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APR/Mai 20 ZKZ 76542

magazine

THE AMITY AFFLICTION IMPERICON FESTIVALS DANCE GAVIN DANCE FOUR YEAR STRONG BURY TOMORROW PARKWAY DRIVE ENTER SHIKARI CODE ORANGE ALL TIME LOW SILVERSTEIN THE USED

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INDEX

05 THE USED Arbeit von Herzen

28 HAVOK The new guy

08 DAS Z Drei Gründe…

29 PARKWAY DRIVE On fire

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08 THE SILENCED My New Album

30 SILVERSTEIN Die modernen Beatles

08 LIOTTA SEOUL Nobody likes a Kraut

31 DEPRAVATION Denglish

09 DAS FUZE IN ZAHLEN Diskriminierung

32 TENSIDE Triggerwarnung

10 BLIND CHANNEL My Album Title

33 BURY TOMORROW Unter Kannibalen

10 VIOLENT SOHO My Release Date

34 WOLFPACK Stadt ohne Liebe

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MICROWAVE Kunst ist Kunst ist Kunst

35 MASS HYSTERIA French touch

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GLACIER VEINS My Mixtape

36 POLARIS Man muss brennen

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TIGERYOUTH Happy Birthday!

37 ABORTED EP! Der Tod! Huzzah!

DAS SCHILD EUROPAS. So hat Ursula von der Leyen gerade Griechenland bezeichnet, dafür, dass an der Grenze zur Türkei auf Männer, Frauen und Kinder mit Tränengas und wohl auch scharfen Waffen geschossen wird, die eigentlich vor einem Krieg Zuflucht suchen. Das „Schild“ Europas. Dies impliziert, dass Europa von diesen Menschen angegriffen würde und uns eine Invasion bevorstünde. Griechenland hat eben mal kurzer Hand das Asylrecht ausgesetzt. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das anwidert. Da sitzen wir in unserem Elfenbeinturm, lassen seit Jahren bereits Menschen im Mittelmeer verrecken und nun wird auf die, die es irgendwie an die Grenze geschafft haben, geschossen. Was ist aus „die Würde des Menschen ist unantastbar“ geworden? Gilt das nur noch, wenn man einen europäischen Pass hat? Wenn man für andere Menschen dieses elementare Recht auf einmal außer Kraft setzen kann, dann verliert es auch für alle anderen an Bedeutung. Entweder alle oder keiner. Wenn wir jetzt Menschen grundlegende Rechte absprechen, welchen Wert haben diese Rechte dann noch für uns? Ich weiß, wir sind ein Musikmagazin, und es sollte hier um Musik gehen. Der ein oder andere Leser wird hier wahrscheinlich mit den Augen rollen und sich denken: „Ich wollte doch nur ein Interview lesen!“. Kannst du auch. Auf den anderen 60 Seiten. Aber wenn das „Schild Europas“ bereits im Einsatz ist, dann dauert es nicht lange, bis das „Schwert Europas“ zuschlägt. Und das bei allen von uns. Dennis Müller (office@fuze-magazine.de)

12 MADBALL My Reissue

38 FOUR YEAR STRONG Keine Vermischung von Kunst und Politik

13 UP&COMING

39 CIRITH UNGOL Ewige Helden

14 HEAVEN SHALL BURN …kochen auch nur mit Wasser 16 THE BLACK DAHLIA MURDER Der Widerstand 18 AUGUST BURNS RED Altersroutine 20 IGORRR Verständnisprobleme 22 ENTER SHIKARI Trust No1 23 DANCE GAVIN DANCE Bunt, Wild, Komplex 24 CODE ORANGE Kein Witz 25 SHELLZ (K)ein Liebeslied 26 ALL TIME LOW Aufwachen, Sonnenschein 27 IRIST Immigranten 28 GRIND OASIS, THE CURE und Metal

IMPRESSUM Fuze Magazine Dennis Müller, P.O.Box 11 04 20 42664 Solingen, Germany (Pakete an: Fuze Magazine, Hochstraße 15, 42697 Solingen) Fon 0212 383 18 29, Fax 0212 383 18 30 fuze-magazine.de, facebook.com/fuzemag Redaktion: Dennis Müller, office@fuze-magazine.de Anzeigen, Verlag: Joachim Hiller, mail@fuze-magazine.de

40 MASTER BOOT RECORD Alles anders 41 THE AMITY AFFLICTION Living the dream 42 REVULSION Ein großer Schritt 43 GREAT AMERICAN GHOST Geplatzter Reifen und Ringen mit Schlangen 44 TESTAMENT Speerspitze

DAS FUZE IST EIN MUSIKMAGAZIN,

45 KINGSMEN Schicksalsschläge

... das alle zwei Monate erscheint und sich auf Hardcore,

46 OCEAN GROVE Mehr als die Summe 47 XILE Ein verdammtes Biest 49 TOP 5 50 REVIEWS 60 LIVEDATES Impericon Festivals 62 Tourdates

Verlag & Herausgeber: Ox-Verlag, Joachim Hiller Hochstraße 15 42697 Solingen Germany V.i.S.d.P.: Dennis Müller (Für den Inhalt von namentlich gekennzeichneten Artikeln ist der/ die VerfasserIn verantwortlich. Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.) Mitarbeiter der Ausgabe: Christian Biehl, Marcus Buhl, Freddie Circien, Rodney Fuchs, Joscha Häring, Christian Heinemann, Pascal Irmer, Carsten Jung, Linda Kasprzack, Christina Kiermayer, Jeannine Michèle Kock,

Metal und Emo spezialisiert hat. Unter fuze-magazine.de gibt es eine Liste mit allen Locations, in denen das Fuze erhältlich ist. Mailorder wie Green Hell, Impericon, Core Tex, Merch Attack, Rage Wear, Punkdistro, Doomrock, Kingsroad, Streetready oder Flight13 führen das Heft. Bei vielen Touren, die von M.A.D., Avocado oder Kingstar organisiert werden, ist das Heft am Merch-Stand erhältlich. Ein Abonnement über sechs Ausgaben kostet 15 Euro und kann unter ox-fanzine.de/fuze-abo bestellt werden. Einzelausgaben, auch ältere, sind für 2,50 Euro (inkl. Ver­ sand) erhältlich unter ox-fanzine.de/fuze

Marvin Kolb, Anton Kostudis, Arne Kupetz, Britt Meißner,­ Andreas Regler, Ingo Rieser, Jenny Josefine Schulz, David Schumann, Philipp Sigl, Manuel Stein, Jonas Unden, Tilman Zick, Philip Zimmermann Designkonzept: www.janinawilmes.de Layout: Alex Gräbeldinger Lektorat: Ute Borchardt Coverfoto: Vincent Grundke (vollvincent.com) Coverdesign: Alex Gräbeldinger Vertrieb: Eigenvertrieb, Cargo, Green Hell, Core Tex, Impericon Abonnement: 6 Ausgaben 15 Euro inkl. P+V Druck: Griebsch & Rochol Druck

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THE USED

Foto: Thomas Eger (blackchester-photography.com)

ARBEIT VON HERZEN. Obwohl „Heartwork“, das neue Album der Band aus Utah, auf dem Cover genau das Herz zeigt, das auch

schon 2004 auf „In Love And Death“ zu sehen war, könnte Frontmann Bert McCracken sich an keinem unterschiedlicheren Punkt in seinem Leben befinden. Bereits vor einigen Jahren hat er seine Abhängigkeiten und düsteren Phasen überwinden können und präsentiert sich nicht nur im Interview als gesunder, intelligenter und aufmerksamer Mensch. Diese Freiheit und Aufgeschlossenheit gegenüber der eigenen Kunst waren es auch, die „Heartwork“ zum besten THE USED-Release seit Jahren machen.

W

as ist für euch als Band neu und aufregend an „Heartwork“? Für uns war es eine sehr freie Erfahrung im Studio. Die letzten Alben folgten alle einem sehr rigiden Konzept, wir hatten einfach sehr konkrete Vorstellungen davon, wer oder was wir sein wollten, zum Beispiel eine Rock-Band die ein Rock-Album macht. Dieses Mal wollten wir aber einfach nur ein paar Songs aufnehmen, die catchy sind und uns wieder dahin zurückversetzen, wo wir ungefähr von 2000 bis 2004 standen. Wieder frei mit allem herumexperimentieren zu können, fühlte sich neu für uns an. In der Tat ist die Vielseitigkeit wohl das auffälligste Element am neuen Album. Wolltet ihr es tatsächlich von Beginn an so weit treiben? Genau das war unser Ansatz. Jede Stimmung war erlaubt. Egal welche Art von Song wir schreiben wollten, alles war möglich. Es gibt die sehr produzierten, poppigen Klänge und auf der anderen Seite sind da die wirklich harten Songs, die eher einen Live-Touch besitzen. Also so ziemlich das härteste und das leichteste Material, was es bisher von THE USED gab. Aber wie behält man den Überblick, wenn wirklich alles möglich ist und man sich an keinerlei Plan halten kann? Ich denke, wenn man beginnt, an etwas zu arbeiten, dann ergeben sich die Themen und die Kräfte, die alles zusammenführen, und auf halbem Wege findet man heraus, woraus dieser Song bestehen soll und wovon er handelt. Und so hat es auch mit dem Album funktioniert: Auf halbem Wege wussten wir, was dem Album noch fehlt, damit es als Ganzes Sinn macht. War es denn leichter oder teilweise sogar komplizierter, sich einfach so in die Unternehmung zu werfen? Eigentlich war es leichter. In der Regel haben wir einen Song an einem Tag entworfen, das Material ist also recht schnell entstanden. Für mich war es aber immer wieder ein schwieriger Prozess, weil ich die Dinge eben nicht so schnell loslassen kann. Ich sitze

gerne länger an Ideen, was aber auch dazu führt, dass ich Dinge schon mal gerne zerdenke. Also hatte das auch einen positiven Effekt, weil wir Dinge einfach abgeschlossen und weitergemacht haben. So konnte ich den Song, zumindest zwischenzeitlich, erst mal wieder komplett vergessen und ihn später aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Letztendlich war es also wirklich großartig, mal alle Bedenken in den Wind zu schießen. Das ist unser achtes Album und wir müssen wirklich niemandem mehr etwas beweisen außer uns selbst. Warum also zu viel darüber nachdenken? Als Band sind wir tighter als jemals zuvor, wir sind glücklicher und gesünder. All das wollten wir auf der Platte zum Ausdruck bringen. Trotzdem sind wir prinzipiell eine recht philosophische Band, die sich intensiv mit einem tieferen Sinn auseinandergesetzt hat. Ich denke, wir haben alle Aspekte gut auf diesem Album vereint.

UNSER VERMÄCHTNIS DREHT SICH UM AUFRICHTIGKEIT UND DIE LIEBE ZUR MUSIK.

Wenn THE USED also alles tun können, was sie wollen, was ist dann das Erbe, das sie hinterlassen möchten? THE USED waren schon immer eine Band, die Songs um ihrer selbst Willen geschrieben hat, um mehr ging es nie. Selbst sie auf eine Bühne zu bringen und sie live spielen zu dürfen, ist ein Bonus. Es ging uns tatsächlich immer um die Musik und ich denke, das erkennen die Fans auch. Es gab niemals irgendwelche Erwartungen, was Erfolg betrifft, aber eben auch keine Limits. Also dreht sich unser Vermächtnis um Aufrichtigkeit und die Liebe zur Musik. Wenn eine straighte Punkband behaupten würde, dass jeder Song auf ihrer Platte komplett unterschiedlich ist, wäre das genauso, als wür-

det ihr sagen, dass „Heartwork“ ein homogenes Album geworden ist. Künstler nehmen ihre Kunst oft anders wahr als der Rest, der sie rezipiert. Wie gut, denkst du, kannst du euer Schaffen einordnen? Ich denke, wir waren immer sehr gut darin, unsere Musik offen, ehrlich, klar und ohne ironische Distanz einschätzen zu können. Wir erkennen gut, was den Leuten an uns gefällt, und wählen die Dinge, die wir nur für uns machen, sehr bewusst aus. Und wie sieht es mit der Beurteilung der eigenen Karriere aus? Wenn man nicht alles nur an Zahlen festmacht, kann es ja auch da sehr unterschiedliche Sichtweisen geben. Glücklicherweise bin ich nicht bei Social Media aktiv, was es mir deutlich leichter macht, Dinge einfach für mich selbst zu sehen. Aber du hast schon recht, es gab Momente in unserer Karriere, in denen uns augenscheinlich die Welt gehörte, ich aber ein komplettes Wrack war. Erfolge haben sich also oft für mich weniger groß angefühlt als für andere. Auf der anderen Seite spielen wir gerade eine Tour, die bestimmt nicht unsere größte ist, aber ich fühle mich dabei glücklicher und auch gesünder als jemals zuvor – also ist es in meinen Augen die erfolgreichste. Ihr seid eine Band, die immer weiter ihr Ding macht, Alben aufnimmt und auf Tour geht, ohne wirklich eine große Pause einzulegen. Habt ihr es jemals als Option gesehen, euch für eine Zeit aufzulösen, um dann größer und erfolgreicher zurückzukehren? Haha, nein, strategisches Denken, was unseren Erfolg betrifft, hat es bei der Band tatsächlich nie gegeben. Was aber auch bedeutet, dass allein unsere Musik den aktuellen Status definiert hat und keine Planung. Wir beschäftigen uns eben lieber damit, wie wir ein ehrliches Bild davon vermitteln können, wer wir sind. Wir tun das, was wir lieben, es gibt keinerlei Pläne, etwas anderes zu tun, also werden wir auch nirgendwohin verschwinden – wir werden bleiben. Es fühlt sich gut an, das so zu sagen, haha. Christian Biehl 5

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DINGE FÜR GEWINNER

FUZE-SHOP www.ox-fanzine.de/fuze-shop

GEWINNE, GEWINNE, GEWINNE. Boah. Das geht hier ja zu wie an der Losbude auf der Kirmes! Gewinne im Heft, Gewinne online, Gewinne auf Steady. Für letzteres haben wir uns übrigens was Besonderes ausgedacht, dort hatten wir für unsere Supporter jetzt schon signierte STICK TO YOUR GUNS-CDs sowie von SUM 41 signierte Ausgaben des Heftes. Und weitere Aktionen sind da in Planung, also vielleicht einfach mal dort reinschauen? Aber auch hier soll es natürlich wieder was geben, einfach eine Mail mit eurer Adresse und dem jeweiligen Betreff an office@fuze-magazine.de schicken, und vielleicht habt ihr an unserer virtuellen Losbude ja Glück!

*Aboprämie

Wer das Fuze neu abonniert, erhält auf Wunsch die AUGUST BURNS RED-CD „Guardians“ (Spinefarm / Fearless Records) als Prämie. (erhältlich ab 03.04.2020 solange der Vorrat reicht)

Zunächst hätten wir da was ganz Exklusives: Eine Testpressung von MARCH, deren neues Album „Set Loose“ nun über Uncle M erscheinen wird. Im unserem Review heißt es: „ein kleines, feines, unerwartet frisches Album, das zwischen weichen und härteren Fat Wreck-Tönen hin und her pendelt.“ Klingt nicht schlecht? Dann eine Mail mit dem Betreff: „Wenn das Fat Mike hört!“ abschicken!

Dann gibt es noch mehr Vinyl! Die Jungs von FLASH FORWARD haben es sich einfach gemacht und sich kurzerhand einfach selbst eine goldene Schallplatte verliehen. Und weil sie viel zu viele haben, verlosen wir gleich drei Mal das neue Album „Golden Rust“ auf goldenem Vinyl. „Goldene Schallplatte? Die hänge ich mir an die Wand!“

Fuze-Abo

Das Fuze-Abo über ein Jahr (sechs Ausgaben) für 15 Euro – auch ins Ausland. Das Abo verlängert sich um jeweils ein Jahr, wenn es nicht bis spätestens vier Wochen vor Erscheinen der letzten bezahlten Ausgabe schriftlich gekündigt wird.

Fuze-Spezial-Abo: 20 für 20.

Das Fuze-Abo über ein Jahr (sechs Ausgaben) für insgesamt 20 Euro, wobei von jedem Heft zwanzig Exemplare geliefert werden. [Das Abo verlängert sich nicht

automatisch!]

Fuze-Backissues-Paket.

Dann haben wir noch einen besonderen Preis für euch. Wir verlosen 2x2 VIP-Tickets für das IMPERICON FESTIVAL in Leipzig, einschließlich einer Backstage-Führung. Nicht schlecht! Aber wehe, ihr benehmt euch nicht und das fällt dann auf uns zurück. Betreff: „Ich verspreche, mich gut zu benehmen und maximal ein Selfie vor der Bühne zu machen!“

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, Umtausch oder Barauszahlung der Gewinne ist nicht möglich. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Teilnahme über Dritte, die die Teilnahme an Gewinnspielen vermitteln. Weitere Informationen zu den Gewinnspielen unter: ox-fanzine.de/teilnahmebedingungen

Alle noch verfügbaren Fuze-Backissues für 15 Euro.

Solange der Vorrat reicht, ohne Anspruch darauf, dass wirklich jedes alte Heft hier dabei ist, weil womöglich zeitlich vergriffen. Es gibt auf jeden Fall 35 Hefte, je nach Lagerbestand aber auch mehr.

Fuze-Backissues.

Ältere Fuze-Ausagben für je 2,50 Euro (inkl. P&V, auch ins Ausland). Welche Fuze-Ausgaben noch lieferbar sind, steht ständig aktualisert hier: www.ox-fanzine.de/fuzeshop.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, Umtausch oder Barauszahlung der Gewinne ist nicht möglich. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Teilnahme über Dritte, die die Teilnahme an Gewinnspielen vermitteln. Natürlich verwenden wir diese Daten nur für das Gewinnspiel, geben sie nicht weiter und löschen sie unmittelbar nach dessen Abschluss.

DIE UNTERSTÜTZER-PAKETE

Es ist kein Geheimnis, dass der Markt für gedruckte Magazine immer kleiner wird. Allein in den letzten zwei Jahren wurden einige Musikmagazine aus verschiedenen Genres aus finanziellen Gründen eingestellt. Das Fuze finanziert sich in erster Linie über Anzeigenschaltung, aber wir möchten uns nicht darauf verlassen müssen. Deshalb brauchen wir Unterstützung aus der Szene – von Menschen wie dir, denen unsere Musik und dieses Magazin genauso am Herzen liegt wie uns selbst. Und Steady ist eine Online-Plattform, die uns dabei hilft.

steadyhq.com/fuzemagazine

Das Online-Paket ab 3,50 Euro pro Monat Als Dankeschön bekommst du: • gutes Karma für die Unterstützung von unabhängigem Musikjournalismus • alle 2 Wochen unseren Supporter-Newsletter mit Verlosungen von Tickets, CDs, Shirts, Vinyl, etc. • Zugang zu unserem exklusiven Podcast (mindestens einmal pro Monat) • Pre-Reading! Vorab-Zugang zu Storys aus dem neuen Heft schon vor Veröffentlichung • Zugriff auf lange Versionen von Artikeln, die in der Printausgabe gekürzt veröffentlicht sind. • Bonus-Reviews, die nicht im Heft sind Das Print-Paket ab 5 Euro pro Monat Als Dankeschön bekommst du alles aus dem Online-Paket plus alle zwei Monate das aktuelle, gedruckte Heft per Post. Das Vinyl-Paket ab 10 Euro pro Monat Als Dankeschön bekommst du alles aus dem Online-Paket plus einmal im Jahr einen 20 Euro-Gutschein für den Vinyl-only-Shop finestvinyl.de plus alle zwei Monate das aktuelle, gedruckte Heft per Post.

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Foto: Stephan Wieser

DAS Z.

LIOTTA SEOUL

THE SILENCED

DREI GRÜNDE ... in einer Coverband zu spielen.

NOBODY LIKES A KRAUT. 2017 waren die Koblenzer LIOTTA SEOUL schon ein absoluter Geheimtipp, nachdem sie ihr erstes, selbstbetiteltes Album veröffentlicht hatten. 2020 erscheint das zweite Album, wieder ein DIY-Werk mit Unterstützung hier und da. Und genau darum geht es im Interview mit Sänger und Gitarrist Sven Int-Veen.

MY NEW ALBUM. Mit „Orator“ schicken sich

Am Ende prostituiert ihr euch als Musiker sowieso. Ob mit eurer eigenen Kapelle oder einer Coverband, spielt keine Rolle. Es gibt allerdings durchaus ein paar triftige Gründe, die eindeutig dafür sprechen, euch aufzulösen und eine Coverband zu gründen. Überlegt euch das mal. Geld & volle Konzerthallen. Beides werdet ihr niemals in dem Umfang haben, wie ihr es euch wünscht. Mit einer Coverband sieht das hingegen ganz anders aus. Jedes Wochenende ein Auftritt, so viel Gage, dass am Ende sogar etwas übrig bleibt, und Shows, zu denen auch tatsächlich mehr Besucher kommen als nur euer Cousin und seine drei Kifferfreunde. Leider finden eure gut besuchten Auftritte nicht in den angesagten Clubs der Republik statt, sondern in versifften Dorf-Bierzelten vor einer Armee von Alkoholleichen. Gute Songs. Das dürfte für euch eine ganz neue Erfahrung sein. Je nach Repertoire-Auswahl kann es unter Umständen sein, dass ihr Lieder performen dürft, die alles, was ihr in eurer jämmerlichen Musikerkarriere jemals geschrieben habt oder schreiben werdet, in den Schatten stellen. Leider bestimmt auch im CoverbandBusiness die Nachfrage das Angebot und so werdet ihr jeden Abend die größten Hits der Onkelz, DIE TOTEN HOSEN und NICKELBACK performen. Und dennoch: selbst deren Werke sind um ein Vielfaches besser als eure eigenen Songs. Treue Fans. Während ihr bisher die Leute mit der Brechstange zwingen müsst, zu euren Konzerten zu kommen, passiert das als Coverband ganz von alleine. Da reichen ein schmissiger Bandname – hier einige nicht erfundene Goldstücke: ROCKWÄRTZ, STINK FLOYD, SAXY MOTHER FUNKERS, DIE IGELS, OISIS, ABDECKER HERZBUBEN –, das Versprechen, „so lange zu spielen, bis keiner mehr steht“, und der dezente Hinweis, dass der halbe Liter Bier nur 1,50 Euro kostet, um die Besucher bereits Wochen vor der Veranstaltung in vorfreudige Aufruhr zu versetzen. Am Ende ist es zwar allen egal, ob die Musik vom Band kommt oder live aus euren Amps, aber immerhin rastet die Meute aus und jubelt euch zu ... sobald ihr „How you remind me“ oder „An Tagen wie diesen“ anstimmt. Siehe oben. Das alles könntet ihr haben, wenn ihr endlich aufhört die Musikwelt mit euren Eigenkompositionen zu verpesten. Die klingen ohnehin wie ein Rip-off vom Ripoff vom Rip-off eines BLACK SABBATH-Songs. Ihr seid also, Stand jetzt, ohnehin gar nicht so weit weg von einer Coverband. Das Z (theletitburnagency.de)

In einem der LIOTTA SEOUL-Songs auf ihrem kommenden Album „Hopper“ singt Sven: „Nobody likes a Kraut who’s bumming everybody out“. Er erklärt, wer und was damit eigentlich genau gemeint ist: „Im Song geht es darum, dass wir wissen, dass die Rockmusik kaputtgeht und dass die DIY-Shows aussterben. Also, dass die Situation für eine Band wie uns sehr undankbar ist. Denn niemand schaut sich gerne DIY-Rockkonzerte an, so wie vor ein paar Jahren. Niemand mag einen Deutschen, der auf der Bühne nur Trübsal bläst, das wäre dann ich. Wir spielen die Shows aber trotzdem, weil wir es geil finden.“ Wie auch ihr letztes Album ist „Hopper“ vor allem in DIY-Manier entstanden. Das Artwork, die Shirts und sämtliche Videos hat die Band selber gemacht, CDs und Platten produziert eine Firma und auch für die Aufnahmen haben LIOTTA SEOUL sich Beistand geholt. In Amerika haben sie bei Jack Shirley aufgenommen, der zum Beispiel auch für das letzte Album von OATHBREAKER verantwortlich war. „Da wollte ich unbedingt wissen, wer das gemacht hat, weil ich den Sound so unfassbar gut fand“, erzählt Sven. Vor Ort war dann alles noch besser, als die Band es erwartet hatte: „Er nimmt auf Tape auf und hat super viele alte Instrumente da. Wir spielen selber auch fast nur Vintage-Instrumente und dann war es cool, mit alten Instrumenten auf anderen alten Instrumenten aufzunehmen. Alles ist alt! Nichts, was wir benutzt haben, war nicht schon da, bevor ich geboren wurde.“ Während der Produktion gab Jack der Band die Chance, ihre Ideen bestmöglich auszuprobieren. Trotzdem ist alles selber zu machen und alles selber zu entscheiden nicht nur von Vorteil, auch das ist der Band bewusst: „Wir können in unserem Tempo mit unseren Ideen das veröffentlichen, was wir wollen. Aber es limitiert uns auch. Es wäre auch schön, eine Person an der Seite zu haben, die ein Netzwerk hat. Es wäre gut, einen Menschen zu haben, der alle Fehler schon gemacht hat und einen davor bewahren kann, sie selber zu machen.“ Ihre Motivation und ihre Leidenschaft für die Musik haben LIOTTA SEOUL trotz der Anstrengungen nicht verloren. Und das merkt man auch bei „Hopper“. Britt Meißner

die fünf Finnen an, ihrem Publikum große Themen im Metalgewand näherzubringen. Worum es genau geht, klären wir mit Gitarrist Janne Jaakkola. Das Erste, was mir ins Auge gesprungen ist, ist ein Songtitel: „The Semmelweis reflex“. Was ist das? Der „Semmelweis-Reflex“ beschreibt eine Form des menschlichen Verhaltens, nämlich die Neigung, neue Erkenntnisse abzulehnen, benannt nach Dr. Ignaz Semmelweis. Unser Sänger Juha, der alle Texte schreibt, war fasziniert davon, denn es ist im Kern der menschlichen Psyche verankert und scheint doch vollkommen unlogisch und unserem Weiterkommen als Spezies zuwiderlaufend. Es spielt eine große Rolle in unserer Gesellschaft und ist Teil unserer dunkleren Seite, die auch die Themen unseres Albums bestimmen. Der Song ist auch der letzte Teil einer Videotrilogie, wie sind diese Songs verbunden und was haben sie für eine Botschaft? Ja, wir haben Videos für „Resist to exist“, „The Semmelweis reflex“ und „End machine“ gemacht, die wir veröffentlich haben, bevor wir bei Out Of Line Music unterschrieben haben. Die Videos haben einen ähnlichen Inhalt, deswegen haben wir sie eine Trilogie genannt. Allerdings haben wir die letzten beiden Clips aus verschiedenen Gründen wieder aus dem Netz genommen und sie bleiben auch erstmal unveröffentlicht, aber wer weiß, vielleicht werden sie eines Tages als ultra rares Bonusmaterial neu veröffentlicht. Ich habe gelesen, dass das konstante Einprasseln von schlechten Nachrichten eine Inspiration für eure Texte war. Worum genau geht es auf „Orator“? Es gibt ein paar Inhalte, die sich mit den Menschen und der Gesellschaft beschäftigen, die auf „Orator“ immer wieder auftauchen. Diese setzen sich in bestimmter Weise fort, um dem Hörer eine spezielle Message zu vermitteln. Das Album ist in drei Teile geteilt, was einem tieferen Sinn entspringt. Man könnte sagen, das Album repräsentiert Dinge, die viele Menschen beschäftigen, die sie aber nicht aussprechen, da sie unangenehm sind. Das Album beginnt eher hart mit Songs wie „End machine“ und „Death on the rise“, dann kann man in der Mitte bei „Omnigma“ ein wenig durchatmen und danach wird es wieder schneller mit „Arguments of ignorance“, um dann im majestätischen „Beyond the pale“ zu enden, mit tollen, magischen Cello-Soundlandschaften unseres ehemaligen Bandmitglieds Max Lilja. Es gibt auf dem Album keine erfundenen Geschichten, nur die brutale, ehrliche Sicht der Dinge und Erfahrungen des menschlichen Lebens. Dennis Müller

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DAS FUZE IN ZAHLEN DISKRIMINIERUNG. Wir müssen reden: Wir machen diese schönen Zahlenspiele jetzt seit gerade mal drei Ausgaben, aber es kristallisiert sich bereits eine Wahrheit heraus: Bassisten und Bassistinnen sowie Schlagzeuger und Schlagzeugerinnen dürfen nix sagen. Und wenn ein Schlagzeuger mal was sagen darf, dann z.B. der von CODE ORANGE und das gilt nicht, denn der singt auch. Wir sind da also durchaus etwas auf der Spur! Bis zur nächsten Ausgabe finden wir raus, was da los ist.

GENRES IN DIESEM HEFT

HERKUNFTSLÄNDER

(laut Eigenbeschreibung oder Wikipedia) Hardcore Metalcore Post-Hardcore Odd World Music Metal Adult Mid-Tempo Contemporary Rock Absolutely Awesome Music Alternative Rock Metallic Hardcore Trancecore Death Metal Violent Pop Chiptune / Synth Metal Beatdown Dream Punk Punk Pop Punk Emo / Emo Rock Metal / Barock

7% 17 % 10 % 2% 17 % 2% 2% 2% 5% 2% 10 % 2% 2% 2% 2% 2% 5% 2% 2%

DIE MEISTEN ALBEN

USA Deutschland UK Kanada Norwegen Frankreich Belgien Australien Neuseeland Finnland

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WER DARF BEI INTERVIEWS ANTWORTEN TESTAMENT SILVERSTEIN ABORTED MADBALL HEAVEN SHALL BURN THE BLACK DAHLIA MURDER AUGUST BURNS RED DANCE GAVIN DANCE THE USED ALL TIME LOW MASS HYSTERIA FOUR YEAR STRONG THE AMITY AFFLICTION TENSIDE PARKWAY DRIVE ENTER SHIKARI BURY TOMORROW

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Sänger Gitarrist Bassist Schlagzeuger

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Foto: C. Pekkakeränen

BLIND CHANNEL

VIOLENT SOHO

MY ALBUM TITLE. „Violent Pop“ ist nicht nur der Titel des neuen Albums der Finnen, sondern auch die Genrebezeichnung, die sich die Band selbst verpasst hat. Gitarrist Joonas erklärt uns, was wir darunter zu verstehen haben.

MY RELEASE DATE. Am 3. April erscheint nach

Vor zwei Jahren haben wir bereits miteinander gesprochen, da ging es auch um das Genre „Violent Pop“. Jetzt heißt euer Album so. Ist dies nun also die Definition von „Violent Pop“? Exakt. Wir fühlten uns bereit für ein selbstbetiteltes Album, aber irgendwie fanden wir es dann passender, es nach unserem Genre zu benennen. Es ist mehr eine Beschreibung unserer Musik als nur ein neues Genre. So wie HIM ihr größtes Album „Love Metal“ genannt haben, fanden wir, dass dieses Album eine kompakte Sammlung von „Violent Pop“ ist. Damals sagtet ihr mir, dass „Violent Pop“ dafür steht, Musik ohne Grenzen und Beschränkungen machen zu können. Hat sich daran etwas geändert? Seit ihr an Grenzen gestoßen, die ihr vielleicht nicht erwartet hattet? Auch 2020 gibt es keine Grenzen für das, was wir machen, denn wir können alles nach BLIND CHANNEL klingen lassen. Natürlich gibt es immer Dinge, die zu verrückt sind, um einen guten Song daraus zu machen, aber wir mochten schon immer, wenn es ein wenig experimentell wird, wenn es um Einflüsse verschiedener Musikrichtungen geht. Wenn es ein wirklich exotisches Element gibt und dein Song immer noch catchy ist, dann bist nahe an etwas Großem. Da ihr ja die Erfinder des „Violent Pop“ seid, würdest du sagen, dass es auch andere Bands gibt, die in dieses Genre fallen? Oder ist das eher ein exklusives Label für euch? Es gibt ein paar Bands in Europa, die uns da aufgefallen sind, und das ist natürlich cool! Jede Band hat ihren eigenen Sound und mit BLIND CHANNEL wollen wir immer einen Schritt voraus sein und etwas erschaffen, das wir noch nie gemacht haben. „Violent Pop“ ist mehr ein Genre nur für uns. Es gibt diverse Bands, die ihrer Musik einen eigenen Namen geben, aber sie machen nicht wirklich etwas Frisches oder Neues. Wir wollten immer etwas Originelles erschaffen und so wurde „Violent Pop“ geboren. Es ist unsere Marke, unser Produkt und eine perfekte Beschreibung unserer Musik. „Violent Pop“ ist BLIND CHANNEL. Was sind die größten Herausforderungen, wenn man ein Album schreibt, das einen hohen PopAppeal hat, aber auch heavy sein soll? Wenn du für ein Album poppige und harte Songs schreibst, ist das immer ein Risiko. Du kannst den roten Faden verlieren. Es nicht einfach. Es kommt darauf an, die Themen, die wirklich wichtig sind, im Auge zu behalten. Die harten und poppigen Songs müssen sich ergänzen. Ich glaube, das ist uns auf „Violent Pop“ gelungen. Dennis Müller

einer geplanten Auszeit „Everything Is A-OK“, das neue Album von VIOLENT SOHO aus Australien. Viele weitere spannende Ereignisse fanden bisher am 3. April statt, zu denen Drummer Mikey uns Rede und Antwort steht. 3. April 1764: Joseph II. wurde zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt. Womit wollt ihr eurer „Comeback“ krönen? Wir wollen nur eine qualitativ hochwertige Platte rausbringen, die in jeder Hinsicht ehrlich rüberkommt. Hoffentlich werden die Leute das zu schätzen wissen. Am 3. April 1982 ist der Geburtstag von Cobie Smulders, bekannt als Robin in „How I Met Your Mother“, sie kommt aus Kanada. Warum habt ihr ein Lied namens „Canada“ und wovon handelt es? Das Lied handelt davon, auf Tournee zu sein, weg von dem materiellen Alltagsleben, auf der anderen Seite der Welt, und sich entspannt und wohl zu fühlen, trotz all der ängstlichen Ungewissheit, die damit einhergeht, dass man als Individuum an einem scheinbar zufälligen Ort auf dem Planeten abhängt. Kanada beschwört Bilder herauf von riesigen Taiga-Wäldern mit endlosen Bäumen und beständiger, unberührter Schönheit, die in einem den Wunsch wecken, in die schöne weite Natur einzutauchen und in Frieden zu leben. 3. April 1929: Rudolf Hell erfand einen Fernschreiber, der Nachrichten mit elektrischen Signalen senden konnte. Heute ist ein Smartphone unsere wichtigste Verbindung zu Freunden. Was sind weitere wichtige Dinge, die ihr auf Tour mitnehmt? Man muss immer eine Schüssel, eine Schere und Papier dabeihaben. 3. April 1913: Der Stapellauf der „Vaterland“ in Hamburg, dem zu dieser Zeit größten Passagierschiff. Auch ihr werdet demnächst auf Reisen gehen. Die Tour besteht aus nur vier Terminen: Amsterdam, London, New York und Los Angeles. Warum habt ihr euch für diese Städte entschieden? Wir wollten an Orten auf der Welt spielen, von denen wir hoffen, dass man als Band aus Australien vielleicht ein wenig Aufmerksamkeit erzeugt. Wenn ihr also eine australische Band sehen und feiern wollt, dann sollten wir das sein! Der 3. April ist der 93. Tag im Kalender – von 2020 sind noch 272 Tage übrig. Was macht die Band in den kommenden 272 Tagen? Jede Menge Festivals, Tourneen, in der öffentlichen Bibliothek sitzen, um einen Computer zu benutzen und Interviews mit legendären Magazinen vom anderen Ende der Welt zu führen. Danke für die Liebe! Britt Meißner

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Foto: Karo Schäfer (cateyephotography.com)

Foto: Sebastian Igel

TIGERYOUTH

GLACIER VEINS

MICROWAVE

HAPPY BIRTHDAY! Zehn Jahre schon zieht der Ibbenbürener Tilman Zick unter dem Synonym TIGERYOUTH durch die Lande und hat hunderte Bühnen bestiegen. Zum Jubiläum wird das Konzept geöffnet und wächst zu einer vollen Band an.

MY MIXTAPE. Sag mir, was du hörst, und ich sage dir, wie deine Band klingt. So oder so ähnlich könnte man „My Mixtape“ erklären. Diesmal stellt Malia, Sängerin und Gitarristin von GLACIER VEINS aus Portland ein Mixtape für uns zusammen.

KUNST IST KUNST IST KUNST. Ein Interview mit Nathan Hardy, Sänger der Rockband aus Atlanta, über Nihilismus und Motivation, warum vor Anstrengung kotzen etwas Gutes ist und warum man sich das alles antut – nämlich weil’s eben nichts Besseres gibt.

Zehn Jahre TIGERYOUTH. Wie konnte es so weit kommen? Tilman: Wenn ich mir so angucke, wie es um die Bands und Künstler*innen so steht, mit denen ich die ersten Jahre auf Tour war, frage ich mich das manchmal auch. Auf jeden Fall war da sehr viel Naivität und Sturheit meinerseits. Trotz bestimmt auch. Vielleicht auch Rücksichtslosigkeit. Es blieb auch viel auf der Strecke. Aber es gibt einfach kein vergleichbares Gefühl. Damit meine ich den ganzen Prozess, nicht nur den Bühnenmoment. Songs schreiben, aufnehmen, rausbringen und spielen, aber auch Konzerte buchen, Menschen kennen lernen, alles, was dazugehört. Selbst beim Papierkram habe ich, wenn es um Musik geht, das Gefühl, das Richtige zu machen. Nee, im Ernst. Alles Ausreden für cringy Insta-Storys. Da gab es doch bestimmt viele Ups und Downs. Gibt es da einen Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt, den du mit uns teilen magst? Riccarda: Der größte Höhepunkt überhaupt ist sicherlich, Linda, Simon und mich zu TIGERYOUTH überredet zu haben. Tilman: Definitiv. Keine Ahnung auch, wie ich das geschafft habe. Als ich das erste Mal die schrebbeligen Proberaumaufnahmen gehört habe, auf denen Riccarda und Linda die Songs spielen, hatte ich wirklich ein bisschen Pipi in den Augen. Mein Tiefpunkt war eine Show in Bonn 2016, als ich das erste Mal eine Panikattacke auf der Bühne hatte und den ganzen Scheiß, den ich immer wieder verdrängt hatte, nicht mehr ignorieren konnte. Im Nachhinein also eigentlich gut, aber der Moment war die Hölle. Der Geburtstag ist ja auch ein Umbruch. Was stehen für Veränderungen für TIGERYOUTH im zehnten Jahr an? Und warum? Riccarda: Mal sehen, was da noch auf uns zukommt. Der Umbruch wird vielleicht zum Durchbruch? Wir übernehmen einfach die gleiche Naivität und Sturheit, die Tilman die letzten zehn Jahre dazu gebracht hat, weiterzumachen und hier zu sein! Tilman: Vielleicht ergeben sich als Band noch mal neue Möglichkeiten, mal gucken. Hauptsache, Shows spielen. Ich bin super gespannt, wie der kreative Prozess als Band wird. Das wird für mich die größte Umstellung, glaube ich. Wirst du die Band in ein paar Jahren dann in TIGER YOUNG ADULTS umbenennen? Tilman: Ich habe mich schon auf eine Berufsjugendlichenkarriere eingestellt. Also lassen wir den Namen mal. Riccarda: Prinzipiell können wir diese Namensänderung gerne noch mal diskutieren, finde ich. Ganz guter Vorschlag. TYA. Tilman: Wenn solche Abkürzungen dann noch im Trend sind: gerne. Dennis Müller

Welcher Song sollte der erste auf einem Mixtape sein? Das kommt natürlich darauf an, welchen Vibe die Playlist hat, aber eine „Feelgood-Playlist“ sollte mit „That’s love“ von Oddisee anfangen, denn er macht Spaß und man kann immer dazu tanzen. Welche Band hat dich dazu gebracht, ein Instrument zu lernen? Hilary Duff hat mich sehr inspiriert, als ich so acht oder neun Jahre alt war. Ich habe so getan, als würde ich ein Konzert spielen, und bin auf meinem Bett herumgehüpft und habe ganze Alben von ihr mitgesungen. Da habe ich auch schon begonnen, Songs zu schreiben, was aber nur Texte und Melodien waren. Weil ich da aber mehr wollte, begann ich so mit elf oder zwölf Jahren Gitarre zu spielen. Ich höre auch heute noch ab und zu die ersten Alben von Hilary Duff. Gibt es einen Song oder eine Band, die für euer Album „The World You Want To See“ wichtig war? Ich bin mit Sicherheit unterbewusst von vielen Songs beeinflusst worden, die sich in meinem Songwriting wiederfinden, aber es ist schwierig, da etwas Bestimmtes herauszupicken und als großen Einfluss zu benennen. Wir hören alle mehr oder weniger die gleiche Musik in der Band, aber es gibt auch Sachen, die die anderen nicht hören. Im Großen und Ganzen kann man wohl sagen, dass wir von vielen verschiedenen Stilen beeinflusst worden sind. Nehmen wir mal an, du könntest einen Song klauen. Niemand würde jemals wissen, dass er nicht von euch stammt. Welcher Song wäre das? Vielleicht „Dreams“ von FLEETWOOD MAC. Mein Songwriting ist stark von diesem Song inspiriert, Träume, Wetter und Beziehungen, alles findest du in diesem Song. Die Musik und die Melodien sind auch einfach wunderschön. Welcher Song von eurem Album war am einfachsten zu schreiben, welcher am schwersten? „Everything glows“ war ziemlich einfach. Den haben wir an einem Nachmittag geschrieben, als wir an einem Offday auf Tour in Los Angeles herumhingen. „Time“ war jetzt nicht schwierig, aber wir haben öfter die Struktur des Songs verändert, daher haben wir daran am längsten gearbeitet. Was ist dein Lieblings-„Feelgood“ Song? Wahrscheinlich das ganze Album „Adventures“ von SUPERSONIC HOME. Ich höre das immer, wenn die Sonne scheint, daher verbinde ich es mit Energie und einem schönen Tag und ich fühle mich dann gut. Mal angenommen, ich mache ein Mixtape für jemand Besonderen. Welcher Song von „The World You Want To See“ sollte drauf sein? Ich würde sagen, „Another feeling“, denn er handelt davon, mit einer Person verbunden zu sein, wo auch immer du bist. Dennis Müller

Eure neueste Platte „Death Is A Warm Blanket“ wirkt resignierter, frustrierter, dunkler. Woher kommt das? Es gab immer einen dunklen Unterton in der Musik, die wir gemacht haben. Leider bin ich ein chronisch unglücklicher Mensch, und dieses Album wurde während eines besonders schwierigen Jahres geschrieben. Um motiviert und begeistert zu bleiben, musste ich mich beim Songwriting immer wieder selbst überraschen und alles einfach geschehen lassen. Ich wollte, dass wir nach „Much Love“ etwas Entspanntes und Zugänglicheres schreiben, aber ich konnte mich nicht motivieren, die positive Energie herbeizuzwingen. Der Song „Part of it“ klingt für mich, als wäre Musik das Mittel, um dein schlechtes Gefühl über die Welt, jeden darin und einen selbst auszudrücken: „In a perfect world, I wouldn’t sing“. Meine Absicht war es, sardonisch das ganze Ausmaß meines Nihilismus zu bekennen. Im Internet-Zeitalter will jeder für etwas stehen und eine Aussage machen, um das Gefühl zu haben, dass das, was er tut, einen höheren Zweck hat. Die Menschen wollen eine große Botschaft in ihrer Kunst haben und neigen dazu, diese Botschaft stärker zu betonen als die Kunst, weil sie sich dadurch bedeutend fühlen. Wenn man darüber nachdenkt, wie zutiefst bedeutungslos das eigene Leben ist, dann ist das alles super-konstruiert und ignorant. Würden sie alle ruhig und zufrieden sein und nicht den Wunsch verspüren, Kunst zu machen, wenn die Welt der utopische Ort wäre, von dem sie behaupten, dass sie ihn sich wünschen? Jede Kunst, die sich lohnt, ist Kunst, die um ihrer selbst Willen gemacht wurde. Man braucht keine Agenda. Ihr seid gerade auf einer langen Headliner-Tour durch die Welt, demnächst in Deutschland. Fühlt ihr euch bereit dafür oder freust dich sogar, bei all dem Nihilismus? Haha, klar, ich bin begeistert! Headliner-Tourneen sind immer aufregend, weil sie in den Augen der Musikindustrie buchstäblich den Wert einer Band bestimmen. Aber wir touren mit langjährigen Freunden von uns, ich bin zuversichtlich, dass wir eine schöne Zeit haben werden. Und wir sind zwar alle keine guten Bühnen-Redner, aber ich liebe die Energie, die live entsteht – ich habe kein gutes Gefühl bei unserem Auftritt, wenn ich nicht mindestens einmal mein Hemd durchgeschwitzt und vor Anstrengung fast gekotzt hätte. Hast du manchmal auch einfach keinen Bock mehr, tourender Musiker zu sein? Ich habe in den letzten Jahren versucht, mir etwas zu überlegen, was ich lieber tun würde, und ich bin immer noch ratlos. Ich habe enge Freunde, die einen vernünftigeren und finanziell stabileren Weg eingeschlagen haben, und sie versichern mir, dass das auch nicht so toll ist, wie es zu sein verspricht. Na ja. Die Menschen wollen immer das, was sie nicht haben. Christina Kiermayer 11

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MY REISSUE. Vor zwanzig Jahren ist „Hold It Down“ erschienen, unser viertes Album, das ein sehr genaues Bild vermittelt vom „NY State of Mind“. Von der ersten Sekunde an, beginnend mit dem Intro, spiegelt alles den New Yorker Stil wider. Man musste also wissen, worauf man sich einlässt. Wir haben konsequent unser Ding durchgezogen, fest verwurzelt im NYHC! Aus unserer Perspektive natürlich, die einzigartig war in unserem Umfeld. Die Mentalität der Straße war ja immer sehr präsent bei uns. Doch hier kam eine Extraportion Schmutz und Verzweiflung dazu. Auf der anderen Seite haben wir darauf auch ganz persönliche Dinge verarbeitet wie Beziehungen, Herzschmerz und so weiter. In vielerlei Hinsicht befanden wir uns buchstäblich an einem Scheideweg. Der Umgang mit uns war damals sicher eine Herausforderung für viele Leute ... einschließlich uns selbst!

