und unsere größte Hoffnung besteht darin, dass ich eine Glücks- oder er eine Pechsträhne hat.« Bond erklärte ihr, wie Baccara gespielt wurde. »Im Grunde unterscheidet es sich nicht großartig von anderen Glücksspielen. Die Chancen der Bank und des Spieler sind mehr oder weniger gleich. Nur eine Glückssträhne eines Beteiligten kann die Entscheidung bringen und ‚sprengt die Bank‘,

oder ruiniert den Spieler. Wir wissen, dass Le Chiffre heute Abend den Baccaratisch vom ägyptischen Syndikat gekauft hat, das hier die Tische mit den hohen Einsätzen betreibt. Er hat eine Million Franc dafür bezahlt, womit sich sein Kapital auf vierundzwanzig Millionen reduziert hat. Ich habe etwa den gleichen Betrag. Ich nehme an, dass es zehn Spieler geben wird, und wir sitzen um den Bankhalter herum an einem nierenförmigen Tisch. Im Allgemeinen ist dieser Tisch in zwei Tableaus aufgeteilt. Der Bankhalter spielt zwei Spiele, eines gegen jedes der Tableaus rechts und links von ihm. In diesem Spiel sollte der Bankhalter in der Lage sein, zu gewinnen, indem er ein Tableau gegen das andere ausspielt. Aber es sind noch nicht genügend Baccaraspieler in Royale eingetroffen, und so wird Le Chiffre sein Glück gegen die Spieler an einem einzelnen Tableau versuchen. Das ist ungewöhnlich, weil die Chancen für den Bankhalter in diesem Fall schlechter sind, allerdings ste50

hen sie leicht zu seinen Gunsten, und natürlich kontrolliert er die Einsätze. Der Bankhalter sitzt also in der Mitte, ihm gegenüber ein Croupier, um die Karten auszugeben und den Betrag jedes Bancos anzusagen, und ein chef de partie, der das ganze Spiel überwacht. Ich werde versuchen, Le Chiffre so direkt wie möglich gegenüberzusitzen. Vor ihm wird ein Kartenschlitten mit sechs gut durchgemischten Paketen stehen. Es besteht absolut keine Möglichkeit, sich an dem Schlitten zu schaffen zu machen. Die Karten werden vom Croupier erneut gemischt, von einem der Spieler geschnitten und gut sichtbar in den Schlitten zurückgelegt. Wir haben die Mitarbeiter überprüft, und sie sind alle in Ordnung. Es wäre nützlich, aber fast unmöglich, alle Karten zu markieren, und es würde bedeuteten, zumindest den Croupier einweihen zu müssen. Doch wir werden auch diese Option im Auge behalten.« Bond trank einen Schluck


Champagner und fuhr fort. »Während des Spiels passiert nun Folgendes: Der Bankhalter verkündet ein Eröffnungsbanco von fünfhunderttausend Franc, was etwa fünfhundert Pfund entspricht. Jeder Platz ist durchnummeriert, und der Spieler neben dem Bankhalter, oder Nummer 1, kann diesen Einsatz akzeptieren und sein Geld auf den Tisch legen, oder passen, wenn es zu hoch für ihn ist oder er es nicht annehmen will. Dann hat Nummer 2 das Recht, das Banco anzunehmen, und wenn er ablehnt, geht es an Nummer 3, und so weiter, einmal um den Tisch. Wenn kein einziger Spieler es annehmen will, wird der Einsatz dem Tisch als Ganzes angeboten und jeder steuert etwas bei, manchmal sogar einschließlich der Zuschauer um den Tisch, bis die fünfhunderttausend zusammengekommen sind. Das ist nur ein kleiner Einsatz, der sofort angenommen werden würde, aber wenn es zu einer Million oder mehr kommt, ist es oft schwierig, einen Spieler oder sogar eine

