Pflichtlektüre Magazin 02/2016

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Studentenmagazin für Dortmund

a n o l e c r a B Fc hannover 96 Queens park Rangers Lars ist Groundhopper Gestrichen

Gesprüht

Gestresst

Wenn das BAföG futsch geht

Unterwegs mit Sprayern

Studium mit bipolarer Störung


Aus der redaktion Der Geruch von Farbe

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pannende Reportagen zu schreiben heißt manchmal auch, illegale Aktionen zu begleiten. Ich durfte erleben, wie eine Graffiti-Crew nachts einen Zug besprayte. Nach zwei Semestern Medienrecht weiß ich: Ich darf nicht zu einer Straftat auffordern. Ich konnte die Sprayer nicht bitten, für mich etwas zu malen, sondern musste mich von ihnen einladen lassen. Straftaten beobachten ohne die Polizei zu informieren, ist mir als Journalistin erlaubt. Während also die Crew-Mitglieder den Zug bemalten, habe ich sie vom Bahnsteig gegenüber beobachtet. Denn ins Gleisbett zu steigen ist eine Straftat und würde damit sogar die großzügigen Freiheiten von Journalisten überstrapazieren. Mit ihrer Begeisterung haben mich die Sprayer schnell angesteckt. Als ich dann auch noch die Farbe riechen konnte, wollte ich am liebsten selbst eine Dose in die Hand nehmen. Zum Glück bin ich standhaft geblieben – ohne mich ist das Bild sowieso schöner geworden. Sophie Schädel

Gesichtskino

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itte lächeln“, „Schau doch mal verzweifelt drein“, „Guck deine Formulare total glücklich an“ – Fotoanweisungen sind schnell dahingesagt, aber manchmal gar nicht so leicht umzusetzen. Ich ging mit Kamera und genauen Vorstellungen bewaffnet zu meinem Termin. In meiner Fantasie sah eine Person, die ein Schreiben mit positivem Inhalt anlächelt, super aus. Wenn auf einen Ablehnbescheid vom BAföG-Amt die Bewilligung eines Studienkredits folgt, kann man ja wohl glücklich schauen. Die Praxis bewies jedoch: Dieses Motiv funktioniert irgendwie nur bei Werbeaufnahmen und mutet ansonsten eher etwas lächerlich an. Glücklicherweise war mein Fotomodell sehr flexibel und vollführte ein Gesichtskino vom Allerfeinsten, bis das Bild endlich im Kasten war. Carolin West

Der Meisterrechner

J

ournalisten haben ja meist eher ein Faible für Buchstaben als für Zahlen. Trotzdem müssen sie dann doch ab und zu zum Taschenrechner greifen, um zum Beispiel herauszufinden, wie viel der deutsche Staat für seine Studenten so ausgibt. Im Bildungsfinanzbericht steht das. Außerdem sind da noch viele andere Zahlen zu finden. Als die Layouter mir sagten, dass genau diese schön aufbereitet werden müssen, begann das große Rechnen. Wie oft reicht ein Professorengehalt von hier bis zum Mond und wie viel ist das in Fußballfeldern? Und wie war das nochmal mit Dreisatz und Prozenten? Hatte ich erwähnt, dass ich in der vierten Klasse einen Mathe-Wettbewerb gewonnen habe? Ich war der Viertbeste in NRW. Also ran an den Taschenrechner und losgetippt. Am Ende sieht das dann doch sehr schick aus. Aber habe ich mich auch wirklich nicht verrechnet? Also alles noch mal von vorn… Lukas Arndt


07 MAsken-tHeAter Mit GeWinnsPieL Wir verschenken einmal zwei Eintrittskarten

inHALt 04 MACH‘S KURZ! 06 HÖRT, HÖRT 08 STADION-LIEBE 12 STADION-TERROR 16 HACK MY BODY 18 NUR EIN BISSCHEN FARBE 20 SAG MAL DOC 25 WER IST DIESES BAFÖG? 26 BAFÖG GESTRICHEN 28 GANZ SCHÖN TEUER 30 HÜRDENLÄUFER 32 SPECIAL OPS 36 HINGESCHAUT 37 ABGEFAHREN 38 MOMENTE

Marlon war im Kunstkeller

Ein Interview mit Frank Stauss

EINS VORAB E

in letztes Mal hieß es in den vergangenen Wochen für uns, Themen zusammensuchen, recherchieren, schreiben, Fotos besorgen und den Text am Ende erleichtert ans Layout schicken. Im Journalistik-Lehrplan ist die Arbeit bei einem Campusmedium im zweiten und dritten Semester fest verankert. Wir haben ein Jahr lang das Magazin gestaltet. Unsere Kommilitonen waren bei eldoradio*, do1 TV oder pflichtlektüre online. Für dieses Heft galt es also, ein letztes Mal Geschichten zu finden. Unser Autor Henrik Wittenborn erzählt euch von Lars Sundermann und seiner Europakarte. Lars ist Groundhopper: er reist durch Europa, um möglichst viele Fußballspiele in möglichst vielen Stadien zu erleben. Mit jedem bereisten Land setzt er einen Marker auf seiner Karte. Autor Silas Schefers hat sich mit einem Studenten getroffen, der manisch-depressiv ist. Als Patient befindet sich dieser zum siebten Mal in stationärer Behandlung, hat jedoch bereits einen Bachelor-Abschluss und arbeitet zurzeit am Master. Mit Silas hat er darüber gesprochen, wie er Krankheit und Studium unter einen Hut bringt. Selbst vor illegalen Aktivitäten haben wir für dieses Heft keinen Halt

VON TILL DÖRKEN

gemacht. Nicht, dass unsere Autorin Sophie Schädel dabei aktiv mitgeholfen hätte. Aber sie begleitete einige Sprayer auf einer nächtlichen Tour. Von ihren Erlebnissen mit der Sprayercrew erzählt sie euch ab Seite 20 und in unserer Kategorie „Aus der Redaktion“ auf der linken Seite. Wenn ihr das Heft dann gelesen, am Gewinnspiel teilgenommen und die Sudokus gelöst habt, ist unsere Zeit endgültig vorbei. Wir hoffen, dass euch die vergangenen sechs Hefte gefallen haben und wünschen viel Spaß mit unseren Nachfolgern.

Die Uni Witten-Herdecke finanziert ein Jahr Auszeit

Für den Fußball reist Lars durch ganz Europa

Lars war in Paris, als die Bomben explodierten

Mikrochips unter der Haut

Nachts mit Graffiti-Sprayern unterwegs

Warum weinen wir?

Das Berufsausbildungsförderungsgesetz erklärt

Und nun? Ein Fallbeispiel.

Wie viel kostet ein Student?

Studieren mit psychischer Krankheit

Übertiteltipperin in der Dortmunder Oper

Auf zum Trampolin für Erwachsene

In Herford im Marta: nun ja


VERSTECKTE Manche Räume der TU erscheinen kahl und aufgeräumt. In der ID Factory jedoch, die zur Fakultät der Kunst- und Sportwissenschaften gehört, können sich Studenten und Absolventen austoben und ihre Werke und Materialien lagern. Auch im vierten Stock der Emil-Figge 50 geht es kreativ zu. Rund um das Thema Textilien werden dort etwa Kleidungsstücke genäht und Möbel bezogen. Unser Autor Marlon Schulte hat sich für euch ins bunte Getümmel gestürzt. FOTOSMARLON SCHULTE


KUNST


Mach’s kurz! Frank Stauss hat in Heidelberg, Washington und Berlin Politische Wissenschaften studiert. Mit der pflichtlektüre sprach der Politologe, Buchautor und Mitinhaber einer Werbeagentur über sich und sein Studentenleben – natürlich kurz und knapp. TEXTCarolin West FotosBernhard Huber/Paul Seitz

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Als Student war ich begeistert, kein Schüler mehr sein zu müssen.

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Zu diesem Seminar bin ich immer zu spät gekommen: Produktionswirtschaft, BWL, an der Uni Mannheim. Das Studium habe ich im ersten Semester geschmissen.

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Wenn ich ein Seminar erfinden müsste, hieße es Empathie für Anfänger.

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Mein peinlichstes Erlebnis an der Uni war nicht an der Uni, sondern bei meinem Studentenjob als Tankwart, als ich schlafend und noch nicht ganz nüchtern hinter der Kasse von meiner Chefin geweckt wurde.

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Wenn ich noch einmal einen Tag Student wäre, würde ich versuchen, mehr von Philosophie zu verstehen.

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Die wichtigste Aussage meines Buches „Höllenritt Wahlkampf – Ein Insider-Bericht“ ist: Nichts ist verloren, solange oben noch die Kapelle spielt.

Zum ersten Mal mit Politik in Berührung kam ich intensiv als Teenager beim konstruktiven Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt 1982. Und als kleines Kind durch die letzten TV-Bilder aus dem Vietnamkrieg mit dem Abzug der Amerikaner aus Saigon.

Seit ich etwa 15 war, war meine Jugend als „The only gay in the village“ anfangs mangels Angebot nicht gerade sexuell ausschweifend. Dafür saß ich beim SPD-Ortsverein. Das hat sich dann später wieder korrigiert.

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bin ich sehr froh, damals doch 10 Heute nicht vom Gymnasium abgegangen

Ich bezeichne den Wahlkampf als „Höllenritt“, weil man intensiv auf einen einzigen Tag zuarbeitet, ständig Höhen und Tiefen durchlebt und es am Wahltag zur endgültigen irreversiblen Entscheidung kommt. Man kann dabei persönliche Dramen erleben, die Shakespeare sofort zu Bestsellern verarbeitet hätte. 06

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zu sein, trotz der 5 in Latein, Englisch, Mathe…


HINGEGANGEN Was für Geheimnisse in einer Flaschenpost stehen und ob der tapfere Sir Robin wohl singen kann? Wir verraten euch, wo ihr das herausfinden könnt. Auf unserer Facebook-Seite gibt es außerdem Eintrittskarten zu gewinnen. Also: Hingegangen! TEXTSOPHIE SCHÄDEL FOTOSMARIANNE MENKE/JOACHIM RÖMER

ALWAYS LOOK ON THE BRIGHT SIDE!

FLOHMARKT FÜR CINEASTEN

Was? Die Komikergruppe Monty Python wurde berühmt mit ihren Filmen „Das Leben des Brian“ und „Die Ritter der Kokosnuss“. Im Musical „Spamalot“ suchen König Artus, der tapfere Sir Robin und der Rest der Tafelrunde noch einmal den heiligen Gral, vermengt mit Elementen aus anderen Python-Stücken. Wo? Bochumer Schauspielhaus, Königsallee 15 Wann? bis zum 14. Juni, die nächsten Termine sind am 24. April und 16. Mai, jeweils um 19 Uhr Wie teuer? ab 8 Euro Web? schauspielhausbochum.de

Was? George Clooney zum Aufstellen gefällig? Oder doch lieber einen Minion an der Wand? Das Kino Schauburg in Dortmund verkauft Kinoplakate, Aufsteller, Banner und Aushangfotos. Die Einnahmen werden bis Ende des Jahres gesammelt und dann gespendet. Wo? Kino Schauburg, Brückstraße 66, Dortmund Wann? jeden vierten Samstag im Monat von 11 bis 13 Uhr Wie teuer? der Eintritt ist frei Web? schauburg-kino.com

FLASCHENPOSTAUSSTELLUNG

THEATER OHNE MIMIK UND WORTE

Ihr wollt zu dieser Ausstellung? Dann schreibt uns bis zum 29. April eine Nachricht an unsere Facebook-Seite pflichtlektüre, ihr landet im Lostopf und könnt ein Mal zwei Karten gewinnen.

Was? Der Kölner Künstler Joachim Römer fischt Flaschenposten aus dem Rhein. Er reinigt und sammelt sie seit 1998. In der Kunst-Installation „Tausend und eine Flaschenpost“ stellt das Binnenschifffahrtsmuseum in Duisburg seine Stücke aus. Interessant für alle, die lesen wollen, was Menschen über Jahrzehnte dem Rhein anvertraut haben. Wo? Binnenschifffahrtsmuseum Duisburg, Apostelstraße 84 Wann? bis zum 16. Mai, dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr. Wie teuer? 3 Euro Web? binnenschifffahrtsmuseum.de

Auch für diesen Tipp verschenken wir zwei Karten. Schreibt uns bis zum 15. April eine Nachricht an unsere FacebookSeite pflichtlektüre.