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„Can’t stop won’t stop“: Unsere Hymne an die Straße. Es geht darum, innerlich zerrissen zu sein – wir liebten unseren Lebensstil, seine negativen wie positiven Seiten. Uns war durchaus bewusst, wohin dieser Weg führen könnte oder würde. Dennoch ließen uns bestimmte Aspekte einfach nicht los. Die letzte Zeile lautet: „I pray there is still hope for me.“ Das kommt daher, dass ich damals sehr darin gefangen war. „Hold it down“: Ein straighter Hardcore-Song à la MADBALL. Eines vorab: Es gibt die falsche Vorstellung über uns, unsere Lieder würden immer bloß von „der Szene“ handeln. Das ist ein Irrtum. Manche drehen sich um unsere Kultur, manche auch um etwas völlig anderes. Bei diesem Stück lässt sich allerdings nicht leugnen, worum es geht. Es ist selbsterklärend. Es war eine schräge Zeit im Hardcore, um ehrlich zu sein, wir wollten das Ganze einfach zusammenzuhalten – oder „hold it down“, wie wir auf der Straße sagen. Damit wollten wir der älteren und der neuen Generation klarmachen, dass wir unser Ding auf unsere Weise durchziehen werden, ob es ihnen passt oder nicht. Das war ein Statement. Vielleicht hatten wir eine große Klappe, aber so waren wir damals drauf. „Fall this time“: Eines dieser doppeldeutigen Stücke. Es ging ursprünglich um ein paar Freunde von mir. Sie hatten das mit dem Partymachen und dem Drogenkonsum ein bisschen übertrieben. Das Interessante daran ist, dass mir irgendwann klar wurde, wie tief ich selber mit drin hing. Ich finde in dem Song einige harte Worte, hinter denen aber eine gute Absicht steckt. Wenn man zwischen den Zeilen liest, merkt man, dass ich sie eigentlich auch an mich selbst richte. Das gilt für einige Texte auf dieser Platte. Ich hatte in dieser Phase meines Lebens wirklich mit inneren Dämonen zu kämpfen. Das betraf nicht nur mich, so erging es vielen. Leider haben wir ein paar wunderbare Leute verloren. Darunter in den folgenden Jahren einige meiner besten und engsten Freunde. „Everyday hate“: Es geht um Faker in unserer Szene. Sie haben ein Image von sich kreiert, das meistens falsch war. Nicht jeder hat Einblick in die Hintergrundgeschichte der Leute oder was alles hinter den Kulissen passiert. Ob wir wollen oder nicht, wir haben ihn. Man erfährt also so einiges über die Leute anhand ihres Verhaltens, ihres Geschäftsgebarens, was auch immer. Ein paar waren irgendwann einmal unsere Freunde. Die Sache ist die, dass man sich nicht mehr für Leute mit miesem Charakter gerade machen kann. Es würde unweigerlich auf uns zurückfallen. Wenn einem das klar wird, hinterlässt das eine Menge Bitterkeit, eine Menge Hass. Wir mussten ein paar Leute exkommunizieren aufgrund ihres Verhaltens, ihres Charakters oder des Mangels daran. Permanente Lügengeschichten, krumme Geschäfte ... Dafür ist in unserer Welt kein Platz. Freddy Cricien

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light the fuze

UP

UP & COMING

THE OBLYVION

Heimat: Wir kommen aus Mannheim, Landau und Stuttgart. Einen direkten Einfluss auf unseren Sound hatte dies bisher nicht. Es gibt einige Bands aus unserer Umgebung, die uns sehr gefallen, allerdings machen diese ganz andere Musik. Was war: Unser Bassist Bene und unser Gitarrist Pablo spielen zusätzlich noch bei MINDEAD. Schlagzeuger Ingo

Foto: Felix Alberlin

LETTERS SENT HOME

Heimat: Die Musik- und Jugendkultur in Wolfsburg ist kaum existent, alles, was zählt, sind Autos und Großraumdiscos. Wir haben uns immer anderswo umgeschaut, reisen für Konzerte hunderte Kilometer in andere Städte, selbst eine Stadt wie Hannover war

ist noch bei ICHORID, war früher bei SOPHICIDE und zusätzlich bei HACKNEYED als Session-Drummer tätig. Gitarrist Chris und ich sind ehemalige Mitglieder von CYPECORE. Es kam früher oft vor, dass der eine oder andere bei anderen Bands ausgeholfen hat. Dadurch hatten wir früher schon immer mal wieder Kontakt miteinander. Was ist: Wir haben aktuell die Arbeit an unserem Debütalbum abgeschlossen, das am 20. März im Handel erscheinen wird. Eine kleinere Tour und zusätzliche Shows sind in Planung. Was kommt: Wir sind aktuell dabei, uns bei BookingAgenturen zu bewerben, und möchten in nächster Zeit noch mehr Auftritte in Clubs und auf größeren Festivals spielen. Wir haben damals mit CYPECORE zum Beispiel auf Festivals wie dem Summer Breeze Open Air gespielt. Da möchten wir wieder hin. Selbstverständnis: Wir legen viel Wert darauf, dass man bei unseren Aufnahmen, trotz der etwas härteren Musikrichtung, unsere Texte auch richtig versteht. Die Inhalte bewegen sich in einem sehr sozialkritischen Bereich, der von Politik bis hin zu ethischen Grundlagen reicht. In vielen Songs geht es um den permanenten Kampf zwischen Mensch und Natur, wie wichtig es ist,

seine Umgebung aktiv und aufmerksam wahrzunehmen. Gleichzeitig hinterfragen wir die Notwendigkeit der Digitalisierung und beschäftigen uns mit verschiedenen Arten der Verarbeitung. Wobei wir hier direkt beim Thema unseres Debütalbums wären: Der ständige Kampf mit uns selbst. Hiermit versuchen wir den Hörern nahezubringen, stets alles um sich herum bewusst wahrzunehmen und zu verarbeiten, denn dieses Bewusstsein ist essentiell wichtig für das allgemeine Wohlbefinden. Wir kämpfen so oft in unserem Inneren gegen uns selbst und verlieren durch Gedankenspiralen den Blick nach außen. Der Mensch wird bei uns auch teilweise als „Virus“ dargestellt. Ein Individuum, das oft unbewusst und unreflektiert Entscheidungen trifft, ohne Rücksicht auf Verluste. Instrumental ist es uns wichtig, dass wir gleichzeitig aggressiv, aber auch melodisch bleiben und sich die Songs dadurch sehr dynamisch zueinander verhalten und ihren Wiedererkennungswert nicht verlieren. Klingt wie: Die gute alte Lieblingsfrage. Beeinflusst haben uns IN FLAMES, SOILWORK, ARCHITECTS, THY ART IS MURDER, WHITECHAPEL und SUICIDE SILENCE, damals noch mit Mitch. Attila, Gesang

für uns immer ein Traum. Wir wollten schon immer so schnell wie möglich raus aus dieser prüden, kommerziellen Wohlstandsgesellschaft rund um Wolfsburg. Was war: Schon als Dreizehnjährige haben wir zusammen auf Schulkonzerten Songs von BLINK-182 und LINKIN PARK gespielt. Irgendwann schrieben wir unsere eigenen Songs. So sind die ersten Klänge unserer Debüt-EP „Back To Life“ zustande gekommen, die im Frühjahr 2018 veröffentlicht wurde. Was ist: Wir haben das letzte Jahr mit Julian Huisel von POLARBEATS, dem ehemaligen VITJA-Sänger Dave und Aljoscha von den Pitchback Studios – ESKIMO CALLBOY, ANY GIVEN DAY – Stücke geschrieben, unseren Sound gesucht und gefunden. Das Ergebnis sind fünf Songs. Die ersten zwei Singles, „Mosaic mirror“ und „Golden hostage“, der self-titled EP sind bereits veröffentlicht, „Vendetta“ und „Heaven hell“ kommen im April. Was kommt: Wir arbeiten momentan aktiv an einem Album, in dem wir das Thema „It’s okay not to be okay“ adressieren. Mit unseren neuen Songs wollen wir so

viele Konzerte spielen wir möglich. Natürlich träumen wir auch davon, irgendwann mit Idolen wie DREAM STATE oder PVRIS die Bühne zu teilen und auf Festivals wie Rock am Ring oder Reading/Leeds zu spielen. Selbstverständnis: Das Thema mentale Gesundheit ist schon seit Gründung der Band ein Thema. Nicht nur in unseren Songs, sondern auch auf der Bühne, in den sozialen Medien, so oft wie möglich versuchen wir dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken. Hoffnung ist der Grund, warum wir Musik machen, und unsere Message an die Hörer ist ganz einfach: Du bist nicht allein! Klingt wie: Wir sind fasziniert von Billie Eilishs Emotionen, überwältigt von CJs Screams bei DREAM STATE, mitgenommen von Michaels Gitarren bei BEING AS AN OCEAN und überzeugt von der Newcomerin Nina Chuba, die in ihren Songs HipHop und Pop zusammenfließen lässt. So kann bei uns nur eine Mischung aus Metal und Pop zustandekommen. Hart und dennoch soft. Wir glauben, dass uns das auszeichnet. Emelie, Gesang

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HEAVEN SHALL BURN

Foto: Vincent Grundke (vollvincent.com)

... KOCHEN AUCH NUR MIT WASSER. Nach unserem kleinen Studioeinblick in der letzten Ausgabe habe ich mich ein zweites Mal mit Maik von HEAVEN SHALL BURN zusammensetzen dürfen. Neben den Fragen zum neuen Album „Of Truth And Sacrifice“ reden wir vor allem über den anstehenden Kinofilm „Mein grünes Herz in dunklen Zeiten“, der die Band in ihrem Alltag begleitet.

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ie fühlt es sich an, den Fans so intime Einblicke in den Band- und Studioalltag zu geben? Das ist ja auch Neuland für euch. Seid ihr schon gespannt auf die Reaktionen und die Rückmeldung? Auch weil ihr ja viel aus eurem Privatleben zeigt. Wir haben eigentlich nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie bei uns die Dinge laufen. Wir haben ja jetzt kein Image, das wir irgendwie beschädigen könnten durch das, was wir da im Film zeigen. Also wenn jetzt zum Beispiel ein Black-Metal-Sänger den bösartigen Satanisten-Psycho gibt auf der Bühne, aber sich privat beim Kuchenbasar der katholischen Dorfgemeinde filmen lässt, dann ist das eventuell etwas anderes. Wir sind jedoch sehr geerdete Leute und das kommt bei der Doku auch durch, finde ich. Trotzdem gibt es natürlich sehr interessante Einblicke, aber wir haben kein Problem damit, wenn die Leute sehen, dass wir auch nur mit Wasser kochen. Wie kamt ihr auf die Idee für die Doku? Kam Ingo Schmoll auf euch zu und hatte die fertige Idee, oder war es eher umgekehrt? Ja genau, es war eher so, dass wir uns jemanden gesucht haben, der uns bei diesem Projekt unterstützen konnte. Zwar hatte Ingo früher schon mal die Idee, so etwas über uns zu machen, aber das hatte damals nicht hingehauen und fand keine Unterstützung vom Fernsehen. Also haben wir uns entschlossen, es selbst in die Hand zu nehmen, so haben wir wenigstens Kontrolle über das Material, haha. Natürlich haben wir Ingo aber von der Leine gelassen und er konnte schneiden und filmen, wie er wollte, es sollte ja schon objektiv werden und keine Hofberichterstattung. Es war auch für uns interessant zu sehen, was für einen Blick er auf die Band hat, und manche Dinge waren auch für uns wirklich überraschend. Gab es Zeiten, in denen ihr es bereut habt, die Band nicht zum Beruf gemacht zu haben? Oder seid ihr

eher froh, da es euch mehr Entscheidungsfreiheiten lässt? Natürlich fragt man sich immer, was noch hätte passieren können. Wir haben über die Jahre natürlich gesehen, wie hart und kompromisslos manche Bands arbeiten und gearbeitet haben, um dort hinzukommen, wo sie jetzt verdientermaßen weltweit stehen. So ein Weg bedeutet viele Opfer und große Brüche, ich habe riesigen Respekt vor solchen Bands, die einen derartigen Willen zur Macht haben und es dabei schaffen, trotzdem Freunde zu bleiben und ein „Leben daheim“ zu haben. Das ist alles andere als selbstverständlich und der Gefahr, dass wir heimatlose Gesellen werden, wollten wir uns ganz bewusst nicht aussetzen, denn man sieht ja nur die strahlenden Siegerbands, die es geschafft haben, die auf der Strecke gebliebenen Musiker beachtet keiner. Insofern sind wir sehr glücklich und happy, dass für uns alles so ist, wie es ist. Uns ist auch bewusst, dass wir sehr, sehr viel Glück hatten, denn gemessen an unserem Talent und unserem Aufwand sind wir wahrscheinlich die überbewertetste Band der Welt. Wir genießen die Freiheit, nicht touren oder Platten nachlegen zu müssen, sehr. So kann man auch mal Material als Doppel-LP veröffentlichen, aus dem die meisten Bands wahrscheinlich drei LPs gemacht hätten. Wie war es für euch, bei eurem „Tagesgeschäft“ immer eine Kamera dabeizuhaben? Dadurch, dass wir uns Ingo ja gerade ausgesucht haben, weil wir schon bei Drehs für den „Rockpalast“ sehr gut zurechtkamen, war es von Anfang an eine sehr lockere Atmosphäre. Irgendwann vergisst du die Kamera und es fühlt sich ganz normal an. Es ist ja kein Livestream, du kannst den ganzen Mist, der zu peinlich ist, schließlich rausschneiden – natürlich muss man dann dem Regisseur vertrauen, ohne das geht so ein Projekt nicht. Aber es sind noch genug peinliche Sachen in der Doku gelandet, keine Angst haha ...

Mittlerweile ist ja bekannt, dass ihr mit „Of Truth And Sacrifice“ ein Doppelalbum mit massiver Spielzeit auf die Leute loslasst. Wie habt ihr die Reaktionen darauf wahrgenommen? Also bisher haben wir nur freudige und positive Reaktionen erhalten. Die Leute fragen sich aber natürlich, wie eine 100-Minuten-Platte mit HSB-Stoff denn funktioniert. Und das ist dann ja erst das richtig Spannende, zu sehen, wie die Fans über dieses Experiment urteilen, wenn sie es im Ganzen zu Gemüte geführt haben! Wir sind jedenfalls gehörig aufgeregt. Es enthält eine Menge Gastauftritte. Gab es für euch einen, den ihr als „besonders“ hervorheben würdet, von dem ihr zum Beispiel immer geträumt habt? Ein langgehegter Traum ist nicht dabei, ich weiß auch gar nicht, ob wir so etwas überhaupt haben. Ein Gast auf dieser Platte, der für uns etwas ganz Besonderes war, ist aber auf jeden Fall Florian Schäfer. Von ihm stammen die Sprachsamples im Song „Terminate the unconcern“. Florian war ein riesiger HSB-Fan und ist leider 2019 schon in sehr jungen Jahren an Krebs gestorben. Wir haben seinen Kampf in den letzten Jahren mitverfolgt und es war absolut niederschmetternd, wie hart das Schicksal Florian getroffen hat. Aber es war auch unglaublich inspirierend und ermutigend, mit welcher Kraft und Entschlossenheit er sich dem Tod entgegengestemmt hat. Alex und ich haben ihn kurz vor seinem Tod noch einmal besucht und ihm ein paar Demos von HSB-Songs vorgespielt, dann haben wir ihm einfach das Mikro in die Hand gedrückt und er konnte sagen, was er wollte, wir haben ihm versprochen, das in einen HSB-Song einzubauen. Ich denke es war ein tröstlicher Gedanke für ihn, dass er wusste, dass auf diese Weise etwas Musikalisches von ihm für immer bleiben wird. Die Begegnungen mit Florian gehören auf jeden Fall zu den nachhaltigsten und kostbarsten in unserem Leben. Als wir Andy von CALI-

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BAN von dem Song erzählt haben, hat er sich sofort einen Tag lang in den Zug gesetzt und kam ins Studio, um ihn mit Molle zusammen einzusingen. Ich denke, Florian hätte das sehr gefreut und er wird zu dem Stück ordentlich die Sau raus lassen, wo immer er jetzt auch ist. Habt ihr eure Features ausgewählt, weil sie zu einem schon fertigen Song gut passen würden oder weil ihr Lust hattet, mit einem bestimmten Künstler etwas zu machen, und dann gemeinsam schauen wolltet, wo die Reise hingeht? Bei dieser Platte lief es meist so, dass wir ein paar Stellen hatten, an denen etwas passieren musste, das andere Leute besser konnten als wir selber. Und so haben wir immer ganz genau geschaut, wer es denn am besten liefern würde. Es ging dabei wirklich nicht um Namedropping. Beispielsweise das SLAYER-mäßige Solo am Anfang von „Eradicate“ – in solchen Fällen rufen wir unsere Kumpels von MACBETH an, die das einfach im Blut haben. Oder als wir quasi eine Goth-Version von MANOWAR im Kopf hatten für den Songanfang von „The sorrows of victory“, da fiel Alex sofort Chris Harms ein, der da einen richtig geilen Job gemacht hat. Was könnt ihr mir über die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Wilhelm Keitel erzählen? Wie war es für euch, die Orchesterpassagen in euer Album einflechten zu können? Zu Wilhelm Keitel sind wir über Sven Helbig gekommen, der die Streicherarrangements für diese Platte erstellt hat. Die beiden haben schon oft miteinander zusammengearbeitet, unter anderem auch für RAMMSTEIN. Es war ein absolutes Erlebnis, mit Musikern auf diesem Niveau zu kooperieren. Wir haben da wirklich unglaublich viel gelernt und mitgenommen, es war ein Riesending für uns.

Wie hat sich eure Pause auf euer Schaffen ausgewirkt? Kam es durch die neugewonnene zeitliche Freiheit dazu, dass ihr diese Fülle an Material herausbringen konntet? Ja, schon bei der ersten Session, als ich mich mit Alex zusammengesetzt habe, um mal ein paar Riffs zu sortieren, gab es eine wahre Kreativexplosion und es war sehr schnell klar, dass wir Visionen für mehr als nur eine Platte im Kopf hatten. Vor allem mental hat die ausgerufene Pause genau die richtigen Impulse gesetzt, um den Kopf freizubekommen für jede Menge Ideen.

Wie kam es zu dem Schritt, in eurem Musikvideo zu „Protector/Weakness leaving my heart“ direkt zwei Songs aus den beiden Albumteilen zu zeigen? Wir wollten den Leuten gleich auf den ersten Blick die Bandbreite der Platte vermitteln. „Protector“ ist ein cooler HSB-Kracher, der aber wenig über die Experimente auf der Platte verrät. „Weakness ...“ dagegen ist schon relativ ungewöhnlich für eine Single und hätte als alleinige erste Auskopplung sicherlich für einige irritierte Blicke gesorgt. Von daher waren die beiden im Doppelpack die ideale Lösung und verdeutlichen das Doppelkonzept geradezu ideal. Kann man sagen, dass das Video symbolisch für die zwei musikalischen Seiten des Albums steht? Habt ihr versucht die zwei Seiten auch visuell einzufangen? Ja, genauso ist es. Ich denke aber, es zeigt eher die zwei konzeptionellen Seiten der Platte, musikalisch gibt es auf „Of Truth And Sacrifice“ weit mehr als nur zwei Seiten zu entdecken. Visuell sollte natürlich auch ein merklicher Unterschied zwischen den Clips erfahrbar sein. Das locker-flockige und etwas Hipster-mäßige „Protector“-Video ist schon unterhaltsam, aber nachdem man dann das Video zu „Weakness ...“ gesehen hat fühlt man sich fast schon ein wenig schuldig, dass man sich so leichter Unterhaltung hingegeben hat. Um diesen Effekt ging es uns.

GEMESSEN AN UNSEREM TALENT UND UNSEREM AUFWAND SIND WIR WAHRSCHEINLICH DIE ÜBERBEWERTETSTE BAND DER WELT.

Wie ergab sich die Zweiteilung des neuen Werks? Habt ihr von vornherein schon zwei musikalisch unterschiedliche Welten erkannt, oder ergab sich die Teilung aus den Texten? Zum einen war uns bewusst, wie viel Material wir hatten, und zum anderen tauchte relativ zeitig die Idee für den Albumtitel auf, der der eigentliche Anlass war, darüber nachzudenken, ob man die Texte und das musikalische Material einer Seite „Truth“ und einer Seite „Sacrifice“ zuschlagen könnte.

Könnt ihr mir sonst etwas zu den Dreharbeiten erzählen? Gab es eine witzige Anekdote oder Besonderheiten beim Dreh? Eigentlich lief alles eher unspektakulär nach Plan. Aber nachdem wir im „Weakness“-Video die Szene gesehen haben, in der Molle verzweifelt und fanatisch in den Plastikflaschen wühlt, bringen wir ihm jetzt immer unsere Pfandflaschen mit zur Probe. Marvin Kolb

Das Neue Album

03.04.2020

ALL I SEE

is a world of CANNIBALS

I’m not sure

that we’ve been looking for an antidote

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THE BLACK DAHLIA MURDER

DER WIDERSTAND. Auch wenn THE BLACK DAHLIA MURDER nicht als alte Band gelten, veröffentlichen die Amerikaner dieser Tage ihr neuntes Studioalbum „Verminous“. Wir sprechen mit Sänger Trevor Strnad über die Entstehung der Scheibe.

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elches Album von REVEL IN FLESH hat euch dazu bewogen, dieses Mal Juan Castellano als Coverartist zu wählen? Genau, die REVEL IN FLESH-Cover sind super, aber auch seine Artworks für VOMITORY. Ich habe einfach bei ihm angefragt und er hat eine wunderbare Arbeit abgeliefert. Ich habe gerade die LP in der Hand und sie sieht einfach toll aus. Überall sind kleine Kreaturen versteckt, Ratten und Käfer, die sehr gut mit demThema des Albums korrespondieren. Ich bin sehr glücklich damit. Es hat aber auch die Vorfreude der Fans auf die Musik gesteigert. Mehr kann man sich gar nicht wünschen. Nichtsdestotrotz werden viele Fans das Cover nur als ein kleines Icon in der Bibliothek ihres Streamingdienstes sehen. Lohnt sich der Aufwand überhaupt noch? Das ist schon ein bisschen traurig. Aber so ist die Realität heutzutage nun mal. Ich bin da eher Oldschool eingestellt und kaufe noch sehr viel physisch – ich bin da auf CDs hängengeblieben. Ich habe ungefähr 5.000 hier. Ich finde schon, dass man sich eure Alben – vor allem seit dem dritten, seit ihr Grafiken verwendet – in den Schrank stellen kann. Nur so kann man die Ausgestaltung und die Details sehen. Da stimme ich dir zu. Dass wir damals endlich ansprechende Albumcover hatten, lag schlicht daran, dass wir uns auf einmal ein gutes Artwork leisten konnten. Ich hasse, wie die ersten beiden Scheiben aussehen. Wir hatten aber einfach nicht das Geld zu der Zeit. Erst mit dem dritten Album fingen wir an, mit Necrolord zu arbeiten, und starteten die Reihe der tollen Cover. Dann lass uns nun mal in die Gegenwart springen. Ihr habt das neue Album nahezu komplett bei eurem Gitarristen Brandon aufgenommen. Wie viel Geld habt ihr dadurch gespart? Viel. Es war insgesamt eine sehr positive Erfahrung und ist sehr entspannt, mit jemandem aufzunehmen, den man sehr gut kennt. Er hat sehr gute Arbeit geleistet. Alle Gitarren wurden von ihm aufgenommen, der Bass und mein Gesang – alles in New Jersey in seinem Haus. Das hat uns noch einmal ein anderes Level an Kontrolle gegeben, es so zu hand-

haben. Über Monate konnten wir kleine Verbesserungen hinzufügen und hier und an den Details feilen. Das war vorher nicht möglich. Es ist eine neue Ära für uns. Wahrscheinlich werden wir auch künftig weiter so aufnehmen. Es hat uns sehr gut gefallen und uns am Ende auch sicher ein paar Kröten gespart. Im Pressetext ist zu lesen, dass ihr euch sehr stark beim Mixing und Mastering eingebracht habt. Kannst du mir dazu etwas erzählen? Wir haben die Aufnahmen an Tue Madsen geschickt. Brandon hat dann mit Tue die gesamte Zeit über kommuniziert und den Mix begleitet. Brandon weiß so viel über Equalizer und dergleichen, es ist wirklich ein Traum für uns, ihn in der Band zu haben. Tue hat den Mix dann aber selbstständig durchgeführt. Ihn haben wir ausgewählt, da er schon ein paar richtige Klassiker des Melodic Death Metal-produziert hat. THE HAUNTED oder HATESPHERE zum Beispiel. Wir wollten nicht zu jemandem gehen, der uns eine super stylishe, moderne Produktion verpasst. Davon habe ich ein bisschen die Schnauze voll. Es gibt so viele Bands, die es zum Beispiel mit den Drum-Samples übertreiben und dann so wie jede andere Band klingen. Wir haben also nicht alles mit ProTools gerade gezogen. Das Schlagzeug klingt dadurch, wie schon auf den letzten Alben, wesentlich lebendiger. Wenn wir gerade über das Schlagzeug und ich mit dir als Sänger spreche: Paul Mazurkiewicz schreibt bei CANNIBAL CORPSE als Schlagzeuger die Gesangspattern für den Corpsegrinder. Ich finde das einen sehr wichtigen Punkt bei ihnen, weil der Gesang dadurch noch mal eine Dimension dazugewinnt. Wie wichtig ist dir der Einsatz und die Art deines Gesangs? Es ist sehr wichtig, würde ich sagen. Dafür bin ich bei uns verantwortlich. Ich stecke sehr viel Zeit und Arbeit in die Positionierung des Gesangs, um ihn so einprägsam wie möglich zu machen. Wenn ich die Texte schreibe, versuche ich, auch den Song zu fühlen. Wenn sich das Lied an seinem Höhepunkt befindet, sollten sich auch die Lyrics an ihrem Höhepunkt befinden. Die Geschichte, die ich erzähle, muss immer mit der Musik synchron sein. Was Paul da macht, ist klasse. Er hat definitiv seinen eigenen Stil. Er schreibt auch gute Texte – ich liebe die Jungs.

Hast du in der Vergangenheit Gesangsspuren geschrieben, die im Studio super funktioniert haben, aber auf der Bühne dann nicht mehr umsetzbar waren? Ja und nein. Ich habe schon einiges auf den frühen Alben geschrieben, bei dem es mich nun durchfährt. Damals war ich teilweise noch ein bisschen naiv. Wir hatten auch die Tendenz, viele Schichten an Gesang zu verwenden, was die Live-Umsetzung erschwert hat. Das haben wir auch zurückgefahren. Ich bin aber immer noch sehr stolz auf das, was ich auf den letzten paar Scheiben gemacht habe, und hoffe, dass ich mich in der Zukunft noch weiter verbessern kann. Nun haben wir vorhin schon einmal über Brandon gesprochen, der seit „Nightbringers“ dabei ist. Er hat der Band bei diesem Album neues Leben eingehaucht. „Verminous“ ist für mich nun die Fortsetzung davon. Wie wichtig ist Brandon mittlerweile für die Band? Ich finde, du hast das schon sehr gut gesagt. „Nightbringers“ markierte einen kleinen Neuanfang für uns. Brandon hat der Band wieder Schwung gegeben. Sein Songwriting und sein Gitarrenspiel sind fantastisch. Er ist zwar noch sehr jung, aber musikalisch sehr bewandert. Seine Ideen sind interessant und er kommt oft mit kleinen Dingen um die Ecke, die ein Lied am Ende großartig machen. Wir lernen sehr viel von ihm und er von uns. Es ist einfach inspirierend. Diese beiden Alben hätten wir ohne ihn so nicht machen können. Seine Persönlichkeit findet sich darauf überall wieder, gerade auf dem neuen. Es klingt so abwechslungsreich wie keins zuvor. Auch wenn wir eine Death-Metal-Band sind, möchten wir nicht statisch wirken. Wenn du die gesamte Zeit über nur extrem bist, gibt es kein Dynamik und der Hörer verliert das Interesse. An die letzte Frage anschließend: THE BLACK DAHLIA MURDER sind dafür bekannt, in der Vergangenheit einige Besetzungswechsel durchlebt zu haben. Braucht es die in einer gewissen Weise, um den Sound frisch zu halten? Für mich, der sich mittendrin befindet, ist es eher eine langsame Evolution. Wir schauen uns immer nach Leuten um, mit denen wir menschlich klarkommen, die einen ähnlichen Humor haben. Als Band

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haben wir einen gewissen Vibe, den die Fans mögen. Natürlich suchen wir aber auch jemanden, der gut auf seinem Instrument ist. Brandon ist so ein Typ. Er wird täglich besser. Dass wir ihn gefunden haben, war wirklich super. Als ich mich auf das Interview vorbereitet habe, ist mir das erste Mal klargeworden, dass „Verminous“ bereits euer neuntes Album ist. Das ist für mich schon ein bisschen verrückt, weil ich euch immer noch als „junge Band“ einordne. Wie hält man nach so vielen Alben die Qualität weiter hoch? Die meisten Songs, die wir schreiben, benutzen wir auch. Dieses Mal gibt es ein paar Bonustracks, die übrig geblieben sind. Einer ist eher ein Witz, der wie das Intro für einen Anime klingt. Es ist ein Stück über Brandons Hund Saber. Aber das ist die Ausnahme. Eigentlich landet immer alles auf dem Album, wenn wir etwas nicht mögen, während wir daran schreiben, schreitet jemand ein und wir verwerfen es. Da muss ich nachhaken: Seid ihr denn an Animes interessiert, dass ihr so einen Song schreibt? Ich mag ein paar ältere Sachen. „Vampire Hunter D“, „Akira“ natürlich oder „Ninja Scroll“, der ist wahrscheinlich mein Favorit. Ich bin aber nicht mehr up to date. Unser Schlagzeuger Alan ist da mehr im Thema. Er wusste im ersten Moment auch nicht, worum es in dem Song geht. Anfangs glaubte er, dass es ein Lied zu einem echten Anime sei, und hat versucht, „Saber, the dog“ im Internet zu finden. Ich habe deshalb gefragt, weil ich mich manchmal dabei erwische, dass ich auf YouTube gefühlt Stunden damit verschwende, mir alte AnimeIntros anzusehen. Das „Dragon Ball“-Intro kann ich komplett mitsingen, im Supermarkt fällt mir dann aber nicht mehr ein, was ich gerade kaufen wollte. Yeah, dein Gehirn ist mit unnützer Information vollgestopft. Das kenne ich. Zurück zum Thema. Von dir weiß man ja, dass du alle möglichen neuen Veröffentlichungen auf dem Schirm hast und sehr viel Musik hörst. Wie übersetzt man solche Einflüsse dann in eigene Musik? Wir lassen uns von allem inspirieren, auch Rock oder Pop. Es geht darum, wie die Lieder geschrieben sind, die Struktur. Vor ein paar Tagen haben wir einen EddieMoney-Song gehört. Es gibt darin einen Part, in dem nur Gesang und Gitarre zu hören sind. Brandon und ich haben uns dann angeschaut und beschlossen, dass wir in der Zukunft auch mal so etwas machen möchten. Das war einfach eine super Idee. Die Inspiration kann wirklich überall her kommen. Wir hören sehr oft miteinander Musik oder spielen uns verschiedene Bands vor. Auch wenn du auf Tour bist, kann dich das beeinflussen. Du siehst andere Gruppen spielen und die technischen Ideen, mit denen diese arbeiten. Davon kann sich bei uns auch etwas festsetzen. Liefern diese Situationen, in denen ihr neue Ideen bekommt, auch die Motivation, neue Musik zu schreiben? Das kommt sicher auch von außen, klar. Darüber hinaus sind es aber auch die Erfolge, die wir einfahren. Bislang haben wir einen wirklich guten Lauf. Es wird alles langsam größer und größer. Fans, die auf neue Musik warten, können einen auch motivieren, auch wenn dadurch von Zeit zu Zeit ein bisschen Druck entstehen kann. Meistens ist es aber guter Stress. Immer wenn wir uns zum Songwriting treffen, haben wir wieder zwei Jahre Touren auf dem Buckel. Die Jungs sind wesentlich besser geworden. Wenn ich die Demos neuer Songs höre, ist das für mich sehr aufregend. Das inspiriert mich, weil ich natürlich mithalten möchte. Sie steigern sich von Mal zu Mal. Du hast vorhin gesagt, dass du uns immer noch als junge Band wahrnimmst, so sehe ich uns auch. Wir sind immer noch in einem sehr guten Zustand, schreiben gute Musik, verbessern uns von Album zu Album. Ich möchte nicht, dass wir irgendwann stagnieren. Jetzt hast du gesagt, dass sich die anderen in der Band von Album zu Album verbessern. Siehst du bei dir auch diese Entwicklung? Ich versuche, bis ans Limit zu gehen und zum Beispiel eingängiger zu werden. Auf den letzten paar Alben ging es mir darum, meinen Vortrag etwas zu verlangsamen, um verständlicher zu werden. Dass die Leute meinen Gesang verstehen können, ohne die Texte nebenbei lesen zu müssen. Außerdem habe ich jetzt ein paar neue Stimmlagen ausprobiert, um noch mehr Varianten präsentieren zu können. Das ist auch sehr cool. Ich würde nicht sagen, dass ich der beste Sänger der Welt bin. Vieles, das die Leute mögen, hat mit meiner Bühnenpräsenz zu tun,. Aber ich versuche, mich trotzdem zu verbessern. Die anderen entwickeln sich weiter und ich probiere, so gut es geht Schritt zu halten. Manuel Stein 17

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AUGUST BURNS RED

Foto: Vincent Grundke (vollvincent.com)

ALTERSROUTINE. Zwar sind AUGUST BURNS RED aus Pennsylvania immer noch jung, jedoch im Business schon ganz alte Hasen.

Vielleicht hält sich die Euphorie, die man am Anfang seiner Musikerkarriere für gewöhnlich hat, deshalb ein wenig in Grenzen, während wir mit Gitarrist Brent Rambler über so bedeutungsvolle Karriereetappen wie eine Welttournee oder ihre aus der Masse herausstechenden Musikvideos sprechen. Allerdings sind 15 Jahre Bandhistorie ja schon eine ganze Menge, ein Ende ist nicht in Sicht. Da kann man es natürlich mal ein bisschen gemütlicher angehen lassen.

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nser letztes gemeinsames Interview hatten wir 2017 auf dem Reload Festival. Seitdem gab es noch einige spektakuläre Shows mehr, zum Beispiel eure „Constellations“-10-YearAnnviersary-Tour. Könnt ihr beschreiben, wie es sich anfühlt, die ganze Welt zu bereisen, um an

allen einzelnen Stationen eines eurer alten Alben zu spielen? Es war eine wundervolle Erfahrung, „Constellations“ von vorn bis hinten aufzuführen. So was erlaubt einem, die Songs in genau der Reihenfolge zu spielen, wie sie ursprünglich einmal geplant und beabsichtigt war, was

in einem normalen Set ja sonst nicht der Fall ist. Da variiert man ja, mischt Lieder von verschiedenen Alben. Es ist nicht das Gleiche. Und es ist auch toll, mit den Fans, die zu unseren Shows kommen, zu sprechen und in Erinnerungen zu schwelgen. Viele Leute verbinden mit dem Album eine konkrete Phase oder einen Abschnitt

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ihres Lebens, was für uns ja auch eine sehr große Ehre ist. Ich denke, das ist etwas sehr Cooles für die Fans, und es war echt schön, mit ihnen auf das Album zurückzuschauen. Was sind die bemerkenswertesten Dinge, die ihr auf der Tour erlebt habt und die ihr gern mit uns teilen möchtet? Der amerikanische Teil war die größte Headliner-Tour, die wir jemals hatten, was wirklich großartig ist, wenn man bedenkt, dass wir ja auch schon ziemlich lange im Geschäft sind. Die absolute Krönung war es, dass wir das Lancaster Convention Center in unserer Heimatstadt zum Ende der Tour hin komplett ausverkaufen konnten. Das war eine Erfahrung, die wir niemals wieder vergessen werden. Euer erstes Album „Thrill Seeker“ ist jetzt ja sogar schon 15 Jahre alt. Hättet ihr euch je vorstellen können, irgendetwas anderes als Musik zu machen? Und wenn ja, was wäre es gewesen? Jetzt gerade ist es kaum vorstellbar, irgendwas anderes als das zu machen, aber das Lustige ist, dass ich damals vermutlich gesagt hätte, dass ich niemals 15 Jahre nach unserem ersten Album noch Bock auf den ganzen Scheiß hätte, haha! Wäre ich jetzt nicht in einer Band, würde ich wahrscheinlich immer noch irgendwie mit Musik zu tun haben, vielleicht hier oder da als Produzent oder Manager mitmischen, denke ich. Das oder ich würde Comicbücher verkaufen.

ES GAB ZEITEN, DA HABEN WIR VERDAMMT VIEL GEKÄMPFT, ZU VIEL GEKÄMPFT. Findest du, dass sich die Metal-Szene in den letzten 15 Jahren sehr verändert hat? Ja und nein. Ich denke, die Fans sind immer noch begierig darauf, neue Bands zu entdecken, was cool ist, da der Markt sich so immer weiter ausbauen kann. Und ich finde auch, dass der Sound dieser neuen Bands sich immer weiter entwickelt und voranschreitet. Es ist eine konstante Entwicklung auf der einen Seite. Würde sich nichts verändern, würden die Leute vielleicht irgendwann das Interesse daran verlieren. Deshalb denke ich, dass es gut ist, dass Metal sich immer in einem Entwicklungsprozess befindet. Andererseits sind auch viele Bands aktiv, die schon seit sehr langer Zeit existieren und die sich heute besser anhören als je zuvor. Diese alten Bands möchten die Leute auch gerne live sehen, weil sie wissen, dass sie dann Zeuge einer ganz hervorragenden Show sein werden. Vielleicht ist es gerade die Mischung, dass es noch gute alte Bands gibt, aber auch viele ambitionierte neue? Ich weiß es nicht, aber es trifft beides schon irgendwie zu. Im Gegensatz zu vielen anderen Bands ist eure Besetzung extrem stabil, ihr hattet seit 14 Jahren keinerlei Mitgliederwechsel. Was ist der magische Wundertrank, der dafür sorgt, dass ihr immer zusammenbleibt? Wir nehmen uns immer mal Auszeiten und pushen uns nicht mehr zu nah an unsere Grenzen. Es gab Zeiten, da haben wir verdammt viel gekämpft, zu viel gekämpft, was meistens im Rahmen der Touren passierte. Wir waren erschöpft, wir haben immer hundert Prozent gegeben, man zickt sich an, man wird müde. Da haben wir inzwischen einfach ein, zwei Gänge runtergeschaltet. Alles geht am Ende doch leichter, wenn man sich die entsprechenden Ruhephasen gönnt. Darüber hinaus haben wir darauf geachtet, unsere Crew im Hintergrund die ganze Zeit über stabil zu halten und auch dort keine großen Wechsel stattfinden zu lassen. Das gibt den Bandmitgliedern die Möglichkeit, auch viel Zeit mit anderen Leuten verbringen zu können. Euer neues Album „Guardians“ kommt bald auf den Markt, und erneut habt ihr mit „Defender“ vorab ein ziemlich cooles Musikvideo veröffentlicht. Diesmal ist es ein Cartoon. Nun, der Song heißt „Defender“, und ich mag Comics sehr gerne, also war es ungefähr so, dass ich meinen Jungs gesagt habe: „Na, kommt, wir müssen mal ein animiertes Video machen, das wie ein Comic aussieht.“ Glücklicherweise fanden sie alle die Idee auch ganz toll. Und es ist am Ende noch sehr viel besser geworden, als ich mir das ursprünglich überhaupt erträumt hatte. Ich finde, alle haben da hervorragende Arbeit geleistet. Nach Miniaturpüppchen bei „Invisible enemies“, einer Unterwasserkulisse bei „Identity“ und vielen anderen innovativen Musikvideos, wie kommt ihr immer noch auf neue coole Ideen? Manchmal sind das unsere eigenen Ideen, aber die meiste Zeit geht unser Dank an die Regisseure, mit denen wir zusammenarbeiten. Dan Fusselman und Sam Halleen haben zuletzt die meisten unserer Videos gemacht, und sie treffen einfach immer voll den Nagel auf den Kopf mit ihren Konzepten und der grandiosen Umsetzung. Wir möchten aber auch immer offen bleiben für weitere tolle Ideen, die sie so haben. Sie sind echt eine tolle Kombo. Jenny Josefine Schulz

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IGORRR

Foto: Svarta Photography

VERSTÄNDNISPROBLEME. Mit „Spirituality And Distortion“ veröffentlicht IGORRR sein viertes Album. Eine der größten Herausforderungen muss Komponist Gautier Serre aber schon seit November 2019 bewältigen. Das Warten. Denn seitdem das Album fertig ist, quält sich der französische Musiker mit der Bürde des Wartens. Doch lehrt ihn dies auch Geduld und gibt ihm Zeit, um über das neue Werk zu plaudern sowie über seine Faszination für Barockmusik. Wir haben ihn in der Renovierung seines Hauses unterbrochen, um mit ihm über den Entstehungsprozess des Albums, sein musikalisches Verständnis und die verschiedenen Einflüsse zu sprechen.

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ie Tragödie der Musik Als erste Single von „Spirituality And Distortion“ wählte IGORRR „Very noise“. Ein Track, der laut Gautier keinerlei Repräsentation für das Album innehat. „Very noise“ basiert auf einem Drum-Loop, mit dem Gautier viel herumexperimentiert hat, wie er erzählt: „Ich wollte anfangs gar keinen Track daraus bauen. Ich habe den Drum-Loop viel mehr dazu benutzt, um herumzuspielen und mit Plugins zu experimentieren. Das waren Plugins, die gar nicht dafür gedacht sind, Musik zu machen, aber ich wollte wissen, was diese Plugins mit dem Sound anstellen werden. Das hat Spaß gemacht. Irgendwann habe ich den Loop erneut gehört, immer noch gemocht und angefangen nachzudenken. Normalerweise sind es der Gesang oder die Gitarre, die die Führung in einem Track übernehmen, aber ich dachte, es wäre ein cooler, neuer Ansatz, diesmal die Drums zu nehmen.“ Im nächsten Schritt hat Gautier den Bass und die Gitarren hinzugenommen, um diesen vertrackten Rhythmus zu spielen. Stück für Stück entstand aus dem kleinen Drum-Loop ein Track, der mehrere Monate an Arbeit in Anspruch nahm. Auch wenn „Very noise“ nicht der komplizierteste Track ist, den IGORRR je gemacht hat. „Very noise“ war jedoch auch mehr ein Scherz, der aus dem Spaß am Experimentieren entstanden ist. Dennoch stieß das Musikvideo online auf unerwartet große Response. „Wir sind total überrascht, wie gut es ankommt“, erzählt Gautier, für den sich diese Reaktion sehr surreal anfühlt. Doch wirft die Rezeption des

Tracks auch seine Schatten. Denn die meiste Musik von IGORRR ist musikalisch sehr durchdacht und detailliert. Ist es also nicht traurig, wenn ein Nonsenstrack so gut ankommt? „Du hast vollkommen recht, haha. Das ist das Desaster, oder eher die Tragödie meiner Musik. Viel Feedback bekomme ich meist nicht, weil die Leute die Musik oft einfach nicht verstehen.“

VIEL FEEDBACK BEKOMME ICH MEIST NICHT, WEIL DIE LEUTE DIE MUSIK OFT EINFACH NICHT VERSTEHEN.