Gruppe von Spielern zu finden, die den Einsatz annehmen. Ich werde zuerst versuchen, den Einsatz stets zu akzeptieren – genau genommen werde ich Le Chiffres Banco angreifen, wann immer ich die Gelegenheit dazu bekomme, bis ich entweder ihn oder er mich rausgeworfen hat. Es wird wahrscheinlich ziemlich lange dauern, aber am Ende muss einer den anderen besiegen, ohne Rücksicht auf die anderen Spieler am Tisch. Auch wenn sie ihn natürlich in der Zwischenzeit reicher oder ärmer machen können. Da er der Bankhalter ist, hat er einen leichten Vorteil im Spiel. Doch da er genau weiß, dass ich es auf ihn abgesehen habe, aber hoffentlich mein Kapital nicht kennt, wird ihn das bestimmt ziemlich nervös machen. Also hoffe ich, dass wir ungefähr auf gleicher Augenhöhe beginnen.« Er machte eine Pause, als die Erdbeeren und die Avocado kamen. Eine Weile aßen sie schweigend ihren Nachtisch, und als der Kaffee serviert wurde, sprachen sie von anderen Dingen. 51

Sie rauchten. Keiner von beiden trank einen Brandy oder Likör. Schließlich fand Bond, dass es an der Zeit war, die eigentlichen Grundlagen des Spiels zu erklären. »Im Prinzip ist es ganz einfach«, sagte er, »und Sie werden es sofort verstehen, wenn Sie schon mal Siebzehnundvier gespielt haben, wo das Ziel darin besteht, Karten vom Bankhalter zu bekommen, die in ihrer Summe näher an die Zahl einundzwanzig herankommen als seine. In diesem Spiel bekomme ich zwei Karten und der Bankhalter ebenfalls. Sofern keiner von uns beiden direkt gewinnt, können wir uns eine weitere Karte geben lassen. Ziel des Spiels ist es, zwei oder drei Karten zu haben, die zusammen neun Punkte ergeben, oder so nah an neun herankommen wie möglich. Bildkarten und Zehnen zählen null, Asse einen Punkt, jede andere Karte entspricht ihrem Nennwert. Es zählt immer nur die letzte Ziffer der Punktzahl. Daher ergibt beispielsweise neun plus sieben nicht sechzehn, sondern sechs.« Vesper hörte aufmerksam zu,


aber sie beobachtete auch den Ausdruck abstrakter Leidenschaft in Bonds Gesicht. »Wenn der Bankhalter mir also meine zwei Karten austeilt«, fuhr Bond fort, »und sie zusammen acht oder neun ergeben, nennt man das ein ,Naturel‘ und ich decke sie auf und gewinne, es sei denn, er hat ein gleiches oder besseres Naturel. Wenn ich kein Naturel habe, kann ich bei einer Sechs oder Sieben bleiben und bei einer Fünf um eine weitere Karte bitten oder auch nicht. Bei einer Punktzahl, die niedriger als fünf ist, werde ich auf jeden Fall um eine weitere Karte bitten. Fünf ist der Wendepunkt des Spiels. Die Chancen, seine Hand bei einem Punktestand von fünf durch eine weitere Karte zu verbessern oder zu verschlechtern, stehen genau gleich. »Erst wenn ich um eine Karte bitte oder auf meine klopfe, um anzuzeigen, dass ich bei dem bleibe, was ich habe, kann der Bankhalter seine ansehen. Wenn er ein Naturel hat, deckt er sie auf und gewinnt. Anderenfalls ist er mit dem gleichen

Problem konfrontiert wie ich. Aber ihm wird bei seiner Entscheidung, ob er eine dritte Karte ziehen soll, von meinen Aktionen geholfen. Wenn ich dabei geblieben bin, kann er davon ausgehen, dass ich eine Fünf, Sechs oder Sieben habe. Wenn ich mir eine weitere Karte habe geben lassen, weiß er, dass ich etwas Niedrigeres als sechs hatte und meine Hand mit der zusätzlichen Karte nun verbessert oder verschlechtert habe. Und diese Karte wurde mir offen ausgeteilt. Ihr Nennwert und seine Kenntnis der Chancen verraten ihm, ob er noch eine Karte nehmen oder bei seinen beiden bleiben soll. Er ist mir gegenüber also im Vorteil, da er diese kleine Entscheidungshilfe hat, ob er ziehen oder bei seiner ursprünglichen Summe bleiben soll. Aber es gibt bei diesem Spiel immer eine Problemkarte – was soll man bei einer Fünf tun, und was macht der Gegner damit? Einige Spieler lassen sich immer eine dritte Karte geben, andere bleiben immer bei zweien. Ich folge meiner Intuition. 52

