FIVE #167

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BASKETBALL FOR LIFE

DANKE, CHRIS!

KOBE BRYANT

SEINE TRIUMPHE, SEINE NIEDERLAGEN

-

04/2020

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MARCH MADNESS

DIE VORSCHAU AUF DEN WAHNSINN

DENNIS SCHRÖDER DARUM IST ER SO GUT WIE NIE

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JAYSON TATUM

AUF DEM WEG AN DIE SPITZE

HALLELUKA !

3,90 €

Österreich 5,00 € Schweiz 7,80 SFR BeNeLUX 4,60 € Italien 5,25 € Spanien 5,25 €

DA S G E N I E, DE R W E G UN D DIE Z U K U NF T DE S LUKA DON CI C +

MALCOLM BROGDON // FRED VANVLEET // KENYON MARTIN // TORONTO // NERLENS NOEL // SATOU SABALLY DE’ANTHONY MELTON // SCOTTIE WILBEKIN // NIKOLA VUJCIC // HAMBURG TOWERS // KONSTANTIN KONGA

ISSUE 167 ISSN 1614-9297 WWW.FIVEMAG.DE


WWW.K1X.COM

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SUMMER 2020


editorial

FIVE

IMPRESSUM

167

Redaktion: redaktion@fivemag.de Verlag: KICKZ.COM GmbH Landwehrstr. 60 80336 München Tel.: +49-89-324 781 70 Fax: +49-89-324 781 99

Ferhat Gökhan Hamza Said Nesar Mercedes Sedat Kalojan Fatih Vili

Chefredakteur: André Voigt (verantw.) Grafik: Patrick „Mochokla“ Ortega Fotos: Getty Images Lektorat: Thomas Brill

Rest in Peace

Fotos: Glenn James/Noah Graham/NBAE via Getty Images

LIEBE FIVE-GEMEINDE, an dieser Stelle sollte eigentlich wie immer ein Text über Basketball stehen. Natürlich: Die FIVE ist ein Sportmagazin mit dem Thema Basketball. Aber ich will hier ehrlich und direkt sein: Ich kann das heute nicht. Ich kann nicht über Basketball schreiben. Knapp zwei Wochen ist der Terroranschlag von Hanau her. Ich sitze hier, einige Tage vor der Abgabe dieser Ausgabe, und alles fühlt sich so unwichtig an. So nichtig, so klein. Na klar, in ein paar Tagen wird das alles wieder weg sein. Die Betroffenheit, diese Lähmung, ja auch die Angst. Eben bis zum nächsten Halle, zum nächsten Hanau. Ich bin nicht schlau genug, um hier Lösungen anzubieten. Ich bin kein Politiker, kein Soziologe, ich bin aber Mensch. Und ich will das nicht mehr. Ich will nicht betroffen sein, Angst haben und dann zur Normalität übergehen … bis zum nächsten Mal. Ich könnte jetzt schreiben: Ich bin Basketballer, bei uns gibt es Rassismus nicht. Ich würde lügen. Es gibt ihn überall in der Gesellschaft, von den Schulturnhallen der Amateure bis zur BBL und der NBA.

Ich weiß aber auch, dass es in den allermeisten Hallen eine Mehrheit gibt, die anders denkt. Die anderen Menschen nicht das Menschsein abspricht, die sich nicht aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe für überlegen hält. Ehrlich gesagt, weiß ich immer noch nicht, was ich schreiben soll … jedes Wort wirkt eigentlich so logisch, so nachvollziehbar. Warum muss all das überhaupt geschrieben werden? Warum geht das in einige Köpfe nicht rein? Dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Dass wir alle gleich sind, egal wo wir zufällig geboren wurden. Dass wir uns gegen Rassismus wehren müssen, auch wenn wir nicht selbst betroffen sind. Dass die Opfer von Hanau genauso gut meine ehemaligen Mitspieler hätten sein können. Ali, Ray, Aras, Aykan, Akif, Gonzo, Pouria, Anthony, Walter, Maro, EJ oder Milek. Oder die Kids mit Migrationshintergrund, die ich über die Jahre gecoacht habe. Warum? Weil sie nicht blond und blauäugig sind? Vor allem wohl deshalb, weil sich ein Teil der Gesellschaft in Internetforen – befeuert von einer immer enthemmteren öffentlichen politischen Rhetorik – radikalisiert, bis der nächste „Einzeltäter“ abdrückt.

BESTEN DUNK

nächste aUSGABE

Dré dunkt allen, die bei der „Got Nexxt“-Liveshow in Berlin dabei waren – und vor allem Misan Haldin für seine Offenheit! It’s been real!

Die FIVE #168 erscheint am 17. April 2020 oder liegt schon bis zu vier Tage vorher bei allen Abonnenten im Briefkasten.

Weil Rassismus salonfähiger wird. Weil Gewalt plötzlich okay ist. Weil alle nur noch ein paar Tage betroffen sind und es dann wieder weitergeht – außer für die, die WIRKLICH betroffen sind. Denn für sie wird es nie wieder so sein wie früher. Für sie gibt es keine Normalität mehr, zu der sie zurückkehren können. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal dazu aufrufen: Steht auf, seid laut. Wann immer ihr Rassismus mitbekommt, reißt diese Unmenschen aus ihrer Komfortzone. Zeigt ihnen, dass diese Gesellschaft solch ein Verhalten nicht duldet. Viel wichtiger: Zeigt unseren Mitmenschen, dass sie nicht alleine sind. Dass wir ihnen zur Seite stehen. Zeigt es im Supermarkt, auf der Straße, im Theater, aber natürlich auch in der Halle – egal ob ihr selbst spielt oder Zuschauer seid. Wir sind mehr. Es wird Zeit, dass wir das allen zeigen, die anders denken.

Mitarbeiter dieser Ausgabe: Christian Orban Moritz Wagner Marcel Nadim Aburakia Manuel Baraniak Peter Bieg Toni Lukic Satou Sabally Jan Hieronimi Tobias Feuerhahn Jens Leutenecker Torben Adelhardt Ivan Beslic Sebastian Finis Ole Frerks Robbin Barberan Aboservice: KICKZ.COM GmbH E-Mail: abo@fivemag.de Tel.: +49-89-324 781 70 Druck: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG Frankfurter Straße 168 34121 Kassel Vertrieb: MZV GmbH & Co. KG Ohmstr. 1 85716 Unterschleißheim Für unverlangt eingesandtes und nicht mit einem Urhebervermerk gekennzeichnetes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Beiträge, die namentlich gekennzeichnet sind, geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Vervielfältigung, Speicherung sowie Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages. Gerichtsstand ist München.

ISSN 1614-9297

Seid laut, FIVE_MAG

André Voigt

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Dann im Heft: die ultimative NBAund BBL-Playoff-Vorschau 2020!

FIVE-ABOSERVICE Ausgabe verpasst? Kein Thema. Scannt den nebenstehenden Code mit eurem Smartphone ein oder

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FIVE

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inhalt

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70

90

24 SECONDS

KOBE BRYANT

NCAA-TOURNAMENT 2020

BBL-POKAL

Follow him …, Mixtape, Sneaker Hall of

Kobe Bryant ist tot, seine Legende

2020 scheint das Rennen um den

Alba Berlin ist BBL-Pokalsieger 2020.

Fame, Prospects, Legenden-Liebling,

lebt weiter. Doch wie wurde er dazu?

College-Titel so offen wie lange nicht

Doch sind die Spieler und Vereine mit

Einwurf, NBA-Gossip etc.

Warum polarisierte er so lange?

mehr. Das hier sind die Favoriten.

dem Modus zufrieden?

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Warum liebten ihn die Menschen?

76

ONEPAGER: NOEL VS. MELTON

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Nerlens Noel und De’Anthony Melton

JAYSON TATUM

Der Macher von Maccabi Tel Aviv über

arbeiten im Hintergrund.

Langsam, aber sicher wird Jayson

Teambuilding und Talente.

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Tatum zum besten Spieler der Boston

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LUKA DONCIC Luka Doncic wird in dieser Saison nicht MVP werden. Das ist okay. Die Zukunft der Liga wird der Slowene trotzdem ganz gehörig mitbestimmen.

28 DENNIS SCHRÖDER Was macht Dennis Schröder in dieser Saison zu einem so viel besseren Basketballer? Unsere große Analyse klärt euch auf.

34 MALCOLM BROGDON Den Bucks war er zu teuer, für die Pacers ist er unersetzlich.

Celtics – und zum Superstar.

NIKOLA VUJCIC

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SCOTTIE WILBEKIN

FRED VANVLEET

im Interview.

Er wettete auf sich selbst und gewann

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mit den Raptors die Meisterschaft.

Einer der Euroleague-Edelscorer

94 IN-DRÉ-SSANT Das All-Star-Game 2020 brachte im letzten Viertel spektakulären Wettbewerb. Vor allem aber zeigte es die Zukunft des Spiels: das Elam-Ende.

96 WARENKORB Styles, Styles, Styles … drip, drip, drip! Der KICKZ-Warenkorb ist wieder mal

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BBL-TAKTIK-CHECK

so richtig lit!

Mit welcher Taktik wollen sich die

TORONTO

Hamburg Towers in der BBL halten?

Aber kommt jetzt so langsam der

84

98

Toronto ist eine Eishockeystadt, klar. Basketball? Eine Reportage.

KONSTANTIN KONGA

Ja, aber an diesem einen Abend war

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Konstantin Konga hieß früher mit

er die Nummer 12 …

KENYON MARTIN

rassistischen Anfeindungen umgehen

Der „Bad Ass Yellow Boy“:

IVAN BESLIC Michael Jordan ist die Nummer 23.

Nachnamen Klein, musste mit und über die Jahre sein Spiel umstellen.

missverstanden und unterschätzt.

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24 twenty four seconds

follow him . .

MUST-FOLLOW #5 Social Media sind aus dem NBA-Fanleben nicht mehr wegzudenken. Doch wie die so wertvolle Screen-Zeit sinnvoll nutzen? Wem folgen? Schön, dass ihr fragt … denn wir haben monatlich ein paar Empfehlungen für euch. BALLISLIFE https://www.instagram.com/ballislife/

Ihr wollt die NBA-Stars schon sehen, bevor sie in der Association ankommen, und auf den jeweiligen „Bandwagon“ aufspringen, bevor der überhaupt losgefahren ist? Dann seid ihr bei Ballislife genau richtig. Egal ob bei Instagram oder unter www.ballislife.com.

SLAM REWIND https://www.instagram.com/slamrewind/

„Nostalgie“ lautet hier das Stichwort. Die „SLAM“ hat als Magazin leider ihre besten Tage lange hinter sich, aber genau aus diesen Tagen wird SLAM Rewind gespeist – lieb gewonnene und von den Youngstern nicht gekannte Videos reihen sich hier aneinander. Vorsicht: Suchtgefahr für alle über 30!

SPORTSCENTER https://www.instagram.com/sportscenter/

All das, was ihr heute an täglichen Highlights überall im Netz findet, lässt sich auf eine TV-Show zurückverfolgen: das „ESPN SportsCenter“. Sicher: Es gab schon vorher Fernsehsendungen, die die besten Szenen zeigten, aber nicht Tag für Tag. Nach SportsCenter war nichts mehr so, wie es war – und auch das Instagram-Konto der Show lohnt sich.

JEFF STOTTS https://twitter.com/InStreetClothes

Jeff Stotts ist Physiotherapeut und hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Lesern die Verletzungen in der NBA näherzubringen und zu erklären. Das macht er auf Twitter und vor allem auf seiner Website http://instreetclothes.com.

SI EXTRA MUSTARD https://twitter.com/SI_ExtraMustard

Die „Sports Illustrated“ (SI) ist eigentlich eine (etwas angestaubte) Print-Institution, war lange die beste Sportzeitschrift der Welt. Auf Twitter gibt die SI aber dem Affen dann doch etwas mehr Zucker – bzw. etwas mehr Senf. Hier ist alles etwas rauer, witziger, lohnender.

ERNIE JOHNSON https://twitter.com/TurnerSportsEJ

Ernie Johnson ist viel mehr als nur der Medienprofi, der Chuck, Kenny und Shaq on air im Zaum hält. Der Mann ist ein Hall of Famer mit krasser Vita. Checkt seinen Twitter-Account und seinen Podcast.

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social media

FOLGT UNS AUF SOCIAL MEDIA Ihr folgt nur Accounts mit lahmen Memes? Eure Timeline ist voller selbstverliebter Hot-Take-Artists? Kommentarspalten sind für euch der Vorhof zur Hölle? Das muss doch nicht sein … denn die FIVE ist auch im Internet. Kommt vorbei, wir warten auf euch!

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BASKET BALL FOR LIFE


V

Text: Marcel Nadim Aburakia

or Instagram und Twitter waren NBASpieler von der Gnade der Medien abhängig. Besser, man verstand sich also gut mit den mikrofonschwenkenden Fragenstellern. Falls nicht, war die nächste Schlagzeile nur einen schlechten Tag entfernt. Heute ist das alles anders. Die neue NBA-Generation von Spielern ist zugänglicher als frühere. Die sozialen Medien haben ihnen eine eigene Stimme gegeben, über die sie augenblicklich Millionen von Fans erreichen können. Neues Lieblings-Sprachrohr: Podcasts. Gespräche von Star zu Star mit Einblicken und Statements, die besagte Journalisten eher nicht bekommen würden. Offseason 2018, C.J. McCollum hat Kevin Durant zu Gast in seiner Show „Pull Up with C.J. McCollum“. Die beiden Stars besprechen die Western Conference, und McCollum rechnet sich Chancen auf einen Titel aus. Durant lacht nur: „Ich empfehle dir: Spiel einfach weiter und kümmere dich nicht, was oben vor sich geht!“ Ihre Diskussion geht auf Twitter weiter, wo McCollum Durants Wechsel von den Thunder zu den Warriors als „weich“ bezeichnet. Der feuert zurück und schreibt: „Ich habe gerade erst bei deinem verdammten Podcast mitgemacht!“ Eine echte Konversation zwischen zwei absoluten Top-Stars der NBA. Der anschließende Twitter-Beef führt viele User zum Podcast des Trail Blazer, bei dem die Downloads plötzlich durch die Decke gehen. Von durchschnittlich 20.000 geht es nach der KD-Folge auf etwa 58.000. C.J. freut’s: „Ich muss ihm wohl eine teure Flasche Wein schicken.“ Viel Tamtam um eigentlich nichts, das kennt man aus der NBA, aber bisher neu ist diese Art des Gesprächs zwischen Großkalibern der Liga. Solche und weitere Gespräche finden sich nur in NBA-Podcasts, nirgendwo sonst können Spieler so frei von der Leber weg sprechen wie untereinander. Als Outlets gibt es die Duos von „Road Trippin’“ (Channing Frye & Richard Jefferson) und „All The Smoke“ (Matt Barnes & Stephen Jackson) oder eben Solo-Podcaster wie J.J. Redick oder C.J. McCollum. Alle sind irgendwie einzigartig, entweder weil sie extrem lustig sind oder auch die Grenzen des Trashtalks ausreizen.

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Aber eine Sache haben dann alle gemein: „Wir geben Athleten die Möglichkeit zu sprechen, über was immer sie wollen“, sagt Jefferson. „Wir schneiden mehr Gutes raus, als sich irgendwer vorstellen würde. Wenn uns ein Gast anruft und sagt: ‚Hey, du erinnerst dich an mein zweites Glas Wein. Was ich da gesagt habe, solltest du rausnehmen‘, dann machen wir das. Wir wollen kein Drama, nur ihre Geschichte.“ Es geht um Vertrauen, offenbar etwas, das Spielern in den Medien fehlt. Kevin Durant beschrieb seine Situation mit den Medien 2018 so: „Jedes Mal, wenn ich etwas sage, bauscht ihr es auf, und sobald ich es relativiere, bin ich der Sensible. Ich weiß, dass sie (die Medien) versuchen, mich verrückt aussehen zu lassen, mich zu diskreditieren und mich meiner Glaubwürdigkeit zu berauben.“ Deswegen auch sein Auftritt in McCollums Podcast. Der erklärt, wieso NBA-Spieler lieber unter sich quatschen: „In all dem steckt eine Brüderlichkeit. Es gibt einen gegenseitigen Respekt unter uns, weil wir wissen, was es braucht, um hierher zu kommen - die Kämpfe, Probleme, Verletzungen, Zweifel, Druck. Ganze Familien stützen sich auf die Spieler, jedermanns Probleme sind auch ihre Probleme. Wenn man also ein echtes Gespräch mit jemandem führt, der nichts von einem will und keine Hintergedanken hat, dann ist das wirklich sehr wertvoll.“ Vorteilhaft, wenn man wie McCollum einen Journalismus-Abschluss an der Lehigh-University hat. Er hat den wohl tiefsinnigsten Podcast, der unerwartete Gespräche liefert – wie über Therapie mit „D-Wade“, Literatur mit Jaylen Brown oder Comedy mit Blake Griffin. Wir als Fans und alle Medienschaffenden sollten uns bewusst machen, dass NBA-Spieler nicht nur Highlight-Maschinen sind. Bis es so weit ist, sind für die Athleten u.a. Podcasts ein Weg, um ihre Sicht der Dinge zu schildern. „Superhelden und All Stars in der Show zu haben, die über Zeiten sprechen, wenn Dinge nicht so rundlaufen oder wenn sie Zweifel haben, ist sehr gut für die Gesellschaft“, sagt C.J. McCollum. Wer

jetzt auch Bock auf NBA-Player-Podcasts bekommen hat, sollte diesen Vorschlägen ein paar Minuten geben: The J.J. Redick Podcast Vielleicht trifft J.J. nicht mehr den aktuellsten Zeitgeist, und in seinen Gesprächen merkt man ihm sein Dasein als Veteran an, aber als Podcast-OG muss er quasi genannt werden. Nach kurzem Hören wird euch auffallen: Redick hört sich selbst sehr gerne sprechen, hat aber auch dank seiner langen Karriere viel zu erzählen. Road Trippin’: Richard vs. Channing Nicht der erste Podcast, der von NBASpielern gehostet wird, aber es ist sicherlich derjenige, der die Idee populär gemacht hat. Channing Frye und Richard Jefferson begrüßen unzählige Gäste, von LeBron James bis hin zu Gabrielle Union, Jesaja Thomas, Lindsey Vonn, Dwyane Wade und anderen. Dabei haben die beiden Hosts eine einzigartige Chemie und geben einen Einblick in die skurrile Kultur und Welt der NBA-Spieler. Pull Up with C.J. McCollum In „Pull Up“ beantwortet C.J. McCollum alle Fragen, die ein NBA-Star so gestellt bekommt. Von der Free Agency als All Star über 50-Punkte-Spiele bis hin zu seinem Lieblingsglas Wein. „Pull Up“ bietet unübertroffenen NBA-Zugang, einige Lacher und erstklassige Gäste in einem SportPodcast, der einen NBA-Star auf dem Höhepunkt seiner Karriere zeigt. All The Smoke „All The Smoke“ vereint zwei der extrovertiertesten und umstrittensten Spieler ihrer Zeit. Matt Barnes und Stephen Jackson, die während ihrer Karriere auf dem Platz als gefürchtete Gegenspieler bekannt waren, sind heute zwei der angesehensten Stimmen unter den NBA-Stars. Als Mentoren für zahlreiche Spieler in der gesamten Liga haben sie aus erster Hand einen Einblick in die Gedanken, das Leben und die dringenden Probleme, mit denen man als NBA-Star konfrontiert sein kann. Ihr wollt die richtigen Hot Takes? Dann gönnt euch diesen Podcast!

Fotos: Issac Baldizon/NBAE via Getty Images

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NBA-Gossip NBA-PODCAST-POWER


mixtape

DAS FIVEMIXTAPE DES MONATS!

FIVE #167 A Jay Rock – Wow Fre estyle Dreamville – Under th e Sun Gang Starr – Family an d Loyalty Redman – It’s a Ben gah Ice Cube – Pushin‘ Weight Nas – One Mic Wu-Tang Clan – Les son Learn ‘d J. Cole – Changes Souls of Mischief – 93 Til I nfinity Post Malo ne - Circle s

„Bball is Jazz“, sagt Holger Geschwindner, und da hat der Mann recht! Trotzdem gibt es ab sofort an dieser Stelle das FIVEMixtape des Monats, damit ihr euch beim nächsten Heimspiel nicht zu den Greatest Hits von Queen warmmachen müsst, nur weil „der Anschreiber die so gerne hört“. Einfach den QR-Code einscannen, und schon landet ihr bei den FIVE-Playlists auf Spotify.

7 A FIVE #16

B #167 ood FIVE e is g if L – e k Dra do it e – I n y a Lil W Binz apper ge – ach ead R mix Solan D lterb e a r R f e f h not y – A Storm . – A uiet Shind M.O.P p – Q e & e n D ckso Mobb na Ja f, Le f u llaa H G. usse r n – H n a down Lose m Lak ndary Put it e g – e L t Poe an – Blaq ed M Rugg e h t R.A.

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einwurf

EINWURF

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Fotos: Ned Dishman/NBAE via Getty Images

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BET ON WOMEN

In seiner Kolumne „Einwurf“ schaut Christian Orban über den Spielfeldrand hinaus und schreibt über die weniger beachteten Aspekte der Basketballkultur. Text: Christian Orban

ach monatelangen Verhandlungen haben die WNBA und die Spielerinnengewerkschaft WNBPA Mitte Januar den neuen Manteltarifvertrag (CBA) der Liga vorgestellt. Über eine Laufzeit von acht Jahren bietet er den Profis signifikante Verbesserungen, die sich bislang vor allem mit unzureichenden Gehältern und nachteiligen Reisebedingungen konfrontiert sahen. Das spielerinnenfreundliche CBA, das zu Recht als „bahnbrechend“ gilt, adressiert diese beiden Kernprobleme. So wurde zuvorderst eine deutlich angehobene Basisvergütung erreicht. Zum ersten Mal in der Historie der WNBA liegt das Durchschnittsgehalt heuer im sechsstelligen Bereich (2019 betrug es rund 75.000 USDollar). Insbesondere ist das Liga-Maximum um satte 82 Prozent auf 215.000 Dollar angestiegen, während auch alle bestehenden Minimum-Verträge angepasst wurden. Hinzu kommen verbesserte Flugbedingungen und Unterbringungen inklusive eigener Hotelzimmer für alle Spielerinnen. Schrittweise soll zudem eine gerechtere Aufteilung der basketballbezogenen Einnahmen der Liga erreicht werden (bisher erhielten die Profis keine 25 Prozent). Auch herrscht in „The W“ nun eine weniger restriktive Free Agency vor, die ein Mehr an selbstbestimmten Wechseln ermöglicht und schon jetzt für mehr Spannung gesorgt hat. Zugleich birgt der Vertrag für die WNBA-Profis weitere Vorteile, die eine ganzheitliche Unterstützung darstellen und damit in gesellschaftspolitischer Hinsicht einen beispielhaften Schritt beschreiben, der weit über eine faire Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen hinausgeht. Die Grundvoraussetzung dafür ist diese: Die Liga um Commissioner Cathy Engelbert hört den Spielerinnen aufmerksam zu, bringt ihnen als Hauptakteurinnen Wertschätzung entgegen und investiert entsprechend in ihre „Aushängeschilder“. Sonach konnte Engelbert öffentlich bekunden: „Wir haben mit diesem CBA wirklich alles getan.