Was? Im Stück „Hotel Paradiso“ über Familie Flöz wird in einem Familienbetrieb in den Alpen so lang gestohlen und gemordet, bis die Zukunft des Hotels auf dem Spiel steht. Jeder der vier Darsteller spielt stumm mehrere Charaktere. Sie treten nur mit Holzmasken auf. Familie Flöz ist eine Berliner Gruppe von Schauspielern, Tänzern und Regisseuren aus zehn Nationen. Für jede Produktion bilden sich andere Ensembles. Wo? Theater Duisburg, Neckarstraße 1 Wann? 17. April, 19.30 Uhr Wie teuer? ab 9 Euro Web? theater-duisburg.de 07

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ERster Detektiv

Ein Jahr bezahlte Auszeit. Klingt wie eine Lizenz zum Nichtstun. Ist aber anders. Fritz Schaefer, Pfad.finder-Stipendiat der Uni Witten-Herdecke, will in zwölf Monaten drei Projekte umsetzen. Besonders am Herzen liegt ihm seine Hörspielreihe „Pommes-Soko“.

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inter der schweren Stahltür verbirgt sich ein Treppenhaus, in dem es nach Zigarettenrauch riecht. Etliche Stufen sind es bis nach oben zu der Tür, die ins Freie führt. Über das Dach gelangt man ins Tonstudio, in dem der 19-jährige Fritz Schaefer seit fast vier Jahren seine Hörspielreihe „PommesSoko“ aufnimmt. Kriminalgeschichten im Stil der „Drei Fragezeichen“. Wenn er aus dem Studiofenster schaut, sieht er sein altes Gymnasium, an dem er voriges Jahr Abitur gemacht hat.

Jetzt hat er ein Jahr Zeit, um sich seinen Herzensprojekten zu widmen. Um sich zu orientieren, statt sofort zu studieren. Und dafür bekommt er 700 Euro im Monat. Das ist das Konzept des Pfad.finderStipendiums, das die StudierendenGesellschaft und das Präsidium der Universität Witten-Herdecke an Abiturienten vergeben – und für das Fritz sich voriges Jahr bewarb. Finanziert wird es von einem Sponsor, der nicht namentlich genannt 08

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TEXt&FOTOSsvenja kloos

werden möchte. Fritz lag in Barcelona am Strand, als er erfuhr, dass eine Jury ihn in die engere Bewerberauswahl genommen hatte. Der Bewerber, der in einem anschließenden öffentlichen OnlineVoting die meisten Stimmen erhielt, bekam die Zusage. Als die Abstimmung eröffnet wurde, machte Fritz mit seinen Eltern in einem Funkloch an der Ostsee Urlaub. Nur hin und wieder konnte er verfolgen, wie die Chancen für ihn standen. Zwei Wochen lang gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und


Im Tonstudio: Fritz mit Musikproduzent Jaxon Bellina einem anderen Kandidaten. Dieser führte immer um ein bis zwei Prozent. „An manchen Tagen habe ich schon aufgegeben. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein schlechter Verlierer bin. Mein Urlaub war kein Urlaub mehr, ich war einfach richtig schlecht drauf“, sagt Fritz. Erst in den letzten 24 Stunden drehte sich das Blatt. „Wahrscheinlich hatte ich unverschämtes Glück.“ Seit Oktober vorigen Jahres kann er also an den drei Projekten arbeiten, die er in seiner Bewerbung präsentierte. Darunter ist die Hörspielreihe „Pommes-Soko“.

Heimstudio eines befreundeten Musikerkollegen.

Anfang 2012 leitete Fritz einen Workshop für jüngere Kinder zum Thema Hörspiel im Dorstener Jugendhaus. Dafür entwickelte er die Soko. Die Idee dazu kam ihm in seiner Stammpommesbude – so wurde eine solche Bude zum Dreh- und Angelpunkt jeder Geschichte. Die Protagonisten der Hörspiele, junge Detektive, treffen sich dort, um über ihre Fälle zu sprechen. Aufnehmen durften Fritz und die Kinder die erste Folge im

Während seiner Zeit als Pfad.finderStipendiat hat Fritz die erste Folge der Pommes-Soko neu produziert. „Damit war ich einfach nicht mehr zufrieden“, sagt er. Er schrieb das Skript um und auch klanglich wurde das Hörspiel im Studio professionalisiert. Seit der zweiten Folge arbeitet Fritz mit dem Musiker und Musikproduzenten Jaxon Bellina zusammen. „Wir haben die alte erste Folge zwar auch im Studio aufgenommen. Da habe

Damals war Fritz gerade 15 Jahre alt, aber schon begeisterter Hörspielmacher. „Natürlich haben einige mein Hobby belächelt. Am Anfang konnte keiner so richtig was damit anfangen und auch meine Freunde mussten erst einmal warm werden“, sagt er. Er spricht selbst von einer „spleenigen“ Leidenschaft, die eigentlich etwas altmodisch ist, „aber vielleicht ist old school das neue new school“.

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ich aber nicht immer gesagt, wenn mir was nicht gefiel, sondern die Aufnahme einfach so stehen lassen.“ Mittlerweile ist Fritz nicht mehr so schüchtern, korrigiert auch die erwachsenen Sprecher. „Wenn ich etwas geschrieben habe, möchte ich, dass es richtig rüberkommt.“ Er selbst führt bei den Aufnahmen Regie und spricht, wenn überhaupt, nur StatistenRollen.

Startauflage von 2.000 CDs pro Folge Trotz seiner Unzufriedenheit verkaufte sich die „alte“ erste Folge sehr erfolgreich. Sie erschien 2012, 500 CDs wurden gepresst und für je sechs Euro angeboten. Ende des Jahres waren sie ausverkauft. Mittlerweile hat die Serie eine Startauflage von 2000 CDs. Da die Pommes-Soko ehrenamtlich produziert wird, fließt das Geld aus dem Verkauf in die Produktion der nächsten Folge. Fritz‘ Traum ist es, die Reihe zusätzlich auf Kassette zu


„Vielleicht ist old school das neue new school.“ veröffentlichen. „Das wäre einfach eine schöne Erinnerung an früher, als die Batterien im Walkman leer waren und es ständig Bandsalat gab.“ Zuhause füllt der 19-Jährige eine ganze Wand mit „Drei Fragezeichen“-Kassetten. Aktuell läuft die Aufnahme der siebten Geschichte, in der auch die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke eine Rolle spricht. Für die sechs bereits produzierten Folgen konnte Fritz ebenfalls prominente Gastsprecher gewinnen, darunter Kabarettist Torsten Sträter und Fernsehkoch Björn Freitag. Als „Inbegriff“ der Pommes-Soko bezeichnet er jedoch den Schauspieler Norbert Heisterkamp, der unter anderem in den „7 Zwerge“Filmen und in der Comedyserie „Alles Atze“ mitspielte. Seit der ersten Folge der Soko spricht er den Pommesbudenbesitzer Gerd Gimmel. „Norbert kannte ich über meine Familie. Er stand da mit

seinen fast zwei Metern und hat’s einfach gemacht, ohne zu wissen, worauf er sich einlässt.“ Außerdem brachte Fritz bereits zwei Folgen als Live-Hörspiel auf die Bühne. „Viele Leute haben mich gefragt, ob sie mitmachen könnten, aber so viele Rollen kann ich gar nicht schreiben“, sagt er. „Um ihnen die Studioarbeit trotzdem näher zu bringen und ihnen die Gesichter zu den Stimmen zu zeigen, habe ich die Folgen zu Live-Hörspielen umgeschrieben.“ Vorigen Sommer präsentierten Fritz und die Sprecher die fünfte Folge live in Dorsten. Damals waren 500 Leute gekommen; zum Live-Hörspiel der sechsten Geschichte im Januar dieses Jahres waren 680 Zuschauer da. Die Sprecher saßen an langen Tischen auf der Bühne, vor sich Skript und Mikrofon. Neben Norbert Heisterkamp ein goldenes Schild mit der Aufschrift „Bei Gerd“ und ein Frittier-

korb für seine Pommes. Links und rechts die jungen Detektive. Etwas abseits saß Musikproduzent Jaxon Bellina, der zu jeder Szene die passenden Töne einspielte – das brutzelnde Fett in der Pommesbude, das Telefonklingeln in der Arztpraxis, das laute Rufen von Kindern im Freizeitpark. Abwechselnd lasen die Sprecher ihre Texte vor, zwischendurch stürmten neue Darsteller auf die Bühne, machten aus der Lesung ein Schauspiel. „Hörspiele sind Kino im Kopf. Jeder bastelt sich sein eigenes Bild und das fasziniert mich immer wieder“, sagt Fritz, der zum Schluss in einem hässlich-bunten Adidas-Anzug auf die Bühne kam und den Sänger einer Boygroup spielte.

Zeitzeugen erzählen ihre Geschichten Warum seine Hörspiele so erfolgreich sind, kann sich der 19-Jährige selbst nicht so recht erklären. Vielleicht liegt es an der lokalen Anbindung, denn die Schauplätze der Geschichten existieren wirklich in Dorsten. Vielleicht liegt es daran, dass Norbert Heisterkamp und die jugendlichen Stammsprecher in ihren Rollen aufgegangen sind und das Hörspiel mittragen. Vielleicht liegt es am Humor, der in keiner Folge fehlt.

Anfang 2012 erschien Fritz‘ erstes Hörspiel. Aktuell produziert er die siebte Geschichte. 10

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Fritz hat sich nicht nur mit der PommesSoko für das Pfad.finder-Stipendium beworben. Er möchte einen Jugendroman veröffentlichen. Skizziert ist der schon, jetzt muss Fritz ihn nur noch schreiben.


Abwechselnd lesen die Sprecher ihre Texte. Hinten in der Mitte Norbert Heisterkamp, der auch bei „Alles Atze“ mitspielte.

Zusätzlich arbeitet er mit seiner Tante an dem Projekt „Hörbar“. „Wir haben die Erinnerungen von Zeitzeugen vor und während des Zweiten Weltkrieges in Dorsten auf Band aufgenommen, damit sie nicht verloren gehen“, erklärt er. „Wie wertvoll sie sind, haben wir besonders gemerkt, nachdem wir mit unserem 98-jährigen Stadtarchivar gesprochen haben. Zwei Tage nach dem Interview ist er gestorben.“ Einige Geschichten stehen schon online, andere sind bereits aufgenommen, müssen aber noch geschnitten werden. Nach Ablauf des Stipendiums würde Fritz die hörbare Schiene gerne weiterfahren, irgendwas mit Medien machen. „Ich bin ja jetzt schon seit einigen Jahren auf dem Gebiet unterwegs und das freie Jahr hat mich in dieser Entscheidung noch bestärkt“, sagt er.

Das Pfad.finder-Stipendium Mit dem Pfad.finder-Stipendium sollen junge Menschen nach dem Abitur die Möglichkeit bekommen, ihren eigenen Weg zu finden. Pfadfinder muss man dafür nicht sein – es geht der StudierendenGesellschaft um die Entwicklung der Persönlichkeit. „Bei der Umstellung auf G8 und der Turbo-Bildung bleibt heute einfach zu wenig Zeit dafür“, sagt Vorstandsmitglied Louis Jarvers. „Es gibt so viele gute Ideen, die nicht umgesetzt werden können.“ Durch den umfangreichen Bewerbungsprozess filtert die Jury die Kandidaten und unterstützt nur ernst gemeinte und umsetzbare Ideen. „Wenn wir merken würden, dass jemand sein Projekt nicht verfolgt, können wir nachhaken und theoretisch die Förderung einstellen“, sagt Jarvers. Bei den drei bisherigen Stipendiaten ist das nicht vorgekommen. Außerdem hält die StudierendenGesellschaft Rücksprache mit den Mentoren, die jedem Stipendiaten zur Seite gestellt werden. Neben der finanziellen bietet das Stipendium auch eine ideelle Förderung – Fritz ist in Witten für Psychologie eingeschrieben. Wann immer er Lust hat, kann er die Seminare und Vorlesungen des Studiengangs besuchen. Nach der einjährigen Förderung sind die Stipendiaten nicht daran gebunden, in Witten zu studieren. Bewerben unter: uni-wh.de/studium/pfadfinder-stipendium/bewerbung Ausschnitte aus der „neuen“ ersten Folge der „Pommes-Soko“ findet ihr auf pflichtlektuere.com/wie-gedruckt. Link zu Hörbar: kiecok.de/azse/hoerbar.php 11

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Spielsucht

Bundesligaspiele in Dortmund, Hannover oder Bielefeld sehen: Das reicht Lars Sundermann nicht. Er ist Groundhopper, reist für den Fußball durch ganz Europa und erzählt pflichtlektüre-Autor Henrik Wittenborn seine Geschichten. TEXTHenrik wittenborn Fotoshenrik wittenborn&lars sundermann