Aber letztendlich«, sagte Bond, drückte seine Zigarette aus und bat um die Rechnung, »zählen nur die natürlichen Achten und Neunen, und ich muss hoffen, dass ich mehr davon bekomme als er.« Kapitel 10 Das große Spiel Während Bond das Spiel erklärte, hatten seine Augen zu leuchten begonnen. Die Aussicht, Le Chiffre zu Leibe rücken zu können, stimulierte ihn und beschleunigte seinen Puls. Er schien die kurzzeitige Kälte zwischen ihnen vollkommen vergessen zu haben. Vesper war erleichtert und ließ sich von seiner Begeisterung anstecken. Er beglich die Rechnung und gab dem Sommelier ein großzügiges Trinkgeld. Vesper erhob sich und ging vor, hinaus aus dem Restaurant und zu den Eingangsstufen des Hotels. Der große Bentley wartete bereits. Bond fuhr Vesper zum Casino und parkte so nah wie möglich am Eingang. Während


sie die opulent eingerichteten Vorzimmer durchquerten, sprach er kaum ein Wort. Als sie ihn ansah, bemerkte sie, dass seine Nasenflügel leicht bebten. In jeder anderen Hinsicht wirkte er vollkommen gelassen und erwiderte heiter die Grüße der Casinoangestellten. An der Tür zum salle privée wurden sie nicht um ihre Mitgliedskarte gebeten. Bonds kompromissloses Spiel hatte ihn bereits zu einem bevorzugten Gast gemacht, und dieser Ruhm strahlte auf seine Begleiterin ab. Sie hatten den Raum kaum betreten, als Felix Leiter von einem der Roulettetische zu ihnen herüberkam und Bond wie einen alten Freund begrüßte. Nachdem er mit Vesper Lynd bekannt gemacht worden war und mit ihr ein paar Nettigkeiten ausgetauscht hatte, sagte Leiter zu Bond: »Da Sie heute Abend Baccara spielen, gestatten Sie mir, Miss Lynd zu zeigen, wie man beim Roulette die Bank sprengt? Ich habe drei Glückszahlen, die mit Sicherheit schon bald drankommen

werden, und ich nehme an, Miss Lynd hat ebenfalls welche. Und später, wenn das Spiel richtig angelaufen ist, könnten wir an den Tisch kommen und Ihnen zusehen.« Bond sah Vesper fragend an. »Sehr gerne«, sagte sie, »aber nur, wenn Sie mir eine Ihrer eigenen Glückszahlen geben, damit ich mit dieser spielen kann.« »Ich habe keine Glückszahlen«, erwiderte Bond ohne ein Lächeln. »Ich setze nur auf gleichwertige Chancen, oder so nah daran, wie es geht. Nun, ich verlasse Sie dann jetzt.« Er entschuldigte sich. »Sie sind bei meinem Freund Felix Leiter in guten Händen.« Er warf beiden ein flüchtiges Lächeln zu, und schlenderte zur caisse. Leiter spürte ihre Kränkung. »Er ist ein sehr ernsthafter Spieler, Miss Lynd«, sagte er. »Und ich schätze, das muss er auch sein. Kommen Sie einfach mit mir und sehen Sie zu, wie die Nummer 17 meiner übersinnlichen Gedankensteuerung gehorcht. Ich denke, Sie werden es nicht allzu unangenehm 53

