Paraplegie September 2023

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SCHWERPUNKT

Freizeit im Rollstuhl –

Lust auf Erlebnisse

Aktivitäten mit Suchtpotenzial

Mathias Studer bestimmt seinen Takt selbst

Wenn der Darm das Leben dominiert

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SPORTLERIN AUS LEIDENSCHAFT.

DANK IHRES LEGATS.

Ihr Legat bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung ermöglicht Menschen mit Querschnittlähmung ein Leben als Sportler*in.

Danke für Ihre Solidarität. paraplegie.ch/erbrechner

Liebe Leserin, lieber Leser

Es sind Bilder, die mir unvergesslich bleiben. Wenn die Teilnehmenden der Fernsehsendung

«SRF Ohne Limit» das Ziel in Airolo erreichen, dann brechen die Emotionen der letzten Tage auf einen Schlag aus ihnen heraus. Die Achterbahn mit Hochs und Tiefs, die Grenzerfahrungen, das Über-sich-Hinauswachsen, der Stolz, die Erleichterung. Gleichgültig, auf welchem Platz sie landen – sie alle wissen, dass sie etwas ganz Besonderes geleistet haben.

Diese Leistung ist nur möglich, weil beim Wettbewerb über die Alpen Rollstuhlfahrende sowie Fussgängerinnen und Fussgänger in Teams unterwegs sind. Die Teilnehmenden unterstützen sich gegenseitig und finden zusammen Lösungen. Wo eine Person allein resigniert aufgeben würde, hilft das Team, körperliche und mentale Grenzen zu überwinden: Gewinnen – das geht nur gemeinsam.

Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) hat diese SRF-Produktion mit ihrem Know-how unterstützt, weil sie für «Inklusion pur» steht. Ob ein Mensch querschnittgelähmt ist oder nicht, ändert nichts an seinen persönlichen Wünschen. Weshalb sollte er bei einem solchen Abenteuer nicht dabei sein, wenn das Umfeld stimmt und die Sicherheit gewährleistet ist?

Letztlich geht es um gesellschaftliche Vorurteile und die Freiheit, selbstständig und ohne Diskriminierung über sein Leben entscheiden zu können. Dies ist auch das Ziel der breit abgestützten Inklusions-Initiative, die ganz der Haltung der SPS entspricht. Es wäre schön, wenn dieses wichtige Anliegen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung das Ziel in Bern ebenso kraftvoll erreichen würde wie die Teilnehmenden Airolo.

Herzlichen Dank für Ihre Solidarität,

22 BEGEGNUNG

SCHWERPUNKT

8 INTEGRATION

Aktivitäten mit Suchtpotenzial

12 REISEN

Die Lust auf das Fremde

14 FEUERWEHR

Michaela Vogler engagiert sich

16 KLETTERN

Angela Fallegger wagt sich an steile Wände

18 PSYCHOLOGIE

«Ich schaue staunend zu»

19 KUNSTHANDWERK

Schmuck aus Haaren

20 FREIZEITVERGNÜGEN

Fünf Personen und ihre Hobbys

Mathias Studer bestimmt

seinen Takt wieder selbst

27 INTENSIVSTATION

Chefarzt Renato Lenherr gibt

Auskunft

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DARMSPRECHSTUNDE

Wenn der Darm das Leben dominiert

30 HILFSMITTEL

Elektronik unterstützt

Gion Stifflers Alltag

31 ACTIVE COMMUNICATION

Elia Di Grassi löst Probleme

Titelbild: Lorraine Truong im Skatepark. Die 33-jährige Westschweizerin wurde 2022 Weltmeisterin in der Trendsportart WCMX (siehe Seite 20).

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 3 MAGAZIN DER GÖNNER-VEREINIGUNG DER SCHWEIZER PARAPLEGIKER-STIFTUNG 16 22
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Erfolgreiche Lehrabschlüsse

Anfang Sommer stellten 28 Lernende der Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG) ihr Können unter Beweis und absolvierten ihre Lehrabschlussprüfung. Dabei haben alle Lehrabsolventinnen und -absolventen erfolgreich bestanden. Wir gratulieren den Lernenden und freuen uns, dass sich mehr als die Hälfte dafür entschieden hat, als Fachkräfte weiterhin in der SPG zu arbeiten.

paraplegie.ch/ karriere

250 000 EinwegPlastikbecher

wurden 2022 im Restaurant Centro des Schweizer

Paraplegiker-Zentrums durch die Einführung von Trinkgläsern eingespart. Die Gäste können sich an den Wasserstationen kostenlos bedienen.

Überragende Schweizer Leistungen

Wegbegleiter im SPZ

Sich im Ganglabyrinth einer Klinik zurechtzufinden, ist nicht immer einfach. Und wer vom Empfang zum ambulanten Operationstermin muss oder einen gerade eingelieferten Angehörigen zum ersten Mal auf der Intensivstation besucht, ist von Emotionen wie Unsicherheit oder Sorge abgelenkt. Mit dem Wegbegleiter Todor Todorov (Bild) bietet das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in solchen Situationen eine besondere Unterstützung an. Auf Wunsch werden Patientinnen und Patienten, Angehörige und Besuchende vom sympathischen Mitarbeiter des Hausdiensts beim Empfang abgeholt und auf die Station oder zum Termin begleitet. Der persönliche Austausch bietet Sicherheit und Ruhe und ist Teil der Willkommenskultur in Nottwil.

Auskunft: T 041 939 54 54

An den Leichtathletik-Weltmeisterschaften im Juli in Paris zeigte die zehnköpfige Schweizer Delegation, angeführt von Catherine Debrunner (rechts), Manuela Schär (links) und Marcel Hug, überragende Leistungen. Nicht weniger als vierzehn Medaillen (achtmal Gold, sechsmal Silber) krönen die erfolgreiche WMKampagne des Schweizer Teams. Dabei überzeugte auch Weitspringerin Elena Kratter (Mitte): Sie gewann bei ihrer WM-Premiere Silber. Diese Leistungen sichern der Schweiz sechs Quotenplätze für die Paralympics 2024, die ebenfalls in Paris stattfinden werden.

CAMPUS NOTTWIL 4 PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023

Höchster Schweizer besucht Nottwil

54 Tank wagen

à 10 000 Liter Heizöl konnte das Schweizer Paraplegiker-Zentrum dank seinen Seewasserpumpen im Jahr 2022 einsparen.

Eine Unaufmerksamkeit, falsche Risikoeinschätzung oder einfach Pech – niemand ist davor gefeit, querschnittgelähmt zu werden. Dies wurde Martin Candinas, Nationalratspräsident und höchster Schweizer im Jahr 2023, beim Besuch der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) in Nottwil bewusst. Auf Einladung von SPS-Präsidentin Heidi Hanselmann hat sich Candinas über aktuelle Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung und der Hilfsmittelbeschaffung informiert. Nach der Führung durch die Spezialklinik traf Candinas Spitzensportler Marcel Hug in der Trainingshalle. Mit dem Besuch brachte Martin Candinas seinen Respekt für das bedeutende Werk in Nottwil, für Menschen mit Querschnittlähmung und ein inklusives Zusammenleben zum Ausdruck. Seine Bilanz: «Der heutige Tag hat mir einmal mehr aufgezeigt, wie wichtig Solidarität und ein gemeinsames Einstehen füreinander sind. Ich bin sehr beeindruckt, mit welcher Leidenschaft sich die Mitarbeitenden in Nottwil für querschnittgelähmte Menschen einsetzen.»

Kita «Paradiesli» eröffnet

Am 12. Juni, 6.30 Uhr war es so weit: Die neugebaute Kindertagesstätte «Paradiesli» auf dem Campus Nottwil öffnete ihre Türen. Die private Kita mit 48 Betreuungsplätzen wurde für die Mitarbeitenden der Schweizer Paraplegiker-Gruppe errichtet. Betreut werden vorschulpflichtige Kinder ab vier Monaten bis zum Kindergarteneintritt. Die Mitarbeitenden profitieren von einem einkommensabhängigen Tarif und flexiblen Anpassungsmöglichkeiten an die Dienstpläne.

Packender Dokumentarfilm

In der Topform seines Lebens bricht der Schweizer Rollstuhlathlet Marcel Hug (37) alle Rekorde. Sein Rennrollstuhl aus Carbon gilt als «der schnellste der Welt». Hinter der Innovation aus Nottwil steht ein eingeschworenes Team mit einer klaren Mission: Grenzen verschieben – und Gold holen! Der 28-minütige Dokumentarfilm GO4GOLD zeigt nicht nur den abenteuerlichen Entwicklungsweg des Hightech-Renngefährts made in Switzerland, sondern auch Marcel Hugs Nervenkitzel auf dem Weg zu paralympischem Gold in Tokyo. Eine wahre und fesselnde Geschichte. paraplegie.ch/

CAMPUS NOTTWIL PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 5
g4g
V.l.: Heidi Hanselmann, Marcel Hug, Martin Candinas

Ausgerüstet für Spitzenleistungen

Der OT FOXX-Rennrollstuhl aus Nottwil beflügelt eine ganze Sportart.

Neu auch zwei starke Fahrerinnen aus Australien und den USA.

In der Trainingshalle des Schweizer Paraplegiker-Zentrums gibt Madison de Rozario auf dem Laufband Gas. In ihrem Fall sind das kräftige Armstösse, mit der die sechsfache Paralympics-Medaillengewinnerin den brandneuen Rennrollstuhl rasant beschleunigt. Die 29-jährige Mittel- und Langstreckenspezialistin aus Perth (AUS)

hat sich für den OT FOXX von Orthotec entschieden, einer Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung.

Bereits zum zweiten Mal ist Madison de Rozario nach Nottwil gereist, um das massgefertigte Gefährt aus Carbon optimal auf sich anpassen zu lassen. Zuerst wurde das ideale Chassis definiert. Beim zweiten paraplegie.ch/

Besuch dann die passgenaue Auspolsterung. Die Athletin ist überzeugt, damit «das bestmögliche Equipment» für ihre weitere Karriere gefunden zu haben.

In Übersee angekommen

Auch Tatyana McFadden kam für ihren neuen Rennrollstuhl eigens nach Nottwil. Die 34-jährige Amerikanerin mit russischer Herkunft hat bereits zwanzig paralympische Medaillen im Gepäck und fährt auf allen Strecken. «Das Gerät passt zu mir», sagt sie. «Es ist perfektionistisch und auf Performance fokussiert.»

Schon nach kurzer Zeit beflügelt das Hightech-Gefährt, das von Orthotec, Sauber Technologies und Swiss Side entwickelt wurde, eine ganze Sportart. Mit den beiden begeisterten Athletinnen ist es nun auch in Übersee angekommen.

(red / baad)

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otfoxx
Letzte Arbeiten an Tatyana McFaddens Rückenpolster in der Sportarena.
CAMPUS NOTTWIL
Madison de Rozario testet ihren OT FOXX in der Trainingshalle in Nottwil.

Er kennt kein Limit

Walter Eberle liebt es, beim Extremsport körperliche Grenzen auszuloten. Das neueste Abenteuer des Sportbegeisterten: die Teilnahme bei «SRF Ohne Limit».

1998 verunfallt Walter Eberle mit dem Gleitschirm und wird querschnittgelähmt. Der 61-jährige Liechtensteiner kann seiner Leidenschaft Sport auch im Rollstuhl nachgehen – davon zeugen mehrere Schweizermeister-Titel und ein Europacup-Gesamtsieg im Handbike.

Dann entdeckt Walter Eberle den Ultratriathlon, den Wettkampf über die mehrfache Ironman-Distanz. 2017 bestreitet er seinen ersten fünffachen Langdistanztriathlon. Das heisst: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer mit dem Handbike sowie einen Marathon im Rennrollstuhl –und dies an fünf Tagen in Folge. Zwei Jahre später schafft er als erster Paratriathlet gar den Zehnfach-Ironman.

Abenteuer im Schweizer Fernsehen Seine Lust am Abenteuer beweist Walter Eberle auch durch die aktuelle Teilnahme

bei «SRF Ohne Limit». In der TV-Sendung treten er und seine Teamkolleginnen Askia Graf und Brigitte Eberle gegen zwei andere Teams mit je einer Person im Rollstuhl an. Sie überqueren den Gotthardpass abseits der bekannten Wege und absolvieren dabei täglich eine «Challenge».