Verschiedene Sprachen Die Arbeit an „Very noise“ zog sich über mehrere Monate hin, für ein Ergebnis von knappen zwei Minuten. Folglich ist es „höllisch viel Mühe“ gewesen, das ganze Album zu produzieren, wie Gautier erklärt. „Mir IGORRR machen wir ja weder Metal noch Electronic Music oder Popmusik – wir machen alles. Und zwar alles auf demselben Album. Die Organisation dahinter ist die Hölle, denn jeder Instrumentalist spricht eine andere Sprache. Damit meine ich sowohl die Muttersprache als auch die musikalische. Ein Jazzmusiker versteht Dinge anders, als

es bei einem Death-Metal-Musiker der Fall ist, weil jeder in einer anderen Kultur verwurzelt ist. Jeder musste vor den Aufnahmen immens viel proben, und das alles zusammenzuführen, war eine organisatorische Meisterleistung. Das sind Wochen und Monate Arbeit, die beim Recording-Prozess kulminieren. Es waren letztendlich fast 15 Musiker daran beteiligt.“ Eine Herausforderung, die auf dem neuen Album erneut größer wurde. Doch unter all den Instrumenten gibt es eines, das Gautier Serre am meisten wertschätzt – das Cembalo. Ein Instrument, das aufgrund der fehlenden Dynamik eher unbeliebt ist. Der Grund dafür ist, dass die Anschlagtechnik nicht wie beim Klavier mit Hämmern funktioniert, sondern die Saiten gezupft werden, und somit immer gleich laut sind. Dieser kalte, monotone Sound lässt keinen Raum für Nuancen, hat aber den Barockklang, den Gautier so bewundert. Ähnlich verhält es sich mit der Barockmusik, die im Allgemeinen wohl selten eine große Faszination genießt, von Gautier aber geliebt wird. „Ich höre sehr viel Barockmusik, insbesondere Domenico Scarlatti. Seit Jahren und dann Stunden um Stunden, er war ein wahnsinniges Genie.“ Auch wenn der Musiker nicht glaubt, Leute von Barockmusik zu überzeugen, genießt er es, über seine Faszination für Scarlatti zu sprechen. Angenommen, Domenico Scarlatti würde sich die Musik von IGORRR anhören, was, denkst du, würde er sagen? „Ich denke, er würde sie hassen“, schmunzelt Gautier. „Die Musik hat sich einfach so sehr geändert und

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ich glaube, um IGORRR zu mögen, benötigt man einen Metal-Background sowie ein Verständnis für elektronische Musik. Scarlatti hat natürlich keinerlei DeathMetal-Bezüge und zu Electro noch weniger. Er würde die Musik also nicht wertschätzen können, was traurig ist, da ich seine Musik wirklich sehr schätze!“ Generell scheint es mit der Musik von IGORRR so, als gäbe es nur zwei Möglichkeiten. Entweder man mag und versteht sie, oder eben nicht. Dennoch haben manche Tracks auch mehr Impact als andere. Reaktion & Schockzustand „Very noise“ hat wirklich viele Leute erreicht. Wenn wir ein Publikum haben, das einen breiten, am Mainstream orientierten Musikgeschmack hat, ist es schwierig, die Leute zu erreichen. Sie hassen es, weil wir kaum PopElemente verwenden. Aber wenn wir intime Tracks wie zum Beispiel „Himalaya Massive ritual“, der sehr düster und dunkel ist, vor dem richtigen Publikum spielen, werden sie es lieben. Viele Tracks sind einfach sehr spezifisch und sie sprechen weniger Leute an. Ich höre oft, dass Leute Angst vor unserer Musik haben. Angst, weil die Musik anstrengend ist und nicht kompatibel mit dem, was sie sich unter Musik vorstellen. Wenn die Leute die Sachen nicht verstehen und sich dadurch unwohl fühlen, werden sie sie natürlich hassen.“ Ich erinnere mich noch an meine erste Berührung mit IGORRR. Es war das Live-Video zu „Tout petit moineau“ und ich muss ehrlich sagen, dass ich im aller ersten Moment schockiert war, da ich so etwas zuvor noch nie gehört hatte. Ich frage Gautier also nach seinen Ambitionen, die Leute zu schocken. „Nein, haha. Ich habe eigentlich kein Bestreben, die musikalischen Grenzen zu verschieben, um die Leute zu schockieren. Ich versuche einfach, die beste Musik zu machen, die ich kann, und die Musik, die ich liebe. Ich denke, dass dieser Schock-

zustand ein gutes Zeichen ist. Es ging mir genauso, als ich zum ersten Mal CANNIBAL CORPSE gehört habe. Ich war schockiert und dachte, dass das keine Musik sei, und habe nicht verstanden, wie man so etwas genießen kann. Aber es hat etwas in meinem Kopf bewegt. Ich wurde neugierig, da ich es auf der einen Seite hasste, auf der anderen Seite aber großartig fand. Wie ist das möglich? Dein Kopf lehnt es ab, aber es bleibt attraktiv. Es ist grauenhaft, doch man mag es.“ In einigen Reaction-Videos zu „Very noise“ hat Gautier genau diesen Moment, den er mit CANNIBAL CORPSE hatte, beobachtet. „Ein großartiges Gefühl“, wie er schwärmt, denn CANNIBAL CORPSE zählen mittlerweile zu seinen absoluten Lieblingsbands.

ICH GLAUBE, UM IGORRR ZU MÖGEN, BENÖTIGT MAN EINEN METAL-BACKGROUND SOWIE EIN VERSTÄNDNIS FÜR ELEKTRONISCHE MUSIK.

Dieses Gefühl lässt sich auch auf das Cembalo projizieren. Durch die Einschränkung des Instruments kann man kaum etwas damit machen, doch möchte Gautier es immer wieder in den Sound von IGORRR integrieren. So bleibt natürlich der Zweifel, wie die neue Musik ankommen wird, doch existiert auch die Hoffnung, dass Leute, die anfangs vielleicht nichts mit „Spirituality And Distortion“ anfangen können, neugierig bleiben. „Vielleicht merken sie auch nicht, wie viel Arbeit dahinter-

steckt. Es geht darum, den Sinn und die Logik dahinter zu verstehen. Kontraste & Nonsens Die Einflüsse, die in die Musik von „Spirituality And Distortion“ ihren Weg gefunden haben, sind sehr verschieden. Es ist für Gautier nicht möglich, sie präzise einzugrenzen. „Es gibt so viele Styles. Scarlatti, CANNIBAL CORPSE, aber auch MESHUGGAH haben einen großen Einfluss. APHEX TWIN, VENETIAN SNARES sind auch in meiner Kultur. Aber auch unbekanntere Acts wie Gabi Luncă, eine rumänische Sängerin, und einige Balkanbands. Der Grund dafür ist aber auch, dass es keine andere Band gibt, die das macht, was ich selbst hören will. Also muss ich es selber machen.“ Zudem liebt Gautier die Kontraste, wie er lachend in Bezug auf die Namensgebung mancher Titel erklärt. „Ein Track, wie ‚Nervous waltz‘, besteht aus Barockmusik und Brutal-Death-Metal. George Fishers Stimme ist unfassbar hart und ich habe sie in Kontrast zu billiger 8Bit-Musik gestellt. ‚Overweight poetry‘ – Poesie ist für mich etwas delikates und leichtes, das stark mit dem Begriff ‚Overweight‘ kontrastiert.“ So wählt Gautier manchmal Titel, die auch erst auf den zweiten Blick Sinn ergeben, oder er sucht nach dem Titel, der der am wenigsten geeignete ist, um einen bestimmten Track zu beschreiben. „Ich suche das, was den geringsten Sinn ergibt!“ So auch der Titel „Very noise“, der grammatikalisch falsch ist. Aus einem Fehler, den Gautiers Freundin machte, als sie etwas als „very noisy“ beschreiben wollte, entstand dieser Begriff, den Gautier wählte, weil der Drum Loop ebenfalls einen minimalen Fehler hat. So verknüpft der Musiker auf einer Metaebene den Titel mit dem musikalischen Inhalt. Rodney Fuchs

FRI, JUN 5 - ROCK IM PARK 5-7 - NÜRNBERG, GERMANY FRI, JUN 5 - ROCK AM RING 5-7 - NÜRBURG, GERMANY THU, JUN 11 - GREENFIELD FESTIVAL AG - ZÜRICH, SWITZERLAND SAT, JUN 20 - GRASPOP METAL GATHERING - DESSEL, BELGIUM SAT, JUN 27 - VAINSTREAM ROCKFEST - MÜNSTER, GERMANY

NEW ALBUM OUT NOW 21

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ENTER SHIKARI

Foto: Arek Goniwiecha

TRUST NO 1. Mit „Nothing Is True & Everything Is Possible“ veröffentlichten ENTER SHIKARI ihr sechstes Studioalbum, welches nicht

mehr viel mit dem MySpace-Sound von „Sorry, you’re not a winner“ zu tun hat. Im Interview klärt uns Sänger Rou zu den Hintergründen des Albums auf, redet über Metaphern und teilt seine Gedanken, wieso ENTER SHIKARI auf dem „FREI.WILD-Festival Alpen Flair“ spielen.

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u hast nicht nur einen Großteil von „Nothing Is True & Everything Is Possible“ geschrieben, sondern auch das komplette Album produziert. Gerade bei so einem vielseitigen Projekt stelle ich es mir sehr belastend vor. Wieso hast du dich entschieden, alles alleine zu machen? Ich glaube, ich habe noch nie so hart in meinem Leben gearbeitet. Es hat sich aber schon bei der Ideenfindung für das Album abgezeichnet, dass ich es produzieren muss. Die Musik, die wir komponieren, ist so vielseitig, von so vielen Einflüssen geprägt und liegt thema­tisch so schwer, dass ich niemand anderen ranlassen wollte. Es soll nicht arrogant klingen, aber kein Produzent hätte die gleiche Leidenschaft in dieses Projekt stecken können. Wenn du einen Song schreibst, ist es wie ein Kind zu zeugen. Und dieses Kind möchte ich selbst großziehen und nicht weggeben. Ich stelle mir das Orchester als große Herausforderung vor. Dazu habt ihr mit dem Komponisten George Fenton zusammengearbeitet. Wie kam es zu der Idee und wie lief es? Auf jedem Album wollen wir als Band unsere Grenzen überschreiten und uns in neue Richtungen entwickeln. Mit jedem Werk bauen wir uns eine kleine Sicherheit auf, um auf dem nächsten Album dann weiter ins Unbekannte vorzustoßen. Orchestermusik ist etwas, mit dem ich dank meiner Eltern früh in Berührung gekommen bin. Die Trompete war das erste Instrument, das ich gelernt habe, und ich war Mitglied des Schulorchesters. Das war ist eine wunderbare Erfahrung, da zu spielen. Dies bei SHIKARI zu integrieren, war ein langgehegter Traum. Klar hatten wir immer wieder mal Streicher oder Blasinstrumente dabei, aber das ist nicht das Gleiche. Deshalb habe ich mich mit George Fenton zusammengeschlossen. Er ist einer meiner Lieblingskomponisten und arbeitet seit fünfzig Jahren in dem Metier und ist ein echter Punk, wenn es darum geht nach vorne zu denken. Es war eine surreale Erfahrung, mit ihm in Prag mit einem Orchester aufzunehmen. ENTER SHIKARI werden wir leider trotzdem nicht so schnell mit einem Orchester auf der Bühne sehen.

Ich würde es sehr gerne, also hoffentlich klappt es irgendwann! Das ist der nächste Traum, den ich verwirklichen werde. „Nothing Is Sure & Everything Is Possible“ ist ein sehr sozialkritisches Album. Was hat dich dazu motiviert, nach dem doch sehr persönlichen „The Spark“ wieder solche Themen anzusprechen? „The Spark“ habe ich in der schlimmsten Zeit meines Lebens geschrieben. Ich habe viel erlebt und wurde mit vielem konfrontiert, was ich zuvor nicht kannte. Die letzten Jahre hingegen waren so viel besser, was mir die Freiheit gegeben hat, über andere Dinge zu schreiben. Ich denke, wenn man durch eine schwere Phase im eigenen Leben geht, hat man als Künstler das Gefühl, es in seinen Werken verarbeiten zu müssen. Diesmal habe ich mich jedoch frei gefühlt und konnte wieder entscheiden, worüber ich schreibe. Das Thema des Albums ist die Wahrheit und wie schwer es ist, diese zu finden. Jede Nachrichtenagentur hat ihre Werbekunden, jede Person hat eine Ideologie und ist emotional mit dieser verbunden. Wie will man da eine objektive Wahrheit finden? Es gibt aktuell viel Wut und die Menschen haben verlernt, sich selbst zu trauen. In der ersten Single „The dreamer’s hotel“ geht es genau darum, oder? Es gab diesen Ort, an dem man wieder Vertrauen findet, aber niemand geht dorthin. Das Hotel ist ein Ort, an dem man all diesen Dingen entkommen kann und wieder Zeit findet zu träumen. So einen Ort gibt es aber nicht im echten Leben. Hast du einen Ort für dich, der diesem TräumerHotel nahekommt? Ich erinnere mich, dass du immer sehr naturverbunden warst, findest du dort vielleicht deine persönliche Zuflucht? Wir haben vor zwei Wochen die Arbeit an unserem Album abgeschlossen, ich werde mich definitiv erstmal etwas in die Natur zurückziehen. Aber Musik ist mein Hotel. Über all dies zu schreiben hat eine meditative Wirkung. Mein Dreamer’s Hotel ist wohl ein Dreamer’s Headspace, in dem ich komponiere.

Neben dem Album habt ihr auch die ersten Konzerte für 2020 angekündigt. Auch das Alpen Flair Festival in Italien. Einigen deutschen Fans ist dies sauer aufgestoßen, da das Festival in enger Verbindung zu der kontrovers diskutierten Band FREI. WILD steht. Wir haben das Festival angeboten bekommen und ich dachte, dass es ein schöner Ort für einen Auftritt sein muss, direkt in den Bergen. Also haben wir zugesagt, ohne mehr darüber zu wissen. Kurz darauf wurde die Problematik um das Festival an uns herangetragen, woraufhin wir das Gespräch mit den Veranstaltern gesucht haben. Diese haben uns wiederum versichert, dass das Festival kein rechtes Gedankengut verbreitet und auch keine Nazis auf dem Gelände toleriert. Wir denken aktuell noch darüber nach, wie wir mit der Sache umgehen werden. Ich muss aber noch mehr über die Band FREI.WILD herausfinden. Was denkst du darüber? Auf dem Papier gibt es keine Überschneidungen zwischen Veranstalter und Band. Trotzdem ist das Festival auf eine Initiative der Band zurückzuführen und Karten gibt es exklusiv in deren Onlineshop. Deswegen tummeln sich viele Grauzonen-Bands im Line-up. Ich denke wir sollten davor nicht weglaufen. Wir reden nicht über Nazis, nehme ich an, sondern über Leute mit konservativen Ansichten? Mit Nazis, für die es nur Gewalt als Lösung gibt, will ich nicht sprechen und vor diesen Extremisten würden wir auch nicht spielen. So wollen wir aber in den Dialog mit den Leuten treten. Im Gespräch kann man sie besser verstehen und vielleicht in eine richtige Richtung leiten. Anders würden man sie wohl auch nur in ihrer Echokammer zurücklassen? Je mehr man Leute isoliert, umso mehr stößt man sie weg. Man ändert Ansichten und Meinungen im Dialog, nicht indem man die Leute wegstößt. Dies schürt nur den Hass und vergrößert die Kluft. Christian Heinemann

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DANCE GAVIN DANCE

Foto: Lindsey Byrnes

BUNT, WILD, KOMPLEX. DANCE GAVIN DANCE begeistern seit 2005 mit ihrem psychedelisch-kreativen Mix aus Post-Hardcore, Screamo und Jazz-Elementen. Am 24. April erscheint ihr zehntes, abermals experimentelles Album „Afterburner“. Sänger und Shouter Jon Mess erzählt uns davon in zahlreichen Metaphern – und wir geben unser Bestes, das Sprachspektakel ohne Verluste ins Deutsche zu übersetzen. Es folgt: ein Interview in Bildern.

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ey, habt ihr unser Album gesehen?“ Dass ein neues DANCE GAVIN DANCE-Album erscheinen wird, war klar; wann, wo und wie hielten die Jungs aus Sacramento jedoch lange geheim. Anfang des Jahres ging dann alles ganz schnell: Erst die große Tour-Ankündigung, etwa mit ANIMALS AS LEADERS, und plötzlich flatterte die Promo-CD zur neuen Scheibe „Afterburner“ ins Haus. Jon Mess hat zu deren Produktionsvorgang seine ganz eigene, augenzwinkernde Theorie: „Wir hatten das Album verlegt und jetzt erst wiedergefunden“, witzelt er. „Das passiert eben, wenn du deine neue Platte mal hier, mal dort ablegst, irgendwann fragst du: ‚Hey, habt ihr unser Album gesehen?‘ Ein Glück ist es aufgetaucht.“ Chaos hin oder her, Jon ist überzeugt vom neuen Werk: „Ich freue mich auf diesen Release ganz besonders, wir haben einen echten Volltreffer gelandet. Klopf auf Holz, aber es muss schon sehr viel passieren, um diesen Zug zum Entgleisen zu bringen – egal wie viele CartoonBösewichte sich an den Tracks [engl. für Schienen und Songs] zu schaffen machen.“ Cartoon-Bösewichte dürfte wohl nicht nur auf Musikjournalisten verweisen, sondern auch auf das Coverartwork. Hier tummeln sich wieder einmal jede Menge bunte Wesen. Es gibt viel zu entdecken – optisch sowie klanglich. „Afterburner“ erklingt in einer für DANCE GAVIN DANCE typischen Komplexität. Kunterbunte Songfabrik DANCE GAVIN DANCE halten an ihren Wurzeln fest – dennoch rüsten sie auf: „Wir zaubern immer mal ein Ass aus dem Ärmel und wagen uns auf unerforschtes Gebiet.“ So etwa überrascht „Calentamiento global“ mit spanischem Text. Und Jon hat noch mehr auf Lager: „Es gibt einen Song, bei dem wir wahnsinnig angepisst klingen, einen schnörkellosen, einen mit Achterbahn-Vibe und eine Melodie, bei der du dein Baby singend im Autositz filmen könntest“, bemerkt Jon in Anspielung auf das virale Video „Elly Mae sings ‚An American trilogy‘ by Elvis Presley“. „Du kannst keinen Song hervorheben, wenn alle herausstechen. Langeweile ist fehl am Platz. Wir erlauben uns kein Nickerchen bei der Arbeit, halten das Tempo hoch. Hörst du unser Album, bist du automatisch in Bewegung, wippst mit dem Kopf. Manchmal kratzt du dich vielleicht auch am Kopf, aber das ist okay.“

Die Produktion eines DANCE GAVIN DANCE-Albums stellt man sich als großes, buntes Spektakel vor, ähnlich Charlies Schokoladenfabrik, bei der letztendlich kreativ verzierte Songs vom Fließband laufen. Doch wie schaut es tatsächlich hinter den Kulissen aus? „Wir tragen diese wilde Kreativität einfach in uns“, sagt Jon. „Wir müssen sie nur hervorholen, dann läuft’s. Gefährlich wird es erst, wenn man zu selbstsicher wird, Höhenflüge enden in platten Songs. Aber sind wir uns dessen bewusst, können wir nicht verlieren. Alle Mitglieder von DANCE GAVIN DANCE tragen Vertrauen, Freiheit und eine gute Portion Spaß im Herzen.“ Zehn sind nicht genug Dass damit noch lange nicht Schluss ist, beschreibt der Albumtitel „Afterburner“. „Wir sind zehn Alben stark und werden weiter wachsen. Wir brennen noch immer für unsere Musik, das Feuer bekommt seine regelmäßige Dosis Benzin und wird so bald nicht erlöschen. Im Gegenteil: Die Messlatte wird höher gelegt, wir befinden uns mitten im Spiel, wir gehen nicht mehr zurück an die Taktiktafel, nehmen aber auch keine größeren Hürden, als wir überwinden können“, beteuert Jon. „Ich will nicht sagen, dass wir das Beste seit Erfindung des Fußballs sind, aber der Ball liegt definitiv in unserer Hälfte des Spielfelds. Wir weinen auch nicht den Niederlagen nach, denn innerlich wissen wir, dass allem ein guter Zauber innewohnt, und geben weiter Vollgas.“ Bäumchen wechsle dich (nicht) Mit Vollgas dreht sich bei DANCE GAVIN DANCE auch das Besetzungskarussell: Acht ehemalige Mitglieder kehrten zeitweise zurück, bevor sie ganz von der Bildfläche verschwanden – darunter der gefeierte Sänger Jonny Craig. Jon sieht es locker: „Im Grunde ist einfach ein Typ weg und ein anderer kommt. Die Lücke musst du schließen, das kann kompliziert werden und dein Songwriting auf den Kopf stellen. Glücklicherweise hatten wir stets mit hochtalentierten Musikern zu tun – die auftauchen und abliefern.“ Jon selber hatte die Band zwischenzeitlich für knapp drei Jahre verlassen. Und was prägt dann den Sound der Band? Jon hat dazu eine abermals ganz eigene Metapher: „Unser Sound ist wie ein Baum, den man mit einer Schleifmaschine bearbeitet, während er noch fest verwurzelt ist. Im Laufe

der Zeit entsteht ein seltsames, poliertes Holzteil, das sich immer weiter von der Optik eines Baumes entfernt, obwohl es weiter wächst. Dieser Prozess des zeitgleichen Wachsens und Vergehens, des Lernens und der Anpassung, entfaltet sich auf ganz natürliche Weise.“ In all dem Wandel freuen sich DANCE GAVIN DANCE allerdings über eine Konstante: Ihr Label Rise Records begleitet die Jungs seit der Bandgründung. Was Jon dazu sagt? „Es ist wie einen Vater zu haben – und ein Leben lang den gleichen Aktenschrank.“ Vom Aktenschrank zu anderen Gegenständen und ein paar abschließenden Fragen: Welchen Song hast du am häufigsten gehört? Das schleifende Geräusch der sich drehenden Reifen meines Schulbusses hängt mir heute noch in den Ohren. Welche Platte hat dich stark beeinflusst? „E. 1999 Eternal“ von BONE THUGS-N-HARMONY. Welche*r Musiker*in inspiriert dich? Unser Sänger Tilian Pearson. Hast du ein Spirit-Animal? Ja, den Luchs. Und welche Zutat gehört unbedingt auf dein Sandwich? Avocado! Jeannine Michèle Kock

Diesen Artikel konnten Supporter bereits auf unserer Steady-Seite vorab lesen. Dort könnt ihr uns unterstützen und so helfen, dass Heft am Leben zu halten. Supporter bekommen dort neben Artikeln vorab auch ungekürzte Artikel, einen exklusiven Podcast, Verlosungen oder das Heft im Abo.

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vyness gibt es immer dieses geisteskranke Element und das haben die neuen Songs allesamt. Alle Fragen werden sich ganz von selbst beantworten, wenn die Leute das ganze Bild sehen. Der Albumtitel wird im Artwork auf großartige Weise ausgedrückt. Man kann tatsächlich einen Blick unter die Oberfläche werfen. Auch die Lyrics der ersten Single beziehen sich konkret darauf, was es bedeutet, wenn das Bild, das man nach außen abgibt, nichts als eine Fälschung ist. Jamie: Lass mich darauf zurückkommen, was Du eben gesagt hast, dass der Song „Underneath“ den Hörer, was das Album angeht, auf eine falsche Fährte lockt. Textlich ist es aber der Song, der alles am genauesten auf den Punkt bringt. Die anderen Songs beschäftigten sich jeweils mit einer Facette des großen Ganzen. Der letzte Song ist also das kathartische Enderlebnis, bei dem alles zusammenläuft. Es ist eine schwierigere, kompliziertere Welt, in der du dich heute zurechtfinden musst. Es wird immer schwieriger für die Wahrnehmung, durch den Lärm und das Licht oder das ständige Stalken der Mitmenschen, die Dinge richtig einzuordnen. Es geht aber weniger darum zu sagen, dass jemand fake ist. Ich bin genauso fake, aber nicht absichtlich und die meisten Menschen eben auch nicht. Niemand kann genau sagen, wie diese Entwicklung weitergehen wird. Aus dieser Perspektive heraus ist das Album entstanden.

CODE ORANGE

BEI HARTER MUSIK, METAL UND HEAVYNESS GIBT ES IMMER DIESES GEISTESKRANKE ELEMENT UND DAS HABEN DIE NEUEN SONGS ALLESAMT. Foto: (Vincent Grundke vollvincent.com)

KEIN WITZ. Das neue CODE ORANGE-Werk lediglich als ambitioniert zu beschreiben, ist mit großer Sicherheit eine hanebüchene Untertreibung. Für das neue Werk „Underneath“ ist die Band in jeglicher Weise ans Limit gegangen und hat dies auch hörbar gemacht. Wem ein derartig intensiver Blick unter die Oberfläche übertrieben erscheint oder zu viel ist, kann ja eine andere Band hören, die alles mit einem Augenzwinkern tut. Für CODE ORANGE ist ihr Tun eben nicht nur ein Witz. Wir treffen Sängerin und Gitarristin Reba Meyers sowie Sänger und Schlagzeuger Jami Morgan zum Gespräch in Berlin.

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nabhängig davon was sich musikalisch bei Euch getan hat, Eure Maxime scheinen immer noch dieselben zu sein. Ganz vorneweg die Hingabe und die absolute Kompromisslosigkeit mit der Ihr zu Werke geht. Reba: Richtig erkannt, wir haben immer versucht, das als Kerngedanken der Band aufrecht zu erhalten. Gab es denn zu Beginn der Band diese Idee oder dieses Konzept, aufgrund dessen Ihr entschieden habt, was CODE ORANGE sind oder wofür sie stehen? Jamie: Für uns war es schon immer so, dass wir uns ein Ziel gesetzt haben, das wir dann regelrecht in Angriff genommen haben. Es ging uns immer schon um die künstlerische Entwicklung, das war der bestimmende Faktor. Wir haben anvisiert, was wir künstlerisch möchten, und dann überlegt, wie wir das erreichen können. Unsere künstlerische Vision steht im Mittelpunkt und nichts anderes, auch unsere Persönlichkeiten nicht. Alles dreht sich nur um CODE ORANGE. Was hat sich am drastischsten für Euch geändert? Reba: Die Art und Weise, wie wir unseren Herausforderungen begegnen. Man setzt sich Standards, die man eigentlich gar nicht erreichen kann, auch wenn es in einem kurzen Augenblick möglich erscheint. All das kann einen ab und zu schon mal etwas überfor-

dern, trotzdem wirft man sich immer wieder mit voller Kraft hinein. Jamie: Der Ansatz unseres ersten Albums unterscheidet sich im Grunde nicht wesentlich von dem unserer neuen Platte. Mit unserem letzten Album „I Am King“ haben wir versucht, das Haus, was wir gebaut hatten, noch einmal komplett umzubauen. Nun sind wir an einem Punkt, wo Dinge von früher plötzlich zurückkehren. Damit meine ich nicht den konkreten Sound, es ist vielmehr... Reba: Die Freiheit. Jamie: Die Freiheit alles ausprobieren zu können. Dazu haben wir viele Jahre an unseren Fähigkeiten als Songwriter gearbeitet und jetzt können wir alles auf einem neuen Level miteinander mixen.

Sind Eure Persönlichkeiten auf der Bühne denn auch mit diesem überordneten Konzept der Band verwachsen? Ihr seid ja nun bekannt dafür, dass Ihr wirklich immer sehr ernst, grimmig dreinschauend und maximal angespannt seid. Jamie: Eigentlich geht es nicht darum, nein. Wir performen einfach absolut am Limit, Mann! Wir versuchen so hart wie möglich zu sein und fühlen das, was wir da tun, verdammt noch mal! Speziell das letzte Album basierte stark auf den Empfindugen Bitterkeit, Wut und Rache. Wenn dir das zu krass ist, dann gibt es immer noch einen Haufen anderer Bands, bei den alles nur ein großer Witz ist. Auf Instagram ist jeder happy, alles ist ein Meme und Menschen sagen uns dann, dass wir alles zu ernst nehmen – ok, dann ist das halt so. Man kann sich aber auch ernstnehmen und trotzdem ein normales Leben führen und Spaß haben. Bei uns soll es um die Kunst und die Musik gehen, nicht darum, was wir jeden Tag so treiben. Sowas möchte ich von einer Band eigentlich nicht sehen und besonders nicht von einer Band wie uns. Wir performen lieber am Limit und haben gebrochene Finger oder Zehen, Gehirnerschütterungen sowie Nackenund Rückenbeschwerden.

Was uns zum neuen Album bringt. Als erste Single „Underneath“ scheint eher eine elektronische Basis zu haben, während der Rest des Albums weiterhin als Rock bezeichnet werden kann. War es Euer Plan, die Leute ein wenig zu schocken und quasi vom extremsten Punkt zu starten? Jamie: Uns gefiel der Gedanke, dass wir die Leute provozieren, sie scheiße über uns zu reden, um sie dann mit der nächsten Single Lügen zu strafen. Unter dem Motto: „Alles was Ihr gesagt habt, war falsch!“ Jeder der das nächste Stück des Puzzles zu hören bekommt, wird sich wieder beruhigen. Bei harter Musik, Metal und Hea-

Der nächste ironische Bruch muss ja nicht immer direkt greifbar sein. Warum nicht einmal sein Ding durchziehen? Jamie: Genau darum geht es! Natürlich haben wir es hin und wieder auch schon mal übertrieben, aber so werden wir auch besser in dem was wir tun. Wem das nicht gefällt, der soll zur nächsten Heavy-Band gehen und sich ansehen, mit wem sie so abhängt und wie sie die möglichst meta-coole Band überhaupt ist. Natürlich reflektieren wir über solche Dinge, aber diesbezüglich sind wir einfach schon weiter – ganz einfach. Christian Biehl

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Ihr habt auf eurem Debüt direkt ein Feature mit Florent, dem Sänger von LANDMVRKS. Wie kam es dazu und was denkst trägt er zu eurem Song bei? Das Ganze hat sich zugegebenermaßen relativ spontan auf einem Festival ergeben, als wir die Gelegenheit hatten, mit Florent zu sprechen, woraufhin er uns kurze Zeit später seinen Part geschickt hat. Er hat einen sehr einzigartigen Stil, der den Song ungemein bereichert und ihn noch mal auf ein neues Level hebt.

SHELLZ

Foto: Marcus Ulbrich

(K)EIN LIEBESLIED. Mit der Band aus der Gegend um Tier und Saarbrücken drängt ein spannender Newcomer auf die Bühnen. Wir sprechen mit Gitarrist Manoj über das Debütalbum von SHELLZ, und ob da­rauf jetzt Liebeslieder zu finden sind oder nicht.

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it „No More Love Songs“ steht ja euer Debütalbum an, mal von einer ersten EP abgesehen. Mit welchen Erwartungen geht ihr an die Veröffentlichung heran? Immerhin konntet ihr in der Vergangenheit doch schon einige Erfahrungen sammeln, sei es eine Europatour oder der Release jetzt auf einem Label? Es ist bei einem „Quasi-Debüt“ tatsächlich gar nicht so leicht abzuschätzen, wohin die Reise letzten Endes geht, aber natürlich erhofft man sich durch den Album-Release einige neue Zuhörer dazugewinnen zu können und sich ein Stück weit in der Szene zu etablieren. Vielleicht öffnet sich dadurch ja die eine oder andere Tür.

Das Album heißt „No More Love Songs“, also gibt es darauf wohl keine Liebeslieder. Was sind die Themen, die ihr darauf behandelt? Der Albumtitel ist eigentlich ein bisschen ironisch zu verstehen. Als unser Sänger Alexander anfing, die Texte für das Album zu schreiben, nahm er sich vor, anders als bei einem Großteil der EP, keine Liebeslieder mehr zu schreiben. Im Zuge dessen entstand auch der Track „No more love songs“, der streng genommen aber eben doch ein Liebeslied ist. Ansonsten beschäftigt sich das Album textlich unter anderem mit dem Thema Verlust und dem unbändigen Willen, seine Träume zu verwirklichen, ungeachtet dessen, was die moderne Gesellschaft von einem erwartet.

Ihr habt ja bei so einigen größeren Bands als Support gespielt. Was denkst du, hast du bei diesen Shows gelernt und vielleicht auch auf dem Album umsetzen können? Gab es eine Band, die dich besonders beeindruckt oder beeinflusst hat? Natürlich kann man sich bei den etablierteren Bands ein bisschen was abschauen, gerade was die LivePerformance angeht, aber auch beim Songwriting, sprich: welche Parts live besonders gut funktionieren und das Publikum mitreißen. Das haben wir auch versucht so gut wie möglich auf dem Album umzusetzen. Bemerkenswert ist auch, dass so ziemlich alle größeren Bands, die wir supportet haben, ziemlich „down to earth“ waren! Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir da WHILE SHE SLEEPS, BEARTOOTH und ATTILA. Zum Schluss: Hast du einen Lieblings-„Love song“? Wenn ja, welchen und warum? Ja, und zwar „Someday“ von NICKELBACK. Zum einen weil er musikalisch unheimlich stark ist, aber auch weil er aufzeigt, wie vergänglich Beziehungen sein können. Darüber hinaus ist die Rockmusik der 2000er für viele von uns eine große Inspirationsquelle. Dennis Müller

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ALL TIME LOW

Foto: Karo Schäfer (cateyephotography.com)

AUFWACHEN, SONNENSCHEIN. ALL TIME LOW melden sich nach einer gut einjährigen Pause mit ihrem neuesten Album „Wake

Up Sunshine“ zurück. Im Gespräch erzählt uns Gitarrist Jack Barakat mehr über die Hintergründe des Albums, wie die Nebenprojekte WHO HURT YOU und SIMPLE CREATURES Einfluss auf ALL TIME LOW nehmen und was das Verrückteste ist, das er je nach einer Trennung gemacht hat.

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ake Up Sunshine“ könnte man vom Sound her als Back-to-the-roots Album bezeichnen. Ihr habt euch in ein Haus eingeschlossen und die Songs gemeinsam geschrieben. Wieso seid ihr nicht in ein normales Studio gegangen? Wir haben es gar nicht mit der Intention gemacht, ein Album zu schreiben. Alex hatte schon an ein paar Songs gearbeitet, die diesen tollen Pop-Drive hatten und bei uns allen ein Feuer entfacht haben. Also haben wir uns dazu entschieden, wieder gemeinsam Musik zu machen. Aber ohne konkrete Pläne. Dann haben wir ein Haus gemietet, was deutlich stressfreier ist, als sich ein Studio anzumieten, und so konnten wir ein eigenes Arbeitstempo entwickeln, das uns allen passt. Das hört man dem Sound an, das Album klingt zwanglos. Der Vorgänger „Last Young Renegade“ hingegen war ziemlich düster. Wir haben uns nicht hingesetzt und gesagt, dass wir jetzt ein fröhliches Album schreiben wollen. Aber wenn man in Palm Springs am Pool Cocktails trinkt, passiert es wohl. Trotzdem findet man genügend Elemente von „Last Young Renegade“ auf dem Album, aber eben auch sehr viele von „Nothing Personal“ oder „Future Hearts“. Thematisch ist trotzdem alles etwas düsterer und es geht um Selbstzweifel und Ängste. Ja, es gibt sehr viel Selbstreflexion auf dem Album. Wir wissen auch, dass „Last Young Renegade“ sehr anders klang und die Leute dies auch angesprochen haben. Gerade als Künstler sind Selbstzweifel dann immer sehr groß, wenn man etwas Neues probiert. Und diese Erfahrung verarbeitet Alex jetzt in den Texten. Dennoch sollte man das Album nicht darauf reduzieren. Vieles dreht sich auch um Freundschaft, unsere Band und andere gute Dinge im Leben. Dies macht „Wake Up Sunshine“ auch so dynamisch und einzigartig. Im Video zu eurer neuen Single „Sleeping in“ macht ihr auf die North Shore Animal League America aufmerksam, die sich für die Vermittlung

von Tieren in Tierheimen einsetzt. Hast du ein Tier aus dem Tierheim? Ich habe leider keine Haustiere, aber alle meine Freunde haben Hunde, auf die ich immer aufpassen darf, wenn sie keine Zeit haben. Das ist die beste Sache auf der Welt. Mir fehlt leider aufgrund der ganzen Touren die Zeit für Hunde. Alex hat zwei Hunde und die sind großartig. Für uns als Band war es wichtig, dass wir bei einem Musikvideo Spaß haben. Dies wollten wir gerne damit verbinden, etwas Gutes zu tun. So lag die Idee mit dem Tierheim sehr nah. In dem Video werdet ihr von euren Freundinnen sitzengelassen und holt euch Tiere, um die Leere zu füllen. Was war das Verrückteste, das du jemals nach einer Trennung gemacht hast? Nach dem Ende einer Beziehung im echten Leben? Ja, Musikvideos zählen nicht dazu. Das Verrückteste, das ich jemals getan habe, ist eine Band zu gründen. Nach dem Ende meiner letzten Beziehung habe ich das Projekt WHO HURT YOU gegründet. Dies war für mich die Möglichkeit, etwas Positives mit meinem Gefühlschaos anzufangen. Es war sehr befreiend, sich aus seiner Komfortzone zu bewegen und etwas Neues zu versuchen. Du hast WHO HURT YOU gegründet und Alex hat sich mit Mark Hoppus von BLINK-182 bei SIMPLE CREATURES ausgetobt. Wie haben sich diese Nebenprojekte auf ALL TIME LOW ausgewirkt? Wir haben alle unser eigenes Ding gemacht und waren gar nicht so involviert in das, was die anderen getan haben. Alex und ich haben uns die Songs zwar hin- und hergeschickt, viel mehr ist aber auch nicht passiert. Die Nebenprojekte konnten wir wunderbar dazu nutzen, uns zu entfalten und Dinge zu probieren, die bei ALL TIME LOW keinen Platz haben. Zudem haben wir die Projekte auch aus ganz unterschiedlichen Motivationen gestartet. Alex hat SIMPLE CREATURES gegründet, denn als Songschreiber von ALL TIME LOW wollte er gerne mit verschiedenen Sounds experimentieren und herumspielen. Mein Projekt hingegen war eher als Thera-

pie zu verstehen. Wie bereits erwähnt hatte ich zu dem Zeitpunkt schwer mit einer Trennung zu kämpfen. ALL TIME LOW hatten solange pausiert, bis wir wieder einen Grund hatten, Musik zu machen. Und das war, nachdem Alex die ersten Songs geschrieben hat. Ihr habt zudem zwei Gastbeiträge auf dem Album. Der erste kommt von dem Rapper Blackbear in dem Song „Monster“ und überrascht etwas. Auf dieses Feature sind wir besonders stolz! Wir haben mit dem Produzenten Andrew Goldstein, mit dem wir unter anderem „Something’s Gotta Give“ geschrieben hatten, an „Monster“ gearbeitet. Da er aktuell auch Blackbear produziert, wollten wir, dass er den Song an ihn sendet und fragt, was er davon hält und ob er dabei sein will. Blackbear fand das Lied direkt gut und hat eine Strophe dafür aufgenommen und uns zurückgesendet. Und holy shit! War das gut. Der zweite Gastbeitrag überrascht weniger: THE BAND CAMINO. Hat mich aber sehr gefreut, da ich sie vor ein paar Tagen live gesehen und ziemlich gut gefunden habe. Wir sind auf dem gleichen Label und haben den gleichen A&R-Manager. Dementsprechend haben wir die Band von Anfang an verfolgt und waren sogar bei einem ihrer ersten Auftritte in Los Angels dabei. Wir sind große Fans und es war die logische Schlussfolgerung, zusammen mal einen Song aufzunehmen. Niemand musste groß überzeugt werden. Zum Abschluss eine Frage fürs Klischeebingo: Was hoffst du, was Fans fühlen, wenn sie das neue Album hören? Ich finde die Frage jedesmal schwierig zu beantworten. Die Alben, die mein Leben am meisten geprägt haben, sind die, durch die ich gelernt habe, Dinge aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Ich hoffe jedesmal aufs Neue, dass es Menschen gibt, denen dies passiert, wenn sie unsere Alben hören und erkennen, dass sich mehr dahinter verbirgt als nur GuteLaune- oder Partysongs. Christian Heinemann

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Foto: Dan Almsay

IRIST

IMMIGRANTEN. IRIST mögen auf den ersten Blick eine amerikanische Metalband sein, doch so einfach ist das nicht. Drei der Bandmitglieder sind Einwanderer aus Südamerika, Menschen, die Trump lieber nicht im Land hätte. Welchen Einfluss seine Herkunft auf die Musik hat, versuchen wir mit Sänger Rodrigo zu klären.

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in Teil der Band ist aus südamerikanischen Ländern in die USA ausgewandert, nach Atlanta, um genau zu sein, um die Band zu gründen. Was hat dieser Schritt für eure Karriere bedeutet? Welchen Einfluss hatte dies auf die Band und das Songwriting? Unser Bassist Bruno kommt aus Chile und unser Gitarrist Pablo aus Argentinien. Ihr Familien sind aus den gleichen Gründen in die USA gekommen, wie die meisten Immigranten: Um ein besseres Leben zu finden. Ich habe fast mein ganzes Leben in Brasilien verbracht, ich kam erst mit 24 in die USA. Aber unabhängig davon, wie lange wir hier sind, so haben wir doch Erfahrungen damit gesammelt, sich einer anderen Kultur anzupassen. Vielleicht können nur Menschen, die das Gleiche erlebt haben, verstehen, wie einen eine solche Erfahrung verändert. Ob es unsere Musik verändert hat, kann ich nicht sagen. Vielleicht unterbewusst. Gab es einen bestimmten Grund, dass ihr euch in Atlanta niedergelassen habt? Ich glaube, die meisten von uns hatten keinen großen Einfluss darauf, wo sie in den USA landen würden, aber Atlanta ist eine tolle Stadt für Musik und Kultur. Manchmal wird es sogar schwierig, alle Konzerte mitzunehmen, auf die ich gerne gehen würde. Südamerika hat eine sehr lebendige Metal-Szene. Siehst du Unterschiede zwischen der Musikszene in Südamerika und in den USA? Ich bin schon länger kein Teil der Metal-Szene in Brasilien, also kann ich das nicht wirklich beurteilen. Aber klar, es gibt einige Unterschiede. Am offensichtlichsten wird das wohl beim Verhalten der Leute auf Konzerten. Das Publikum hier in Atlanta braucht immer eine Weile, um warm zu werden, in Südamerika stürzt man sich schneller in den Pit. Haben südamerikanische Bands einen großen Einfluss auf das Songwriting von IRIST? Ich bin mit Bands wie SEPULTURA, SARCÓFAGO, DORSAL ATLÂNTICA und RATOS DE PORÃO aufgewachsen. Ich bin mir sicher, dass das einen Einfluss auf die Art und Weise hat, wie ich Musik schreibe. Ich stamme aus einem kleinen Bundesstaat in Brasilien, Espírito Santo, und die populären harten Bands dort kamen mehr aus der Punk-und Hardcore-Richtung, DEAD FISH, MUKEKA DI RATO zum Beispiel. Die hatten wohl einen größeren Einfluss auf mich als die Metalbands. Aber ich habe auch damals viel KREATOR, EXTREME NOISE TERROR und CARCASS gehört. Was vermisst du aus deiner Heimat am meisten bei deinem Leben in Atlanta? Alles. Meine ganze Familie lebt noch in Brasilien. Ich denke, wenn du Immigranten fragst, was sie vermissen, werden sie auch immer das Essen sagen. Das geht mir nicht anders. Ich versuche, wenigstens einmal im Jahr nach Hause zu kommen, aber das ist nicht immer möglich. Ich kann mich glücklich schätzen, dass meine Bandmitglieder ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dennis Müller

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Die eine oder andere Black-Metal-Truppe hat sich ja schon Schminktipps bei Robert Smith geholt und wie man eine Band vor die Wand fährt, lernt man bei den Gallaghers. Ansonsten sind THE CURE ein Beispiel für musikalische Einzigartigkeit. Robert Smiths Händchen für Melancholie und Atmosphäre würde einigen Metalbands manchmal ganz guttun. Und ein gesundes Selbstbewusstsein und eine Portion Gallagher-Humor können auch nicht schaden. Ein unglaublicher Songwriter. Natürlich hat keiner mehr Bock auf „Wonderwall“ aber so manche OASIS-B-Seite würde wohl noch heute die eine oder andere Karriere ankurbeln.

GRIND OASIS, THE CURE UND METAL. Bent, Gitarrist bei GRIND, hat ein paar schlüssige Erklärungen dafür parat, warum man auch als Metalband Einflüsse von Künstlern haben kann, die eigentlich mit Metal nicht viel zu tun haben. Wo man diese auf „Songs Of Blood And Liberation“ findet, lest ihr hier.

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ei einem Blick auf die „Künstler, die wir gut finden“-Rubrik auf eurer Facebook-Seite, war ich kurz verwirrt: da stehen neben CARCASS, ENTOMBED, SLAYER und NAPALM DEATH auch Namen wie INTERPOL, THE SMITHS, OASIS und THE CURE. Inwieweit finden sich die letztgenannten in eurem Sound? Wir machen und hören nun seit mehr als 25 Jahren Musik und haben längst alle Beschränkungen über Bord geworfen. Als Teenager waren wir da anders. Unsere Death-Metal-Bands mussten nach purem Death Metal klingen und Grindcore war nicht Grindcore, wenn er

nicht klang wie Grindcore. Wir bringen auf der Platte viel unterschiedliche Spielarten zusammen und freuen uns über die Vielseitigkeit der Songs. Und ja, ich glaube, dass die genannten Bands stellenweise zu hören sind. Das Outro unserer Single „Rising“ hat was von INTERPOL – nur eben mit tiefergelegten Metalgitarren. Die Basslinie darunter ist angelehnt an eine Gitarrenmelodie vom THE CURE-Song „Apart“. So was zuzulassen, ist wohl Ergebnis der musikalischen Toleranz, die erst im Alter kommt. Was können Metaller von Musikern wie Robert Smith oder den Gallagher-Brüdern lernen?

Siehst du euer neues Album auch als eine Art Gegenentwurf zum „modernen“ Metal, der seine Heavyness häufig allein aus Breakdowns bezieht? Ja, schon! Uns fehlt bei den modernen und vor allem den kommerziell erfolgreichen Produktionen oft die Härte, die das Riff an sich mit sich bringt. Wir setzen voll auf die Kraft unserer Riffs und einen rohen Sound. Die Platte ist ohne Trickserei und aufgeblasene Technik entstanden. Und ganz ehrlich: Wir wüssten nicht mal, wie das geht. Ihr seid ja auch alle schon was älter und länger in der Metal Szene unterwegs. Wird man da auch entspannter, was den ganzen „Trve“-Kram angeht? Wir sind da super entspannt. Wir sind alle über vierzig und haben Jobs und Kinder. Was nun „trve“ oder „untrve“ ist, sollen die jungen Metalheads unter sich ausmachen. Das ist uns völlig egal, auch wenn wir uns ab und an mal etwas über Schminke im Metal, Pommespieker und TrinkhörnerKlischees amüsieren. Am Ende müssen ein gutes Riff, ein guter Basslauf, einprägsame Drums dabei rauskommen. Ob das jeweils von CANNIBAL CORPSE oder THE SMITHS beeinflusst ist, schert uns nicht. Dennis Müller

Wie lange wird Brandon durchhalten, wie viel Zeit gibst du ihm? So lange, wie er will. Ich kann nicht vorhersehen, was passieren wird, aber aufgrund meinen bisherigen Erfahrungen könnte wohl alles passieren. Vielleicht bekommt er ja einen Anruf, dass er bei AC/DC spielen soll! Mal im Ernst, was bringt Brandon mit zum HAVOKSound? Brandon hatte schon großen Einfluss auf die Basslinien auf „V“ und ein paar der Arrangements. Er hatte die Perspektive eines Außenseiters und das hat stark bei den Gesangslinien geholfen. Mit seiner Kreativität und musikalischem Geist hat er oft Ideen beigesteuert, auf die von uns keiner gekommen wäre.