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Wir setzen voll auf diese Liga, auf Frauen und darauf, dass die WNBA im Profisport dauerhaft eine Vorreiterinnenrolle übernehmen kann.“ Dass die Liga konsequent auf Frauen setzt, verdeutlichen die vereinbarten Neuerungen, die es den Spielerinnen erlauben, gleichermaßen Frauen und Profibasketballerinnen zu sein – da ihre Bedürfnisse und Erfahrungen als Frauen fortan berücksichtigt werden. Auch wird einer Selbstaufopferung für den Sport, die nicht selten dem persönlichen und familiären Wohlergehen zuwiderläuft, mit dem neuen CBA entgegengesteuert. Schließlich bietet die WNBA nun eine umfassende Unterstützung bei der Familienplanung und für Mütter an, die vor allem folgende Leistungen inkludiert: erstmals den voll bezahlten Mutterschutz (zuvor nur die Hälfte des Grundgehalts), eine monatliche Kostenerstattung von bis zu 750 Dollar für die Kinderbetreuung, Zwei-Zimmer-Wohnungen für Spielerinnen mit jungen Kindern, auf berufstätige (stillende) Mütter zugeschnittene Räumlichkeiten und psychologische Dienste sowie eigens für LigaVeteraninnen Kostenübernahmen von bis zu 20.000 Dollar für Kinderwunschbehandlungen, Adoptionen und Leihmutterschaften. Es handelt sich demnach um ein Gesamtpaket, das nicht allein für Profisportlerinnen, sondern generell für Frauen (und ihre Familien) von Gewicht ist. Nicht zuletzt in den USA, wo ein bezahlter Mutterschutz sowie umfassende Betreuungsangebote mitnichten selbstverständlich sind. Entsprechend erklärte Nneka Ogwumike, die Präsidentin der WNBPA: „Wir waren schon immer eine progressive Liga und in einer führenden Rolle, wenn es um die soziale Verantwortung und Einbindung der Gemeinschaft geht. Wir hegen dabei die Hoffnung, dass wir für berufstätige Mütter und Frauen im Sport eine Präzedenzwirkung entfalten können. Wir sind wirklich sehr froh, dass wir nun in dieser Position sind und als Vorbild dienen können.“

Skylar Diggins-Smith etwa, die sich lange alleingelassen fühlte, kann dies nur bestätigen. Bevor sie 2019 pausierte, hatte sie 2018 den Großteil ihrer All-Star-Saison als Schwangere absolviert und nach der Geburt mit Depressionen zu kämpfen, wobei sie die unzureichende Unterstützung durch den Arbeitgeber beklagte bzw. die „begrenzten Ressourcen, die mir helfen, mental und physisch erfolgreich zu sein“. Das neue CBA bezeichnete die 29-Jährige derweil als „einen großen Gewinn für alle“ und fügte hinzu, dass sie das Gefühl habe, dass „all unsere Stimmen und unterschiedlichen Meinungen gehört und respektiert werden“. Mit dem inklusiven Tarifvertrag wird die WNBA also fraglos ihrem Slogan „Bet On Women“ gerecht. Im Profisport – in dem Frauen im Allgemeinen kaum besser behandelt werden als in irgendeinem Büro- oder Dienstleistungsbereich – darf sie zudem als Vorzeigeliga gelten. Denn trotz einiger Fortschritte gibt es keine andere Profiliga, die auch nur annähernd mit solch einem umfassenden Angebot für Frauen und (werdende) Mütter aufwarten kann wie „The W“. Eine finanzielle Unterstützung beim Einfrieren von Eizellen und bei Fertilitätsbehandlungen ist beispielsweise ein Novum, das besonders für Athletinnen bedeutsam ist, die sich voll ihrer Karriere verschreiben wollen und daher die Familienplanung verschieben. Auch sind diese Leistungen in einer Liga wie der WNBA, in der es viele queere Akteurinnen gibt, noch wichtiger. Denn sie gewähren ihnen die Möglichkeit, sich nach der passenden Form der Familienplanung umzusehen und diese dann unbesorgt in Angriff nehmen zu können. Die WNBA um Cathy Engelbert und eine sozialbewegte WNBPA verdienen sonach viel Anerkennung für ihre Ermächtigung von Frauen. Zugleich müssen die erzielten Fortschritte verstetigt werden sowie idealerweise weithin Anklang finden.


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GONE FISHIN’ Noch ist es zwar nicht so weit, aber D’Angelo Russell weiß halt schon, dass es dieses Jahr bei seinen Minnesota Timberwolves nichts wird mit den Playoffs. Und wie heißt es dann so schön? Genau: „Gone fishin’.“ Mit seiner Bucket Cap ist Russell also schon mal gut auf den kommenden Angeltrip vorbereitet. Warm dürfte ihn die NASA-Jacke auch dann halten, wenn er nachts auf den nächsten Biss wartet und dabei sehnsüchtig in die Sterne blickt.

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Legenden-Liebling des Monats

LEGENDEN-LIEBLING DES MONATS MJ, Magic, Larry, Kobe … sie sind die unsterblichen Legenden, die jeder kennt. An dieser Stelle wird aber ab sofort der Baller gedacht, die keine Überstars waren, aber auf die eine oder andere Art einfach Kult – die Legenden-Lieblinge des Monats!

DEREK FISHER 0

,4. Es gibt nicht viele Spieler, mit deren Namen eine Dezimalzahl verbunden ist. Wahrscheinlich gibt es sogar nur einen … Derek Lamar Fisher. 0,4 Sekunden sind in den 2004er Western Conference Semifinals noch zu spielen. Die Serie zwischen den San Antonio Spurs und L.A. Lakers steht ausgeglichen 2-2. Die Texaner haben Heimrecht und gehen 0,4 Sekunden vor Ende dank eines unfassbaren Sprungwurfs von Tim Duncan über Shaquille O’Neal mit 73:72 in Führung. Lakers-Coach Phil Jackson bleibt eigentlich nur noch ein Einwurf direkt zum Ring, wo am besten O’Neal per Tipp vollendet. Genau das wollen die Spurs verhindern. Jackson nimmt zwei, SpursTrainer Gregg Popovich eine Auszeit. „Wir wollten über Shaq am Korb gehen, aber das haben sie verteidigt“, erinnert sich Fisher. „Kobe Bryant cuttete beim Einwurf Richtung Mittellinie. Deshalb deckte Robert Horry nicht mehr unseren Einwerfer, sondern half bei Kobe aus. Also hatte unser Einwerfer Gary Payton freie Sicht. Ich stand am Highpost bei Karl Malone und sah plötzlich diesen sich öffnenden

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Raum. Ich schnitt hinein, Gary spielte den Pass … ich musste mit dem Fangen in einer Bewegung werfen. Dabei half mir, dass ich Linkshänder bin. Denn der Anschreibetisch war hinter mir, und der Zeitnehmer musste einen Sekundenbruchteil länger warten, um sicherzugehen, dass ich den Ball gefangen hatte. Vielleicht waren es deshalb nicht 0,4, sondern 0,5 Sekunden.“ Fisher trifft seinen wilden Wurf über Manu Ginobili, die Lakers ziehen in die Western Conference Finals gegen die Timberwolves ein, verlieren aber in den Endspielen gegen die Detroit Pistons. Egal, Fishers Ruf als Mann für die besonderen Würfe ist zementiert. In zwölf Playoff-Jahren bei den Lakers traf er 40,3 Prozent seiner 2,8 Dreier pro Partie. Fisher sorgte mit seiner Präsenz dafür, dass ein zu aggressives Doppeln von Shaquille O’Neal oder auch Kobe Bryant von Downtown bestraft wurde. Mit Bryant verband ihn zudem, dass beide 1996 als Rookies zu den Lakers kamen – Fisher mit dem 24. Pick als Senior der University of Arkansas at Little Rock, von der es nur drei andere Spieler jemals in die

NBA schafften. Fisher gewann die drei Titel der „Shakobe“-Ära, kehrte dann nach zwei Saisons für Golden State und einer in Utah zu den Lakers zurück. Dort gewann er zwei weitere Meisterschaften mit Bryant. 2009 in den Finals gegen die Orlando Magic um Dwight Howard ließ er die vielen Kritiker verstummen, die ihm vorwarfen, mittlerweile zu alt und zu langsam zu sein. Fisher traf 4,6 Sekunden vor Ende des vierten Spiels einen Dreier zur Verlängerung und in selbiger 31,3 Sekunden vor Ende ein weiteres Mal von Downtown – quasi zum Sieg. Die Lakers führten 3-1 und gewannen den Titel in der folgenden Partie. „Wir haben zusammen fünf Meisterschaften gewonnen, das passiert nicht zufällig“, sagte Bryant über seinen Freund, als dieser 2012 von den Lakers Richtung Oklahoma City getradet wurde. „Es gibt halt Gründe, warum Spieler mehrere Meisterschaften gewinnen. Es geht um Charakter, Wissen und Verstehen. All das bringt dir keiner so leicht bei, das musst du in deiner DNA haben, und deshalb ist Derek hier so schwer zu ersetzen.“

„Wir haben nicht fünf Titel zusammen gewonnen, weil wir uns die ganze Zeit den Hintern geküsst haben. Ich werde

Duane Washington spielte von 1999 bis 2002 in

ihn zerstören. Er versteht das und weiß das auch. Wenn er auf mich switcht und wir dann im Post gegeneinander

der zweiten Bundesliga für Rhöndorf. Der Shooting

spielen, wird er Probleme haben. Ich bin mir sicher, dass er mir einen Ellbogen in den Rücken hauen wird, aber

Guard ist der Halbbruder des zehn Jahre jüngeren

darum lieben wir uns!“ Kobe Bryant über Derek Fisher

Derek Fisher und war dessen großes Vorbild.


five-prospects Prospects

JUAN NUNEZ

Fotos: Garrett Ellwood/NBAE via Getty Images

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ir kamen hierher, um zu gewinnen. Um nichts anderes ging es“, das sagte Juan Nunez, nachdem er mit der U18 von Real Madrid den Titel beim Adidas Next Generation Tournament in München gewonnen hatte. Sechs Punkte, fünf Assists, drei Steals und zwei Rebounds lieferte Nunez beim unangefochtenen Finalsieg von Real gegen Stellazzurra Roma in München. 104:88 gewann Real die Partie und untermauerte damit seinen Status als Großmacht im europäischen Jugendbasketball. Beim Turnier im Januar erhielt Spielmacher Nunez zudem die Auszeichnung als „Most Valuable Player“ der Veranstaltung. Und das, obwohl der Guard zu den jüngsten Spielern des Turniers gehörte. In einem sehr starken und ausgeglichenen Team – bei dem das kroatische Riesentalent Boris Tisma verletzt fehlte – gehörte Nunez zu den auffälligsten Akteuren. „Juan ist ein sehr talentierter Spieler, und selbst ich als sein Coach genieße es, ihn spielen zu sehen“, sagte sein Headcoach Mariano De Pablos gegenüber David Hein von der Euroleague. „Er muss weiterarbeiten und trainieren, aber am wichtigsten ist, dass er seine Spielfreude beibehält. Das ist das Beste an ihm“, so De Pablos weiter. Tatsächlich sprüht der Linkshänder Nunez vor Spielfreude. Am wohlsten fühlt sich der 1,91 Meter große Guard mit dem Ball in der

Jeden Monat stellt euch Peter Bieg an dieser Stelle die größten Talente Europas und Deutschlands vor. Text: Peter Bieg

Hand, wenn er als Spielmacher das Geschehen buchstäblich dirigieren kann. Floater, Eurosteps, No-Look-Pässe, Flamingo-Würfe nach dem Stepback – Nunez bringt für einen 15-Jährigen ein beeindruckend ausgefeiltes Arsenal an offensiven Bewegungen mit. Er gehört zur Sorte Spieler, die aufgrund ihrer technischen Fähigkeiten bereits beim Aufwärmprogramm eine Augenweide sind. Milos Teodosic, Vassilis Spanoulis und Sergio Rodriguez nennt Nunez als seine Vorbilder, und sie erscheinen allesamt passend: spielstarke, abgezockte Guards, die den Pass im Zweifel dem eigenen Wurf vorziehen, ein Spiel aber jederzeit auch per Scoring beeinflussen können. Obwohl er mit seiner Mimik bisweilen teilnahmslos bzw. fast schläfrig wirkt, ist Nunez nahezu jederzeit Herr der Lage. Seine Court Vision ist außergewöhnlich, er antizipiert Situationen sehr schnell und hat einen weit überdurchschnittlichen BasketballIQ. Nunez, der im vergangenen Sommer mit der spanischen Nationalmannschaft die U16Europameisterschaft gewann, könnte also durchaus ein weiterer spanischer SpitzenSpielmacher werden. Ob es für eine Karriere in der NBA reicht, bleibt einstweilen abzuwarten. Einerseits ist Nunez noch sehr, sehr jung. Andererseits ist seine Athletik bestenfalls Durchschnitt, sodass er defensiv auf höchstem Niveau leicht angreifbar bleiben dürfte. redaktion@fivemag.de

JUAN NUNEZ Geburtstag: 04.06.2004 Größe: 1,91 Meter Gewicht: 82 Kilogramm Position: Point Guard Verein: Real Madrid

Stats: 9,5 PPG, 5,0 APG, 3,0 SPG, 57,1 FG% (ANGT München 2020)

QR-code: Highlights von Nunez beim ANGT in München. http://bit.ly/JuanNunez

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Satou Sabally

SATOU SABALLY

Satou Sabally spielt ihre dritte Saison an der University of Oregon und liefert für die Ducks richtig ab. Die deutsche Nationalspielerin gilt zudem als Top-Ten-Pick der WNBA-Draft 2020 und schreibt ab sofort in FIVE über ihre Erlebnisse.

ow. Ich sitze gerade im Flieger zurück nach Oregon und kann nicht schlafen. Es ist 4:30 Uhr morgens, und wir fliegen von der Ostan die Westküste der USA. Wir haben gerade bei der University of Connecticut gespielt und sie mit 18 Punkten geschlagen. 74:56. UConn gilt seit Jahren als unbesiegbares Team im Frauenbasketball. Wir haben das heute geändert, Vollgas gegeben und hoch gewonnen … Am 24. Januar haben wir gegen Oregon State gespielt. Diese Duelle werden hier „Civil War“ genannt. Der ganze Bundesstaat Oregon spielt vor diesen Partien verrückt und trägt entweder Grün oder Orange. Grün ist die Farbe meiner Ducks, Orange die der Beavers. Nachdem wir die erste Runde am Freitag 76:64 gewonnen hatten, gab es am Sonntag auswärts das Rückspiel. Die weiblichen Ducks hatten seit 2010 nicht mehr bei Oregon State gewonnen. Vergangenes Jahr verloren wir dort nach Verlängerung. Das Ganze lief in den USA im nationalen Fernsehen auf ESPN. Es war eine große Sache.

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Wir saßen im Bus auf dem Weg zum Spiel, als ich eine Nachricht von meinem Freund bekam: „Babe, I just got a call … I think Kobe died.“ Ich habe es natürlich nicht geglaubt und versucht, mich aufs Spiel zu fokussieren. „Als ob“, dachte ich. „Wir sehen Kobe und Gigi in fünf Tagen, wenn wir gegen UConn spielen.“ Ich habe es wirklich nicht geglaubt, und dann kamen wir auch schon an der Arena an. Ich packte mein Handy weg. Als ich schon umgezogen in der Umkleidekabine saß, schaute ich noch einmal drauf. Da schrieb mir mein Bruder von Kobes Tod, vom Helikopterunfall. Ich sah einen Artikel online. Ich sprach es laut aus. Keiner glaubte mir. Als wir realisierten, dass es stimmte, waren wir alle geschockt. Unser Team hatte eine spezielle Bindung zu Kobe. Seine Tochter Gigi und er waren Fans von uns (das ist so ironisch, nicht wahr?) und kamen zu einigen unserer Spiele. Er sprach mit uns und war mit meiner Mitspielerin Sabrina Ionescu befreundet. Und jetzt sollte er einfach weg sein? Niemals! Und trotzdem war es so.

Wir weinten, wärmten uns auf und weinten noch mehr. Ich weiß nicht, wie oft wir zusammengekommen sind, um uns aufzumuntern oder einfach nur zu weinen. Wir bildeten vor dem Spiel mit den Beavers einen Kreis, hielten uns an den Händen und beteten. Das war das wichtigste Spiel in unserer College-Liga, der Pac-12, und wir waren am Boden. Meine Mitspielerinnen sind wie meine Schwestern … sie alle so zu sehen, brach mir mein Herz. Irgendwie haben wir das Spiel gewonnen. 66:57. Zum ersten Mal seit zehn Jahren bei State. Doch alles, was wir fühlten, war Trauer. Bittersüß. Ich weiß immer noch nicht, wie wir es geschafft haben … Kobe ist eine Legende und wird für immer eine Legende bleiben. Die Nummer 8 auf meinem Nationalmannschaftstrikot? Kobe. Ich durfte ihn kennenlernen und werde ihn niemals vergessen können. Ich werde Gigi niemals vergessen können. Es wirkt immer noch wie eine Lüge. Und das Spiel gegen UConn? Er wäre dort gewesen. Wir haben für ihn gespielt, und wir haben gewonnen.


Moe-diary

MOE DIARY Moritz Wagner absolviert momentan

seine zweite NBA-Saison in Washington, D.C. In FIVE nimmt er euch mit auf seine Reise, die ihn von Alba Berlin über die University of Michigan bis zu den Wizards geführt hat. Text: Moritz Wagner

Fotos: Alika Jenner/Getty Images

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eder NBA-Fan kennt das: die Erinnerung daran, wie du früher nachts wach geblieben bist und die NBASpiele deines Lieblingsteams oder deines Lieblingsspielers angeschaut hast. Ich habe mir dann immer schwarzen Tee gemacht – leise, sodass meine Eltern nicht aufwachen würden – und mir sämtliche Snacks aus der Küche gegaunert. Meistens waren es solche Butterwaffeln, die meine Mutter immer bei Kaiser’s kaufte. Woran ich allerdings wenig Erinnerungen habe, sind die All-StarGames. Irgendwie hatten die nie so richtig mein Interesse geweckt. Warum genau, kann ich euch auch nicht erklären, aber mehr als die Highlights habe ich da nicht geschaut. Deswegen war der diesjährige All-Star-Break etwas ganz Besonderes für mich. Ohne jegliche Ahnung und Erwartung bin ich mit meinen Teammates Rui Hachimura und Davis Bertans nach Chicago geflogen. Nachdem Davis zum Three-Point-Contest bzw. Rui und ich zum „Rising Stars Game“ eingeladen worden waren, stellten die Wizards einen Privatjet zur Verfügung, um uns ins kalte Chicago zu fliegen. Nur um das an dieser Stelle ganz klar und deutlich kurz einmal erwähnt zu haben: Der Flieger hatte einen Teammate zu wenig an Bord – Bradley Beal wurde trotz seiner 28 Punkte pro Spiel nicht zum All-Star-Game eingeladen, was ich jetzt einfach mal so stehen lasse … Vielleicht ist das der Grund, warum ich mich nie so richtig für das AllStar-Game interessiert habe. Die Art und Weise, wie die Spieler gewählt werden, finde ich schwierig. Ich verstehe, dass die Fans eine riesige Rolle spielen in dem

Business. Aber dass sie die Starting Five wählen, was ja dann ausschließlich die Popularität des Spielers widerspiegelt, steht in keinem Verhältnis zu der Bedeutung, die eine Teilnahme am AllStar-Game heutzutage für den Spieler hat – sowohl finanziell als auch den Ruf betreffend. In Chicago angekommen, mussten wir erst einmal durch einen einstündigen Media Circuit. Das hat mich irgendwie voll an die Draft Combine erinnert. Interviews im Fernsehen und Radio, Fotoshoots und irgendwelche Social-Media-Sachen, die sich die Kollegen da immer ausdenken. Danach gab es ein Meeting mit den Teams, und wir hatten endlich Freizeit. Am nächsten Tag ging es schon um 8:30 Uhr los. Media, „NBA Cares“ und Shootaround standen auf dem Programm. Und da ist mir dann das erste Mal klar geworden, wie groß dieses Wochenende eigentlich ist. Wir kamen in den Lockerroom, und alles war schon vorbereitet: genau so, wie man das in den Mini-Movies der NBA immer sieht. Die Trainings-Trikots mit Namen und Nummer hingen bereit, mehrere Paar Schuhe, die die Jordan Brand extra angefertigt hatte, standen neben meinem Stuhl. Es gab ein paar kleine Geschenke, eine riesige Sporttasche mit Klamotten, und ich habe mich wie ein Superstar gefühlt. Es ist krass, aber in solchen Momente realisiere ich immer, wie absurd das alles ist … am liebsten würde ich dann meinen Bruder sofort facetimen und mit ihm gemeinsam auf all diese Sachen ausrasten. Aber mit all den anderen Spielern drum herum wollte ich mich jetzt nicht unnötig wie ein kleines Kind benehmen.

Bei der „NBA Cares“Veranstaltung, bei der wir mit Kindern aus Chicago Rucksäcke mit Schulbüchern gepackt hatten, war auf einmal alles abgesperrt. Ich fragte eine Aufsichtsperson nach dem Grund dafür, und sie meinte, wir bekämen hohen politischen Besuch. Ich drehte mich um zu Rui und fragte ihn: „Wollen wir wetten, dass Obama gleich kommt?“ Und er meinte nur: „Shut up!“ Zehn Minuten später stand Barack Obama in der Tür … Ich saß an einem Tisch mit Jason Kidd und Luka Doncic und malte mit ein paar Kids Lesezeichen, was schon verrückt genug war, als er reinkam. Er machte seine Runde, und als er zu unserem Tisch kam, war ich ein bisschen überfordert. Die Kids und ich an unserem Tisch waren total aus dem Häuschen. Er sagte allen Hallo, wir redeten über Michigan (seine Tochter besucht auch die University of Michigan) … es war mit Abstand der coolste Moment des Wochenendes. Das Spiel später hat Spaß gemacht, obwohl es auch ein wenig komisch ist. Man möchte hart spielen, weil man gewinnen will, aber wenn man zu hart spielt, wird man komisch angeguckt. Ich meine, ich möchte nicht der Typ sein, der Zion Williamson oder Miles Bridges aus der Luft holt … da lass ich die lieber ihre Dunkshow machen, und alle bleiben verletzungsfrei. Ich muss schon sagen, dass es extrem cool war, mit den Jungs auf einem Court zu stehen. Ich hätte echt nie gedacht, dass ich mal dieses Privileg haben würde. Meine Eltern waren sogar für 24 Stunden nach Chicago gekommen, um mich zu sehen, was das Wochenende umso besser gemacht hat.