Die Teams übernachten im Freien, sie haben kein Handy dabei, das Essen ist rationiert und sie wissen nicht, was sie erwartet. «Die Teilnahme bei ‹SRF Ohne Limit› ist ein Abenteuer mit vielen Erlebnissen, Strapazen, Höhen und Tiefen», sagt Walter Eberle. Normalerweise habe er für seine Aktivitäten einen Plan. Dieses Mal ist alles anders: «Ich muss loslassen und schauen, was auf mich zukommt.»

Vor dreissig Jahren wäre ein solcher Wettkampf für Rollstuhlfahrende kaum möglich gewesen, sagt der Mitarbeiter des Liechtensteiner Behinderten-Verbands:

«SRF Ohne Limit»

In der fünfteiligen Serie «SRF Ohne Limit» bestreiten Menschen mit und ohne Querschnittlähmung einen Wettkampf um grosse Herausforderungen. Dabei ist Inklusion ein wichtiges Anliegen. Die Schweizer Paraplegiker­Stiftung unterstützt die TV­Serie als Sendungspartnerin. Die Ausstrahlung läuft noch bis 15. September auf SRF 1.

paraplegie.ch/ ohne-limit

«Dank der Schweizer Paraplegiker-Gruppe können Rollstuhlfahrende heute bis ins hohe Alter aktiv bleiben.»

Dass er mit seinem Rollstuhl sogar die steinigen Wanderwege am Gotthard bewältigen kann, das hätte selbst Walter Eberle nicht für möglich gehalten. Sein Fazit: «Durch dieses Abenteuer werde ich noch demütiger gegenüber dem, was uns die Natur gibt – und auch gegenüber meinem Alltag.»

(nean / najo)

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 7 CAMPUS NOTTWIL
Mit Teamkollegin Askia Graf lässt sich Walter Eberle auf ein einmaliges Abenteuer ein.

Aktivitäten mit Suchtpotenzial

In der Freizeit sollte man nicht unfreiwillig zu Hause sitzen müssen, weil geeignete Angebote fehlen. Wie unterstützt die Schweizer Paraplegiker-Gruppe dabei Personen im Rollstuhl?

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Wer Freizeitangebote für Menschen mit Querschnittlähmung sucht, stösst bald auf eine breite Palette an Sportaktivitäten. Das ist kein Zufall. Denn Sport fördert nicht nur den regelmässigen Austausch mit anderen Betroffenen. Er ist auch wichtig, damit sie im Alltag besser mit ihren Einschränkungen umgehen können. Ein gestärkter Körper beugt Folgeerkrankungen vor und erleichtert die vielen Transfers in den Rollstuhl.

Für den 41-jährigen Murat Pelit ist Sport ein Teil seines Lebens. Bereits als Kind springt der Tessiner mit Rollschuhen von Mauern, er spielt Eishockey und fährt Snowboard. Mit 21 Jahren wird bei ihm ein Tumor am Kreuzbein entdeckt. Die Folge sind zahlreiche Operationen und eine inkomplette Paraplegie. Während der Rehabilitation in Nottwil denkt Pelit ständig an seine geliebten Berge – und entdeckt den Monoskibob.

Als Wettkämpfer erhält er den Spitznamen «Bode Miller des Para-Ski»: Auf Topklassierungen folgen spektakuläre Ausfälle. «Sport ist auch eine Lebensschule», sagt er. «Ich bin dabei als Person gewachsen.» Seine Karriere beendet Murat Pelit nach den paralympischen Spielen 2022. Er hat jetzt eine Familie im Kopf.

Dank Sport zum Naturerlebnis

Seit 2018 führt der Tessiner Kurse für Menschen mit Einschränkungen durch und hat dafür die Firma und Stiftung Ti-Rex Sport gegründet. Er sagt: «Ich wollte auch anderen Betroffenen die Möglichkeit geben, an diesen Emotionen teilzuhaben, etwas Neues auszuprobieren und die Berge und die Natur zu geniessen.» Über Stock und Stein fahren seine Offroad-Downhill-

Handbikes. Und für den Adrenalinkick auf dem Wasser hat er Sit-Wakeboards.

Auch im Auftrag der Schweizer ParaplegikerVereinigung (SPV) gibt Pelit Kurse. «Wir können nicht alles von Nottwil aus abdecken», erklärt Thomas Hurni, der in der SPV den Bereich Breitensport – Freizeit – Gesundheit leitet. Sein Team will dazu motivieren, lebenslang Sport zu treiben und sich zu bewegen. Jeder Mensch soll in der Freizeit etwas erleben dürfen und Gleichgesinnte treffen, sagt Hurni. «Doch der Weg hinaus in die Natur ist für Menschen mit Querschnittlähmung gar nicht so einfach.»

Hier hilft die SPV. Im Bereich Breitensport zeigt sie Kindern, was im Rollstuhl alles möglich ist. Erwachsene haben auch Zugang zu AdrenalinSportarten und Wettkämpfen. Und bei älteren Menschen steht das Rundum-sorglos-Paket im Vordergrund. Zudem gibt es jährliche Events für aufwändig zu organisierende Sportarten wie Wasserski. Dieses Angebot wird nach den Bedürfnissen der Betroffenen ständig weiterentwickelt und schliesst die Rollstuhlclubs in den Regionen mit ein.

Polizeieskorte durch Bern

Um Sport treiben können, benötigen Menschen mit Querschnittlähmung angepasste Geräte. Die technologische Entwicklung verschiebt dabei

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 9 SCHWERPUNKT
«Sport ist eine Lebensschule: Ich bin als Person gewachsen.»
Murat Pelit
Murat Pelit liebt die Natur und starke Emotionen: beim Wakeboarden, Handbiken und im Monoskibob.

Reisen mit der SPV

Die Schweizer Paraplegiker­Vereinigung (SPV) veranstaltet jährlich rund zwanzig Gruppenreisen für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Reiseziele sind ferne Länder, angesagte Städte, das Meer oder die Berge. In unserem Videobeitrag erzählt Daniel Galliker von seinen Erlebnissen.

immer mehr Grenzen. Ein Höhepunkt im Winter war die Einführung des Tetra-Skis, mit dem auch hochgelähmte Personen Zugang zum Wintersport haben (siehe «Paraplegie» 1/2023). Und für die jüngere Generation steht die Trendsportart WCMX bereit – hier werden mit dem Rollstuhl in einem Skatepark Tricks aufgeführt.

Ein weiterer Höhepunkt ist der «Giro Suisse», eine inklusive Handbike-Tour in dreizehn Etappen quer durch die Schweiz. Der organisatorische Aufwand für das barrierefreie Erlebnis ist immens. Doch die Begegnungen unterwegs und das Strahlen der Teilnehmenden entschädigen das Team für jede Überstunde. Als die HandbikeGruppe 2020 von Bundesrätin Viola Amherd empfangen wurde, haben Motorradpolizisten sie mit Blaulicht durch Bern geleitet. «Das war unglaublich», schildert Thomas Hurni. «Wir fuhren wie Staatsgäste durch die Stadt, über jedes Rotlicht und den Bahnhofplatz hinweg.»

Begehrtes Reiseangebot

Mit der gleichen Leidenschaft kümmert sich Hurnis Team um die Bereiche Kultur und Reisen. Etliche Museen, Theater und Kinos sind heute barrierefrei zugänglich, so kann sich die SPV auf Bereiche fokussieren, die für einzelne Personen schwieriger abzuklären sind. Aktuell läuft ein Pilotprojekt mit der Klubschule Migros im Bereich Weiterbildung. Es präsentiert auf einer Website ausgewählte Kurse an Orten, die barrierefrei zugänglich sind und ein geeignetes Rollstuhl-WC haben. Generell möchte man Hemmschwellen senken und Hürden abbauen, sagt Thomas Hurni. «Unsere Kurse sollen sensibilisieren und Hilfe zur Selbsthilfe bieten.»

Barrierefreie Gruppenreisen für die Mitglieder sind seit vielen Jahren eine Pionierleistung aus Nottwil (siehe Box). Zudem führt die SPV einzigartige Tetraentlastungswochen durch. Sie ermöglichen hochgelähmten Personen eine von Pflegefachleuten und Freiwilligen begleitete Reise, während ihre Angehörigen zu Hause eine Auszeit von den Pflegeaufgaben nehmen können.

Das Reiseangebot der SPV ist begehrt und oft rasch ausgebucht. Die Teilnehmenden sind froh, dass ihre spezifischen Anforderungen als Menschen mit Querschnittlähmung abgedeckt sind und dass sie nicht plötzlich an einem fremden Ort vor unlösbaren Problemen stehen.

Oase im Klinikalltag

Auch innerhalb der Spezialklinik in Nottwil ist Freizeit ein Thema. Eine Rehabilitation am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) dauert in der Regel sechs bis neun Monate, da wird das SPZ für die Patientinnen und Patienten eine Art Zuhause, wo sie die Zeit zwischen den Therapien verbringen und sich um Privates kümmern. Unterstützt werden sie dabei vom Atelier für Gestaltung.

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Barrierefrei andere Länder und fremde Städte besuchen: SPV-Reisen sind Gruppenreisen.
«Der Weg hinaus in die Natur ist für Menschen mit Querschnittlähmung gar nicht so einfach.»
Thomas Hurni
YouTube

Jeweils morgens findet dort im Rahmen der Berufsfindung ein erster Schritt zurück in die Arbeitswelt statt – mit kreativen Tätigkeiten, die den Betroffenen Engagement, Selbstständigkeit und Verantwortung abverlangen. Am Nachmittag steht das Atelier dann allen stationären Patientinnen und Patienten offen. Ohne Termin kommen sie vorbei, nutzen die Infrastruktur und erhalten Hilfe bei der Umsetzung ihrer Ideen.

Als therapiefreie Zone ist das Atelier für Gestaltung eine Oase im Klinikalltag. Einige nutzen das Angebot wöchentlich, andere kommen täglich vorbei. Besonders beliebt ist das Atelier am Weekend. «Viele entdecken hier die kreative Welt», sagt die Leiterin, Christine Meyer. Mit ihren drei Mitarbeiterinnen unterstützt sie das Einrichten der Arbeitsplätze und das Anpassen von Hilfsmitteln wie Handmanschetten, an denen Stifte und Pinsel befestigt werden. «Wir helfen, körperliche Grenzen zu überwinden und schaffen damit Erfolgserlebnisse», sagt sie. Dabei muss das Team oft erfinderisch sein.

Ablenkung vom Schmerz

Die Patientinnen und Patienten nutzen die ganze Bandbreite an kreativen Ausdrucksformen. Männer sind generell etwas zurückhaltender, wenn es um Kreativität geht. Haben sie das Feld entdeckt, arbeiten sie oft mit Holz, Speckstein und Ton. Frauen lieben es eher, Schmuck herzustellen, Bilder zu malen oder Geschenke zu basteln. Dabei zeigt sich ein wertvoller Nebeneffekt, erzählen die Betroffenen: Mit der Konzentration auf die kreative Aufgabe werden sie für eine gewisse Zeit von ihren chronischen Schmerzen abgelenkt –und können im Kopf loslassen.

«Wir sind Teil eines umfassenden Rehabilitationsprozesses, der nicht nur das Körperliche behandelt, sondern auch das Psychische – und

die Seele», sagt Christine Meyer. «So finden die Leute wieder zurück ins Leben.» Nicht selten entstehen beim ungezwungenen Zusammensein im Atelier neue Freundschaften. Nach ihrem Austritt kommen ehemalige Patientinnen und Patienten gerne auf einen Schwatz vorbei, wenn sie in Nottwil sind, und bringen Geschenke.

Das Team erlebe eine grosse Dankbarkeit, sagt die Leiterin des Ateliers und schildert einen besonders bewegenden Moment: «Ein Patient sagte: ‹Ohne euch hätte ich das hier nicht überstanden›.» Für Christine Meyer ist dies der wertvollste Aspekt ihrer Arbeit: die Möglichkeit, den betroffenen Menschen Hoffnung zu geben.

Soziales Engagement

Nach seinem Rücktritt vom Spitzensport entdeckt Murat Pelit eine neue Leidenschaft: Tontaubenschiessen. Bereits trainiert er fünf bis sechs Tage pro Woche für sein grosses Ziel, die Teilnahme an den Paralympics 2028 in Los Angeles.