HAVOK THE NEW GUY. Die Liste der ehemaligen Mitglieder von HAVOK ist lang. Der neue Bassist der Band aus Denver hört auf den Namen Brandon Bruce. Ein paar Fragen an Sänger und Gitarrist David Sanchez zum Line-up sowie zum Coverartwork des fünften Albums „V“.

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hr habt euren neuen Bassisten Brandon in einem nicht ganz ernst gemeinten Video angekündigt habt. Hat er schon alle Stücke gelernt? Sind ja nur vier Saiten, wie schwer kann das schon sein? Brandon kann noch nicht alle Songs, aber hat schon eine Tour mitgespielt und kann genug, um eine Headline-Show zu spielen. Aber wir freuen uns schon drauf, auf den kommenden Touren neue Sachen zu spielen!

HAVOK haben mittlerweile elf ehemalige Mitglieder. Da kann man ja drei Bands draus machen! Was ist mit den Schlagzeugern und Bassisten los, dass sie einfach nicht bei euch bleiben? Gute Frage! Wenn ich das wüsste, hätten wir nicht so viele verschiedene Mitglieder gehabt. In einer Band zu sein, kann herausfordernd sein. Es ist so, als wärst du mit drei Kollegen von der Arbeit verheiratet.

Das Gemälde auf dem Cover von „V“ stammt von dem Berliner Eliran Kantor, der in letzter Zeit überall auftaucht: HEAVEN SHALL BURN, THY ART IS MURDER, TESTAMENT. Alle haben Artworks von ihm. Was macht seine Arbeit so besonders? Ich liebe seinen Caravaggio- oder Rembrandt-artigen Stil des Realismus. Seine Kunst erinnert an die Gemälde der Renaissance und ich liebe es, wie er seinen Stil in das Artwork zu „V“ integriert hat. Ich habe ihm gesagt, dass ich etwas wie Caravaggio trifft Dalí suche, und er hat es genau so gemacht. Eliran ist großartig darin, ein Konzept zu erkennen und umzusetzen. Er hat unsere Idee perfekt getroffen und ich könnte nicht zufriedener mit dem Ergebnis sein. Vor fünf Jahren verstarb Shawn Chavez, mit dem du die Band gegründet hast. Seitdem habt ihr drei Alben veröffentlicht und viele Touren gespielt. Was würde er über die Band und das neue Album wohl sagen? Shawn starb 2015. Wenn er die Band heute sehen könnte, würde er wohl das Artwork lieben, die Texte und vor allem das Gitarrenspiel von Reece. Dennis Müller

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PARKWAY DRIVE

Foto: Vincent Grundke (vollvincent.com)

ON FIRE. Mit ihrer Dokumentation „Viva The Underdogs“ haben PARKWAY DRIVE einen weiteren entscheidenden Meilenstein in ihrer

Bandkarriere gelegt und zeigen mit viel Pyrotechnik und Humor, wie fünf Aussies an die Spitze des Metalcore gelangt sind. Wir haben uns mit Winston McCall in Berlin getroffen und über die Dokumentation, die Underdog-Attitüde und Nachhaltigkeit gesprochen.

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inston, du bist extra für die Premiere von „Viva The Underdogs“ nach Berlin gekommen. Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass der Film in über sechzig Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz läuft? Wie war der erste Eindruck, als du die Menschen im Saal gesehen hast? Ganz im Ernst? Anfangs habe ich überhaupt nicht realisiert, dass das Ganze so eine große Sache ist – gerade weil wir die Doku während der Produktion wieder und wieder ansehen mussten. Aber als ich dann hier vor Ort war, für die Vorbereitungen der Premiere vor dem Kino stand und die gigantischen Werbebanner sah, wurde es mir schlagartig bewusst. Besonders als mir jemand noch einmal die Anzahl der Kinos und Besucher sagte, machte es langsam Klick in meinem Kopf. Unterm Strich bin ich unfassbar stolz auf uns als Band und darauf, dass „Viva The Underdogs“ nicht nur visuell gut aussieht, sondern tatsächlich auch gut klingt. Die Atmosphäre ist natürlich bei einer Kinoleinwand ganz anders, als wenn man sich einfach ein Live-Konzert bei YouTube ansehen würde. Der Begriff „Underdog“ ist mit Eigenschaften wie klein, unbedeutend, nicht ernst genommen und unterschätzt konnotiert. Gleichzeitig beschreibt er aber auch eine gewisse Attitüde, die viele Bands mit Stolz tragen. Wie viel Underdog steckt heute noch in PARKWAY DRIVE? Haha! Die Mentalität? 100%! Wir haben uns in unserer Denkweise und unserem Verhalten nie verändert und werden es auch nie. Natürlich stellen wir uns bezüglich unseres Erfolges nicht mehr als Underdogs dar und was wir mit unserer Musik und mit Hilfe unserer Fans erreicht haben, ist unfassbar. Aber wenn man als kleine Garagenband startet, ist es schwer, diese Underdog-Attitüde komplett abzulegen. Wir kommen aus einer kleinen Stadt – keine verfügbaren Jobs, keine Musikszene, nichts. Als wir das erste Mal außerhalb von Australien getourt sind, kannte niemand überhaupt eine AussieMetal-Band. Wir waren diese todgeweihte neue Form des Metal, die sowieso in einem Jahr wieder verschwunden sein würde. Wenn uns vor fünf Jahren jemand gesagt

hätte, dass wir mal auf der Mainstage bei Wacken spielen werden, hätte das keiner geglaubt. Wir haben uns durchgebissen und deshalb auch heute noch dieses Underdog-Mindset. Mit der Doku wollten wir verdeutlichen, dass Leidenschaft und Durchhaltevermögen die Haupterfolgsfaktoren sind.

NACHHALTIGES TOUREN IST ETWAS, WORAN WIR ARBEITEN MÜSSEN. FÜR UNSEREN PLANENTEN UND FÜR UNS SELBST.

Also würdest du sagen, dass „Viva The Underdogs“ in gewisser Weise eine Reihe von Guidelines und Tipps für aktuelle Underdogs und Newcomer ist? Das haben wir uns auch gefragt, als die Doku fertig war: „Stellen wir hier gerade einen Ratgeber zusammen? Ist das die Anleitung, wie man Schritt für Schritt erfolgreich wird?“ Haha. Aber natürlich! Wenn Leute aus unseren Fehlern und Geschichten lernen können – perfekt! Wir haben mittlerweile so viele Erfahrungen angehäuft, dass es beschämend und egoistisch wäre, diese nicht weiterzugeben. Wir haben an Orten gespielt, wo noch nie zuvor Metalbands gespielt haben. Wir waren die erste australische Band, die in diesem Ausmaß in den USA, Europa oder Asien getourt ist. Wenn junge Musiker erkennen, dass sie in dieser Branche Erfolg haben können, ohne sich selbst zu verkaufen oder untreu zu werden, reicht uns das bereits. Ich habe so viele Bands dadurch zugrundegehen sehen, dass andere ihnen gesagt haben, was sie zu tun haben. Bleib dir selbst treu – das ist im Grunde die Basis, auf der sich Erfolg aufbauen kann. Ihr habt auf der „Reverence“-Tour und somit auch in der Doku einige Requisiten und visuelle Stilmittel

wie einen bestimmten Mantel, einen Molotowcocktail und Fackeln verwendet. Wo ist die Verbindung? Vor längerer Zeit haben wir festgestellt, dass Live-Performances – auch wenn die Musik immer noch in Vordergrund steht – eine ganz eigene Form der Kunst sind, logischerweise andere Sinne ansprechen und daher ganz eigene Stilmittel benötigen. Diese Requisiten wechseln auf jeder Tour, so dass auch Fans, die uns zum zwanzigsten Mal sehen, immer noch überrascht werden und eine einzigartige Erfahrung machen. Niemand würde zum Beispiel erwarten, dass die Band beim Intro plötzlich hinter dir auftaucht und sich den Weg durch die Menge bahnt. Der Molotowcocktail, der am Ende das Logo in Brand steckt, steht für eine neue Ära, die die alte ablöst. COLDPLAY touren nicht mehr, bis sie eine Möglichkeit gefunden haben, nachhaltig zu reisen. Was können Bands generell tun, um die Umwelt zu schonen? Das ist eine wichtige, aber verdammt schwierige Frage. Besonders für eine australische Band, die auch außerhalb Australiens tourt, sind Flüge unausweichlich. Und wenn man in den USA oder Europa unterwegs ist, ist der Bus, der die Band, die Crew und das Equipment von A nach B bringt, das nächste große Problem. Auch die einzelnen Venues auf der Tour verschlingen viel Energie, die natürlich irgendwo herkommen muss. Man versucht, die negativen Einflüsse auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten, aber das ist – zumindest heute noch – nur zu einem gewissen Grad umsetzbar. Wie die meisten Branchen ist die heutige Musikindustrie nicht so nachhaltig, wie sie es eigentlich sein müsste. Man könnte natürlich kollektiv weniger touren, aber dadurch würde die Musikindustrie auf eine Größe schrumpfen, die viele Bands in den finanziellen Ruin stürzen würde. Ich habe einen Riesenrespekt vor COLDPLAY, dass sie diesen Schritt wagen, aber sie können sich das andererseits auch leisten. Für kleinere Bands ist nachhaltiges Touren immer noch eine fast unüberwindbare Hürde, an der wir arbeiten müssen. Für unseren Planenten und auch für uns selbst. Philip Zimmermann 29

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Ich fand es auffällig, dass ihr bei diesem Album neue Stile ausprobiert habt, ohne dass es wie ein Experiment wirkt. Es klingt, als wusstet ihr genau, wie ihr klingen wollt, aber trotzdem noch wie SILVERSTEIN. Wie habt ihr das hinbekommen? Paul: Das ist genau das, was ich meine. Du solltest mal die Demos hören, bevor Shane darüber singt. Das klingt total verrückt. Aber sobald Shane anfängt zu singen, denkt man: das ist es. Wir versuchen nicht, den SILVERSTEIN-Sound am Leben zu erhalten, er ist ganz natürlich in allem, was wir schreiben. Billy: Ich will uns nicht direkt mit der größten Band aller Zeiten vergleichen ... Aber wenn du dir die ersten Lieder der BEATLES anhörst, „Love me do“ oder „I wanna hold your hand“, und dann die späten Alben, klingt alles wie die BEATLES. Es war vielleicht alles experimentell, aber es sind immer noch die BEATLES. Ich denke, wir haben es geschafft, einen SILVERSTEIN-Sound zu etablieren. Paul: Ist das jetzt vielleicht die moderne Version davon, dass die BEATLES gesagt haben, sie seien größer als Jesus? Wir sind die modernen BEATLES? Hahaha!

SILVERSTEIN

Foto: Thomas Eger (blackchester-photography.com)

DIE MODERNEN BEATLES. 1999 sagten viele Menschen ein weltweites Chaos vor-

aus, da zum Jahreswechsel alle Computersysteme zusammenbrechen würden. Nun ja, die Welt ging nicht unter und im Februar 2000 gründete sich die Band SILVERSTEIN in Ontario in Kanada. Seitdem bereisen sie beinahe ununterbrochen die Welt und bringen jetzt ihr zehntes Studioalbum namens „A Beautiful Place To Drown“ heraus. Zur Jubiläumstour treffen wir uns in Köln mit dem Bassisten Billy und Gitarristen Paul Marc, die zu spät zum Interview kommen, da sie noch ihrem Lieblingsbrauhaus waren. Ein wenig lokale Kultur muss eben sein.

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wanzig Jahre, 2000 bis 2020, das klingt wirklich beeindruckend. Das bedeutet auch, dass ihr länger bei SILVERSTEIN spielt, als ihr es nicht tut. Billy: Das stimmt, ich bin jetzt 35. Auf jeden Fall sind wir stolz darauf. Es ist jetzt bestimmt das 15. oder 20. Mal, dass wir in Köln spielen. Auf diese zwanzig Jahre zurückzublicken macht schon stolz. Vor allem gibt es einige Bands die nicht so lange durchhalten und sich zwischendurch eine Pause gönnen, um danach eine Reunion zu feiern. Paul: Das heben wir uns für später auf. Haha. Im Moment läuft es ja noch sehr gut. Habt ihr euch schon einmal ausgerechnet, wie viele Tage ihr im Jahr zu Hause und wie viele ihr unterwegs seid? Billy: Wir haben das ein Jahr lang mal genauer dokumentiert. Zum Beispiel waren wir von Ende 2017 bis 2018 fünfmal in Deutschland. Wir haben keine genauen Zahlen im Kopf, aber das Jahr war heftig. Als wir die Jubiläumstour geplant haben, waren die deutschen Daten die ersten, die wir gebucht haben. Also hat Deutschland schon einen hohen Stellenwert für euch? Billy: Ja, einen sehr hohen!

Wie sieht das im Vergleich aus? Ähnlich wie in Kanada? Billy: Wenn es ums Touren geht würde ich sagen, dass wir am meisten in den USA spielen und an zweiter Stelle dann in Deutschland. Ich glaube, wir sind hier größer als in Kanada. Ihr habt ja sogar schon euer bevorzugtes Brauhaus in Köln. Billy: Haha. Ganz genau. Wir wissen, wo wir uns hier herumtreiben können! Euer Sänger Shane sagte in Bezug auf „A Beautiful Place To Drown“: „Die Menschen sind weniger an Labels und Genres interessiert als jemals zuvor“. Mögt ihr vielleicht ausführen, wie sich das konkret auf den neuen Sound auswirkt? Paul: Irgendwann haben wir gesehen, die einzigen Beschränkungen, die wir hatten, waren die bei uns selbst. Und egal was wir machen, es wird am Ende nach SILVERSTEIN klingen, das ist mit keiner anderen Band vergleichbar. In dem Moment, wenn Shane es singt, klingt es nach SILVERSTEIN. Die Menschen klicken doch sowieso einen Song bei Spotify an und überlegen nicht, ist das jetzt ein Punk-Song, wenn sie ihn ihren Freunden schicken. Die Leute interessieren sich für so was immer weniger. Was super ist, denn uns interessiert es auch nicht.

Wenn man deinen Instagram-Account anguckt, Billy, fällt auf, dass du eigentlich ausschließlich analog fotografierst. Du hast kürzlich sogar ein Fotobuch veröffentlicht. Was war zuerst da, die Idee zu dem Buch oder ein Haufen von Fotos? Billy: Ich fotografiere schon immer analog. Das hat schon in der Highschool angefangen. Zwischendurch hab ich auch mal digitale Fotografie ausprobiert, kam aber wieder zurück zum Analogen. Das war vor sechs oder sieben Jahren, als wir in Japan auf Tour waren. Ich hatte schon immer diese Idee, die Dächer von Gebäuden zu fotografieren, und mich besonders im letzten Jahr selbst mehr gepusht, um vorwärts zu kommen. Mein Vater ist etwa ein Jahr zuvor gestorben und eines unserer letzten Gespräche drehte sich darum, was für eine große Chance es ist, die Welt so intensiv zu bereisen und zu fotografieren, wie ich das tue. Er hat selber immer sehr viel fotografiert, was mich beeinflusst hat. Das gab mir noch mal den Anstoß, etwas zu tun, das mich mit ihm verbindet. Ich habe mir dann vorgenommen, die Kamera immer bei mir zu tragen. Am Ende hatte ich etwa 400 Fotos von Hausdächern. Eine Menge. Ist Analogfotografie nicht ein schwieriges Hobby für jemanden, der dauernd auf Tour ist? Die Filme müssen ja auch immer entwickelt werden. Billy: Auf jeden Fall! Wir waren letztes Jahr mit AUGUST BURNS RED in den USA unterwegs. Ich habe da ungefähr fünfzig Filme verschossen. Ich wollte aber nicht so lange warten, also habe ich pro Woche fünf bis zehn Filme an mein Fotolabor in Toronto geschickt. Sie haben mir dann die Scans gemailt, dadurch musste ich nicht so geduldig sein. Das Lustige daran war, dass ich die Bilder dann bei Instagram gepostet habe, zum Beispiel die aus Denver, woraufhin ich Nachrichten bekommen habe, wie cool es sei, dass ich in Denver bin. Und Leute, die sich mit mir treffen wollten, obwohl die Fotos zwei Wochen alt waren. Das nimmt ein wenig das „Insta“ von Instagram weg. Haha! Joscha Häring

Dieses Interview ist bereits vorab und in voller Länge bei steady. com/de/fuzemagazine erschienen. Supporter bekommen dort regelmäßig Interviews vorab und in voller Länge, sowie das Heft im Abo, einen exklusiven Podcast (Folge 20 dreht sich ebenfalls um SILVERSTEIN) und es gibt exklusive Verlosungen. Mehr Infos findet ihr auf unserer Steady-Seite!

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RAMMSTEIN-Schublade auf. Da muss man also ein wenig aufpassen. Aber generell finde ich Gesang in der Landessprache immer interessant, auch wenn ich kaum etwas oder gar nichts verstehe. Die Aufteilung zwischen deutschen und englischen Texten ist fast 50/50. Was funktioniert deiner Meinung nach besser auf Englisch und was besser auf Deutsch? Ich mache da keinen Unterschied. Der Text sollte zum Rest des Songs passen. Meistens passiert es dann automatisch, dass sich ein Text eher im Deutschen oder im Englischen entwickelt. Das hängt zum einen mit der Vorbereitung zusammen, also wenn ich zum Beispiel deutsche Texte oder Bücher lese, wird sich ein Text auch eher auf Deutsch entwickeln. Zum anderen ist es auch wichtig, wie sich Phrasierung und Klang der Wörter in den Sprachen anhören.

DEPRAVATION DENGLISH. Irgendwie scheint es als deutsche Band Normalität zu sein, sich entweder auf Englisch oder Deutsch auszudrücken. Getreu dem Meme „Why not both?“ verbindet die Black-Death-Band aus Gießen beides. Wie sprechen mit Sänger Jonas über den Sprachmix auf dem neuen Album „III: Odor Mortis“.

I

ch bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ihr habt jetzt das erste Mal auch Songs auf Deutsch auf eurem Album. Was war der Auslöser dafür? Das ist nicht ganz richtig. Wir haben schon auf unserer Split-Seven-Inch mit ANCST zwei Songs mit deutschen Texten veröffentlicht. Ob es einen wirklichen Auslöser gab, weiß ich gar nicht. Aber ich habe bei einem LiveFeature einen deutschen Textpart von unseren Proberaumnachbarn VON DRAKUS gesungen. Und der kam

so richtig schön dreckig und asozial. Also habe ich es dann auch mal probiert. Dem Deutschen wird ja schon mal nachgesagt, dass es einen harten Klang hat. Ist das für Metal nicht sowieso viel mehr geeignet? Das stimmt wohl. Ich denke aber auch, wenn man es zu arg auf diesen harten Klang und die entsprechende Betonung anlegt, geht bei vielen Leuten schnell die

Die deutsche Szene hat meines Erachtens einen Aufschwung erlebt, nicht zuletzt auch wegen Bands wie DER WEG EINER FREIHEIT, deren Nikita ja auch euer Album produziert hat. Ist das eine Entwicklung, die du auch beobachtest? Wie steht es um deutschen „Underground“-Metal? Ich denke, da hast du recht. Das sieht man ja, wenn man sich mal anschaut, wie sich Bands wie DER WEG EINER FREIHEIT, DOWNFALL OF GAIA, IMPLORE, DEATHRITE oder MANTAR aus der DIY-Szene heraus entwickelt haben. Und da gibt es ja noch viele weitere Bands, die ultra guten Kram abliefern und auch live ein Brett sind. Es ist heute, dank Streaming und Social Media, für kleinere Bands einfacher geworden, gehört und gesehen zu werden. Allerdings gibt es natürlich auch die Möglichkeit, als kleinere Band in der Masse an Output unterzugehen. Dennis Müller

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mour“ passen, textlich gesehen. Für uns sind die vielen krassen Gegensätze auf der Welt ein großes Thema, da gibt es Krieg und Elend, Menschen, die wirklich leiden. Und auf der anderen Seite Menschen, die das gar nicht interessiert, die ihr geiles Leben leben und sich nicht um andere kümmern. Ich habe letztes Jahr auch eine schwere Zeit durchgemacht, in meiner Familie gab es jemanden, der schwer an Krebs erkrankt ist und kämpfen musste, um zu überleben. Und dann hat jemand aus meinem Umfeld sich entschieden, aufzugeben und sich das Leben genommen. Da hast du jemanden, der alles dafür gibt, am Leben zu bleiben und andererseits jemanden, der einfach aufgibt. Diese Themen dominieren daher auch das Album.

TENSIDE

Foto: Gregor Witsch

TRIGGERWARNUNG. TENSIDE aus München gibt es schon eine ganze Weile und nun veröffentlicht das Quartett mit „Glamour & Gloom“ ihr siebtes Album. Wir sprechen mit Sänger Daniel über ihre musikalischen und textlichen Einflüsse. Achtung: Im Folgenden geht es auch um Suizid. Solltest du da gefährdet sein, bitte wende dich an Hilfestellen wie die Telefonseelsorge, die unter 0800-111 0 111 zu erreichen ist.

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as mir auf eurem Album aufgefallen ist: Gerade was die Gitarrenarbeit angeht, höre ich da wenig modernen Metal und viel klassischen Einfluss. Seid ihr mehr von alten Sachen geprägt? Michi, unser Gitarrist, ist ja auch ein Hauptsongwriter, der ist jetzt nicht auf dem modernen Metalcore hängengeblieben. Wir sind alle um die dreißig, da sind einfach eher Bands wie IN FLAMES oder KILLSWITCH ENGAGE wichtig. Wir wollen die Band aber auch nicht so ausrichten, dass es wie jedes beliebige MetalcoreAlbum klingt. Wir wollen keine Kopie der Kopie sein. Es

ist ja schlimm, du hörst dir eine Metalcore-Playlist bei Spotify an und jeder Song klingt gleich. So was kann dann auch nicht langlebig sein. Da kommt immer wieder etwas Neues, Härteres, Schnelleres. Das wollen wir mit unserer Band nicht mitmachen. Ich finde es auch nicht alles scheiße, ganz und gar nicht, aber für uns ist es wichtig, unseren eigenen Sound zu finden. Inwiefern spiegeln sich die Gegensätze „Glamour & Gloom“ auch in deinen Texten wider? Es gibt Songs auf dem Album, die eher düster, also „gloomy“ sind, und Songs die eher zum Stichwort „Gla-

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Wie ist das für dich, wenn ihr den Song spielt, blendest du den Inhalt dann aus oder durchlebst du es jedesmal neu? Wir haben den Song jetzt noch nicht live gespielt, aber natürlich habe ich das durch den Song auch verarbeitet. Ich denke schon, dass das auch immer wieder hochkommen wird, und diese Gefühle sind auch wichtig, um den Text zu transportieren. Für den Song ist natürlich besser, wenn du mit deinen Emotionen dabei bist. Dennis Müller

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In „All black everything“ geht es um diesen Suizid. Wie ist es, einen Song über so ein Thema zu schreiben? Du hast dich ja dadurch sehr intensiv damit beschäftigt. Das macht einen natürlich unfassbar traurig zu erfahren, wie schlecht es jemandem gehen kann, ohne dass man es ihm von außen ansieht. Dann im Nachhinein zu erfahren, wo man hätte helfen können. Es hinterlässt einen auch stärker, um sich selbst aus düsteren Situationen rausziehen zu können.

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BURY TOMORROW

Foto: Karo Schäfer (cateyephotography.com)

UNTER KANNIBALEN. BURY TOMORROW haben mit „Cannibal“ ihr sechstes Studioalbum in den Startlöchern. Sehr persönlich, düster und eindringlich, so wirkt das neueste Werk der britischen Band. Wir wollen mit Dani und Davyd, den beiden Stimmen der Band, ein wenig die Entstehungsgeschichte von „Cannibal“ beleuchten.

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annibal“ ist ein sehr starker und beängstigender Begriff. Wieso habt ihr diesen Namen gewählt? Dani: „Cannibal“ war der erste Song, den ich für das neue Album geschrieben habe. In dem Text geht es darum, dass die Welt manchmal droht uns aufzufressen, dass vieles an unserer Psyche nagt. Als es fertig war, fiel mir auf, dass „Cannibal“ genau das vereint, was alle Songs miteinander verbindet. Vieles auf dem Album handelt von meinen eigenen Problemen, dass es immer wieder ein neuer Kampf ist, sich davon nicht auffressen zu lassen und all dem mit einer positiven Einstellung entgegenzutreten. Also könnte man „Cannibal“ als ein sehr persönliches Konzeptalbum beschreiben, das sich vor allem mit deiner Gefühlswelt und deinen psychischen Leiden beschäftigt? Dani: Unsere Herangehensweise an ein neues Album ist eigentlich immer die gleiche. Zuerst stehen die Gitarrenparts. In diesem Fall hatte ich allerdings sehr früh das Gefühl, dass die Songs eine persönlichere Note aufweisen und perfekt dazu geeignet sein könnten, meine eigenen Erlebnisse zu erzählen – auch um damit Leuten, denen es ähnlich geht wie mir, zu helfen. Die Atmosphäre des Ganzen lud nahezu dazu ein, explizit die dunklen Momente meines Lebens anzusprechen. Diesmal wollte ich mich nicht hinter Metaphern verstecken. Die Lyrics sollten möglichst persönlich und unmittelbar sein, ungefähr so wie Tagebucheinträge. Fiel es dir leichter, alles so direkt formulieren zu können und dich damit besonders zu öffnen? Dani: Ja, definitiv. Sobald du dich dazu entschieden hast, so viel von dir preiszugeben, ist es viel einfacher auszudrücken, was in dir vorgeht. Metaphern sind immerhin manchmal auch nicht ganz einfach. Man will nicht zu viel offenbaren und die Leute eher in die richtige Richtung schubsen und ihnen Spielraum für Interpretationen lassen. Metaphern können immer falsch gedeutet werden und vielleicht ist der Kern dessen, was dir persönlich wichtig ist, gar nicht bei den Hörer angekommen. Auch wenn es manchmal schwer ist, so unverstellt über die eige-

nen Probleme zu sprechen, war es für mich doch eine Erleichterung und ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Viel zu lange habe ich mich für meine Probleme geschämt.

ICH HATTE EMOTIONAL NOCH NIE SO SEHR MIT EINEM SONG ZU KÄMPFEN.

Gab es nach „Black Flame“ eigentlich höhere Erwartungen im Hinblick auf „Cannibal“? Das letzte Album war ja sehr erfolgreich und hat euch nochmals auf eine andere Stufe gehoben. Davyd: Natürlich setzen wir selbst uns immer unter Druck, um über uns hinauszuwachsen. Jedoch hat vor „Black Flame“ niemand von uns damit gerechnet, dass ausgerechnet unser fünftes Album das erfolgreichste unserer Bandgeschichte werden würde. Beim Schreibprozess von „Cannibal“ haben wir uns allerdings keinen Stress gemacht und wie immer einfach drauflos geschrieben. Natürlich hoffen wir jetzt, da das Album fertig ist, dass die Leute es mögen oder idealerweise sogar noch besser finden als „Black Flame“. Wenn wir nicht bei jedem Album immer absolut überzeugt wären, dass wir noch ein Stück weit besser werden können, dann hätten wir ja bereits unseren Höhepunkt erreicht und könnten uns genauso gut auflösen. So einfach ist das manchmal. Habt ihr bei der Produktion von „Cannibal“ bewusst Dinge anders gemacht als zuvor? Davyd: Ja, tatsächlich haben wir diesmal mit einem viel kleineren Team an Leuten gearbeitet und einen Großteil der Vorproduktion einfach selbst in die Hand genommen. So hatten wir im Studio bereits Songs, die viel weiter entwickelt waren als bei unseren vorherigen Alben. Im Normalfall kommt Daws mit einer Idee um die Ecke, dabei kann es sich um ein paar Ideen für Riffs oder einen kompletten Song handeln, und von da an arbeiten wir gemeinsam

aus, was aus dem Track werden soll. Diesen Prozess haben wir bei „Cannibal“ sehr früh abgeschlossen, so dass sich an den Songs nach der Vorproduktion bis zum Ende der Aufnahmen nicht mehr wirklich viel geändert hat. Was hat euch dazu gebracht, die Titel „The grey“ und „Cannibal“ als erste Singles zu veröffentlichen? Dani: Die beiden Songs stachen bei den Aufnahmen schon sehr früh heraus. Sie repräsentieren das Album sehr gut. Speziell bei „The grey“ war klar, dass wir diesen unseren Fans als Erstes vorstellen wollten. Ich hatte bis dato nämlich emotional noch nie so sehr mit einem Song zu kämpfen und wir wollten die Hörer auch einfach ein bisschen darauf vorbereiten, in welche Richtung das neue Album gehen würde – mit all seiner Direktheit, aber auch der ganzen Düsternis. Hauptmotiv auf „Cannibal“ ist psychischer oder seelischer Schmerz sowie der mögliche Umgang damit. Ihr bringt euch zu diesem Thema auch abseits der Musik mit all euren Erfahrungen aktiv ein, beispielsweise veranstaltet ihr so genannte „Safe Space Sessions“. Was muss ich mir darunter vorstellen? Dani: Bisher habe ich sieben dieser Sessions in England veranstaltet und plane gerade diese Veranstaltungen nach Deutschland zu bringen. Grundsätzlich kann man sich das in etwa wie eine offene Gesprächsrunde vorstellen, in der Leute von ihren psychischen Problemen und entsprechenden Diagnosen oder Erfahrungen erzählen können. Man kann sich austauschen und mit anderen in Kontakt kommen. Der Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, dir zuhören und erzählen, wie sie selbst spezifische Situationen bewältigt haben, fühlt sich extrem befreiend an. Es geht auch darum, die Betroffenen an Organisationen zu vermitteln, die ihnen in akuten Situationen Hilfestellung geben können oder eben einfach nur zuhören. Der Ansatz ist, dass es dir leichter fällt, Hilfe zu suchen, wenn du einmal gelernt hast, über deine Probleme zu sprechen. Carsten Jung 33

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Foto: Appoline Cornuet

WOLFPACK

STADT OHNE LIEBE. Ein Rudel Wölfe aus Paris. Wie passend. Welche Einflüsse, musikalisch und gesellschaftlich, sich auf „A.D.“, der neuen EP der Franzosen, die Hand geben, klären wir mit Sänger Hadrian

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ie EP beginnt mit dem Song „Lurk“, einem wahren Stilfeuerwerk. Es geht superheavy los, hat kleine, chaotische Parts mit fast jazzigem Vibe. Hier und da war ich an eine Mischung aus THE DILLINGER ESCAPE PLAN und CODE ORANGE erinnert, garniert mit einem Sprenkler Beatdown. Was zur Hölle ist da los? Es freut mich, dass du genau diese Bands erwähnst, sie sind ein großer Einfluss für uns. Wir haben damals viel THE DILLINGER ESCAPE PLAN gehört, und für mich gehören auch CODE ORANGE zu ihrem Erbe. Wir wollten einfach nur Spaß haben, ohne Druck, und die Dinge, die wir lieben, mit einfließen lassen. Mit dieser neuen Generation von Hardcore- und Metalcore-Bands aus den USA, die jetzt wieder Mathcore und NuMetal zurückbringen, können wir jetzt diese Einflüsse auch in unseren Songs spüren und das ist wirklich unglaublich für uns. „Lurk“ passierte einfach eines Nachts, als alle bei mir zu Hause waren, und wir wussten nicht, wie wir diesen Song schreiben sollten. Also hörte sich jeder ein paar Bands an, die wir mochten, und eine davon waren WAR FROM A HARLOTS MOUTH. Das hat uns bewiesen: Ein Song kann chaotisch sein und trotzdem funktionieren. Ich bin also zu den anderen gegangen und habe gesagt: Lass uns einen Brain-Fuck Song daraus machen. Ihr kommt ja aus Paris, der Stadt der Liebe. In letzter Zeit hört man aber nur von Protesten und brennenden Kathedralen. Haben diese Ereignisse die EP beeinflusst? Paris, die Stadt der Liebe. Wenn du reich bist. Sonst ist sie wie jede andere große Stadt. Ich glaube nicht, dass uns das beeinflusst hat. Man sieht hier Menschen hungern oder an Unterkühlung sterbende Obdachlose. Dies sind die wahren, traurigen Einflüsse, die wir von dieser Stadt bekommen. Eine brennende Kathedrale kümmert mich nicht, und wenn man sich darum mehr schert als die um die Menschen in den Straßen, dann sollte man mal einen Blick in den Spiegel werfen. Was die Aufstände angeht, das ist nichts Neues für uns, aber die Polizei ist viel aggressiver, und das ist eine Schande. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, die Polizei und die Menschheit widern mich an. Vielleicht ist der Druck, den man auf dieser EP spürt. Wir spielen schneller und technischer als sonst. Mechanischer, weniger Menschlich, so wie die Welt gerade. Der Song „Prisoner“ hat mich dann mit seinem melodischem Ende noch mal überrascht. Können wir das in Zukunft öfter von euch erwarten? Vielleicht. Ehrlich gesagt, planen wir nicht wirklich, was wir tun, wenn wir Musik produzieren. Wenn wir es mögen und es interessant ist, dann machen wir es. Ich mag es, wenn ein Album viele Facetten hat. Es wird immer Leute geben, die unsere Musik mögen, und Leute, die sie hassen. Ergo machen wir, was wir wollen. Ich wollte mal cleane Vocals ausprobieren, also habe ich es gemacht. Unser Gitarrist wollte einen Refrain singen, also hat er es gemacht. Dennis Müller

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MASS HYSTERIA

Foto: Eric Canto

FRENCH TOUCH. Die wahrscheinlich bekannteste französischsprachige Metalband, von der man hier noch nie gehört hat, sind MASS HYSTERIA. Seit 25 Jahren eine Band, zahllose Alben und Touren auf dem Buckel, versuchen die Franzosen nun mit einem Best-Of-Album auch im Rest von Europa Fuß zu fassen. Wir sprechen mit Gitarrist Yann und Sänger Mous vor allem über eines: Sprachbarrieren.

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ch muss zugeben, dass ich nie wirklich etwas über eure Band gehört hatte und überrascht war, wie lange es euch schon gibt und wie groß ihr in Frankreich seid. Ist das eine Reaktion, die ihr oft aus Deutschland oder anderen Ländern Europas bekommt? Yann: Ja, oft. Wenn wir mit ausländischen Bands oder in einem fremden Land spielen, sind die Leute wirklich überrascht von uns und unserer Karriere. Bei größeren Festivals, wie dem Hellfest in Clisson, kommen immer ein paar Ausländer zu uns und fragen: „Wer seid ihr denn?“ Mous: Das ist eine ganz normale Sache, weil wir nicht international vertrieben werden. Abgesehen von ein paar Fans, die online von uns erfahren haben, sind die meisten Leute, die uns entdecken, überrascht von unserer Bekanntheit in Frankreich, da wir hier einer der größten Metal-Acts sind, wenn nicht sogar der größte, der in französischer Sprache singt. Wir haben durchschnittlich 120 Shows pro Albumveröffentlichung, spielen an 800 Veranstaltungsorten in ganz Frankreich und erst kürzlich im Zenith in Paris. Wir hoffen, dass sich dies dank des Berliner Labels Out Of Line Music, das uns jetzt international vertreibt, ändern wird. Wir hoffen also, dass sich dies von hier aus weiterentwickeln wird. Mir ist gerade klar geworden, wie wenig ich über die französische Metal-Szene weiß. Würdet ihr sagen, dass sie mit Deutschland vergleichbar ist, mit einer riesigen Thrash-Szene in den Achtzigern, und dass sie sich von dort aus entwickelt hat? Mous: Es ist schwer, Frankreich und Deutschland zu vergleichen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es nach dem Krieg so viele amerikanische Militärstandorte dort gab. Aber in Deutschland konsumiert man im Allgemeinen viel mehr Musik, und es war ein riesiger Markt für Metal. Deutschland war das Land, das die meisten Metal-Platten in Europa, wenn nicht sogar in

der ganzen Welt, gekauft hat. Franzosen mögen auch Metal, aber viel weniger. Deutschland konsumierte auch viel Musik aus dem Vereinigten Königreich oder den USA und wurde so zu einem riesigen Markt. Und daraus entstand die große Achtziger-Jahre-Metal-Szene in Deutschland. Aber wir haben jetzt ein paar Bands, die ihre Musik in die ganze Welt exportieren. Seltsamerweise sind diese Bands international viel erfolgreicher als im Inland. In Frankreich werden sie nicht wirklich für ihre Arbeit anerkannt. Das sieht man an Bands wie GOJIRA, IGORRR oder PERTUBATOR. Sie touren ausgiebig durch die ganze Welt, aber nicht so viel in Frankreich. Wir sehen eine Art „French Touch“ im Metal, wie es in der Techno-Musik mit DAFT PUNK und JUSTICE der Fall war. Ich hoffe, dass es so weiter geht und dass die französische Szene immer mehr Anerkennung findet. Hat es in der Musikindustrie jemals Leute gegeben, die euch dazu drängen wollten, auf Englisch zu singen? Yann: Ja, natürlich! Vor etwa zwanzig Jahren hatten wir die Gelegenheit, die gesamte Frankreichtour von KORN mitzuspielen, und es gab eine Diskussion mit Sony International, ein Album zu veröffentlichen, aber sie wollten es auf Englisch. Und das war nicht das, was wir wollten, wir wollten unserem Sound und unserer Identität treu bleiben. Es gibt bereits so viele Bands, die das tun! Und sie sind um einiges besser als wir. Mous: Früher waren wir bei Sony unter Vertrag, die drei ersten Alben waren bei ihnen, Ende der Neunziger Jahre bis Anfang der Nuller Jahre. Sie hatten uns vorgeschlagen, ein englisches Album zu versuchen. Wir lehnten ab, weil andere französische Bands es probiert hatten und es einfach nicht funktionierte. Es wurde nichts daraus. Ich glaube, beim Übersetzen verliert man immer etwas von der Kraft, der Subtilität in der Poesie. Also haben wir es nie getan und werden es auch nie tun. RAMMSTEIN

haben einmal eine ihrer Singles auf Englisch aufgenommen, und am Ende spielten alle Radios immer nur die Originalversion. Und sieh dir an, wo sie heute sind. Ich glaube also nicht, dass es notwendig ist, und man sollte authentisch sein. Wir werden also weiterhin auf Französisch singen, denn das ist unsere Stärke. Wir haben hier und da ein paar Lieder auf Englisch. Aber sie bleiben Ausnahmen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Deutschland und Frankreich auf verschiedenen Seiten desselben Witzes stehen: Die deutsche Sprache gilt als sehr hart und rauh, obwohl es auch Dichter wie Goethe, Schiller oder Heine gab, während die französische Sprache bekanntermaßen als sehr romantisch empfunden wird, aber ich glaube, ich habe noch nie eine härtere Aussprache gehört als im französischen HipHop. Glaubt ihr, dass Deutschland hier einen unfairen Vorteil hat, wenn es um harte Musik geht? Yann: Ich finde, dass die Musik von RAMMSTEIN ideal für die deutsche Sprache ist, sie passen perfekt zusammen. Die deutschen Bands, die auf Englisch singen, wie SCORPIONS, KREATOR, SODOM lassen sich viel besser exportieren. Ich habe das Gefühl, dass es vielleicht keine Sprachsache ist. Es geht mehr um die Absicht und das, was du mit deinen Texten machst. Aber um sich selbst in der Welt draußen zu etablieren, ist Englisch der Weg, den man gehen muss. Es gibt jedoch Dinge, die man nie auf Englisch singen könnte, das ganze Genre des Chanson Française. Edith Piaf, Jacques Brel, diese Lieder könnte man nie auf Englisch singen, sie müssen auf Französisch sein. Und wir empfinden das Gleiche für uns. Würden unsere Lieder auf Englisch genauso klingen? Es gibt Ausdrücke, Stile, die unsere Fans lieben und durch die sie sich in diesen Texten wiedererkennen. Dennis Müller 35

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Polaris

Foto: Vincent Grundke (vollvincent.com)

MAN MUSS BRENNEN. Nichts kann schöner sein als seine eigene Musik auf die Bühnen dieser Welt zu bringen. Da stimmt

auch POLARIS-Bassist Jake Steinhauser aus Sydney, Australien voll und ganz zu. Nur wer selbst brennt, kann Feuer zum Überspringen bringen.

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uer neues Album „The Death Of Me“ kommt bald heraus. Auf dem Frontcover sehen wir eine brennende Person vor uns laufen. Kannst du uns etwas mehr über den Albumtitel und das Artwork verraten? Ich denke, so wie es bei den meisten unserer Alben der Fall ist, bezieht sich „The death of me“ sehr stark auf die Erlebnisse und Erfahrungen, die wir als Band in den vergangenen Jahren miteinander gemacht haben. Seit wir es uns erlauben können, in Vollzeit zu touren, haben wir wirklich einige wundervolle Dinge erlebt, aber auch einige sehr herausfordernde Zeiten miteinander gehabt. Keiner von uns war wirklich darauf vorbereitet, wie stressig all das werden würde. Und zwischen Songwriting und Touren mussten wir ja auch noch unsere Privatleben irgendwie mit dem in Einklang kriegen, was um uns herum geschehen ist. Ganz grob gesagt ist das Album also das Spiegelbild dessen, was die Band in jüngster Zeit durchgemacht hat und was uns dazu geführt hat, dieses Album zu schreiben.

seine Kunst ausblutet, um eine Parallele zwischen uns als Künstler und der Handlung des Songs zu ziehen. Ich denke, wir haben schon sehr viel Glück, dass sich viele Leute mit den Botschaften in unseren Texten auseinandersetzen und sich darin wiederfinden. Zumindest schrei­ben sie uns das sehr oft als Kommentar zu unseren Musikvideos.

Im November habt ihr die erste Single „Masochist“ vorveröffentlicht. Wir sehen darin einen Maler, der selbst sein eigenes Blut dafür gibt, ein Bild zu erschaffen. Empfindet ihr es manchmal auch so, dass es masochistisch ist, ein Künstler zu sein? Man gibt schließlich mitunter alles für seine Kunst, aber man weiß nie, ob die Menschen diese Gefühle jemals teilen werden. Der Song „Masochist“ an sich handelt davon, eine gewisse Verzweiflung über den eigenen psychischen Gesundheitszustand zu spüren, und wirft die Frage auf, ob wir nicht manchmal selbst dafür verantwortlich sind, die Dinge zu verstärken, die uns negativ mitspielen, weil wir dadurch nicht aus einer Gewohnheit und Vertrautheit ausbrechen müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob das auch darauf zutrifft, ein Künstler zu sein, aber das Musikvideo lenkt schon den Fokus darauf, dass man für

Dann habt ihr auch noch „Hypermania“ vorveröffentlicht. Unter dem Video schreibt ein User: „Metalcore is dead – POLARIS: Hold my koala, mate.“ Freut ihr euch über solche Kommentare? Das ist ein wirklich schöner Kommentar, und ich schätze es sehr, dass unsere Fans auch oft humorvolle Bemerkungen unter unseren Videos posten. Ich weiß allerdings nicht wirklich, wer gesagt hat, dass Metalcore tot sei. Das Genre ist eigentlich so beliebt wie immer, oder?

Ist es auch diese Metapher des Brennens, die in eurem Artwork wiederkehrt? In besagtem Musikvideo zerstört der Künstler ja am Ende sein Werk. Das ist die Metapher dafür, dass wir oft selbst für unsere eigene Unzufriedenheit und destruktives Verhalten verantwortlich sind. Auf dem Artwork sehen wir, dass der brennende Mann eine Reflexion von sich gibt, die offenbart, dass die Flammen ausschließlich in seinem Kopf sind. Wir finden es zwar schön, dass Feuer sowohl im Artwork als auch im Musikvideo vorkommt, aber es symbolisiert an beiden Stellen unterschiedliche Dinge.

Tot würde ich vielleicht auch nicht sagen, aber zumindest in einem etwas tieferen Tal verborgen. Glaubst du, die „angry music for happy people“ kommt nach der Welle der soften Melodien mit Klargesang bald zurück? Es gibt ja immer noch viele Bands, die harte Musik machen, und das wird sich ja auch nicht ändern, nur

weil einige von ihnen nun mehr mit melodischen Vocals hantieren. An sich ist es ja auch schön zu sehen, dass Bands auch außerhalb des Genres mehr mit Styles und Sounds experimentieren. Das sind wahrscheinlich die Bands, die den Weg ebnen für eine Zukunft und die Entwicklung harter Musik. Eure Texte sind oft sehr schwermütig. Glaubst du, dass du Menschen, die sich damit identifizieren können, ein Stück weit helfen kannst? Ich hoffe, dass wir das können. Wir unterhalten uns oft nach den Shows mit unseren Fans, und das häufigste Thema ist immer wieder, dass sie sich in den Themen in unseren Texten und unserer Musik wiederfinden können. Wir schreiben gern über persönliche Dinge, die das menschliche Leben betreffen, und ich denke, in vielerlei Hinsicht ist es eine Art Katharsis für unseren Textschreiber Daniel, der die Themen oft in seinem eigenen Leben oder dem Leben seiner Bandmates sucht. Ich mag den Gedanken, dass diese ehrliche Art der Selbstreflexion anderen Menschen helfen kann, die eine ähnliche Situation erlebt haben oder gerade erleben. Ist eure Musik auch eure eigene Therapie? Ja und nein. Musik zu performen ist die beste Art der Therapie, und das kann ich jedem nur empfehlen. Musik zu schreiben kann allerdings ein verdammt stressiger Prozess sein, vor allem wenn man an den großen Erfolg einer Vorgängerplatte anknüpfen muss und möchte. Dieser Druck, Musik schreiben zu müssen und auf neue Ideen kommen zu müssen, kann zu einer Schreibblockade führen, was sehr frustrierend ist, wenn man Stunden damit verbringt, an neuen Songs zu arbeiten, ohne dass etwas dabei herumkommt. Aber am Ende ist das Spielen der eigenen Musik all das wert. Es ist die größte Belohnung, die man nur erhalten kann. Jenny Josefine Schulz

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ABORTED

EP! DER TOD! HUZZAH! Anlässlich ihres 25-jährigen Band-Jubiläums legen die Extrem-Metaller ABORTED mit „La Grande Mascarade“ drei neue Stücke auf. Zwischen Death Metal und Grindcore geht es gewohnt rabiat und bedrohlich zu. Nicht anders will man das 1995 gegründete Quintett hören.