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keptisch mustert Lars Sundermann die Weltkarte an der Wand. Sein Fazit: „Europa ist eigentlich zu klein!“ Der 22-Jährige ist kein Politiker oder Raumplaner, der sich beruflich mit den Dimensionen des Kontinents beschäftigen muss. Er ist Groundhopper. Sein Hobby: Fußball schauen. Nicht im Fernsehen, sondern im Stadion. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Für jedes bereiste Land drückt Lars eine Pinnwandnadel in die Weltkarte, die an die Holzvertäfelung seines Zimmers gepinnt ist. Nur mit Mühe kann er den Marker für Belgien setzen. Rund herum ist kaum noch Platz, allmählich gehen ihm die „freien“ Länder aus. Als Anfang der 1990er Jahre erste Hopper begannen, durch die Welt zu reisen, wurde Lars gerade geboren. Etwa 100 von ihnen sind mittlerweile in der Vereinigung Deutscher Groundhopper organisiert. Lars ist nicht dabei. Ohnehin ist nicht abzuschätzen, wie groß die Szene tatsächlich ist. „Viele Hopper sind um die 50 Jahre alt, aber es kommen auch immer jüngere, abenteuerlustige Fans dazu“ sagt Fußball-Autor Jörg Heinisch. Der Fan von Eintracht Frankfurt hat über das Groundhopping bereits mehrere Bücher geschrieben, zuletzt „Abenteuer Groundhopping kennt keine Grenzen“. „Jeder hoppt aus anderen Gründen. Manchen geht es darum, neue Atmosphäre aufzusaugen, andere interessieren sich

Nicht schön, aber legendär: Die White Hart Lane des Vereins Tottenham Hotspur in London.

für Stadion-Architektur oder machen aus dem Groundhoppen einen Wettbewerb, in dem es darum geht, möglichst viele Länderpunkte zu sammeln.“

Mit 10.000 Fans nach Kopenhagen Länderpunkt Nummer eins setzte Lars 2008, als er „seinem“ Verein Arminia Bielefeld ins Trainingslager nach Österreich hinterherreiste. Pin Nummer zwei sollte erst Jahre später folgen: Dänemark. FC Kopenhagen gegen Hannover 96 in der Europa League. „Mit diesem Spiel ging es richtig los. An einem Donners-

tagabend reisten rund zehntausend 96-Fans an, um ihren Verein auswärts zu unterstützen – das hat mich fasziniert“, sagt Lars. Um schnell viel von der europäischen Fußballwelt sehen zu können, wurde Lars erfinderisch: Eine Shopping-Tour in den Niederlanden für die Freundin entpuppte sich als Vorwand. Nach dem letzten Geschäft ging es nicht nach Hause, sondern ins Stadion. Wieder ein Länderpunkt. Darum, möglichst schnell immer mehr Heftzwecken auf die Karte zu setzen, geht es Lars nicht. „Ich mache meine Touren um zu reisen, Fußball zu schauen und um Menschen kennenzulernen. In dieser Reihenfolge.“ So entspannt sehen ihr Hobby längst nicht alle Hopper, sagt Autor Heinisch. „Auch wenn man sicherlich kein Pauschalurteil fällen sollte, ist das Hopping für viele ein Wettbewerb, in dem es nur darum geht, möglichst viele Länderpunkte zu sammeln und Stadien besucht zu haben.“ Feste Regeln, wann ein Besuch einen solchen Punkt sichert, gibt es nicht.

Fußball-Romantik mit Schönheitsfehler Egal, ob Wettbewerbshopper oder nicht – eine Reise darf niemandem fehlen: Nach England, ins Mutterland des Fußballs. „Da musste ich einfach hin“, sagt Lars. 13

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Unverhofft ergab sich die Gelegenheit im Oktober 2012 bei einer Oberstufenfahrt nach London: Bereits Wochen vor der Anreise plante Lars seinen Coup, um das Premier-League-Spiel der Queens Park Rangers gegen West Ham United zu sehen. Kaum stoppte der Bus vor dem Hotel, verdrückte sich Lars in Richtung Stadion – und ließ sich von seinen Freunden decken. Das reservierte Ticket abholen, Sicherheitskontrolle passieren, Platz suchen, genießen. „Es war ein überragendes Spiel, so wie man sich englischen Fußball vorstellt. Das Spielfeld nur wenige Meter weg, keine Zäune, die die

Sicht versperren, Fan-Pöbeleien, wie ich sie nur aus Filmen kannte und auf dem Platz englischer Fußball mit 13 gelben Karten.“ Die so romantische Reise zu den Wurzeln des Fußballs im Stadion an der Loftus Road hatte allerdings einen Makel: Die Deckung seiner Freunde hat nicht gehalten, Lars wurde erwischt. „Ich hatte das Stadion noch nicht verlassen, da hatte ich schon meinen Lehrer am Telefon.“ Der war nicht angetan von Lars Erkundungslust. An einem Telefonat zwischen dem Lehrer und seinem Vater führte kein

Weg vorbei. „Der hat meinem Lehrer dann erzählt, dass er mir das Ticket für das Spiel zum Geburtstag geschenkt hat“, sagt Lars. Anders als befürchtet, wurde er nicht vorzeitig zurück nach Hause geschickt. Die meisten Hopping-Touren beginnen nicht erst mit dem Einsteigen ins Flugzeug oder an der Autobahnauffahrt. „Die perfekte Organisation der Reisen braucht sehr viel Zeit. Viele Hopper stellen sich ihre Touren sehr akribisch zusammen und können letztlich innerhalb von wenigen Tagen sechs oder sieben Spiele sehen. Da


macht die Erfahrung eine Menge aus“, sagt Jörg Heinisch. Letztlich blieben viele Hopper aber davon abhängig, wie viele Touren sie sich im Monat oder Jahr leisten können.

Kompromisse bei der Unterkunft Lars bucht seine Trips Monate im Voraus, wenn Flüge noch billig sind und Hotels nicht ausgebucht. Auf Komfort legt er keinen Wert. Gebucht wird, was günstig ist, auch wenn für sechs Euro nicht mehr als ein unbeheiztes Hostel mit

undichten Fenstern im portugiesischen Porto zu erwarten ist – bei Dauerregen im November. Die perfekte Planung kann allerdings schnell hinfällig sein: Karten für die Klub-Weltmeisterschaft in Marokko musste er verfallen lassen. Als aktueller Champions League-Sieger nahm der FC Bayern 2013 daran teil. Lars hatte sich vorher ohne Hoffnung auf Erfolg um Karten beworben – und erhielt tatsächlich zwei der bei den Münchner Fans scheinbar wenig begehrten Tickets. Das Problem: Der Ski-Urlaub war schon gebucht und die Toleranz der Freundin kurzfristig aufgebraucht. In diesem Jahr

wird ihm das nicht passieren, da plant Lars nämlich eine Premiere: Erstmals reist er mit der Nationalmannschaft zu einem Turnier. Für sieben Spiele in sieben Städten hat Lars bereits Karten für die Europameisterschaft. Der Multivan ist längst reserviert, die Koffer im Kopf schon gepackt. Karten für die Spiele der Deutschen hat er noch nicht. Groundhopper wie Lars bringt das nicht aus der Ruhe. „Es wird sich bestimmt noch etwas ergeben...“

„Ich mache meine Touren um zu reisen, Fußball zu schauen und um Menschen kennenzulernen. In dieser Reihenfolge.“


Paris. Freitag, 13. November 2015.

Eiffelturm fällt aus Durch 17 europäische Länder reiste Lars für seine Touren. Dass Kultur und Fußball schnell in den Hintergrund rücken können, bekam er am 13. November 2015 zu spüren. Lars war bei den Terroranschlägen von Paris vor Ort. Ein Gedächtnisprotokoll. Aufgezeichnet von henrik wittenborn

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der Tribünen aufgehalten. Unten angekommen schrie uns ein Ordner an, dass wir sofort zurück ins Stadion müssen. Genau in diesem Moment gab es die dritte Explosion.

achdem wir mit dem Zug in Paris ankamen, war auf den Straßen alles absolut normal, die Stimmung ausgelassen und fröhlich. Daran hat auch die Meldung von einer Bombendrohung im Mannschaftshotel der Deutschen nichts geändert. Wir haben sogar noch darüber gewitzelt und überlegt, was wäre, wenn das Spiel wegen einer Terrorwarnung nicht stattfinden würde. Nach der schnellen Entwarnung haben wir nicht mehr darüber nachgedacht und uns auf den Weg zum Stadion gemacht. Auch dort war alles ganz normal. Kurz vor dem Spiel waren wir in der Kneipe, in der sich später ein Attentäter in die Luft gesprengt hat.

In der zweiten Halbzeit habe ich nicht mehr auf das Spielfeld, sondern nur noch auf mein Handy geschaut. Die Zahl der Toten stieg und neben mir haben die Franzosen das 2:0 gefeiert, als seien sie gerade Europameister geworden. Zehn Minuten nach Spielschluss hieß es, dass wir das Stadion jetzt verlassen dürften. Draußen brach die nächste Panik aus, wir flüchteten wieder auf die Tribüne. In diesem Moment war ich gedanklich im Tunnel und habe kaum noch wahrgenommen, was um uns herum passierte. Hinterher stellte sich heraus, dass ein aufheulendes Motorrad für die Panik gesorgt hatte. Im VIP-Raum des Stadions hinter unseren Plätzen lief die Musik unverändert weiter. Nach einiger Zeit wurden wir von der Polizei auf den Heimweg in die Metro geschickt. Im Nachhinein ist es Wahnsinn, dass wir in dieser Situation mit der Bahn gefahren sind.

Bis zum ersten Knall war es ein Länderspiel wie jedes andere. Ich wusste sofort, dass das kein normaler Böller gewesen sein kann – aber an eine Bombe dachte ich nicht. Unruhig wurde ich erst, als der zweite laute Knall kam. Um mich herum blieb die Stimmung aber sehr euphorisch, die Franzosen haben einfach weiter gefeiert. Was wirklich passiert war, haben wir erst in der Halbzeitpause gemerkt: Wir haben unsere Plätze verlassen und uns unterhalb

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Nach dem Ausbruch der Massenpanik flüchteten die Zuschauer im Pariser Stade de France auf das Spielfeld.

Im Nachhinein ist es Wahnsinn, „ dass wir mit der Bahn gefahren sind. “ Im Hotel angekommen, sagte ein Freund noch zu mir ‚Wir gehen aber morgen noch auf den Eiffelturm, oder?’ Das Ausmaß dieses Abends konnten wir einfach noch nicht einschätzen. Am nächsten Tag sind wir so lange wie möglich im Hotel geblieben und mit dem Zug um 16 Uhr zurück nach Deutschland gefahren: Während der Fahrt haben wir auf unseren zweiten Geburtstag angestoßen. Als solchen empfanden wir es, weil uns in Paris nichts passiert ist. Zu Hause fiel die erste Anspannung von mir ab, in den ersten Tagen habe ich die Geschichte wie im AutopilotModus erzählt, ohne sie richtig zu verstehen.

Als ich ein paar Tage nach Paris wieder ins Bielefelder Stadion ging, war das komische Gefühl noch nicht weg. Mittlerweile gehe ich ohne Hintergedanken ins Stadion und habe gelernt, dass man das Leben umso mehr genießen muss. Bei der Europameisterschaft möchte ich mit dem 13. November 2015 abschließen. Sollte es bis zum Sommer keine weiteren Anschläge beim Fußball geben, werde ich nach Frankreich fahren. Deutschland spielt im selben Stadion gegen Polen. Ich werde mich um Karten bemühen.“

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lutspenden ist auch nicht viel schlimmer“, scherzt Simon Müller. Er wirkt entspannt, obwohl ihm ein kleiner operativer Eingriff bevorsteht. Der 30-Jährige sitzt auf einer Behandlungsliege, während Piercerin Andrea Venhaus alles vorbereitet. Das Licht im Dortmunder PiercingStudio „Deep Metal“ ist grell, der Raum wirkt steril. In der Luft liegt der Geruch von Desinfektionsmitteln. Statt etwas abzugeben wie bei einer Blutspende, bekommt Simon hier etwas eingesetzt: Einen kleinen Chip, mit dem er künftig seine Haustür öffnen will. „Nervös bin ich nicht“, sagt Simon. Er streckt der Piercerin seine Hand entgegen, damit sie die Hautstelle zwischen Zeigefinger und Daumen desinfizieren kann. Für sie ist der Vorgang zur Routine geworden. „Mittlerweile statte ich wöchentlich jemanden mit diesen Chips aus.“ Das Implantat steckt wie eine Pille in der Injektionsnadel und wird über diese unter die Haut gesetzt. Die Nadel selbst ist mit zehn Zentimetern überraschend lang, doch Simon bleibt weiterhin entspannt. Andrea Venhaus setzt an und sticht zu. Simon lässt sich nichts anmerken. Nach ein paar Sekunden ist die Piercerin fertig, die Nadel entfernt und er damit offiziell gechippt. Bis auf das Pflaster kann man äußerlich nichts erkennen, man sieht keine Erhebung oder Blutergüsse.