finden, einfach so jede Menge Geld zugeschoben zu bekommen.« Bond war erleichtert, wieder allein und in der Lage zu sein, sich ausschließlich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren zu können. Er stand an der caisse und bekam gegen die Quittung, die ihm nachmittags ausgestellt worden war, seine vierundzwanzig Millionen Franc wieder. Er teilte die Scheine in zwei gleiche Stapel und steckte die eine Hälfte des Geldes in seine rechte Jacketttasche, die andere in die linke. Dann schlenderte er gemächlich zwischen den vollbesetzten Tischen hindurch, bis er am Ende des Saals angekommen war, wo hinter einem Messinggeländer der breite Baccaratisch wartete. Der Tisch füllte sich allmählich, und die Karten wurden verdeckt auf dem Tisch durcheinandergeschoben, eine der effektivsten Methoden, um Kartensets zu mischen und Manipulationen zu vermeiden. Der chef de partie hob die mit Samt überzogene Kette am Geländer an und gewährte ihm


Einlass. »Ich habe Nummer 6 für Sie reserviert, wie Sie es wünschten, Monsieur Bond.« Drei Plätze waren immer noch unbesetzt. Bond ging zum Tisch, wo ihm ein huissier einen Stuhl zurechtrückte. Er nickte seinen Mitspielern zu und nahm Platz. Dann zog er sein Zigarettenetui und sein Feuerzeug heraus und legte sie neben seinen rechten Ellbogen auf den grünen Filz. Der huissier wischte einen dicken Glasaschenbecher aus und stellte ihn dazu. Bond zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Der Platz des Bankhalters ihm gegenüber war unbesetzt. Er sah sich am Tisch um. Er kannte die meisten Spieler vom Sehen, doch nur wenige mit Namen. Auf Nummer 7, zu seiner Rechten, saß ein Monsieur Sixte, ein reicher Belgier mit Beteiligungen am Metallhandel im Kongo. Auf Nummer 9 befand sich Lord Danvers, ein distinguierter, aber schwächlich aussehender Mann, dessen Vermögen vermutlich von seiner reichen amerikanischen

Gattin stammte. Es handelte sich um eine Frau mittleren Alters, deren raubtierhafter Mund an einen Barrakuda erinnerte und die auf Platz Nummer 3 saß. Bond nahm an, dass ihr Spiel gerissen, aber nervös war, und dass sie unter den ersten sein würde, die ausschieden. Auf Nummer 1, zur Rechten des Bankhalters, befand sich ein bekannter griechischer Spieler, der eine profitable Reederei besaß, wie Bonds Erfahrung nach offenbar jeder im östlichen Mittelmeerraum. Er würde gelassen und gut spielen und weiterkommen. Bond bat den huissier um einen Zettel und schrieb unter ein Fragezeichen die verbleibenden Zahlen 2, 4, 5, 8 und 10. Schnell kam der Zettel mit den ausgefüllten Namen zurück. Nummer 2 würde von Carmel Delane besetzt werden. Sie war ein amerikanischer Filmstar und hatte die Alimente dreier Exmänner zu verheizen, und Bond nahm an, dass noch mehr Geld von ihrem derzeitigen Begleiter hier in Royale dazukommen würde. Mit ihrem 54

lebhaften Temperament würde sie unbekümmert und voller Elan spielen und vielleicht eine Glückssträhne haben. Dann kam Lady Danvers auf Nummer 3. Nummer 4 und 5 waren Mr und Mrs Du Pont. Sie wirkten reich und hatten möglicherweise das echte Geld der Du Ponts im Rücken. Bond war recht froh, sie neben sich zu haben – Mrs Du Pont saß auf Nummer 5 –, und er war darauf vorbereitet, mit ihnen oder Monsieur Sixte zu seiner Rechten zusammenzulegen, wenn sie sich einer zu großen Banksumme gegenübersehen sollten. Auf Nummer 8 saß der Maharadscha eines kleinen indischen Staates, der hier wahrscheinlich seine gesamten Reserven aus der Zeit des Sterlingblocks als Spielkapital einsetzte. Bonds Erfahrung nach waren nur wenige Asiaten beherzte Spieler. Selbst die vielgepriesenen Chinesen neigten dazu, den Mut zu verlieren, wenn es schlecht lief. Aber der Maharadscha würde wahrscheinlich im Spiel bleiben und ein paar schwere