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Bei der geburt getrennt

kollisionskurs

- kollisionskurs Blowjob

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as sieht doch ein Blinder!“, „Fehlentscheidung des Jahrhunderts!“, „So kann man die NBA einfach nicht mehr ernst nehmen“. Glaubt man den Zigtausenden von Fans, die sich auf Twitter nach jedem NBA-Spiel über die Refs beschweren, ist die Leistung der Schiedsrichter in dieser Saison so schlecht wie noch nie und stellt die Validität der besten Basketballliga der Welt in Frage. Das nicht gepfiffene Goaltending an Damian Lillard, das falsch gepfiffene Goaltending von John Collins, der nicht zählende BreakawayDunk von James Harden … alles – zumindest in der Zeitlupe –

Bei der geburt getrennt Lionel Richie

danny green 16

eindeutige Calls. Irgendwas stimmt hier doch nicht, wenn Schiris so etwas nicht sehen. Aber ich kann euch beruhigen. Gepfiffen wird genauso schlecht wie sonst auch. Oder genauso gut. Ist einfach eine Sache der Weltanschauung. Sind Gläser für euch halb leer oder halb voll? Refs müssen in einem Basketballspiel mehr als 500 Mal entscheiden, ob sie pfeifen oder nicht. In den letzten Jahren schwankt der Anteil an korrekten Calls zwischen 93 und 95 Prozent pro Spiel. Ich würde sagen, das ist exzellent, egal in welcher Branche ihr seid. Umso beeindruckender ist die Statistik, wenn man bedenkt, dass sie unter dem Mikroskop der Welt stattfindet und Entscheidungen größtenteils in Sekundenbruchteilen gefällt werden müssen. Trotzdem stehen Schiedsrichter praktisch jeden Tag im Sperrfeuer der Kritik. Viel mehr als vor 10 oder 20 Jahren. Warum ist das so? Zuallererst möchte ich eine wichtige Differenzierung machen. Die Refs waren früher nicht besser als heute, aber ich denke, sie waren erfahrener. Wenn ich mir heute ein NBA-Spiel anschaue, dann sind die Refs junge Männer und Frauen. Zumindest jünger als die Truppe, mit der viele von uns aufgewachsen sind. Erinnert ihr euch an Dick Bavetta, Joey Crawford und Dan Crawford? An Steve Javie und Bob Delaney? Das waren in den 90ern und 2000ern die Legenden unter den NBASchiedsrichtern. Die All-Time Starting Five des Officiatings. Die Oldtimer, die gefühlt jedes wichtige Spiel über zwei Dekaden gepfiffen haben und von allen Spielern respektiert wurden. Pro Mann zwischen 24 und 39 Dienstjahre auf dem Buckel. Und alle fünf Giganten sind zwischen 2011 und 2017 in den Ruhestand gegangen. Nachgerückt sind jüngere Refs mit weniger Erfahrung. Ein weiterer Grund, warum NBAOfficiating in den letzten Jahren mehr und mehr zerrissen wird, obwohl die Anzahl der korrekten Calls beständig hoch bleibt, ist mit Sicherheit auch die Transparenz. Wir sehen einfach mehr als früher. 4K Streaming, Highdef-Zeitlupen aus jedem Winkel mit Zoom bis in die Nasenlöcher

und allen voran der NBA-Ref-TwitterAccount, der Fehlentscheidungen zugibt. Das gab es damals nicht. Klar gab es schon immer strittige Entscheidungen, aber der unwiderlegbare Pixelbeweis, ob der Daumennagel noch am Ball war, und Schiedsrichter-Mea-Culpas schüren nun zusätzlich das Feuer. Wo früher Fehlentscheidungen nur vermutet wurden, herrscht nun Gewissheit bei Leuten, die mit Chips und Bier auf ihrer Couch bewaffnet eh meinen, sie wüssten und könnten alles besser. Der dritte und letzte Grund, warum ich mir sicher bin, dass die SchiedsrichterLeistungen sich nicht verschlechtert haben, sind die Spieler. Die Schiris sind nicht schlechter geworden – sondern die Spieler und besonders die Superstars sind einfach besser darin, das Regelwerk so auszunutzen, dass die Refs gezwungen sind zu pfeifen. Ein James Harden spielt nicht einfach nur Basketball, er baut die Refs in sein Spiel ein. Er weiß genau, womit er durchkommt. Worauf geachtet wird und worauf nicht. Zieht man in Betracht, wie sehr Harden das Foulschinden perfektioniert hat, ist es durchaus denkbar, dass er sich auf die Refs genauso vorbereitet wie auf seine Gegner. Ich wiederhole: Zwischen 93 und 95 Prozent aller Calls sind korrekt. Es fühlt sich nur nicht so an. Aber liegt das tatsächlich an den Refs? Oder liegt es an den Spielern, die sich mehr als je zuvor wild gestikulierend bei den Schiedsrichtern beschweren und deren Calls nicht nur auf dem Feld, sondern mittlerweile öffentlich in Pressekonferenzen oder über Social Media in Frage stellen? Ich denke, letzteres ist der Fall. Wir sehen, was wir sehen wollen. Und wer sich lange genug über Dinge aufregt, die ihm nicht passen und die er nicht kontrollieren kann, wird anfangen, Probleme zu sehen, wo eigentlich keine sind. Das gilt für alle Bereiche, in denen Emotionen im Spiel sind. Robbin Barberan (Editor-in-Chief, KICKZ.com)


sneakers

SNEAKER HALL OF FAME:

PUMA CLYDE

FIVE hat eine eigene Hall of Fame eröffnet! Ab sofort nehmen wir jeden Monat einen herausragenden Sneaker der Basketballschuhgeschichte in unsere Ruhmeshalle auf. Der „Inductee“ in diesem Monat? Der „Puma Clyde“.

Fotos: Dick Raphael/Ken Regan/Mike Stobe/Getty Images

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nfang der 70er Jahre gibt es noch keine Schuhverträge. Firmen rüsten die Spieler zwar aus, Geld bekommen die Profis dafür aber nicht. Puma will jedoch den Markt – angetrieben von der Zentrale in Deutschland – aufmischen. Zu dieser Zeit sind die New York Knicks ein Powerhouse der NBA. Mit Walt „Clyde“ Frazier führt die Knickerbockers nicht nur ein begnadeter Point Guard, sondern auch ein selbst ernannter Styler an. Frazier wird „Clyde“ genannt, weil er mit seinem Hut mit der dicken Krempe aussieht wie der gleichnamige Bankräuber aus dem Film „Bonnie & Clyde“. So grazil Frazier in der NBA punktet, seine Leistungen im New Yorker Nachtleben stehen denen auf dem Court in nichts nach. Er ist der perfekte Mann für Puma … also stellen die Herzogenauracher Kontakt zu Frazier her. „Ein PumaAngestellter gab mir das Modell ‚Puma Basket‘, doch die waren sehr schwer“, erinnert sich Frazier. „Ich sagte: ‚Ich könnte die nicht mal anziehen, wenn ihr mich dafür bezahlt. Die sind zu klobig.‘“ Doch Puma sieht den „Basket“ nur als Start. Frazier soll auf dessen Grundlage und auf der des „Suede“ Vorschläge für seinen eigenen Schuh machen. Das ist Musik in den Ohren von Frazier. Er möchte einen leichteren Sneaker, der innen zusätzlich gepolstert, flexibel und aus Wildleder ist. 1973 erscheint nicht nur der von Fraziers Ideen inspirierte Schuh, Puma nennt ihn auch „Clyde“ – es ist der erste Signature-Schuh der Sportgeschichte. „Für mich war das damals ein Egoding“, lacht Frazier. „Ich war der einzige Typ, egal in welchem Sport, der seinen eigenen Schuh hatte!“ Im selben Jahr schlagen die Knicks die L.A. Lakers in den NBA-Finals. Doch der Sneaker ist kein Hit in den USA. Außerhalb von New York City und den umliegenden Bundesstaaten verkauft sich der „Clyde“ kaum. Das ist aber ziemlich egal … „Wir setzten so viele Schuhe in New York ab – in den Läden war der ,Clyde‘

andauernd ausverkauft“, lacht Frazier. „Wir brauchten den Rest des Landes nicht, sondern nur New York, New Jersey und Connecticut.“ Der „Clyde“ wird zu DEM Kultobjekt im „Big Apple“. Kids sparen monatelang, um sich die 25-DollarSneakers leisten zu können. Schnell wird Fraziers Schuh zu einer Style-Ikone. „Um den ,Clyde‘ zu bekommen, musstest du etwas opfern“, erklärt Frazier. „Eine Menge Leute haben mir erzählt, dass sie dafür Geld von ihrem Sparbuch abgehoben haben.“ Der Grund für diesen Erfolg? Der „Clyde“ ist der erste Schuh, der vom Sportartikel zum modischen Statement wird. Frazier trägt seinen Schuh nicht nur auf dem Parkett, sondern auch häufig, wenn er im Nachtleben der Stadt, die niemals schläft, unterwegs ist. „Seine Silhouette ist so simpel wie zeitlos im Design“, erklärt Frazier. „Ich konnte den ,Clyde‘ zu meinen normalen Outfits anziehen.“ Weil diese aber keineswegs „normal“ daherkommen, sondern auf der Welle des modischen Zeitgeists immer ganz, ganz oben surfen, wird der Schuh Kult. Außerdem laufen viele der Playground-Legenden plötzlich mit „Clydes“ im Rucker Park auf, was dem Schuh zusätzliche Popularität einbringt. „Er war der mit Abstand am meisten gefragte Schuh dieser Zeit“, erinnert sich Sneaker-Connaisseur Bobbito Garcia in seinem Buch „Where’d you get those?“. „Jeder, den ich für mein Buch interviewt habe, sagte mir, dass der ,Clyde‘ der erste Wildlederschuh war, den er auf den Straßen New Yorks gesehen hat.“ In den 80er Jahren tragen ihn die Breakdancer der New York City Breakers und der Rock Steady Crew. Die Beastie Boys treten zum Teil in „Clydes“ auf, was die Popularität weiter steigert. „Ich sage immer: Lange bevor es ,Air Jordans‘ gab, gab es den ,Clyde‘“, blickt Frazier heute lachend zurück. Sein Schuh war der Pionier, der den Weg für die heutige SignatureSchuh-Kultur ebnete.

DID YOU KNOW? 2019 brachte Puma im Zuge des Neustarts der eigenen BasketballAbteilung eine Weiterentwicklung des „Clyde“ auf den Markt, den „Puma Clyde Hardwood“.

Name: Hersteller: Designer: Jahr: Preis: OG-Farben:

Puma Clyde Puma unbekannt 1972 25 Dollar weiß/orange, weiß/blau, orange/blau

Clyde Frazier unterschrieb im Juni 2018 einen Vertrag auf Lebenszeit mit Puma. Zur Feier des Tages verkaufte die Firma in New York eine auf 73 Paar limitierte Sonderauflage des „Clyde“ in den Farben der Knicks.

Frazier soll bei einer Partie mit einem orangefarbenen „Clyde“ mit blauem Puma-Logo an einem Fuß und der umgekehrten Farbkombination am anderen gespielt haben.

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De’Anthony

Melton

Kick & Push Für die Memphis Grizzlies ist De’Anthony Melton zu einem wichtigen Impulsgeber avanciert. Der Zweitjahresprofi liefert von der Bank beachtlich ab. Text: Christian Orban

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ie jungen Memphis Grizzlies um Ja Morant und Jaren Jackson Jr. haben in dieser Saison bereits alle Erwartungen übertroffen. Schließlich rangierten sie im umkämpften Westen der NBA zur All-Star-Pause auf dem achten Platz. Dabei begeistert das Team von Headcoach Taylor Jenkins vor allem mit sehenswertem Offensivbasketball. So wird der Ball schnell gemacht und exzellent bewegt. Ligaweit verteilt keine Mannschaft mehr Assists als die Jungbären, bei denen im Übrigen auch Veteranen wie Big Man Jonas Valanciunas gewinnend beitragen. Zum Teilerfolg gehört ebenso eine funktionale und produktive Bank, wobei Zweitjahresprofi De’Anthony Melton als wichtiger Impulsgeber ins Spiel kommt. In durchschnittlich 18 Einsatzminuten versteht er es, allabendlich den Boxscore zu füllen: 7,9 Punkte bei 55,2 Prozent True Shooting gepaart mit 3,7 Rebounds, 3,0 Assists und 1,3 Steals erzielt der dynamische ComboGuard für die „Grizz“. Einsatz, Energie und defensiver Biss zeichnen ihn in bester Franchise-Tradition aus. 2018 wurde Melton von den Houston Rockets an 46. Stelle gedraftet, aber wenig später in die Wüste Arizonas geschickt. Nach seiner Rookie-Saison – in der der vormalige USC Trojan gute

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Ansätze zeigte und seine Vielseitigkeit aufblitzen ließ – schoben ihn die Phoenix Suns in einem Tradepaket indes nach Memphis ab. Nicht zuletzt, um – typisch Suns – Geld zu sparen. In Tennessee kam Melton zu Saisonbeginn zunächst kaum zum Zug und kassierte in den ersten 18 Partien elf „DNPs“. Als Top-Rookie Ja Morant kurzzeitig verletzt auffiel, öffnete sich für den 21-Jährigen jedoch die Rotation von Coach Jenkins, in der er sich seither als eine Stütze der Bank festgespielt hat. Dass Memphis nun über einen der effektiveren „Benchmobs“ der Liga verfügt, hat viel mit Meltons Spiel an beiden Enden des Feldes zu tun. So weist er offensiv wie defensiv die mit Abstand besten On/Off-Zahlen seines Teams auf. Im Angriff agiert der Angelino zumeist an der Seite eines passstarken Ballführers wie Backup-Aufbau Tyus Jones. Denn als Spielgestalter wirkt Melton oft überfordert und ist anfällig für Ballverluste. Am besten ist er daher aufgehoben, wenn er sich als fähiger sekundärer Playmaker an einfachere Aktionen hält – Kickout-Pässe zu den Schützen oder Durchstecker auf die Finisher in der Zone. Was den eigenen Abschluss betrifft, muss Melton weiter an seinem Sprungwurf arbeiten (34,5 FG%). Zumindest nimmt er ihn mit

Selbstvertrauen und trifft bei geringem Volumen achtbare 37,5 Prozent seiner Dreier aus dem Catch-and-Shoot. Im Umschaltspiel, das Memphis offensiv so gefährlich macht, ist der agile und athletische 1,88-Meter-Mann derweil in seinem Element. So spielen die Jungbären noch schneller mit ihm, da er in Transition den Ball pusht, in Korbnähe sicher abschließt und unter anderem einen formschönen Fingerroll im Repertoire hat. Obendrein schneidet der 21-Jährige clever in freie Räume, die sich im Halbfeld bieten. Meltons größte Stärke ist indes seine disruptive defensive Präsenz. Mit seinen langen Armen, flinken Füßen und fantastischen Instinkten ist er ein allgegenwärtiger Störfaktor, der die „Grizz“ trotz überschaubarer Spielzeit bei den verbuchten Ballgewinnen und Deflections (2,5 pro Partie) anführt. Zudem weist der Südkalifornier die höchste Reboundrate aller NBA-Profis auf, die kleiner als 1,90 Meter sind. Melton ist sonach ein Spieler, der Stopps generiert und seinem Team damit sehr hilft. Nicht umsonst lässt Memphis mit ihm auf dem Feld pro 100 Ballbesitze knapp acht Punkte weniger zu, als wenn er auf der Bank sitzt – was dem Unterschied zwischen einer bärenstarken und einer lausigen Defensive entspricht. redaktion@fivemag.de


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Nerlens

Noel

Lobs & Stopps In Oklahoma City ist Nerlens Noel zu einem hocheffizienten Rollenspieler gereift. Dabei überzeugt der Thunder-Big-Man an beiden Enden des Feldes. Text: Christian Orban

Fotos: Jesse D. Garrabrant/Fernando Medina/NBAE via Getty Images

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ass die Profikarriere von Nerlens Noel bisher enttäuschend verlief, ist kein Geheimnis. Aufgrund einer Knieverletzung verpasste der sechste Pick der 2013er Draft zunächst sein erstes NBA-Jahr. Danach tat er sich schwer damit, sich bei den Philadelphia 76ers als Starter teamdienlich einzufügen. So wurde Noel mit seinem im folgenden Sommer auslaufenden RookieVertrag Anfang 2017 nach Dallas getradet. In Texas wusste der athletische Big Man als Teilzeitstarter zu gefallen und erhielt daher in der Offseason 2017 von den Mavs ein hoch dotiertes Angebot über vier Jahre – das er jedoch ausschlug. Stattdessen setzte er auf sich selbst, unterschrieb nur für ein Jahr in Texas und verspekulierte sich damit gehörig. Denn in der Folgesaison enttäuschte Noel durchweg. Auch weil ihn eine Verletzung über Monate ausbremste und er abseits des Feldes negativ auffiel. Die Bedenken hinsichtlich seiner Arbeitsmoral, Professionalität und Reife schreckten die Oklahoma City Thunder indes nicht ab. Sie ermöglichten Noel einen weiteren Neuanfang und nahmen ihn für die Saison 2018/19 unter Vertrag. Nach soliden Leistungen als Backup-Center befindet sich der 25-Jährige nun in seiner zweiten Spielzeit bei den Thunder, wobei er wiederum nur das Liga-Minimum bezieht. Ein Umstand,

der sich im nächsten Sommer wohl ändern dürfte. Schließlich zeigt sich Noel heuer sichtlich gereift und spielt für das Überraschungsteam aus OKC den besten Basketball seiner Karriere. Mit 8,3 Punkten, 5,3 Rebounds, 1,2 Assists, 1,1 Steals und 1,5 Blocks trägt er in knapp 20 Minuten pro Partie vorzeigbar bei und besticht als hocheffizienter Bankspieler. Ein großer Vorteil ist dabei natürlich die Präsenz von Chris Paul, der auf und neben dem Feld als Anführer vorangeht und seinen jüngeren Teamkollegen zu individuellen Erfolgssaisons verhilft. Dass die Chemie zwischen dem behänden 2,08-Meter-Mann und dem „Point God“ stimmt, ist gerade im Angriff unverkennbar. „Zu Saisonbeginn gab es ein Gespräch mit Nerlens – wir sitzen in der Kabine ohnehin direkt nebeneinander. Ich habe ihm gesagt, dass ich große Jungs ganz gut in Szene setzen kann und der Ball ihn finden wird, wenn er mich ordentlich abschirmt“, erklärt Paul. „Es war sehr einfach. Nerlens ist ein selbstloser Typ, der Abend für Abend alles tut, was das Team von ihm braucht. Es ist schön, ihn dafür zu belohnen.“ So brilliert Noel als explosiver Abroller aus dem Pick-and-Roll, während er auch ballfern gekonnt zum Korb schneidet, Putbacks unterbringt und am Ring generell famos finisht (85,1 FG%).

Fast die Hälfte seiner Abschlüsse sind hierbei Dunks, für die der leicht gebaute Vertikalakrobat gern nach Lob-Pässen von Paul oder „Best Sixth Man“-Kandidat Dennis Schröder (mit dem er ebenso prächtig harmoniert) einfliegt. Wie effizient und rollenbewusst Noel agiert, illustriert die zweithöchste True-Shooting-Quote der Liga (72,0 TS%). Denn trotz des fehlenden Sprungwurfs versenkt er heuer beachtliche 80,5 Prozent seiner Freiwürfe. Beides sind für ihn deutliche Karrierebestwerte. Defensiv überzeugt der Mann aus New England als blockstarker Ringbeschützer, der viele Würfe erschwert und exzellent aushilft. Seine Mobilität, die gute Antizipation und seine schnellen Hände versteht er zudem auch in den Passwegen gewinnend einzusetzen. Zahlreiche Ballgewinne und abgefälschte Pässe sind die Folge. Gegen physische Big Men hält der mäßige Defensivrebounder indes nicht so gut stand. Noel ist demnach ein wichtiger Ergänzungsspieler, auf den das Playoffteam der Thunder zählen kann. Seine Produktion an beiden Enden ist in der Liga derweil nicht unbemerkt geblieben und dürfte im kommenden Sommer belohnt werden, wenn der effektive Ersatzmann erneut in die Vertragsfreiheit geht. redaktion@fivemag.de

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Luka

Doncic

LUKA DONCIC

LUKA MAGIC

Aus Luka Doncic wurde in nur anderthalb Jahren „Luka Magic“. Wie konnte das so schnell passieren? Und auch wenn er schon jetzt so verdammt gut ist – kann er noch besser werden? Text: André Voigt

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6. Januar 2020. Es sind noch nicht viele Fans im American Airlines Center (AAC). Die Türen an der 2500 Victory Avenue haben sich erst vor einigen Minuten geöffnet. Es ist ausverkauft, mal wieder. Seit dem 15. Dezember 2001 blieb im AAC bei einem Heimspiel der Dallas Mavericks kein Platz frei. Der Rekord der Portland Trail Blazers, die bei 814 Partien „Ausverkauft!“ meldeten? Gebrochen von den Mavs, und ein Ende ist nicht in Sicht. Sicher, Besitzer Mark Cuban ist ein cleverer Mann. Die Ticketpreispolitik seiner Franchise trägt einen nicht unerheblichen Teil dazu bei, dass im AAC an Spieltagen kein Platz frei bleibt. Karten gibt es im Oberrang – außer die absoluten Superstars der NBA sind in der Stadt – so gut wie immer zu einem erschwinglichen Tarif. Die Zeiten der elastischen Preisbildung dürften in Dallas aber zunehmend der Vergangenheit angehören. Der Grund steht anderthalb Stunden vor der heutigen Partie mit Assistant Coach Jamahl Mosley auf dem blanken Parkett des AAC und wirft. Sein Name: Luka Doncic. In der Regel finden Fans, die so früh aus dem Umlauf einer NBA-Arena ins Innere wandern, keine Superstars auf dem Feld vor. Die besten Spieler werfen sich früher ein, wenn die Türen noch verschlossen sind, oder sie weichen im Fall der Mavericks auf die ehemalige Trainingshalle des Teams aus, die sich unterirdisch unter dem südlich gelegenen Haupteingang der Arena befindet. Luka Doncic ist jedoch heute da und wirft. Er ist sogar der einzige Stammspieler, der zu sehen ist. Und deshalb dröhnt aus den Lautsprechern auch nicht der normale Musikmix des

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Haus-DJs, sondern „Ekstaza“ von Ana Nikolic und „La Romana“ von Bad Bunny. Jamahl Mosley, eigentlich für die Defensivstrategie im Stab von Headcoach Rick Carlisle zuständig, übernimmt die Rolle des Verteidigers. Beide laufen ein Phantom-Pick-and-Roll nach dem anderen. Einen Blocksteller gibt es nicht, nur Doncic und seinen Gegner. Aus dem Stand heraus attackiert der 21-jährige All Star seinen Coach immer wieder mit seinen so spielerisch aneinandergereihten Dribble-Moves. Mal münden diese in einem Dreier nach dem Schritt weit hinter die Dreierlinie, mal folgt dieser Bewegung dann doch der Drive in die Zone und ein hoch abgeworfener Floater – letzterer mal mit links abgesprungen und rechts abgeworfen oder halt vom falschen Bein mit rechts. Als Nächstes geht es in ein reines Eins-gegen-eins. Es wird kein Block simuliert. Doncic attackiert den groß gewachsenen Mosley. Beide wissen jedoch, was am Ende der Crossover und Stepbacks stehen wird: der Dreier. Doncic drückt immer und immer wieder ab, Mosleys Hand nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Zwei Drittel seiner knapp 30 Versuche finden das Ziel. Als das Programm durchlaufen ist, gibt es noch zwei erfolglose Versuche von der Mittellinie sowie eine Gruppenumarmung mit Mosley und seinem Kollegen Darrell Armstrong, bevor Doncic über das halbe Feld Richtung Kabine sprintet. Unterwegs sieht er noch einen jungen Fan mit Doncic-T-Shirt, hält an, schlägt mit dem Youngster ein und verschwindet dann in den Katakomben.