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ch glaube nicht, dass es einfacher ist“, erwidert Frontmann Sven „Svencho“ de Caluwe auf die Frage, ob beziehungsweise inwieweit sich das Songwriting zwischen Album und EP unterscheidet. „Man hat ja nur diese paar Lieder, um zu zeigen, dass man es draufhat. Also müssen die Stücke killermäßig sein. Es darf kein Füllmaterial geben. Vor allem wenn man versucht, eine Botschaft zu vermitteln. Was die Ziele betrifft, wollten wir einfach eine Veröffentlichung vor dem nächsten Album haben. 2020 ist unser 25. Jahr als Band, also wollten wir den Fans zu diesem Anlass etwas bieten. Was gibt es Besseres als neue Musik? Seit der Veröffentlichung von ‚TerrorVision‘ sind schon zwei Jahre vergangen. Wir arbeiten bereits am nächsten Album, aber da das noch eine Weile entfernt ist, bitte sehr! EP! Der Tod! Huzzah!“ Der Titel „La Grande Mascarade“ scheint für einen ABORTED-Release wie geschaffen, ist aber nicht nur eindimensional auszulegen: „Dies ist für mich eine sehr persönliche Veröffentlichung und dient einem kathartischen Zweck“, so Svencho. „Ich habe eine Menge Dinge auf meine eigene Art und Weise zutage gefördert. Der Titel spricht aber auch für vieles, was richtig läuft, so dass alles ein großer Zufall oder Masterplan sein könnte. Wer weiß, vielleicht bin ich ja so schlau? Die traurige Tatsache ist, dass viele Dinge gegenwärtig eine riesige Farce sind und wir alle darin schwelgen.“ Musikalisch geht es einmal mehr brutal und heftig zu: „Ich glaube, den Leuten gehen die Superlative oder Adjektive aus, um die Dinge zu beschreiben“, mutmaßt der Shouter darauf angesprochen, wie unterschiedlich ABORTED in den Weiten des Internet beschrieben werden. „Deshalb haben wir uns für ‚in über 900 Ländern verboten‘ oder ‚tödlicher als das Corona-Virus‘ entschieden, aber, oh Scheiße, zu früh. Ich glaube, wir setzen einfach auf sehr extreme Musik mit einem passenden visuellen Inhalt. Wir lieben Horrorfilme, aber ehrlich gesagt, wenn man uns trifft, sind wir ungefähr so gefährlich wie die Besatzung des ‚Love Boats‘.“ Seiner Linie bleibt der Belgier treu: „Meine Ansichten haben sich über die Jahre nicht verändert, auch wenn ich insgesamt ruhiger und seltener wütend bin. Ich schätze, ich werde älter. Das hängt auch damit zusammen, dass wir an einem guten Ort sind und es bandintern seit 2012 großartig läuft. Es macht einfach Spaß, zusammen zu arbeiten und abzuhängen. Wir genießen jede Tour und sind in jeder Hinsicht als Freunde füreinander da – bis hin zum Spielen von brutalem Death Metal.“ Gemeinsam erleben ABORTED demnächst eine Premiere, auf die sich Svencho besonders freut – eine Tour mit NAPALM DEATH: „Auf jeden Fall! Es ist das erste Mal, dass wir mit ihnen unterwegs sein können. Ich bin richtig aufgeregt, weil ich während all ihrer Perioden ein großer Fan war. Ich kann es kaum erwarten, sie jeden Abend spielen zu sehen, diesen fantastischen britischen Sarkasmus zu genießen und ein paar Brexit-Witze in ihre Richtung zu werfen.“ Arne Kupetz

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FOUR YEAR STRONG

Foto: Karo Schäfer (cateyephotography.com)

KEINE VERMISCHUNG VON KUNST UND POLITIK. FOUR YEAR STRONG aus Massachusetts tauchen mit dem neuem

Album „Brain Pain“ nach fünf Jahren aus der Versenkung auf. Dabei haben sie nichts an musikalischer Frische eingebüßt. Der zweistimmige Gesang und der Mix aus Pop-Punk-, Metal- und Hardcore-Einflüssen sind nach wie vor ihre unverkennbaren Markenzeichen. Kaum eine Band schafft es wie sie, dass sie schon an den Gitarrenriffs erkannt wird.

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n ihren Texten sind sie nach eigenen Aussagen persönlicher und emotionaler geworden, politisch wird es bewusst nicht. Eine Frage nach der Geschlechterdiversität auf Konzerten und der Verantwortung, die reine Männer-Bands eventuell haben, an einer Veränderung mitzuwirken, hat Interviewpartner Dan O’Connor kommentarlos ignoriert. Das erklärt sich vielleicht mit seiner Antwort auf die Frage nach der Vermischung von Kunst und Politik bei FOUR YEAR STRONG. Einen schalen Nachgeschmack hinterlässt es trotzdem. Die Musikindustrie. Die Musikindustrie hat sich seit euren Anfängen stark verändert. Ihr habt Erfahrung mit Majorlabels und veröffentlicht jetzt bei einem Indielabel. Wo seht ihr heute die Chancen und Herausforderungen für eine Band im Musikbusiness? Mittlerweile hat sich das sozusagen umgedreht verglichen damit, als wir angefangen haben. Es ist einfacher, viele Leute dazu zu bringen, einen zu hören. Aber es ist schwieriger, die Aufmerksamkeit dieser Leute zu halten als vor etwa 15 Jahren. Jede Ära der Industrie bringt ihre eigenen Hürden und Möglichkeiten mit sich, der Trick besteht darin, nicht zu versuchen, sie zu bekämpfen, um an dem „wie es früher war“ festzuhalten. Es ändert sich alles so schnell, ich denke, man sollte jede Veränderung als neuen Weg sehen, um Fans zu gewinnen. Euer Ratschlag für junge Bands, die gerade erst anfangen? Spielt so viele Shows für so viele Leute wie möglich. Der beste Weg, eurer Band ein langes Leben zu bescheren, ist, sich Zeit zu nehmen und die Fans auf altmodische Art und Weise zu erreichen. Meiner Erfahrung nach ist es einfacher, schnell groß zu werden und dann zu verschwinden, als langsam zu wachsen und lange zu bleiben. Das heißt nicht, dass es unmöglich ist, schnell aufzupoppen und eine unglaubliche Karriere hinzulegen. Ich denke nur, dass man durch ein langsames, stetiges Wachstum eine dauerhaftere persönliche Verbindung zu den Fans aufbauen kann.

FOUR YEAR STRONG sind eine der wenigen Bands, die in dem Genre gut gealtert sind. Wie habt ihr das geschafft und wo seht ihr euch in zwanzig Jahren? Nun, ich denke, wir sollten mehr oder weniger so weitermachen, wie wir es tun. Wir haben jetzt wirklich einen coolen Schritt als Band gemacht und sind mehr denn je auf das Ziel ausgerichtet. In den letzten Wochen hatte ich Ohrwürmer von Songs von ausnahmslos jeder eurer Platten. Wie haltet ihr das Qualitätslevel? Wir suchen immer nach neuen Wegen, um das zu tun, was FOUR YEAR STRONG ausmacht. Wir versuchen, darüber nachzudenken, was uns definiert und kreative Möglichkeiten zu finden, dies auf eine andere Art und Weise umzusetzen. Wir haben auch einen großen und sich ständig weiterentwickelnden Pool an Einflüssen. Wir lieben viele verschiedene Musikstile und -epochen, was uns meiner Meinung nach hilft, immer wieder neue Blickwinkel auf unsere Lieder zu finden. Das Album. Dein inspirierendster Moment 2019? Diese Platte zu machen, war für mich der inspirierendste Teil dieses Jahres und darüber hinaus. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass es in meinem Gehirn kreative Türen geöffnet hat, die entweder lange Zeit geschlossen oder nie offen waren. Eure Texte auf der neuen Platte sind persönlich und emotional. Denkt ihr, dass Bands eine Verantwortung haben, politisch zu sein, oder sollten Musik und Kunst von Politik getrennt sein? Seid ihr politische Menschen und wie beeinflusst eure politische Einstellung eure Musik und eure Texte? Wir versuchen, unsere persönlichen politischen Ansichten aus unserer Musik rauszuhalten. Wir haben die Band immer als Chance zur Flucht aus der Realität und als eine Gelegenheit, Spaß zu haben, betrachtet. Politische Bands haben einen großen Einfluss und ich respektiere sie sehr. Ich habe politische Überzeugungen,

die mir sehr wichtig sind, und bestimmte Dinge, die ich unterstütze, aber ich tue das als Privatperson und vermische sie nicht mit der Identität der Band. Ich möchte, dass unsere Shows ein Ort sind, an dem unabhängig davon, auf welche Seite des politischen Spektrums die Überzeugungen fallen, alle für eine Nacht zusammenkommen und einfach nur im Moment zusammen leben und eine tolle Zeit haben können. Lasst euren Frust raus und lasst alles draußen. Die Politik, über die wir uns streiten können, wird auch am Morgen noch da sein, aber zumindest ist da ein Ort, an dem sich alle für eine zeitlang auf etwas einigen können. Das Touren. Wie schafft ihr es, auf Tour gesund zu bleiben? Wir versuchen, jeden Tag etwas Gutes zu essen zu finden. Wir alle lieben Ramen, also wenn wir können, gehen wir alle tagsüber eine Schüssel essen. Alan und ich gehen auch oft ins Kino. Das ist meine Lieblingsmethode, um mein Gehirn abzuschalten und einfach mal für ein paar Stunden aus dem Tourtrott herauszukommen. Was ist das Merkwürdigste, das auf eurem Rider steht? Unser Rider besteht buchstäblich nur aus Wasser und Bier. Wir brauchen nichts anderes. Wir sind ziemlich unkompliziert. Manchmal schreiben wir Kaugummi drauf. Favorisierst du Hummus oder Guacamole? Ich würde Hummus sagen, denn es gibt so viele verschiedene Sorten. Man kann ihn auch mit so vielen verschiedenen Lebensmitteln essen, wie Chips, Brot, Gemüse, auf einem Sandwich. Guacamole ist eher etwas für Chips oder Burritos und ich mag auch keine rohen roten Zwiebeln, die da meistens drin sind. Ich mache mir zu Hause meine eigene, die ziemlich toll ist. Obwohl Alan meint, dass das keine richtige Guacamole sei, weil es zu stückig ist. Tilman Zick

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CIRITH UNGOL

Foto: Cliff Montgomery

EWIGE HELDEN. 29 Jahre haben die Kalifornier CIRITH UNGOL kein Album mehr veröffentlicht. Nun erscheint mit „Forever Black“

das Quasi-Comeback. Wir sprechen mit einem redseligen Robert Garven über das neue Werk und wie es ist, nach so vielen Jahren wieder zusammen im Proberaum zu stehen.

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ob, viele unserer Leser werden euch wahrscheinlich nicht kennen. Zum einen weil ihr ewig kein Album mehr veröffentlich habt, zum anderen weil ihr ein bisschen aus dem Raster des Magazins fallt. Dabei mag ich Punk auch. IGGY AND THE STOOGES zum Beispiel. Auch die DEAD BOYS habe ich in Los Angeles gesehen. Wir sind also mit diesem aggressiven Vibe aufgewachsen. Oxnard, die Stadt neben Ventura, aus der ich komme, hat eine gewisse Reputation in der Punk-Szene. ILL REPUTE kommen zum Beispiel von hier. Wir haben mit CIRITH UNGOL aber auch eine direkte Verbindung dazu. Eines unserer frühen Mitglieder, er war nicht bei CIRITH UNGOL, sondern in der Band davor, TITANIC, Pat Galligan hat bei den ANGRY SAMOANS gespielt. Ich habe gehört, er ist vor kurzem gestorben. Aber auch hier gibt es eben einen Kontakt in die Punkrock-Welt.

Dass verschiedene Leute an etwas gemeinsam arbeiten, macht es gleichzeitig schwierig, aber auch effektiver, weil man mehre Sichtweisen hat. Wir haben aber eine Formel, nach der wir Lieder schreiben. Die weicht jetzt nicht groß von dem ab, was andere Bands auch machen. Wir haben ein paar richtige coole Riffs beisammen, Tim schreibt ein paar Texte, ich verfasse ein paar. Dann suchen wir die richtigen Lyrics für den jeweiligen Song heraus, hören ihn uns an und versuchen ihn dann noch zu verbessern. Beim ersten Song „Legions arise“ habe ich zum Beispiel versucht, ein ähnliches Tempo wie bei „Blood and iron“ zu finden, der einer unserer schnelleren Tracks war. Der Text sollte aber eine Art zweiter Teil von „Join the legion“ von „Paradise Lost“ werden. Der Track soll eine Art Comeback-Song und Appell an unsere früheren Hörer sein.

War es von Anfang an geplant, dass ihr neue Musik aufnehmt, als ihr euch 2015 wieder zusammengetan habt? Ja, war es. Sobald wir wieder in unserem kleinen Proberaum zusammen waren, haben wir angefangen, neues Material zu schreiben. Auch wenn ich für eine lange Zeit keine Musik gemacht und mich lieber mit Amateurfotografie und dem Schrauben an Autos beschäftigt habe, Sachen, die ich auch für kreativ halte. Doch als ich wieder hinter dem Schlagzeug saß, wollte ich neue Musik schreiben. Den anderen in der Band ging es nicht anders. Wir wussten aber nicht, ob wir wieder ein Album veröffentlichen werden. Unser Ziel war es einfach, neue Musik zu schreiben, die uns gefällt. Wir hatten noch nie die Erwartung, dass unsere Musik jemand außerhalb unserer Band gefällt. Das war früher so und ist nun auch nach der Reunion so. Noch immer möchten wir die härteste Musik schreiben, die wir schreiben können – auch wenn andere darüber debattieren mögen, ob sie wirklich hart ist.

Ihr habt auch ein paar weitere Easter Eggs eingebaut, richtig? Genau, bei „The frost monstreme“ gibt es ein paar Referenzen an „Frost and fire“. Ich habe auch ein paar ähnliche Rhythmen verwendet, die auch schon auf unseren früheren Alben zu hören waren. Das habe ich mit Absicht getan. Einigen meiner Lieblingsschlagzeuger, Corky Laing von MOUNTAIN und Ray Phillips, der auf den ersten BUDGIE-Alben getrommelt hat, habe ich auch Tribut gezollt. Nicht dass ich deren Drumbeats gestohlen hätte, aber das sind nun mal meine Lieblinge und ich wollte ihnen etwas zurückgeben. Es gibt zum Beispiel eine Doublebass mit Cowbell in „Fractus promissum“. Einer meiner Favoriten von BUDGIE ist „Whiskey river“, darin ist das auch zu hören. Ich habe vor kurzem mit Ray gesprochen und er meinte, dass sei eine der ersten Singles in England gewesen, auf der man eine Doublebass hören konnte. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

War es schwierig, den Motor wieder zum Laufen zu bringen und neue Lieder zu schreiben, oder ist das wie Fahrradfahren?

Lass uns mal über Jarvis sprechen, der, bevor er 2015 zu eurer Band gestoßen ist, ein großer Fan von CIRITH UNGOL war. Konnte er sich beim Songwriting zurückhalten?

Wir haben alle zusammen an den Liedern gearbeitet. Außer bei „The frost monstreme“ und „The fire divine“, die kommen direkt von Greg. Nur er kann solche Lieder schreiben, schon auf „Frost And Fire“ waren fast alle Lieder von ihm. Er bringt einfach ein Tape mit einem kompletten Song mit. Man musste dann nur noch an Solos und kleinen Dingen arbeiten. Jarvis, der ja noch bei NIGHT DEMON ist, einer ähnlichen Band in einem anderen Metal-Stil, hat einige ziemlich gute Ideen mitgebracht. Sein Bass-Spiel ist darüber hinaus fantastisch. Das gesamte Album ist aber ein Erfolg von uns als Band. Jeder war am Ende mit den Liedern zufrieden. Was CIRITH UNGOL schon immer ausgemacht hat, sind die tollen Artworks. Auch dieses Mal habt ihr auf dem Cover Elric, einen Charakter des britischen Fantasy-Autors Michael Moorcock. Heute sind diese Artworks nicht mehr so wichtig wie früher. Warum habt ihr euch trotzdem entschieden, wieder solch ein gemaltes Cover von Michael Whelan zu nehmen? Wir sind da sehr altmodisch. Früher gab es Alben nur als Twelve-Inch-Platten, zwischendrin dann mal CDs. Mir hat die Tage jemand erzählt, dass die Plattenfirmen heute sogar damit aufhören, CDs zu produzieren, und nur noch Platten pressen. Vinyl hat ein richtiges Comeback hingelegt. Das spielt uns natürlich in die Karten, denn Michael Whelan ist ein toller Künstler. Es ist immer noch ein Traum, seine Bilder auf unseren Covern zu haben. Für mich ist er einer der größten Künstler aller Zeiten. Tim und ich waren auf einer seiner Ausstellungen in Pasadena. Wir haben uns Bilder angesehen und Tim kam irgendwann zu mir und hat mich gefragt, wie ein Mensch so malen könne. Die Farben springen einem förmlich entgegen. Auch das Cover von „Stormbringer“, das unser erstes Album ziert, stammt von ihm. Man kann aus der Nähe sogar die Haare auf Elrics Haut sehen. Das ist großartig. Manuel Stein 39

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das Album doch ein sehr wichtiger Schritt für mich ist. Das bedeutet: Ich habe anschließend also schon einige Monate darüber nachgedacht, was ich noch anders machen will. Aber das meiste vom Anfang ist unverändert geblieben. Das ist natürlich der große Vorteil bei so einem kleinen Projekt mit so einem klar definierten Sound und der Midi-Arbeitsweise. Du musst dich nicht lange mit Aufnahmen aufhalten, sondern kannst deine Ideen sofort verarbeiten.

MASTER BOOT RECORD ALLES ANDERS. Es klingt völlig irre: Ein Videospiele-Freak nimmt im stillen Kämmerlein binnen einer Woche ein komplettes Album auf, verwendet dafür nur Synthesizer und seinen PC, und seine Fans schauen ihm währenddessen auch noch live bei YouTube zu – dann ergattert der Typ schließlich auch noch einen Deal bei einem Major-Label. Gibt‘s nicht? Ist aber im Falle von Victor Love (u.a. DOPE STARS INC.) und seiner neuen Scheibe „Floppy Disk Overdrive“ genauso geschehen. Ist das nicht der Untergang des Heavy Metal? Der Mastermind und Tausendsassa meint: Nö.

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u verwendest Synthesizer und programmierte Drums. Das Album ist also rein synthetisch. Hast du nicht Angst, dass dich die Traditionalisten in der Luft zerreißen werden? Die Möglichkeit besteht natürlich. Aber bisher habe ich derlei Erfahrungen noch nicht gemacht. Ich denke sogar, dass es Leute gibt, die gar nicht merken, dass die Platte synthetisch ist. Außerdem weiß ich, dass es unter den Metalfans sehr viele Chiptune-Liebhaber gibt. Aber klar: Durch den Release bei Metal Blade werden deutlich mehr Menschen auf das Album aufmerksam werden. Gut möglich, dass es dann auch mehr negatives Feedback gibt. Aber ich glaube, in

Zeiten, in denen die Produktionen im Metal mehr oder weniger immer gleich klingen, sind die Leute bereit für etwas Neues. Es heißt, du arbeitest ungemein schnell. Wie lange hat es gedauert, „Floppy Disk Overdrive“ fertigzustellen? Da ich den Großteil der Sessions live gestreamt habe, kann ich sagen: ziemlich genau fünfzig Stunden, aufgeteilt auf eine ziemlich intensive Woche, haha. Normalerweise nehme ich die Songs, repariere noch ein paar Details und veröffentliche dann ein Album. Im Falle dieser Platte wollte ich aber wirklich exakt arbeiten, weil

Auf der Platte verwendest du auch viele Titelsongs aus Videospielen. Woher kommt deine Liebe fürs Gaming? Das ist ganz einfach: Mein Vater hatte schon in den Achtziger Jahren einen Computerladen, ich bin also buchstäblich zwischen Videospielen und alten Geräten wie dem Commodore 64 aufgewachsen. Ich habe wirklich alles in der Hand gehabt, was es gab. Wie sollen die Leute „Floppy Disk Overdrive“ deiner Meinung nach hören? Die Erlöse aus dem Vinyl-Verkauf und von anderen physischen Items sind etwas, das Musikern wirklich hilft. Aus technischer Sicht – es sei denn du besitzt eine richtig abgefahrene HiFi-Anlage – klingt das 24-BitWAV-Format am besten, wie beispielsweise auf Bandcamp. Ich kenne mich mit Vinyl-Mastering aus, und es ist schlichtweg eine Lüge zu sagen, dass Vinyl besser klingt. Erstens wurde sowieso alles mit digitalen Mitteln aufgenommen. Zweitens beschneidet ein Vinyl-Mastering die Frequenzen, sonst würde die Musik nicht auf das Medium passen. Also noch mal: Wer eine richtig professionelle Anlage zu Hause hat, für den sind Vinyl-Platten sicher die beste Wahl. Es ist also weniger eine Frage des Mediums, sondern eher der Hardware. Anton Kostudis

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THE AMITY AFFLICITON

Foto: Gaswan Al-Sibai (fb.com/g.photography1991)

LIVING THE DREAM. Der australische Metal-Export THE AMITY AFFLICITON hat gerade mit „Everybody Loves You Once You Leave

Them“ sein siebtes Studioalbum veröffentlicht. Wir haben uns im Zuge der gemeinsamen Tour mit BEARTOOTH mit Bassist und Sänger Ahren Stringer getroffen, um mehr über die Entstehung des neuen Albums und die überraschende Rückkehr zu härteren Klängen zu erfahren.

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IVING THE DREAM. Der australische MetalExport THE AMITY AFFLICITON hat gerade mit „Everybody Loves You Once You Leave Them“ sein siebtes Studioalbum veröffentlicht. Wir haben uns im Zuge der gemeinsamen Tour mit BEARTOOTH mit Bassist und Sänger Ahren Stringer getroffen, um mehr über die Entstehung des neuen Albums und die überraschende Rückkehr zu härteren Klängen zu erfahren. Wie lief die Tour mit BEARTOOTH bisher? Es ist einfach verrück – jede Show ist ausverkauft und die Konzerte sind riesig. BEARTOOTH sind gute Freunde von uns. Wir haben bereits auf der Warped Tour zusammen gespielt und waren auch zusammen in Australien auf Tour. Es macht riesigen Spaß, mit guten Freunden auf Tour zu sein. Ihr habt gerade mit „Everybody Loves You Once You Leave Them“ euer siebtes Studioalbum veröffentlicht. 17 Jahre THE AMITY AFFLICTION. Wie läuft es bei euch und was hat sich in den letzten Jahren verändert? Es läuft absolut super. Man könnte sogar fast sagen, es wird von Album zu Album leichter. Wir haben auf Tour ein perfektes Team dabei, das uns extrem viel Arbeit abnimmt, so können wir uns besser auf die Musik selbst konzentrieren. Also „living the dream“ oder „hard work pays off“? Definitiv von beidem etwas, harte Arbeit zahlt sich absolut aus. Auch wenn wir sehr zufrieden sind, wie es momentan läuft, es als Traum zu bezeichnen, wäre doch etwas zu viel des Guten. Wir sind ja jetzt nicht plötzlich reich und berühmt – was auch völlig in Ordnung ist, aber seinen Lebensunterhalt mit der Musik bestreiten zu können, ist eine geile Sache. Gab es irgendwann einen genauen Punkt, an dem ihr wusstet: „Okay, das ist es, wir können mit THE AMITY AFFLICTION unseren Lebensunterhalt bestreiten“? Ja absolut. 2010, wir hatten gerade „Youngbloods“ veröffentlicht und haben alle unsere Jobs geschmissen, um mehr touren zu können – das Risiko hat sich absolut ausgezahlt. Natürlich ist die Musikindustrie marode und am Ende gibt es immer Leute, die reicher und reicher werden, während wir das kleine Rädchen im Musikzirkus

bleiben. Rückblickend würden wir die Entscheidung aber wohl jederzeit genauso treffen wie damals. „Everybody Loves You Once You Leave Them“ ist das logische Ergebnis aus allen Schaffensphasen von THE AMITY AFFLICITON. Dennoch enthält das neue Album einige der härtesten Songs, die ihr je geschrieben habt. War dies eine bewusste Entscheidung? Ja, absolut. Wir hatten diesmal wieder mehr Lust auf härtere Passagen und haben die experimentellen Teile etwas in den Hintergrund gerückt. Wenn man „Misery“ mit „Everybody Loves You Once You Leave Them“ vergleicht, sind bei beiden alle die verschiedenen Elemente vorhanden, die uns als Band ausmachen. Der Unterschied ist, dass wir diesmal einen besseren Mix aus Härte und melodischen Episoden hinbekommen haben. Die beiden letzten Songs, die wir geschrieben hatten, waren „Coffin“ und „All my friends are dead“. Einfach weil wir Lust auf mehr härtere Songs für das neue Album hatten.

MUSIK IST DIE PERFEKTE PLATTFORM, UM MENSCHEN MIT ÄHNLICHEN PROBLEMEN ZU ERREICHEN UND EINANDER ZU HELFEN.

Ein paar Hörer hatten euch nach „Misery“ für die experimentellen Elemente kritisiert. Gab es nach „Misery“ den Drang, Dinge zu verändern? Nein, es gab für uns keinen Druck, etwas zu verändern. Wir sind mit THE AMITY AFFLICTION in der wunderbaren Position, machen zu können, was wir wollen. Unser Sound deckt viele verschiedene Stile ab und wir wollten uns beim Schreiben nie limitieren. Natürlich ist es ein Drahtseilakt, denn es wird nie jedem Hörer alles gefallen. Die Fans erwarten wahrscheinlich immer eine gewisse Weiterentwicklung, gleichzeitig wollen sie aber nicht, dass man sich als Band musikalisch zu stark verändert. Auf „Everybody Loves You Once You Leave Them“ ist trotzdem für jeden etwas dabei, denke ich.

Was hat es mit dem Namen des neuen Albums auf sich? Viele Menschen neigen dazu, Personen nach ihrem Tod zu Heiligen zu stilisieren, obwohl sie vielleicht komplette Idioten waren. Man hat dies gerade wieder bei Kobe Bryant gesehen. Da schreibt jeder „Ruhe in Frieden“ oder ähnliches, nur weil er ein guter Basketballer war, dass er sich allerdings auch Anschuldigungen der Vergewaltigung stellen musste, lässt man dabei unter der Tisch fallen. Man sieht nur die guten Dinge, aber nicht die üblen Taten, die diese Menschen teilweise begangen haben. Joel arbeitet in seinen Texten unter anderem auch seine bipolare Störung auf. Ist es für ihn schwierig, sich diesbezüglich zu öffnen, oder kann man dies eher als eine Art Therapie sehen? Es ist absolut heilsam für Joel, seine Gedanken und Gefühle in Form von Gedichten oder Texten niederzuschreiben. Er bekommt dafür aber auch viel von den Fans zurück, denen es mitunter genauso geht wie Ihm. Somit hilft es iIhm selbst, aber auch anderen. Das ist eine absolut gute Sache, da wir eben alle manchmal diese Tiefs durchleben. Musik ist die perfekte Plattform, um Menschen mit ähnlichen Problemen zu erreichen und einander zu helfen. Ihr habt kürzlich eine Benefiz-Show für die Opfer der verheerenden Waldbrände in Australien gespielt und einen Teil euer Preorder-Einnahmen an Hilfsorganisationen gespendet. Gab es persönliche Berührungspunkte mit der Katastrophe? Leider gab es die tatsächlich. Unteranderem war es uns ein Anliegen, die Opfer zu unterstützen, da Joel aus seinem Haus evakuiert werden musste. Die Benefiz-Show mit NORTHLANE und TONIGHT ALIVE sowie die Entscheidung, einen Teil unserer Preorder-Einnahmen zu spenden, haben hoffentlich dazu beigetragen, dass einigen Menschen und Tieren geholfen werden konnten. Was steht als Nächstes für THE AMITY AFFLICTION an? Nach der Tour mit BEARTOOTH sind wir zusammen mit SLEEPING WITH SIRENS in den USA unterwegs. Im Anschluss fliegen wir für ein Festival nach Australien. Im weiteren Verlauf dieses Jahres kommen wir zurück nach Europa, leider darf ich noch nicht verraten, wann genau und mit wem – aber man darf gespannt sein. Carsten Jung 41

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REVULSION

Foto: Toni Grunert

EIN GROSSER SCHRITT. Die schottische Band veröffentlich demnächst ihr Debüt auf BDHW. Was dieser Schritt für sie bedeutet, klären wir mit Bassist Ben. Und über den Brexit reden wir auch. Natürlich.

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uer Debüt „Enough To Bleed“ wird demnächst über BDHW Records veröffentlicht. Es ist ein großer Schritt für eine Band, von einem weltweit bekannten Label unter Vertrag genommen zu werden. Glaubst du, dass die Arbeitsmoral deiner Band dafür verantwortlich ist? Wir haben immer hart an der Musik gearbeitet, und ich denke, diese Arbeitsmoral kommt daher, dass wir große Fans von harter Untergrundmusik sind, wir alle lieben Hardcore und wir lieben es, Shows zu spielen und gemeinsam Musik zu schreiben, und wir haben immer alles getan, was wir konnten, um das aufrechtzuerhalten. Wir haben alle Jobs oder müssen zur Uni, und die Band ist nicht etwas, mit dem wir Geld verdienen, sondern das wir immer aus der Liebe zur Musik und zu den Shows vorangetrieben haben. Toni, der BDHW leitet, hat die gleiche Einstellung, er arbeitet wirklich hart an der Organisation und der Zusammenstellung von Veröffentlichungen, dem Filmen von Videos und allem anderen, was er tut. Wir alle sind glücklich, bei BDHW zu sein und mit ihm zusammenarbeiten zu können. Die Platte trägt den Titel „Enough To Bleed“ – kannst du uns den Gedanken dahinter erklären? Viele der Texte auf der Platte basieren auf persönlichen Erfahrungen mit dem Kampf gegen Depressionen und das Gefühl, dass es hoffnungslos ist, sein Leben zu verändern. Unser Sänger Andy hatte während des Schreibens der Platte ernsthafte Wirbelsäulen- und Rückenprobleme, die sein Leben sehr schwierig machten, er litt unter ständigen Schmerzen. „Enough To Bleed“ kommt von der Vorstellung, so gefühllos gegenüber dem Schmerz und der Welt um einen herum zu sein, dass es etwas wirklich Schwerwiegendes braucht, um diese Taubheit zu durchbohren. Um das Gehirn so zu verändern, dass es fähig ist, alles zu fühlen, auch wenn es nur noch mehr Schmerz und Angst ist. Es stammt aus dem Text des Album-Intros „Enough to feel“ und wir denken, dass es als Titel der Platte passt.

Zuvor habt ihr eine EP und eine Seven Inch veröffentlicht. Was sind deiner Meinung nach die größten Verbesserungen, die ihr in eurem Sound seitdem erreicht habt? Diese neue Platte ist für uns in vielerlei Hinsicht ein großer Schritt nach vorne. Wir haben uns beim Schreiben der Musik und der Arbeit an der Struktur mehr Zeit genommen als zuvor, wir waren viel kritischer mit Ideen oder Aspekten, die nicht funktionierten. Ich denke, unser Sound und unser Stil im Genre ist gereift und wir sind besser darin geworden, unsere Ideen zu vermitteln. Wir wollten ein Album schaffen, das von Anfang bis Ende voller Intensität ist, und ich denke, das ist uns gelungen. Songs wie die Single „Paralyse“ oder „The pain process“ sind meiner Meinung nach ein gutes Beispiel dafür, wie sich unser Sound entwickelt hat, aber immer noch auf dem gleichen Stil wie unsere frühere Musik aufbaut. Seit der letzten vollständigen Veröffentlichung von „Misery Hymns“ im Jahr 2015 haben wir diverse Besetzungswechsel durchlaufen und es fühlt sich an, als seien wir jetzt eine viel stärkere Einheit. Aufnahme- und produktionstechnisch ist „Enough To Bleed“ unsere stärkste Veröffentlichung – aufgenommen und gemischt von Stu McKay, gemastert von Arthur Rizk – wir waren wirklich zufrieden mit dem Sound und dem Gefühl der Platte. Die Veröffentlichung der Platte über BDHW war ein weiterer Schritt nach vorn. Toni von BDHW war eine große Unterstützung, er half uns bei der Zusammenstellung der Veröffentlichung und drehte alle unsere Videos und war wirklich gut zu uns. Ihr habt schon viele Shows in ganz Europa gespielt. Lief das alles auf DIY-Basis? Wie wichtig ist das DIY-Prinzip für REVULSION? DIY war schon immer ziemlich wichtig für uns. Ich denke, da wir schon in jungen Jahren im Hardcore unterwegs waren, haben wir alle viel Respekt vor Leuten und Bands, die Arbeit in die Shows und Tourneen stecken. Wir haben eine Menge unserer

eigenen Shows gebucht und viel auf eigene Faust gemacht. Als wir 2015 „Misery Hymns“ veröffentlichten, ließen wir die Kassetten mit der Hilfe eines engen Freundes erstellen und schnitten, falteten und klebten jede Schachtel selbst zusammen, weil wir sie cool fanden. Hardcore ist eine großartige Gemeinschaft, und wir hatten das Glück, eine Menge Leute zu treffen, die uns geholfen haben, Shows und Tourneen zu spielen, die wir sonst nie hätten machen können. Wir haben ein paar kleine Touren durch Länder wie Spanien, Finnland und Frankreich gemacht und ein paar größere Touren mit großen Booking-Agentur in ganz Europa gemacht, aber ich glaube, wir haben immer diese DIY-Idee über harte Arbeit und Anstrengung beibehalten. Ihr kommt aus Schottland, und die Leute dort sind nicht die größten Fans des Brexit. Hatte all das irgendeinen Einfluss auf die Band und das Songwriting? Du hast recht, Schottland ist nicht begeistert vom Brexit und wir auch nicht. 62 Prozent der Schotten stimmten dafür, in der EU zu bleiben. Ich denke, obwohl es keinen Einfluss auf unser Songwriting direkt für das Album hatte, ist es etwas, das uns stark beschäftigt hat, und ein großer Teil der Platte handelt von dieser Frustration angesichts von anderen Leuten und engstirnigen Ideen. Die meisten westeuropäischen Länder liegen im Schengen-Raum, es ist so einfach, sich durch die Länder zu bewegen. Dass wir jetzt möglicherweise ein Visum benötigen, um in diese Länder zu reisen, ist durchaus eine Sorge. Leider werden wir bis Ende 2020 nicht wissen, welche Auswirkungen dies haben wird. Nach unseren persönlichen Erfahrungen war es einfach genug, mitten in einer Tournee in die Schweiz zu reisen, und sie sind nicht in der EU. Hoffentlich hat es also keine allzu großen Folgen. Wir werden immer noch unser Bestes tun, um dort zu touren, wir lieben Europa und wir lieben es, dort Shows zu spielen und unsere Freunde zu sehen. Dennis Müller

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AUGUST BURNS RED GUARDIANS / VÖ 03.04.20

Foto: Thomas Eger (blackchester-photography.com)

GREAT AMERICAN GHOST

GEPLATZTER REIFEN UND RINGEN MIT SCHLANGEN. Mitten auf einem amerikanischen Highway sprechen wir mit GREAT AMERICAN GHOSTSänger Ethan Harrison.

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ür unser Interview nimmt sich Ethan richtig viel Zeit. Schuld daran ist die Reifenpanne, die ihn an den Rand eines Highways fesselt. Die Band ist eigentlich gerade auf dem Weg zum ersten Tourdate mit BODYSNATCHER und wartet während des Gesprächs auf den Service der Autovermietung. Im letzten Jahr waren GREAT AMERICAN GHOST mit der Never Say Die! Tour in ganz Europa und UK unterwegs. Für Ethan das Beste, was passieren konnte: „Als bestätigt wurde, dass wir bei der Never Say Die! Tour spielen dürfen, war ich gerührt. Es war noch besser als erwartet. Jeder dort war toll, wir wurden gute Freunde. Das habe ich so vorher nicht erlebt.“

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Wer rastet, der rostet Nach der Tour gab es keine Verschnaufpause: Kurz nach der Rückkehr drehten GREAT AMERICAN GHOST ein Musikvideo zu dem Song „Altar of snakes“, in dem Sänger Ethan von Schlangen bedeckt auf dem Boden liegt. Als ich ihn frage, ob er manchmal an den Dingen zweifelt, die er für die Musik oder die Band tut, lacht er nur. „Ich mache das Dümmste, was ich womöglich tun kann, und hoffe, dass es funktioniert. Schlangen ... oder das alles, davor habe ich keine Angst. Dann sagten sie: Okay, wir schmeißen diese ganzen Schlangen auf dich. Und ich so: Klar! Ich hatte einen gebrochenen Fuß, das war mir vorher in Europa passiert.“ Die dazugehörige Geschichte erzählt uns Ethan dann auch noch: „Ich habe mir den Fuß in Österreich gebrochen. Nach drei Tagen sagte unsere Tourmanagerin, ich solle zum Arzt gehen. Das war dann nicht mal eine richtige Praxis, sondern ein Container in der Schweiz. Und der Typ sagte: ‚Nicht gebrochen, nur verstaucht. Du bist okay.‘ Dann habe ich mich die kommenden acht Shows so verhalten, als sei der Fuß wirklich nur verstaucht. Zu Hause in den USA guckte ein Arzt darauf und sagte nur: ‚Dieser Fuß ist so was von gebrochen!‘ Macht durch Angst der anderen „Power Through Terror“ heißt das dritte Album der Bostoner Band, das im Februar 2020 erschienen ist. Darauf zeigt sich die Band nicht nur musikalisch aggressiv, auch die Texte sind tierisch angepisst und wütend. „Ich bin immer angepisst! Nein, mich beschäftigt immer etwas. Und wenn ich dann einen Song schreibe, meine ich den auch so. Was mich umtreibt, hat sich aber verändert. Das wandelte sich von persönlichen zu allgemeinen Themen, es geht mehr um Institutionen und Situationen. Es fällt mir nicht schwer.“ Und diese ganzen Erlebnisse und Beobachtungen führten dann auch zu dem Albumtitel, den GREAT AMERICAN GHOST gewählt haben: „Für mich bedeutet er, dass man immer mehr sieht, was für ein Chaos, was für ein Witz die Regierung in Amerika ist. Jeffrey Epstein, Harvey Weinstein; die Medien, die zur Manipulation genutzt werden. Das Album heißt also so, weil ich finde, dass es genau beschreibt, was in unserem Land passiert. Die Mächtigen bekommen ihre Stärke durch die Angst der anderen. Es ist sehr frustrierend, wenn du dich in unserem Land umschaust und erkennst, was da schiefläuft.“ Britt Meißner

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TESTAMENT

Foto: Stephanie Cabral

SPEERSPITZE. Sie gehören zu den Urgesteinen des Genres, ein richtig schlechtes Album haben sie in ihrer über dreißigjährigen

Karriere noch nicht aufgenommen. Die Rede ist von TESTAMENT. Die Bay-Area-Thrasher veröffentlichen dieser Tage „Titans Of Creation“, ihr 13. Studioalbum. Kurz vor der Deadline sprechen wir mit Gitarrist Eric Petersen.

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ric, euer neues Werk ist ziemlich variantenreich geworden. Für mich könnte fast jedes Lied eine Single sein. Was sagst du dazu? Wir wollten vermeiden, dass man den fast gleichen Song immer und immer wieder hören muss. Manchmal mag das funktionieren. Zum Beispiel bei einem Konzeptalbum, weil dieses dann zusammenhängender wirkt. Aber nicht dieses Mal und nicht bei uns. Auf dieser Platte packen wir tatsächlich sehr viele verschiedene Stile aus, versuchen uns an verschiedenen Grooves, Stimmungen und Tonarten. Das war uns sehr wichtig. Dennoch empfinde ich „Titans Of Creation“ mit seiner Spielzeit von fast einer Stunde als relativ lang. Wieso passt ihr euch hier nicht an den modernen Zeiten an, in denen Alben kürzer werden? So ein Album ist heutzutage sehr ungewöhnlich. Wir mögen es, ungewöhnlich zu sein. Du musst dir ja nicht alle Songs auf einmal anhören. Erstmal für ein paar Monate eine halbe Stunde an Musik und dann in den nächsten die zweite Hälfte. Vielleicht passt dir die Spielzeit dann besser.

Würdest du sagen, dass ihr mit „Titans Of Creation“ eher in eurer Komfortzone geblieben seid? Oder habt ihr Ideen verwendet, die für TESTAMENT komplett neu sind? Ich würde sagen, dass keine unserer Veröffentlichungen einfach nur ein ein weiteres TESTAMENT-Album ist. Wir geben uns sehr viel Mühe, dass das nicht so ist. Natürlich verfolgen wir eine bestimmte Formel, damit die Leute uns immer wiedererkennen. Nach dreißig Jahren ist es uns einfach wichtig, den Standard zu halten, den die Leute von uns erwarten. Das ist uns auch dieses Mal wieder gelungen, würde ich sagen. Wir möchten kein neues Genre erfinden. Es geht uns darum, an unserem Rezept festzuhalten und gleichzeitig ein schmackhaftes Essen zu präsentieren.

KEINER HAT MEHR GEDULD, ALLES MUSS SCHNELL PASSIEREN.

Aber habt ihr euch gar nicht mit aktuellen Entwicklungen wie Streaming beschäftigt? Viele Leute konsumieren ja nur noch einzelne Lieder oder Playlisten. Die Leute sind mittlerweile ganz schön lame. Da gebe ich dir recht. Deren Aufmerksamkeitsspanne hat stark gelitten. Keiner hat mehr Geduld, alles muss schnellschnell passieren. Vielleicht sollte man dann lieber anfangen, Popmusik zu hören. Da dauern die Lieder meist nur wenige Minuten.

Ich hätte nun noch ein paar Fragen zu einzelnen Liedern. Das erste wäre „Curse of Osiris“. Habt ihr hier mit einem Gastsänger zusammengearbeitet? Nein, da bin ich zu hören. Ich habe den Leadgesang in diesem Song übernommen und singe auch in „Night of the witch“.

Gene Hoglan und Steve DiGiorgio sind nun beim zweiten Album in Folge wieder gemeinsam bei TESTAMENT zu hören. Wie wirkt sich das auf die Rhythmusfraktion aus? Ach, wir waren dieses Mal alle etwas entspannter in der Zusammenarbeit und bei der Umsetzung meiner Ideen. Jeder weiß, wie er mit dem anderen umzugehen und was man vom anderen zu erwarten hat.

Wie regelst du das mit Chuck? Wie macht ihr aus, wer bei welchem Track singt? Es gab dieses Mal ein paar Stellen, zu denen Chuck noch keinen Text geschrieben hatte, weil er für diese nichts Geeignetes finden konnte. Ich aber schon. Das habe ich ihm dann gezeigt und er war begeistert. Er meinte dann, dass ich das doch gleich übernehmen könnte. Das war für mich auch eine Überraschung,

weil ich ihm eigentlich nur meine Ideen vorstellen wollte. Auf dem Album funktioniert das sehr gut. Mal sehen, wie das live umzusetzen ist. Bisher haben wir nur mal „Night of the witch“ gespielt und das hat prima funktioniert. Dann würde ich gerne noch über „Catacombs“ sprechen, das Outro der Platte. Ist der Chor darin echt oder habt ihr hier auf Samples zurückgegriffen? Den Song habe ich geschrieben, gespielt hat ihn aber der Keyboarder von DRAGONLORD, meiner anderen Band. Wir haben hierfür Keyboard, ein paar Geigen, eine Trompete und einen synthetischen Chor benutzt. Eine weitere Nummer ist „Symptoms“. Der Song wirkt fast schon progressiv. In der Mitte des Albums rüttelt er den Hörer ein bisschen wach. Das stimmt, der passt sehr gut an dieser Stelle. Ein wirklich cooler Song mit tollem Text. Es geht um bipolare Störungen. Eine Sache, die viele betrifft, einige mehr als andere. Es ist einer meiner Lieblingstracks auf dem Album. Eine Sache, die mir auffällt, ist die Produktion. Die finde ich ziemlich gelungen. Kannst du dazu etwas mehr erzählen? Dieses Album hat einen sehr guten Mix. Nichts steht aus meiner Sicht hervor, alles passt perfekt ineinander. Bei den vorherigen Platten war der Gesang immer ein bisschen lauter. Dieses Mal haben wir den etwas weiter in den Hintergrund gerückt. So mag ich das lieber. Auf den letzten Alben war auch das Schlagzeug dominanter, das haben wir geändert, dafür hört man die Gitarren jetzt ein bisschen mehr. Insgesamt passt es dieses Mal aber sehr gut zusammen und repräsentiert sehr gut, wie TESTAMENT zu klingen haben. Wir haben für diesen Mix sehr eng mit Andi Sneap zusammengearbeitet. Ich würde mir wünschen, auch in Zukunft so zu klingen wie auf „Titans Of Creation“. Manuel Stein

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willst das, was dich verärgert, zerstören oder korrigieren: Rache. Dann, wenn du den Gedanken an Rache durchlebt hast, bist du bereit in eine Phase der Vergebung einzutreten. Du versuchst zu akzeptieren, was dir widerfahren ist, und kannst damit abschließen. Und letztlich fängst du dich wieder, in dieser Stufe nimmst du dein Schicksal an, machst deinen Frieden mit dem, was dir geschehen ist, und verstehst, dass du mit deinem Leben weitermachen kannst, egal welche Narben du davongetragen hast.