Verluste hinnehmen, solange sie nur nach und nach kamen. Nummer 10 war Signor Tomelli, ein wohlhabend aussehender junger Italiener, dessen Reichtum wahrscheinlich von Wuchermieten in Mailand stammte. Bond nahm an, dass er überstürzt und unklug spielen würde. Vielleicht würde er sogar die Beherrschung verlieren und eine Szene machen. Bond hatte seine grobe Zusammenfassung der Spieler gerade beendet, als Le Chiffre mit den stillen und sparsamen Bewegungen eines großen Fisches durch die Öffnung im Geländer trat. Er schenkte den Anwesenden am Tisch ein kaltes Lächeln, und setzte sich direkt gegenüber von Bond auf den Platz des Bankhalters. Mit dem gleichen sparsamen Einsatz von Bewegung schnitt er den Kartenstapel, den der Croupier auf den Tisch gelegt hatte, zwischen seinen schmalen, entspannten Händen. Dann, als der Croupier die sechs Pakete mit einer flüssigen Bewegung in den Kartenschlitten aus Holz und Metall

gepackt hatte, flüsterte ihm Le Chiffre etwas zu. »Messieurs, mesdames, les jeux sont faits. Un banco de cinq cent mille«, und als der Grieche auf Nummer 1 vor seinem fetten Stapel Hunderttausender-Jetons auf den Tisch klopfte, »Le Banco est fait.« Le Chiffre beugte sich über den Schlitten und stieß kurz dagegen, um die Karten auszurichten. Und schon zeigte die erste ihre blassrosa Zunge im geneigten Mund des Schlittens. Dann zog er die Karte sanft mit einem dicken weißen Zeigefinger heraus und schob sie dem Griechen zu seiner Rechten zu. Danach zog er eine Karte für sich selbst heraus, gefolgt von einer weiteren für den Griechen und noch einer für sich. Schließlich saß er regungslos da, ohne seine Karten zu berühren. Er sah den Griechen an. Mit dem Palette genannten flachen Holzschieber hob der Croupier die beiden Karten des Griechen an und beförderte sie mit einer schnellen Bewegung nach rechts, sodass sie genau vor den blassen, haarigen Hän55

den des Griechen landeten, die still wie zwei wachsame Krebse auf dem Tisch lagen. Die beiden rosa Krebse hasteten auseinander. Der Grieche nahm die Karten mit seiner linken Hand auf und neigte den Kopf, um sich im Schatten seiner hohlen Hand den Wert der unteren Karte anzusehen. Dann schob er mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand die untere Karte leicht beiseite, um auch den Wert der oberen Karte erkennen zu können. Sein Gesichtsausdruck war teilnahmslos. Er legte seine linke Hand wieder flach auf den Tisch und zog sie dann zurück. Seine beiden Karten blieben verdeckt vor ihm liegen und hatten nur ihm ihr Geheimnis preisgegeben. Er hob den Kopf und blickte Le Chiffre in die Augen. »Non«, sagte der Grieche mit flacher Stimme. Mit seiner Entscheidung, bei seinen zwei Karten zu bleiben und keine weitere zu verlangen, hatte der Grieche deutlich gemacht, dass er eine Fünf, Sechs oder Sieben hatte. Um zu gewinnen, musste


der Bankhalter nun eine Acht oder Neun aufdecken. Wenn der Bankhalter keines von beiden vorzuweisen hatte, durfte er ebenfalls eine weitere Karte nehmen, die seine Punktzahl verbessern oder verschlechtern konnte. Le Chiffre hatte seine Hände vor sich gefaltet, seine zwei Karten lagen etwa acht Zentimeter entfernt. Mit der rechten Hand nahm er die beiden Karten auf und drehte sie mit einem leisen schnappenden Geräusch um. Es waren eine Vier und eine Fünf, eine unschlagbare natürliche Neun. Er hatte gewonnen. »Neuf à la banque«, sagte der Croupier in ruhigem Tonfall. Mit der Palette drehte er die beiden Karten des Griechen um. »Et le sept«, fügte er emotionslos hinzu. Dann beförderte er die Sieben und die Königin durch den breiten Schlitz im Tisch, der sich in der Nähe seines Platzes befand. Dieser führte zu einem verplombten Metallbehälter, in dem alle toten Karten landeten. Le Chif-