Nicht clutch, kein Beifall

Dass der Superstar an diesem 06. Januar vor der Partie gegen harmlose Chicago

Bulls Extraschichten schiebt, hat einen Grund. Zwei Tage zuvor hatten die Mavs gegen ähnlich ungefährliche Charlotte Hornets verloren. Und zwar nicht nur vor heimischem Publikum, sondern mal wieder knapp: 120:123. Doncic legte gegen das Team von Besitzer Michael Jordan ein Triple-Double mit 39 Punkten, zwölf Rebounds und zehn Assists auf. Er traf aber nur 14 seiner 32 Würfe, nur fünf von 15 Dreiern, verlor fünf Mal den Ball. Erneut hatte das Team in der Crunchtime versagt. Gegen die Hornets mit drei Zählern nach Verlängerung, davor gegen die Oklahoma City Thunder auswärts mit fünf, gegen die Miami Heat mit vier etc. pp. Über die gesamte Saison gesehen liegen die Mavs beim Offensivrating auf dem ersten Platz ligaweit. Sie erzielen überragende 117,6 Punkte auf 100 Ballbesitze gerechnet. Wenn es jedoch eng wird, agiert nur der Angriff der Detroit Pistons zahnloser. Dann legen die Mavs 92,8 Zähler in 100 Angriffen auf – ein katastrophaler Wert. „Manchmal haben wir die Tendenz, dass wir – wenn wir mit fünf, sechs Punkten vorne sind – die Zeit runterspielen wollen“, versucht Power Forward Maxi Kleber die Probleme zu erklären. „Das bringt uns dann schlechte Würfe, und die führen zu einer schlechten Transition-Defense oder generell zu einer schlechten Verteidigung.“ Vor allem an Doncic nagt das. Er hat den Ball für diese Mavericks in der Hand. Er ist der offensive Zielspieler. Einer, der für alle anderen mitkreiert. Der Slowene soll enge Partien gewinnen und tut es oft nicht. Die NBA fasst Leistungen am Ende von engen Partien in ihren „Clutch“-


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Luka

Statistiken zusammen. Dort werden nur Aktionen erhoben, die innerhalb der letzten fünf Minuten einer Partie (regulär und Verlängerung) passieren, wenn kein Team mit mehr als fünf Punkten Unterschied führt. Wer dann abliefert, ist „clutch“. Doncic ist es nicht. Seine effektive Feldwurfquote in der Saison liegt bei 53,7 Prozent. In engen Partien fällt sie auf eiskalte 39,4 Prozent. Von Downtown finden dann statt 32,4 nur 18,5 Prozent seiner Dreier das Ziel. Zu Redaktionsschluss hatten 394 NBA-Profis in mindestens 20 engen Partien auf dem Feld gestanden. Doncic’ Plus-Minus-Wert in diesen Spielen liegt bei -0,5 – seine Mavs machten also während seiner Spielzeit „in the clutch“ 0,5 Punkte im Schnitt weniger als der Gegner. Damit belegt er ligaweit den 234. Rang. „Es gibt am Ende einer Partie nur eine begrenzte Anzahl von Aktionen, die du laufen kannst“, analysiert Mavs-Guard Seth Curry die Probleme seines Teams. „Natürlich wollen wir, dass Luka den Ball in die Hände bekommt, damit er etwas kreiert. Aber ich denke, dass wir vielleicht andere Wege finden müssen, um den Ball zu ihm zu bekommen.“ Doch wenn das Team diese neuen Ideen entwickelt, ist es trotz aller Innovation natürlich immer noch Doncic, der dann abliefern muss. Deshalb steht er an diesem Januartag so früh in der Halle. Er weiß, dass er bei aller bereits realisierten Qualität noch eine Menge lernen und besser werden muss. Nicht um ein produktiver NBA-Profi zu werden, ein All Star oder gar erweiterter MVP-Kandidat – das ist der Youngster schon. Es geht um viel, viel mehr …

Doncic

Immerhin hatte dieser Junge schon mit 13 Jahren seine Heimat verlassen, um bei Real Madrid seine Profikarriere zu starten. Dort hatte er eine der bestmöglichen Ausbildungen der Welt genossen und einen Klub gefunden, der schon früh an ihn glaubte. Bereits 2014/15 debütierte er in der spanischen ACB für die Königlichen und absolvierte fünf Partien. In der Folgesaison stand er dann bereits in 39 Spielen in der spanischen Beletage auf dem Parkett, startete acht Mal, erzielte 4,5 Punkte, traf 52,6 Prozent aus dem Feld sowie 39,2 Prozent von der Dreierlinie. Da war er gerade 17 Jahre alt.

„Wenn ich schnell wäre, würde ich schnell spielen. Aber ich bin langsam, also spiele ich in meinem eigenen Rhythmus und lasse das Spiel zu mir kommen.“

Luka Begins

Dass sich Luka Doncic bereits 2019/20, in seiner erst zweiten NBA-Saison, Gedanken darüber macht, wie er knappe Spiele für einen Playoff-Anwärter in der Western Conference gewinnt, war so weder geplant noch zu erwarten gewesen. Sicher, wer mit 19 Jahren bereits als „Rookie of the Year“ die Erwartungen übertrifft, dessen Zukunft ist rosig. 21,2 Punkte, 7,8 Rebounds und 6,0 Assists sorgten auch für Vergleiche mit den ganz Großen dieses Spiels … und die entscheiden eben knappe Partien. Die Frage vor der zweiten NBA-Saison des „Boy Wonder“ war jedoch: Wie kann er sich überhaupt nennenswert verbessern? Doncic kam von Beginn an über seinen immensen Basketballintellekt sowie seine Technik. Er las und verstand das Spiel in seiner Debütsaison bereits besser als so mancher Veteran. Athletisch würde er bestimmt nach einem Sommer in den Händen der US-Athletikfabriken zulegen, den einen oder anderen Fehler weniger machen. Aber sonst? Was sollte dieser Junge eigentlich noch großartig lernen, was er nicht ohnehin schon wusste?

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Als Teenager in einem fremden Land ohne Kenntnisse der dortigen Sprache an seinem Basketballtraum arbeiten? Doncic hatte den Willen und die Motivation, um diesen knüppelharten Weg zu gehen. Ein Wunderkind, das trotz all des Drucks im besten Sinne ein Kind blieb – auf und neben dem Parkett. Dabei war sein Weg schon früh vorgezeichnet. Als Sohn eines Basketballprofis (sein Vater Sasa Doncic war mehrfacher All Star in Slowenien) kommt er früh mit dem Spiel und der Leidenschaft dafür in Kontakt. Wo immer sein Vater spielt, ist er eines der Kinder, die in der Halbzeit auf die Körbe der jeweiligen Halle werfen. Mit sieben Jahren absolviert er sein erstes Training in einer Basketballschule und wird nach 16 Minuten direkt in die U12 gesteckt – er ist einfach zu gut. Selbst beim renommierten Klub Olimpija Ljubljana wird Doncic immer zu den Jugendteams geschickt, deren Spieler gleich mehrere Jahre älter sind als er.

Auch wenn er Gleichaltrige dominiert, aufgrund des Altersunterschieds in den anderen Mannschaften lernt der kleine Luka das Dasein als Rollenspieler. Er lernt, trotz seiner Jugend und körperlicher Nachteile zurechtzukommen. Und obwohl er jede freie Minute seines jungen Lebens damit verbringen will, Basketball zu spielen, wird er nie verbissen. Basketball ist ein Spiel, Doncic spielt, probiert, lernt, genießt. „Das Unglaublichste an ihm war, wie er seine Persönlichkeit ändern konnte“, erinnert sich Lojze Sisko, damals Jugendkoordinator von Olimpija, gegenüber ESPN.com. „Er war auf dem Feld immer selbstbewusst, wollte immer gewinnen. So fokussiert er aber auf dem Parkett war – sobald das Spiel zu Ende war, wurde er zu diesem immer lachenden kleinen Jungen. Er machte Witze und hatte dieses einnehmende Wesen.“ Dann im April 2012 explodiert Doncic bei einem U13-Turnier in Rom. Gegen das Team von Lazio legt er 54 Punkte, elf Rebounds und zehn Assists auf – 39 seiner Zähler liefert er in der ersten Halbzeit. Real Madrid, das ihn schon länger auf dem Zettel hat, bietet ihm daraufhin einen Vertrag an. Auch andere europäische Spitzenteams stehen Schlange. Gegen die Bitte seiner Mutter, die ihn gern noch länger in Slowenien gesehen hätte, entscheidet sich Luka für die Königlichen und die Trennung von seiner Familie. „Es war hart, besonders die ersten zwei, drei Monate“, blickt Doncic zurück. „Ich hatte meine Eltern nicht bei mir, aber ich hatte die anderen Spieler. Ich war 13 Jahre alt und musste mich auf all das vorbereiten, was danach kommen sollte.“ Bei dieser Vorbereitung helfen ihm in der Folge Veteranen wie Sergio Lull oder Sergio Rodriguez und natürlich Trainerlegende Pablo Laso. Er saugt alles auf und übertrifft als Teenager alle Erwartungen. Egal worum es geht, die Mitspieler und Coaches staunen über die schnelle Auffassungsgabe des Nesthäkchens. ACB-MVP, Euroleague-MVP, spanischer Meister, Euroleague-Champion, Europameister – all das erreicht Doncic, bevor er 20 Jahre alt ist.

Eine neue Art Superstar

Mark Cuban witzelt 2019, er habe bei einem Sommer-Workout seines Stars „einen Bauchmuskel gesehen, vielleicht zwei“. Luka Doncic antwortet mit einem Tweet: „6 pack coming soon“, gefolgt von vier vor Lachen weinenden Emojis. Doch selbst wenn: Ein Sixpack oder ein etwas verbesserter Antritt würde ihn kaum basketballerisch auf ein neues Niveau heben. Oder? „In der Offseason 2019 sah ich bei Luka, dass er schneller geworden ist. Er hatte bei seinen Richtungswechseln ja eh immer schon ein gutes Timing. Außerdem macht er es für die Verteidigung


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Fotos: Glenn James/NBAE via Getty Images


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Luka

schwer, weil er diesen Stepback-Dreier hat. Deshalb müssen die Verteidiger nah an ihn ran, aber dann schlägt er sie halt trotzdem“, blickt Maxi Kleber, selbst mittlerweile einer der besseren Verteidiger der ganzen Liga, zurück. „Vergangenen Sommer hat er dann ein paar Crossover ausgepackt, bei denen ich mir als Verteidiger dachte: ‚Wow!‘“ Doncic verbrachte also die freien Wochen nicht nur mit Sit-ups und BoxJumps. „Ich arbeite hart. Diesen Sommer hatte ich eine Menge Zeit dafür … in den Jahren zuvor waren es immer nur drei oder vier Wochen gewesen“, erklärt er. „Ich habe an allem gearbeitet, aber besonders an meinem Wurf“, verrät er bei NBA.TV. Mavs. com diktiert er, dass seine „linke Hand“ ein Schwerpunkt seiner Sommerarbeit gewesen sei. „Er hat auf jeden Fall richtig geackert. Luka ist viel schneller bei seinen Richtungswechseln geworden. Viele sagen ja, dass das zweite NBA-Jahr schwer ist, weil sich dann die ganzen Verteidiger auf dich konzentrieren und alles nicht mehr so leicht ist“, führt Kleber weiter aus. „Als ich das im Sommer gesehen habe, dachte ich mir schon, dass Luka eine gute Saison haben wird … aber dass er dann so gut wird, das hat wohl keiner geahnt.“ Mit „so gut“ umschreibt Kleber die 28,8 Punkte, 9,5 Rebounds und 8,6 Assists pro Partie sowie den Anstieg von Doncic’ Nutzungsrate (Usage Rate) von 30,5 auf 36,1 Prozent. 36,1 Prozent der Mavericks-Angriffe beendet Doncic mit einem Wurf, Freiwürfen oder einem Ballverlust. Hinzu kommen seine 8,6 Vorlagen pro Partie. In der NBA rangiert bei der Usage Rate nur Giannis Antetokounmpo vor dem Slowenen. Genau wie sein griechischer Kollege aus Milwaukee verkörpert Doncic spätestens seit dieser Saison also diese neue Art Superstar, den jeder in seinem Team wissen will. Die Rede ist von den Spielern, um die sich bei einer Franchise absolut alles dreht: die Handvoll legitimer MVP-Kandidaten. Während die vorangegangene Generation von wertvollsten Spielern natürlich großartige Zahlen auflegte und in der Crunchtime Heldentaten vollbrachte, wurde die Last doch in der Regel auf mehrere Schultern verteilt. Michael Jordan legte nur einmal eine Nutzungsrate von über 35,0 Prozent hin – das war in der Saison 1986/87, als er sich in einem miesen Bulls-Team offensiv austoben durfte. Selbiges galt für Kobe Bryant, der Smush Parker und Co. 2005/06 durch die Spielzeit schleifte. Selbst beim ultimativen offensiven Einmannteam, den Philadelphia 76ers von 2000/01, kam Allen Iverson nur auf eine Nutzungsrate von 35,9 Prozent. Heute jedoch sind einige Trainerstäbe und auf Analytics vertrauende Führungsebenen zu dem nachvollziehbaren Schluss gekommen, dass sie die Offensive

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Doncic

„Er wird der beste Spieler sein, den Dallas je hatte. Ich habe großen Respekt vor Nowitzki, aber Dirk ist nicht Luka.“ Jerry West -----------

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ihrer Mannschaft wann immer möglich in die Hände ihres besten Angreifers legen. Die Cleveland Cavaliers etwa zwangen über Jahre den Gegner vor allem in den Playoffs zu einem Switch, der dazu führte, dass der schmächtigste Verteidiger gegen LeBron James ranmusste. Darauf fußte zu großen Teilen die Offensivstrategie, aus der sich die anderen Aktionen entwickelten. Denn um dieses Mismatch aufzulösen, musste die Verteidigung reagieren, oder sie war James hilflos ausgeliefert. Ähnlich verfuhren die Houston Rockets mit James Harden, die Thunder mit Russell Westbrook oder die Bucks heute mit Antetokounmpo und eben die Mavs mit Doncic. Auf den ersten Blick mag das nicht ganz passen. Immerhin ist der Euroleague-MVP von 2018 kein alles überpowernder Athlet. Auf den zweiten Blick wird klar: Erstens ist das Harden auch nicht, und zweitens spielen beide ähnlich.


Fotos: Abbie Parr/Getty Images

Sie nutzen ihre kreativen Dribbelbewegungen und Finten, um den Verteidiger aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie kommen nicht über FastTwitch-Muskelfasern, sondern über den Speed ihres Intellekts. Über die Geschwindigkeit ihrer Gedanken, die Versuchung ihrer Moves und Finten. Ach, und die Defense der beiden – wenn auch nicht so schlecht wie ihr Ruf – könnte besser sein. „Wenn ich schnell wäre, würde ich schnell spielen. Aber ich bin langsam, also spiele ich in meinem eigenen Rhythmus und lasse das Spiel zu mir kommen“, so Doncic vor Kurzem gegenüber „Inside The NBA“. „Luka spielt eine überragende Saison. Es ist schon Wahnsinn, was er macht. Er zieht die ganze Aufmerksamkeit im Angriff auf sich. Er ist der Spieler, der den Ball am meisten in der Hand hat und von dem wir erwarten, dass er für andere kreiert“, sagt Kleber. „Ich finde es immer wieder faszinierend, dass Luka ein paar Mal durch die Beine dribbelt und dann seinen Gegenspieler schlägt, der eigentlich deutlich schneller ist. Aber er erwischt die Leute halt genau im richtigen Moment.“ Genau wie Harden besitzt Doncic einen bulligen Körper, der Kontakt wegstecken kann. Aufgrund ihrer Unberechenbarkeit generieren beide massig Freiwürfe. Beide finden bereitwillig freie Mitspieler. Was sie ebenfalls eint: ein erhöhter Schwierigkeitsgrad bei ihren Abschlüssen. Denn so spielerisch leicht ein Dreier nach einem Schritt zurück und vorangegangenem DribbelfintenCrossover-Mix aussieht – er ist es nicht. Doncic trifft seinen patentierten StepbackDreier in 35,5 Prozent der Fälle. Bei Harden sind es 37,8 Prozent. Genau hier schließt sich der Kreis. Doncic ist so verdammt gut, dass er sein Team als Playmaker und Topscorer tragen soll, sobald er eingewechselt wird. Er verfügt über eine Vielfalt an Fertigkeiten, die selbst schwierigste Abschlüsse bei ihm kinderleicht aussehen lassen. Doch sie sind es eben nicht. Natürlich hat er in der Euroleague schon vor Jahren dominiert, aber die NBA ist ein anderes Biest. Wenn die Verteidigung am Ende von engen Partien der regulären Saison ein Level nach oben geschraubt wird, wenn Doncic zum Ende von Spielen etwas müder wird … dann sinken Quoten, Effizienz und Effektivität. Und natürlich kommen mit den Erfolgen auch die Ellbogen, die hart gestellten Blöcke, die Fouls, die du am nächsten Morgen noch spürst. Dann fallen die zuvor spielerischen Würfe nicht mehr, aus genialen werden wilde Pässe. Dann kommt der Frust – auf sich selbst und die Referees. Es fehlt der Plan B, und die Mavs verlieren. „Es ist ein physischer Sport. Du kannst nur weitermachen und dir den Respekt erarbeiten. Immer weitermachen“, weiß Doncic. „Ich muss einfach meine

Polster anziehen … am Oberschenkel, an den Knien und so.“ Zehn der 14 Partien, in denen Doncic dabei war und die mit fünf oder weniger Punkten Differenz entschieden wurden, verloren die Dallas Mavericks 2019/20. Weil er eben noch nicht die Erfahrung hat, um zu wissen, was in diesen Situationen am besten funktioniert. Zu Redaktionsschluss hatte er gerade mal 120 Partien in der besten Basketballliga der Welt absolviert. Die Nummer 77 der Mavs braucht schlicht noch Zeit. Auch wenn ihm die Verantwortung seiner Rolle schon jetzt mehr als zusagt. „Druck ist in meinem Leben, seit ich 13 Jahre alt war“, erklärt er. „Damals bin ich aus Slowenien zu Real Madrid gewechselt. Von da an hatte ich jeden Tag Druck, deshalb spüre ich den heute gar nicht mehr.“ Auf NBA-Niveau knappe Spiele zu gewinnen, ist in der regulären Saison das höchste der Gefühle. Doncic ist allerdings auch so gut, dass Dallas mit ihm 17 Partien mit mindestens zehn Punkten Vorsprung für sich entschied – darunter Siege gegen die Lakers, 76ers, Rockets und Thunder. „Niemand kann Luka vorwerfen, dass er nur künstlich seine Statistiken aufbläht, weil wir halt gewinnen. Er spielt keinen schlechten Basketball. Luka ist einfach so gut und effektiv in dem, was er macht, dass es uns hilft, Spiele zu gewinnen“, sekundiert Kleber.