KINGSMEN SCHICKSALSSCHLÄGE. Fast hätte es das Debütalbum der Metalband aus Richmond nicht gegeben. Sänger Tanner Guimond erklärt uns, welche Hindernisse sich dem Quartett in den Weg gestellt hatten und wie sie damit umgegangen sind.

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ure Band hätte sich fast vor den Arbeiten an dem Debütalbum wieder aufgelöst. Wie befriedigend ist es jetzt, das Album in greifbarer Nähe zu wissen? Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich ich bin, dass dieses Album endlich veröffentlich wird. Es klingt wie ein Klischee, aber wir haben so viel Blut, Schweiß und Tränen in den Prozess von „Revenge. Forgiveness. Recovery.“ gesteckt. Was ist denn passiert, dass die Band auf der Kippe stand? Und wie habt ihr es dann doch verhindern können? Die Tochter unseres Gitarristen Tim war drei Jahre in Behandlung wegen Leukämie. Das hatte natürlich einen

großen Einfluss auf uns als Band und die Möglichkeiten, ein Album zu schreiben. Glücklicherweise bekam Tim jede Menge Unterstützung und wir haben die Sache gemeinsam durchgestanden. Es hat uns näher zusammengebracht. KINGSMEN ist mehr als eine Band. Wir haben als Band begonnen, aber sind nun zu einer Familie zusammengewachsen. Hat der Albumtitel mit diesen Erlebnissen zu tun oder hast du da eine andere Erklärung? Ich sehe das anders. Die Geschichte hinter „Revenge. Forgiveness. Recovery.“ ist eine, die wir alle erlebt haben. Weißt du, es ist meine persönliche Überzeugung, dass du im Falle einer Tragödie in deinem Leben diese drei Gefühle durchlebst. Erst bist du wütend und

Das Album ist also wirklich in einer schwierigen Phase entstanden. Ist die Musik für euch ein Hilfsmittel auf dem Weg zu „Recovery“? Neben dem, was Tim widerfahren ist, hatten wir alle mit schwierigen Zeiten zu kämpfen. Ich habe ein enges Familienmitglied verloren, am gleichen Tag, als mich jemand, den ich geliebt und vertraut habe, betrogen hat. Ich war vollkommen neben der Spur und brauchte diesen künstlerischen Output, um nicht den Verstand zu verlieren. Mit KINGSMEN konnte ich meine Gefühle in etwas anderem kanalisieren, als mir endlos den Kopf zu zerbrechen. Für Leute, die mit Metal nicht viel zu tun haben, klingt das immer komisch, dass diese aggressive Musik eine positive Aussage haben kann. Jede Musik ist anders. Wir versuchen, eine Message zu senden. Wir haben unsere Herzen und Seelen geöffnet und uns als verletzliche Menschen hinter diese Musik gestellt, damit die Leute sich mit uns identifizieren können und vielleicht Trost finden. Es gibt viele Alben, die dies auch für mich geleistet haben. Dabei müssen diese Lieder gar nichts mit dem zu tun haben, was du gerade fühlst. Die wichtigste Lehre ist, dass die Antworten auf deine Probleme um dich herum existieren, du musst nur bereit sein, danach zu suchen. Dennis Müller

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geworden ist, wirklich. Twiggy ist ein großartiger Bassist, besser als ich je war, haha, und hat seinen eigenen Spielstil in die Band eingebracht, so dass ich mich im Studio gerne in den Hintergrund gestellt habe, um mich ausschließlich auf das Schreiben von Texten und Melodien zu konzentrieren.

OCEAN GROVE

Foto: Karo Schäfer (cateyephotography.com)

MEHR ALS DIE SUMME. Was macht eine Band aus? Dale Tanner, Sänger der australischen Band, geht mit uns dem Mysterium auf den Grund, was Mitgliederwechsel für eine Band bedeuten.

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hr hattet im vergangenen Jahr einige Besetzungswechsel. Wie hat sich das auf die Band und das Songwriting für das neue Album ausgewirkt? Es war zwar eine schwierige Zeit, aber der Wechsel ermöglichte tatsächlich eine enorme Entwicklung und einen Schritt nach vorn im Sound und in der künstlerischen Vision der Band. Wir wussten, wenn es jemals eine Zeit gab, mit unserer Musik experimenteller zu werden, dann ist es jetzt. Vor allem mit der Einbeziehung von Twiggy und seinen Fähigkeiten als Songwriter. Es fühlt sich so an, als ob wir mit der Besetzung in voller Stärke vorankommen würden. Wir haben uns bei diesem Album, angesichts des Erfolgs unseres Debüts, wirklich angestrengt, uns in jeder Hinsicht zu verbessern. Vom Songwriting über die Texte bis hin zur Produktion haben wir uns selbst herausgefordert, alle bis-

herigen Anstrengungen zu übertreffen, und ich glaube wirklich, dass wir das mit „Flip Phone Fantasy“ erreicht haben. Außerdem bist du „nur“ noch Sänger der Band. Ist es nicht seltsam an, jetzt ohne Bass auf der Bühne zu stehen? Um ehrlich zu sein, es fühlt sich verdammt gut an, praktisch „freihändig“ zu sein, wenn wir auftreten. Als Frontmann fühle ich mich jetzt viel wohler als je zuvor. Es fühlt sich richtig an, als wäre es das, wozu ich schon immer bestimmt war. Natürlich hatte ich bei OCEAN GROVE viel Spaß beim Bass spielen, aber jetzt macht es mir viel mehr Spaß, herumzurennen, zu tanzen und mich über die Bühne zu schaukeln und mir jeden Abend die Lunge aus dem Leib zu singen. Das ist ein Traum, der wahr

Musik ist mehr oder weniger die einzige Kunst, in der sich die Beteiligten ändern können, aber die Band als Kollektiv wird immer noch als dieselbe wahrgenommen, etwas, das nicht mit Autoren, Schauspielern oder Malern funktioniert? Wie beeinflusst das die Vision der Band im Allgemeinen? Ich habe über dieses sehr bizarre Konzept schon einmal nachgedacht und es haut mich um. Ich stimme zu, dass es auf diese Weise einzigartig ist, dass die Mitglieder kommen und gehen können und ihre Spuren in der Zeit und in der Geschichte der Band hinterlassen können, und das ist wohl etwas ganz Besonderes. Ich denke, was jeder Band, einschließlich OCEAN GROVE, erlaubt, trotz dieses Kommens und Gehens zu bestehen, ist eine klare Vision, wo die Band als Kollektiv hin will und was getan werden muss, um dorthin zu gelangen. Genau wie ein Unternehmen können sich die Mitarbeiter im Laufe der Zeit ändern, aber die Kernvision und die Ethik bleiben relativ gleich. Eine Band ist am Ende des Tages ein Team, und das unterscheidet sie von der Situation eines Autors oder Malers, der nur eine einzige Person ist. „In jeder Kunstform, mit der wir uns beschäftigen, ist ein erfinderisches Denken erforderlich, das gegen uninspirierte Standards verstößt.“ Das stammt von therhapsodymanifesto.com, wo du die Kernwerte von OCEAN GROVE findest, die auch heute noch gleich sind, und das ist es, was uns die Vision der Band immer im Blick behalten lässt. Dennis Müller

ANTI-FLAG // AUGUST BURNS RED // BEING AS AN OCEAN // BELVEDERE // BLOWFUSE // BRUTALITY WILL PREVAIL // CHELSEA GRIN CIGAR // CLOWNS // COUNTERPARTS // CROSSFAITH // DREAM STATE // FAINTEST IDEA // FIT FOR AN AUTOPSY // FOR THE FALLEN DREAMS GET THE SHOT // GOOD RIDDANCE // HIGHER POWER // HOT MILK // HUNDREDTH // INCENDIARY // JESUS PIECE // KNOCKED LOOSE LA ARMADA // LIONHEART // LOATHE // MAIN LINE 10 // MALEVOLENCE // MAYLEAF // MOTIONLESS IN WHITE // NASTY // NECK DEEP NORTHLANE // OBEY THE BRAVE // OF MICE & MEN // PUP // RISE OF THE NORTHSTAR // ROTTING OUT // ROTZAK // SILVERSTEIN SPANISH LOVE SONGS // STAKE // SUICIDE SILENCE // TERROR // THE DEVIL WEARS PRADA // THE HELL // THE MENZINGERS THY ART IS MURDER // WHILE SHE SLEEPS

PUNKROCK BAR & RAVEN PROGRAM TBA

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XILE

Foto: Bryner Tan

EIN VERDAMMTES BIEST. Die Einstands-EP der Neuseeländer, „Grafton“, hat reichlich Aufmerksamkeit auf sich gezogen. XILE

haben die Gunst der Stunde genutzt und international heftig getourt. Nun will es das Quintett mit seinem Debütalbum „I Am Your God“ so richtig wissen und inszenierte toughe, rabiate Nummern zwischen Beatdown- und Metal-Hardcore.

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ie Resonanz auf die erste Single ,World Demise‘ war schon einmal geradezu erstaunlich“, freut sich Frontmann Luke Manson. „Es ist ein aufregendes Gefühl, endlich alles für die Veröffentlichung des Albums vorbereitet zu haben, denn die Songs der EP spielen wir ja schon eine ganze Weile live. Ich kann es kaum noch erwarten, bis alle dieses Album hören können.“ XILE präsentieren sich in jeder Hinsicht verdichtet, zwingend und selbstbewusst: „Ich habe gelernt, an mich selbst zu glauben und selbst dann voranzukommen, wenn niemand sonst an mich glaubt“, gibt sich der Musiker bescheiden „Inzwischen kann ich loslassen und dem nachjagen, was mir wichtig ist. Vielleicht wird diese Band nie so richtig durchstarten und groß werden, doch unsere Leidenschaft und unser Antrieb für diese Musik erschaffen ein verdammtes Biest. Wir achten auf stilverwandte Bands und versuchen zu verstehen, weshalb sie erfolgreich sind, um von ihnen zu lernen. Wir erwarten jedoch nicht, dass uns irgendetwas einfach so in den Schoß fällt, sondern bleiben bodenständig und konzentrieren uns auf unsere Ziele.“ Musikalisch ist Luke sowohl durch lokale Helden als auch einschlägige Größen geprägt: „Mein Lokalmatador ist ein Sänger namens Wadzy aus der Generation der Hardcore-Bands, die schon vor mir aktiv gewesen ist. Sein Gesangsstil war stets hart und schnell. Seine Texte besitzen Fluss und Stil. Und seine Bühnenpräsenz war ‚unfuckwithable‘. Dazu, und das verbindet uns noch mehr, schrieb er auch die Musik seiner Bands. Später waren wir dann eine Zeit lang zusammen bei THE BURIAL und sind gute Freunde geworden. In all meinen Jahren auf Tour habe ich nie wieder jemanden getroffen, der die Dinge so wie Wadzy angeht. Also versuche ich, sein Erbe des ‚Kiwi-Stils‘ weiterzutragen. Sehr wichtig für mich sind zudem SLAYER und ihr ganzes Ethos, über Jahrzehnte kompromisslos zu sein und ihrer Vorstellung ihres Sounds treu zu bleiben. Sie sind vor niemandem eingeknickt. Toms unerbittlicher Flow inspiriert mich bis

heute. Ich sabbere, wenn ich an Jeffs und Kerrys Gitarren auch nur denke. Und Lombardos Schlagzeug-Videos schaue ich mir immer mit der Frage an, was noch alles möglich wäre, wenn er ein leibhaftiger Gott wäre.“ Im Kontext von XILE kommt demnach eine Menge zusammen: „Von Haus aus bin ich Metal-Fan, doch von jeher auch mit Hardcore-Kids befreundet“, so Luke. „Ich bin mit Metal und metallischem Hardcore aufgewachsen. Vor dem Schreiben von ‚I Am Your God‘ war ich mental auf einem riesigen Death-Metal- und Euro-Beatdown-Gelage. In meinem Kopf gab es sogar Ideen, die ich nicht extrahieren konnte. Hauptsächlich deshalb, weil ich nicht über das technische Knowhow verfüge, sie umzusetzen. Vielleicht ja dann auf dem nächsten Album.“ Was die Neuseeländer selbst als „Hard with Style ... Kiwi Hardstyle“ bezeichnen, meint eine Mischung aus – man ahnt es – Hardcore und Metal mit SlamGrooves und tougher Attitüde, die auffällt: „Für mich hängt das mit den Kiwi-Elementen zusammen“, gibt sich Luke überzeugt. „Wir haben unsere Einflüsse, Bands und Stile, die uns bewegen, übernommen und den Kiwi-Faktor hinzugefügt. Es ist schwer zu erklären. Die lokale Szene in Neuseeland war schon immer an hart und schnell orientiert. Unsere Erfolge würde ich zudem unserer unbedingten Arbeitsmoral zuschreiben. Wir legen Wert darauf, auf der Bühne und Straße immer hundert Prozent zu geben und keine Abkürzungen zu nutzen. Wir gehen stets die volle Distanz. Ich denke, das zahlt sich aus, und deshalb wollen die Leute mehr von uns sehen. Unser Lebensstil mit JDM-Autos und Fitnesskultur polarisiert in unserer lokalen Szene. Mit Blick auf die Hardcore-Werte, die wir leben, spiele ich ein deutliches ‚Fuck you‘ an unsere Kritiker zurück. Unsere Musik ist für alle da.“ Und das schon von Beginn an: „Unser Bassist Lee Waddingham und ich haben XILE gestartet, um eine Lücke bei uns selbst und der damaligen Hardcore-Szene zu füllen“, erinnert der

Shouter. „Diesen Ansatz haben wir mit der ‚Grafton EP‘ verfolgt. Meine vorherige Band war zum Stillstand gekommen und meine Hände konnten nicht lange untätig bleiben. Mir hat die Aggression gefehlt. Zunächst ging es uns nur um ein paar verrückte Drums und Slams, mehr Chaos und weniger Konformität. In den frühen Tagen habe ich noch Gitarre gespielt, während wir verschiedene Sänger ausprobiert haben. Doch niemand war bereit, schnell zu singen, oder mutig genug, um mit seinen Texten Grenzen zu überschreiten. Deshalb trat ich dann zum ersten Mal ans Mikrofon. Das Ziel war immer, den Kiwi-Stil zu verbreiten, auf den wir als Neuseeländer so stolz sind. Der Traum, international zu touren sowie neue Orte und neue Kulturen kennen zu lernen, an die ich im Urlaub vielleicht nie reisen würde, war für mich ebenfalls schon immer eine große Motivation.“ Nachdem die EP so gut angekommen war, galt es, den Sound von XILE zu entwickeln und zu schärfen: „Es gab mit Sicherheit Druck“, bestätigt der Musiker. „Gerade, wenn man der einzige Songwriter ist. Die Überwindung von Selbstzweifeln war eine große Hürde. Die Erwartungen meiner Kollegen haben mich manchmal fast gelähmt. Deshalb habe ich mir überschaubare Zwischenziele gesetzt. Selbst wenn nicht alles perfekt war, war ich doch zufrieden, wenn ich sie erreicht habe. Die gesamte Vorproduktion habe ich auf GarageBand vorbereitet, um im Studio keine Zeit zu verschwenden. Für meine Jams habe ich mir einen lokalen Schlagzeuger in den Proberaum geholt und mit ihm gearbeitet. Gemeinsam haben wir ausprobiert, wie sich alles anfühlt und was live funktioniert. Dann ging es ins Sledgehammer Studio, wo wir zwei Wochen lang die Instrumente aufgenommen haben. Nachts habe ich auf der Couch des Produzenten geschlafen. Es war eine anstrengende Reise voller Blut, Schweiß, Geld und Tränen. Ich bin froh, dass es vorbei ist, möchte diese Zeit aber nicht missen.“ Arne Kupetz 47

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REVIEWS HEAVEN SHALL BURN Of Truth And Sacrifice

Mit „Of Truth And Sacrifice“ beenden HEAVEN SHALL BURN mit einem regelrechten Paukenschlag ihre zweijährige Pause und schmeißen uns mit dem Doppelalbum einen Klotz vor die Füße, den man so erstmal verdauen muss „Of Truth And Sacrifice“ braucht Aufmerksamkeit und Zeit, aber wer beides ausreichend investiert, wird dafür mächtig belohnt. Schicht um Schicht legt sich bei jedem Hören eine tiefere Ebene des Gesamtverständnisses frei und man erfasst die Platte ein kleines Stück mehr. HEAVEN SHALL BURN geben sich nicht mit einer Weiterentwicklung ihrer bekannten Stärken zufrieden, sie erfinden sich lieber komplett neu, zerlegen sich in ihre Einzelteile und kommen als neu formiertes Mischwesen aus alten Stärken und neu erschlossenen Horizonten wieder auf die Bildfläche. Gerade auf der „Sacrifice“-Seite des Albums ist eine Menge Platz für Experimente, neue Soundlandschaften und ganz großes kompositorisches Kino. Was sich dem geneigten Hörer hier bietet, lässt sich schwer in Worte fassen, man muss das Album sowohl in seiner Gänze als auch in seinen Einzelteilen selbst erleben und erfassen. Hier all die Facetten und Experimente aufzuzählen, würde den Rahmen einer Review sprengen und einen großen Reiz des Albums nehmen. Denn „Of Truth And Sacrifice“ lädt zu einer kleinen Entdeckungsreise ein, wie es Releases aus diesem Genre nur sehr selten tun. Hier stecken mehr Ideen auf einer Albumhälfte als in den meisten Bandkarrieren. Wer HEAVEN SHALL BURN seit einigen Alben verfolgt, der wird begeistert darüber sein, dass sich die Band nun endlich die Zeit und den Raum genommen hat, um alle Einzelteile neu zusammenzusetzen und mit jeder Facette ihrer Musik zu spielen, zu ringen und es zu einem großen Ganzen zusammenzufügen „Of Truth And Sacrifice“ ist ein Statement gegen das Leichtverdauliche. Wer musikalisches Fastfood für seine Spotify-Playlist sucht, der wird mit diesem Album nur teilweise glücklich, wer aber eintauchen will in das albumübergreifende Konzept der Platte und all der kleinen Spielereien und Facetten, die die Songs bieten, für den ist es ein gefundenes Fressen, das lange, lange satt macht. Wem „Of Truth And Sacrifice“ gefällt, der wird umso glücklicher darüber sein, dass es sich so langsam abnutzt wie kaum ein anderes Album der letzten Jahre. (Century Media) Marvin Kolb

CODE ORANGE

BURY TOMORROW

AUGUST BURNS RED

THE AMITY AFFLICTION

Es ist soweit, SLIPKNOT können ihre Masken an den Nagel hängen oder weiter zur Stadion-Band mutieren, denn CODE ORANGE sind mit „Underneath“ soweit, die Band aus Iowa zu beerben. Nicht nur dass CODE ORANGE mit weniger Personal erfolgreich agieren, sie verpassen dem Metal auch ein Update und einen Weitblick, der extremer und visionärer nicht sein könnte. Die Band geht kompromisslos an die Grenzen, ihre eigenen, aber auch an die, was Heavy Music sein kann. Natürlich ist das somit keine Musik, bei der man jeden Song mitgrölen kann, und es klingt, als ob die Musik einer großen Anstrengung entsprungen ist, aber genauso soll es ja auch sein. CODE ORANGE lassen die Kreativität einfach fließen. Eine gute Idee ist hier immer nur die Ausgangssituation, sie wird seziert, frisiert und digitalisiert, bis die Köpfe qualmen, nur dann kann es wirklich gut genug sein. Trotz dieser extremen Arbeitsweise bietet „Underneath“ aber auch greifbare Ideen, die begeistern, und veritable Hits. Sei es der Titelsong, der an NINE INCH NAILS erinnert, oder „You and you alone“, der das kranke Update zu „Ratamahatta“ von SEPULTURA sein könnte. Dazu liefert die Band eine visuelle Umsetzung, die es vermag, dem hohen Standard angemessenen Ausdruck zu verleihen. Wenn für CODE ORANGE jetzt alles richtig läuft, wird „Underneath“ zu einer zukünftigen Referenz für ein ganzes Genre. (Roadrunner) Christian Biehl

BURY TOMORROW veröffentlichen mit „Cannibal“ bereits ihr sechstes Studioalbum. Der mit dem Vorgänger „Black Flame“ beschrittene Weg wird hierbei konsequent weiterverfolgt und verfeinert. Der Wechsel zwischen harten Metalpassagen und eingängigen Refrains ist zwar keine Innovation, wird aber dennoch selten so zur Perfektion getrieben wie in diesem Fall. „Cannibal“ glänzt mit mehr Tiefgang und einer weitaus dichteren Atmosphäre als sämtliche Vorgänger. Textlich ist man diesmal allerdings viel direkter zu Werke gegangen und schreit einem die Themen des Albums förmlich ins Gesicht, ohne den Umweg über sperrige Metaphern zu nehmen. Die vorab veröffentlichten Singles „Cannibal“ und „The grey (VIXI)“ strotzen geradezu vor Energie. „Quake“ hingegen ist das gewaltige musikalische Äquivalent von Ebbe und Flut und mit „Cold sleep“ wird unvermittelt erneut die Technik-Kettensäge ausgepackt. Technisch gibt es hier aber sowieso absolut nichts auszusetzen, wie bereits beim Vorgänger sind die musikalische Umsetzung wie auch die Produktion auf allerhöchstem Niveau. Die Entwicklung, die die Band in den letzten Jahren gemacht hat, ist absolut beeindruckend und sie muss sich wirklich nicht vor Genregrößen wie PARKWAY DRIVE oder ARCHITECTS verstecken. Der Weg von BURY TOMORROW geht weiter nur in eine Richtung, nämlich steil nach oben. (Sony) Carsten Jung

Für „Guardians“ haben sich AUGUST BURNS RED so viel Zeit genommen wie nie zuvor. Nicht was die Zeit betrifft, die zwischen den Release-Terminen des Vorgängeralbums „Phantom Anthem“ und „Guardians“ liegt, sondern in Bezug auf die Intensität, mit der sich die Band mit Songwriting und Aufnahmen beschäftigt hat. Während normalerweise ein AUGUST BURNS RED-Bandmitglied ein komplettes Lied schreibt und das dann an den Rest der Band weiterreicht, damit jeder es mit seinem Instrument und seinem eigenen Touch veredeln kann, wurde diesmal alles gemeinsam ausgearbeitet und geschrieben. Und bei so einem großen Aufwand ist die Spannung dann natürlich groß, was dabei rausgekommen ist. Hat sich viel verändert durch die gewonnene Zeit und Selbstreflexion? Wenn ein Fan jetzt schon langsam zittert, den kann ich beruhigen: AUGUST BURNS RED hören sich immer noch genauso an wie auf all ihren Vorgängeralben. „Guardians“ fügt sich homogen in den bandeigenen Sound ein und besticht in jedem einzelnen Lied durch metallische Riffs, die sich mit gut gemachten Breakdowns abwechseln, durch Vocals mit präziser Stimmfestigkeit und eine durchgängig bedrohliche Atmosphäre. „Guardians“ soll den Zuhörer gleichzeitig packen und einen Zufluchtsort für alle bieten, die sich mit den Themen, die darin behandelt werden, identifizieren können. Ich würde sagen: Ziel erreicht. (Fearless) Jenny Josefine Schulz

Wenn du nach knapp siebzehn Jahren auch mit dem siebten Studioalbum noch immer relevant und spannend bleibst, hast du so einiges richtig gemacht. Das aktuelle Album ist der perfekte Querschnitt sämtlicher Schaffensphasen von THE AMITY AFFLICTION: Härter und auch düsterer zwar als der Vorgänger „Misery“ und auch weniger experimentell. Dennoch kommt hier keine der vielen Stärken und Facetten der Band zu kurz: Die drei bereits vorab veröffentlichten Songs „All my friends are dead“, „Soak me in bleach“ und „Catatonia“ haben hervorragend eingefangen, wohin die Reise in Sachen Härte geht. Einzelne Ausreißer, wie das leichte und tanzbare „Aloneliness“, das trotz seiner tiefen Traurigkeit vermittelt, dass Musik es dann doch oftmals schafft, trotz aller Schwierigkeiten Kraft zu finden. Oder das absolut eingängige „Just like me“, das sehr verletzlich daherkommt und einen tiefen Einblick in die Psyche von Shouter Joel zulässt. Die bleiben zwar die Ausnahme, sind aber sehr wichtig für die Dynamik. „Fever dream“ lässt einem dann nochmals Zeit zum Durchatmen, bevor mit „Catatonia“ dann der perfekte Abschluss ansteht und dir unvermittelt einen Sack Steine auf die Brust wirft. Das bis dato stärkste Album der Band wird verdammt viele Hörer sehr glücklich machen. (Pure Noise) Carsten Jung

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Everyone Loves You Once You Leave Them

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ABORTED

La Grande Mascarade Mit ihrer neuen 3-Track-EP überbrücken ABORTED nicht nur die Wartezeit bis zum nächsten Album. Mit der Veröffentlichung von „La Grande Mascarade“ würdigt das Quintett um Frontmann Svencho auch sein 25-jähriges Bestehen. Die Karriere der Band ist seit 1995 stetig aufwärts und wirklich beachtlich verlaufen, wenn man sich vor Augen führt, dass man es mit extremem Metal zwischen Death und Grindcore zu tun hat, in dessen Texten stets ausgiebig gemeuchelt wird. Hartnäckigkeit, Kreativität und Qualität haben sich mit der Zeit ausgezahlt. ABORTED dürfen längst als eine der relevanten Größen und Konstanten im internationalen Extrem-Metal gelten; sind gleichsam geachtet wie beliebt. Auf der Jubiläums-EP werden zwei gänzlich neue Stücke um einen unveröffentlichten Song aus den Sessions des 2018er Albums „TerrorVision“ ergänzt. ABORTED präsentieren sich gewohnt bissig und vorwärtsgerichtet brutal. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Fünfer seine Aggressionen und Attacken heute bewusst kanalisiert und in einen größeren Wirkungsrahmen stellt. Selbst auf der zeitlich knappen „La Grande Mascarade“-EP wird das deutlich. Happy Anniversary! (Century Media) Arne Kupetz

THE ALLIGATOR WINE Demons Of The Mind

Diese Mischung hat es in sich. Die beiden Musiker aus dem Schwarzwald sorgen mit ihren Stücken sowohl für einen wohligen Schauer samt Grusel-Feeling als auch für tolle, tanzbare Gassenhauer. Denn spätestens die Refrains der Songs von THE ALLIGATOR WINE sind so richtig eingängig und überspitzt angelegt. Dem kann man sich nicht entziehen. Dabei ist das nur das i-Tüpfelchen. Schon die stimmungsvollen Sounds an sich mit ihrer experimentellen, erkundungsfreudigen Grundhaltung und etlichen obskuren Geräuschen oder Klängen ziehen in ihren Bann. Dass „Demons Of The Mind“ zusätzlich diesen immensen Wiedererkennungswert aufweist, ist fast schon zu viel des Guten. Thomas Teufel (Schlagzeug/Percussion und Vocals) und Rob Vitacca (Vocals und Hammond Orgel/Moog-Synthie) werkeln seit 2016 und legen nach nur einer EP 2018,„The Flying Carousel“, nun ein morbides, großes Debüt zwischen Vintage- und Krautrock vor. Dass THE ALLIGATOR WINE gänzlich ohne Gitarrenklänge auskommen, merkt man entweder gar nicht oder erst sehr spät. Die wabernde, tief reichende Wall of Sound der findungsreichen Klangtüftler verschleiert das lange. Zumal das deutsche Duo viele musikalische Finten legt und die Hooklines und Refrains so zentral stellt, dass man sich allein von diesen catchen und beeinflussen lässt. Das gut 43-minütige Album überzeugt von Anfang bis Ende. (Century Media) Arne Kupetz

ALL TIME LOW Wake Up Sunshine

Nachdem sich ALL TIME LOW mit ihrem letzten Werk „Last Young Renegade“ eher im düstern Elektropop ausgetobt haben und Gitarren Synthesizern weichen mussten, gibt es mit „Wake Up Sunshine“ nun ein gitarrenlästiges Back-to-the-roots-Album, das die Stärken von ALL TIME LOW wie catchy Melodien und mitreißende Refrains in den Mittelpunkt rückt. Dies kennt man alles von der Band, dies schätzt man wiederum aber auch an ihnen. Was auf den ersten Blick wie das Gute-Laune-PowerpopAlbum des Jahres klingt, bietet dabei deutlich mehr Substanz als erwartet. In all den gut gelaunten Songs verarbeitet Sänger Alex Selbstzweifel und Ängste, die er seit dem letzten Album mit sich herumgetragen hat. Unterstützt von Rapper Blackbear und den AlternativeRock-Durchstartern THE BAND CAMINO gelingt es ALL TIME LOW ein Album zu veröffentlichen, das die meisten Erwartungen der Fans sicher erfüllen dürfte. Welcome back, old ALL TIME LOW. (Fueled By Ramen) Christian Heinemann

REISSUE REVIEW AMIENSUS Restoration

Das erste Mal auf Vinyl erhältlich, hat das Debüt der Amerikaner auch sieben Jahre nach seiner Veröffentlichung nicht an Magie verloren. In den Fußspuren von AGALLOCH oder BORKNAGAR schafft man es, auch kürzere Lieder wie kleine Epen klingen zu lassen. Neben der vortrefflichen Gitarrenarbeit sticht der Gesang heraus, der von fast allen Bandmitgliedern übernommen wird. Variabel und stets um erinnerungswürdige Momente bemüht, gelingt es ihnen, einen eigenen Mix aus Black Metal und Folk-Einflüssen zu finden. Dabei vermögen sie trotz Black-MetalHärte stets einen Lichtblick zu hinterlassen. Wer von AMIENSUS noch nichts gehört hat, sollte mit „Restoration“ in die Welt des Quintetts eintauchen! (Wooaaargh) Manuel Stein

den Startlöchern. Hatte man sich mit Brandon Ellis bereits für den Vorgänger Verstärkung an der Gitarre und neuen externen Input geholt, schlägt dieser nun vollends durch. Auch wenn THE BLACK DAHLIA MURDER immer noch unverkennbar nach sich selbst klingen, webt man 2020 einige melodische, melancholische Einschübe („Removal of the oaken stake“ oder „Dawn of rats“) in die Musik ein, um nicht komplett in der Komfortzone zu verbleiben. So bekommt man am Ende ein typisches, sprich: musikalisch hervorragendes Album mit einem leichten Twist – das noch dazu klasse klingt. Wie schon beim letzten Album saß Jacob Hansen hinter den Reglern und hat der Band ein druckvolles, aber transparentes Soundgewand verpasst. THE BLACK DAHLIA MURDER unterstreichen auch dieses Mal ihren Anspruch, fern aller Gefälligkeit (hallo AMON AMARTH und ARCH ENEMY!) zugänglichen, aber auch hochklassigen Melodic Death Metal zu schreiben! (Metal Blade) Manuel Stein

ASH RETURN

BLIND CHANNEL

Wer in den Neunzigern großgeworden und auf Hardcore-Shows im örtlichen JUZ gegangen ist, dem wird der Name MIOZÄN noch etwas sagen. Dass die Band sich damals einen ordentlichen Status erspielt hat, bewies auch, dass es dann später noch eine Reunion gab, in der die Band dann durch aus wieder aktiv war. 2019 war dann dennoch Schluss. Scheinbar hatten aber vier der fünf Mitglieder durchaus Bock weiterzumachen, mit neuem Sänger war ASH RETURN geboren, und dass der Bandname einem IGNITE-Song entliehen ist, ergibt durchaus Sinn. Spätestens im vierten Song, „Time is the enemy“, fühlt man sich an bekannte Orange County-Bands erinnert, allen voran IGNITE und gerade musikalisch werden auch Erinnerungen an PENNYWISE wach. Warum sich die Band allerdings selbst dem Genre „Swordcore“ zuordnet, muss man mir noch erklären. Nichtsdestotrotz bieten ASH RETURN ein starkes Debüt, dem man den Neunziger-Jahre-California-Hardcore und -Punkrock deutlich anhört. Da die Zukunft von IGNITE ja ungewiss ist, sollten hier alle zugreifen, die mit diesem Sound aufgewachsen sind. (Swell Creek) Dennis Müller

Die Finnen kommen mit dem dritten Album um die Ecke und haben auch hier wieder Pop mit Metal und Rock verheiratet. Alles ist ein wenig größer und bombastischern produziert, hier wurden unter anderem die Produzenten von VOLBEAT und AMPORHIS mit ins Boot geholt, was man dem Album auch deutlich anhören kann. Nicht weil es den Sound der anderen Bands kopiert, sondern weil es klingt, als sei es für die großen Bühnen und Radiostationen produziert. Wenn hier aber von Pop die Rede ist, ist nicht Pop-Punk oder so gemeint. Sondern wirklich radiotauglicher Mainstream-Pop mit Rap-Einlagen und elektronischem Unterbau. Dadurch gelingt es der Band, sich extrem breit aufzustellen und alle Tiefen ihres doch sehr eigenen Sounds auszuloten. Klar, hier standen Bands wie LINKIN PARK Pate, die es ja auch schon geschafft haben, trotz ihrer Wurzeln im NuMetal im Mainstream stattzufinden. Dennoch erschaffen BLIND CHANNEL hier ihr eigenes Gebräu irgendwo zwischen Starschnitt in der Bravo und einem Feature im Kerrang!. Szenepuristen werden wahrscheinlich dankend abwinken, dafür ist die Tür zum Mainstream viel zu weit offen, aber genau das ist der Weg, den die Band ganz bewusst eingeschlagen hat und der ihr auch ganz hervorragend steht. (Out Of Line) Sebastian Koll

The Sharp Blade Of Integrity

ATARKA

Sleeping Giant Die New Wave of American Heavy Metal war vor zwanzig Jahren mal der heiße Scheiß. ATARKA aus Birmingham versuchen auf ihrem Debüt, aus dem Besten dieser damals sehr angesagten Hartwurst-Welle zu schöpfen. Das Schweden-Riffing ist da sowie der Wechsel zwischen Growls und Cleangesang, eine amtliche Produktion und doch mag der Funke nicht so recht überspringen. Positiv hervorzuheben bleibt, dass die Band sich nicht allzu sehr auf das generische Metalcore-Schema einlässt, sondern eher dem Groove Metal à la LAMB OF GOD frönt. Das macht durchaus Laune, auch wenn sich auf lange Sicht das „Alles schon mal da gewesen“Gefühl nicht ganz unterdrücken lässt. Sei’s drum, wer damals etwas mit Bands wie SHADOWS FALL oder CHIMAIRA anfangen konnte, kann hier ruhig mal ein Ohr riskieren, das Feeling ist da und die eine oder andere Hookline gefällt, für den großen Rundumschlag reicht es leider noch nicht, was es aber bei einem Debüt auch gar nicht braucht. Und der Reifeprozess, den ATARKA sicherlich mit kommenden Alben durchlaufen werden, sei ihnen zugestanden, denn Potenzial hat die Truppe allemal. (Death Mask) Philipp Sigl

THE BLACK DAHLIA MURDER Verminous

Fast hätte man sich Sorgen gemacht, dann veröffentlichten die Amerikaner letztes Jahr, ihrem ZweiJahres-Rhythmus folgend, ein neues Werk. Mit kurzer Verzögerung steht nun Album Nummer neun in

Violent Pop

CABAL

Drag Me Down Das ist mal eine Ansage: CABAL befanden sich ab dem 30. Januar 2020 als Teil von „Decade Of Human Suffering III“ gemeinsam mit INGESTED und VISCERAL DISGORGE auf einer ausgedehnten US-Tour. Wenig später steht die Veröffentlichung von „Drag Me Down“ auf dem Plan, der abermals intensive Tourtätigkeit folgen dürfte. Die Band aus Kopenhagen will es offenbar wissen und arbeitet hart. Das belegt auch der Abgleich des 2018er Debüts „Mark Of Rot“ mit dem Zweitwerk. Die Dänen inszenieren ihren Extrem-Sound sowohl variantenreicher und überraschender als auch stringenter und pointierter. Im Fall von „Drag Me Down“ ist all das gleichzeitig möglich. Der aufgeschlossene, experimentierfreudige Ansatz von CABAL bietet vielfältige Eindrücke und rigorose Attacken. Die dichte, bedrohliche Atmosphäre schafft den einordnenden Rahmen. Die Musiker achten zudem darauf, die Stil- und Intensitätsverschiebungen jeweils nachvollziehbar und konsequent umzusetzen. Und wie! Der Blackened Deathcore mit DjentEinsprengseln, den die Kopenhagener bemühen, klingt gleichsam faszinierend und abstoßend. Heftig und schwerverdaulich fällt er in jedem Fall aus. Wichtig bei all dem ist, dass CABAL den Überblick behalten und ihren Ansatz kompromisslos durchziehen. „Drag Me Down“ fällt gerade deshalb als hochwertig, vorwärtsgerichtet und vernichtend brachial auf. Matt Heafy von TRIVIUM, Jamie Hails von

POLARIS und Kim Song Sternkopf von MØL sind als Gäste mit von der Partie. Tipp! (Long Branch) Arne Kupetz

CIRITH UNGOL Forever Black

Ganze 29 Jahre sind seit dem letzten Album der kauzigen Proto-Metaller ins Land gegangen. Dies liegt jedoch nicht daran, dass sich die Band seither auf ihren Lorbeeren ausgeruht hat, sondern eher daran, dass man zwischendurch 25 Jahre lang nicht aktiv war. Erst unter Mithilfe von NIGHT DEMON-Fronter Jarvis – nun hier am Bass aktiv – überredete man die Altmeister 2015 wieder zur Aktivität. Nun stehen CIRITH UNGOL schon fünf Jahre wieder auf der Bühne und veröffentlichen dieser Tage ihr fünftes Studioalbum. Wüsste man nicht, wie viel Zeit seit „Paradise Lost“ (1992) ins Land gegangen ist, man könnte denken, dass dieses Album direkt darauf gefolgt ist. „Forever Black“ hört sich unverkennbar nach CIRITH UNGOL an, angefangen bei der flotten Kampfansage „Legion arise“ über die hymnische Halbballade „Stormbringer“ bis zum schleppenden „Before tomorrow“. Die Melodieführung ist weiterhin außergewöhnlich, Tim Bakers schrille Stimme weiterhin einzigartig, die Stimmung durchweg episch. „Forever Black“ ist ein klassisches CIRITH-UNGOL-Album. Nichts deutet darauf hin, dass man es hier mit großteils Mittsechzigern zu tun hat. Noch immer klingt man hungrig und frisch, noch immer bildet man eher seine eigene kleine Sparte ab, als dem Metal-Mainstream zu folgen. (Metal Blade) Manuel Stein

DANCE GAVIN DANCE Afterburner

Dieses Album fühlt sich an wie eine Abenteuerreise mit der besten Freundin oder dem besten Freund. DANCE GAVIN DANCE entführen uns mit „Afterburner“ in die gewohnt bunten Welten aus experimentellen Klängen – psychedelisch, komplex, vertrackt. Wohin man hört, alles erscheint wild und überladen: spannende Eindrücke, musikalische Höhenflüge. Nicht nur auf dem bunten Coverartwork lässt sich viel entdecken, auch zwischen den expressiven Takten: schnelle Beats, Gesangswechsel, ein wirrer Einsatz von Instrumenten – aufregend und wohlig vertraut zugleich. Denn als Liebhaber von Screamo, Post-Hardcore, Jazz und einer guten Portion Abwechslungsreichtum fühlt man sich bei „Afterburner“ nie im Stich gelassen. Schon das Intro kommt besonders uplifting daher und nimmt uns mit in die abstrakten Sphären von DANCE GAVIN DANCE – vielleicht bereits der beste Track der Platte? Doch auch neue Elemente überzeugen. So überraschen die Jungs aus Sacramento etwa mit schwungvollen Rhythmen und spanischen Lyrics („Calentamiento global“). Besonders angenehm: Es breiten sich immer wieder ruhige, getragene Passagen aus. Kurz rechts ranfahren, Rast machen und sich der prickelnden Atmosphäre hingeben, die „Afterburner“ versprüht. Dann geht es

Clowns

HammerHead

THe movemenT

THe offenders

aCidez THe lasT GanG HysTerese aKne Kid Joe GHeTTo JusTiCe snarG raKeTe BanGKoK HellraTz

rasTa KnasT risK iT Hawser deluminaTor HC HC BaxxTer PrivaTe funCTion devilTrain auTumn Kids

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weiter durch das Abenteuerland. Ihr habt auch Bock auf einen musikalisch-bunten Ausflug? Dann ist „Afterburner“ euer Ticket! (Rise) Jeannine Michèle Kock

DEAD KOYS Resting Places

Überraschenderweise ist das das Debüt der Band, die schon seit 2011 unterwegs ist. Vielleicht erklärt die lange Zeit auch seine Schönheit und Detailverliebtheit. Schon das Auspacken der Platte macht Spaß, mit perfekt komponiertem Falt-Inlay, das sich zum Poster ausklappen lässt, und dem Vinyl in zum Coverdesign passendem Violett. Mit Liebe zu kleinen, schönen Momenten sind auch die Songs geschrieben und aufgenommen. Die Stimme orientiert sich am Punk und erinnert mich in den besten Momenten an DEATH IS NOT GLAMOROUS. An manchen Stellen wirkt sie, als sei sie kurz vor dem Versagen, wie bei einer guten Punk-Show. Vor allem die Gitarren, die im Mix sehr schön zur Geltung kommen, klingen im Kontrast zum straighten Gesang eher verspielt. Diese Band ist eingespielt, das hört man auch bei Bass und Schlagzeug, die aufeinander abgestimmt für das Ganze das Fundament legen. Immer wieder gibt es Momente, in denen der Gesang fast nervt, das wird aber jedes Mal aufgelockert durch eine Gitarrenmelodie oder melodischen Background-Gesang. Die Songs wachsen mit jedem Hördurchgang. Mit den angenehm unpeinlichen Texten ist dieses Album der perfekte Einstand und macht Bock, die DEAD KOYS live zu sehen. (Bakraufarfita) Tilman Zick

DEPRAVATION III: Odor Mortis

Auf ihrem zweiten Langspieler, dem ersten seit 2013, sitzen DEPRAVATION irgendwo im Schlamm zwischen Death Metal und Hardcore. Dort scheint es ihnen offensichtlich auch sehr gut zu gefallen. Zeugnis dafür sind Songs wie „Peitschenhieb“ oder „Amboss“. Zackige Rhythmen treffen auf eingängiges Riffing und mitreißende Melodien – fast immer.