Hack my body „Bodyhacking“ ist zu einem kleinen Modetrend geworden. Welche Vorteile bringen Mikrochips, die in den Körper eingesetzt werden? Der Biologe Simon Müller hat sich mit so einem Implantat ausstatten lassen – begleitet von pflichtlektüre-Autor Tim Kröplin.

TEXTTIM KRÖPLIN FOTORAMESH KIANI

Ursprung in der Tiermedizin

Technik. „Aber das ist nicht der Leitgedanke, es geht vielmehr um den Spaß an der Technik“, sagt Venhaus.

Die unterschiedlichsten Menschen lassen sich mit den kleinen Implantaten ausstatten. „Der Kundenkreis ist breit gefächert“, sagt Venhaus. „Ich habe schon Informatiker, Anwälte und auch Studenten gechippt.“ Ursprünglich kommen die Chips aus der Tiermedizin. Dort werden Haustiere mit Implantaten ausgestattet, auf denen die Daten ihrer Eigentümer gespeichert sind. So können sie ausfindig gemacht werden, wenn ein entlaufenes Tier gefunden wird. Mittlerweile haben Menschen die Chips für sich entdeckt.

Simon betrachtet seine Hand und ballt sie zur Faust. „Schmerzen habe ich keine“, sagt er. „Ich habe mir vor kurzem meine Ohrlöcher zunähen lassen, das war um einiges schlimmer.“ Die Piercerin holt ihr Smartphone und hält es an Simons Hand. Sie scannt den Chip. Nach einem kurzen Moment piept das Handy und auf dem Bildschirm erscheinen alle Infos zu dem Chip sowie seine Seriennummer. „Funktioniert!“, sagt Simon.

„Viele Leute sehen darin eine kleine technische Spielerei für den Alltag“, sagt Venhaus. Hat man so einen Chip implantiert, ist man ein sogenannter Cyborg; eine Verbindung zwischen Mensch und

Die Studio-Inhaberin ist auch zufrieden. „Komplikationen gab es bisher noch nie“, sagt sie. Simon ist begeistert. Er braucht nun noch ein elektronisches Türschloss. Dann kann er mit dem Chip seine Wohnungstür öffnen. „So trage ich 18

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meinen Schlüssel immer bei mir und kann ihn nicht mehr verlieren.“ Der Bürokaufmann Sven Becker vertreibt die Implantate seit drei Monaten über sein Start-Up Unternehmen „I am Robot“. Dafür bezieht er sie aus Südkorea. Er selbst trägt einen Chip mit seiner Visitenkarte in der Hand, den er sich allein eingesetzt hat. „Ich hatte auf der Cyborg-Messe in Düsseldorf einen eigenen Stand. Wie peinlich wäre es gewesen, wenn ich selbst keinen Chip gehabt hätte?“, sagt Becker. Die Idee für den Vertrieb von NFC-Chips kam ihm bei seinem Job in einer Marketing-Agentur. „Während der Arbeit habe ich überlegt, welches Produkt für mich interessant und zusätzlich eine Marktlücke ist.“ So hat er sich nach und nach neben seinem Hauptberuf ein kleines Unternehmen


aufgebaut. „Angefangen hat es damit, dass ich die Chips an Piercing-Studios versendet habe. So habe ich mir einen kleinen Kundenkreis geschaffen.“ Mittlerweile hat sich Becker einen Namen in der Szene gemacht. „Zum Leben reicht es allerdings noch nicht. Ich sehe es mehr als kleinen Nebenerwerb.“ Für die Zukunft plant er, mit einem Autohersteller zusammenzuarbeiten. „Ich bin gerade im Gespräch mit einem, der momentan an NFC-fähigen Autos arbeitet. So kann man künftig mithilfe eines Implantats seine Autotüren öffnen.“

Was sind die Risiken? Laut Piercerin Andrea Venhaus gibt es nur wenige Risiken. „Beim Einsetzen muss man aufpassen, keine Sehne zu treffen. Dafür müsste man aber auch

eine Menge Kraft aufbringen. Generell sollte man sich den Chip lieber von einer erfahrenen Fachkraft implantieren lassen, als es selbst zu machen.“ Von körperlichen Abstoßreaktionen hat die Piercerin nach eigenen Angaben noch nichts gehört. Grund dafür ist ein sogenanntes Bio-Schottglas, welches den Chip wie eine Kapsel komplett versiegelt. Dieses Schottglas besteht aus körpereigenen Substanzen wie Kalzium und sorgt dafür, dass sich um das Implantat herum keine Blutgerinnsel bilden. Die Gerinnsel steigern das Krebsrisiko. Venhaus musste bisher nur einmal einen Chip wieder herausnehmen. „Aber nicht wegen gesundheitlicher Probleme. Die Person hatte den Chip soweit verschlüsselt, dass sie selbst nicht mehr an ihre Daten herankam. Das verschlüsselte Passwort hatte über sechzig Stellen.“ 19

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DIE NFC-CHIPS IM DETAIL Near-Field-Communication-Chips sind etwa einen Zentimeter große, pillenförmige Mikrochips, die kurze Befehle speichern können. Die Speichergröße beträgt rund ein Kilobyte. Außerdem sind die Chips mit einem kleinen Sender ausgestattet, mit dessen Hilfe die gespeicherten Befehle an Handy oder Computer übertragen werden können. So hat der Eigentümer zum Beispiel die Möglichkeit, seine persönliche Visitenkarte auf den Chip zu speichern. Sobald er seine Hand an ein NFC-fähiges Gerät hält, werden die Daten übertragen. Andersrum ist es möglich, Smartphones und Laptops mithilfe der Chips zu verschlüsseln. Für den Chip und die Implantation zahlt man 90 Euro.


NUR EIN BISSC


SCHEN FARBE

ILMC – I Love My Crew. Diesen Schriftzug sprayt eine Graffiti-Gruppe in Dortmund und Umgebung auf unzählige Stromkästen, Hauswände und Züge. Die pflichtlektüreAutorin Sophie Schädel war bei einigen nächtlichen illegalen Aktionen dabei. TEXTSophie Schädel Fotosprivat


D

er Spot heute ist ziemlich dreist“, sagt David und grinst. Der 24-Jährige ist einer der Erfahrensten der Graffiti-Gruppe ILMC. Er gehört mit einer Handvoll Sprayern zum Kern der Crew, die anonym bleiben möchte. Seit 2007 ziehen sie mit ihrem Freundeskreis durch das Ruhrgebiet. Heute wollen sie zu viert einen Zug besprühen. Dazu müssen David, Yashar, Kerim und Sina an ein Gleis an einem Hauptbahnhof im Ruhrgebiet. Obwohl es schon dunkel ist, sind noch viele Leute unterwegs. Die vier tragen Kapuzen und Handschuhe. Yashar steht mit seinem Handy Wache, damit sie nicht entdeckt werden. Die anderen setzen sich auf dem kalten Bahnsteig auf eine Bank und warten auf den Zug. Die Sprühflaschen haben sie vorher schon geschüttelt und von Fingerabdrücken gesäubert. Denn wer illegal malt, kann es sich nicht leisten, Spuren zu hinterlassen oder beim Schütteln der Dosen am Tatort durch lautes Klackern entdeckt zu werden. Nach einer knappen halben Stunde geben sie auf. Die Bahn hätte schon längst kommen sollen. David und die anderen wissen exakt, wann nachts ein Zug einfährt und wie lange er dort unbewacht steht. „Da sitzt man vier Nächte an einem Bahnhof mit Zettel und Stift und schreibt sich alles mit der genauen Uhrzeit auf“, erklärt David und schaut auf die Uhr. Auch, wann der Fahrer aussteigt und wie lange das Reinigungspersonal im Zug ist, haben sie vorher recherchiert. Aber heute nutzen diese Details nichts, denn der Zug kommt nicht.

Sprayer sind vorsichtig. „Das ist es nicht wert. Im Endeffekt ist es ja nur ein bisschen Farbe“, sagt David. Wäre es nicht einfacher, in aller Ruhe legal zu sprühen? David reizt das weniger. „Manche meiner Freunde haben einen hohen künstlerischen Anspruch. Sie malen drei Stunden lang ein Bild mit 20 Farben. Das sieht natürlich schöner aus. Aber an legalen Plätzen wird es am nächsten Tag schon übermalt.“ David sprüht nur selten legal, denn ihm sind 20

Stundenlang an leeren Bahnhöfen Für die Sprayer ist das keine große Enttäuschung, denn so enden einige ihrer Aktionen. „Wir fahren stundenlang im Auto durch die Gegend und stehen an leeren Bahnhöfen. Dann fahren wir, ohne irgendwas gemacht zu haben, wieder nach Hause“, sagt David. An diesem Abend hat ILMC schon damit gerechnet und einen alternativen Spot in der Hinterhand. Aber dort hat David zwei unfertige Bilder von anderen Sprayern gesehen. Das heißt für die Gruppe, dass die Polizei die Stelle im Auge hat. Die 22

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Minuten mit Adrenalin meistens lieber. Und Züge, die mit dem ILMC-Schriftzug durch Deutschland rollen. Sich einen Namen zu machen, ist in der GraffitiSzene neben der Kunst eine der Hauptmotivationen. „Mir machen einfach die Buchstaben ‚ILMC‘ Spaß“, erklärt David. Die malt er sogar lieber als seinen eigenen Namen. „Aber eigentlich gibt es so viele Gründe zu sprühen, wie es Sprayer gibt“, sagt er auf dem Rückweg zum Auto. Ihm ist es auch wichtig, mit seinen Freunden eine gute Zeit zu haben. Beim nächsten


Versuch ein paar Tage später sind sie erfolgreich. Wieder ist ein abgestellter Zug ihr Ziel. Die Scheiben im Auto beschlagen, als David, Yashar, Kerim und Sina auf dem verlassenen Parkplatz sitzen und warten. Aus den Boxen kommt Rap. Lange beobachten sie den Turm argwöhnisch, aus dem das Bahnpersonal das Stellwerk regelt. Schließlich laufen die Sprayer geduckt von hinten an den Regionalzug heran. In der nächtlichen Stille knirschen die Schritte auf den Steinen im Gleisbett laut. Diesen Spot hat die Gruppe ausgewählt, weil sie hier im Licht von Laternen sprühen können und keine Stirnlampen brauchen. So bekommen sie gute Bilder und Videos, mit denen sie ihre Aktionen dokumentieren. Wieder steht Yashar Wache. Die anderen nehmen die Farbdosen in die Hand. Kerim trägt eine Videokamera auf dem Kopf und filmt, wie er die Außenlinien, die sogenannten Outlines sprüht. Mitten auf dem Rot des Zugs entsteht ein kaum lesbarer dunkler Schriftzug. Hinter ihm füllt Sina mit zwei Farbdosen gleichzeitig die Buchstaben aus. Mit dem leisen Zischen der Dosen steigt der Geruch von Farbe in die Luft. David verziert das Bild mit einigen Kringeln und Blasen. Nachdem auch die Schattierung sitzt, werfen alle noch einen kurzen Blick auf ihr Werk. Keine 20 Minuten hat es gedauert, und schon prangt ihr neuestes Bild auf dem Zug. Noch zwei Fotos mit einer Kamera, dann rennen sie zurück zum Auto. Auf dem Weg werfen sie ihre Handschuhe und die leeren Sprühdosen ins Gebüsch. Für den Fall, dass sie auf dem Rückweg in eine Kontrolle geraten.