fres zwei Karten folgten ihnen mit einem Klappern, das zu Anfang jedes Spiels aus dem Kanister kam, bevor die abgelegten Karten auf dem Boden ihres Kerkers eine Decke gebildet hatten. Der Grieche schob fünf Jetons zu jeweils hunderttausend vor, und der Croupier fügte sie Le Chiffres Jetons im Wert einer halben Million hinzu, die in der Mitte des Tisches lagen. Normalerweise zweigt das Casino von jedem Einsatz einen kleinen Teil ab, die cagnotte, aber während eines großen Spiels ist es üblich, dass der Bankhalter dies selbst übernimmt, entweder als vorher ausgemachte Summe oder als Abgabe am Ende jeder Hand, sodass der Betrag des Anteils für die Bank ständig variiert. Le Chiffre hatte sich für die zweite Variante entschieden. Der Croupier schob ein paar Spielmarken durch einen anderen Schlitz im Tisch, der die cagnotte enthielt, und verkündete leise: »Un banco d’un million.«

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»Suivi«, murmelte der Grieche, womit er sein Recht geltend machte, erneut Banco zu spielen. Bond steckt sich eine Zigarette an und machte es sich auf seinem Platz gemütlich. Das lange Spiel hatte begonnen, und die Abfolge dieser Gesten sowie die Wiederholung dieser zurückhaltenden Litanei würden weitergehen, bis das Ende kam und sich die Spieler zerstreuten. Dann würde man die Karten verbrennen oder auf andere Weise unbrauchbar machen, ein Tuch über dem Tisch ausbreiten, und der grasgrüne Filz des Schlachtfelds würde das Blut seiner Opfer aufsaugen und sich daran laben. Nachdem er eine dritte Karte genommen hatte, konnte der Grieche der Sieben des Bankhalters nicht mehr als eine Vier entgegensetzen. »Un banco de deux millions«, sagte der Croupier. Die Spieler links von Bond blieben stumm. »Banco«, sagte Bond.


Impressum

PHANTAST Sonderausgabe 1 Buchmesse Frankfurt 2012 kostenlose PDF-Version Erschienen im Oktober 2012

Mitarbeiter dieser Ausgabe: Judith Gor, Jürgen Eglseer, Frank Drehmel, Gloria Manderfeld, Jeanine Krock

PHANTAST ist das gemeinsame Magazin der phantastischen Internetportale literatopia und fictionfantasy

Titelbild: Michael Marrak (danke für das nächtelange Rendern!)

www.literatiopia.de www.fictionfantasy.de Herausgeber dieser Ausgabe: Jürgen Eglseer und Judith Gor eglseer@fictionfantasy.de Satz und Layout: Jürgen Eglseer Lektorat: Rainer Skupsch Das Logo wurde von Lena Braun entworfen.

© 2012 fictionfantasy media. Das Urheberrecht der einzelnen Texte liegt bei den jeweiligen Autoren. Nachdruck, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung, Mikroverfilmung, Auswertung durch Datenbanken und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Copyrightinhabers.

Bildnachweis: Fotos Damaris Metzger: 25 Fotos Erik Schreiber: 11/15/38/46 Fotos Judith Gor: 17/26/46 Zeichnung von Marie Sann: 24 Foto Anika Klüver: 42 Fotos und Ausdrucke von Jemo Kohiri: 27/28/29/31 Anzeigen: Wir bitten um Beachtung der Anzeigen von Fabylon, TextLust Verlag und Golkonda. Bei Interesse an einer Anzeige wenden sie sich an Jürgen Eglseer.

Kontakt zur PHANTAST–Redaktion literatopia fictionfantasy

Judith Gor Jürgen Eglseer

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gor@literatopia.de eglseer@fictionfantasy.de


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