Denn ans Ende hat man mit „Nothingness“ nochmal eine überlange Nummer gesetzt, die ohne Metal-Anleihen daherkommt. Hier zeigt man, dass man Finsternis nicht nur mit lauten Gitarren erzeugen kann. Ein toller Abschluss einer spannenden Platte. Wie so viele andere Bands schaffen es die Gießener so zwar nicht, ein Genre zu revolutionieren, die garstige Mischung weiß aber dennoch zu überzeugen. Gerade die perfekt gesetzten Tempowechsel und der bitterböse Gesang (der gerne etwas weiter in die Front hätte gemixt werden können) sorgen für eine packende Atmosphäre. Zu keiner Sekunde kann man sich sicher sein, was im nächsten Moment passiert. DEPRAVATION halten den Hörer auf Trab. Starkes Album, gerne in Zukunft mehr davon! (Lifeforce) Manuel Stein

DUNE RATS

Hurry Up And Wait Zugegeben, hier in Deutschland sind die DUNE RATS noch ein relativ unbeschriebenes Blatt, was nicht nur verwunderlich ist, weil sie einen echt tollen und eingängigen Sound spielen, sondern nun auch zum zweiten Mal in Folge auf Platz eins der Charts in ihrem Heimatland Australien thronen. DUNE RATS stehen dabei für eingängigen Punk mit Garage-Sound, Surfrock und IndieElementen, der nicht nur gut ins Ohr geht, sondern auch verdammt gut Laune macht. Gepaart mit cleveren Texten, schaffen sie es, Anschluss an Bands wie THE FRONT BOTTOMS oder MODERN BASEBALL zu finden, eine gewisse WEEZER-eske Stimmung zu verbreiten, die für den einen oder anderen Ohrwurm sorgt und in dem monumentalen Singalong „Mountains come and go but Aussie pub rock lives on (Forever)“ endet. Mit „Hurry Up And Wait“ zementieren die DUNE RATS ihre Stellung als cle-

vere Partyband und ebnen sich den Weg, ihren Erfolg aus Australien in Europa zu wiederholen. (BMG) Christian Heinemann

EAST

In An Instant Es stimmt zunächst etwas skeptisch, wenn eine Band unbedingt erwähnt haben möchte, dass ihr Album live in einem Proberaum aufgenommen wurde. In der Regel ist das nicht unbedingt ein Garant für eine qualitativ hochwertige, konkurrenzfähige Produktion. Führt man sich aber „In An Instant“ von EAST zu Gemüte, versteht man mit dem Verlauf des Albums, dass hier mit Sinn und Verstand ein Sound kreiert worden ist, der die Emo-Band bestens in Szene setzt. Hier will jemand nicht die nächste Mehrzweckhalle füllen, warum also danach klingen? Bei der Band, die aus Berlin und Trier stammt, steht offenbar vielmehr die Authentizität im Mittelpunkt, die es benötigt, um dem geneigten Hörer das passende Hörerlebnis zu bescheren, und dann ist es eben auch kein Problem, nein, es ist sogar genau richtig, dass man den Raum, in dem die Musik entstanden ist, quasi hören kann. Bei EAST fusioniert der Sound mit den Trademarks, mit denen auch schon eine Band wie TEXAS IS THE REASON punkten konnte. Auch sind die Kompositionen und der herrlich brüchige, kratzige Gesang nicht auf Effekthascherei ausgelegt. „In An Instant“ klingt wie die aufrichtige Herzensangelegenheit, die sie auch ist, und jeder, der die Neunziger komplett durchgehört hat, bekommt hier frisches Zeug. (Midsummer) Christian Biehl

ENTER SHIKARI Nothing Is True & Everything Is Possible

Wenn es einen Wettbewerb um die eigene Neuerfindung geben würde, dann würden ENTER SHIKARI definitiv als Gewinner daraus hervorgehen. Mit ihrem sechsten Studioalbum gelingt es dem Quartett um Mastermind Rou Reynolds erneut, sämt-

lichen Erwartungen zu ents a g e n u n d d a fü r d a s z u tun, worauf sie Lust haben. „Nothing Is True & Everything Is Possible“ ist dabei die konsequente Fortsetzung von „The Spark“ und kommt als komplexes Pop-Album daher, das den Rock-Electro-Mix der Band gekonnt um die Komponente des Orchesters erweitert und ENTER SHIKARI facettenreicher denn je zeigt. Begleitet von Streichern und Blasinstrumenten philosophieren sich Reynolds und seine Kollegen durch das aktuelle Weltgeschehen, richten ihren Blick auf Propagandaapparate, Fake News, Gesichtsfilter und erfassen die Oberflächlichkeit des letzten Jahrzehnts. Musikalisch vielseitig wie nie zuvor gelingt es ENTER SHIKARI einmal mehr, ein vielseitiges Werk zu erschaffen, bei dem sich auch nach unzähligen Durchläufen noch etwas Neues entdecken lässt. (So) Christian Heinemann

ESCAPE FROM WONDERLAND

Escape From Wonderland Obwohl bereits im Jahre 2012 gegründet, haben sich die Stuttgarter viel Zeit gelassen, um ihr Debüt auf die Menschheit loszulassen. Das Ergebnis spricht allerdings dafür, dass sich jede Minute Arbeit gelohnt hat. ESCAPE FROM WONDERLAND servieren auf ihrer self-titled EP nach einem starken Intro fünf emotionale Metalcore-Tracks, die mit viel Druck und der nötigen Härte auf ganzer Linie überzeugen können. Jeder, der sich auch nur im Entferntesten mit der Produktion eines Musikerzeugnisses auseinandergesetzt hat, weiß, was für ein großer Aufwand betrieben werden muss, um Aufnahmen mit einer solchen Qualität abzuliefern. ESCAPE FROM WONDERLAND haben diese Aufgabe ohne Label in Eigenregie gemeistert. Die einzige Enttäuschung dabei ist, dass

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nach 24 Minuten der Spaß schon vorbei ist. Mehr davon bitte. (DIY) Andreas Regler

FOUR YEAR STRONG Brain Pain

Eine Band altert in Würde. Gerade in den Genres, mit denen FOUR YEAR STRONG spielen, ist das nicht unbedingt üblich. Hier klingt nichts erzwungen oder gestellt. Man hört den Spielspaß der Musiker und sie stellen ihr Können, ohne zu dick aufzutragen, perfekt eingesetzt in den Dienst der Songs. Typischerweise gibt es auch auf diesem Album, dem ersten seit fünf Jahren, Ohrwürmer und Mitsinghymnen. Wer aber nur die Texte von FOUR YEAR STRONG betrachtet, könnte meinen, das Booklet einer Nineties-Emo-Band zu lesen. Emotionale Unsicherheit, Zerrissenheit und Selbsterkenntnisse wie „In the end we all pretend that the world keeps spinning around me“ im Song „Seventeen“, machen es einem leicht, einen persönlichen Bezug herzustellen. Mein emotionaler Höhepunkt der Platte ist der Song „Try to be good when I’m gone“, der die Gefühle eines tourenden Musikers und Elternteils beschreibt. Sätze wie „I wonder if you ever wonder if I’m somewhere I’d rather be“ beschreiben treffend und eindringlich das Dilemma, in dem sich Personen finden, die ihre Familien zu Hause lassen, um auf Tour zu fahren. Das Kontrastprogramm des Pop-Punk-Gewandes, in dem immer wieder Metal-Anleihen aufblitzen und die markanten Stimmen der beiden Sänger, vermittelt trotzdem die Kopf-hoch-Attitüde der Band. Katharsis mit gereckten Fäusten und heiseren Stimmen. (Pure Noise) Tilman Zick

GLACIER VEINS

The World You Want To See GLACIER VEINS kreieren Pop-Punk, der fernab von Pupswitzen, aber auch Teenage Angst funktio-

niert – sie selbst nennen das Dream Punk. Trotz dieser Abgrenzung gelingt es der Band aus Portland nicht allzu erwachsen oder abgeklärt zu klingen. Vielmehr wirken die Kompositionen überraschend aufgeräumt und nicht so gezwungen oder cheesy, wie man es von Genrekollegen vielleicht kennen mag. Über den gesamten Verlauf von „The World You Want To See“ macht sich eine recht entspannte Grundstimmung breit, was einerseits auf die Homogenität des Materials zurückzuführen ist, aber eben auch auf die erwähnte Aufgeräumtheit. So zeichnet sich die Single „Driveway“ eben nicht dadurch aus, dass sie einen schmissigen und einprägsamen Refrain besitzt, zu der man bei der nächsten GLACIER VEINSShow die Faust in die Höhe streckt, was den Song auszeichnet ist vielmehr das wohlige Gefühl, das er verbreitet. Jeder Part bekommt die Aufmerksamkeit, die er verdient, so auch das Gitarrensolo, das im Gegenzug nicht nur mal eben dahingerotzt wurde. Während eine Band, die auf den beschriebenen Prinzipien aufbaut, Gefahr laufen könnte zu langweilen, passiert GLACIER VEINS dieser Fehler keinesfalls. Trotzdem liegt hier aber ein Album vor, das erst so richtig gut wird, wenn man ihm etwas mehr Aufmerksamkeit schenkt. (Rude) Christian Biehl

GREAT AMERICAN GHOST Power Through Terror

Hätten KNOCKED LOOSE und COUNTERPARTS ein Baby, wären es GREAT AMERICAN GHOST. Der Geheimtipp aus den USA eröffnete im letzten Jahr die Never Say Die! Tour. Im Februar ist ihr neues Album „Power Through Terror“ erschienen. Produziert wurde das von Will Putney, der unter anderem für Platten von COUN-

TERPARTS, HARM’S WAY und TERROR verantwortlich zeichnet. Entstanden ist durch die wütenden Texte und den brachialen Sound ein echt harter Brocken von Album. Soundtechnisch zwar keine Neuerfindung des Genres, aber trotzdem mehr als nur ein billiger Abklatsch. Textlich geht es auf dem Album um alles, was Sänger Ethan nervt und beschäftigt. Hauptsächlich die politische Situation in Amerika und die daraus resultierenden Reibungen. Trotz des musikalischen Gewitters und der Aggressivität der Shouts, verleiht Ethan seinem Gesang trotzdem eine gewisse Stimmung und Melodie, sodass die Songs im Kopf hängen bleiben. „Power Through Terror“ ist einfach ein bissiges, angepisstes, brutales Album, auf dem GREAT AMERICAN GHOST sehr vieles richtig machen und damit wohl eine solide Basis für ihre musikalische Eroberung Europas legen. Mich persönlich hat das Album durch viele Zugfahrten und Sportsessions gerettet. (eOne Music) Britt Meißner

GRIND

Songs Of Blood And Liberation E i ne ung e f ä hre A hnung von d e m, wa s ma n hi e r bekommt, lässt sich ja am Bandnamen und Albumtitel ablesen. Sich aber allein auf pures Geballer einzustellen, wäre hier zu kurz gegriffen. Dafür präsentiert sich die Band viel zu vielseitig. Wo andere Grindcore Bands sich gerne mal in Schnelligkeitswettbewerben verlieren, wissen die Flensburger genau wie man die Hörer bei Stange hält. Lass es Lebenserfahrung sein oder dass hier niemand mehr irgendwem was beweisen muss. Genau diese Gelassenheit macht „Songs Of Blood And Liberation“ aus, auch wenn man im Angesicht von Songs wie „De-arranged bones“, die nur knapp über eine Minute Spielzeit liegen, vorsichtig mit Worten wie „Gelassen-

heit“ sein sollte. Dass die Band auch über längere Spielzeit die Spannung halten kann, zeigen Songs wie „Necklaces of death“ oder „Exclusion“ die über vier Minuten Spielzeit zeigen, was sie können. So pendelt GRIND ständig zwischen kurzen Attacken und längeren Groovemonstern hin und her, ohne den Bogen in eine Richtung zu überspannen. Und dass das Album direkt mit dem Hit „With gratitude in red“ beginnt, weiß auch zu überzeugen. Tipp! (Dedication) Sebastian Koll

HAVOK V

Schon der Titel lässt erahnen, dass die Musiker einen pragmatischen und direkten Ansatz verfolgen. Bei „V“ handelt es sich um das fünfte Album der Gruppe aus Colorado. Musikalisch präsentieren sich HAVOK über die elf Songs hinweg ebenfalls bodenständig und belastbar. Es bleibt bei einem modern interpretierten ThrashSound, der riffbasiert und wuchtig daherkommt. Dank der gewachsenen Erfahrung des Viererteams fällt das Songwriting variabel und unterhaltsam aus. Es gibt mehr als nur eine Ansammlung von Riffs und Tempoläufen. Trotz solider Basisarbeit gelingt es HAVOK dennoch nicht, Tracks anzubieten, die über den Moment des Hörens hinaus im Ohr hängenbleiben. Kompositorisch und spielerisch gibt es an „V“ wenig auszusetzen. Die Gruppe bewegt sich authentisch und leidenschaftlich durch die Thrash-Sounds, die ihr alles bedeuten. Die Musiker bleiben dabei allerdings durchgängig im Rahmen des Erwartbaren und Bekannten. Überraschungen oder Neuigkeitswert besitzt ihr fünfter Longplayer nicht. Doch auch im modern ausgelegten Thrash muss so etwas gegeben sein, um wirklich aufzufallen und nachhaltig Eindruck zu schinden. (Century Media) Arne Kupetz

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THE HELLFREAKS God On The Run

Punkrock aus Ungarn hat man nun auch nicht unbedingt auf dem Schirm. Sollte man aber. Vor allem im Fall von THE HELLFREAKS, die mit ihrem vierten Album durchstarten wollen. Mit einer druckvollen, sehr amerikanischen Produktion ausgestattet (will man etwa ins Vorprogramm von BILLY TALENT?), gibt es hier eine sehr gelungene halbe Stunde (t)rotzigen Punkrock auf die Ohren, der vor allem durch den markanten, poppigen Gesang von Sängerin Shakey Sue heraussticht. Die sehr einprägsamen, durch die Bank weg ins Ohr gehenden Refrains heben die Laune ungemein und laden zum Tanzen und Mitsingen ein. Die Rhythmusfraktion braucht sich aber auch nicht zu verstecken, hier sitzt jedes Riff und die Drums knallen. Zudem wird offensichtlich, dass hier eine Band am Start ist, die seit geraumer Zeit unterwegs ist, ihren Sound gefunden hat und weiß, wie sie ihre Stärken am besten ausspielt. Die Songs sind durchweg toll arrangiert, Ausfälle gibt es so gut wie keine und man hat hier einfach eine richtig gute Zeit. Jetzt bitte auf Tour gehen mit BLOOD COMMAND oder THE CREEPSHOW, das wäre doch mal ein Fest und die Clubs würden beben. (Sunny Bastards) Philipp Sigl

THE HOMELESS GOSPEL CHOIR

This Land Is Your Landfill Bestand THE HOMELESS GOSPEL CHOIR in der Vergangenheit eigentlich nur aus Singer/Songwriter Derek Zanetti, handelt es sich seit 2019 um eine komplette Band. Da stellt sich natürlich die Frage, was sich sonst noch geändert hat. Nun, eigentlich gar nicht so viel. Derek Zanetti ist immer noch der kreative Kopf und dies hört und spürt man zu jedem Zeitpunkt. Seine kritische, anklagende, aber

auch humoristische Art zu texten zieht sich wie ein roter Faden durch das Album und macht es von vorne bis hinten unterhaltsam, ihm zuzuhören. Die neu gegründete Band mit Schlagzeug, Bass und Chören sorgt dabei vor allem dafür, dass sich die Lieder deutlich kraftvoller anhören, wobei sie den Flow von Derek zu keiner Zeit behindern. Thematisch geht es auf dem von ANTI-FLAG-Bassist Chris #2 produzierten Album wie gewohnt um die aktuelle Politik, aber auch um Mental Health, Liebe und Freundschaft. „This Land Is Your Landfill“ ist das Experiment, THE HOMELESS GOSPEL CHOIR auf ein völlig neues Niveau zu heben, und es stellt sich als äußerst gelungen heraus! (Hassle) Christian Heinemann

IGORRR

Spirituality And Distortion Der Sound von IGORRR kennt keine Grenzen. Ob Barock, Death Metal, französische Volksmusik oder Electronica – Gautiere Serre schreibt die Musik, die er selbst gerne hören würde, und greift dabei auf all seine Vorlieben zurück. Das kurze „Very noise“ beschreibt bestens den Wahnsinn, der im Kopf des französischen Komponisten vorgehen muss. Mit über 14 akustischen Instrumenten, wie dem Cembalo, Akkordeon oder Streichern, gestaltet IGORRR seinen Sound erneut sehr dynamisch und abwechslungsreich. Wer schon immer französisches Akkordeonspiel mit Black-Metal-Riffs und Blastbeats hören wollte, ist mit „Musette maximum“ bestens bedient. Die Musik von IGORRR ist immer noch verrückt und voller Experimente, doch scheint es, als wäre der Metal-Anteil seit der letzten Veröffentlichung größer geworden. Die Tracks auf „Spirituality And Distortion“ profitieren von ihren eingängigen Strukturen und lassen sich leichter verdauen als die des Vorgänger-

albums „Hallelujah“. Mit „Spirituality And Distortion“ zeigt IGORRR, dass er sich wohl mehr und mehr als Metal-Musiker versteht, der oft riffbetont agiert und alle weiteren Einflüsse um den harten Kern herum spinnt. Ein paar Guestvocals von George Fisher (CANNIBAL CORPSE) gibt’s zusammen mit Blastbeats und 8-Bit-Mucke auch noch obendrauf („Parpaing“). Herrlich verrückt, herrlich abgefahren! „Spirituality And Distortion“ fehlt es an nichts, der Impact ist allerdings nicht mehr so groß, wie er bei „Hallelujah“ noch war. (Metal Blade) Rodney Fuchs

IRIST

Order Of The Mind Klar, dass Debütalben heutzutage schon einmal prinzipiell als „das nächste große Ding“ angekündigt werden. Im Falle dieses US-/südamerikanischen Fünfers allerdings könnte tatsächlich etwas dran sein. Denn die mittlerweile in Atlanta beheimatete Kapelle lärmt sich auf „Order Of The Mind“ derart überzeugend durch ihren bunten Stilmix aus dezent vertracktem Gehaue und filigraner Melodiearbeit, dass selbst der vermeintlich routinierte Rezensent plötzlich hellwach wird. Ein bisschen Cavalera-Rüpelei hier, eine fette Dosis Groove da, eine Prise Epik obendrauf – und so spuken dann beim Hören tatsächlich auch Namen wie SEPULTURA, MASTODON oder GOJIRA im Hinterkopf herum. Fakt ist: „Order Of The Mind“ ist nichts, was sich mal eben im Vorbeigehen weghören lässt. Gut also, dass beim brachialen „Dead prayers“ zur Halbzeit noch mal der Dampfhammer rausgeholt und im Oberstübchen ordentlich Kehraus gemacht wird. Und währenddessen reift die Erkenntnis: Für Platten wie diese wurde die Formulierung „von null auf hundert“ erfunden. (Nuclear Blast) Anton Kostudis

JOHN MALKOVITCH! Hyenaeh

Wer jetzt denkt, dass der Schauspieler John Gavin Malkovich, den wir wohl alle in „Bird Box“ sahen (haha), ein Soloprojekt gestartet hat, das dann auch noch für das Fuze relevant ist, liegt falsch. Hinter JOHN MALKOVITCH! versteckt sich eine italienische Band, die ihren Sound irgendwo zwischen Sludge und experimentellem Post-Rock/Metal findet. Mit einem okkulten Artwork versehen, ist das Erscheinungsbild von „Hyenaeh“ genauso erdig wie der Sound der Band. Zwar finden sich auf diesem Album kaum Vocals, doch sobald diese im Track „xxKübler Ross“ zu hören sind, erweitern sie das Klangbild um einen emotionalen Aspekt, der Verzweiflung und Energie in den Sound hineintreibt. Einer Platte wie „Hyenaeh“ muss man Zeit geben, andernfalls kann sich die Wirkung der Musik nicht entfalten. Es dauert, bis sich aus den experimentellen Klängen klare Strukturen herauskristallisieren. „Hyenaeh“ überzeugt mit großer Experimentierfreude und einer Atmosphäre, die erdrückend ist. (Antigony) Rodney Fuchs

KELSEY

Dead Aesthetic Roh und verdammt kraftvoll. Unpoliert und in einer Live-Session eingespielt, steht mit „Dead Aesthetic“ die Debüt-EP der holländischen Metal/PostHardcore-Band KELSEY auf dem Speiseplan. Nicht ganz leicht zu verdauen, was da in knapp 15 Minuten alles passiert. Vier Songs lang herrscht hier ein wundervoll pures Chaos, das dabei niemals stumpf ist und an die Glanzzeiten eines Genres erinnert, ohne dabei altbacken zu wirken. Damals war eben vieles noch nicht so glattgebügelt. Aber dieses Konzept geht auch heute noch auf. Fans von SWING KIDS, ORCHID, COALESCE und ähnlichen Frühneunziger-Krachfabriken sollten hier unbedingt reinhören. (DIY) Carsten Jung

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LUCIFER

Das vierköpfige MetalcoreGespann KINGSMEN aus Rhode Island zieht mit seinem Debütalbum „Revenge. Forgiveness. Recovery.“ alle Register. Das Album hat alles, was man sich von einem klassischen Werk des Genres wünschen würde: schnelle Riffs, kehlige Vocals und heftige Breakdowns. Aus diesen Komponenten lässt sich natürlich im Handumdrehen ein gelungenes Album zaubern, allerdings zeugen sie nicht gerade von künstlerischer Individualität. Tatsächlich wirken die Breakdowns auf „Revenge. Forgiveness. Recovery.“ eher etwas lustlos und könnten genauso gut auf jedem anderen 08/15-Album zu hören sein. Besonders ist jedoch, dass KINGSMEN mit jedem Song eine neue Facette ihres Könnens offenbaren. Während die Riffs in „Until I’ve departed“ an AS I LAY DYING und die Vocals des Refrains an Oldschool-BREAKING BENJAMIN erinnern, klingt der Gesang im Prechorus von „Tipping the scales“ eins zu eins wie die Stimme von Winston McCall. Die Gitarren in „Oppressor“ wirken hingegen wie eine klassische Andy MarshKomposition und würzen das Album somit mit einer angenehmen Portion Death Metal à la THY ART IS MURDER. Letztendlich geht es auf „Revenge. Forgiveness. Recovery.“ nicht darum, was KINGSMEN machen, sondern wie sie es machen. Und das klingt verdammt gut! (SharpTone) Philip Zimmermann

Die Gruppe um Johanna Sadonis (ex-THE OATH) hält der Nummerierung ihrer Alben die Treue. Folgerichtig erscheint das Drittwerk unter dem Titel „III“. Nicke Andersson (THE HELLACOPTERS, ENTOMBED, IMPERIAL STATE ELECTRIC) ist weiterhin mit von der Partie, so dass sich die neue Platte der aus Stockholm operierenden Band im Stil des Vorgängers entwickelt. Stilistisch bleibt es also bei einer Kombination aus Siebziger-Hardrock, Achtziger-Proto-HeavyMetal und Doom-Anklängen. Was die Ausgestaltung der neun Tracks anbelangt, bieten LUCIFER maximale Abwechslung. Das Spektrum reicht von erdigen Downern über treibenden Rock bis hin zu düsteren Balladen. Einen rohen Hymnenwert muss man dem Spiel des Quintetts ebenfalls zwingend zusprechen. Obwohl Attitüde und Inszenierung ohne Frage retro sind, mutet das Gesamtpaket doch auch irgendwie zeitgemäß an. Und das nicht nur weil LUCIFER so bauchgesteuert und intuitiv treffsicher agieren. Auf „III“ gelingt es Johanna und Co. noch zweckdienlicher und kompositorisch reifer, ihren Ansatz zwischen Rock, Doom und Metal zu entwickeln. Der um sich greifende Heavy-Klangraum besitzt ebenso viel Seele wie Tiefe. (Century Media) Arne Kupetz

Revenge. Forgiveness. Recovery.

LETTERS SENT HOME Letters Sent Home

Alternative Darkpop hat sich die junge Band aus Wolfsburg auf die Fahnen geschrieben und gibt mit dieser fünf Song starken self-titled EP nun ein weiteres hörbares Lebenszeichen von sich, zuvor ist mit „Back To Life“ bereits eine erste EP erschienen. Die Mischung aus rockig, ruhig, poppig und großen Refrains liefert alles für Alternative-Rockoder PVRIS-Fans. Mit Sängerin Emily hat die Band außerdem eine Frontfrau gefunden, die die perfekte Stimme für diese Musik hat und über allem schwebt. Es wäre schön, wenn bald die nächsten Schritte folgen mit einem ersten Album und mehr Shows, denn LETTERS SENT HOME erfinden in diesem Genre das Rad zwar nicht neu, brauchen sich aber nicht zu verstecken und sind es definitiv wert, viel mehr Gehör zu finden. (DIY) Pascal Irmer

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LYVTEN

Wind Of Change Mit den SCORPIONS hat der Titel dieser Seven Inch nicht viel zu tun, vielmehr mit den Veränderungen innerhalb der Band. Nach dem Ausstieg ihres Sängers Thorsten, den man auch von BUBONIX kannte, wurde mit Claudio nun ein neuer gefunden. „Wind Of Change“ enthält die ersten beiden Songs in dieser Besetzung, mit denen LYVTEN dort weitermachen, wo sie aufgehört haben, also deutschsprachiger Post-Hardcore und Punk, ein wenig schrammeliger als TURBOSTAAT, mit leichter Indie-Note. Vielleicht gehören LYVTEN nicht mit zu Speerspitze der deutschsprachigen Punkbands 2020, sie zeigen aber, wie lebendig diese Szene gerade ist, und dass es sich auch lohnt, ab und zu in Richtung Schweiz zu schauen. Hoffentlich bleibt das Line-up nun konstant, so dass man sich demnächst auf ein Album freuen kann. (DIY) Sebastian Koll

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LIOTTA SEOUL

MADBALL

Wenn eine (noch) kleine, deutsche DIY-Band nach Amerika fliegt, um dort ein Album aufzunehmen, dann ist eins klar: Die meinen es ernst. Die wollen was erreichen. Und das merkt man LIOTTA SEOUL seit der ersten Stunde an. 2017 ist ihr erstes, selbstbetiteltes Album erschienen, mit „Hopper“ folgt jetzt, drei Jahre später, das zweite Album. Darauf haben sie ihren Grunge-Alternative-RockSound, der so gar nicht nach anderen aktuellen Bands klingt, noch verfeinert. „Feel blue“ ist ein Opener, der diese Bezeichnung verdient hat. Er gestaltet den Einstieg angenehm leicht. Von Song zu Song wird das Album schwieriger im Sinne von anspruchsvoller. LIOTTA SEOUL beherrschen es, abwechslungsreiche, komplizierte und auch anstrengende Musik zu schreiben – eigentlich nichts, was einfach so nebenbei laufen kann, sondern etwas, auf das man sich einlassen muss. Textlich ist jeder Song auf „Hopper“ schonungslos ehrlich und direkt. So ist beispielsweise „TV shows“ keine Ode an eine Lieblingsserie, sondern beschäftigt sich mit dem Phänomen, bei einer Serie mehr zu empfinden als im realen Leben („When a TV show will hurt more than real life, I think it goes to show that something is not alright / Couch and streaming simulates bleeding without that copper taste“). Und gerade diese Umschreibung von Gefühlen macht die Songs von LIOTTA SEOUL auch textlich so besonders. Auf „Hopper“ zeigt sich, wie sehr sich LIOTTA SEOUL in den letzten Jahren entwickelt haben und dass sie ihren Stil weiter festigen konnten. Absoluter Tipp für Grunge-Fans. (DIY) Britt Meißner

Zwanzig Jahre hat „Hold It Down“ nun auf dem Buckel, Zeit für einen Rerelease. Wer die Platte nie auf Vinyl bekommen hat, sollte nun seine Chance nutzen. Es wurde klanglich aufpoliert und mit einem Bonustrack am Ende versehen, der sich an dem damaligen Sound orientiert. Nicht dass seitdem einschneidende Stilbrüche passiert sind. „Hold It Down“ zählt, neben anderen Platten aus dieser Zeit, wohl zu den Blaupausen für den Hardcore New Yorker Schule, das war damals so und daran hat sich auch bis heute wenig geändert. Nach wie vor erkennt man den von MADBALL mit geprägten Sound deutlich auch auf modernen Releases, daher ist die Bedeutung von „Hold It Down“ wohl nicht zu unterschätzen. Natürlich gehört eine gehörige Schippe Tough-Guy-Gehabe dazu, die vielleicht nicht mehr ganz so zeitgemäß ist, aber hey, so war das eben damals. Nichtsdestotrotz haben MADBALL hier einen Klassiker vorzuweisen, den alle im Regal haben sollten, die schon mal die Worte „New York“ und „Hardcore“ im gleichen Satz benutzt haben. (GSR) Dennis Müller

Hopper

Hold It Down

habe, war auf einem Festival, und irgendwann bin ich kopfschüttelnd gegangen, spätestens das NIRVANACover war zu viel für mich. Das gibt es auf „Lichtjahre“ jetzt nicht zu hören, dafür eine krumm gesungene Version von „Nachtbaden“. Live an dem Abend wahrscheinlich vollkommen egal, das Momentum auf einer Show verzeiht ja einiges. Aber wenn man sich das dann so anhören muss, fragt man sich schon, was die Band sich dabei gedacht hat, das zu veröffentlichen. Auch sonst wird immer wieder in Gejamme abgedriftet, was eigentlich schon im Proberaum nervt. Muss „Rückenwind“ wirklich über sieben Minuten gehen? Dann gibt es noch ein Feature mit Ferris MC, dessen Totalausfall von Album ja auch von Sebastian Madsen produziert wurde. Ob man Live-Alben braucht, muss jeder selbst entscheiden. „Lichtjahre“ braucht man eher nicht. (Arising Empire) Sebastian Koll

MARCH Set Loose

Das Quartett veröffentlicht mit „Set Loose“ sein zweites Album, das mit „On high heat“ einen kratzigen Hard-Rock’n’Roll-Start hinlegt, bei dem sich Sängerin Fleur van Zuilen direkt kräftig ins Zeug legt. Diese Mischung aus Rohheit und Verletzlichkeit wird bei den Folgetracks „Challenger“, „She’s a hurricane“ oder „Evil kicks“ erfolgreich fortgesetzt. Auch im Laufe der restlichen Lieder erinnern die Niederländer*innen mehr als nur einmal an THE DISTILLERS. Man mag sogar fast behaupten MARCH seien die frechen, hedonistischen Punk’n’Roll-Geschwister von THE DONNAS oder HOLE, deren Wut sich stellenweise auch als Melodic Hardcore entlädt („Born a snake“). Textlich

lässt sich die Band aus Breda mit PETROL GIRLS und BAD COP/BAD COP vergleichen. Sprich: feministisch und antipatriarchalisch. Laut Eigenaussage der Band sollte ihr Sound mit seinem aggressiven Flair und melodischen sowie optimistischen Untertönen am besten laut serviert werden. Recht haben die vier! „Set Loose“ ist ein kleines, feines, unerwartet frisches Album, das zwischen soften und härteren Fat Wreck-Tönen geschmeidig pendelt. Das Beste dabei ist, dass das Ganze sehr intuitiv, authentisch und erfreulich rüberkommt. Nicht denken, punkrocken! (Uncle M) Marcus Buhl

MASS HYSTERIA

Best Of + Live At Hellfest Dass MASS HYSTERIA in Frankreich ein Riesending sind, ist spätestens seit dem Live-Video vom Hellfest 2019 klar. Mit einer unfassbar druckvollen Produktion und eingängigem Metalsound dominieren die fünf Musiker die Bühne des größten Metal-Festivals in Frankreich. Die französischen Texte mögen für einige im ersten Moment ein Hindernis darstellen, ändern aber nichts an den Instrumentals, die zwischen tanzbarem Nu Metal, knackigem Alternative und dezenter Metalcore-Note liegen. Kurz und knapp, die Musik von MASS HYSTERIA ist wirklich catchy und dass sie nicht über die französischen Grenzen hinaus bekannt sind, kann eigentlich nur an der Sprache liegen. Zwischen den hier dokumentierten Auftritten von 2013 und 2019 liegen in Sachen Produktion Welten, doch auch damals schienen MASS HYSTERIA ihr Publikum schon begeistert zu haben. Neben einer DVD und einer Live-CD enthält die Box noch zwei CDs mit ihren Greatest Hits, die beim ersten Hören auch tatsächlich wie Hits klingen. Vielleicht wissen MASS HYSTERIA einfach, wie man gute, eingängige Metal-Songs schreibt. Titel wie „L’enfer des dieux“, „Vae soli!“,

swellcreekrecords.bandcamp.com Debut Album by the MIOZÄN follow-up, featuring Johnny from GLORYFUL on vocals. 11 hardhitting songs combining classic hardcore with tons of harmonies and a slight traditional metal blend. This is the birth of SWORDCORE!!!

@ashreturnhc

KINGSMEN

CD + DIGITAL SWELL CREEK RECORDS VINYL DEDICATION RECORDS

RELEASE: 01.05.20

„Mein Herz“ feat. Matzo von TLUF

MADSEN

Lichtjahre (Live) Über den Sinn von Live-Alben kann man streiten, vor allem zu Zeiten, da es gang und gäbe ist, dass Bands ihre Touren und Live-Konzerte bei Videoplattformen und Social Media-Auftritten dokumentieren und weiter verwerten. Nun gibt es also ein Live-Album von MADSEN. Ich muss zugeben: Das letzte Mal, dass ich die Band live gesehen

@newhaterising

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„L’antre ciel ether“ oder etwa „Furia“ bleiben einem im Kopf und glänzen mit einem abwechslungsreichen, treibenden Sound und eingängigen Refrains. Darüber hinaus arbeiten MASS HYSTERIA mit Synthesizern, die den Tracks einen durchweg modernen Sound verpassen und den Riffs die nötige Power geben. Wer die Musik von Nu-Metal-Größen wie KORN, LIMP BIZKIT und SLIPKNOT liebt, wird mit MASS HYSTERIA eine gewisse Nostalgie verbinden, wobei das aber aufgrund der ungewohnten Sprache irgendwie frisch und neu klingt. Wer mit der Band noch nicht vertraut ist, findet dank dem „Best Of“ leicht Zugang und bekommt auf einen Schlag alle Hits aus über 25 Jahren Bandgeschichte präsentiert. Fast schon gruselig, dass man die Band in all der Zeit in Deutschland nahezu nicht wahrgenommen hat. (Out Of Line) Rodney Fuchs

MASTER BOOT RECORD Floppy Disk Overdrive

Mario Kart meets Speed Metal – oder so ähnlich. Was Victor Love, unter anderem auch Frontmann bei den Synth-Metallern DOPE STARS INC., da auf seinem neuen Werk veranstaltet, ist schon verdammt ausgefallen und flippig. Der Italiener mit der großen Leidenschaft für kultige Videospiele verfolgte dabei einen fast schon revolutionären Ansatz. Denn den Großteil des Kompositionsprozesses konnten die Fans im YouTube-Livestream mitverfolgen. Und das, was Love da am heimischen Laptop und Synthesizer in laut eigener Auskunft nur fünfzig Stunden zusammengeschraubt hat, dürfte nun so ziemlich der größte Alptraum aller Traditionalisten sein: programmierte Drums, flirrendes Geklimper, brazelnde Synthetik-Sounds. In Zeiten von BABYMETAL, BRING ME THE HORIZON und Co. also definitiv die nächste bittere Pille für alle, die noch den „echten“ Metal verehren. Hat sich der

Hörer aber einmal darauf eingelassen, macht „Floppy Disk Overdrive“ echt verdammt viel Spaß. So pendelt beispielsweise „Edit.Com“ zwischen barockem Cembalo-Geklimper und rasendem Thrash, „Chkdsk.Exe“ ist gewissermaßen eine SymphonicMetal-Hymne im Midi-Gewand – und der Opener „Ansi.Sys“ einfach nur ein richtig griffiger Banger. Spannend ist natürlich die Frage, ob es Love gelingt, sein Projekt wie angekündigt mit Unterstützung diverser Live-Musiker überzeugend auf die Bühne zu bringen. Bis dahin dürfte aber auch vor der heimischen Anlage noch der eine oder andere amtlich ausrasten. (Metal Blade) Anton Kostudis

MODERN RITUALS This Is The History

MODERN RITUALS geben wirklich einen Dreck darauf, ob du sie magst oder nicht, anders lässt sich ein so gewollt schräger und unzugänglicher Brocken wie „This Is The History“ nicht erklären. Allerdings kommt man aber auch zu dem Schluss, dass angesichts dieser Haltung durchaus Faszination entstehen kann. So wie wenn man sich in eine Person verguckt, die einen immer nur wie Dreck behandelt – soll ja schon vorgekommen sein. Und genauso steckt dahinter sich nicht grundsätzlich Masochismus, wenn man sich auf die Sache einlässt, sondern eben Faszination. Zugegebenermaßen beschränken sich die Momente, in denen MODERN RITUALS einem die Hand reichen, wirklich auf ein Minimum, aber umso mehr wirken diese geschickt platzieren Lichtblicke und die Musik vermag einen festzuhalten. So wie im zweiten Track „The bull never wins“, wenn in all dem Lärm plötzlich kurz Streicher einsetzen, die etwas aufleuchten lassen, obwohl sie nicht mal im Entferntesten in Dur spielen. In diesem Moment kommt der Sound dann auch maximal angepissten CURSIVE besonders nahe. Denn natürlich sind MODERN RITUALS nicht die Ersten, die diesen Sound fahren. Noise-Bands wie UNSANE haben immer genügend Mitstreiter und Nachahmer gefunden. Die Konsequenz, mit der diese Band zu Werke geht, ist allerdings definitiv herausstechend. Hit me! (Holy Roar) Christian Biehl

NEW HATE RISING Miles

Die Band aus Stendal hat sich melodischen Hardcore (Achtung, nicht Melodic Hardcore) auf die Fahnen geschrieben, und das schon seit 13 Jahren und vier Alben. Bei „Miles“ entschied man sich, sich selbst um die Aufnahmen zu kümmern, was aber keine negativen Auswirkungen auf den Sound hat, es hat der Band eher mehr Zeit gegeben, an den Songs zu arbeiten. Ein Manko hat die Band, wenn man das denn als Manko sehen will: Man hört deutlich, dass Englisch nicht ihre Muttersprache ist, und das liegt nicht an dem einen deutschsprachigen Song, „Mein Herz“, der übrigens mit Unterstützung des TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDENSängers entstand. „Black and white“ ist jedoch so ein Beispiel für den starken deutschen Akzent. Schlimm ist das jetzt nicht, nur eben nicht zu überhören. Ins-

gesamt bekommt man auf „Miles“ viele Singalongs, Crewshouts und „Woohoos“, die überall eingestreut werden, wo es nur geht. Ob das aber für mehr als den Support- oder Nachmittagsslot mittelgroßer Festivals reicht, sei mal dahingestellt. Attestieren kann man der Band aber durchaus, mit Herzblut dabei zu sein und ihr Ding durchzuziehen. (Swell Creek) Dennis Müller

THE OBLYVION Amygdala

Was zur Hölle?! Wollt ihr mal ein Debütalbum hören, das so ganz und gar nicht nach Debütalbum klingt? THE OBLYVION liefern hier mit „Amygdala“ einen echten Kracher ab. Ja, natürlich sind hier erfahrene Musiker am Werk, aber nicht jeder gute Musiker kann gleich ein so technisch komplexes und atmosphärisch dichtes Werk vorweisen. Das Quintett um Sänger Attila Erdélyi macht alles richtig. Klare Songstrukturen, knallharte Riffs und melodiöse Passagen wurden zu einem spannenden Gesamtwerk verschweißt. Eine extrem gute Produktion und ein gelungenes Artwork runden das positive Bild noch ab. Hier wird sich auf das Handwerk konzentriert anstatt Klischees zu bedienen. Das hier ist moderner Melodic Death Metal, wie er 2020 klingen sollte. THE OBLYVION sind hierbei weitaus mehr der britischen Death-Metal-Schule zugewandt, als sich an den Vorbildern aus Skandinavien zu orientieren. Nach einem epischen Intro bekommt man sofort die aktuelle Single „Praying mantis“ präsentiert, die schon im Vorfeld für Furore gesorgt hatte. THE OBLYVION hatten in den vergangen drei Jahren bereits die auf „Amygdala“ enthaltenen Songs „New Messiah“, „Helios“, „Hollow crown“ und „Losing gravity“ veröffentlicht, die man allesamt als Anspieltipps empfehlen kann. Wer VILDHJARTA oder BLEED FROM WITHIN mag, wird an THE OBLYVION nicht vorbeikommen. Saustarkes Debüt! (Cargo) Carsten Jung

OCEAN GROVE Flip Phone Fantasy

Ein Album kohärent und trotzdem abwechslungsreich klingen zu lassen – nicht gerade einfach, aber OCEAN GROVE ist dies mit „Flip Phone Fantasy“ definitiv gelungen. Frontmann Dale Tanner sagt selbst, die Platte solle sowohl in HipHop- als auch Rock-Playlisten passen. Anstatt die verschiedenen Genres dabei einfach nur bunt in der Tracklist zu mischen, sind sie in eine interessante und vor allem gut funktionierende Reihenfolge eingebettet. In Track 5, „Thousand golden people“, beispielsweise wird raumfüllender Gesang mit einem elektronischen Metal-Riff kombiniert, das dich in andere Dimensionen schmettert. Darauf folgt „Guys from the gord“, das D’n’B/HipHop-Elemente und Megafon-Vocal-Effekte vereint, um dann bei „Shimmer“, einer sonnig bekömmlichen Alternative-Nummer, langsam zur Ruhe zu kommen und letztlich mit „Baby cobra“einen träumerischen, überwiegend akustischen Track mit hauchigen Vocals serviert zu bekommen. Irgendwie bizarr, diese Bands in einem Satz zu nennen, aber ich höre NORTHLANE,

SKRILLEX, THE KILLERS und NEW RADICALS raus. Was aber „Flip Phone Fantasy“ in seiner Gänze wohl am besten beschreibt, ist die erkennbare Liebe zu rotziger, kantiger Nostalgie à la LIMP BIZKIT, die mit einer zukunftsweisenden, fast schon glossy wirkenden Coolness versehen ist. Was bei sehr viel bekannteren Konkurrenten oft nach Ausprobieren klingt, ist hier ganz klar Können. Unwahrscheinlich hochwertige Platte. (UNFD) Jonas Unden

ON THORNS I LAY Threnos

Als Death-Doom-Band gestartet, probierten sich die Griechen ON THORNS I LAY bereits in so mancher musikalischen Richtung, irrlichterten sogar im Alternative Rock umher. Mit dem letzten Album „Aegean Sorrow“ kehrte man wieder zurück zum Ursprung. Das bedeutet tonnenschwere Riffs und bittersüße Melodien. Von Dan Swanö toll in Szene gesetzt, sorgen sie über eine Dreiviertelstunde lang für gute Unterhaltung — und das in einem Genre, das im ersten Moment nicht unbedingt dafür steht. Durch die ständigen Stilwechsel in der Vergangenheit hatten sie die gute Startposition, die man sich mit den ersten paar Alben erspielen konnte, erst einmal verloren. Nun scheinen sie jedoch in Windeseile wieder an die Front eilen zu wollen, auch wenn diese noch einige Meter weit entfernt ist. „Threnos“ ist dabei ein zufriedenstellendes Werk geworden, das in sich geschlossen wirkt und sich auf die Grundtugenden des Genres besinnt. Bleibt abzuwarten, ob diese auch 2020 noch verfangen, angesichts von tollen Liedern wie „The song of sirens“ oder „Odysseia“. Zu wünschen wäre es, denn diese Qualität sollte sich durchsetzen! (Lifeforce) Manuel Stein

THE ORCHARDS Lovecore

Wie klingt es eigentlich, wenn versierte Musiker auch mal gute Laune haben und Bock auf Popmusik, die trotz der gehobenen Stimmung aber auch nicht platt daherkommt? Fragen wir doch mal THE ORCHARDS aus Brighton! Und die so: „Das klingt wie unser Album ‚Lovecore‘!“ Und wir so: „Stimmt!“ Und alle so: „Yeah, lasst tanzen!“ Tatsächlich könnte nicht nur dieses Gespräch so stattfinden, auch die anschließende Party könnte ein voller Erfolg werden. Die Engländer unterlegen zwar die wirklich famose Stimme von Sängerin Lucy Evers mit Rhythmen, die alles können, nur nicht geradeaus laufen, und Gitarren, die auch einer Math-Rock-Band gut zu Gesicht stehen würden, trotzdem will nicht der Verdacht aufkommen, dass sich an irgendeiner Stelle der Kopf gegen das Bauchgefühl durchgesetzt hat. Hier besitzt wirklich durchweg alles Klasse und Geschmack. Alleine mit dem karibischen Feeling muss man sich anfreunden können, das in dieser Mixtur entsteht. Tatsächlich kann man die Gitarren stellenweise mit Steeldrums verwechseln. Die Frage aber, ob einem das vielleicht nicht gefällt, stellt sich ungefähr genauso wenig wie die, ob man Lust auf gute Laune hat. (Big Scary Monsters) Christian Biehl

PABLO MATISSE Human Warmth

Schade, erst dachte ich, „Human Warmth“ wäre der Bandname. Ansonsten ist auf der Seven Inch alles perfekt. Die Texte sind mal süß, da buchstabiert ein Chor das Wort Love, mal pubertär-punkig in „Buggin’ out“: „I’m getting the fuck out of here“. Tiefschürfender wird’s nicht, muss aber auch nicht sein. Drumherum ist auch alles geil DIY-verpackt und designt. Sowieso: Seven Inch! Wer macht das noch? Nur Pluspunkte. Aber dann covert die Band „I follow you into the dark“ von DEATH CAB FOR CUTIE. Das fühlt sich falsch an. Die eigenen Songs sind so viel besser als das langweilige Cover. Davon abgesehen: alles perfekt! (Startracks) Tilman Zick

PARKWAY DRIVE Viva The Underdogs

Band-Dokus gibt es mittlerweile wie vegane Brunchbuffets in Berlin-Prenzlauer Berg. Warum Fans des gepflegten Metalcore trotzdem einen so gro-

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Republyk Vort'n Vis & Genet records present:

ßen Wirbel um den neuen Film von PARKWAY DRIVE machen, kann deshalb vielen nur ein Rätsel sein. Kurze Erklärung: Die fünf Australier schaffen es in „Viva The Underdogs“ mit reichlich Humor und Pyrotechnik auf ganzer Linie zu emotionalisieren und den Zuschauer mit in ihre Welt zu holen. Doch konzentrieren wir uns hier auf das dazugehörige Album. Während andere Bands so was lediglich nutzen, um Konzertmitschnitte in halbwegs akzeptabler Tonqualität zu einem einigermaßen verkäuflichen Produkt zu verkleistern, liefern PARKWAY DRIVE ein packendes Gesamtwerk, das den Spirit von Wacken direkt auf die heimische Couch transportiert. Okay, das war eventuell etwas zu hochgegriffen, allerdings bietet „Viva The Underdogs“ alles, was ein gutes LiveAlbum benötigt: musikalische Klassiker in brillanter Soundqualität, geniale Stimmung und – Trommelwirbel – Bonustracks. Auf dem Album finden sich „Vice grip“- und „The void“-Versionen auf Deutsch – gewöhnungsbedürftig, aber dennoch eine beeindruckende sprachliche und gesangliche Leistung von Winston McCall – und „Shadow boxing“ mit Casper, der mit auflockernden Rap-Passagen und ungezügelten Screams seiner Hardcore-Vergangenheit in vollem Maße gerecht wird. Alles in allem ist „Viva The Underdogs“ ein gelungenes Gesamtkonzept, das neben Live-Aufnahmen auch mit einzigartigen Bonustracks lockt. (Epitaph) Philip Zimmermann

PEARS Pears

Es gibt sie tatsächlich noch: Alben, die wirklich was mit einem machen. Ungefähr dreißig Minuten nachdem man den Play-Button auf der Plattform seiner Wahl gedrückt hat, wirft einen „Pears“, das selbstbetitelte, dritte Album der Band aus New Orleans, wie nach einer wilden Achterbahnfahrt gnadenlos zurück auf die Straße und hinterlässt einen mit schwindeligem Kopf und klingelnden Ohren. So viel ist in der Zeit bis dahin passiert, dass es bei anderen Bands vermutlich für drei Alben gereicht hätte. Nicht so PEARS, die ein Band gewordener Quell menschlicher Kreativität zu sein scheinen, und in jeden einzelnen ihrer 14 kurzen, aber umso explosiveren Songs ungefähr jede Zutat kippen, die ein guter Punk- oder Hardcore-Song braucht: Wahrhaft schwindelerregendes Tempo, Singalongs, Härte, Melodie, Ohrwurm-Refrains und ein schier unnormaler Abwechslungsreichtum, der seinesgleichen sucht. Manchmal erinnert das in seiner Konsequenz an A WILHELM SCREAM, die eine ähnliche technische Versiertheit an den Tag legen – wobei es PEARS meiner Meinung nach noch besser gelingt, im richtigen Moment den Song nicht zu vergessen und die Kurve zurück zur Catchiness zu kriegen, bevor alles unter einem Wust von Riffs zusammenbricht. Wunderbar, dass es immer wieder Bands gibt, die diese Art von Alben schreiben. (Fat Wreck) David Schumann