Ein teurer Spaß für die Anderen… Wieder im Auto besprechen sie die Aktion. Erst jetzt fällt Kerim auf, dass sie versehentlich zwei unterschiedliche Braun-Töne verwendet haben. Aber die Crew ist zufrieden. Außerdem kommt es oft vor, dass den Sprayern an einem Bild, das nachts noch schön aussah, tagsüber und ohne Adrenalin einiges nicht mehr ganz so gut gefällt. David steht dazu. Auch Vandalismus ist für ILMC durchaus befriedigend. „Das ist für mich eben

auch ein Ventil für meinen stressigen Alltag“, sagt David. Viele ärgern sich über Graffiti. Denn die Farbe frisst sich in die Wände, und nicht jeder freut sich über eine bunte Hauswand. Allein in Dortmund gibt es mehrere Graffiti-Reinigungsunternehmen. Besonders heftig trifft es die Deutsche Bahn. Laut eigenen Angaben gibt das Unternehmen für die Entfernung von knapp 20.000 Graffiti jährlich rund acht Millionen Euro aus. Diese Art von Vandalismus nehme seit Jahren zu, so die Deutsche Bahn. Die Fronten sind verhärtet. Sprayer sind ihrerseits nicht gut auf die Bahn zu sprechen. Auch David ärgert sich: „Leute müssen nur fürs Malen oft viele Tausend Euro Strafe zahlen, das ist viel mehr als der entstandene Schaden. Dann ist ein komplett vollgemalter Zug einfach ein Mittelfinger an die Bahn.“

… und für die Künstler selbst Graffiti ist eine teure Leidenschaft. Die Sprühdosen und vollgesprühten Kleidungsstücke kosten Geld und das Hobby viel Zeit. Viele Stunden, in denen andere schlafen, verbringen die Sprayer zwischen Büschen oder in leeren Parkhäusern. Wer sich erwischen lässt, dem drohen hohe Strafen oder sogar Gefängnis. Die Strafen 23

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Graffiti-Hochburg Dortmund Graffiti entstand Anfang der 70er Jahre in New York. Schnell war es auch in Deutschland Mode, Farbe auf Wände zu sprühen. Die Sprayer in Dortmund waren so aktiv, dass die Stadt lange Zeit als Graffiti-Metropole galt. Anfang der 2000er löste Berlin Dortmund als Sprayer-Hauptstadt ab, aber bis heute gilt Dortmund in der Szene als eine der Hochburgen dieser Kunst. „Dick, blockig, voll erkennbar“: So beschreibt eine Facebook-Seite den traditionellen Dortmunder Stil. Er ist erkennbar an wuchtigen Buchstaben, oft aus Chrom, der silbernen Farbe der Sprayer.

richten sich zum Beispiel nach der Bildgröße und dem Reinigungsaufwand, weiß David. „Das sind selten weniger als ein paar Hundert Euro. Wenn jemandem gleich mehrere Bilder zugeordnet werden, können es auch über Tausend sein.“ Kerim wurde vor ein paar Wochen ertappt und wartet jetzt auf seinen Prozess. Trotzdem fühlt er sich wohl bei ILMC. „Falsche Freunde?


Legal sprühen im Ruhrgebiet

Wohl eher die richtigen“, sagt er zwinkernd. Immer wieder sterben Sprayer, erzählt David. Sie werden überfahren oder berühren Hochspannungsleitungen. Die Leute von ILMC verletzen sich nicht selten bei Aktionen. David hat mehrere Narben. „Hand aufgerissen beim Klettern über einen Bauzaun. Mit dem Schienbein bei der Flucht vor der Polizei auf die Kante eines Gleises geknallt. Sowas halt.“ Einmal wurde er beim Sprayen entdeckt und lag zwei Stunden unter einem geparkten Lastwagen, weil die Polizei mit einem Hubschrauber nach dem Täter suchte. Die Crew sieht das alles als Opfer, das sie für ihre Leidenschaft gern in Kauf nimmt. Und sie genießt es, Abenteuer zu erleben. „Wenn ich zwischen Spritzen in einem Gebüsch sitze, frage ich mich manchmal: ‚Was machen die normalen Leute jetzt eigentlich?‘ Montags sagen sie ständig, dass sie ein total krasses Wochenende hatten“, sagt David. Immer wieder trifft die Gruppe an ihren Spots auf andere Sprayer. Einmal wurden sie auch von Reinigungspersonal erwischt, die ihnen interessiert beim Malen zuschauten, anstatt sie zu verjagen.

Offizielle Graffiti-Wände, die ihr legal besprühen dürft, findet ihr zum Beispiel an der Pferderennbahn in Dortmund-Wambel, in Unna an der Lindenbrauerei und an der Einfahrt zur Ruhr-Uni in Bochum.

Nach einem heftigen Unwetter im August hatten alle Sprayer Hochkonjunktur. In der ganzen Region standen die Züge still. „Wir waren drei Nächte am Stück unterwegs. Vier Züge haben wir da geschafft!“, sagt David. Heute Nacht sind sie mit einem zufrieden. Mit Chips und Cola von der Tankstelle geht es auf den Heimweg durch das Ruhrgebiet. Sie zeigen immer wieder stolz auf ihre Schriftzüge an Hauswänden und halten nach möglichen neuen Spots Ausschau. Es wirkt so, als sei es in diesen Minuten ganz ihr Revier.

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SAG MAL,, PROF Warum weinen wir? TEXT&FOTOTIM KRÖPLIN ILLUSTRATIONALINA FUHRMANN

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ränen sind als Feuchtigkeitsspender und als Schutzmechanismus gegen Fremdkörper vielseitig nützlich. Die Tränenproduktion lässt sich in drei Arten unterteilen. Da ist zum einen die Basisabgabe, die das Auge feucht hält. Zum anderen muss die Hornhaut mit Flüssigkeit benetzt werden, wenn sie gereizt ist. Gelangt ein Fremdkörper unter die Lider, wird der Grundausfluss um das 100-fache erhöht. Dann gibt es noch das emotionale Weinen, hier wird die Basisabgabe sogar um das 400-fache erhöht. Die Flüssigkeit wird über eine Drüse produziert. In der Fachsprache heißt diese Glandula lacrimalis. Um die Augen feucht zu halten, gibt die Tränendrüse pro Minute 0,005 Milliliter Flüssigkeit ab. Darin sind Enzyme enthalten, die vor Bakterien schützen. Verirrt sich zum Beispiel eine Fliege in unser Auge, wird sie weggespült und die Linse gereinigt. Salzig werden Tränen übrigens über den Produktionsvorgang der Tränendrüse. Diese braucht zur Herstellung Flüssigkeit. Dafür sondert sie ein Salz ab, um Wasser aus dem um sie herum liegenden Gewebe zu ziehen. Das Wasser fließt darauf zur Drüse und wird von ihr mit Salz und Enzymen versetzt. Die Flüssigkeit fließt dann über die Tränenkanäle nach außen. Es gibt allerdings auch Situationen, in denen die Augen ohne wirkliche Bedrohung tränen, zum Beispiel beim Schneiden von Zwiebeln. Dabei werden feine Dämpfe freigesetzt, die Augen und Nase reizen. Die Tränendrüsen produzieren deshalb mehr Flüssigkeit, um die Schleimhäute vor den Dämpfen schützen. Um Reizungen zu vermeiden, sollte man beim Schneiden ein scharfes Messer benutzen, denn eine stumpfe Klinge zerdrückt die

Zwiebeln eher. Dadurch entstehen verstärkt Dämpfe entstehen. Warum wir weinen um Gefühle auszudrücken und warum wir gerade dann die meiste Augenflüssigkeit verlieren, ist bisher noch ungeklärt. Emotionales Weinen dient auch der nonverbalen Kommunikation. Kinder drücken dadurch Hilflosigkeit aus, um den Beschützerinstinkt der Mutter zu wecken. Erwachsene zeigen ihren Mitmenschen ihre emotionale Verfassung. Ausgelöst wird diese Form des Tränenvergießens unter anderem durch Trauer oder starke Freude. Bei starken positiven Gefühlen können Freudentränen ausgelöst werden. Sogar ansprechende Musik oder gewisse Tonabfolgen können den Zuhörer zum Weinen bringen. Wieso die Menschen bei bestimmter Musik weinen, ist den Forschern unklar. Sie gehen davon aus, dass Menschen mit bestimmten Melodien positive Erinnerungen verbinden. Da die Tränendrüsen durchgängig aktiv sind, ist es nicht möglich, sich vollständig „auszuweinen“. Allerdings gibt es Erkrankungen, bei denen die Drüsen ausfallen und keine Flüssigkeit mehr produzieren. Das hat fatale Folgen. Fremdkörper werden nicht mehr weggespült und die Hornhaut trocknet nach und nach aus. Das führt zu eingeschränktem Sehvermögen bis hin zur Erblindung. Damit das nicht passiert, erhalten betroffene Patienten künstliche Tränen in Form von Augentropfen.

Doktor Peter Wölfelschneider ist praktizierender Augenarzt im Dortmunder Johanneshospital.


WER IST EIGENTLICH

DIESEr BAFÖG? Die Abkürzung für das Bundesausbildungsförderungsgesetz kennt jeder. Doch wer wann warum wie viel Geld bekommt, ist vielen ein Rätsel. Wilfried Blattgerste, Leiter der Abteilung Studienfinanzierung beim Studierendenwerk über das Gesetz, das so manches Studium finanziert. TEXTcarolin west Fotoscarolin west&Studierendenwerk Dortmund

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err Blattgerste, woher weiß ich, ob ich einen Anspruch auf BAföG habe? Es gibt einen BAföG-Rechner, der einer ersten Orientierung dient. Grundsätzlich rechnet er richtig, man muss aber mit einem gewissen Background arbeiten. Sobald eine falsche Eintragung gemacht

wird, ist das Ergebnis verfälscht. Am besten stellt man einen Antrag. Dann hat man es Schwarz auf Weiß. Wie wird berechnet, wer welchen BAföG-Satz erhält? Maßstab ist der Einkommenssteuerbescheid der Eltern aus dem vorletzten 26

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Kalenderjahr, dort geht es um Bruttogehälter. Davon werden Freibeträge und Steuern abgezogen. Sollten die Eltern im vorletzten Kalenderjahr nicht einkommenssteuerpflichtig gewesen sein, beispielsweise als Rentner oder Arbeitslose, sind die entsprechenden Einkommensnachweise erforderlich: Arbeitslo-


sengeldbescheide, Rentenbescheide oder was jeweils vorliegt. Warum wird der Steuerbescheid aus dem vorletzten Kalenderjahr verwendet? Das ist ganz einfach: Stellen Sie sich einmal vor, ein Student stellt am 1. Januar einen Antrag auf BAföG – dann haben die Eltern noch gar keinen Einkommenssteuerbescheid vom vorigen Jahr. Dieser Maßstab wurde vom Gesetzgeber so eingerichtet und ergibt unseres Erachtens auch Sinn. Es ist vom Berufszweig abhängig, wann man den Steuerbescheid bekommt. Was passiert, wenn im vorletzten Kalenderjahr mehr Einkommen da war als aktuell? Das ist ein Klassiker, wenn beispielsweise die Eltern pensioniert oder arbeitslos werden – das Geld von früher haben sie dann nicht mehr. Es gibt die Möglichkeit, einen Aktualisierungsantrag zu stellen, in dem die gegenwärtigen Verhältnisse anzugeben sind. Dann kann eine neue Berechnung stattfinden. Wir sind froh, wenn die Studierenden glücklich und zufrieden sind und mehr Geld bekommen. Das ist ja auch in unserem Sinne. Wir sind nicht hier, um als Bremse für das Studium zu wirken, sondern als Anschub. Was ist der niedrigste und was der höchste BAföG-Satz? Der Mindestbetrag liegt bei zehn Euro, damit könnte man sich eine Kiste Bier am Wochenende gönnen. Beim Höchstsatz über 670 Euro im Monat ist dann sogar die Miete mit drin. Lässt sich jemand zehn Euro auszahlen? Ja, da hat man ja einen Rechtsanspruch drauf und dann ist wenigstens ein Wochenende gerettet. Inwieweit kann die Bearbeitung der Anträge individuell sein? Das BAföG ist ein Gesetz, an das wir uns halten müssen. Wie der Pfarrer die Bibel hat, haben wir das BAföG. Es gibt in manchen Situationen Handlungsspielräume. Ein Beispiel: Die Eltern bekommen Hartz IV und müssen normalerweise Einkommensnachweise von Januar bis Dezember einreichen. Jetzt haben sie aber

die Unterlagen für drei bis vier Monate nicht. In der Zeit verdienen die wenigsten Leute so viel, dass sie sagen können: „Mein Kind braucht doch kein BAföG.“ Da haben wir ein Gespür für. Da kann man ausnahmsweise mal ein Auge zudrücken, weil es im Ergebnis auch kein schlechterer Bescheid für den Studierenden wäre. Wir sind keine Unmenschen, auch wenn das manchmal so scheint. Das hört man ja öfter im Studierendenkreis: „BAföG-Verhinderer“. Wir sind nicht ganz doof, wir haben auch zwei Ohren. Es steckt immer ein Sinn und Zweck dahinter, etwas nachzufordern. Bei der Berechnung des BAföG-Satzes haben wir aber keine Spielräume, denn wir werden dahingehend geprüft. Und mein Chef würde mich etwas kritisch ansehen, wenn ich plötzlich mit dem Füllhorn hier herumlaufe und das Geld herausschütte. Was passiert, wenn Studenten widersprüchliche Auskünfte bekommen? Studierende haben immer einen Auskunftsanspruch und das Recht, noch einmal nachzufragen, wie eine Diskrepanz zustande kommen kann. Gegebenenfalls muss man dann mit dem Teamleiter sprechen und wenn das nicht fruchtet, hat man die Möglichkeit des Rechtsmittels. Nach der Erläuterung der Sachlage kann man dann entweder den Widerspruch zurückziehen oder, wenn man nicht damit einverstanden ist, eine Klage beim Verwaltungsgericht einreichen.