Doch seine Freizeit besteht nicht nur aus Sport. Seit zwanzig Jahren ist er Vizepräsident des Vereins Esperance ACTI, der humanitäre Projekte in Vietnam finanziert. Schon achtzehn Schulen wurden mit dessen Hilfe gebaut, Hunderte von Wasserpumpen für Familien sowie eine Brücke. «Das ist etwas, das ich wirklich mit Liebe mache», sagt Murat Pelit, «wir alle engagieren uns freiwillig.» So findet seine ungebremste Energie im sozialen Engagement ein weiteres Feld, um die freie Zeit sinnvoll zu nutzen.

(kste / kohs)

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Im Atelier für Gestaltung können Patientinnen und Patienten in der therapiefreien Zeit die kreative Welt entdecken.
«Der wertvollste Aspekt meiner Arbeit ist es, den Menschen Hoffnung zu geben.»
Christine Meyer

Die Lust auf das Fremde

Seit 2008 bereist Walter Rauber mit einem umgebauten Wohnmobil die Welt. Der Austausch mit anderen Menschen und ihrer Kultur ist für ihn eine Bereicherung – und herausfordernd.

Einfach mal wegfahren, eine Auszeit geniessen, neue Erfahrungen machen – Reisen ist für viele Menschen eine Quelle der Lebensqualität. Doch unsere Welt ist nicht immer für Personen im Rollstuhl eingerichtet. Das macht es für die Betroffenen kompliziert und zeitaufwändig, eine Reise zu organisieren. Dabei bewältigen sie selbst grosse Herausforderungen.

Wie ein gelandetes UFO

Zum Beispiel Walter Rauber aus Hausen AG. Seit 2008 hat der 71-Jährige mit seinem umgebauten Wohnmobil viele Gegenden der Welt besucht und scheut sich dabei nicht vor langen Strecken. 2017 fuhren er und seine Partnerin Walda sieben Monate auf der Seidenstrasse bis nach China. 2019 / 2020 bereisten sie Süd- und Mittelamerika – und blieben wegen der Coronapandemie fünf Monate in Costa Rica stecken. Und im vergangenen Jahr legten sie 45 600 Kilometer in Alaska, Kanada und den USA zurück.

Seit seinem Gleitschirmunfall 1992 ist der ehemalige Carchauffeur und Taxiunternehmer weit herumgekommen. Er sagt: «Mich interessiert es, Neues zu erleben und Grenzen auszuloten, sei es im Sport oder auf Reisen.» Seine Karriere als RollstuhlBadminton-Spieler krönen neben zwei Weltmeistertiteln auch viele Erinnerungen an die Gastfreundschaft in fremden Ländern. Das schönste Reiseerlebnis sei für ihn jeweils die Begegnung und der Austausch mit ande-

ren Menschen: «Deshalb sind wir schon vor zehn Jahren nach Albanien gefahren, als es noch authentisch und nicht von Touristen überflutet war. Der Austausch mit den einfachen Leuten und ihre Neugier auf unser Haus auf Rädern und den Rollstuhl waren für mich sehr bereichernd.»

Eine Begegnung, das kann auch bedeuten, dass sich wie in China plötzlich wildfremde Personen im Wohnmobil umsehen und auf dem Bett sitzend Selfies machen. «In der Mongolei und in China sieht man in der Öffentlichkeit keine Rollstuhlfahrenden. Sie gelten als Schande für die Familie und werden weggesperrt», erzählt Walter Rauber. Sein Wohnmobil mit der ausfahrbaren Rampe musste in der Steppe wie ein frisch gelandetes UFO gewirkt haben. Entsprechend gross war das Interesse. Mit einem offenen Geist lassen sich aber auch solche Erfahrungen trotz der Sprachbarriere bewältigen. Manchmal löst schon ein geschenkter Kugelschreiber ein verwundertes Lächeln aus.

Gefährliche Situationen wie einen Überfall haben sie bisher keine erlebt. Im Gegenteil: Wer offen auf andere zugeht, bekommt unterwegs viel Hilfsbereitschaft geschenkt, sagt Rauber. Es sei eine Mentalitätsfrage, wo man sich auf dem Grat zwischen Erlebnissuche und Draufgängertum bewege. Für ihn sind Reisen mit dem Camper daher auch ein Ausprobieren und eine Bestätigung, wie viel mit einer Querschnittlähmung noch möglich ist. «Dabei muss ich meiner Frau ein

Kränzchen winden», sagt er. «Ohne Walda wäre das alles undenkbar.» Bei langen Reisen auf kleinem Raum wird auch ihre Partnerschaft zwischendurch geprüft.

Unmengen an Material dabei Der Unterschied zum Reisen ohne körperliche Einschränkungen besteht vor allem in der Vorbereitung. Persönliche Hilfsmittel wie Katheter, Hygieneartikel, Medikamente oder Transferhilfen sind vor Ort nicht einfach in der Apotheke erhältlich. Und Velogeschäfte führen keine Schläuche für Rollstuhlräder. Das bedeutet: eine grosse Menge an Zusatzgepäck.

Am Tag der Abreise ist Walter Raubers Wohnmobil jeweils bis in den letzten Winkel vollgepackt mit Hilfsmitteln, Zubehör und Ersatzteilen für das Wohnmobil, den Rollstuhl, das Zuggerät oder den Lift ins Fahrzeug. Er weiss, wie rasch es gehen kann, dass vorbestelltes Material am Zoll liegen bleibt oder dass täglich benötigte Medikamente als Drogen beschlagnahmt werden. Auch Korruption ist immer wieder ein Thema. Daher versucht er, nach Möglichkeit alles mitzunehmen.

«Für solche monatelangen Reisen fallen Unmengen Material an», sagt der Paraplegiker. «Allein meine Pflegesachen und Urinbeutel füllen eine 500-Liter-Box.» Auf der Panamericana hatte er unter anderem sechs Pneus und zwanzig Schläuche für den Rollstuhl dabei plus mehrere individuell angefertigte Sitzkissen. Vier Sonnenkollektoren

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Walter Rauber

machen den Camper autark, ebenso ein grosser Trinkwassertank sowie Filter für die Wasseraufbereitung. «Wenn man unterwegs ein Magenproblem hat, ist man blöd dran», sagt er.

Er findet meistens eine Lösung Noch schlimmer sind Druckstellen, die rasch auftreten können, wenn der Fuss vom Auflagebrett rutscht oder das Bein irgendwo anschlägt – spüren kann er dies nicht, nur jeden Abend die Haut auf verdächtige Stellen absuchen. Eine Druckstelle (Dekubitus)

bedeutet das Ende der Reise und einen monatelangen Spitalaufenthalt.

Walter und Walda Rauber sind gerne allein unterwegs. Sie suchen das Andere, abgelegene Routen, machen Halt, wo es für sie am schönsten ist. Als Gastgeschenke haben sie sackweise gebrauchte Kleider dabei, Kugelschreiber, Malstifte für die Kinder, oder auch mal überzählige Nägel von einem Umbau. «Türöffner» nennt Walter Rauber diese Gegenstände, mit denen oft die Kommunikation in einer fremden Sprache beginnt.

Reisen im Rollstuhl sei vor allem eine Einstellungssache: «Nur fordern geht nicht. Man darf nicht erwarten, dass es überall einen Treppenlift hat.» Doch meistens findet er eine Lösung. «Das Reisen ermöglicht sehr wertvolle Erlebnisse», sagt Walter Rauber. Das Paar möchte sie nicht missen. (kste / zvg)

Walter und Walda Raubers

Reiseblog:

walti-rauber.ch

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«Unser Wohnmobil mit der ausfahrbaren Rampe muss in der Steppe wie ein frisch gelandetes UFO wirken.»
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Eine wertvolle Stütze der Feuerwehr Alpnach: Michaela Vogler.

«Ich bin auch mit dem Rollstuhl nützlich»

Michaela Vogler engagiert sich mit Leidenschaft in der Feuerwehr Alpnach.

Ich war 20, als ich der Feuerwehr beitrat, zum einen aus «Gwunder», zum anderen, weil ich wohl eine Art Helfersyndrom habe. Schon in der Schule half ich immer den Schwächeren. Das Hobby entwickelte sich zur Leidenschaft, für die ich gerne viel Zeit opferte. Nach dem Unfall 2020 stellte sich die Frage: Kann ich das auch in Zukunft? Feuerwehr und Rollstuhl – das ist ja keine alltägliche Kombination.

Es reizte mich, weiterzumachen. Ich liebe das Teamwork und weiss, dass das Bewältigen von Extremsituationen stark zusammenschweisst. Aber ich sagte dem Feuerwehrkommandanten offen: «Ich bleibe nur, wenn ich etwas Sinnvolles tun kann.» Er nahm mir meine Bedenken und sagte: «Eine Feuerwehr besteht aus vielen Puzzlestücken. Wir brauchen dich.»

***

Ich bekam eine neue Rolle. Keine schlechtere, sondern eine andere. Es hat sich eigentlich wenig geändert. So bin ich heute auch mit dem Rollstuhl in der Feuerwehr nützlich.

Jahrelang gehörte ich zur Verkehrsabteilung, nun wechselte ich in die Führungsunterstützung. Ich sitze in der Zentrale im Feuerwehrlokal Alpnach, trage Uniform und bin die rechte Hand des Einsatzleiters. Bei Übungen oder im Ernstfall muss ich den Überblick behalten und zum Beispiel tele-

fonisch Anweisungen entgegennehmen oder weitergeben. Eine meiner Aufgaben besteht darin, die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen wie Polizei und Rettungsdienst zu pflegen.

Ich schreibe auch die Einsatzprotokolle. Und es kommt vor, dass ich für unsere Leute die Verpflegung organisiere, wenn ein Einsatz mehrere Stunden dauert. Eigentlich bin ich das Mädchen für alles. An Übungsabenden bin ich immer anwesend,

Spass, sondern erfüllt mich mit Stolz. Erst recht, wenn ich intern unterrichten darf; das geht auch mit dem Rollstuhl problemlos. Es fällt mir leicht, vor Leuten zu sitzen und Wissen zu vermitteln. Ich habe über all die Jahre viel Erfahrung gesammelt, die gebe ich gerne meinen Kolleginnen und Kollegen weiter.

Die Reihe der Lektionen soll ich jetzt in Kooperation mit dem Schweizerischen Feuerwehrverband mit einem Thema erweitern: «Auto mit Handgas.» Ich möchte den Einsatzkräften zeigen, wie im Notfall vorzugehen ist und wie etwa Tetraplegiker aus dem Auto zu befreien sind. Oft ist das Grundwissen über Menschen mit einer Beeinträchtigung nicht oder nur ungenügend vorhanden. Mit meiner Freundin Angela Fallegger zusammen zeige ich die Eigenheiten von umgebauten Autos und erkläre, dass die Betroffenen nicht gleich auf Kälte und Hitze reagieren wie Fussgängerinnen und Fussgänger.

auch wenn es mich für die Führungsunterstützung nicht jedes Mal bräuchte. Dann frage ich den Materialwart – ihm kann ich immer Arbeit abnehmen. ***

Seit meiner Querschnittlähmung bin ich in vielen Bereichen selbst auf Hilfe angewiesen. In der Feuerwehr darf ich anderen Menschen helfen. Das macht nicht nur

Meine Leidenschaft für die Feuerwehr und die die Nachwuchsförderung ist auch im Alter von 34 Jahren unverändert – oder sogar noch grösser geworden. Ich setze mich ein, weil ich nicht nur sehr gerne helfe, sondern auch dankbar bin, wenn mir geholfen wird.

(pmb

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 15 SCHWERPUNKT
«In der Feuerwehr darf ich anderen Menschen helfen. Das erfüllt mich mit Stolz.»
Michaela Vogler
Michaela Vogler ist ebenfalls Teilnehmerin von «SRF Ohne Limit» (siehe Seite 7).
16 PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 SCHWERPUNKT

Souverän die Wand hoch: Angela Fallegger, gesichert von einer Kollegin am Boden.

Das Klettern gibt ihr ein gutes Gefühl

Angela Fallegger wagt sich an steile Wände. Und spürt, wie der Sport die Lebensqualität steigert.

Sie hat sich nie davor gescheut, Neues auszuprobieren. Erst recht nicht, wenn es um Sport geht. Aber leise Skepsis befiel Angela Fallegger schon, als sie 2019 diesen Flyer in den Händen hielt. «Klettern für alle» stand drauf – PluSport bewarb damit ein inklusives Klettertraining. Wie soll das für eine Person mit Querschnittlähmung funktionieren? Kletterwand und Rollstuhl, ist das nicht eine seltsame Kombination?