POLARIS

The Death Of Me Es ist schon interessant: Wenn man etwas Neues von POLARIS hört, denkt man im ersten Moment sofort, dass man das Lied schon seit Ewigkeiten kennt. Von COMEBACK KID zum Beispiel oder irgendwie so ähnlich schon auf einer CoreParty gehört hat, und recherchiert nach, welches alte Schätzchen man da tatsächlich noch nicht kannte. Aber dann, in zweiter Instanz, merkt man: Man kennt das Lied eigentlich noch nicht seit Ewigkeiten, weil es gerade erst ganz frisch auf den Markt losgelassen wurde. Und da wären wir bei POLARIS. Hier gibt es irgendwie noch Core in Reinform. Rauhe Riffs und Vocals aus oldschooligerem Hardcore-Punk treffen auf die ausgedehnteren Songstrukturen des Metalcore – und dazwischen gibt es post-hardcorigen Klargesang, damit der Weltschmerz noch intensiver hinausgetragen werden kann. Keine experimentellen Einflüsse, keine Extreme – POLARIS machen einfach authentischen Oldschool-Core im modernen Gewand. Und das dürfte ein Grund sein, weshalb diese Band aktuell so verdammt erfolgreich ist. Außerdem interes-

sant: Bei den vorab ausgekoppelten Singles „Hypermania“, „Masochist“ und „Landmine“ gibt es im YouTube-Infotext sogar die Lyrics mit dazu. Okay, und dann die Instagram-Accounts jedes einzelnen Bandmitglieds ... Man ist ja schließlich auch modern und nicht nur oldschool. (SharpTone) Jenny Josefine Schulz

RADIO HAVANNA Veto

Nachts in der Kneipe sitzen, vielleicht schon das eine oder andere Bier intus haben und mit Freunden stundenlang über Gott und die Welt reden – eine Szenerie, für die RADIO HAVANNA mit ihrem neuen, siebten Album „Veto“ den geeigneten Soundtrack liefern. Darauf präsentiert das Quartett sein bewährtes Klangbild: treibenden deutschsprachigen Punkrock mit starkem poppigen Einschlag und mitgröltauglichen Refrains, wobei die Wahl-Berliner einmal mehr ein gutes Händchen für eingängige Melodien beweisen. Der textliche Kosmos der Platte beinhaltet Themen wie alte Zeiten, Aufwachsen in der Kleinstadt, Rebellion und Freundschaft, wobei über weite Strecken eine melancholische und nostalgische Note mitschwingt. Zudem liefert die Band in Songs wie „Freie Radikale“ wie gewohnt klare antifaschistische Statements ohne erhobenen Zeigefinger, die definitiv eine ihrer größten Stärken sind. Eine Schwäche des Albums offenbart sich hingegen vor allem in den weniger politischen Momenten: Dem Vierergespann gelingt es zwar, seine Messages sehr direkt auf den Punkt zu texten, jedoch verliert es sich dabei teilweise in Phrasendrescherei und Pathos (siehe „Krach“ oder „Herzschmerzsäufer“). Unterm Strich ist „Veto“ jedoch ein rundes RADIOHAVANNA-Album, das auch in einer anderen Szenerie bestens funktionieren wird: bei den Live-Shows der Band. (Dynamit) Linda Kasprzack

RED DEATH Sickness Divine

Es ist das dritte Album von RED DEATH und ein großer Schritt für die Band. Für ihr Genre, nämlich Crossover-Thrash, ist der Schritt nicht so groß, muss man erstens sagen, und zweitens, dass „Sickness Divine“ trotzdem richtig gut geworden ist. Das dritte Album gilt noch immer als Wegweiser, keine Ahnung, ob das den Hörgewohnheiten der alles durcheinander streamenden Fans noch entspricht. Bands nutzen die Gelegenheit jedenfalls gerne, sich übertrieben unter Druck zu setzen. RED DEATH wollen offensichtlich über den HardcoreUnderground von Washington, DC hinaus kommen – mit größerer Plattenfirma und größeren Gesten, wie dem halbakustischen, METALLICA-mäßigen Intro. Auch das Artwork ist jetzt mehrfarbig, sonst ändert sich nichts an der Herangehensweise, die sich auf METALLICA und CRO-MAGS zurückführen lässt, und je nach Song zudem auf D.R.I. oder C.O.C. Ein Sound, den man zur Zeit selbstverständlich von Arthur Rizk produzieren lässt. Das sieht nach dem Kalkül aus, die nächsten POWER TRIP zu installieren, und dagegen ist nichts einzuwenden, das Resultat kann begeistern. Vielfach spürt man dennoch, dass da noch Luft nach oben ist, etwa bei den Refrains, die bei POWER TRIP auf „Nightmare Logic“ meist besser zündeten. Ein hörenswertes Album und ein vielversprechender Wegweiser für RED DEATH ist „Sickness Divine“ trotzdem. (Century Media) Ingo Rieser

REVULSION

Enough To Bleed Mit REVULSION ist nicht gut Kirschen essen. Die Schotten gebärden sich auf ihrem Debüt wenig friedfertig, sondern äußert rabiat und heftig. Die Wahl der musikalischen Mittel fällt auf einen metallischen Hardcore, der gerne repetitiv voran gepeitscht wird und so eine beachtliche Durchschlagskraft entwickelt. Die zehn Stücke von „Enough To Bleed“ steigern die Unruhe auf Seiten der Hörer merklich. Das Quintett lässt wirklich nichts aus, um seiner Unzufriedenheit und Verbitterung brachial Ausdruck zu verleihen. REVULSION setzen entweder auf straffes Tempo und die Flucht nach vorne, oder – weitaus häufiger – auf schleppende Midtempo-Beatdown-Grooves, die

durch Mark und Bein gehen. Es ist beileibe nicht so, dass der Vollzeit-Einstand der Schotten einen unvorbereitet treffen oder Neuigkeitswert aufweisen würde. Doch all die Frustration und Aggression, die „Enough To Bleed“ zugrundeliegen, entladen sich so jäh und soundgewaltig, dass man gar nicht anders kann, als REVULSION gut zu finden. Der schottische Fünfer tourt gemeinhin mit MALEVOLENCE, VENOM PRISON, DEATHRITE und HOMEWRECKER. Wer die Platten von diesen Gruppen schätzt, ist hier gut aufgehoben. (BDHW) Arne Kupetz

3-4-5 July 2020 28th edition

IEPER HARDCORE FEST

DEREK SANDERS My Rock And Roll Heart

Zugegeben, das Konzept einer EP mit Coversongs wurde beinahe mit minimalem Aufwand umgesetzt. Zu der Stimme von MAYDAY PARADE-Sänger Derek Sanders gesellt sich im Grunde nur eine Akustikgitarre, auch wenn jeder Song im Studio noch mal behutsam angedickt wurde. Eine simple Sache also, aber eben auch ein Projekt, bei dem der Künstler sein Können wirklich unter Beweis stellen muss – und das sympathischer nicht sein könnte. Besonders nachdem Sanders derart geschmackssicher in der Emo-Historie wildert. Das Material von GOODBYE LOVE, SAVES THE DAY, JIMMY EAT WORLD, SOMETHING CORPORATE, THE JULIANA THEORY bietet genügend Highlights und Abwechslung. (Rise) Christian Biehl

SHELLZ

No More Love Songs Laut Pressetext sind SHELLZ der ganz heiße Scheiß, wenn man auf Bands wie A DAY TO REMEMBER und BEARTOOTH oder ALEXISONFIRE und ARCHITECTS steht. Okay, ich muss sagen, davon höre ich weder/noch raus, am ehesten vielleicht frühe ANNISOKAY, aber das ist ja erstmal nicht so schlimm. Gleich im ersten Track „Aurora“ wollen SHELLZ dann schon alles zeigen, was sie zu bieten haben: Das geklatschte, abgedämpfte Intro macht direkt neugierig. Dem folgt romantischpoppiger Klargesang im Refrain, Metalcore in der Strophe, dann noch eine Dubstep-Bridge mit RapPassage – man haut erstmal alles raus, was möglich ist. Aus besagten Stilelementen setzt sich auch der Rest des Albums zusammen, wobei der Dubstep manchmal auch süßlicherer Elektronik weicht. Das Ganze ist somit auf jeden Fall ein ziemlich einzigartiger Stilmix, der SHELLZ ihren Wiedererkennungswert garantieren dürfte. Mal macht es gut Stimmung und nimmt einen mit, mal ist es auch zu viel der Romantik. Bei „White angel“ möchte der weniger auf Liebe und Romantik gepolte Zuhörer nämlich langsam die Beine in die Hand nehmen. Aber mit dem titelgebenden letzten Song ist es dann wirklich vorbei mit den Liebesliedern. Bonus: Florent Salfati von LANDMVRKS ist bei einem Track zu Gast. Aber der wirkt in dieser Stilkonstellation doch etwas verloren. (Dead Serious) Jenny Josefine Schulz

Friday 3 July

ANTAGONIZE • ANXIOUS • COLDSTARE • ECOSTRIKE • MAGNITUDE • MARK MY WAY • ONE STEP CLOSER • WOLFPACK

Saturday 4 July

ADDITIONAL TIME • BIRDS IN ROW • The CURSE OF MILLHAVEN • DECONSECRATE • FIRST BLOOD • FLUSH • GATECREEPER • HER FAULT • LOATHE • LOUD LOVE • MARTYRDÖD • QUESTIONS • STREET SOLDIER • SUBZERO • WOLVENNEST

Sunday 5 July

THE SILENCED Orator

Groove Metal, Thrash Metal oder Mordern Metal? Auch bei diesem Debüt kann man sich mal wieder in unnötigen Genrebezeichnungen verlieren. Fakt ist, THE SILENCED haben mit „Orator“ ein fettes Metal-Album an den Start gebracht, das mal wieder zeigt, dass man das Rad nicht immer neu erfinden muss, um innovativen Sound zu kreieren. Eine Ähnlichkeit mit Szenegrößen wie MACHINE HEAD lässt sich sicherlich nicht verleugnen, allerdings wirkt hier nichts kopiert. THE SILENCED bringen frischen Wind in ein angestaubtes Genre. Zwischen harten und schnellen Metalriffs bleibt aber auch Zeit auszuruhen. Im Mittelfeld gibt es mit „Omnigma“ und „Metanoia“ zwei ruhigere Tracks, die einem Luft verschaffen für den zweiten, deutlich härteren Teil von „Orator“. Man darf gespannt sein, wie diverse Festival-Billings mit den fünf Jungs aus Finnland umgehen werden. Denn wenn THE SILENCED live ebenso viel Energie versprü-

ANIMAL CLUB • BYSTANDER • FRONTIERER • GET THE SHOT • MAINSTRIKE • RENOUNCED • SEKTOR • SKEMER • USE KNIFE • WHATEVER IT TAKES • YOUTH CODE + 2 more

www.ieperfest.com

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hen wie auf Platte, dann ist Abriss garantiert. Das ist einfach Mucke, die dazu anregt, die Faust in die Luft zu strecken und den Pit aufzumischen. (Out Of Line) Andreas Regler

SILVERSTEIN

A Beautiful Place To Drown Im letzten Jahr wurde noch eine Compilation namens „Redux“ mit Liedern der ersten zehn Jahre veröffentlicht, nun folgt pünktlich zum zwanzigjährigen Jubiläum das neue Album „A Beautiful Place To Drown“. In Zwölf Songs wird ein Feuerwerk der verschiedensten Facetten abgebrannt. Wenn man die Band fragt, sagen sie das Übliche und schon oft Gehörte: Es sei das beste Album, das sie je geschrieben haben. Die Sache ist, vermutlich ist das hier sogar die Wahrheit. Viele Bands, die zwanzig Jahre lang existieren, fahren sich entweder im Sound fest oder ändern ihn so sehr, dass sie sich gleich einen neuen Namen hätten geben können. Bei „A Beautiful Place To Drown“ spürt man nun neuen Tatendrang, ohne die erwähnten negativen Nebeneffekte: SILVERSTEIN-Sound, ohne in alten Riffs gefangen zu sein. Ein Feature mit der New Yorker Rapperin Princess Nokia zeigt, dass die Band experimentierfreudig war. Aber auch Gäste von BEARTOOTH, UNDEROATH, SIMPLE PLAN und INTERVALS kommen zu Wort. Der Track „Say yes“ vereint das Beste aus der Pop- und Rock-Welt und könnte, mit sehr viel Fantasie, auch von Taylor Swift gesungen werden. Ein Satz der im Fuze Magazine normalerweise toxisch wäre, allerdings gelingt SILVERSTEIN mit dem Lied ein wahnsinnig guter PopPunk-Song, ohne zu poppig zu werden. Vielleicht ist es wirklich das beste SILVERSTEIN-Album, aber das muss jede und jeder selbst für sich entscheiden. (UNFD) Joscha Häring

SPARTA

Trust The River Dafür, dass das neue Werk v o n S PA RTA i m G r u n d e eine Sensation ist, immerhin erscheint es 14 Jahre nach dem letzten Album, kommt es tatsächlich überaus unaufgeregt daher. Wer das Schaffen von Mastermind Jim Ward in den letzten Jahren verfolgt hat, den sollte diese Tatsache allerdings nicht überraschen. Dass er das Streben nach Geld und oberflächlichem Erfolg mittlerweile aufgegeben hat, wurde spätestens dann noch mal unterstrichen, als er nicht Teil des Reunion-Lineups von AT THE DRIVE-IN sein wollte, was vielen noch mal deutlich machte, dass deren kreativer Kern in der Vergangenheit eben nicht nur aus Cedric Bixler-Zavala und Omar Rodríguez-López bestand. Die Basis des neuen SPARTA-Sounds ist zwar immer wieder Post-Hardcore, allerdings klingt dieser weit weniger drängelnd und angespannt. Ab und zu erinnert er auch an SLEEPRCAR, eines von Wards (Solo-)Projekten. Es sind die leiseren

Momente, die im Fluss des Albums für Abwechslung sorgen, wie das stimmungsvolle „Spirit away“ mit weiblichen Gastgesang oder die Klavierballade „Dead end signs“. Tolle Rock-Songs kann Ward aber auch nach wie vor, vorneweg die Singles „Believe“ und „Empty houses“, aber auch das einprägsame „Turquoise dream“. Wer nicht die direkten Nachfolger von „Cut your ribbon“ oder „Taking back control“ erwartet, wird mit „Trust The River“ absolut glücklich. (Dine Alone) Christian Biehl

THE SUICIDE MACHINES Revolution Spring

THE SUICIDE MACHINES aus Detroit sind wohl eine der wegweisendsten Bands, wenn es um die Verschmelzung von roughem Punkrock, tanzbarem Ska, poppigen Melodien und harten Riffs geht. Nachdem die Band zwischen 1991 und 2005 insgesamt sechs Studioalben veröffentlichte, folgte erstmal eine lange Durchstrecke für ihre Fans. Zwischenzeitlich löste sich die Band sogar auf, nur um jetzt, 15 Jahre nach ihrem letzten Werk, neues Material zu veröffentlichen. Bei „Revolution Spring“, das von LESS THAN JAKE-Bassist Roger Lima produziert wurde, besinnt sich die Band auf ihre musikalischen Wurzeln und liefert zudem eine größtenteils autobiografisch Album. Sänger Navarro verarbeitet dabei, wer er war, wer er nun ist und wie er dorthin gelangte. „Revolution Spring“ ist wohl kein Album, das unzählige neue Fans für THE SUICIDE MACHINES begeistern wird, aber dennoch ein nettes Geschenk für all jene ist, die der Band über die Jahre die Treue gehalten haben. (Fat Wreck) Christian Heinemann

SVETLANAS Disco Sucks

Ja, gut. Dass Disco scheiße ist, ist ja nix Neues. Aber das Thema Disco ist ja eh seit Minimum zehn Jahren durch, oder? Als Feindbild taugt das doch nicht mehr. Aber egal, die SVETLANAS bieten wie immer ihren schnellen Punkrock, seit zwei Jahren mit Nick Olivieri am Bass. Das hier klingt stark nach Achtziger-Einfluss, als hätte Nina Hagen weiter Punk gemacht. Man braucht schon ein Faible für schrammligen Garage-Punk, dann bekommt man aber wahrscheinlich kaum etwas Besseres als die SVETLANAS. (Demons Run Amok) Sebastian Koll

TENSIDE

Glamour & Gloom Ja, auch in München geht was. Das weiß der (zugegebenermaßen bajuwarische) Rezensent nicht erst seit den EMIL BULLS oder BLACKOUT PROBLEMS. Auch die Jungs von TENSIDE sind bereits seit 2004 am Start und schaffen es, kontinuierlich hochwertigen modernen Metal unters Volk zu bringen. Das oftmals etwas lästige Label Metalcore möchte sich die Truppe nicht zu eigen machen, was auf „Glamour & Gloom“ durch den nur vereinzelt eingesetzten Klargesang sowie eine auch eher klas-

sische Metal Rhythmik auch gut gelingt. Durch die exzellente und zugleich hochmelodische Riffarbeit bleiben die Songs trotzdem schnell im Ohr, die abermals gute Leistung von Stammproduzent Christoph von EMIL BULLS sorgt für ordentlich Druck auf dem Kessel. Ausfälle gibt es so gut wie keine, Songs wie „The devil within“ oder auch das düstere „All black everything“ zeigen das diesmal wirklich auf den Punkt gebrachte enorme Potenzial der Band. Ein fantastisches Album, mit dem TENSIDE hoffentlich endlich der Sprung nach ganz oben gelingt. Zu wünschen wäre es ihnen jedenfalls, denn neben zahlreichen Hits findet man hier auch das gereifte Selbstverständnis einer Band, die sich aus eigener Kraft nach oben gearbeitet hat und mit diesem Album zu Recht ihren Platz am Tisch einfordert. (Ivorytower) Philipp Sigl

TESTAMENT

Titans Of Creation Seit mehr fast 35 Jahre n a k ti v, g e höre n T E STAMENT zum Besten was Bay-Area-Thrash zu bieten hat – nimmt man eine Schwächephase Mitte der Neunziger aus. Gerade die letzten drei Werke sehen viele Fans auf Augenhöhe mit den stilprägenden Frühwerken der Kalifornier und auch das zwölfte Studioalbum reiht sich hier ein. Technisch herausragend und bestens aufgelegt präsentieren Chuck Billy und seine Mitmusiker zwölf Thrash-Granaten. Vom treibenden „Children of the next level“ über das ausladende „City of angels“ und das vertrackte „Symptoms“ bis hin zum rasenden „False prophets“ – hier wird jede Genrequalität abgehakt. Will man an „Titans Of Creation“ überhaupt einen negativen Aspekt finden, so dass das Album mit seinen 59 Minuten recht lang geraten ist und den Hörer dabei kaum Ruhepausen gönnt. Immer setzt irgendwo jemand zu einem spektakulären Gitarrensolo oder einem ungewöhnlichen Drumfill an. Wenn man sich darüber beschweren kann, dass man zu viel gute Musik auf einmal bekommt, dann kann man dies hier tun. TESTAMENT ist es aber auch dieses Mal wieder vortrefflich gelungen, moderne und traditionelle Stile perfekt miteinander zu verbinden. Ein weiterer Beweis dafür, dass man trotz höheren Alters nicht milde werden muss! (Nuclear Blast) Manuel Stein

THICK

5 Years Behind THICK sind definitiv die Art von Band, die den aktuellen Zeitgeist genau trifft: Indie-Punk-Sound mit einer gewissen rotzigen Attitüde. Dabei setzt das Trio vor allem auf eingängige Melodien, angeführt von der Gitarre und tatkräftig unterstützt von Bass und Schlagzeug. Komplementiert wird diese Eingängigkeit dabei durch die Gang-Vocals, auf die die drei Frauen nicht selten zurückgreifen. Textlich setzt „5 Years Behind“ dabei vor allem auf Politik und behandelt die Probleme einer Post-#MeTooWelt, die leider nach wie vor angesprochen werden müssen. Thema sind hier vor allem konser-

vative Erwartungen an Menschen, die als Frauen gelesen werden, aber auch Mansplaining und Fake News. All dies macht das neue Album des New Yorker Trios inhaltlich zu einer wichtigen Platte, die gut ins Ohr geht. Kritisieren lässt sich hier einzig, dass sie sich mit dem Album aktuell nicht von der Masse an ähnlichen Bands abheben. Dennoch ist „5 Years Behind“ ein wirklich gelungener Start für THICK und macht Lust darauf, mehr von der Band zu hören. (Epitaph) Christian Heinemann

WOLFPACK A.D.

Auch in Frankreich gibt’s Keule! WOLFPACK machen auf ihrer neuen EP keine Gefangenen und bespielen den dunklen, industrialgeschwängerten Boden, den Bands wie CODE ORANGE, HARM’S WAY oder hierzulande auch DAGGER THREAT seit geraumer Zeit erfolgreich beackern. Die Produktion drückt gewaltig, die fantastische Riffarbeit sowie die intelligenten Arrangements sorgen für stetige Abwechslung und heben die Band deutlich hervor. Wer sich im metallischen Hardcore dann auch noch selbstbewusst traut, mit atmosphärischem Cleangesang die knackige Viertelstunde hier zu beenden, hat aus meiner Sicht alles richtig gemacht. (BDHW) Philipp Sigl

XILE

I Am Your God Die „Grafton EP“ der Neuseeländer erschien 2016. Angesichts des Tourprogramms, das XILE in den letzten Jahren abgerissen haben, ist es wirklich erstaunlich, dass es zwischenzeitlich keine neuen Songs und keine weitere Veröffentlichung gegeben hat. Vielleicht ja auch gerade deshalb. „I Am Your God“ markiert nun ein massives und gewaltiges Debüt. Das Quintett arbeitet seine Trademarks noch klarer heraus, so dass die Mischung aus Death Metal und europäischem Beatdown ihre unheilvolle Wirkung entfalten kann. XILE selbst sprechen von einem „Kiwi Hardstyle“, der bei genauerem Hinsehen auf purem Willen und unbändiger Kraft basiert. Die zweite Veröffentlichung der Neuseeländer ist in den SledgeHammer Studios Brisbane mit Sean Delander von THY ART IS MURDER entstanden, der sich mit Metal-Hardcore bestens auskennt und diesen in Szene zu setzen weiß. „I Am Your God“ wirkt nicht nur dem Titel nach selbstbewusst. Den brachialen Tracks von XILE liegt ebenfalls eine Mischung aus Großspurigkeit und einem gewachsenen Anspruchsdenken zugrunde. Das kommt aber nicht von ungefähr. Die Musiker aus Grafton haben ihre Hausaufgaben erledigt und liefern zwingende, toughe Songs ab, die ihren Zweck erfüllen und exakt das widerspiegeln, was die Neuseeländer auch in ihrem ganzen Auftreten repräsentieren. Passt. (BDHW) Arne Kupetz

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Foto: Karo Schäfer (cateyephotography.com)

IMPERICON Festival HAPPY BIRTHDAY! Zum zehnten Mal stehen nun die Impericon Festivals an. Diese Gelegenheit haben wir genutzt um mit Marcel, der dort verantwortlich ist für die Projektleitung des Marketings aller Impericon Festivals, einmal einen Rückblick auf diese Events zu werfen so wie einen kleinen Ausblick in die Zukunft zu wagen.

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ie IMPERICON Festivals stehen jetzt im April wieder an, mit welchen Gefühlen geht man als Verantwortlicher an solche Events ran? Wie geht es euch bei der Vorbereitung? Die Festivals werden intern bei uns organisiert. Das heißt, dass wir ohne eine externe Veranstaltungsagentur hinter den Kulissen arbeiten, was bei der Größe der Veranstaltungen schon etwas Besonderes ist. Aber wir gehen ja bereits das zehnte Mal in diese Vorbereitungen und haben über all die Jahre auch schon eine gewisse Routine gesammelt. Herausfordernd ist es dennoch, weil jedes Jahr auch neue Ideen, Auflagen oder Probleme auf uns zukommen. Aber so wird es wenigstens nie langweilig, haha! Es steht ja das große Zehn-Jahres Jubiläum an. Ist das für euch etwas besonderes? Wie feiert ihr diesen Anlass intern und auf dem Festival? Wenn man bedenkt, dass das Festival am Anfang eine Marketingmaßnahme für den Namenswechsel von „Imperial Clothing“ zu „Impericon“ war, ist der Sprung zu heute natürlich etwas ganz Besonderes. Mittlerweile ist die Veranstaltung zu einem international angesehenen Indoor Festival geworden und das wollen wir super gern mit den Leuten feiern. Wir nehmen uns intern ehrlich gesagt gerade nicht die Zeit, die Korken knallen zu lassen, sondern wollen, dass die Besucher den Tag wie einen „echten Geburtstag“ erleben. Dazu stecken wir und unsere tollen Partner von Kingstar, In Move, Monster Energy, ESP, Urban Classics und Radio BoB! gemeinsam viel Arbeit in die Vorbereitungen. Welche Aktionen die Besucher dann genau erwarten, bleibt aber noch geheim. Lasst euch überraschen! Magst du mir vielleicht kurz sagen, ob du in den zehn Jahren bislang ein Highlight auf den Impericon Festivals hattest? Was war dein „Magic Moment“, auf den du immer gern zurückschaust? Sich auf einen Moment festzulegen, ist wirklich unfassbar schwierig, weil es wirklich viele tolle gab. Aber ganz besonders war für mich der Umzug vom Agra Messepark in die große Leipziger Messe. Das erste Mal die riesige Halle leer zu sehen und sich vorzustellen, dass hier bald über 10.000 Menschen zu PARKWAY DRIVE abge-

hen werden - an den Moment werde ich mich immer erinnern! Wenn ich mir die Line-Ups der letzten Jahre so anschaue, so haben euch ja viele Bands schon seit vielen Jahren begleitet, und ihr habt miterlebt, wie sie zum Teil zu den erfolgreichsten Bands ihres Genres wurden. Ich denke da an Bands wie PARKWAY DRIVE oder ARCHITECTS. Wie fühlt sich das für euch an, auf gewisse Weise Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein und mit diesen Bands gewachsen zu sein? Wir haben eine super enge Bindung zu fast jeder Band, die wir für die Festivals buchen. Man kann sich allgemein die Veranstaltung wie ein großes Familientreffen der Szene vorstellen. Wir verfolgen die Entwicklung dieser Acts natürlich dazwischen ganz genau und es freut uns sehr, wenn sie durch ihre Energie größer werden und es schaffen, auch abseits unseres Festivals riesige Bühnen zu bespielen. Hoffentlich können wir noch viele weitere dieser Erfolgsgeschichten begleiten. Es heißt ja, es würde keine oder nur noch wenige „richtige“ Headliner geben. Wie seht ihr das? Welche Bands habt ihr auf dem Schirm, die diese Position auf kommenden Impericon Festivals füllen können? Diesem Statement möchte ich ein bisschen die Luft raus lassen. Es gibt unfassbar starke Bands und die Szene ist wieder am Wachsen. Hier eine Gruppe heraus zu nehmen ist echt schwer. Das Publikum verlangt natürlich immer klangvolle Namen als Headliner, was die Arbeit nicht unbedingt einfacher macht. Wir freuen uns aber, dass wir mit AS I LAY DYING einen echt starken Headliner für unseren Geburtstag gefunden haben. Wenn du dir ein Traum-Lineup für das nächste Impericon Festival zusammenstellen könntest, wie sähe das aus? Ich weiß gar nicht, ob es ein Traum-Lineup für mich gibt. Die Schwierigkeit besteht ja darin über 10.000 Menschen mit teilweise völlig unterschiedlichem Musikgeschmack maximal abzuholen. Dass deswegen nicht jede Band den Geschmack jedes einzelnen Zuschauers trifft ist unausweichlich. Aber wir entwickeln ja genau deswegen unsere

Side-Events, wie die RADIO BOB! Metal Karaoke Stage, Outdoor Biergarten und Autogrammstunden, damit Langeweile praktisch unmöglich wird, haha! Ihr habt als Merchandise Dienstleister ja immer auch über den Tellerrand hinausgeschaut, habt Platten veröffentlicht, Touren und Festivals auf die Beine gestellt. Könnt ihr einen Ausblick wagen? Wo geht die Reise mit Impericon noch hin? Auch Impericon feiert in diesem Jahr Geburtstag - wir werden 15 Jahre alt. Wir wollen unserer Szene definitiv treu bleiben und alles auf ein neues Level bringen. Unseren Bemühungen der Nachwuchsförderung, wie zum Beispiel unser Next Generation Contest, stehen demgegenüber, dass wir auch unser Sortiment verbreitern und es in anderen Musik-Bereichen aufstocken. Viele von uns leben Vegan und der Nachhaltigkeitsaspekt wird immer ein großes Thema sein. Wir versuchen beispielsweise gerade Plastik zu reduzieren und unseren Versandprozess darauf zu optimieren. Und wir erleben gerade mit Freude, dass die Menschen wieder mehr Bock auf Konzerte haben und handgemachte Musik seinen Platz in der Musiklandschaft weiterhin nicht verliert. Deswegen blicken wir optimistisch in die Zukunft! Dennis Müller

JUBILÄUM Martin Böttcher, Geschäftsführer Impericon: „Wow - 10 Jahre ist das erste Impericon Festival schon her! Von einer kleinen Marketing-Idee in Leipzig gestartet, hat sich das Festival als Europas größtes Indoor Festival für Rock und Metal in fünf Städten etabliert. Und dies vor allem dank unserer enthusiastischen und treuen Besucher. Schon in den letzten Jahren haben wir alles daran gesetzt, mit unseren Besuchern einen Festivaltag zu feiern, den sie nie vergessen werden. Auch in diesem Jahr hat unser Team neben einem abwechslungsreichen Lineup wieder tolle Ideen und Überraschungen zusammengestellt, um das 10 jährige Jubiläum ganz besonders zu machen! Wir freuen darauf mit allen Besuchern und den Bands eine große Geburtstagsparty zu feiern!“

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IMPERICON NEXT GENERATION

TOP 25. Wie schon in den letzten Jahren bieten die Kollegen von Impericon auf ihren Festivals auch Nachwuchskünstlern eine Bühne. Noch bis zum 22.03. läuft dort das Voting für Models, Fotografen, Musikredakteure und Bands. Weil sich ja niemand 25 Videos anschaut, haben wir das mal für euch getan und geben hier einen kleinen Überblick, was euch da so erwartet. Ein Next Generation-Wahl-O-Mat sozusagen. AGAINST THE WAVES. Hier wird direkt klar, dass wir internationale Bands bekommen, denn AGAINST THE WAVES kommen aus Madrid, Spanien. Geboten wird Geballer à la ARCHITECTS mit schönen melodischen Refrains und elektronischen Sprenkeln. Minuspunkte dafür, dass der eingereichte Clip nur ein Lyricvideo ist. Fun Fact: Der Gitarrist der Band heißt Jesus. Sollten die gewinnen, kann man sich ja denken, dass da Hilfe von oben dabei war. AS FLAMES RISE. Englischer Metalcore? Das ist ja schon fast Tradition! Und kein Lyricvideo, das ist auch gut. Ich bin mir nicht sicher, aber das ist ja schon fast Metalcore-Rap, was der da in „New beginnings“ macht? So schnell wird sonst nur zur Paarungszeit im Schweinestall gegrunzt. BURY ME ALIVE. Ja, gut. Ein Video in einer leerstehenden Halle, so „lost places“-mäßig, gewinnt jetzt auch nicht mehr den Preis für die innovativste Location. Dafür gibt es ordentlich produzierten, österreichischen Metalcore aus dem Pitchblack Studio, da weiß man ja, was man bekommt. Pluspunkte fürs Thema: Die Menschheit ist im Arsch. CALL IT TRAGEDY. Oh, ein Video in einer leerstehenden Halle, so „lost places“. mäßig. Ob das nur ein Stockwerk drüber war? Die Marburger bieten soliden Metalcore und der Sänger den wahrscheinlich besten Schnurrbart aller Bands in diesem Voting. Den Preis für die Gesichtsfrisur ist schon mal sicher! CONTROVERSIAL. Ist das etwa ... eine leerstehende Halle? Langsam bekomme ich das Gefühl, die Wirtschaft hierzulande ist im Eimer, da müssen ja Massen an Hallen leer stehen. Dafür bieten CONTROVERSIAL aus Hamburg und Bremen technischen Death Metal, und das Video könnte jede Menge Futter für Reaction-Videos auf Schlagzeug- und Gitarrenarbeit geben. EAZY. Mal keine Lagerhalle, dafür Rock’n’Roll auf dem Bikertreff. Fällt allein schon deswegen aus der Reihe, weil es eher klassischer MÖTLEY CRÜE-Sound ist, inklusive cringy Video. Puh. ELYNE. Hm, ob es ein unfairer Vorteil ist, wenn der Sänger deiner Band italienischer YouTuber ist? Die Klicks bei dem Video sprechen dafür. Aber gut, hat er sich ja auch erarbeitet. Bin mir nicht sicher, was das Video darstellen soll, schauen wir da durch riesige Flugzeugfenster auf die Band? Geboten wird schön stampfender Metal. EXPOSED TO NOISE. Hier ist der Name Programm. Ordentlich produzierter Metalcore, Stakkato-Gitarren, simples, aber schickes Video (keine Lagerhalle!), eigentlich machen die Dortmunder alles richtig, einzig ein Alleinstellungsmerkmal ist in diesem Song noch nicht richtig erkennbar. Und braucht man so viele Becken am Schlagzeug? Frage für einen Freund. FALL OF DEATH. Hier wird erstmal mit Melodie gestartet! Die Franzosen schreien einen auch nicht direkt an und zeigen im Video schöne Luftaufnahmen. Alles schön stimmig und leichtes Cyberpunk-Feel mit den roten Lichtern. Song geht auch gut rein, vielleicht auch weil es nicht komplett aufs Maul gibt. Worum es in dem Video geht, habe ich trotzdem nicht kapiert. HEARTBOUND. Schöne Neonfarben, ist das jetzt auch ein Trend? Die Hamburger bieten Metalcore mit Djent-Elementen ohne Cleangesang, fett produziert. Knallt. KILLIN’ BAUDELAIRE. Endlich mal ein Ende der Würstchenparty. Die vier Italienerinnen servieren im Video Blut (?) aus Teekannen. Irgendwas mit Dämonen. Musikalisch auch nicht ganz so eindeutig moderner Metalcore wie die meisten anderen Bands bislang. Könnte ein Geheimtipp sein. LEONS MASSACRE. Hier bekommt man Metalcore mit Betonung auf „Core“, es geht wesentlich hardcoriger zu, der Song startet direkt mit einem Singalong, nach dem Refrain gibt’s aber wieder mit der Breakdown-Schaufel. Der Bassist spielt so hart, er hat sogar ’nen Verband an der Hand. Ansonsten gibt es wieder Lichter von hinten im Live-Part und eine kurze Story zu sehen. Solide. Aber was ist ein „Helmsman“? LYSSOP. Huch! Mal kein Metalcore! Emotionaler Hardcore mit eher gesprochenen Lyrics. Schon wieder Neonlichter von hinten. Wir sind da etwas auf der Spur. Scheint

’ne neue Band zu sein, kaum Likes auf Facebook. Video ist Low Budget, aber der Song ist gut, nur etwas plötzlich vorbei. MARKED AS AN ENEMY. Hier wird auch mehr auf Geschwindigkeit gesetzt. Die Tschechen spielen eher modernen Hardcore und der Drummer hat ’ne leuchtende Snare. Die Story im Video ist irgendwas mit Träumen und Fotos. Ist das wie das Upside Down aus „Stranger Things“? Song ist aber stark. MIRAGE. Oha, Video startet mit ’ner Triggerwarnung und behandelt das Thema Suizid. Song ist auch wieder eher modern und djentig, Gesang in der Hauptsache clean. Der Refrain der Franzosen hat schon fast ein Emo-Feel. MOUNTAIN EYE. Unter dem Video steht, die Band sei von LINKIN PARK und ­SLIPKNOT beeinflusst. Man solle sich bereit zum Headbangen machen und in den Pit kommen. Die Einflüsse der Band aus Amsterdam sind unverkennbar, das Video spielt in der berühmten niederländischen Wüste so wie einer leerstehenden Lagerhalle ... NEVERLAND IN ASHES. Nach EXPOSED TO NOISE das zweite Video von Mirko Witzki. Und wir bekommen direkt ein ARCHITECTS-Zitat in Form von „Blegh!“, guter Einstieg. Moderner Metalcore, melodische Refrains. Obligatorischer Breakdown am Ende mit melodischem Zwischenspiel. Textlich looked man for an exit. NOWHERE TO BE FOUND. Das dritte oder vierte Video, welches mit einem Fernseher beginnt, auf dem nur so Flimmern zu sehen ist. Musikalisch sind die Portugiesen eher im Alternative Metal zu Hause, Gesang bleibt immer melodisch. ONE MORE WORD. Es gibt wieder „Verlassene-Lagerhallen-Core“. Mein Lieblingscore. Spaß beiseite, es gibt ein Feature mit dem REVAIRA-Sänger und modernen Metalcore mit leichten elektronischen Spielereien. PIQUED JACKS. Zum ersten Mal sehen wir die Band gar nicht. Tatsächlich tut das dem Video gut, auch wenn wir wieder Drohnenflüge über Wald haben, auch nicht das erste Mal. Aber zum ersten Mal haben wir ’ne ruhigere Nummer, die mehr Richtung Indie geht, und ein Video mit Naturschutzmessage. #HambiBleibt THE EVOLUTIONIST. So, das reicht jetzt aber mit Indie, jetzt bekommen wir wieder Metalcore. Das Video hat nice Effekte, hatte bisher sonst keins. Sonst reines Performance Video der niederländischen Progressive-Metalcore-Band. Insgesamt kann man jetzt schon attestieren, dass alle Bands einen hohen Produktionswert fahren, ist hier auch nicht anders. THINGS THAT NEED TO BE FIXED. „Bad girl“? Soll das jetzt die Antwort auf Billie Eilish sein? Die Münchner spielen Easycore, siehe FOUR YEAR STRONG, A DAY TO REMEMBER und Co. Dazu gibt es ein Partyvideo. Ist auch nichts Neues, aber hier das erste in der Reihe, welches nicht krampfhaft ernst sein will. Dafür halt auch ein wenig albern. Aber das muss dieser Sound ja auch irgendwie sein. TIDES OF IRE. Lichter von hinten, schwarzer Hintergrund. Also erstmal StandardSetup für Metalcore-Videos. Der Gesang in den Strophen ist eher gesprochen als gesungen, eher durchschnittlich alles. VALLEY. Oh, wir sind wieder im Wald! Dazu gibt es emotionalen Hardcore, der an LA DISPUTE erinnert. Stimmungsvoll gemacht, guter Song. Traurige Musik für traurige Hardcore-Kids. ZIX. Es ging los mit ’nem Lyricvideo und es endet mit ’nem Lyricvideo. Da steht „featuring Hansi Kürsch“. Das ist doch der Dude von BLIND GUARDIAN. Entsprechend bekommen wir hier Gandalf-Metal, taking the Hobbits to Isengard! Fazit: Lagerhallen sind angesagt, genau wie LEDs oder Neonlichter von hinten. Performance-Videos gibt es auch viele, Story nicht so viel. Musikalisch alles schon ganz schön solide bis gut, auch wenn sich viele Bands ähneln und es in der Hauptsache auf die Fresse gibt, so ist doch bemerkenswert, wie hoch die Qualität ist. Mal sehen, wen davon wir in den nächsten Jahren noch öfter sehen werden! Dennis Müller 61

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„A LESSON IN BRUTALITY“

L I V E D AT E S ANTI-FLAG. 04.07. Schorndorf, Manufaktur | 05.07. Töging am Inn, Silo1 BAD ASSUMPTION. 16.03. Erfurt, AJZ | 18.03. Köln, Helios 37 | 20.03. Essen, Hüweg | 21.03. Leipzig, MVB | 04.04. Wolfsburg, Juha Ost | 24.04. Aachen, MVB | 25.04. Saalouis, JUZ Utopia | 09.05. Darmstadt, Goldene Krone CHON. 18.04. Köln, Luxor | 19.04. München, Feierwerk | 20.04. Frankfurt, Zoom | 21.04. Hamburg, Uebel & Gefährlich

GRIND - SONGS OF BLOOD AND LIBERATION

ALBUM OUT NOW VINYL / CD / DIGITAL

DOWNFALL OF GAIA, IMPLORE. 17.03. München, Backstage | 18.03. Dresden, Scheune | 19.03. Magedburg, Factory | 20.03. Berlin, Cassiopeia | 21.03. Osnabrück, Bastard Club | 22.03. Hamburg, Hafenklang THE FLATLINERS, BROADWAY CALLS. 01.05. Köln, MTC | 04.05. Hamburg, Hafenklang | 05.05. Berlin, Cassiopeia | 06.05. Nürnberg, DESI

WWW.DEDICATION-RECORDS.DE

HIGH ON FIRE. 05.07. Essen, Turock | 06.07. Hamburg, Bahnhof Pauli | 08.07. Wiesbaden, Schlachthof | 09.07. München, Backstage THE HIRSCH EFFEKT. 07.05. Hamburg, Logo | 08.05. Hannover, Musikzentrum | 09.05. Karlsruhe, Stadtmitte | 10.05. Köln, Club Volta | 11.05. Frankfurt, Nachtleben | 13.05. AT-Wien, Flex Café | 14.05. München, Backstage Halle | 15.05. Jena, F-Haus | 16-05. Berlin, Gretchen | 28.05. Bochum, Rotunde | 29.05. Dresden, Beatpol HOT WATER MUSIC. 11.06. Nürnberg, Hirsch JERA ON AIR mit NOFX, AUGUST BURN RED, KNOCKED LOOSE, THE OFFSPRING, THY ART IS MURER, NECK DEEP, … 25.-27.06. NL-Ysselsteyn KID KAPICHI. 27.03. Köln, Artheater | 28.03. Berlin, Maze KIND KAPUTT. 16.04. Heidelberg, Halle02 | 17.04. Nürnberg, Club Stereo | 18.04. Regensburg, Alte Mälzerei | 19.04. München, Sunny Red | 21.05. Hamburg, Astra Stube | 22.05. Düsseldorf, The Tube | 24.05. Berlin, Cassipoeia LA DISPUTE, SLOW CRUSH, CULTDREAMS. 01.05. Düsseldorf, Zakk | 02.05. München, Technikum | 04.05. Hamburg, Markthalle | 05.05. Hannover, Faust | 06.05. Karlsruhe, Substage MICROWAVE. 28.04. Köln, MTC | 02.05. Hamburg, Hafenklang | 03.05. Berlin, Cassiopeia | 07.05. München, Kranhalle | 08.05. Frankfurt, Nachtleben

MISSION READY mit LIONHEART, SOCIAL DISTORTION, SUICIDAL TENDENCIES, PASCOW, GET THE SHOT, MARATHONMANN … 04.07. Würzburg, Flugplatz ORCHARDS. 16.04. Köln, Blue Shell | 17.04. Berlin, Cassiopeia | 18.04. Hamburg, Molotow SkyBar PARKWAY DRIVE, HATEBREED, STICK TO YOUR GUNS, VENOM PRISON. 01.04. Hamburg, Sporthalle | 02.04. Leipzig, Arena | 03.04. München, Olympiahalle | 04.04. CH-Zürich, Samsung Hall | 07.04. AT-Wien, Stadthalle | 09.04. Frankfurt, Festhalle | 11.04. Dortmund, Westfalenhalle PINEGROVE. 21.03. Berlin, Lido | 23.03. Hamburg, Hafenklang | 24.03. Köln, Gebäude 9 | 25.03. Wiesbaden, Schlachthof PUNK ROCK HOLIDAY mit BAD RELIGION, REFUSED, ANTI-FLAG, THE BOUNCING SOULS, STRIKE ANYWHERE … 10.-14.08. SL-Tolmin ROGERS. 31.03. Siegen, Vortex | 01.04. Rostock, Peter-Weiss-Haus | 02.04. Bochum, Zeche | 03.04. Berlin, SO36 | 04.04. Göttingen, Musa | 05.04. Erfurt, Kalif Storch | 07.04. Schweinfurt, Stadtbahnhof | 08.04. Trier, Mergener Hof | 09.04. Hannover, Musikzentrum | 10.04. Bremen, Schlachthof | 11.04. Münster, Skaters Palace | 12.04. Nürnberg, Z-Bau | 14.04. CH-Luzern, Sedel | 15.04. CH-Baden, Kulturlokal | 16.04. München, Backstage Halle | 17.04. Stuttgart, Wizemann | 18.04. Dresden, Chemiefabrik | 21.04. Freiburg, Jazzhaus | 22.04. Saarbrücken, Garage | 23.04. Wiesbaden, Schlachthof | 24.04. Köln, Live Music Hall | 25.04. Hamburg, Markthalle SPACE OF VARIATONS. 08.05. Hannover, Subkultur | 10.05. Hamburg, Indra | 14.05. Berlin, Sage Club TENSIDE. 25.03. Hamburg, Logo | 26.03. Berlin, Cassiopeia | 27.03. Köln, MTC | 28.03. München, Backstage TIGERYOUTH. 23.04. Köln, Tsunami Club | 24.04. Leipzig, Conne Island | 25.04. Hannover, Stumpf WISH YOU WERE HERE. 09.09. Köln, Luxor | 10.09. Münster, Sputnikhalle | 11.09. Hamburg, Bahnhof Pauli | 12.09. Berlin, Badehaus | 13.09. Dresden, Beatpol | 14.09. Hannover, Bei Chéz Heinz | 15.09. Jena, Rosenkeller | 16.09. München, Feierwerk | 17.09. Stuttgart, Universum | 18.09. Bochum, Rockpalast

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