Kredit in jeder Studienphase beantragen. Das sind höchstens 12.000 Euro und es wird ein monatlicher Maximalbetrag von 1.000 Euro ausgezahlt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten neben dem BAföG, ein Studium zu finanzieren. Keiner geht hier raus und hat kein Geld mehr. Das muss schon ein ganz krasser Fall sein: Jemand ist schon im 24. Semester und braucht noch zehn oder so ähnlich. Erhöht sich von Semester zu Semester die Anzahl an Credits, die nachgewiesen werden müssen? Nein, abgerechnet wird nach dem vierten Semester. Wer im ersten am Baggersee gelegen hat, muss das im zweiten Semester natürlich nachholen. Wie sich die Credits zusammensetzen, fragen wir gar nicht, sondern nur, wie viele der Studierende hat. Was empfehlen Sie abschließend? Wir können jedem nur empfehlen, einen BAföG-Antrag zu stellen, weil es die Finanzierung des Studiums durchaus einfacher macht. Was passiert, wenn´s passiert und das BAföG weg ist, lest ihr auf den nächsten Seiten.

Gibt es Alternativen zum BAföG? Ja, beispielsweise einen Studienkredit. Hierbei fallen keine Zinsen an, wenn man sein Studium in der Regelstudienzeit abschließt, sondern nur eine Bearbeitungsgebühr. Das ist für Studierende ein großer Vorteil und wird in allen Studierendenwerken angeboten. Früher gab es nur den Studienabschlusskredit, seit dem 1. Januar dieses Jahres kann man den

„WIR SIND NICHT HIER, UM ALS BREMSE FÜR DAS STUDIUM ZU WIRKEN, SONDERN ALS ANSCHUB.“ 27

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Miete?

? t i red

K

Jobben?

Essen? ? y t r Pa Fußball?

Strich durch die Rechnung Von Hundert auf Null: Der 22-jährige David Bristot studiert an der Universität Duisburg-Essen Französisch und Spanisch. Nach einem Auslandssemester in Spanien hat er zu wenig Credit Points – 597 Euro BAföG im Monat werden ihm gestrichen. Ein Fallbeispiel.


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ach dem Abitur zieht David Bristot in seine erste eigene Wohnung – die Miete bezahlt seine Mutter. Er arbeitet nebenbei ein bis zwei Tage in der Woche im Lager eines Blumenfachhandels und verdient so ein bisschen Geld dazu. Normalerweise beträgt seine Arbeitszeit sechs bis sieben Stunden. Im Frühling, wenn viel zu tun ist, können es aber auch schon mal zehn werden. „Manchmal arbeiten wir auch bis in die Nacht hinein“, erzählt David. Als er sein Studium beginnt, beantragt er BAföG. Weil seine Eltern geschieden sind und er allein wohnt, erhält er mit 597 Euro im Monat einen hohen Satz. Dank seines Nebenjobs, des Kindergeldes und BAföG hat er gut 1.000 Euro im Monat zur Verfügung. Die Miete zahlt er daraufhin selbst.

Böses Erwachen nach dem Auslandssemester Nach dem Studium möchte David Dolmetscher werden. Im fünften Semester geht er daher nach Saragossa in Spanien und bezieht Auslands-BAföG. „Der Koordinator meines Studiengangs in Essen riet mir davon ab, Französisch in Spanien zu studieren, weil der Fremdsprachenbereich dort nicht optimal ausgebaut sei“, sagt David. Er entscheidet sich deswegen dazu, nur Spanisch-Kurse zu wählen. Zwei von vier Klausuren besteht er am Ende des Semesters nicht. „An anderen Unis gibt es zum Teil spezielle Kurse für Erasmus-Studenten,

in Saragossa leider nicht“, erklärt er. „Da gab es schon Verständnisprobleme, weil der Dozent dementsprechend nicht auf Studenten aus dem Ausland eingestellt war.“ Zurück in Deutschland wird klar, dass David neben den nicht bestandenen Klausuren in Spanisch auch die versäumten Französisch-Kurse nachholen muss.

Zwischen den Zeilen: Antrag abgelehnt Beim BAföG-Amt gibt’s dann die nächste unangenehme Überraschung: Weil er zu wenig Credit Points gesammelt hat, soll sein Geld bald futsch sein. Statt der nötigen 80 Credits stehen auf Davids Leistungsnachweis nur 62. Der Sachbearbeiter erklärt ihm, dass er die fehlenden Punkte im Folgesemester nachreichen kann. Dass diese Möglichkeit besteht, erhält er schriftlich. In der Zwischenzeit bekommt er jedoch kein BAföG. Mit 95 Credits geht er nach dem sechsten Semester erneut zum Amt, diesmal wird er von einem anderen Sachbearbeiter betreut. Plötzlich heißt es, er müsse 100 Punkte nachweisen, nicht nur 80. „Ich kam in das Büro rein und der Sachbearbeiter hat mich nicht einmal angesehen. Wieder BAföG zu bekommen war sehr wichtig für mich, für ihn allerdings war das völlig egal“, sagt David niedergeschlagen. „Er sagte mir, es stünde doch in dem Schreiben drin, ‚zwischen den Zeilen‘, und es erschließe sich, dass 29

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ich 100 Punkte nachweisen muss.“ Bis zum 31. Oktober vergangenen Jahres soll er die fünf fehlenden Credit Points nachreichen. „Mitten im Semester ist das aber kaum möglich“, sagt David. Weil im April die Förderungshöchstdauer abläuft, verzichtet David darauf, erneut BAföG zu beantragen. Er plant, im Sommersemester 2016 sein Studium zu beenden.

Familienunterstützung, aber das Geld reicht nicht Das Geld, das ihm durch den BAföGEntzug fehlt, bringt nun seine Familie auf. Sein Großvater unterstützt ihn mit 100 Euro im Monat und wenn es knapp wird, helfen seine Eltern und Brüder aus. „Die 400 Euro, die ich im Monat verdiene, sind durch Miete und Nebenkosten schnell aufgebraucht. Mit BAföG war alles etwas einfacher und entspannter.“ Seit Mitte Januar 2016 erhält David außerdem statt des BAföGs einen Bildungskredit über 300 Euro im Monat. Vier Jahre nach der letzten Rate muss er den Kredit komplett – jedoch mit sehr geringem Zinssatz – zurückzahlen. Vom BAföG ist nur die Hälfte fällig, sobald er ein festes Einkommen hat. Zu Davids Fall kann sich Wilfried Blattgerste nicht äußern, da das Studierendenwerk Dortmund nicht für David zuständig ist. Das Studierendenwerk Essen-Duisburg war zu keiner Auskunft bereit.


GANZ SCHÖN HAPPIG

Wie viel kostet ein Student und was bekommt ein Professor monatlich so überwiesen? Ist Studieren teurer, als eine duale Ausbildung und wie viel geben Bund und Länder insgesamt für Hochschulen aus? Alle Antworten hier – entnommen dem Bildungsfinanzbericht 2015, allerdings mit Zahlen von 2012. Die rechnen da nicht so schnell. RECHERCHELUKAS ARNDT

LAUFENDE AUSGABEN JE STUDENT AN ÖFFENTLICHEN UNIVERSITÄTEN IM JAHR Personalausgaben + laufende Sachausgaben (z.B. Bücher) + Sozialbeiträge (z.B. Krankengeld) des verbeamteten Hochschulpersonals - Einnahmen laufende Ausgaben pro Semester

31 200 Euro

Die laufenden Ausgaben zahlt der Träger der Uni, hier also das Land. Investitionen (z.B. Bau eines Hörsaals) werden nicht berücksichtigt.

Humanmedizin, Gesundheitswissenschaft

DURCHSCHNITTLICHE BRUTTOGEHÄLTER Alle Besoldungsklassen sind in Besoldungsstufe 3 angegeben. Die bekommt, wer fünf Jahre im Beruf ist.

9 900 Euro Mathematik, Naturwissenschaft Besoldungsklasse E13: ca. 3 900 Euro z.B. Doktoranden

8 000 Euro Ingenieurwissenschaft

4 900 Euro

Besoldungsklasse W2: ca. 6 600 Euro z.B. Professoren mit W2-Professur

Sprach- und Kulturwissenschaft

4 200 Euro Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft

Besoldungsklasse W3: ca. 8 700 Euro z.B. Professoren mit W3-Professur 30

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Die Gehälter werden monatlich ausgezahlt und gelten für Beschäftigte an öffentlichen Hochschulen.


AUSGABEN NACH BILDUNGSLAUFBAHN 42 000 Euro kosten drei Jahre Kindergarten und vier Jahre Grundschule durchschnittlich. Danach unterscheiden sich die Bildungslaufbahnen der Deutschen. Wie viel jeder Abschluss insgesamt kostet, seht ihr links. Aus Berechnungsgrundlage dienen wieder die laufenden Ausgaben, also Personal- und Sachkosten. Medizin wurde als Studienfach nicht berücksichtigt.

Gymnasium 64 700 Euro Uni Bachelor & Master 36 300 Euro = 143 000 Euro Realschule 34 100 Euro duale Ausbildung 28 900 Euro Fachoberschule 5 900 Euro Fachhochschule Bachelor 21 100 Euro = 132 000 Euro Realschule 34 100 Euro duale Ausbildung 28 900 Euro = 105 000 Euro

Hauptschule 39 500 Euro duale Ausbildung 28 900 Euro = 110 400 Euro

2015

28,7 Mrd. Euro Kindergarten 20 200 Euro Grundschule 21 800 Euro = 42 000 Euro

1995 16,3 Mrd. Euro

2000

17,2 Mrd. Euro

2005

2010

22,5 Mrd. Euro

18,4 Mrd. Euro

Seit 20 Jahren steigen die Staatsausgaben für die Hochschulen kontinuierlich an, wobei das Land davon etwa 80 Prozent übernimmt. Finanziert werden sowohl Universitäten als auch Fachhochschulen. Die Zahl von 2015 ist vorläufig.

ÖFFENTLICHE AUSGABEN FÜR HOCHSCHULEN QUELLEBILDUNGSFINANZBERICHT 2015

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HÜRDEN LÄUFER Seine manische Depression begleitet Lukas* seit 13 Jahren durchs Leben. Inzwischen ist er 37 und wieder in Behandlung. Ausbildung, Familie und Studium: Trotz Krankheit hat Lukas immer weiter gemacht. Der pflichtlektüre erzählt er seine Geschichte. TEXTSILAS SCHEFERS ILLUSTRATIONENALINA FUHRMANN

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ukas‘ Geschichte beginnt mit Liebeskummer. „Damals“, sagt er, „war ich Mitte 20.“ Aus dem Liebeskummer ist inzwischen eine manische Depression geworden. Lukas ist mal in einer depressiven Phase gefangen und sprudelt ein anderes Mal fast über vor kreativen Ideen, manchmal aber auch vor Aggressionen. So erzählt er es heute. Bei einer manischen Depression, auch bipolare Störung genannt, wechselt der Betroffene zwischen depressiven und manischen Zuständen. Eine depressive Phase äußert sich durch verringerte Freude, weniger Interesse, Schlaflosigkeit oder sogar Selbstmordgedanken. In einer manischen Phase haben die Patienten eher eine gehobene Stimmung und viele Ideen, sind jedoch auch ablenkbarer und gereizt. Auch Mischformen sind mög-

lich. So erklärt Psychiater Hans Joachim Thimm die Krankheit. Lukas sitzt in der Cafeteria eines Krankenhauses im Münsterland. Ein wacher Blick, freundlich, aufgeschlossen. Lukas ist 37 Jahre alt und in Therapie. Das Bachelor-Studium in Wissenschaftsjournalismus ist abgeschlossen. Am Master sitzt er seit 2013. Im Moment bleibt durch die Behandlung wenig Zeit für das Studium. Er ist das siebte Mal in stationärer Therapie.