Ohne grosse Erwartungen meldet sie sich an, sie will es «einfach mal ausprobieren». Sie ist ein Bewegungsmensch, dem weder physische Herausforderungen noch die Höhe zusetzen.

Nicht nur Verständnis bekommen Vier Jahre später ist aus der Anfängerin eine begeisterte Sportlerin geworden, die zum Schweizer Paraclimbing-Nationalteam gehört. Ihr Können hat sie bereits auf prominenter Bühne demonstriert: Fallegger startete Anfang August an den Weltmeisterschaften in Bern, wo die Wettkämpfe im Climbing und Paraclimbing erstmals an einem gemeinsamen Grossanlass ausgetragen wurden.

Als sich Angela Fallegger entschloss, den Aufwand fürs Klettern zu intensivieren, gab es nicht nur Verständnis. 2015 hatte sie sich bei einem Gleitschirmunfall bereits einen Bruch des Rückens zugezogen – und nun will sie das Glück wieder heraus-

fordern? «Solche Stimmen gab es durchaus», sagt sie, «aber das lasse ich an mir abprallen.»

Die 33-Jährige, die sich in der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung als Peer-Beraterin zu vierzig Prozent um andere Betroffene kümmert, klettert ausschliesslich in der Halle in der Disziplin Lead – sie ist also stets gesichert. «Ich habe das grösste Vertrauen in die sichernde Person», sagt

ser. An der Wand muss jeder intakte Muskel mithelfen, damit ich hochkomme. Und über bestimmte Bewegungsabläufe kann der Oberkörper viele Defizite der Beine kompensieren.» Damit erleichtere das Klettern auch ihren Alltag: «Das ist mir wichtiger als jede Medaille.»

Normalerweise trainiert sie zweimal wöchentlich, meistens in der Kletterhalle Root LU. Sie zählt sich nicht zu den ausgeprägtesten Wettkämpferinnen, und doch wagt sie sich gern an heikle Routen. Grenzen ausloten, Grenzen verschieben – das ist auch für Angela Fallegger ein Thema. Dafür nimmt sie in Kauf, dass sie für einen grossen Teil der Trainingskosten in Root selber aufkommen muss.

Angela Fallegger. «Wir machen vor jeder Route einen Partnercheck, um die Risiken so klein wie möglich zu halten.»

Sport mit therapeutischer Wirkung

Das Klettern gibt ihr ein gutes Gefühl. Wenn sie eine Schlüsselstelle meistert, wirkt sich das automatisch auf das Selbstbewusstsein aus. «Der Sport steigert meine Lebensqualität und meine psychische Stabilität», sagt die Obwaldnerin. «Er hat auch eine therapeutische Wirkung: Meine körperliche Verfassung wird zunehmend bes-

Der Sport eröffnet ihr neue Perspektiven und bietet Möglichkeiten, auch ausserhalb der Schweiz an Wettbewerben zu starten. Im Mai reiste sie mit dem Nationalteam nach Salt Lake City, im Juni standen Wettkämpfe in Innsbruck an. Die Frage, ob Klettern und Rollstuhl zusammenpassen, stellt sich für die junge Sportlerin längst nicht mehr.

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 17 SCHWERPUNKT
(pmb / pedrazzetti)
«Ich habe das grösste Vertrauen in die sichernde Person.»
Angela Fallegger

«Ich schaue staunend zu»

Sportpsychologe Jörg Wetzel sagt, was Menschen mit einer Querschnittlähmung antreibt, auch riskantere Sportarten zu betreiben. Und wieso er das richtig findet.

Jörg Wetzel, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Menschen mit Querschnittlähmung an einer Kletterwand sehen oder in einem Skatepark?

Dann bin ich beeindruckt. Diese Menschen verlassen ihre Komfortzone und sagen sich: So, weiter gehts! Ich schaue ihnen staunend, mit Freude und Respekt zu. Auch sie haben das Recht, solche Sportarten zu betreiben. Ich finde das super.

Andere bringen nicht so viel Verständnis auf.

Vermutlich sind das Leute, die Menschen mit einer Beeinträchtigung nicht als gleichwertig oder eigenständig wahrnehmen können. Weil sie auf ein sichtbares Hilfsmittel wie den Rollstuhl angewiesen sind, muten sie ihnen nicht mehr zu, leistungsfähig zu sein.

Weshalb meinen solche Leute, Tipps geben zu müssen, wie sich ein Betroffener verhalten soll?

Ich denke, dass es sich dabei um dieselben Personen handelt, die auch einem Fussballtrainer die Mannschaftsaufstellung erklären wollen. Solche Ratgebenden sprechen Menschen mit einer Beeinträchtigung das Recht auf Selbstbestimmung ab und sind

deshalb ziemlich intolerant. Wenn aber jemand in ihrem Bekanntenkreis bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, verzichten sie selbst nicht darauf, weiterhin Auto zu fahren.

Worin liegt der Reiz, sich beim Sport gewissen Risiken auszusetzen?

Das kann damit zu tun haben, wo man aufwächst, welche Gewohnheiten einem mitgegeben werden oder welche Traditionen in der Familie gepflegt werden. Es geht auch um die Lust, die eigene Leistungsfähigkeit auszuloten oder sich mit anderen Menschen zu messen. Ein weiterer Faktor ist die Kompetenz, diesen Sport überhaupt ausüben zu können. Wenn das zu einem Lustgewinn führt und Emotionen auslöst, ist es nachvollziehbar, dass man auch mit einer Beeinträchtigung einen Sport betreibt, der vielleicht Risiken birgt.

Wo fangen die Risiken an?

Die zentrale Frage ist: Was ist überhaupt eine Risikosportart? Gehört auch Fussball dazu? Oder Skifahren? Die Statistik zeigt, wie viele Unfälle und Verletzungen dabei auftreten. In Sportarten, die als risikobehafteter gelten, wird verstärkt auf die Sicherheit geachtet, um die Gefahr von Unfällen zu reduzieren.

Sehen Sie trotz allem auch Grenzen? Wo die Grenzen liegen, das kann einzig die Person beurteilen, die sich der sportlichen Herausforderung stellt. Wenn man von Grenzen spricht, reden wir auch von Begrenztheit. Der Gradmesser muss das eigene Wohlbefinden sein. Es leidet dann, wenn sich die Sicherheit nicht mehr gut einschätzen lässt. Aber das gilt für alle Menschen, ob sie nun im Rollstuhl sitzen oder zu Fuss unterwegs sind.

Worin liegt die Motivation, überhaupt einen Sport zu betreiben? Wer Sport treibt, setzt sich Ziele. Das ist wichtig für die mentale Ausgeglichenheit und Gesundheit der Person. Und es stärkt das Selbstbewusstsein, den Selbstwert, die innere Ruhe, die Resilienz und Achtsamkeit. Drei Motive sind darüber hinaus entscheidend: Erstens die Selbstbestimmung: Was will ich tun – welche Kletterroute möchte ich zum Beispiel wählen? Zweitens die Lust, mit Kolleginnen und Kollegen in einem Teamsport Spass zu haben. Und drittens möchte ich mich in einer Sportart als kompetent wahrnehmen und bin bereit, dafür etwas zu leisten.

(pmb / zvg)
SCHWERPUNKT 18 PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023

«Im Haar steckt die ganze Kraft eines Menschen»

Jakob Schiess pflegt ein selten gewordenes Kunsthandwerk: Der 58-Jährige stellt Schmuckstücke aus Haaren her.

Als ich die Uhrenkette meiner Grossmutter berührte, wusste ich: Das ist es! Von Jugend an hüte ich die antike, aus Haar geflochtene Uhrenkette wie einen Schatz. Als gebürtiger Herisauer fühle ich mich dem Appenzeller Brauchtum sehr verbunden. Doch seit meinem Verkehrsunfall 1998 ist das Silvesterchlausen für mich nicht mehr möglich. Für mein neues Leben im Rollstuhl probierte ich verschiedene kreative Beschäftigungen aus – bis mich die Uhrenkette zum Haarflechten brachte.

Bereits während der Rehabilitation im Schweizer Paraplegiker-Zentrum organisierte ich mit meiner Frau den Verkauf unseres Lebensmittelladens in Trogen AR. Wir zogen nach Appenzell und ich liess mich zum technischen Kaufmann ausbilden. Seit 2000 arbeite ich als Produktmanager in einer Versicherungsgesellschaft. Mein Halbtagspensum erledige ich vormittags.

Jeden Nachmittag absolviere ich drei Stunden Körpertherapie. Bei gutem Wetter bewege ich mich draussen in der freien Natur, zudem habe ich einen Therapieraum in unserem Haus. Je nach Lust und Laune flechte ich danach noch Schmuck aus Haaren. Für mich ist dieses alte Kunsthandwerk sowohl Faszination als auch eine Herausforderung. Das Flechten benötigt viel Geduld und Akribie. Abends muss ich irgendwann damit aufhören, damit mein Körper seine nötige Ruhe findet. ***

Auf dem Weg zum Haarkünstler habe ich diverse traditionelle Techniken erlernt, die ich in mein Schaffen integriere. Haar ist etwas Lebendiges, das über Jahrhunderte hinweg unverwüstlich bleibt. Man sagt: Im Haar steckt die ganze Kraft eines Menschen – und beim Schmuckherstellen überträgt sich diese Energie auf mich.

Die Leute, die mir ihre Haare vorbeibringen, erzählen dabei auch ihre Lebensgeschichten. Diese Geschichten begleiten und inspirieren meine Arbeit. Eigentlich ist jedes Haar schön. Graues Haar ist in Schmuckstücken weniger verbreitet als dunkles und helles, weil oft die Länge fehlt. Und rotes Haar wurde früher gemieden, weil es mit Hexerei verbunden war. Wenn ich aber schöne rote Haare sehe, stelle ich mir gleich ein schönes Schmuckstück vor. Ich hatte Glück und konnte solches Haar bereits verarbeiten – die Kraft des Feurigen ist schlicht unvergleichbar.

***

Dieses Kunsthandwerk war um 1840 sehr verbreitet und im ganzen mitteleuropäischen Raum geschätzt. Die bekanntesten Haarflechter kamen schon damals aus der Ostschweiz. Heute gibt es weltweit nur noch eine Handvoll Personen, die das

Handwerk von Grund auf beherrschen und sich intensiv mit den verschiedenen Techniken befassen.

Mich besuchen Menschen aus ganz Europa und sogar aus den USA für ein neues Werk oder eine Reparatur. Einmal durfte ich eine ganze Familie – sieben Personen – in einem Schmuckstück vereinen. Das sind schon sehr spezielle Momente, wenn man so etwas herstellen darf.

Es ist immer etwas Wehmut dabei, so etwas Schönes wegzugeben. Aber wenn ich das Leuchten und die Freude in den Augen meiner Kundinnen und Kunden sehe, ist dies das schönste Geschenk, das ich bekommen kann.

(kste / zvg)

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 19 SCHWERPUNKT
Für seine Schmuckstücke (kleines Bild) benötigt Jakob Schiess viel Ausdauer an der Jatte, dem traditionellen Flechtstuhl.

Sie war eine talentierte Mountainbikerin, erlitt aber bei Stürzen mehrere Gehirnerschütterungen und 2015 ein Schädel-Hirn-Trauma. Die neurologischen Störungen zwangen sie, ihren Sport aufzugeben. Aber Lorraine Truong fand etwas Neues: WCMX – Rollstuhlskaten. Im Skatepark demonstriert sie verblüffende Tricks und wurde damit 2022 Weltmeisterin. Oft hört sie, ihre Kunststücke seien verrückt. Sie stört das nicht: «Ich weiss, wo die Grenzen liegen. Ich tue nichts, das unvernünftig ist.»

Anita Kuster (44), Adlikon ZH

An seinem sechzigsten Geburtstag versucht sich Erwin Dürst als Alphornbläser – und entdeckt ein zeitintensives Hobby. Der Bündner hatte Kinderlähmung, seit 2002 sitzt er komplett im Rollstuhl. Was anfänglich eine Therapie für die Lunge ist, entwickelt sich zur Leidenschaft: Erwin Dürst spielt fast täglich und hat Auftritte. «Anderen Menschen Freude zu bereiten, das macht mir Spass», sagt er. «Und das Alphorn hilft, Stress abzubauen.»