Der Weg nach vorn

Und es gibt einen krassen Unterschied zu all den anderen Superstars: Luka Doncic ist erst 21 Jahre alt. Es gab in der Geschichte der NBA einfach noch keinen Spieler wie ihn, der so früh eine solch große Verantwortung für sein Team als Scorer, primärer Playmaker und Rebounder übernommen hat. Seit 1946 gab es nur zwei Akteure, die vor ihrem 22. Geburtstag auf 36 Minuten gerechnet mindestens 20 Punkte sowie je acht Rebounds und Assists pro Partie aufgelegt haben: Earvin „Magic“ Johnson und eben Luka Doncic. Der Lakers-Superstar legte 1980/81 auf 36 Minuten gerechnet 21,0 Zähler auf, griff 8,4 Bretter und verteilte 8,3 Korbvorlagen. Doncic? Der kommt in dieser Saison auf 31,7 Punkte, 10,5 Rebounds und 9,5 Assists, liefert sogar mit 59,1 Prozent eine bessere True-Shooting-Quote als Johnson (58,2). Es sind Zahlen wie diese, die selbst den so gut wie nie zu Superlativen greifenden Jerry West schwärmen lassen. „Schauen Sie sich Dallas an … ein Spieler hat sie zu einem Playoff-Team gemacht“, sagt die NBA-Legende. „Er wird der beste Spieler sein, den Dallas je hatte. Ich habe großen Respekt vor Nowitzki, aber Dirk ist nicht Luka.“ Und West hat recht. Dirk Nowitzki ist einer der besten Spieler aller Zeiten. Er konnte jedoch aufgrund seiner Größe und seines Spiels eine Partie nicht in derart

vielen Bereichen beeinflussen, wie Doncic es kann. Dirk war ein Big Man mit Wurf, clutch, ein Champion, ein MVP, bald ein Hall of Famer. Doncic kann all das und ein primärer Playmaker sein. Aber kann Luka Doncic überhaupt noch besser werden? Ist das überhaupt realistisch? Ja, das ist es – und ja, er kann noch besser werden. Vereinfacht gesagt: Er muss seine Dreier besser treffen. Denn bei allen Downtown-Highlights, die sofort vor dem geistigen Auge ablaufen, wenn der Name Doncic fällt … er war noch nie ein wirklich guter Distanzschütze. In seiner letzten Saison bei Real Madrid versenkte er in der spanischen Liga 32,9 Prozent von Downtown, auf Euroleague-Niveau waren es sogar nur 29,3 Prozent. 2019/20 läuft es in der NBA nicht viel besser. 32,4 Prozent Dreierquote insgesamt (bei 9,0 Versuchen), 32,7 Prozent aus dem Dribbling (7,6), 29,1 Prozent aus dem Catch-and-Shoot (1,4). Seine Technik ist jedoch verhältnismäßig sauber, er selbst will besser werden. Es ist nur eine Frage der Zeit und der Wiederholungen, bis er zumindest durchschnittlich gut um die 36,0 Prozent von Downtown treffen wird. „Es macht mir nichts aus, über Statistiken zu sprechen, aber jedes Spiel ist eine neue Statistik“, sagt Doncic selbst. „Für mich ist es wichtiger zu gewinnen.“ Er weiß aber auch, dass er, um letzteres zu erreichen, die Zahlen studieren und seine Erkenntnisse ziehen muss. Die Themen Wurfauswahl und Schwere der Abschlüsse werden im Sommer auf die Agenda kommen, genau wie der Hang, stellenweise haarsträubend schwierige Dinge auf dem Feld zu versuchen, die dann in Ballverlusten enden. Außerdem sollte Doncic – ähnlich wie einst LeBron James – das Spiel am Zonenrand für sich entdecken. Nicht unbedingt, um dort vorwiegend selbst aus dem Postup zu punkten, sondern als Playmaker, der einen körperlich unterlegenen Gegner attackieren und dann selbst abschließen oder den freien Mann finden kann. Das Beste: All das ist kein verantwortungsloses Wunschdenken. Doncic ist ähnlich wie Nowitzki jemand, der sich gern in die Halle stellt und arbeitet. Neben diesen Verbesserungen seines Spiels wird er auch in Sachen Fitness, Ernährung und Kraft künftig das Maximum anstreben. „Alles ist so schnell passiert … vor zwei Jahren war ich noch 18 Jahre alt und spielte für Real Madrid“, sagt er selbst. So rasant wird es künftig nicht vorwärtsgehen für einen, der schon jetzt zum erweiterten Kreis der MVP-Kandidaten gehört. Aber das muss es auch nicht. Luka Doncic hat Zeit. Er hat den Ehrgeiz, der Rest der NBA bald ein noch größeres Problem und Dallas wohl noch ein paar Jahre ein rappelvolles American Airlines Center. dre@fivemag.de

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Schröder

DENNIS SCHRÖDER SO GUT WIE NOCH NIE!

Coach Jens beleuchtet für euch die Karriere und spielerische Entwicklung von Dennis Schröder – von den ersten Schritten in der Bundesliga bis zur aktuellen NBA-Spielzeit 2019/20. Text: Jens Leutenecker 28


2011 BIS 2013 NEW YORKER PHANTOMS BRAUNSCHWEIG: TALENT

Fotos:Joern Pollex/Bongarts/Cooper Neill/Getty Images

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on 2011 bis 2013 steht Dennis Schröder für die New Yorker Phantoms Braunschweig in insgesamt 62 Bundesligapartien auf dem Parkett. Sein Spiel zeichnet sich damals bereits durch eine außerordentliche Geschwindigkeit aus. Selbst Elite-Verteidiger wie Anton Gavel oder P.J. Tucker haben mit dem Speed des Teenagers große Probleme. Die meisten Abschlüsse entstehen aus dem Zug zum Korb nach dem Pick-and-Roll oder in Isolationen, speziell die Verzögerungsbewegung (Hesitation) aus dem Dribbling bringt die physischen Bundesligaverteidiger in Schwierigkeiten. Sie bekommen Schröder nicht richtig zu fassen. Seine lockere Art, im höchsten Tempo aus dem halben Fastbreak-Spiel Haken schlagen zu können und mit einem schnellen Schritt auf dem Weg zum Korb zu sein, ist für einen (jungen) Spieler in der BBL exzellent. Trotzdem schließt „Dennis the Menace“ weniger als jeden zweiten Korblegerversuch erfolgreich ab, wird häufig geblockt und sieht in 25 Minuten im Schnitt nur drei Freiwürfe pro Spiel. Wenn er mit seinen schnellen Richtungswechseln oder Tempoverschärfungen klar am ersten Verteidiger vorbei ist, ist er nur schwer zu stoppen. Aber dem seitlichen Kontakt der älteren und kräftigeren Spieler hält er noch nicht stand. Gegen tief absinkende Centerverteidiger fehlt ihm der Wurf aus dem Dribbling. Erste Anzeichen für ein Floater-Spiel lassen sich allerdings schon ausmachen: Er erkennt die Situation, wann er den Floater im Stil eines Juan Carlos Navarro einsetzen muss, trifft ihn jedoch nur in jedem dritten Versuch!

Das Playmaking aus dem Pick-and-Roll ist entweder genial oder katastrophal – No-LookPässe quer durch die Zone zum abrollenden Centerspieler wechseln sich mit einfachsten Dribbel- und Passfehlern ab. In den zweitgenannten Situationen ist zu erkennen, dass Schröder trotz aller Lässigkeit noch kein abgezockter Vollprofi ist und Verbesserungspotenzial besitzt. Auf 1,3 Assists kommt bei ihm ein Ballverlust. Das ist für jeden Kreativspieler in der Bundesliga nicht gut genug, aber mit seinen HighlightPlays lässt Schröder die deutschen Basketballherzen höherschlagen. Abseits des Balles kündigt sich bereits an, was er in der aktuellen NBASaison zeigt: 53 Prozent seiner knapp zwei Dreier aus dem Catch-and-Shoot finden ihr Ziel, nur sechs Bundesliga-Spieler werfen hochprozentiger! Defensiv setzt Schröder den ballführenden Spieler mit seinen langen Armen und einer erstaunlichen seitlichen Geschwindigkeit enorm unter Druck, sodass er in fast jedem vierten Pickand-Roll einen Ballverlust des Gegners erzwingt! Aber auch ein Dennis Schröder kann nicht zaubern und über Nacht fünf Kilogramm Muskelmasse zulegen, sodass er häufig in harten Blöcken am und abseits des Balles hängen bleibt. Die physische Gangart in der Bundesliga bereitet ihm in der Verteidigung Probleme, sodass er auf eine PlusMinus-Bilanz von -3 pro 32 Minuten kommt. Dennoch: Dennis Schröder ist der talentierteste deutsche Spieler seit Dirk Nowitzki, hat sich in einer guten Liga bewiesen und wird in der Draft 2013 völlig zu Recht an 17. Stelle von den Atlanta Hawks gezogen.

SCOUTING REPORT: Sehr schneller Spieler mit kreativem Ballhandling, aber limitierten Abschlussfähigkeiten. Probleme mit dem Wurf aus dem Dribbling, guter Werfer „off catch“. Kreativer Passgeber, speziell zum abrollenden Center, aber anfällig für Turnovers. Defensivprobleme mit harten Blöcken an und abseits des Balles, starke Defense am Ball.

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Schröder

2013 BIS 2016 ATLANTA HAWKS: BANKSPIELER

SCOUTING REPORT: Sehr schneller Spieler auf NBA-Level mit kreativem Ballhandling, aber limitierten Abschlussfähigkeiten gegen die athletischen Shotblocker. Passabler Mitteldistanzwurf aus dem Dribbling, aber kein NBA-Dreier. Guter Werfer aus dem Catch-and-Shoot. Kreativer Passgeber, speziell zum abrollenden Center, aber anfällig für Turnovers. Spielt mit sehr viel Einsatz in der Verteidigung, schnelle Hände sorgen für Ballverluste.

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06 NBA-Spiele bestreitet Dennis Schröder für die Atlanta Hawks in den Spielzeiten 2013/14 bis 2015/16 als nomineller Bankspieler, kommt aber auf insgesamt 16 Nominierungen für die Starting Five. Während die erste Spielzeit eine klassische Rookie-Saison mit Höhen und Tiefen ist, bekommt Schröder im darauffolgenden Jahr mit fast 20 Minuten pro Partie große Spielanteile von Coach Mike Budenholzer und trägt maßgeblich zum Erfolg der Hawks bei. 60 Siege bei nur 22 Niederlagen bedeuten Klubrekord, die Hawks erreichen die Eastern Conference Finals. Dort endet jedoch die Saison mit einem 0-4-Sweep gegen die Cleveland Cavaliers und LeBron James. Mit ganzen 13 Pick-and-RollAngriffen im Schnitt ist Schröder bereits in der zweiten Saison hinter Jeff Teague der meistgenutzte Kreativspieler. Al Horford und Paul Millsap werden regelmäßig von Schröder bedient und kreieren, abgesehen von einer bockstarken Verteidigung, eine ausgezeichnete Offensive aus dem Blocken-und-Abrollen.

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Neben Millsap, Horford, Schröder und Teague punkten Kyle Korver und DeMarre Carroll zweistellig – mehr Teambasketball bieten in jener Saison nur die Golden State Warriors an. Alle anderen NBA-Teams erzielen in der Spielzeit 2014/15 im Schnitt 23 Assists auf 100 Angriffe gerechnet, Golden State und Atlanta kommen auf über 27 Korbvorlagen in dieser Kategorie. Das große Aber kommt für Dennis Schröder in den Playoffs 2015: Es gelingt ihm nicht, sein Spiel unter dem höheren körperlichen und medialen Druck durchzuziehen. Seine Trefferquote verschlechtert sich um ganze vier Prozent. Offensiv läuft mit ihm wenig bis gar nichts zusammen, und die Hawks bekommen auf 100 Schröder-Angriffe gerechnet fast 13 Punkte mehr vom Gegner eingeschenkt. Dieses Bild ändert sich jedoch in der folgenden Saison: Obwohl Schröder jetzt vergleichbare Werte in der Regular Season auflegt, kann er seine Produktion in den Playoffs verbessern. Atlanta scheitert zwar erneut mit 0-4 an LeBron James – aber Schröder hat bewiesen, dass er höheren Aufgaben gewachsen sein könnte.

In den drei Jahren als Bankspieler passt sich Schröder an das NBA-Level an: Der Wurf aus dem Dribbling fällt jetzt schon häufiger, insbesondere aus der Mitteldistanz. Probleme bereiten ihm trotzdem die athletischen Shotblocker in der NBA, mit Trefferquoten unterhalb von 50 Prozent in der Zone gehört er zum schwächsten NBA-Drittel! Das Scoring lässt in jenen Jahren dementsprechend noch zu wünschen übrig, aber bei den Pässen aus dem Pick-andRoll zeigt sich Schröders europäische Grundausbildung: Knapp sieben Punkte bereitet er pro Spiel per Pass nach einem direkten Block vor und gehört damit ligaweit zu den 25 besten Aufbauspielern in dieser Kategorie. In der Verteidigung haut sich Schröder voll rein, ein Defensivrating von 99 Punkten auf 100 Angriffe ist ein absoluter Topwert. Mehr gegnerische Ballverluste und mehr Steals sorgen für den zweiten Platz im NBA-Defensivranking. Die Cleveland Cavaliers setzen sich dennoch relativ problemlos durch, und Coach Mike Budenholzer wagt den Umbruch mit Schröder als neuem Starspieler.


ATLANTA 2016 BIS 2018: GO-TO-GUY

Fotos: Tom Pennington/Michael Gonzales/NBAE via Getty Images

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ennis Schröder – der Go-to-Guy der Atlanta Hawks! Coach Budenholzer geht in die Saison 2016/17 ohne Jeff Teague und Al Horford, dafür kommt Neuzugang Dwight Howard, und Tim Hardaway Jr. erhält größere Spielanteile. Mit 19 Pick-and-Rolls pro Partie hat Schröder die Schlüssel der Offensive in der Hand, lediglich sechs NBA-Spieler laufen mehr Pick-and-Rolls als der inzwischen 23-jährige Braunschweiger. Das Problem ist jedoch: James Harden, Kemba Walker, Damian Lillard & Co. sind deutlich effizienter als Schröder. Unter allen 20 Akteuren mit mehr als 14 Pick-and-Rolls pro Spiel rangiert er auf dem 19. Platz. Zugegeben, es gibt nicht viele Mannschaften, die sich in einem solch krassen Neuaufbau befinden wie die Hawks. Auch kann Schröder bei den Minuten, Punkten, Korbvorlagen und der Feldwurfquote Karrierebestwerte auflegen … aber so richtig durchstarten kann er in jener Saison trotzdem nicht. Die Hawks-Offense ist die drittschlechteste der Liga, den PlayoffEinzug sichern sich die Mannen von Coach Budenholzer vor allem mit ihrer erneut starken Verteidigung. Mit Schröder auf dem Feld machen die Hawks weniger Punkte als die Konkurrenz – und das liegt nicht zuletzt daran, dass er seine starken Passfähigkeiten nicht auf das gesteigerte Volumen skalieren kann. Schröder ist jetzt der Mann, den es zu stoppen gilt, und dafür gibt es in der NBA Defensivspezialisten wie Patrick Beverley oder Kyle Lowry. Große Probleme bereitet ihm die passive „Under-Defense“, wenn der Verteidiger unter dem Block durchgeht und Schröder zum Wurf aus dem Dribbling oder einem Drive in die vollgepackte Zone zwingt. Lediglich 39 Prozent dieser Abschlüsse finden ihr Ziel, damit befindet sich Schröder im unteren NBA-Drittel. Und eine weitere Schwachstelle wird offensichtlich, nämlich die relativ hohe Ballverlustrate: 35 Aufbauspieler haben ein besseres Assist-zu-Ballverlust-Verhältnis, mit zwei Vorlagen bei einem Turnover leistet sich Schröder zu viele Fehler, um mit den Topspielern mithalten zu können. Das Fazit aus der ersten Saison als Hawks-Hauptakteur: Beim Scoring läuft alles bestens, aber eine effiziente Offensive aus Schröders individuellen Fähigkeiten kann Atlanta nicht generieren. Die Pick-and-Roll-Offense landet am Ende auf dem 29. Platz im Ligavergleich. In den Playoffs gegen Washington erzielt Schröder zwar fast 25 Punkte pro Spiel, aber die Hawks können kaum freie Würfe kreieren und scheiden nach sechs Spielen in Runde eins aus. Der Sommer 2017 steht ganz im Zeichen der deutschen

SCOUTING REPORT: Sehr schneller Spieler auf NBA-Level mit kreativem Ballhandling, deutlich verbesserte Abschlussfähigkeiten durch Varianz mit Floater-Game und mehr Freiwürfen. Sehr guter Mitteldistanzwurf aus dem Dribbling, NBADreier an guten Tagen. Guter Werfer aus dem Catch-and-Shoot. Kreativer Passgeber, speziell zum abrollenden Center, nach wie vor anfällig für Turnovers. Nimmt sich defensiv zu häufig raus, zu wenig Einsatz trotz guter Anlagen.

Nationalmannschaft: Team Germany setzt sich in der Vorrundengruppe der Europameisterschaft unter anderem gegen Italien durch und gewinnt das Achtelfinale gegen Frankreich. Im Viertelfinale gegen Spaniens Eliteauswahl müssen sich die Deutschen jedoch dank 28 Punkten von Marc Gasol geschlagen geben. Dennis Schröder präsentiert sich während der gesamten EuroBasket 2017 als balldominanter Aufbauspieler, noch nicht einmal der „Euro-James-Harden“ Alexey Shved läuft für Russland mehr Pick-and-Rolls. Es gibt zwar einige Nebengeräusche abseits des Parketts, aber am Ende des Tages kann die deutsche Nationalmannschaft mit dem Teamresultat und den Leistungen ihres Starspielers absolut zufrieden sein. In der Saison 2017/18 stehen die Zeichen bei den Atlanta Hawks ganz klar auf „Rebuild“, es gibt nur 24 Siege.

„Je weniger, desto besser“ scheint die Devise von Travis Schlenk zu sein, der Mike Budenholzer vor der Saison als General Manager ablöst. In der letzten Hawks-Saison von „Coach Bud“ kann Schröder sich trotz limitiertem Spielermaterial um ihn herum in der Pick-and-Roll-Offensive steigern. 42 Prozent trifft er aus dem Dribbling und baut sich Schritt für Schritt ein sehr gutes Spiel aus der Mitteldistanz auf. Er trifft seine Würfe, schließt erfolgreicher in Korbnähe ab, verfeinert sein Floater-Spiel und zieht deutlich mehr Fouls in der Wurfbewegung – Dennis Schröder macht das Beste aus der für ihn schwierigeren Situation. Am Ende der Saison stehen die Hawks vor einer Business-Entscheidung: die Rookies Luka Doncic bzw. Trae Young oder Dennis Schröder – wer soll der Franchise-Player der Atlanta Hawks in den kommenden Jahren sein?

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SEIT 2018 OKLAHOMA CITY THUNDER: SIXTH MAN

SCOUTING REPORT: Sehr schneller Spieler auf NBA-Level mit kreativem Ballhandling, deutlich verbesserte Abschlussfähigkeiten durch Varianz mit Floater-Game und mehr Freiwürfen. Exzellenter Mitteldistanzwurf aus dem Dribbling, NBADreier an guten Tagen. Exzellenter Werfer aus dem Catch-and-Shoot. Kreativer Passgeber, speziell zum abrollenden Center, nach wie vor anfällig für Turnovers. In der Defensive mit seinem besten Jahr, deutlich verbesserte individuelle und mannschaftliche Verteidigung. Könnte der X-Faktor für die OKC Thunder in einem tiefen PlayoffRun werden.

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anz ehrlich – die Spielzeit 2018/19 von Dennis Schröder ist keine gute! Weder bei den OKC Thunder noch in der deutschen Nationalmannschaft präsentiert sich der 25-Jährige von seiner Schokoladenseite. Neben Russell Westbrook und Paul George soll Schröder – erneut als Bankspieler – wichtige Offensivimpulse liefern. Mit der schlechtesten Feldwurfquote seit seiner Rookie-Saison (41,4 Prozent) kann Schröder nicht zufrieden sein, und Coach Billy Donovan muss im Laufe der Spielzeit seine Rotationen umstellen, weil die Lineups mit Schröder als Hauptkreativspieler einfach nicht funktionieren. In den Playoffs setzt es gegen die Portland Trail Blazers eine 1-4-Klatsche (mit freundlichem Abschiedsgruß von Damian Lillard), und über den folgenden enttäuschenden

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Nationalmannschaftssommer ist ausreichend berichtet worden … Aber Dennis Schröder ist ein „Baller“ – einer, der sich nichts gefallen lässt, verbal auf dem Feld gerne austeilt, aber auch einstecken kann. Nach der enttäuschenden Saison hat er sich geschüttelt, reagiert und sich neu erfunden. Eigentlich standen die Zeichen bei den OKC Thunder nach dem Weggang von Russell Westbrook auf Neuanfang, Trade-Gerüchte um Chris Paul, Danilo Gallinari und Schröder selbst machten seit Anfang der Saison die Runde. Aber irgendwie – heimlich, still und leise – ist da ein konkurrenzfähiges Team zusammengewachsen. Die Thunder sind fett im Playoff-Rennen, arbeiten offensiv wie defensiv nach einem gut durchdachten Plan und gewinnen aufgrund der Fähigkeiten von Chris Paul die engen Spiele.

Und dann gibt’s da noch einen 26-jährigen Braunschweiger, der in dieser Saison auf dem Parkett sehr vieles richtig macht und bei exzellenten Quoten auf 19,1 Punkte, 4,0 Assists und 3,9 Rebounds kommt. Im Real Plus-Minus, welches in einer komplexen Formel die Leistungsfähigkeiten aller NBA-Spieler in Beziehung zu Gegnern und Mitspielern stellt, rangiert Schröder als bester Thunder-Akteur knapp vor Chris Paul auf dem siebten Platz und befindet sich dabei in bester Gesellschaft: Einzig LeBron James, Giannis Antetokounmpo, Kawhi Leonard, James Harden, Jayson Tatum und Nikola Jokic stehen in dieser Statistik noch vor Schröder. Hier sind die zehn Dinge, die Dennis Schröder in dieser Saison entweder besser macht oder komplett neu zu seinem Spiel hinzugefügt hat:


• BUCKLE UP In den vergangenen Jahren hat Dennis Schröder immer versucht, den Gegner mit seinem Speed zu schlagen. Selbst auf NBA-Level ist der Braunschweiger nach wie vor einer der schnellsten Athleten, wenn es darum geht, von A nach B mit dem Ball zu dribbeln. Aber inzwischen hat er auch gelernt, in ausgewählten Situationen seinen Körper geschickt in den Weg seines Verteidigers zu stellen. Die US-Amerikaner nennen das „buckle up“, also den gegnerischen Verteidiger „auf den Rücken schnallen“. Dadurch kommt der Verteidiger nicht mehr vor Schröder, und der kann dann entweder per Korbleger selbst abschließen oder den Centerspieler per AlleyOop-Anspiel bedienen.

Fotos: Thearon W. Henderson/Zach Beeker/NBAE via Getty Images

• MIDRANGE MONSTER In der Saison 2017/18 haben die Houston Rockets genau 209 Mitteldistanzwürfe genommen – so wenige wie keine andere Mannschaft. Und jeder vierte kam dabei von Chris Paul, der sich um die Analytics nicht sonderlich schert und den eigentlich ineffizientesten Wurf einfach so gut trifft, dass daraus auf einmal ein effizienter Wurf wird. „CP3“ fiel im sagenumwobenen siebten Spiel der Western Conference Finals 2018 aus, als die Rockets gegen die Golden State Warriors ganze 27 Dreier in Folge verballerten. Ganz klar: Mit Chris Paul fehlte Houston der Plan B, und genau diesen baut sich Dennis Schröder seit Jahren Schritt für Schritt in sein eigenes Spiel ein. 51 Prozent seiner Mitteldistanzwürfe finden ihr Ziel, damit gehört Schröder zu den besten zehn Prozent der NBA. Ein MidrangeWurf von ihm ist also kein ineffizienter mehr, sondern eine ernst zu nehmende Gefahr für die gegnerischen Defensivkonzepte. Das äußert sich auch in einigen Einwurfspielzügen, die Coach Billy Donovan für Schröder laufen lässt: Mehrere Blöcke von Steven Adams & Co. geben ihm den kleinen Vorteil, den er gut ausnutzen kann. Punkte aus indirekten Blöcken? Auch das ist neu in dieser Saison für „DS17“! • HAND IT OFF Sorry, dass wir schon wieder mit ihm anfangen müssen, aber dieser Chris Paul ist einfach ein ausgebuffter Hund mit vielen kleinen (mehr oder weniger sauberen) Tricks. Und Dennis Schröder schaut sich gerne etwas vom Veteranen ab. Wie zum Beispiel den kleinen, aber feinen Handoff-Spielzug der beiden Guards: Schröder spielt einen scharfen Pass, Paul gibt ihm den Ball wieder zurück, und der Center kommt in derselben Sekunde zum Block. Hört sich kompliziert und nach gutem Timing an, und OKC kann immer wieder aus verschiedensten Ausstiegen punkten.