Wegfantasiert ins Mittelalter Vor 12 Jahren beginnt sein Leidensweg: Er studiert damals Geoökologie. „Ich rutschte durch den Liebeskummer in 32

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Psychosen, also vollkommene Fehleinschätzungen der Welt“, sagt Lukas. Er steigert sich in einen Verfolgungswahn. Dinge, die nicht real sind, scheinen real. Lukas fantasierte sich in eine Mittelalterszenerie. „Ich dachte ernsthaft, ich sei ein mittelalterlicher Graf. Ich habe einen Kopfhörer zerpflückt und mir daraus eine Krone gebastelt. So bin ich dann durch die Gegend gelaufen.“ Einmal stellte er in seinem Wahn Steinkrüge auf die Fensterbank seiner Wohnung im siebten Stock, um Wasser zu sammeln. Einer dieser Krüge fiel herunter – und verfehlte nur knapp den Wagen seiner Nachbarn. „Auf den ersten Blick wirken Psychosen auf Außenstehende lustig“, sagt der Student, „wie eine kleine traurige Komödie.“


Was nach der Psychose kommt, ist eine Art „Realitätsschock“. „In der Psychose ist man voller Wahrnehmungen, voller Informationen. Da kann die Realität sehr enttäuschend sein.“ Lukas kommt zum ersten Mal in Behandlung, den Anschluss ans Studium zu finden fällt nach der Pause schwer. Er bricht ab und zieht zu seiner Tante, einer Sozialarbeiterin, macht mehrere Praktika, findet den Weg zurück ins Arbeitsleben und beginnt eine Ausbildung zum biologisch-technischen Assistenten. „Darin habe ich zwar nicht meinen Traumberuf gefunden, aber die Ausbildung über hatte ich die Krankheit im Griff. Erst zum Ende der Ausbildung kam die Orientierungslosigkeit“, sagt Lukas. Das sorgt für Stress. Er geht noch vor seiner Abschlussprüfung erneut in die Klinik und entscheidet sich schließlich, nach der Ausbildung seinen Traumberuf zu ergreifen: Journalist. „Es ist ein toller Beruf. Jeden Tag etwas Neues entdecken, spannende Menschen treffen, kleine Entdeckungen machen“, sagt Lukas heute. Er beginnt Wissenschaftsjournalismus in Dortmund zu studieren – und ist glücklich. Von der Krankheit keine Spur? „Tatsächlich war ich während des Bachelors fast wundersam stabil.“ Er zieht das Studium im normalen Tempo durch, lernt seine Freundin kennen, macht ein Volontariat, also eine praktische journalistische Ausbildung, und lebt ein Studentenleben, feiert gerne Partys, trinkt Alkohol, auch, wenn ihm das nie wirklich gut getan hat. Das Leben läuft nach Plan. Der Druck im Studium – Lukas hält ihm stand. „Es war eine tolle Zeit“, sagt er. Er übernimmt sogar die Vaterschaft für ein Kind, das seine Freundin mit in die Beziehung bringt. Während des Master-Studiums wird sie erneut schwanger. Die Verantwortung wächst.

und mich darin verbeiße.“ Anfang des vergangenen Jahres zieht er mit seiner Familie in eine größere Wohnung. Kinder, Familie, Job, Studium: Die Belastung wächst weiter. Dazu kommt, dass ihm Gefühle von außen angetragen werden. Wenn jemand Angst um Lukas‘ Zukunft hat, überträgt sich das auf ihn selbst. Die Krankheit kommt mit aller Härte zurück in sein Leben. Gegen Dinge, die ihm missfallen, wehrt er sich mit großer Aggressivität – auch im Familienleben. Lukas spricht vom „Vulnerabilitäts-StressModell“. Bis zu einer bestimmten Grenze packt er die Belastung. „Aber dann wird es einfach zu viel.“ 2015 kommt er vier Mal für jeweils sechs Wochen in stationäre Behandlung in der Klinik. Bei einem gesunden Menschen braucht es nach dem Modell eine höhere Belastung durch Stress, bevor er psychisch erkrankt. Lukas ist deutlich verletzlicher und damit schneller überlastet. Lukas schaut aus dem Fenster der KlinikCafeteria. Wie es ihm heute geht? Er muss lachen. Glücklich ist er natürlich nicht, klar. Dennoch gibt es Momente

Die Krankheit kommt zurück – mit aller Härte Zu Anfang läuft es auch im MasterStudium gut. Lukas beginnt in einer Pressestelle zu arbeiten, verdient Geld für seine Familie. „Irgendwann habe ich aber auf der Arbeit gemerkt, dass ich mich auf einige Projekte zu sehr fokussiere 33

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des Glücks. „Ich muss versuchen, es im Kleinen zu finden.“ In Mitpatienten, die zu Freunden werden, weil sie ihm eine kleine Handsalbe schenken. In Kastanien, die er beim Spazierengehen findet. In seinen Kindern. Von seiner Freundin ist er inzwischen getrennt, seine Krankheit hat das Familienleben zu sehr belastet. Und das Studium? Nur zwei Seminararbeiten hat er im vorigen Jahr schreiben können. Aber das ist eben so: „Sobald man psychisch erkrankt ist, kann man vergessen, das Studium in Regelstudienzeit durchzuziehen“, sagt Lukas. Jede Seminararbeit hat eine Deadline. Und jede Deadline macht ihn kirre. „Obwohl man mit einer solchen Krankheit zu viel denkt, arbeitet man einfacher langsamer.“ Klar, ihm wird viel mehr verziehen von Profs und anderen Studenten, wie er selbst sagt. Und die Universität ist auch bemüht, Menschen mit Behinderung oder – so wie in seinem Fall – mit einer chronischen Krankheit, einzubinden: „Aber diese Angebote der Uni muss man auch erst mal wahrnehmen.“ Viel größer sind die Hürden in den Köpfen


seiner Mitmenschen. „Man sieht mir meine Krankheit nicht an, ich trage kein T-Shirt, auf dem steht: ‚Ich bin manischdepressiv‘.“ Einen Uni-Alltag gibt es für Lukas derzeit nicht. Nicht nur, dass er viele Therapie-Sitzungen hat. Es ist auch nicht sinnvoll, in der Therapie zu viel Zeit des Tages für die Uni aufzubringen. Die Komplikationen lauern für Lukas eher im persönlichen Umfeld, im Privatleben, weniger in der Uni. Ein Freund sagte ihm einmal, er müsse zur Heilung besonders viel Sport treiben. „Und tat dabei so, als sei Sport das Mittel der Wahrheit.“ Und selbst wenn andere von der Krankheit wissen, „dann nervt es doch sehr, wenn man jede meiner Ansichten der Krankheit zuschreibt.“ Er äußert seine Meinung zum Klimawandel – „und die wird der manischen oder depressiven Krankheitsphase zugeschoben. Die Hürden sind einfach höher, andere zu überzeugen.“ Und das, obwohl viele Depressive doch eine sehr differenzierte Meinung haben – besonders zu den negativen Dingen des Lebens. „Depressive Menschen haben in ihrem Pessimismus ein besonderes Organ dafür. Man könnte sagen: Sie sehen quasi ‘50 shades of black‘.“

„Ich bin einfach froh, hier zu sein“ Für Lukas besonders schwierig: Zeiten des Umbruchs. Nach seiner Ausbildung war er orientierungslos. Jetzt ist er es auch. Er sagt von sich selbst, es fehle ihm an Selbstbewusstsein, an Sicherheit. Nicht zu wissen, was er mit der Zukunft machen möchte, belastet ihn. Auch Forschungsarbeiten sind immer wieder Zeiten der Unsicherheit. „Ich wäre total erleichtert, wenn ich wüsste, was in der Zukunft kommt“, sagt Lukas. Nach der Behandlung geht es für ihn zurück zu seinen Eltern. Lukas‘ Krankheit bestimmt sein Leben – schon wieder. Nach der stabilen Phase ist vor allem das vergangene Jahr „sehr erschreckend gewesen“, meint er. Und wer ist Lukas, wenn man die Krankheit vergisst? Er spielt ab und zu Klavier oder sitzt in Cafés, um Kaffee zu trinken, zu lesen – oder selbst zu schreiben. Zum

Beispiel Kurzgeschichten. „Ich habe aber auch meine Erlebnisse aus der Psychose aufgeschrieben und ein Heft daraus gebunden. Da war besonders meine Mutter entsetzt.“ Auch Theater ist ein Hobby von ihm gewesen, besonders in seiner Zeit in Münster. Aus der eigenen Rolle heraus, „hinein in ein anderes Emotionsgewand“, sagt Lukas. Die Lacher des Publikums, der Applaus, das gefällt ihm. 34

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Im Moment aber ist er einfach froh, hier zu sein – „in relativer Ruhe und mit fester Tagesstruktur.“

*Name von der Redaktion geändert


Studieren aus der Psychiatrie? Studium und Behandlung – geht das überhaupt zusammen? Hans Joachim Thimm ist Psychiater und leitender Oberarzt in der LWL-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Dortmund. Ausschließen müssen sich Uni und Therapie nicht, meint der Experte. TEXTSILAS SCHEFERS FOTOLWL-KLINIK DORTMUND

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err Thimm, wenn sich ein Student in psychiatrischer Behandlung befindet, ist es dann sinnvoll, dass er sein Studium weiter verfolgt? Wenn ein Patient in Behandlung kommt, müssen wir mit ihm natürlich kritisch prüfen, ob es richtig wäre, das Studium zu unterbrechen. Trotzdem gilt: Eine Behandlung ist erst einmal kein Hindernis für ein Studium. Beides schließt sich nicht grundsätzlich gegenseitig aus. Ist es der Normalfall, das Studium fortzusetzen, oder nicht? Nein, es ist eher ungewöhnlich. Das liegt aber vor allem am zeitlichen Problem, das sich dann für die Patienten ergibt. Ist ein Patient in stationärer Behandlung, also für einen gewissen Zeitraum durchgehend in der Klinik, ist es kaum möglich, Therapie und Studium zu vereinen. Denn wer stationär in der Klinik ist, ist mit vielen Therapiestunden beschäftigt. Ist ein Student aber in einer ambulanten Behandlung, bleibt er also nicht über Nacht in der Klinik, ist ein Studium währenddessen vorstellbar. Nach einer erfolgten stationären Behandlung ist es durchaus möglich, ein unterbrochenes Studium wieder aufzunehmen. Wer studiert, hat oft auch psychischen Druck. Ist das kein Problem? Eine ambulante Therapie bietet mir die Möglichkeit, mich zu reflektieren. Und wenn ich mich im Rahmen der Psychotherapie regelmäßig professionell reflektieren kann, bekomme ich einen anderen

Zugang zur Belastung im Studium. Klar ist: Bei einigen Erkrankungen schließt sich ein Studium von vorneherein aus. Akute Psychosen zum Beispiel schränken die kognitiven Leistungen ein – ein Studium ist in diesem Zustand unrealistisch. Und bei anderen Krankheiten? Bei welchen Diagnosen ist ein Studium während der Behandlung denkbar? Etwa bei Belastungsreaktionen, also wenn die Psyche unangemessen auf Belastungen im Beruf oder im Studium reagiert. Diese Reaktionen dauern meistens nicht lange an. Auch bei Krisen oder bei Depressionen ist ein Studium neben der ambulanten Behandlung möglich. Zumindest, wenn das Leiden nicht akut ist. Kann das Studium auch positive Auswirkungen auf die Krankheit haben? Ja, auch das geht. Ein Studium kann etwas sehr Zukunftsweisendes sein. Außerdem können mich das Studium und der soziale Lebensraum „Universität“ stabilisieren – zum Beispiel bei einer Depression. Apropos „Lebensraum Universität“: Glauben Sie, dass die Institution „Uni“ gut auf psychische Krankheiten eingestellt ist? Ich glaube, oft bekommt die Universität gar nicht mit, dass jemand ausfällt, weil er in Behandlung ist. Die betroffene Person kommt dann einfach nicht mehr in die Uni. 35

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Ansprechpartner Ihr braucht Hilfe? An diese Anlaufstellen könnt ihr euch wenden! Die offene Sprechstunde der psychologischen Studienberatung der TU Dortmund ist dienstags von 10 bis 11.30 Uhr, donnerstags von 13 bis 14.30 Uhr und freitags von 10 bis 11.30 Uhr in der Emil-Figge-Straße 61. Zur telefonischen Sprechstunde erreicht ihr die Studienberatung montags von 13 bis 13.30 Uhr und mittwochs von 8.30 bis 9 Uhr unter 0231 / 755 5050. Mehr Informationen: www.tu-dortmund.de/uni/studierende/beratung/psychologische Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Dortmund informiert über Selbsthilfe und vermittelt in bestehende Gruppen. Erreichbar unter 0231 / 52 90 97 und selbsthilfe-dortmund@paritaetnrw.org. Mehr Informationen: www.selbsthilfe-dortmund.de Das Krisenzentrum Dortmund ist für eine kurzfristige Terminabsprache am besten telefonisch unter 0231 / 43 50 77 zu erreichen. E-Mail-Kontakt ist unter kontakt@klinikum-westfalen. de möglich. Das Krisenzentrum bietet lediglich Krisenintervention und keine langfristige Behandlung an. Maximal fünf Termine sind möglich. Mehr Informationen: www.krisenzentrum-dortmund.de


ZWISCHEN ARBEIT UND GENUSS Bis zu fünf Mal im Monat geht Kristin Häring in die Oper. Wo andere genießen, arbeitet sie – aus ihrer Sicht ein Luxus. In der Dortmunder Oper ist sie für die Übertitel verantwortlich. TEXTHENRIK WITTENBORN FOTOKRISTIN HÄRING