Labradorhündin Ninja ist stets an der Seite von Anita Kuster. Nun will sie zusammen mit einer Hundeschule den Welpen Taya zu einem Assistenzhund ausbilden. Wenn die Logopädin unruhig ist, wirkt Ninja beruhigend auf sie ein. Das Zusammenspiel funktioniert. «Ein Hund sorgt dafür, dass man nicht zum Couch Potato wird», sagt Kuster, die aufgrund einer Krankheit zur Tetraplegikerin wurde.

20 PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 SCHWERPUNKT
«Ich tue nichts Unvernünftiges.»
Lorraine Truong (33), Vollèges VS
«Die Hündin wirkt beruhigend.»
«Freude zu bereiten, macht mir Spass.»
Erwin Dürst (72), Domat/Ems GR

Freizeitvergnügen

Welche Leidenschaften pflegen Menschen im Rollstuhl in ihrer Freizeit? Wir trafen fünf Personen und fünf Hobbys.

Er war Elektrounternehmer mit 15 Mitarbeitenden, hatte 200 Schafe und 20 Bienenvölker – bis ihn ein Autounfall zum Tetraplegiker machte. Mit dem Wasser vom Südfuss des Bietschhorns (3934 m, UNESCO-Weltnaturerbe) braut Alois Schmid das Suonen-Bier. Die spezielle Kräutermischung ist sein Geheimnis. «Liebe und Hingabe» sind weitere Zutaten. Und auch den Hauslieferdienst übernimmt der gesellige Pensionär gleich selbst.

Alois Schmid (70), Ausserberg VS

Monika Flammer (48), Uster ZH

Monika Flammer wurde mit Spina bifida geboren. «Kreativität überdeckt alles, was im Leben halt nicht so schön ist», sagt sie. «Und man muss sich am Schönen festhalten.» Ihre kreativen Arbeiten lenken sie vom ständigen Schmerz ab. Für eines ihrer lebensfrohen Wimmelbilder benötigt sie zwei- bis dreihundert Stunden. Sie versteckt darin Botschaften und platziert alle Arten von Menschen – darunter auch Personen mit Beeinträchtigung. Meistens malt und bastelt Monika Flammer im Bett.

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«Unser Bier hat den Geschmack des UNESCO­Weltnaturerbes.»
«Man muss sich am Schönen festhalten.»

Er bestimmt den Takt wieder selbst

Eine Rempelei unter Kollegen machte aus Mathias Studer einen Tetraplegiker. Der 41-Jährige wähnte sich am Abgrund. Er nahm den Kampf aber an und hat die Kontrolle über seine Agenda zurückgewonnen.

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BEGEGNUNG

Kurz vor der Abreise ins Berner Oberland befindet sich Mathias Studer in einem Stimmungshoch. Sein Chef hat ihm erfreuliche Perspektiven aufgezeigt, der nächste Karriereschritt steht bevor, und auch sonst geht es ihm blendend. Er ist dreissig, Buchhalter, 1,90 m gross, Single, unbeschwert. Ein Leben auf der Überholspur. Wieso sollte er das Tempo drosseln?

Mathias Studer sitzt an einem wunderbaren Sommertag am Gartentisch vor seinem Haus in Schönenwerd SO – im Rollstuhl. Und sagt: «Ich habe es gut, trotz allem.» Zum Drosseln seines Tempos zwang ihn ein Unglück in der Nacht auf den 24. Juli 2012.

Die verhängnisvolle Schubserei Als Bub schon liebt er es, mit einem Weidling auf der Aare zu fahren. Er bestreitet Wettkämpfe, ist treues Mitglied des Pontonierfahrvereins und ein verlässlicher Helfer. Anpacken ist für ihn Ehrensache, auch im Lager der Jungpontoniere, das unweit von Spiez stattfindet.

Studer hilft, die Kinder zu versorgen, kümmert sich um Einkäufe und hat als «Finänzler» die Kasse im Griff. Den Abend des 23. Juli verbringt er mit Kollegen aus dem Leitungsteam im Lagerkafi. Nach Mitternacht macht sich ein Trio auf den kurzen Heimweg zu seinen Zelten.

Sie machen Witze und schubsen sich in der Dunkelheit. Mathias Studer stolpert dabei in eine Hecke, in der sich ein gespannter Draht verbirgt. Er stürzt darüber, prallt auf den einen Meter tiefer liegenden Boden und hört das Lachen seiner Kollegen. «Komm, steh auf!», rufen sie.

«Ich habe Angst!»

Aber Mathias Studer kann sich nicht mehr bewegen und ahnt, dass er gelähmt ist. Querschnittlähmung, Paraplegie, Tetraplegie – das sind für ihn keine fremden Begriffe. Er hat Panik. Quälende Fragen schiessen durch den Kopf: Ist alles vorbei? Was passiert mit mir? Er ruft immer wieder: «Ich habe Angst!»

Die Kollegen handeln zügig. Die Rega fliegt Mathias Studer ins Berner Inselspital. Vor der Operation fragt er die Ärzte: «Bleibt das so?» Die

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BEGEGNUNG

Antwort: «Wahrscheinlich schon.» Einen Tag später wird er nach Nottwil verlegt.

Die ersten Stunden auf der Intensivstation sind für den Tetraplegiker «der Horror», wie er sagt. Er ist wach, sein Kopf funktioniert, aber sonst: nichts. Auf einmal ist er hilflos und abhängig, fühlt sich am Abgrund.

Die Energie kanalisieren

Mathias Studer muss sich etwas aneignen, das er bisher nicht kannte: Geduld. Einmal beklagt er sich bei einer Physiotherapeutin, dass sich sein Zustand nicht schnell genug verbessert. Sie sagt: «Konzentriere dich auf einen Bereich. Du kannst nicht auf allen Ebenen schnelle Fortschritte erzielen.» Er lernt, seine Energie zu kanalisieren.

Nach und nach ruft er seine Freunde an, erzählt, was passiert ist. Zu den engsten Vertrauten gehört Andreas Wagner, der gerade im WK steckt und sich über die Luzerner Festnetznummer wundert. Mathias Studer will hören, wie es im Militär läuft. Dann fragt der Freund, woher er eigentlich anrufe – und ist schockiert. Er fährt sofort nach Nottwil und gibt ihm das Essen ein.

«Das fuhr mir damals ein», erinnert sich Andreas Wagner. «Und es ist heute noch ein spezielles Gefühl, wenn ich daran denke.»

Verschiedene Lichtblicke in Nottwil prägen Mathias Studers Einstellung in dieser von Verlustängsten geprägten Phase. Ein Ergotherapeut erzählt ihm, dass Menschen mit einer Tetraplegie

auch Auto fahren können. Es ist ein Strohhalm mehr, an den er sich klammert.

Tränen fliessen wie auf Knopfdruck Oder die Physiotherapeutin, die eine Blockade löst. Mathias Studer meinte, stets stark sein zu müssen. Sie fragt: «Hast du seit dem Unfall schon einmal geheult?» – «Nein.» – «Dann mach das jetzt.» Wie auf Knopfdruck fliessen die Tränen, das tut gut. Diese Emotionen wird er künftig nicht mehr unterdrücken.

Die Befürchtung, ein Pflegefall zu werden, weckt Kräfte, Auswege zu suchen. Mathias Studer informiert sich. Bei Menschen auf der Station, beim Pflegepersonal, in den Therapien. Er will wissen, wie er möglichst viel Selbstständigkeit zurückgewinnen kann. Ein Tetraplegiker erzählt ihm von Ferien in Australien. In seiner Verfassung hält er das für eine Utopie und will nichts von den «coolen Erlebnissen» hören. Aber mit etwas Abstand realisiert er: «Diese Person hat mir aufgezeigt, dass ein Tetraplegiker durchaus Chancen hat. Man muss sie einfach sehen.»

Auch körperlich wird immer mehr möglich. Als er wieder selbstständig essen kann, erhält er ein Stück Lebensqualität zurück: «Es war ein schlimmes Gefühl, gefüttert zu werden. Essen ist für mich etwas Soziales, ein Genuss.»

Sein Rückenmark erholt sich teilweise, vereinzelte Funktionen kehren zurück. Aus dem kompletten wird ein inkompletter Tetraplegiker,

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«Es war ein schlimmes Gefühl, gefüttert zu werden. Essen ist für mich etwas Soziales, ein Genuss.»
Mathias Studer
BEGEGNUNG

der sein neues Leben in die Hand nimmt und kein Mitleid will. Er tröstet vielmehr die anderen. Zum Beispiel die Eltern, die an seinem Schicksal erheblich leiden. Für Mathias Studer ist zentral, dass er die Kontrolle hat und selber bestimmt, wie er seine Tage ausfüllt.

Nur keine Extrawürste

Nach neun Monaten in Nottwil bezieht er die rollstuhlgängig ausgebaute Wohnung in Niedergösgen, die er während der Reha anhand von Bauplänen kaufte. Er kehrt zurück an seinen alten Arbeitsplatz bei der login Berufsbildung AG in Olten. Die Zusicherung des Vorgesetzten schon kurz nach dem Unfall, dass die Türen für ihn offen bleiben, beruhigte ihn während der Rehabilitation. Heute bewältigt er ein Pensum von vierzig Prozent und sagt: «Ich habe einen goldenen Arbeitgeber, der mich toll unterstützt.»

Bei den Pontonieren von SchönenwerdGösgen bleibt er Kassier. Mit Freunden trifft er sich zum Jassen, er ist in einem privaten Kochclub aktiv, besucht Konzerte und hat Spass an Quizabenden in einem Pub. «Vorher hatte ich mehr Optionen», sagt er, «jetzt habe ich ein anderes, aber ebenfalls cooles Leben.»

2016 lernt Mathias Studer im Internet eine Frau kennen. Nach einer Weile schreibt er ihr von seinem Unfall und den Konsequenzen. Claudia, eine Pflegefachfrau aus dem Baselbiet, erschrickt. Aber das hält sie nicht davon ab, in ein Treffen

Zu Hause in Schönenwerd mit Familie: Söhnchen Louis, Ehefrau Claudia und ihr Sohn Janik.

Linke Seite: Mathias Studer beim Jassen mit den Freunden Andreas Wagner, Marc Brunner und Philippe Ulmann (v.l.).

einzuwilligen, weil sie diesen Mann spannend findet. Beim ersten Date in Olten müssen sie eine Steigung überwinden. Sie reden intensiv weiter, und erst oben fragt sie: «Hätte ich dir helfen sollen?» – «Nein, wenn ich Unterstützung benötige, mache ich mich bemerkbar», sagt er. «Extrawürste sind nicht mein Ding.»

Er heiratet und wird Vater

Aus der Bekanntschaft entsteht Liebe. 2019 zieht das Paar in ein neues Haus in Schönenwerd. Im August 2020 heiraten sie, im Oktober 2022 werden sie Eltern von Louis. Jetzt sind sie zu viert, denn auch Janik, Claudias Sohn aus einer früheren Beziehung, gehört zur Familie.

Für Claudia blieb der Rollstuhl stets im Hintergrund. Für sie zählt der Mann, den sie als «motivierend und positiv» beschreibt, als kreativ, lösungsorientiert, gesellig und unternehmunglustig: «Er lässt sich seine gute Laune nicht so schnell verderben. Mathias ist ein Geniesser.»

Der Tetraplegiker hegt keinen Groll gegenüber seinem Kumpel, der ihn im Berner Oberland in die Hecke stiess. «Es ist einfach dumm gelaufen», sagt er. Mit dem Freund von damals hat er weiterhin Kontakt, er wohnt in der Nachbarschaft. Für sein Umfeld ist Mathias Studer mit seiner positiven Ausstrahlung ein Mutmacher, was er mit einem typischen Spruch kommentiert: «Ich bin psychisch zu wenig stark, um jeden Tag schlecht drauf zu sein.»

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Trotzdem gibt es Momente, in denen es ihm nicht gut geht, das will er nicht schönreden. «Probleme beim Darmmanagement oder Harnwegsinfekte können sehr belastend sein», sagt er. «Auch die Hitze ist für mich schwer erträglich. Es ist definitiv nicht immer lustig.» Weil er in den Händen kein Gespür hat, muss er alles zuerst mit den Augen erfassen. Ihm fehlt die Kraft, um den kleinen Louis hochzuheben. Und insbesondere in der kalten Jahreszeit verhindert eine Beugespastik, den linken Arm zu strecken.