55 Prozent sind für einen Spieler mit seiner Athletik absolut in Ordnung, damit ist er besser als zum Beispiel Donovan „Spider“ Mitchell. Schröder kommt auch wieder häufiger an die Freiwurflinie, 3,4 Versuche pro Spiel sind der zweithöchste Wert seiner Karriere. • TURBO AN „DS17“ hat einen enormen Topspeed, aber manchmal scheint es, dass er diese Fähigkeit gar nicht richtig nutzen möchte. Die deutsche Nationalmannschaft hatte sowohl bei der EuroBasket 2017 als auch bei der Weltmeisterschaft 2019 die wenigsten Fastbreak-Punkte, trotz starker Defense und vieler gegnerischer Ballverluste. In den vergangenen beiden Spielzeiten hat Schröder den Turbo-Knopf gefunden und erzielt so viele FastbreakPunkte wie noch nie in seiner Karriere. Mit seinen Pick-and-Rolls im halben Fastbreak (Semi-Transition) schöpft er ein Potenzial aus, vor dem sich damals in der Bundesliga viele gegnerische Coaches gefürchtet haben. Wenn Schröder mit Anlauf angeschossen kommt, wird es schwierig, ihn zu stoppen … • SHOOTING THE LIGHTS OUT Zum ersten Mal in seiner Karriere sollte bei Dennis Schröder von einem „Combo-Guard“ gesprochen werden. Also einem Spieler, der sowohl auf der Flügel- als auch auf der Aufbauposition eingesetzt werden kann. Schröder trifft in dieser Saison fast schon lächerlich gut aus der Distanz, speziell bei den direkten Würfen „off catch“. Die konnte er eigentlich schon immer gut treffen, aber in dieser Saison macht er das auch in einem ordentlichen Volumen: 51 Prozent seiner komplett freien Dreier finden ihr Ziel, und unfassbare 43 Prozent der gedeckten Würfe sind erfolgreich! Edelschützen wie Joe Harris, Davis Bertans und Kyle Korver werfen mit schlechteren Quoten als Schröder in dieser Saison – das sollte als Einordnung genügen! SWITCH ATTACK Um den für Schröder exzellenten Wurf aus der Mitteldistanz zu verhindern, switchen die

Centerverteidiger im Pick-and-Roll häufig gegen ihn. Genau da kommt jetzt die Gefahr der Dreier aus dem Stand ins Spiel: Anstatt einen Wurf aus dem Dribbling zu nehmen, spielt Schröder den Ball zum Mitspieler, der ihm den Spalding sofort wieder zurückpasst. Jetzt kann er den Center nach dem Ballfangen attackieren und mit der Gefahr des Dreiers spielen – das ist smarter Basketball! • CUT AND FILL Schröder-Körbe aus Cut-Bewegungen ließen sich in den vergangenen Jahren an genau sechs Fingern abzählen, in dieser Saison sind es bereits 15 Treffer in 55 Spielen. Das ist zwar bei Weitem nicht auf dem Level eines Stephen Curry, aber immerhin: Schröder bewegt sich mehr und profitiert mit „easy buckets“. • DEFENSE, DEFENSE, DEFENSE Schröder wurde für seine Körpersprache und schwache Verteidigung bei der Weltmeisterschaft im letzten Sommer gehörig kritisiert … auch vom Autor dieses Artikels. Aber in dieser Saison hat er allen Kritikern gezeigt, dass er es viel besser kann. Seine Verteidigung ist so gut wie noch nie! Ob es die Defense am Ball ist, ein schneller Steal-Versuch oder cleveres Antizipieren auf der Helpside – Schröder ist in sämtlichen Defensivmetriken im oberen NBAViertel. Das hätte vor der Saison wohl niemand erwartet. Hut ab vor dieser Leistung! • CP3, SGA & DS17 Mit den drei Guards Chris Paul, Shai GilgeousAlexander und Dennis Schröder auf dem Feld erzielen die OKC Thunder auf 100 Angriffe gerechnet 127 Punkte! Allein die Tatsache, dass Billy Donovan auf die Idee kommt, seine drei Aufbauspieler gleichzeitig aufs Feld zu schicken, ist schon aller Ehren wert. Und dann kassieren die Thunder gleichzeitig nur 98 Zähler, sodass sie ein neues Death-Lineup gefunden zu haben scheinen. Vielleicht ist diese Aufstellung in den Playoffs eine taktische Meisterleistung … interessant ist der Ansatz allemal. redaktion@fivemag.de

• LAYS IT UP, LAYS IT IN Ihr erinnert euch an die Scouting Reports aus Schröders Anfangsjahren als Profi und seine Probleme mit seitlichem Kontakt gegen physische Gegenspieler? Nun, diese Probleme hat er zwar nicht gänzlich behoben, aber immerhin trifft er so gut wie noch nie in seiner Karriere.

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DOPPELSPITZE Malcolm Brogdon war bei den Milwaukee Bucks einer der versiertesten Rollenspieler der Liga

und will nun bei den Indiana Pacers beweisen, dass er ein Team auch in einer größeren Rolle

Fotos: Ron Hoskins/Justin Casterline/Getty Images

anführen kann. Gelingt dem „President“ das? Text: Manuel Baraniak

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020. Eine Jahreszahl, die im deutschen Basketballdiskurs immer wieder Erwähnung findet. Vor acht Jahren hatte sich die BBL vorgenommen, bis zu diesem Jahr die beste nationale Liga Europas zu stellen. Nun, man muss kein Experte des deutschen Basketballs sein, um dieses Ziel als verfehlt zu erkennen … 2020. Eine Jahreszahl, die auch in der US-amerikanischen Politik eine ganz besondere Bedeutung einnimmt. Im Herbst stehen die Präsidentschaftswahlen an. Man muss kein Experte der US-Politik zu sein, um zu wissen, dass derzeit kein des Amtes würdiger Politiker im Oval Office zwitschert … pardon … sitzt.

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Blicken wir auf den Basketball in den USA, haben sich in den vergangenen dreieinhalb Jahren unter Donald Trump immer wieder wichtige Persönlichkeiten der NBA zu politischen und gesellschaftlichen Themen positioniert. Manch einer brachte sogar die Coaches Gregg Popovich und Steve Kerr als Präsidentschaftskandidaten ins Gespräch. Ein Spieler stand und steht in diesem Zusammenhang weit weniger im Mittelpunkt, obwohl kaum einer hinsichtlich seines Spitznamens besser dafür geeignet wäre: Malcolm Brogdon, auch bekannt als „President“. Der 27-jährige Point Guard der Indiana Pacers wurde aufgrund seiner

Eloquenz, seines Auftretens und Aussehens mitunter schon am College so genannt, richtig etabliert hat sich der Spitzname aber erst im Zuge seiner Workouts zur 2016er NBA-Draft. Im Studio von „The Starters“ erläutert Brogdon den Ursprung seines Alias. „In der NBA hat es mit dem Namen wirklich durch die Interviews bei der Draft Combine angefangen. Nachdem ich diese Interviews beendet hatte, begannen die Teams mich ,Mr. President‘ zu nennen. Sie sagten Dinge wie: ,Du hast meine Stimme bei den Wahlen 2020‘“, schmunzelt Brogdon über diese Art der Anerkennung. Mit Blick auf die laufende Saison haben in gewisser Hinsicht die Indiana


Pacers dem Guard ihre Stimme gegeben: Im vergangenen Sommer stattete die Franchise in einem Sign-and-TradeDeal mit den Milwaukee Bucks Brogdon mit einem Vier-Jahres-Vertrag über 85 Millionen Dollar aus. Als Zweitrundenpick konnte Brogdon früher in die Free Agency gehen als Erstrundenpicks – und demnach auch früher einen hoch dotierten Vertrag aushandeln. 20 Millionen im Jahr? Nur Denvers Franchise-Spieler Nikola Jokic hat unter Spielern in der vierten Saison ihrer NBA-Karriere mehr eingestrichen! Um in die US-amerikanische Umgangssprache zu gehen: eine Menge „Dead Presidents“ für den „President“ …

Giannis’ Wahlhelfer? „So I start my mission, leave my residence / Thinking: How could I get some dead presidents?“ So rappt Rakim in „Paid In Full“. Dies soll kein Exkurs in die Welt des OldschoolHipHop sein, doch zum einen wurde im 1987er Klassiker musikalisch erstmals von „Dead Presidents“ gesprochen, zum anderen scheint jene Zeile ganz gut zu Brogdons Free Agency zu passen. Denn für Brogdon begann im Sommer 2019 die Mission, das eigene Team zu führen und das gewohnte Umfeld in Milwaukee zu verlassen. Nicht unbedingt, um das große Geld zu kassieren – zumal der 36. Draftpick von 2016 erst gar nicht die Absicht hatte, von den Bucks Abschied zu nehmen. „Das hat mich überrascht. Ich hatte nicht erwartet, Milwaukee zu verlassen“, erklärte Brogdon danach bei ESPNs „Sports Center“. Er war als Restricted Free Agent in den Sommer 2019 gegangen – doch mit mehreren Personalentscheidungen konfrontiert (mit letztlich drei Vertragsverlängerungen, zudem verlängerte Eric Bledsoe bereits im März 2019), wollte das Bucks-Management nicht mit Indianas Angebot gleichziehen. „Ich wollte eines der großen Puzzleteile für die Pacers sein“, machte Brogdon aber auch deutlich, dem Wechsel nach Indianapolis etwas abzugewinnen. Schließlich hatte er sich bereits vor der Draft 2016 erhofft, von Indiana gezogen zu werden. „Ich nehme eine neue Herausforderung an. Ich lasse etwas zurück, das sicher ist. Etwas, das Bestandteile von etwas Großartigem hatte … ein Team mit einem MVP“, erklärte Brogdon hinsichtlich eines Bucks-Teams 2018/19, das mit 60 Siegen und 22 Niederlagen die beste Bilanz nach der Hauptrunde aufgewiesen hatte. Brogdon hatte den Aufstieg Milwaukees mit Giannis Antetokounmpo als Franchise-Spieler und Khris Middleton als dessen Sidekick hautnah miterlebt – und war selbst ein immer wichtigerer Bestandteil geworden. Nachdem er als

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erster Zweitrundenpick überhaupt die Auszeichnung zum „Rookie des Jahres“ eingestrichen hatte, mauserte sich der Guard in seinem dritten Jahr in Milwaukee zum zehnten Spieler der NBA-Historie mit einer „50-40-90“-Saison – also mit Wurfquoten von über 50 Prozent aus dem Feld, 40 Prozent von Downtown und 90 Prozent von der Freiwurflinie. Brogdon gab den Bucks ihren konstantesten Distanzschützen, einen starken Verteidiger am Flügel und einen soliden Playmaker, der die Zweite Fünf anführen konnte. Doch nicht immer übernahm er die Rolle des Ballführers und wandelte stets zwischen der Eins und der Zwei. So agierte er auch in seinem letzten Jahr bei den Bucks vornehmlich als Spotup-Schütze, über ein Viertel seiner Offensivaktionen kamen so zustande. Mit 1,25 Punkten pro Abschluss agierten hierbei nur fünf Prozent aller NBASpieler effizienter! Doch bei Aktionen als Ballführer in Pick-and-Rolls zeigte sich Brogdon nur mittelmäßig. In den Minuten mit ihm auf dem Feld und Antetokounmpo sowie Middleton auf der Bank wiesen die Bucks nur ein Offensivrating von 103,8 Punkten

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„Ein Anführer und ein Entscheider – das ist es, was ich für das Team sein möchte.“ -----------

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pro 100 Ballbesitze auf – fast zehn Punkte schlechter als ihr Saisonwert. War Brogdon also wirklich imstande, als – um seinen Spitznamen heranzuziehen – Präsident eines Teams aufzutreten, als Anführer? Oder war er besser in der Rolle eines Wahlhelfers aufgehoben, als Unterstützer eines Stars wie Antetokounmpo oder Middleton?

Oladipos Stellvertreter?

„Er versucht sein Spiel zu kultivieren, weil ihm genau dies genommen wurde“, denkt Nate McMillan, dass in Brogdon noch viel

Potenzial schlummert. In der „L.A. Times“ führt der Pacers-Coach aus: „Er hat das Gefühl, ein Point Guard zu sein, er möchte sein eigenes Team anführen. Und ich denke, das ist ein Grund, warum er bei uns unterschrieben hat. Die Kombination aus ihm und Victor Oladipo, wie sie in Zukunft aussehen kann, hat ihn angezogen.“ Die Zukunft musste jedoch warten – zumindest für die ersten drei Saisonmonate. Erst Ende Januar debütierte Oladipo in der aktuellen Spielzeit nach einer langwierigen Knieverletzung. Die Pacers hatten schon Erfahrung darin, auf ihren Franchise-Spieler verzichten zu müssen – und dennoch über den Erwartungen zu spielen. So war in der vergangenen Saison Bojan Bogdanovic für Oladipo eingesprungen und hatte die primäre Offensivrolle übernommen. Bogdanovic verließ die Franchise als Free Agent im Sommer, neben dem verletzten Oladipo hatten die Pacers auch die Abgänge von Darren Collison und Thaddeus Young zu verkraften. Damit standen dem Team vier der sechs besten Scorer 2018/19 nicht zur Verfügung. Und so war es an Brogdon, die Offensive zu schultern.


Fotos: Michael Hickey/Getty Images

Bis Mitte November führte der neue Pacers-Leader sein Team zu sieben Siegen aus den ersten elf Spielen. Mit einem Offensivrating von 108,9 Punkten stellten die Pacers in diesem Zeitraum immerhin die neuntbeste Offensive der Liga. Brogdon selbst sorgte mit 20,7 Punkten und 8,5 Assists für mächtig Aufsehen, womit ihn manche schon – etwas verfrüht – auf All-Stars-Kurs sahen. Der Spielplan mit Duellen gegen Ost-Teams, die nichts mit den Playoffs zu tun haben (sollten), gestaltete sich für Indiana jedoch nicht sehr schwierig, wodurch sich sowohl Brogdons Leistung als auch die seines Teams zur All-StarPause angeglichen hatte. Offensiv bleiben die Pacers – wie schon in der vergangenen Saison – eine Durchschnittstruppe. Für Brogdon selbst hat sich in dieser Spielzeit einiges verändert, was sich auch statistisch ablesen lässt: Fast jeder zweite Abschluss kommt aus dem Pickand-Roll zustande, er läuft im Vergleich zu seiner vergangenen Saison in Milwaukee pro Spiel fast dreimal so viele Aktionen nach einem Ball-Screen! Ligaweit rangiert Brogdon mit 7,9 Pick-and-Roll-Aktionen auf dem 19. Platz – jedoch agieren nur drei Spieler, die vor ihm stehen, daraus ineffizienter. Auch wenn Brogdon sich verbessert hat, ist er noch lange kein Meister des Pick-and-Roll. Vor allem zeigt sich hierbei seine mangelnde Explosivität. Mitunter tut er sich schwer, sich an seinem Gegenspieler vorbeizumanövrieren und sich genügend Platz zu verschaffen. Erschwerend kommt für ihn hinzu, dass sein Release recht langsam erfolgt und er beim Wurf den Ball weit von seinem Körper weghält. So können Brogdons Gegenspieler seinen Sprungwurf einfacher stören. Nicht einmal jeden dritten seiner Pullup-Dreier verwandelt der Guard in dieser Saison – dabei kommt diesem Wurf im modernen Basketball eine immer größere Bedeutung zu. Auch am Ring schließt der Aufbau nur unterdurchschnittlich ab, zieht aber immerhin viel mehr Fouls – nicht zu unterschätzen bei einem 90-ProzentFreiwurfschützen. Demnach hat sich auch Brogdons Wurfprofil verändert, womit der 27-Jährige erst klarkommen muss. In der Saison 2018/19 nahm er genauso viele Eckendreier wie Jumper direkt von der Birne. Als primärer Ballhandler bei den Pacers verzeichnet Brogdon hingegen doppelt so viele Dreierversuche aus der Feldmitte wie aus den Ecken. „Dieser Teil ist so anders. Ich habe über die ganze Saison an diesen Würfen gearbeitet, auch während meiner Verletzungspause. Und diese Würfe muss ich einfach machen“, erklärte Brogdon nach dem 101:95-Erfolg Mitte Januar gegen die Philadelphia 76ers. Da hatte er die Pacers mit einem Dreier von der Spielfeldmitte Ende des dritten Viertels

nach einem zweistelligen Rückstand auf 65:66 herangebracht. Für den wichtigen Sieg gegen einen direkten Playoff-Konkurrenten sorgte Brodgon schließlich höchstpersönlich: Als er fünfeinhalb Minuten vor Schluss wieder eingewechselt wurde, war er an zehn der nächsten zwölf Zähler Indianas direkt beteiligt, in den Schlusssekunden sorgte er an der Linie für die Entscheidung. „Ein Anführer und ein Entscheider – das ist es, was ich für das Team sein möchte“, äußerte Brogdon seinen Führungsanspruch – was auch Coach McMillan seinem Schützling zutraut: „Deswegen haben wir ihn hierhergebracht: Er soll der Typ sein, über den wir am Ende eines Spiels gehen. Und das beweist er.“ So schließt Brogdon aus doppelt so vielen Abschlüssen nach Isolationen ab wie noch in der vergangenen Saison – bei gleichbleibender Effizienz.

Doppelspitze!

Nun fehlte beim Erfolg gegen Philadelphia noch Victor Oladipo, welcher sicherlich – und auch zu Recht – eine Führungs- und Entscheidungsrolle beansprucht. Wie das Zusammenspiel der beiden Guards – und damit auch die Pacers-Zukunft – aussehen könnte, das veranschaulichte der letzte Sieg Indianas vor der All-Star-Pause, ausgerechnet gegen Brogdons Ex-Team aus Milwaukee. Mitte des ersten Viertels pusht Brogdon nach einem Ballverlust Milwaukees den Ball, könnte selbst zum Korbleger hochgehen, hat aber die Augen für den Trailer Oladipo, der mit einem Dunk seinen Rost abschütteln kann. Kurz vor der Halbzeitpause eine ähnliche Situation: Brogdon dreht im Schnellangriff etwas ab, Oladipo kommt hinzu, Brogdon legt auf seinen Partner ab – welcher explosiv das Foul zieht. Mit einer 68:45-Führung gehen die Pacers in die Pause. „In der ersten Hälfte habe ich versucht, ein paar Würfe zu opfern – um meine Mitspieler einzubinden und sie ins Laufen zu bekommen“, erklärt Brogdon seinen Teamansatz. „Ich wollte einfach unser Spiel stabilisieren.“ Am Ende stellt er mit 13 Assists seinen Karrierebestwert ein. Wo andere Spieler im Duell mit ihrem Ex-Team auf- und vielleicht auch überdrehen würden, hat Brogdon die eigene Mannschaft im Blick – die in jenem Spiel erst zum zweiten Mal in der aktuellen Saison mit der gewünschten Startformation aus Brogdon, Oladipo, T.J. Warren, Domantas Sabonis und Myles Turner aufläuft. Wie sehr Brogdon ein Spiel dennoch an sich reißen kann, beweist er im Schlussabschnitt: In einem Zeitraum von gut vier Minuten ist der Spielmacher an allen 18 Punkten Indianas direkt beteiligt, die Pacers setzen sich von 82:77 auf 100:86 ab. Dabei erweist sich das Zusammenspiel zwischen Brogdon und Sabonis als Schlüssel, der den Pacers offensiv schon die gesamte Spielzeit hilft.