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berer Rang, letzte Reihe, eingeschränkter Blick auf die Bühne in einer kleinen Kammer – da, wo es keinen Zuschauer hin verschlägt. Kristins Arbeitsplatz in der Oper ist zweckmäßig eingerichtet. Die Aufführungen in der Oper sind für sie nicht nur Vergnügen, sondern stundenlange Konzentrationsphasen. Arbeiten, wo andere genießen? Kristin mag das. „Das ist keine Arbeit für mich, sondern etwas Schönes“, sagt die 23-Jährige. In der Oper ist sie mit zwei Kolleginnen für die sogenannten Übertitel verantwortlich. Während jeder Vorstellung werden die gesungenen Texte ins Deutsche übersetzt und mit einem Beamer für die Zuschauer über die Bühne projiziert. Kristins Arbeitstag beginnt 30 Minuten vor dem Start der Vorführung: Schlüssel holen, Laptop hochfahren, noch einmal prüfen, ob alles an Ort und Stelle ist. Den Großteil ihrer Vorbereitung hat sie bis dahin längst abgeschlossen. Bei mindestens einer Probe muss sich Kristin mit dem Stück vertraut machen, um nicht ihren Einsatz zu verpassen. Denn auch hundert Jahre alte Opern bergen Überraschungsmomente. „Sich die nötigen Fähigkeiten anzueignen, ist schwierig. Es führt kein Weg daran vorbei, Noten lesen zu können“, sagt Kristin. Ansonsten entwickelt jeder „Übertitler“ im Laufe der Zeit seine eigene Technik. Kristin, selbst Querflöten- und Saxofonspielerin, orientiert sich während der Stücke an den Holzblasinstrumenten, um im richtigen Moment den entsprechenden Text einzuspielen. Ein Sprachgenie muss sie

für ihren Job nicht sein, die Übersetzung ist Aufgabe der Dramaturgen. Trotzdem ist der Job anspruchsvoll. „Ich richte meinen Tag auf meinen Einsatz abends aus, damit ich wach und konzentriert bin.“ Arbeiten muss sie überwiegend am Freitag-, Samstag- und Sonntagabend, wenn ihre Kommilitonen das Wochenende genießen. „Das habe ich aber nie als Nachteil empfunden. Feiern gehen kann ich nach der Arbeit und ich verdiene nicht schlechter als Kellner, die stundenlang körperlich gefordert sind. Mein Job ist Luxus für mich.“ Auch wenn Kristin während der Aufführungen hochkonzentriert sein muss, bleibt nach dreieinhalb Jahren Erfahrung und rund 30 verschiedenen Opern, an denen sie als Übertitlerin mitgewirkt hat, immer Zeit zum Genießen.Das macht sie übrigens im Schlabberlook – eine vorgeschriebene Arbeitskleidung gibt es für Übertitler nicht. Das ist nicht immer von Vorteil: „Ich muss vor jeder Vorführung durch das Foyer, um an meinen Platz zu kommen. Einmal fragte mich eine ältere Dame, was mir einfallen würde, in so einem Aufzug in die Oper zu gehen.“ Aktuell schreibt Kristin an ihrer Bachelor-Arbeit im Fach Musikjournalismus, danach soll es mit dem Master weitergehen. Ihre berufliche Zukunft sieht sie nicht unbedingt in der Oper. Bis ihr letzter Vorhang in Dortmund fällt, hat Kristin aber noch einen Wunsch. „Meine Lieblingsoper ist Madama Butterfly von Puccini. Die würde ich gerne mal übertiteln.“


Hingeschaut Hüpfburgen sind für uns Studenten zwar spaßig, aber definitiv zu klein. Deshalb entstehen in ganz Deutschland gerade riesige Trampolinhallen, in denen man sogar von den Wänden zurückgefedert wird. Unser Autor Marlon Schulte hat die Halle JumpXL in Dortmund getestet. TEXt&Fotomarlon schulte

„Das kommt Gott sei Dank nicht oft vor. Vielleicht einmal in zwei Monaten, wenn überhaupt. Ins Krankenhaus musste aber noch niemand.“ Viele merken wahrscheinlich auch erst später, was sie sich da eigentlich angetan haben. So wie ich – am nächsten Tag schmerzt mein Nacken, als ob ich Gewichte gestemmt hätte. Aybar gibt den Tipp, die Arena unter der Woche zu besuchen, da am Wochenende viel mehr los sei. Falls gewollt, kann man die Halle auch vorher reservieren und für Veranstaltungen mieten. In Zukunft sind außerdem Trampolinfitness-Kurse und Trickschulen geplant, in denen man Salti und andere Kunststücke lernen kann.

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ch habe es geahnt. Gestern bin ich noch wild durch die Gegend gesprungen, heute liege ich mit Muskelkater im Bett. Anderthalb Stunden JumpXL sind also genug, um mich zur Unbeweglichkeit zu zwingen. Nach eigener Aussage ist JumpXL in der Nordstadt die erste Trampolin-Arena in Deutschland. Seit 2014 kann hier jeder zeigen, was er in der Luft so drauf hat. 23 Trampolin-Felder in unterschiedlichen Größen gibt es auf dem Boden und sogar an den Wänden, gegen die man springen kann und zurückgefedert wird. Klingt nach ausreichend Platz – es wird aber auch schnell eng auf dem Sprungfeld. Ursprünglich stammt der Trend aus den USA. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland bereits acht Hallen, unter anderem in Dortmund, Duisburg und Gelsenkirchen. Weil sie so beliebt sind, sollen die Sprung-Arenen in diesem Jahr bundesweit noch an 20 weiteren Standorten eröffnen. Darun-

ter eine zweite in Dortmund sowie in Moers, Essen und Münster. Als ich die Halle besuche, sind neben mir einige wilde Kinder da und bringen sich vor lauter Euphorie in heikle Situationen. Softbälle fliegen nur ein paar Zentimeter an den Köpfen vorbei, Schaumstoffblöcke werden umgerissen, und manchmal hängt auch jemand an einem Basketballkorb – trotz des großen Verbotsschilds direkt daneben. Für noch mehr Abwechslung beim Springen kann man auf den Feldern eine Art Völkerball oder Basketball spielen. Manche Hallen haben auch mit Schaumstoff gefüllte Gruben, um Tricksprünge zu üben. Ich frage mich, wie oft bei dem Chaos wohl der Krankenwagen in die Trampolin-Arena anrücken muss. Geschäftsführer Furkan Aybar aber sagt: 37

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Was? Eine ganze Menge „Jump-Action“ Wo? Schlägelstraße 58 (im Spiel-Center MonkeyTown), Dortmund Wann? Montag bis Donnerstag von 14-19 Uhr; Freitag von 14-20 Uhr; Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 10-20 Uhr Anfahrt? vom Dortmunder Hbf mit der U-Bahn bis Stadtgarten, von dort mit der U42 Richtung Grevel bis Eisenstraße, dann noch zwei Minuten Fußweg Wie teuer? Freies Springen für 7,50 Euro (pro Stunde); 11er-Karte (11 Stunden Springen, frei aufteilbar, auch auf mehrere Personen) für 71,50 Euro Weitere Infos: www.superJumpxl.com/de Alternativen in NRW: JumpClub: Kurt-Schuhmacher-Straße 157, Gelsenkirchen; Superfly Ruhr: Sternbuschweg 360, Duisburg


Abgefahren Ihr wollt Kultur, Action und Abenteuer? Wir gehen mit dem NRW-Ticket bis ans Limit und nehmen euch mit auf eine Reise durch das Ruhrgebiet und darüber hinaus. Diesmal: das Marta in Herford. TEXtlara mertens FotoMuseum Marta/Helmut Claus

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er in NRW Kultur und Ausstellungen erleben will, fährt meist nach Köln oder Düsseldorf. Ostwestfalen ist da weniger bekannt für seine Kulturszene. Von Herford, dieser Kleinstadt irgendwo bei Bielefeld, dürften viele auch abseits von Kultur noch nichts gehört haben. Dabei steht hier das Museum des Jahres 2014 – dazu wurde es zumindest von einem Kunstkritikerverband gewählt. Das Marta, das in der Stadt bei seiner Eröffnung 2004 für einige Turbulenzen sorgte: Viel zu hohe Kosten, viel zu ausgefallene Architektur. Das Marta erinnert an einen Haufen zerknautschter roter Schornsteine. Entworfen wurde es von Frank Gehry, der auch das Guggenheim-Museum im spanischen Bilbao entworfen hat. Auf einer riesigen Edelstahlplatte prangt der ungewöhnliche Name des Museums: Marta setzt sich zusammen aus M für Museum, art und a für Architektur oder Ambiente.

Ins restliche Herforder Kleinstadtbild will das Gebäude so gar nicht hineinpassen. Schon während der vier Minuten Fußweg vom Bahnhof wird der Besucher auf den Museumsbesuch eingestimmt: mit einer Metallkugel mitten auf der Kreuzung, verziert mit einem Rilke-Zitat. Am Eingang begrüßt dann eine Statue von Rap-Legende Tupac Shakur. Poesie meets Popkultur meets Architektur? Im Museum soll Zeitgenössische Kultur gezeigt werden – „neugierig, offen und experimentell“, so verspricht es die Internetseite. Davon ist im Innern nicht viel zu sehen: Eine Dauerausstellung gibt es nicht, dafür werden temporär Arbeiten verschiedener Künstler gezeigt. Im Erdgeschoss wurden Anfang des Jahres zum Beispiel Installationen des amerikanischen Künstlers Mark Dion ausgestellt. Sammlungen, Fotos, Objekte zum Thema Natur, ein begehbarer Käfig,

in dem Vögel zwischen in einem Baum aufgehängten Büchern umherflattern: Fast fühlt man sich, als sei man in einem Naturkundemuseum gelandet. Zurzeit werden unter dem Titel „Brutal schön“ Designobjekte unterschiedlicher Künstler zum Thema Gewalt gezeigt – auch im Kontext aktueller Bedrohungen wie der des Terrorismus. Die Ausstellungsthemen sind vielfältig und zuweilen auch etwas schräg. So werden ebenfalls in diesem Jahr Fotos und Zeichnungen von Teppichen gezeigt sowie Werke, die sich mit der Farbe Grün beschäftigen. Im Mittelpunkt steht eindeutig die Kunstform Design. Installationen, Objekte, Video und Performance – jede Ausstellung hat den Anspruch, ein Gesamtkunstwerk zu sein. Die Anordnung der Objekte scheint sorgfältig konzipiert. Fans der ausstellenden Künstler oder alle, die sich für eine Ausstellung interessieren, kommen im Marta sicher auf ihre Kosten. Um nur die Architektur zu bewundern oder sich vom Museum überraschen zu lassen, lohnen sich die anderthalb Stunden Fahrt nach Herford nicht. Wo? Marta Herford, Goebenstraße 2-10, 32052 Herford Anfahrt? ­Mit dem RE6 bis Herford, vom Bahnhof sind es vier Minuten zu Fuß Wann? Dienstag-Sonntag und an Feiertagen von 11-18 Uhr, jeden ersten Mittwoch im Monat von 11-21 Uhr Wie teuer? Für Studenten 4,50 Euro, jeden Dienstag ab 16 Uhr und jeden ersten Mittwoch im Monat ab 18 Uhr ist der Eintritt frei Weitere Infos: www.marta-herford.de

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Impressum Herausgeber Institut für Journalistik, TU Dortmund Projektleiterin Prof. Dr. Wiebke Möhring Redaktionsleiterin Sigrun Rottmann Redaktion Uni-Center, Vogelpothsweg 74, Campus Nord, 44227 Dortmund Tel.: 0231/755-7473, post@pflichtlektuere.com Chefin vom Dienst Julia Knübel Redaktionsassistent Christian Klein Textchef Nico Feißt Illustrationen & Icons Alina Fuhrmann Freepik.com Fotoredaktion Daniela Arndt, Ramesh Kiani, Julia Schindler Layout & Grafik Naima Fischer, Olga Kourova, Anneke Niehues, Martin Schmitz, Stella Venohr, Philipp Ziser Redakteure und Reporter Daniela Arndt, Lukas Arndt, Markus Bergmann, Claudia Brade, Richard Brandt, Johanna Daher, Till Dörken, Niklas Dummer, Pia Lisa Kienel, Svenja Kloos, Tim Kröplin, Lara Mertens, Sophie Schädel, Silas Schefers, Marlon Schulte, Stella Venohr, Carolin West, Henrik Wittenborn Druck Hitzegrad Print Medien & Service GmbH Auf dem Brümmer 9 44149 Dortmund

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