«Mein Wille ist stark»

Zwischendurch befällt ihn Wehmut auf die Zeit vor dem Unfall. An schönen Wintertagen zum Beispiel, die er gerne auf den Ski verbracht hat. Oder am 6. Dezember, als er jeweils als Samichlaus unterwegs war. Daran ist nicht mehr zu denken: «Ein Samichlaus im Rollstuhl – das passt für mich nicht.»

Aber da bleibt dieser Ehrgeiz, der ihn immer wieder aus einer Baisse zieht und antreibt: «Mein Wille ist stark – und ich habe keine Mühe mit dem Rollstuhl.» Dass für ihn vieles mit grosser Anstrengung und enormem Zeitaufwand verbunden ist, spielt keine Rolle. Manchmal benötigt er bis zu drei Stunden am Morgen, um für den Tag bereit zu sein. Und gelegentlich «rumpelt» es, wenn er etwas in die Hände nimmt. Tut nichts zur Sache, solange er keine fremde Hilfe benötigt.

So hilft Ihr Mitgliederbeitrag

Die Schweizer Paraplegiker­Stiftung half Mathias Studer, seine Eigentumswohnung zu finanzieren, ein Auto anzuschaffen und im neuen Haus einen Lift einzubauen.

Das gilt auch beim Kleiderkaufen. Einmal begleitete ihn sein Freund Andreas Wagner, half ihm aber bewusst nicht bei der Anprobe. Er merkte, wie Fremde ihn verdutzt anschauten und wohl dachten: Was ist das für ein asozialer Typ! Doch Wagner weiss: «Mathias ist auch dank seiner Beharrlichkeit selbstständig geworden. Ich bin stolz auf ihn.»

Der Trick beim Wocheneinkauf

Im Haushalt hilft Mathias Studer mit, wo es seine Möglichkeiten zulassen. Grillieren – etwa im Smoker – ist eines seiner Hobbys. Den Wocheneinkauf meistert er auf seine eigene Weise. Weil er dazu keinen Einkaufswagen benutzen kann, füllt er einen Einkaufskorb, fährt damit zur Kasse und via Auto wieder zurück in den Laden. «Das hat den Vorteil, dass ich mehrmals einen kurzen Schwatz mit der Kassierin halten kann», sagt er. «Wir schmunzeln darüber.»

Wenn die Jungpontoniere heute ins Sommerlager reisen, besucht sie Mathias Studer, ohne sentimental zu werden. Die Unfallstelle löst so wenig aus wie der 24. Juli – er will dem Datum keine spezielle Bedeutung geben. Pech sei es gewesen. Das Leben hat eine Wendung genommen. Und jetzt hat er es gut. Trotz allem.

(pmb

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«Wilderes kann ich nicht bieten»

Renato Lenherr leitet seit November 2022 die Intensivmedizin des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ).

Renato Lenherr, was fiel Ihnen am SPZ als Erstes auf?

Diese positive Grundhaltung, die überall greifbar ist – die Mitarbeitenden werden getragen von der speziellen Idee, Menschen mit Querschnittlähmung ein Leben lang zu begleiten. Auch die wunderbaren Einzelzimmer mit Seeblick und modernster Ausstattung: Hier finden unsere Patientinnen und Patienten die nötige Ruhe.

Worin liegt für Sie der Reiz der Intensivmedizin?

Es ist eine völlig eigene Welt. In der Spitzenmedizin wird eine Brücke zum Überleben gebaut, oft mithilfe von Maschinen. Dann überlegt ein Spezialistenteam die nächsten Schritte. In dieser Situation schwierige Entscheidungen zu treffen, ist eine spannende Herausforderung, denn oft kennen wir die Wünsche der Betroffenen nicht.

Sie arbeiteten zuvor in der grössten IPS der Schweiz. Was ist anders?

Wir sind hier nicht ständig dem Druck ausgesetzt, dass es um Leben und Tod geht. Trotzdem betreuen wir schwierige Fälle, etwa in der Beatmungsmedizin. Aufgrund der langjährigen Erfahrung mit hochge-

lähmten Tetraplegikern verfügt das SPZ über eine hohe Kompetenz im «Weaning», der schrittweisen Entwöhnung von der Beatmungsmaschine. Wenn bei uns Betten frei sind, unterstützen wir darin auch Universitätskliniken in schwierigen Fällen. Es ist eine Win-win-Situation: Die Unikliniken profitieren von unserem Know-how. Und wir lernen mit jedem komplexen Fall etwas für unsere Querschnittspatienten.

Wie interpretieren Sie Ihre Chefrolle?

Ich pflege flache Hierarchien mit klaren Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Unsere Pflegefachpersonen sind exzellent ausgebildet. Ihnen gebe ich nur die notwendigen medizinischen Hinweise, aber lasse sie ihre Kompetenzen selbst weiterentwickeln. Im Team der Ärzteschaft ist es mir wichtig, dass wir unsere Stärken und Schwächen kennen. Die Verantwortung liegt bei mir, aber letztlich entscheidet die Handelskompetenz am Bett, welcher Pfad begangen wird. In der Intensivmedizin ist der Teamspirit zentral – in hektischen Phasen muss man sich kennen und vertrauen. Im Notfall muss ich wissen, wer welchen Part am besten übernehmen kann.

Wie begegnen Sie dem Fachkräftemangel?

Mit einem guten Arbeitsumfeld kann ich dazu beitragen, dass die Mitarbeitenden gerne auf unsere IPS kommen. Zudem bieten wir eine inhaltlich spannende Arbeit. Andere Faktoren stehen ausserhalb meines Einflusses: Es braucht genügend ausgebildete Leute und auch das Finanzielle muss stimmen. Derzeit jagen sich Spitäler ganze Teams mit Lohnerhöhungen ab, statt das Problem gemeinsam anzugehen.

Immer weniger Personal muss also immer mehr leisten?

Nein, so passieren nur Zwischenfälle. Mit unserer Zertifizierung haben wir klare Vorgaben und passen die Bettenzahl dem Personalstand an. In einer Ausnahmesituation müssen wir jedoch flexibel sein und eine frischverletzte Person dennoch aufnehmen. Das verlangt dem Team viel ab und muss entsprechend kompensiert werden. Für mich ist das kein Normalfall.

Welche Rolle spielt die Technik?

Die Intensivmedizin ist vorne mit dabei an der technologischen Entwicklung, und ein neues System am Bett müssen alle beherrschen können. Der im SPZ grosszügige Umgang mit Fort- und Weiterbildungen ist für uns daher sehr wichtig.

Es gibt Chefärzte, die haben wilde Hobbys. Sie auch?

Ich wohne für die Arbeit in Nottwil und freue mich auf das Wochenende in Zürich, auf die Zeit mit meiner Familie. Ich treibe gerne Sport, gehe in die Berge und geniesse die Kultur – russische Literatur zum Beispiel oder Studiofilme im Kino. Etwas Wilderes kann ich nicht bieten.

(kste / baad)

Renato Lenherr, Chefarzt Intensivmedizin (SPZ)

Der Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin wirkte viele Jahre auf der Intensivstation (IPS) des Unispitals Zürich und war ärztlicher Leiter Donor Care Association.

IPS-Rundgänge

Personen, die sich für eine Mitarbeit interessieren, bietet die IPS in Nottwil regelmässig einen Blick hinter die Kulissen. Die nächsten IPS­Rundgänge finden am 3. und 4. November statt.

paraplegie.ch/ ips

INTENSIVMEDIZIN
PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 27

Wenn der Darm das Leben dominiert

Seit Frühjahr 2022 bietet das Schweizer Paraplegiker-Zentrum eine fokussierte Darmsprechstunde an. Das Feld ist fachlich komplex –und für viele ein Tabubereich.

Wer mit einer guten Darmfunktion gesegnet ist, kann sich kaum vorstellen, dass andere Menschen jeden Tag mehrere Stunden auf der Toilette verbringen müssen. Oder dass sie sich jahrelang nicht mehr aus dem Haus trauen. Theres Hurschler kennt solche Situationen. Von aussen sieht man der 49-Jährigen aus Engelberg OW nichts an. Aber wenn jemand im Café über «Probleme» klagt, denkt sie manchmal: Wenn die Person nur wüsste, was ich heute auf dem WC alles durchgemacht habe.

Nach der Geburt ihrer Tochter 1994 hat sie erste Symptome, sechs Jahre später erhält Theres Hurschler die Diagnose: Multiple Sklerose (MS). Auch mit der chronischen Nervenkrankheit arbeitet sie weiter im Merchandising. «Viele Jahre ging alles tipptopp», sagt sie. «Nach einem plötzlichen MS-Schub wurde mein Zustand jedoch immer schlimmer.» Zuerst benötigt sie Krücken, dann einen Rollator, seit 2018 sitzt sie im Rollstuhl. Gleichzeitig ist ihre

Darmfunktion stark beeinträchtigt. Dass ihre Beschwerden durch das erkrankte Nervensystem ausgelöst sind, wird im Pflegeheim nicht erkannt. Die Patientin bekommt ungeeignete Abführmittel – und

des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ). Hier wird sie gemeinsam von drei Expertinnen aus unterschiedlichen Fachbereichen betreut, bekommt die Zusammenhänge erklärt und geeignete Hilfsmittel. «Seither läuft es super», sagt sie. «Ich habe meine Lebensfreude zurückgewonnen und kann wieder beruhigt am öffentlichen Leben teilnehmen.» Nach dreieinhalb belastenden Jahren kann sie das Pflegeheim wieder verlassen und in eine Alterswohnung ziehen.

leidet. «Es ging lange, bis man meine Situation ernst nahm», sagt sie.

Multiprofessionelle Behandlung

Schliesslich überweist ein Neurologe Theres Hurschler in die Darmsprechstunde

Die Darmsprechstunde in Nottwil richtet sich primär an Menschen mit Querschnittlähmung und querschnittähnlichen Symptomen. «Zu uns kommen Personen, die eine multiprofessionelle Behandlung benötigen», erklärt Sonja Krcum Cvitic, die stellvertretende Oberärztin des SPZAmbulatoriums. Wegen der Komplexität des Problemfelds ist die gebündelte Kompetenz aus drei Fachgebieten notwendig. So arbeiten in dieser Sprechstunde Medi-

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DARMSPRECHSTUNDE
«Ich habe meine Lebensfreude zurück und kann wieder beruhigt in die Öffentlichkeit.»
Therese Hurschler

zin, Pflegeexpertise und Ernährungstherapie eng zusammen.

«Personen mit einer neurogenen Darmfunktionsstörung benötigen auch in diesem Bereich eine lebenslange Begleitung», sagt Sonja Krcum Cvitic, «denn die komplexe Funktion erholt sich nach einem Querschnitt nicht mehr.» Während ihrer Rehabilitation bekommen die Patientinnen und Patienten die Grundlagen für den Umgang mit Blase und Darm vermittelt. Zeigt sich dann in der ambulanten Jahreskontrolle eine Veränderung, werden die Massnahmen in der Darmsprechstunde geprüft, nachjustiert und bei Bedarf mit ParaHelp und der Spitex weiter abgestimmt. So ist garantiert, dass auftauchende Probleme rasch behandelt werden und keine notfallmässige Hospitalisation droht.

Der Aufwand lohnt sich

Auf die Frage, was sie im Alltag am stärksten belastet, antworten Menschen mit Querschnittlähmung meistens: das Blasenund Darmmanagement. Man redet nicht gern darüber, aber bezüglich Lebensqualität sorgt der Darm für die grössten Einschränkungen. In der Öffentlichkeit kaum bekannt ist der Umstand, dass Darmbeschwerden, die aufgrund einer Störung des Nervensystems entstehen, eine ganz andere Behandlung benötigen, als man sie von der Hausarztmedizin her kennt.

«Nach der Entlassung aus dem SPZ ändert sich bei den Betroffenen vieles», sagt Carolin Klein. «Der Tagesablauf, die Ernährung, die Bewegung, die psychische Situation – und alles beeinflusst die Darmfunktion.» Die Pflegeexpertin APN ist spezialisiert auf das Kontinenzmanagement. Sie sagt, der Darm sei viel schwieriger einzustellen als die Blase: «Man muss zahlreiche Faktoren in den Griff bekommen, und der Körper muss sich selbst an kleine Veränderungen zuerst gewöhnen.»