Als Brogdon in einer Sequenz nach einem Block von Sabonis nicht wirklich an Eric Bledsoe vorbeikommt, sucht er bei seinem Drive regelrecht den Kontakt, schiebt mit seinem linken Unterarm den Bucks-Guard etwas nach hinten, dreht sich und trifft den Turnaround-Jumper aus der Mitteldistanz. So wacklig Brogdons Distanzwurf daherkommt, so sehr hat sich der Guard aus der Mitteldistanz verbessert. Gerne nutzt er dabei den Block auf Höhe einer Ecke des Highposts, um danach quer zur anderen zu dribbeln und sich so Platz zu verschaffen. Wo weniger Athletik ist, ist mehr Akribie. Brogdon zeichnet sich wahrlich als Dirigent aus, wenn er den Ball in den Händen hält und seine Teamkameraden um ballferne Blöcke lenkt. 35 Prozent der Körbe seiner Mitspieler legt er auf, wenn er auf dem Feld steht – diesen Wert hat er gegenüber seiner Milwaukee-Zeit verdoppelt. Mit 7,3 Assists pro Partie rangiert er ligaweit auf dem neunten Platz der besten Vorlagengeber. Die Pacers wissen um die Spielintelligenz ihres neuen Aufbaus, wenn Brogdon bei „The Ringer“ zu Nate McMillan erklärt: „Er erlaubt es dir, einfach zu spielen. Von allen Coaches in meiner Karriere habe ich bei ihm die meisten Freiheiten.“ Dabei scheint Brogdon wirklich der so oft zitierte verlängerte Arm des Trainers zu sein: „Wir führen jeden einzelnen Tag offene Gespräche. Ob er mich fragt, was ich auf dem Feld sehe, oder ob er mir Vorschläge macht – wir kommunizieren ständig.“ Durch Oladipos spätes Debüt und die erforderliche Feinjustierung der Offensive im Kampf um die PlayoffPlatzierungen werden solche Gespräche weiter essenziell sein: sowohl für die Pacers als Team als auch für Oladipo und Brogdon individuell. Denn noch entsteht der Eindruck, dass Brogdon ballabseits keine klar definierte Rolle zukommt, wenn Oladipo in der Offensive übernimmt. Dabei ist „Dipo“ zweifellos der stärkere Scorer. Als Spielorganisator mit klarerer Entscheidungsfindung beim eigenen Abschluss hat sich Brogdon deutlich gegenüber seinen Anfangsjahren in der NBA gesteigert. Die Transformation zum „Points Guard“, die viele Einser in der NBA durchmachen, wird Brogdon aber weniger angehen – das passt auch nicht zu seinem Rollenverständnis. Und so sagt der Viertjahresprofi über seinen Job als Starting Point Guard: „Das wird auf Jahre hinaus noch eine in Ausführung begriffene Arbeit sein.“ Gut, dass manch ein „President“ eine Amtszeit über fünf, in Brogdons Fall über vier Jahre hat. Zwei Jahre früher kann Oladipo in die Free Agency gehen. Bis dahin werden beide Guards eine Doppelspitze im „Hoosier State“ bilden. Auch im Jahr 2020 eine vielversprechende Führungsart. redaktion@fivemag.de

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Fotos:Zach Beeker/NBAE via Getty Images

DIE GESCHICHTE HINTER DEM MYTHOS Kobe Bryants Tod wirkt noch immer nach. Deshalb blicken wir in dieser Ausgabe zurück auf die Karriere eines Besessenen, der weder unfehlbar noch ein Heiliger war. Kobe Bryant war nicht perfekt – und genau das trieb ihn an. Dies ist seine Geschichte. Text: Jan Hieronimi

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Fotos: Sam Forencich/NBAE via Getty Images

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er große Ballsall der Naismith Memorial Hall of Fame heißt „Center Court“, und er ist genau das: ein Basketball-Court. Seitenlinien, Dreierlinien, Freiwurflinien schimmern unter den Sitzreihen hindurch, die teuren Lederschuhe und High Heels der Ehrengäste klackern laut über den Parkettboden, der seit der Eröffnung des neuen Gebäudekomplexes 2002 schon viele solcher Preisverleihungen zu verkraften hatte. Ein Hauch von Ewigkeit weht immer durch die heiligen Hallen, doch nirgendwo mehr als hier, niemals mehr als heute. Karten für den heutigen Abend wurden im Internet für Unsummen gehandelt, trotzdem befinden sich nur wenige Normalsterbliche zwischen den Basketball-Halbgöttern und Meistermachern, die sich hier zusammengefunden haben, um die „Class of 2020“ in die Ruhmeshalle aufzunehmen, diesen ganz besonderen Jahrgang mit Kevin Garnett, Tim Duncan, Chauncey Billups – aber vor allem, um genau jetzt hier sein zu können. Genau jetzt, für den Mann, der sich nach langem Warten unter dem tosenden Applaus des Publikums erhebt, mit strahlendem Lächeln und einem letzten liebevollen Blick für Ehefrau Vanessa und die vier Töchter in der ersten Reihe, bevor er die drei Stufen hinaufschreitet auf die Bühne: Kobe Bean Bryant, 42 Jahre alt. Der ewige Lakers-Guard hat Shaquille O’Neal und Michael Jordan dazu auserwählt, ihn auf der Bühne empfangen zu dürfen, den alten Teamkollegen und den „großen Bruder“, es gibt herzliche Umarmungen, geflüsterten Trashtalk, dann tritt Kobe ans Mikrofon. Ein stolzer Moment: 20 NBAJahre hat er investiert in die Mission, eines Tages als einer der Besten aller Zeiten anerkannt zu werden, auf Augenhöhe mit dem ewigen Vorbild namens Jordan und allen, die davor und danach auf dieses Plateau kamen und kommen werden – jetzt und hier wird der Erfolg dieser Mission manifest. „Ich möchte zuerst den anderen Mitgliedern der ,Class of 2020‘ gratulieren“, sagt Kobe. „Ich habe seit Jahrzehnten gesagt, dass ich Teil des besten DraftJahrgangs aller Zeiten sein durfte. Heute kann ich sagen, dass ich zudem Teil des besten Hall-of-Fame-Jahrgangs der Geschichte bin.“ Applaus brandet auf. „Tim Duncan und Kevin Garnett. Es ist mir eine Ehre, diesen Abend mit euch zu teilen. Wir haben großartige Schlachten ausgefochten. Und ich bin ganz ehrlich: Es gab viele Tage, an denen ich euch gehasst habe. Ihr habt mich auf jeden Fall ein oder zwei Ringe gekostet! Ohne euch hätte ich sechs oder sieben von den Dingern!“ Lautes Gelächter. „Aber kein Problem. Ich habe ja immer noch einen mehr als du, Shaq.“ Noch mehr Gelächter, Shaq raunt sein

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Comeback, „ohne mich hättest du nur zwei Ringe“, aber alles nur Spaß, liebevolle Blicke, nichts könnte diese Feier heute trüben.

Der zweite Abschied

Außer der Tatsache, dass das alles nur ein Traum ist – davon, wie er hätte sein sollen, der 29. August 2020, der Tag, an dem Kobe Bryant in die Basketball Hall of Fame aufgenommen werden sollte. Stattdessen wird die Induction Ceremony nun eine weitere Gedenkfeier werden, in Erinnerung an den Mann, der am 26. Januar so tragisch wie unerwartet bei einem Hubschrauberabsturz verstarb, an der Seite seiner Tochter Gianna und sieben weiteren Freunde der Familie. Seitdem ist die Basketballwelt eine andere. Auch wenn nach den ersten Tagen der tiefen Trauer der Alltag längst weitergehuscht ist, liegt ein Schatten über dieser Saison, auch jetzt noch, Wochen später. Und da ist dieses Gefühl, als würde das noch lange so bleiben. Wir hatten ihn gerade erst verabschiedet. 2016, als er seine Karriere beendete, war da schon dieser Wunsch nach Perspektive, nach Einordnung, nach letzten Worten zur Karriere eines ganz, ganz Großen. Bevor er ins Unbekannte entschwand, in dieses Leben ohne Profibasketball, kramten wir die Heldengeschichten heraus, die kleinen und großen Katastrophen, referenzierten ein letztes Mal die akkumulierten Zahlen seines Basketballerlebens, sagten „Danke!“ und dann „Bis bald, auf Wiedersehen in Springfield“. Nun gibt es kein Wiedersehen, stattdessen diesen zweiten, traurigeren Abschied – von Kobe, dem Spieler, Superstar und Mythos, und dem Menschen und Familienvater. Der Wunsch nach letzten Worten, Perspektive und Einordnung fühlt sich anders an als damals. Er fühlt sich nach einer langen Suche nach Trost an – und nach einer Erklärung dafür, warum sein Tod so viele Menschen auf der ganzen Welt rührte, als wäre ein Familienmitglied verstorben. Eine Anteilnahme, die sich nicht mit Basketball allein erklären lässt.

Der Größte seiner Ära

Auch wenn das natürlich ein wichtiger Teil der Antwort sein muss: diese 20 Jahre mehr oder minder an der Spitze des Sports, in denen er Punkterekorde für die Ewigkeit erzielte. Nur drei Spieler stehen heute in der Bestenliste vor ihm (LeBron James hatte ihn nur wenige Stunden vor seinem Unfall überholt), auf dem Weg dorthin führte er die NBA zwei Mal als Topscorer an – darunter die Saison 2005/06, als er mit 35,4 Punkten pro Spiel einen Schnitt auflegte, den man zuletzt in Jordans frühen Jahren gesehen hatte und vorher wie nachher mehr als ein Jahrzehnt lang nicht.

Immer wieder explodierte er offensiv wie kaum jemand vor ihm: Da war das legendäre 81-Punkte-Spiel in Toronto 2006, die zweitbeste Punkteausbeute aller Zeiten, kurz zuvor die 62 Punkte in nur drei Vierteln gegen Dallas, das bis dahin als Team erst 61 Punkte zu Wege gebracht hatte. Sechs Mal erzielte er mindestens 60 Punkte (öfter als jeder andere Spieler der Geschichte außer Wilt Chamberlain), 25 Mal 50 Punkte (Platz drei hinter Wilt und Jordan), 135 Mal durchbrach er die 40erMarke (wieder Platz drei). Und war seine Trefferquote in der Crunchtime mit 39 Prozent eher durchwachsen, so galt er doch als einer der großen Killer der NBA-Historie, dank der insgesamt 24 Gamewinner, die er in den Schlusssekunden zum Sieg seiner Lakers versenkte. Er spielte nicht immer um Meisterschaften mit, war weiß Gott nicht immer unumstritten, die Advanced Stats gehen nicht immer gnädig mit seinem Erbe um – doch unbestreitbar war Kobe Bryant immer einer der Superstars der Liga, Jahr für Jahr für Jahr, zudem einer der besseren Rebounder und Passgeber seiner Zunft, zwischenzeitlich einer der besten Verteidiger, kurzum: eine Legende. Wo und wann er spielte, tat sein Übriges dazu. Er trug die Farben der spektakulärsten aller NBA-Franchises, der L.A. Lakers, die täglich in Zeitungen, Funk und Fernsehen stattfinden. Anders als bei Magic Johnson – dessen Finalspiele zu Beginn noch zeitversetzt im Fernsehen ausgestrahlt wurden und dessen reguläre Saisonspiele landesweit kaum zu sehen waren – fand Bryants Aufstieg zu Zeiten großer nationaler Fernsehverträge statt, mitten in den Globalisierungsbestrebungen der NBA, die bald ein weltweites Publikum fand. Die zweite Hälfte seines Schaffens schließlich touchierte bereits die Ära von Social Media und Online-Video. So wuchs auf der ganzen Welt eine ganze Generation von Basketball-Fans auf, die Magic und Jordan nur anekdotenhaft kannte, aber jeden Punkterekord und Gamewinner Kobes auf Dauerschleife geschaut hatte. „Kobe war unser Jordan“, so sagt es Clippers-Forward Paul George, der sechs Jahre alt war, als Bryant gedraftet wurde. Als Kobe Bryant starb, da starb der Spieler dieser Generation. Doch das alleine erklärt den Mythos noch nicht. Die Legende von Kobe Bryant handelt nicht nur von einem historisch guten Spieler – sondern davon, dass er sich seinen Platz in unseren Herzen selbst erarbeitet hatte, mit einer Besessenheit, wie sie in der NBA bis heute einzigartig ist.

Started from the bottom

Denn Kobe Bryant kam nicht wie LeBron in die Liga, nicht wie Zion, nicht wie Jordan. Er war kein umjubelter Top-Pick,


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Fotos: Andrew D. Bernstein/NBAE via Getty Images

sondern ein in der Mitte der ersten Runde gedraftetes Experiment. Highschooler zu verpflichten, war seinerzeit höchst ungewöhnlich. Bryant hatte zwar seine Altersgenossen dominiert und in der Vorbereitung auf die Draft den vermeintlich kommenden 76ers-Star Jerry Stackhouse im Eins-gegen-eins ebenso vernichtet wie beim Probetraining in Los Angeles den kürzlich zurückgetretenen Lakers-Defensivspezialisten Michael Cooper. Lakers-Manager Jerry West war sich sicher, einen künftigen Superstar verpflichtet zu haben. Trotzdem wurde Bryant die Liga beileibe nicht zu Füßen gelegt. Nicht in diesem Lakers-Team, das gerade Shaquille O’Neal verpflichtet hatte und nun mit talentierten Spielern wie Nick Van Exel, Eddie Jones, Cedric Ceballos oder Elden Campbell tief in die Playoffs vorstoßen wollte. Nur sechs Mal stand Bryant in seinem Rookie-Jahr in der Ersten Fünf, erhielt überschaubare 15,5 Minuten im Schnitt von Coach Del Harris, der nicht viel von seinem außergewöhnlichen, aber noch grünen Rookie hielt. Und auch die Teamkollegen waren keine Fans. Sie fanden es wenig lustig, dass wegen des noch nicht volljährigen Mitspielers kein Bier mehr in der Kabine erlaubt war, rieben sich an den selbstbewussten Dribbel- und Wurfversuchen des Neuen, schüttelten den Kopf darüber, wie der Frischling während der Auszeiten neben dem Huddle stand und ohne Ball komplizierte Moves, Wurffinten und Sprungwürfe gegen imaginäre Gegner probte, wie ein kleiner Junge allein im Kinderzimmer. Klar, immer wieder deutete „Showboat“ – wie er leicht verächtlich genannt wurde – sein Potenzial an. Doch eine sichere Sache sah anders aus: Er war kein Überathlet wie Jordan einst – sein „40-Inch-Vertical“ war eher Mittelmaß verglichen mit den epischen 46-InchFlugeinlagen von „His Airness“. Er war kein „Einhorn“ wie Kevin Garnett vor oder Durant, Giannis und Porzingis nach ihm, auch kein bulliger Muskelmann wie LeBron James oder Zion Williamson – nur ein drahtiger, 1,98 Meter großer Teenager, Durchschnittsmaße für einen Shooting Gard. Er traf solide aus der Dreierdistanz, verwandelte jedoch insgesamt nur knapp 42 Prozent seiner Würfe und brachte 7,6 Punkte pro Spiel. Ach ja – und dann war da die Tatsache, dass der 18-Jährige sich im entscheidenden Spiel der Playoff-Serie gegen Utah ein Herz fasste und in den Schlusssekunden der regulären Spielzeit sowie in der Verlängerung vier Mal von außen abdrückte, darunter drei Mal von Downtown ... und vier Airballs warf. Das Saisonende für Los Angeles. Umso verrückter waren die Ambitionen, die dieser Rookie hegte.

Beginnend damit, dass er überhaupt den Sprung direkt ins Profilager gewagt und hinter den DraftKulissen vehement daran gearbeitet hatte, ausgerechnet im Hochdruckkessel der L.A. Lakers zu landen. Und nochmal verrückter, wie offen er seine Ambitionen zu Tage treten

„Ich fand es in der NBA deutlich einfacher. Viele Spieler spielten nur für ihre finanzielle Sicherheit. Sobald sie die hatten, verschwand die Besessenheit, die Leidenschaft und die Arbeitseinstellung auf einmal. Ich dachte mir damals: ‚Wow, kein Wunder, dass Mike all diese verdammten Meisterschaften gewinnt.‘“ -----------

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ließ. Tracy McGrady erinnert sich daran. Der inzwischen verrentete Superstar war ebenfalls als Highschooler in die Liga gekommen und ebenso wie Kobe zu Beginn bei seinen Toronto Raptors zum Backup degradiert worden, das geteilte Schicksal und der gemeinsame Schuh-Sponsor machte sie zu Freunden.

„Er sagte mir damals: ,Ich will besser werden als Jordan‘“, entsinnt sich „T-Mac“ an die gemeinsame Anfangszeit. Er hielt das für völligen Wahnsinn – doch sah schnell, wie ernst es Bryant zu sein schien. Nach der Airball-Katastrophe arbeitete Kobe besessen an seinem Spiel. „Alle Würfe waren direkt auf Linie, aber zu kurz. Also musste ich stärker werden. Mein Trainingsprogramm musste sich ändern“, fasste er es später zusammen. FIVE-Kollege Dean Walle erinnert sich, wie er im Sommer 1997 stundenlang auf seinen Interviewpartner warten musste, der zuvor 1.000 Dreier werfen wollte. Dieses Arbeitsethos, das später zum Kern seiner „Brand“ werden sollte, war nichts Neues: Schon als 13-Jähriger hatte Kobe nach eigener Aussage eine Vereinbarung mit sich selbst getroffen, „einer der besten Basketballer aller Zeiten“ zu werden. Vor Schulbeginn stand er ab fünf Uhr in der Trainingshalle. Teamkollegen forderte er zum Eins-gegen-eins bis 100 heraus, gewann angeblich sein knappstes Spiel mit 100:12. Damals erstellte er eine „Kill List“, bestehend aus den 56 Highschool-Spielern seines Jahrgangs, die im alljährlichen Ranking der Zeitschrift „Street & Smith“ höher eingeschätzt worden waren. Als er im Sommer mit seinem AAU-Team spielte, studierte er penibel Stärken und Schwächen seiner Wettbewerber, skizzierte die eigene Entwicklung bis zum Senior-Jahr, in dem er an der Spitze des Rankings stehen wollte. „Ich nutzte die AAU-Spiele im Sommer, um an meinen Schwächen zu arbeiten“, erklärte er später im Interview mit Valuetainment. So wurde sein Game immer runder und runder, während viele Kontrahenten noch immer von ihrer Physis oder einigen wenigen Go-to-Moves lebten. Am Ende stand Kobe wirklich auf Platz eins der Ranglisten – und brachte dieselbe Attitüde in die NBA. „Ich fand es in der NBA deutlich einfacher. Viele Spieler spielten nur für ihre finanzielle Sicherheit. Sobald sie die hatten, verschwand die Besessenheit, die Leidenschaft und die Arbeitseinstellung auf einmal. Ich dachte mir damals: ‚Wow, kein Wunder, dass Mike all diese verdammten Meisterschaften gewinnt.‘ Und dann sah ich, dass selbst die Spieler, die diese Leidenschaft noch hatten, nicht ihr ganzes Leben dem Spiel widmen konnten. Sie hatten all diese anderen Dinge, Familie und so weiter, sodass das Spiel nicht die oberste Priorität haben konnte. Ich dachte mir nur: ,Das wird ein Spaß!‘“

Be like Mike

Kobe verschreibt sich damals komplett seiner Mission. Freunde, Familie, alles wird hintangestellt. NBA-Kollegen hält er auf Abstand, auch „T-Mac“ wird „geghostet“. Sein Skript ist klar: Es ist der gleiche Stoff, den Michael Jordan uraufgeführt

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hatte, und Kobe macht sich an die Neuinszenierung. Seine BasketballPersona schwankt zwischen JordanImitation und -Inspiration. Nicht genug, dass er geht, läuft, springt und schwebt wie MJ, die Zunge herausstreckt beim Wurf, den Fadeaway exakt so aussehen lässt wie der Großmeister. Bryant übernimmt die Blaupause von „His Airness“ so hingebungsvoll und kompromisslos wie niemand vor oder nach ihm. Vince Carter, Jerry Stackhouse, Harold Miner, Grant Hill – so viele Guards und Flügel galten nach Jordan als mögliche Wiedergänger des „GOAT“, alle scheuten sie den unerreichbaren Status Jordans, zerschellten trotzdem auf die eine oder andere Art an dem Vergleich. Kobe nicht. Er zielt vom ersten NBA-Tag an auf Jordans Kopf. Und erarbeitet sich so den Respekt des BullsStars, gegen den er im zweiten NBA-Jahr im direkten Duell 33 Punkte erzielt (und ihn nebenbei noch nach Tipps für die Beinarbeit fragt). Jordans leicht soziopathisches Psychoprofil ist unter NBA-Fans altbekannt: ein krankhafter Zocker, im Wettstreit mit jedem um alles, ein Alphatier, der Faustschläge verteilt und zu weiche Mitspieler aus der Liga mobbt. Es ist eine fragwürdige Blaupause – doch trotzdem ist Jordan das Leitbild, das während Bryants Karriere dessen Nordstern bleiben wird. Genau wie Jordan hat Bryant das Arbeitsethos und den absoluten Ehrgeiz. Das restliche Programm des Großmeisters schafft er sich wie in Selbsthypnose drauf. Er setzt sich mit Autosuggestion und Visualisierungstechniken auseinander. Schafft es, Ängste oder Gefühle, die dem eigenen Erfolg im Weg stehen, in Schubladen zu archivieren. Ein Muskelfaserriss? „Wenn das Haus brennen würde, wette ich, dass du mit deinem Muskelfaserriss zu deinen Kindern rennen und sie aus dem Haus tragen würdest. Weil das Leben deiner Familie wichtiger ist als der Schmerz“, sagt Kobe – alles nur eine Frage der Einstellung. Vor Spielen hört er die „Halloween“-Melodie auf Dauerschleife, um die Transformation zum kaltblütigen Killer zu unterstützen. Am Ende ist er dem Vorbild so nahe wie sonst niemand: Auch er disst bald Mitspieler, die nicht ausreichend mitziehen, prügelt sich mit Shaq um den Alpha-Status bei den Lakers, spielt wie MJ verletzt oder todkrank, scheint in engen Spielen keinerlei Druck zu verspüren, nur die Lust an der Zerstörung des Gegners und den Glauben an die eigenen Skills. Und dort, wo Jordan abseits des Courts die Kerze an beiden Enden abfackelte, Nächte durchmachte, die Karten mischte, rauchte, trank, da bleibt Kobe ganz dem Sport verschrieben.

Aus Hybris wird Hype

Am Anfang lacht die Liga noch über die absurden Träume des Bankdrückers. Im

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zweiten Jahr verdoppelt er immerhin seinen Punkteschnitt auf 15,4 Zähler pro Partie und wird ins All-Star-Team gewählt, kommt jedoch weiterhin von der Bank. 1998/99 wird in Person von Shooting Guard Eddie Jones und Aufbau Nick Van Exel der gesamte Starting Backcourt der Lakers getradet, um Platz für Bryant freizuräumen. Kobe startet jedes Spiel und führt das Team bei den Minuten an. 1999/00 gelingt den Lakers im ersten Jahr unter Headcoach Phil Jackson der Titelgewinn – und Kobe mit seinen 22,5 Punkten sowie 6,3 Rebounds und 4,9 Assists im Schnitt der Durchbruch als legitimer NBA-Star. Plötzlich klingen die Träume des Youngsters nicht mehr ganz so verwegen. Drei Titel gewinnen die Shaq-und-KobeLakers in der Folge, und auch wenn Bryant irgendwie doch „nur“ Co-Star des unaufhaltsamen „Diesel“ bleibt, so liefert er immer wieder Momente, aus denen Legenden gemacht werden. Da ist die legendäre Aufholjagd gegen Portland in den ConferenceFinals 2000, als L.A. im Schlussviertel einen 16-Punkte-Rückstand aufholt, angetrieben von Kobes neun Zählern und kulminierend in einem halsbrecherischen Crossover mit anschließendem AlleyOop-Pass auf Shaq. Am Ende führt Bryant beide Teams bei den Rebounds (11), Assists (7) und Blocks (4) an. In den folgenden Finals gegen die Pacers ist er es, der die Lakers in der Verlängerung von Spiel vier zum vorentscheidenden 3-1 trägt, nachdem Shaq ausgefoult ist – acht Punkte erzielt er im ersten echten Stresstest als Alleinunterhalter, und das nach zwei Spielen Verletzungspause und 53 Minuten auf einem kaputten Knöchel. (Insgesamt sind seine Stats aus diesen ersten Finals jedoch noch verdammt mies, das unsportliche Foul von Jalen Rose und der Knöchel lassen grüßen.) 2001 eröffnet er die Playoff-Serie gegen San Antonio mit 45 Punkten und zehn Rebounds. Die Sacramento Kings fangen sich 48 Zähler. 2002 entscheidet er Spiel vier in San Antonio durch einen spektakulären Offensivrebound plus Nachleger fünf Sekunden vor dem Ende. Doch Bryants neue Inszenierung des alten Skripts ist eben auch das: inszeniert. Denn dass er Hauptdarsteller und Regisseur zugleich ist, lässt sich nicht verhehlen. Er scheint sich nur allzu bewusst, welche Rolle er gerade spielt, scheint wie in „House of Cards“ die „4th Wall“ einzureißen, mitten im Film in die Kamera zu blicken, sein eigenes Wirken aus dem Off zu kommentieren. Journalisten wie ESPNs Ramona Shelburne werden Bryant später „den besten Geschichtenerzähler der NBA“ nennen. Denn er beherrscht es, in Interviews Zitate zu droppen, die

das eigene Wunschbild transportieren – die Story vom trainingsbesessenen Revolverhelden, vom Basketball-Killer ist sein Bestseller.