Eine Grundkomponente ist die Ernährung. «In vielen Fällen mangelt es schon am Basiswissen», sagt Nadine Schweiger, Ernährungstherapeutin BSc. Gemeinsam mit ihren beiden Kolleginnen entwickelt sie in der Darmsprechstunde individuelle Ernährungsempfehlungen. Bei Personen mit einer hohen Lähmung wird auch das betreuende Umfeld miteinbezogen. Der

Aufwand lohnt sich, sagt Schweiger: «Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel man bereits mit solchen konservativen Massnahmen erreichen kann.»

Das Team der Darmsprechstunde besitzt einen Erfahrungsschatz, der in der Schweiz einmalig ist. Davon profitieren auch Menschen, die nicht zur Rehabilitation im SPZ waren – häufig nach langem Leidensweg. Doch manchmal stehen auch die Expertinnen vor schier unlösbaren Problemen, bis die Rädchen wieder ineinandergreifen. Dann braucht es genügend Zeit, um alle Einflüsse zu verstehen.

«Im Heim konnte ich fast nichts essen»

MS-Patientin Theres Hurschler schildert die Erleichterung, als sie nach der Sprechstunde das SPZ verliess und ihre ungeeigneten Medikamente absetzen konnte. «Seit ich die Hilfsmittel und Instruktionen habe, ist mir sehr wohl», sagt sie. In insgesamt drei Sprechstunden hat sie gelernt, mit ihrem neurogenen Darm so umzugehen, dass sie wieder unter die Leute kann, ohne ein «Malheur» befürchten zu müssen.

Im Pflegeheim empfand die Rollstuhlfahrerin vor allem Hilflosigkeit. Der Tagesab-

lauf war vorbestimmt, sie konnte fast nichts essen und ihre Hinweise auf die bestehende Nervenkrankheit liefen ins Leere. «Man darf aber nicht verzweifeln», lautet ihre Empfehlung: «Auch wenn der Darm ein Tabubereich ist, sollte man sich nicht schämen, den Rat von ausgewiesenen Expertinnen und Experten zu suchen.»

3

1. Regelmässig essen

Drei Mahlzeiten sowie bei Bedarf zwei bis drei kleine Zwischenmahlzeiten

2. Ausreichend trinken

1,5 bis 2 Liter Wasser oder ungesüssten Tee

3. Ausreichend Nahrungsfasern

Drei Portionen Gemüse und/oder Salat, zwei Portionen Früchte, Vollkornprodukte bevorzugen

paraplegie.ch/ darmsprechstunde

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 29 DARMSPRECHSTUNDE
Gebündelte Kompetenz aus drei Fachgebieten (v.l.): Carolin Klein, Nadine Schweiger, Sonja Krcum Cvitic. Tipps für jeden Tag

Durch den Alltag steuern

Gion Stiffler erkrankte

2014

schwer und ist seither

Tetraplegiker. Dank elektronischer Hilfsmittel meistert er viele Hürden ohne fremde Hilfe.

Die Haustüre in Trimmis GR öffnet sich wie von Geisterhand und Gion Stiffler empfängt den Besucher mit einem Lächeln. Zielsicher steuert der 41-Jährige seinen Elektrorollstuhl an den Tisch. «Danke, mir gehts gut», sagt er. Sich beklagen würde nichts an der Situation ändern, dass er sich vom Hals an abwärts nicht mehr bewegen kann. Nur eines stört ihn – «dass ich nicht mehr selber Auto fahren kann».

Gion Stiffler ist voller Tatendrang. Nach der Lehre als Automechaniker wird er Chauffeur in einem grossen Transportunternehmen und arbeitet beim Formel1-Rennstall BMW-Sauber. Bis ihn etwas Neues reizt und er sich zum Lokführer ausbilden lässt. 2014 besteht der sportliche Mann auch die Aufnahmeprüfung zur Polizeischule. Und er heiratet seine Freundin Manuela.

Plötzlich passiert Unheimliches

Einen Monat nach der Hochzeit stoppt Gion Stiffler an einer Tankstelle in Bad Ragaz, als er plötzlich einen Schmerz spürt, der sich in Armen und Beinen ausbreitet. Als die Taubheitsgefühle immer stärker werden, wählt er die Notfallnummer 144.

Die Diagnose im Kantonsspital Chur ist niederschmetternd: Arteria-spinalis-anterior-Syndrom heisst die Durchblutungsstörung, die aus Gion Stiffler einen inkompletten Tetraplegiker macht. Er spürt Berührungen, aber bewegen kann er nur noch seinen Kopf. Neun Monate dauert die Rehabilitation in Nottwil. Sein Leistungsvermögen ist eingeschränkt, aber er sehnt sich nach Arbeit und Unabhängigkeit.

Hierbei unterstützen ihn die Hilfsmittel von Active Communication (AC), einer Tochtergesellschaft der Schweizer Paraple-

giker-Stiftung, mit denen der Tetraplegiker sein Umfeld steuert. Mit dem Kinn dirigiert er den Cursor auf seinem Handy, das am Elektrorollstuhl befestigt ist. So schaltet er das Licht und den Fernseher ein, öffnet die Schiebetüre in den Wintergarten, holt den Lift oder füllt den Futternapf für die zwei Büsis. Die Möglichkeit, mit dem Handy alles Wichtige bedienen zu können, erhöht seine Lebensqualität sehr.

«Ich bin dieser Technik dankbar»

«Die technischen Hilfsmittel helfen mir den ganzen Tag, ohne sie könnte ich nichts selber machen», sagt Gion Stiffler. «Dafür bin ich sehr dankbar.» So kann er gut alleine zu Hause sein. Dreimal täglich kommt die Spitex, ansonsten ist Manuela für ihn da. «Wir ergänzen uns wunderbar», sagt sie. «Ich kann das Haus beruhigt verlassen, weil sich Gion dank der Hilfsmittel gut zurechtfindet.»

Beruflich kümmert sich Gion Stiffler in einem Zwanzig-Prozent-Pensum um die Social-Media-Kanäle der Firma seines Cousins. Wie das geht? Er macht es gleich vor, an seinem Schreibtisch mit den grossen Bildschirmen. Seine rote IntegraMouse bedient er mit dem Mund.

In Nottwil sagte sich Gion Stiffler, er werde sich nicht tatenlos mit einem Leben im Elektrorollstuhl abfinden. Zumindest auf einen manuellen Rollstuhl möchte er wechseln. Und da ist noch das Sparschwein, das für die Flitterwochen bestimmt war. Die Reise nach Mauritius konnte damals nicht mehr stattfinden, abgeschrieben hat er sie aber nicht. Gion Stiffler schaut seine Frau an und sagt: «Das holen wir nach – und ich sitze im manuellen Rollstuhl.» (pmb / we)

30 PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 ACTIVE COMMUNICATION
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Mit dem Mund steuert Gion Stiffler die IntegraMouse. AC-Berater Alfred Brandweiner zeigt, wie es funktioniert.

Der Problemlöser auf Achse

Elia Di Grassi kennt sich als Berater von Active Communication in der Welt der Kommunikationshilfsmittel bestens aus. Doch im Zentrum seiner Arbeit steht immer der Mensch.

Elia Di Grassi öffnet die Heckklappe seines Autos, setzt sich in den Kofferraum, der gefüllt ist mit Kisten voller Kabel, Demogeräten und technischen Hilfsmitteln. Der Wagen ist für ihn mehr als ein Fortbewegungsmittel. Er dient als Büro und Werkstatt, auch als «Hotel», wie er scherzhaft bemerkt. Er mag es unkompliziert.

Der 30-Jährige aus Muhen AG ist täglich unterwegs, legt Tausende Kilometer zurück, um seine Kundschaft zu beraten. Er versteht sich als «Problemlöser» bei Fragen rund um technische Hilfsmittel. Auf Achse ist er im Auftrag von Active Communication, einer Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung.

Die Kommunikation ermöglichen Active Communication (AC) ist darauf spezialisiert, Menschen mit einer Beeinträchtigung Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die ihnen die Kommunikation ermöglichen. Computer, die sich mit den Augen steuern lassen und das Sprechen übernehmen, sind in diesem Bereich besonders gefragt.

Ein anderes zentrales Thema ist die Umfeldkontrolle. Hochgelähmte Menschen mit kaum oder nicht mehr vorhandener Handfunktion können so via Handy die Haustür öffnen, das Licht anmachen, den Lift bestellen oder den Fernseher anstellen.

Oft stellt sich die Frage, wie eine betroffene Person ihr Handy bedienen soll. Dank seinem Fachwissen über alternative Bedienmethoden findet Elia Di Grassi dafür massgeschneiderte Lösungen.

Experten wie er leisten technischen Support, rüsten die Kundschaft mit passenden Geräten aus oder leiten die Umsetzung einer Umfeldsteuerung. «Das ist eine der

Zentrum seiner Arbeit steht für ihn stets der Mensch. Sein soziales Denken hat viel mit den Eltern zu tun, die sich nicht nur um ihn und seine zwei Schwestern kümmerten, sondern auch regelmässig benachteiligte Kinder aufnahmen. Elia Di Grassi selbst arbeitete nach seiner Lehre als Fachmann Betreuung jahrelang in einer Stiftung für Menschen mit Beeinträchtigungen, bevor er im Februar 2019 zu AC ins Technik-Team wechselte.

grössten Herausforderungen», sagt er. In solche Projekte sind mehrere Parteien involviert, darunter Elektriker oder Schreiner. Elia Di Grassi sammelt die Offerten und reicht sie der Invalidenversicherung ein.

Gefragt ist seine Kompetenz zudem im Bereich der Schul- und Arbeitsplatzanpassungen. Im Sortiment hat er eine Vielzahl spezieller Tastaturen, Computermäuse sowie andere Hard- und Software.

Soziale Prägung dank der Eltern

Elia Di Grassi interessiert sich zwar für technische Geräte und Entwicklungen, aber im

Dort muss er auf dem Gebiet der Technik sattelfest sein. Aber eine andere Gabe ist ebenso wichtig: der gute Umgang mit den Betroffenen. Das beherrscht Elia Di Grassi. Der Familienvater mit süd italienischem Blut ist ein guter Zuhörer. Sein Ziel ist es, einen Einsatzort erst dann zu verlassen, wenn das Problem für die Klientinnen und Klienten behoben ist. «Wir setzen alles daran, diesen Menschen zu möglichst grosser Selbstständigkeit zu verhelfen», sagt er Seine Arbeit sei «extrem sinnstiftend» und ein wunderbarer Lohn die grosse Dankbarkeit, die er tagtäglich erfahre. Sagts, klappt den Kofferraum zu und fährt los. Der nächste Kunde wartet.

(pmb / baad)

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 31 Hat es mich heute gebraucht?
activecommunication.ch
«Wir wollen den Betroffenen zu möglichst grosser Selbstständigkeit verhelfen.»

Die besondere Spende

Mit dem Handbike ins Wallis

Jonas Monnin aus dem jurassischen Le Noirmont ist Sportler und Ingenieur (EPFL). Ursprünglich engagierte er sich im Alpinski-Bereich, mittlerweile ist er zum leidenschaftlichen Freerider geworden. Als er seine Saison aufgrund einer Knöchelverletzung abbrechen musste, suchte er ein neues Projekt, um seinen Körper und Geist fitzuhalten. Seine Idee: eine Tour mit dem E-Handbike von seinem Wohnort nach Zinal im Wallis, um auf die Aktivitäten der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) aufmerksam zu machen und Geld für die Stiftung zu sammeln.

Drei Tage war er unterwegs. Dabei legte er 257 Kilometer zurück, bewältigte 4000 Höhenmeter – und sammelte 1 300 Franken für die SPS. Wir gratulieren Jonas Monnin zu seiner Leistung und bedanken uns sehr für diese besondere Spende.

Briefe an die Stiftung

Meine Tochter Julia und ich möchten uns bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung auf das Herzlichste bedanken. Der grosszügige Betrag an den notwendigen Occasions-Autokauf ist für uns eine riesige Entlastung. Der Transport von Julia wie auch ihres Rollstuhls ist damit wieder jederzeit gewährleistet.

Familie Schnarwiler-Hartmann, Hitzkirch LU

Ihre Unterstützung hat die Automation unserer Sitzplatztür ermöglicht. Meine Frau kann dadurch selbstständig in den Garten fahren und hat so viel mehr Lebensqualität. Es bedeutet für sie alles, noch selbstständig sein zu können. Wir sind Ihrer Stiftung sehr dankbar.

Birgit und Thomas Keller, Aarburg AG

Ich bedanke mich für die Grosszügigkeit, die Ihre Stiftung Khrysttyna Kuzminova mit der Finanzierung eines Triride-Zugeräts zukommen liess. Das Hilfsmittel erleichtert ihr tägliches Leben erheblich, indem es ihren Bewegungsradius erweitert und es ihr ermöglicht, sich besser im Kanton Wallis zu integrieren.

Für die Kostengutsprache für ein Dusch-WC möchte ich mich herzlich bedanken. Heute kann ich ohne weitere Hilfe die Toilette benützen, mich am neuen Lavabo waschen und die Zähne wieder putzen, was vorher sehr umständlich war.

George Egger, Binningen BL

Bereits die erste Tour mit meinem neuen Triride T-Rocks hat mich an Orte geführt, die ich vergessen geglaubt habe. Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich. Ich bedanke mich ganz herzlich für die finanzielle Unterstützung und freue mich auf viele weitere Touren – dank Ihrer Hilfe darf ich diese erleben.

Ich möchte der Schweizer Paraplegiker-Stiftung meinen aufrichtigen Dank aussprechen für den finanziellen Beitrag zur Anschaffung eines TennisRollstuhls für die Sportabteilung der UNIL-EPFL. Dank Ihrer Unterstützung erreichen wir eine bedeutende Veränderung der Situation und können unser Engagement weiterverfolgen.

Catia

CAMPUS NOTTWIL 32 PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023
DANKE
paraplegie.ch / besondere-spenden

Walter Mischler Gratulation, Ihr macht eine super Arbeit. Danke.

Post zum 48. Geburtstag der SPS

Eugen Kistler-Züger Die Kita zeichnet das Schweizer Paraplegiker-Zentrum als super Arbeitgeberin aus.

Post zur neuen Kita

Brigitte Meier Ich bin seit meiner Jugend Mitglied und dankbar, dass ich nach über 45 Jahren Mitgliedschaft die SPS gesund unterstützen kann. In der Zwischenzeit sind auch unsere Kinder und Grosskinder überzeugte Mitglieder. Danke für eure unermüdliche Hilfe. Ich habe grossen Respekt.

Post zur Aktion «Mitglied werden»

Andreas Hahn Bin seit 6 Jahren kompletter Paraplegiker und mega dankbar, dass es die Schweizer Paraplegiker-Stiftung gibt –und dass ich schon länger Mitglied bin! Die finanzielle und anderweitige Unterstützung hat unserer Familie enorm geholfen.

Post zur Aktion «Mitglied werden»

Anna Noemi Knechtle Ich bin unendlich dankbar, dass es eine solche Institution gibt, wo sich so viele wunderbare und liebevolle Menschen tagtäglich für Menschen wie uns einsetzen.

Post zum Jahresbericht

Sarah Burri Auf der Suche nach einem Geschenk zur Firmung meines Bruders, das ein Leben lang bleibt, war mein Entschluss schnell gefasst: Ich schenke ihm eine Dauermitgliedschaft der Schweizer ParaplegikerStiftung – und ich hoffe, dass er dieses Geschenk nie brauchen wird.

Peter Rütimann Ich lese regelmässig «Paraplegie». Dabei ist mir aufgefallen, dass fast alle Personen, die abgebildet sind, jung oder zumindest nicht alt sind. Dazu habe ich eine Frage: Ist es so, dass Paraplegiker wegen ihres Leidens früher sterben?

Menschen mit Querschnittlähmung haben in der Tat eine etwas verringerte Lebenserwartung. Diese nähert sich aber zunehmend dem Bevölkerungsdurchschnitt an. Entscheidende Faktoren sind dabei die Höhe (hochgelähmt / tiefer gelähmt), der Schweregrad (komplett / inkomplett) und das Alter beim Eintreten der Querschnittlähmung. (red)

Christine Rauch Als Kind eines querschnittgelähmten Vaters bin ich überwältigt zu sehen, was sich in den letzten Jahren alles getan hat. 1981 gab es für uns keine psychologische Unterstützung. Wir mussten funktionieren. Plötzlich stand mein Vater samt Rollstuhl und Dauerschmerzen in unserer Wohnung. Meine Mutter war als Pflegerin, Haushälterin, Mutter und Angestellte ständig am Anschlag – und wir Kinder eine Last. Das ständige Elend führte uns alle auf schwere Lebenswege. Umso froher bin ich zu lesen, wie breit heute die Begleitung von Verunfallten und Angehörigen ist. Da wird hervorragende Arbeit geleistet. Mit grosser Hochachtung lese ich Ihre Berichte über starke Menschen und wie sie mutig neue Wege einschlagen.

In «Paraplegie» 2/2023 erschien die bewegende Begegnung mit Nicole Kälin aus Einsiedeln. Zahlreiche Lesende haben sich daraufhin bei ihr gemeldet. Nicole Kälin ist überwältigt und möchte sich bei allen bedanken: «Herzlichen Dank für die zahlreichen Reaktionen, die vielen Karten, Briefe und Geschenke. Es sind für mich sehr motivierende und aufbauende Worte.»

Marc-Antoine Stocker Das Magazin «Paraplegie» und die edle Arbeit der Stiftung ermutigen mich, jedes Jahr mit einer Spende beizutragen. Meine einzige Anmerkung: Ich finde es schade, dass es nur wenige Artikel über Personen aus der Romandie gibt. Ich gratuliere jedoch, dass Sie «Paraplegie» ins Französische übersetzen, das ist sehr angenehm.

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Marga Ganz-Lang Die andere Perspektive: In unserer Reisegruppe nach Italien war eine jüngere Rollstuhlfahrerin, der fast alle halfen. In einer Kirche schob ich sie im Gang nach vorne und fragte, ob sie lieber im Rollstuhl bleiben möchte oder ob ich ihr beim Wechsel in die Kirchbank behilflich sein kann. Sie schnauzte mich an: «Du kannst ja einen Tag meinen Rollstuhl nehmen, dann weisst du, wie es ist.» Ich war traurig und fühlte mich missverstanden. Mit Tränen entfernte ich mich und kümmerte mich fortan nicht mehr um sie. Mit diesem Erlebnis habe ich leider auch die Freude verloren, meinen Mitmenschen zu helfen.

PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023 33 SCHWEIZER PARAPLEGIKER-STIFTUNG Community

Die gute Tat

Auf dem Weg zur Arbeit fährt mein Bus über die Luzerner Seebrücke. Ich bin in Gedanken bei den Aufgaben, die heute anstehen. Dann stoppt der Bus. Eine Frau neben mir fasst sich rasch in die Jackentasche und legt mir wortlos eine Banknote auf den Schoss. Völlig überrumpelt frage ich: «Weshalb machen Sie das?» – «Weil ich eine gute Tat erbringen will.» Mit einem Lächeln auf den Lippen springt sie aus dem Bus. Später, in

Agenda

2. Oktober und 6. November, Nottwil Fachreferate zur Vorsorge und Nachlassplanung

Wie wird ein Vorsorgeauftrag, eine Patientenverfügung oder ein Testament korrekt verfasst? Fachpersonen informieren und beantworten Ihre Fragen. Kontakt: T 041 939 62 66 franzisca.beck@paraplegie.ch

3. November, Nottwil BLS-AED-SRC Komplettkurs

Der Komplettkurs zu grundlegenden Massnahmen zur Lebensrettung und Wiederbelebung. Erlernen Sie die wichtigsten Massnahmen für Ersthelfende und deren Anwendung bei Erwachsenen und Kindern in unterschiedlichen Situationen. sirmed.ch/ blsaedsrc-kurs

unserer Ateliergemeinschaft, lege ich die zehn Franken in die Kaffeekasse. Und wundere mich noch immer.

Erlebt und illustriert von Roland Burkart. Haben Sie auch ein Rollstuhlerlebnis? Schreiben Sie uns:

redaktion@paraplegie.ch

10. November, Nottwil

Freitagsmusik: West meets East Musik aus Japan und Europa, vom Barock bis heute. Am Nachmittag treten Kyoko Mikami (Flöte) und Michiko Yorifuji (Orgel) in der Klinik auf. Um 19.30 Uhr geben sie ein öffentliches Konzert im SPZ. Eintritt: frei. paraplegie.ch/ westmeetseast

Vorschau Paraplegie 4/2023

Schwerpunkt: Alltagshilfen

Welches sind die wichtigsten Hilfsmittel für Menschen mit Querschnittlähmung und wie erleichtern sie ihr Alltagsleben?

Der Rollstuhl steht für Bewegungsfreiheit und Selbstständigkeit. Die Betroffenen sind aber auf viele weitere Alltagshilfen angewiesen, um in der Gesellschaft aktiv sein zu können. Das nächste «Paraplegie» stellt verblüffende Lösungen vor.

Impressum

Paraplegie (47. Jahrgang)

Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung

Ausgabe

September 2023 / Nr. 187

Erscheinungsweise

vierteljährlich in Deutsch, Französisch und Italienisch

Gesamtauflage

1 038 323 Exemplare (beglaubigt)

Auflage Deutsch

927 680 Exemplare (beglaubigt)

Herausgeberin

Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil. © Abdruck nur mit Genehmigung.

Redaktion

Stefan Kaiser (kste, Chefredaktor)

Peter Birrer (pmb), Manu Marra (manm)

Andrea Neyerlin (nean)

Andrea Zimmermann (anzi) redaktion@paraplegie.ch

Fotos

Walter Eggenberger (we, Leitung)

Adrian Baer (baad), Sabrina Kohler (kohs)

Joel Najer (najo)

CH Media Chris Iseli (18), istockphoto (28), Franca Pedrazzetti (14, 16)

Milena Surreau (Titel)

Carmen Wueest (19)

Illustration

Roland Burkart (34)

Layout und Gestaltung

Andrea Federer (feda, Leitung)

Daniela Erni (ernd)

Vorstufe / Druck

Vogt-Schild Druck AG 4552 Derendingen

Adressänderungen

Service Center

Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil T 041 939 62 62, sps@paraplegie.ch paraplegie.ch/service-center

Ökologische Verpackung

Das Gönner-Magazin wird in einer umweltfreundlichen Papierhülle aus 70 % Recyclingmaterial verschickt.

«Paraplegie» ist im Mitgliedsbeitrag inbegriffen. Einzelmitglieder und Alleinerziehende samt Kindern: 45 Franken. Ehepaare und Familien: 90 Franken. Dauermitgliedschaft: 1000 Franken.

Mitglieder erhalten 250 000 Franken bei unfallbedingter Querschnittlähmung mit ständiger Rollstuhlabhängigkeit. paraplegie.ch/mitglied-werden

AUSBLICK 34 PARAPLEGIE | SEPTEMBER 2023

Eines der führenden Conference Hotels der Schweiz.

150 komfortable Hotelzimmer, davon 74 barrierefrei

40 Veranstaltungsräume mit bis zu 600 m2 und 600 Gästen

2 Restaurants, 1 Bar und 1 Kaffee-Bar

Vielfältige In- und Outdoor-Sportmöglichkeiten Nur 15 Minuten von Luzern

SEMINARE EVEN TS GENUSS Hotel Sempachersee Guido A. Zäch Strasse 2 6207 Nottwil T +41 41 939 23 23 info@hotelsempachersee.ch www.hotelsempachersee.ch Ein Unternehmen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung
Leidenschaft.
Gastgeber aus

«Mit der Lehre bin ich fertig.

Nun beginnt das Leben.»

Melanie (20) plant ein Auslandjahr.

Im Ernstfall

CHF 250 000.–Gönner-Unterstützung bei Querschnittlähmung durch Unfall mit dauerhafter Rollstuhlabhängigkeit

Einmal abschliessen – ein Leben lang vorgesorgt.

Werden Sie jetzt Dauermitglied.

Wo auch immer auf der Welt und in welcher Lebenssituation Sie sich befinden, Ihre Vorteile halten ewig. Als Dauermitglied zahlen Sie einmalig CHF 1000.–und erhalten im Ernstfall CHF 250 0 00.– bei Querschnittlähmung durch Unfall mit dauerhafter Rollstuhlabhängigkeit.

Einmalig zahlen, für immer Mitglied: dauermitglied-werden.ch

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