Die Erfindung der Mamba

Bei allem Fokus auf sein Handwerk investiert Kobe viel Zeit in diesen Teil seines Lebens: Storytelling, die Pflege seines Images. Mehr denn je nach dem absoluten Tiefpunkt seines Lebens, der die entscheidende Zäsur markiert … 2003 verbringt Kobe eine Nacht in Eagle County, Colorado, wo er am Knie operiert werden soll. Eine junge Hotelangestellte zeigt ihm die Räumlichkeiten, es wird ein wenig geflirtet, was danach passiert, wird später Bestandteil eines strafrechtlichen und eines zivilgerichtlichen Prozesses sein. Bryant wird vorgeworfen, die Frau vergewaltigt zu haben. Er selbst bestreitet das, sein Anwalts-Team greift die Glaubwürdigkeit der Klägerin vehement an, bis die Frau ihre Klage zurückzieht und sich 2004 außergerichtlich mit Bryant einigt. Bryants öffentliche Erklärung dazu kann als Schuldeingeständnis gelesen werden: Er wolle sich für sein Verhalten in jener Nacht entschuldigen, für die Konsequenzen, die daraus entstanden seien. Bryant fährt fort: „Auch wenn ich selbst fest davon überzeugt bin, dass unser Zusammentreffen einvernehmlich war, ist mir bewusst, dass sie den Vorfall damals wie heute nicht ebenso wahrgenommen hat. Nachdem ich ihre Aussage gehört habe, verstehe ich jetzt, dass sie unserem Zusammentreffen damals nicht zugestimmt hat.“ Sein Image jedenfalls ist nach dem monatelangen Prozess am Boden, Werbepartner lassen ihn fallen, Nike pausiert alle Kampagnen. Viel schlimmer: Die Ehe mit seiner Frau Vanessa liegt in Scherben, die Scheidung steht im Raum (und wird später zurückgenommen). „Ich war auf dem Zenit meines Schaffens, hatte alles, was ich wollte, und ein Jahr später hatte ich absolut keine Ahnung, wohin mein Leben sich entwickeln würde oder ob ich mein Leben so würde weiterleben können, wie ich es kannte“, erinnert er sich in seiner Dokumentation „Muse“. Ein Wunder – und eben auch Beleg für Bryants psychische Konstitution –, dass er immer noch 24 Punkte im Schnitt erzielt und legendär ein Spiel per Gamewinner entscheidet, nachdem er im Privatflieger aus dem Gerichtssaal angereist ist. Doch der Druck hinterlässt Spuren. Die Spannungen mit Coach Jackson und Shaq sind auf dem Höhepunkt, das neu formierte LakersTeam mit den Transfer-Oldies Karl Malone und Gary Payton ist kein harmonisches – trotzdem ist erst im Finale gegen Detroit Schluss für Los Angeles. Der Einschnitt folgt im Sommer: Jackson verlässt das Team, Shaq wird nach Miami getradet, Malone tritt zurück,


„99 Prozent der Menschen fühlen sich wohl in der Mittelmäßigkeit.“ -----------

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Payton wechselt nach Boston und folgt O’Neal kurz darauf an den South Beach. Bryant gilt nun nicht nur als potenzieller Vergewaltiger, sondern als schlechter Teamkollege, Egoist, Primadonna. Er reagiert wie ein MarketingProfi und wechselt die Erzählung – in diesem Sommer entwickelt er das Konzept der „Mamba Mentality“, zunächst als Spitzname, angeregt durch die Black Mamba im Film „Kill Bill“, dann als Oberbegriff für seine Philosophie der besessenen Selbstoptimierung. „Ich musste mich abkoppeln. Es gab so viele Themen gleichzeitig, dass es sehr verwirrend wurde. Ich musste mich neu organisieren. Also kreierte ich die Black Mamba“, so beschrieb er es später. Zwei Jahre danach wechselt er die Rückennummer, auch das ein klassischer Marketing-Move: Die 24 ist eine Rückbesinnung auf die Highschool-Tage, ein Neuanfang, ein Symbol für die zweite Phase seiner Karriere.

Fotos:Noah Graham/NBAE via Getty Images

„Hi, this is Kobe“

Die „Mamba Mentality“ ist eine MarketingErfindung, aber es steckt viel Wahrheit hinter seinem Gerede davon, „obsessiv zu sein bei den Dingen, die einem wichtig sind, und alles zu investieren“. Bryant opfert viel für seinen Traum, eines Tages „mit Jordan am Tisch sitzen zu dürfen“, wie er es nennt. Er ist unbeirrbar in seiner Mission, aber offen für Ideen, die ihn voranbringen könnten. Er spricht mit Michael Jackson über Musik, ruft Dirigenten an, um ihr Verständnis von Dramaturgie zu verstehen, befragt Schauspieler danach, wie sie es schaffen, auf den Punkt bestimmte Charaktere anzunehmen, schaut Tierdokumentationen, aus denen er sich Angriffswinkel von Raubtieren abschaut oder die Idee ableitet, seine Beine zur Stabilisation des Wurfes einzusetzen wie ein Gepard seinen Schwanz beim Sprinten. Mitten in der Nacht kann irgendwo auf der Welt ein Handy klingeln. „This is Kobe“, heißt es dann, und überall sind die Gesprächspartner überrascht über den Telefon-Überfall. So wie er sich einst die Mondschein-Sonate selbst beigebracht hatte, „weil es dann mehr Bedeutung hat“, sucht er sich auch hier seinen eigenen Weg und ist somit oft den Wettbewerbern überlegen. Knickt Bryant um, ist er der erste NBA-Spieler, der sofort danach an der Seitenlinie zu sehen ist, wie er mit Terrabändern arbeitet, um die Reha frühestmöglich zu beginnen. Er testet Sauerstoffkammern, stellt seine Ernährung um, meditiert, verändert seine Schlafroutinen, reist für eine experimentelle Kniebehandlung nach Düsseldorf. Sobald der Rest der Liga aufgeschlossen hat, ist Kobe schon weitergezogen – bis dahin bewacht er seine Geheimnisse eifersüchtig. So sehr er um die Optimierung aller Facetten seines Spiels kreist, nichts

dem Zufall überlässt, Einflüsse und Ideen aufsaugt, so festgefahren ist er in dem Glauben, es am Ende besser zu wissen als der Rest. Wie sollte jemand anders ihm – der härter trainiert als sie alle und selbst Freunde und Familie für die eigene sportliche Leidenschaft opfert – etwas beizubringen haben darüber, wie sein Weg aussehen könnte? So ähnlich klingt der Tipp, den er Jahre später Golden States Draymond Green gibt, als dieser auf dem Tiefpunkt seiner Karriere ist. Ohnehin gilt der Warriors-Flügel als „Loose Canon“, dessen Emotionen ihn zu oft übermannen und zu teamschädlichem Verhalten treiben. In den Playoffs 2016 sammelt Green technische und unsportliche Fouls, bis er in den NBA-Finals durch ein weiteres „Flagrant“ für Spiel fünf suspendiert wird. Cleveland gewinnt am Ende sensationell die Finals, Green gilt als Hauptschuldiger. Kobe Bryants Anruf ist damals ein Wendepunkt für den Gescholtenen. „99

„Wäre Shaqs fauler Arsch in Form gewesen, hätte ich heute zwölf Ringe.“ -----------

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Prozent der Menschen fühlen sich wohl in der Mittelmäßigkeit“, redet er Green ins Gewissen. „Du dagegen bist auf der Jagd nach etwas viel Größerem als das. Wie also sollte irgendjemand anders dich verstehen können?“ Die Worte sind Trost für Green. Und sie beschreiben perfekt, warum Bryant unbeirrbar sein Ding durchzieht – komme, was wolle: Coach Phil Jackson nennt ihn „untrainierbar“, Mitspieler beschweren sich über ihn, Journalisten listen seitenweise seine Verfehlungen auf … und Bryant bleibt stur. In dem sicheren Wissen, dass niemand mehr in dieses Spiel investiert als er selbst, ist er Verteidiger und Richter in Personalunion.

Der perfekte Makel

Doch Kobe macht Fehler. Auf dem Feld und abseits davon. Und meistens als Resultat dieses kompromisslosen Strebens nach basketballerischer Dominanz, dem „Like Mike“-Status. Seine Beziehung zu Shaq zerbricht am Ende daran, dass Kobe selten in die private Seite der Beziehung investiert

– nicht zu Shaqs Hochzeit erscheint, keinen Mitspieler zu seiner eigenen einlädt, ständig bei Team-Essen fehlt. Und sie zerbricht an Kobes Anspruch, dass Shaq den gleichen Standards genügen soll, die er selbst an sich stellt – während Shaq außer Form zum Training Camp erscheint, missmutig wird, wenn nicht ausreichend viele Wurfchancen für ihn abfallen, und offensichtliche Schwächen in seinem Spiel zu tolerieren scheint. Coach Jackson hatte verstanden, dass für Shaq andere Regeln gelten mussten. Bryant spielte das Spiel oft genug mit, ließ die Beziehung jedoch am Ende genervt eskalieren. Die „Ehe“ scheitert nach drei Titeln. „Wäre Shaqs fauler Arsch in Form gewesen, hätte ich heute zwölf Ringe“, sagte er nach dem eigenen Karriereende, als beide sich längst ausgesöhnt hatten. Shaqs Abgang erlaubt Kobe, die Alpha-Rolle zu übernehmen und in der Offensive vollends zu eskalieren wie einst Jordan. Er zahlt dafür mit Jahren im NBA-Niemandsland. 2005 verpassen seine Lakers die Playoffs, zwei Jahre in Folge ist in der ersten Runde Schluss. Auch das ein Fehler? Oder eine notwendige Erfahrung? Kobes Statistiken sind außerirdisch, doch sein Struggle ist eine Vorlage für alle Kritiker, die ihm eine manchmal egoistische Spielweise vorwerfen. Weil auch im eigenen Team immer wieder ähnliche Worte fallen, wirft Kobe ausgerechnet im entscheidenden siebten Spiel gegen Phoenix in den Playoffs 2006 nur 16 Mal auf den Korb, drei Mal in der zweiten Hälfte – und sieht zu, wie sein Team mit 31 Punkten Differenz verliert (Coach Jackson steht inzwischen wieder an der Seitenlinie und trainiert den „Untrainierbaren“). Ein absoluter Sündenfall. Als seine Lakers ein Jahr darauf sensationell Pau Gasol verpflichten und ab der Saison 2007/08 wieder angreifen, fegt Kobe (als bald frischgebackener MVP) die Denver Nuggets aus der ersten Runde (33,5 Punkte und 6,3 Assists, 50 Prozent aus dem Feld – darunter 49 und zehn in Spiel zwei), dominiert die Jazz in Runde zwei (33,2 Punkte, 7,2 Assists, 49 Prozent) und schlägt auch die San Antonio Spurs fast im Alleingang (29,2 Punkte, 3,8 Assists, 53,3 Prozent). Finalgegner Boston jedoch weiß, dass Bryant nach der langen Wartezeit danach giert, seine eigene Prophezeiung vom „Next Jordan“ durch eine dominante Serie wahr zu machen. Coach Doc Rivers wendet diesen Blutdurst gegen ihn: Geht Bryant ins Pick-and-Roll, kommt ein zweiter Verteidiger hinzu, immer wieder, überall wird der Lakers-Star in die Playmaker-Rolle gezwungen – wohl wissend, dass Kobe den Traum vom ersten eigenen Titel nicht Pass für Pass für Pass in die Hände seiner Mitspieler legen wird.

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Kobe tappt in die Falle, nimmt bedrängte Mitteldistanzwürfe, trifft nur 40,5 Prozent seiner Würfe. Im entscheidenden sechsten Spiel sind es nur sieben Treffer bei 22 Würfen und einem Assist.

Fotos: Kent C. Horner/Getty Images

Die Möglichkeit des Scheiterns

So paradox es klingt: Die Momente des Versagens sind Teil des Mythos Kobe Bryant. Während Michael Jordan zwischen 1991 und 1998 in jedem Jahr, in dem er die volle Saison bestritt, auch den Titel gewann (unterbrochen von zwei Jahren Pause und einem halbgaren Playoff-Run, den wir hier außen vor lassen), und LeBron ab 2011 acht Jahre in Folge unaufhaltsam in den Finals stand, wurde jede Heldentat Bryants dadurch umso größer, dass er an vergleichbarer Stelle auch schon gescheitert war. Der Nervenkitzel war spürbar. Die Fallhöhe noch extremer. Bezeichnend, dass nach heutigem Stand zwar nur drei Spieler mehr Punkte erzielt haben als Kobe, aber niemand so oft vorbeiwarf wie er. Umso größer ist damals der Triumph, als seine Lakers 2009 und 2010 zwei weitere Titel gewinnen – und das weiß Gott nicht mit einem absoluten Ausnahmekader, bestehend aus dem unterschätzten Duo Pau Gasol und Lamar Odom, einem unberechenbaren Ron Artest, einem gealterten Derek Fisher, einem talentierten, aber rohen Andrew Bynum und sehr viel Durchschnitt von der Bank. Bryant ist immer noch „Mike light“, immer noch ein „Hero Baller“, aber weiser, passfreudiger als früher. Diese Titel gehören wahrlich in erster Instanz ihm. Es ist der Spätsommer des Superhelden. 2011 und 2012 ist früh Schluss in den Playoffs. Bryants Griff um die NBA lockert sich – gleichzeitig wirkt er nahbarer, geerdeter. Bei den Olympischen Spielen 2012 (seiner zweiten Goldmedaille) kommt er an in der Rolle als Elder Statesman, zu dem sogar LeBron James aufschaut. Kobes Philosophie und Arbeitsethos inspiriert die nächste Generation von NBA-Stars. 2012/13 greift er ein letztes Mal an auf der Jagd nach Titel Nummer sechs – Dwight Howard und Steve Nash komplettieren das vermeintlich titelreife Lakers-Lineup. Doch die Star-Truppe zerlegt sich alsbald selbst. Nash verletzt sich schwer am Bein, Howard fremdelt mit seiner Rolle, Gasol fällt lange mit einer Verletzung aus, und Kobe zetert wie eh und je. Es bleibt an Bryant, die Mannschaft zu tragen. 34 Jahre alt, mehr als 1.400 Spiele in den Knochen, viele davon mit Verletzungen und Blessuren, gebrochenen Fingern, verstauchten Knöcheln. Es ist die letzte echte MambaSaison: 27,3 Punkte, sechs Assists, 5,6 Boards im Schnitt, eine weitere Nominierung für das NBA First Team. Und dann ist plötzlich alles anders: In einem Spiel gegen Golden State, in dem Bryant sein Team in die

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Playoffs zu hieven versucht, in dem er in der zweiten Halbzeit wieder und wieder schwer zu Boden geht und wider besseres Wissen aufsteht und weiterspielt, reißt ihm die Achillessehne. Dass Kobe danach alleine zur Bank geht, alleine zurück aufs Feld, dass er noch zwei Freiwürfe trifft und aus eigener Kraft in die Katakomben schleicht, ist Teil seiner Legende. Und auch wenn er ein Jahr später zurückkommt, für sechs Spiele 2013/14, 35 im Folgejahr und 66 in der Abschiedssaison 2015/16, so ist dieser Abend doch auf eine Art bereits das erste Goodbye. Dass Kobe wie ein alternder Boxer zu lange bleibt? Wirft und wirft und wirft, als wäre es immer noch 2008? Unter 40 Prozent der Abschlüsse trifft? Dass er das tut, was er nie gewollt hatte, die Saison 2015/16 zur Abschiedstournee werden lässt? Ein weiteres Teil des komplexen Puzzles, das die Faszination dieses Mannes ausmachte. Die Liga ist schon in der Advanced-Ära angekommen, doch irgendwie scheint sie es Bryant zu verzeihen, dass dieser weiterhin „Hero Ball“ spielt: Spalding halten, zwölf Fakes, Mitteldistanzwurf am Mann. Er ist ein Stück Geschichte, der „Last Action Hero“. Und nichts passt besser zu diesem Ausnahme-Scorer, Sturkopf, Revolverhelden, Geschichtenerzähler, dass er in seinem letzten Spiel 50 Würfe nimmt, 60 Punkte erzielt und am Ende nochmal genug Feuer fängt, um im Alleingang das Spiel gegen die Utah Jazz zu drehen. In die Abschiedsworte vieler Kommentatoren damals mischt sich auch die Frage, wie dieser totale BasketballAutist bloß jemals ohne seinen Sport überleben soll …

Das zweite Leben

Vier Jahre später wissen wir: Kobe betrieb den Wechsel ins zivile Leben mit der gleichen manischen Genauigkeit und Vorbereitung wie zuvor seinen Sport. „Be like Mike“ – bloß nicht! Der Großmeister, der abseits der NBA seine Mission verloren zu haben schien, sogar nochmal aus der Rente zurückkehrte auf der Suche nach dem Kick, ist nun ein abschreckendes Beispiel. Bryant sucht und findet eine neue Mission, er erhebt sein altes Hobby des Storytelling zur Berufung: Gründet Firmen, entwickelt Konzepte, erfindet eine ganze Fantasywelt nach dem Vorbild von Harry Potter. Er bombardiert Potter-Autorin J.K. Rowling mit Anrufen, wirbt um die besten Komponisten und Illustratoren des Landes, und zwei Jahre nach dem Rücktritt hört er den Satz „And the Oscar goes to … Kobe Bryant“, für seinen Animationsfilm „Dear Basketball“, mit dem er seinen Rücktritt inszeniert hatte. Im Sportfernsehen läuft sein Format „Detail“, in dem er Basketballszenen seziert.

Nebenher investiert er erfolgreich in Fitness-Getränke und andere Firmen. Nicht alles klappt, nicht alles trifft, aber die Treffer schlagen spektakulär ein, wie früher. Und viel wichtiger: Kobe kann ganz Vater sein. „Er war nie glücklicher als nach seinem Karriereende“, sagt Matt Barnes, der vom Gegen- zum Mitspieler und schließlich zu Kobes Vertrautem wurde. Seinen Kindern, vor allem der hochtalentierten und basketballverrückten Gianna, widmet Bryant viel Zeit. Er gründet die Mamba Academy, um „Gigi“ und ihren Teamkolleginnen die bestmögliche Basketball-Ausbildung zu ermöglichen. Regelmäßig ist er mit ihr bei WNBA-Spielen oder an der Seitenlinie der Lakers zu sehen – oder als Assistant Coach ihrer Mannschaft, wo er mit konzentriertem Blick Details erklärt. Nach all dem Gerede darüber, dass jede und jeder die „Mamba Mentality“ auf das eigene Leben anwenden könne, ist Bryant das lebende Beispiel dafür. Manchen mag dies posthum mehr inspiriert haben als all die Gamewinner und Scoring-Rekorde dieser Welt.

Was bleibt

Kobe Bryant bewegte Menschen. Polarisierte. Durch sein Spiel, seine Erfolge, durch diese Geschichte vom Aufstieg eines Träumers, der sich mit Arbeit und Willenskraft auf den Gipfel trug, den er selbst herbeigeredet hatte. Es ist auf traurige Weise passend, dass eine so überlebensgroße Figur ein ebenso außergewöhnliches Ende fand. Es gibt nichts Relativierendes, nichts Beschönigendes zu sagen über den tragischen Helikopterunfall, der Kobe, „Gigi“ und deren Freunde das Leben kostete, darunter viele Jugendliche. Der Absturz wird umso tragischer, wenn man weiß, dass Kobe die „Heli-Taxis“ vor allem dafür zu schätzen lernte, weil sie es ihm erlaubten, dem höllischen Verkehr rund um Los Angeles aus dem Weg zu gehen. So konnte er morgens und nachmittags die Kinder zur Schule fahren und abholen wie ein normaler Vater. Die Suche nach Trost läuft ins Leere. Oder vielleicht nicht ganz – jedenfalls nicht, soweit es den Hauptdarsteller der Geschichte betrifft. Ein kleiner Funken Trost mag darin liegen, dass es wohl keinen Menschen auf der Welt gegeben hat, der mehr darüber nachdachte, was seine Mission auf dieser Welt sein sollte. Und der so sehr, mit ganzer Seele danach strebte, diese Mission zu erfüllen. „Ich wollte niemals denken müssen: ,Ich hätte noch mehr tun können‘“, hat er nach seinem Rücktritt gesagt, mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht. Heute klingt das nach den besten letzten Worten. jan@fivemag.de


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Jayson Tatum hatte in seiner kurzen NBA-Karriere schon etliche Identitäten inne, die neueste gibt es nun aber schwarz auf weiß: Mit 21 Jahren ist der Forward erstmals All Star. Der frühere Dukie in Diensten der Boston Celtics hat indes noch weitaus größere Ambitionen. Text: Ole Frerks

Fotos: Michael J. LeBrecht II/NBAE via Getty Images

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ür jemanden, der im März 2020 gerade mal 22 Jahre alt wird, hat Jayson Tatum schon einiges erlebt – und Beobachter haben ihn bereits in ziemlich vielen verschiedenen Inkarnationen gesehen. Der Forward in Diensten der Celtics ist ein Paradebeispiel dafür, wie schnell heutzutage Urteile gefällt und wenig später wieder revidiert werden, wie schnell junge Spieler in gewissen Schubladen landen. Dabei springt Tatum gefühlt von einer Identität zur nächsten, lässt sich alles andere als leicht greifen. Ein Schnelldurchlauf: Tatum kam mit dem Ruf in die Liga, Probleme mit dem Wurf und in der Defensive zu haben, spielte sich als Rookie jedoch sofort in einem der besseren Defensivteams der NBA als Starter fest und traf über 43,4 Prozent seiner Dreier. Er galt schnell als beeindruckend reifer Rookie, allerdings noch als Rollenspieler … bis zu den Playoffs 2018, in denen Boston ohne die verletzten

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Kyrie Irving und Gordon Hayward bis ins siebte Spiel der Conference-Finals gegen die Cleveland Cavaliers kam. Tatum dunkte über LeBron James, galt als künftiger Superstar, einer der wertvollsten Youngsters überhaupt in der NBA. Jahr zwei begann dann sowohl für Tatum als auch für sein wieder gesundes Celtics-Team mit völlig anderen Erwartungen. Diese wurden jedoch nicht erfüllt, Tatums Effizienz brach zeitweise ein. Von 53,8 Prozent effektiver Feldwurfquote ging es herunter auf nur 50,6. In einer von Anfang an nicht rund laufenden Mannschaft fand er nur bedingt seine Rolle, versuchte sich weiterzuentwickeln, scheiterte jedoch. Beispielsweise war Tatum unter allen NBA-Spielern, die pro Partie mindestens zwei Abschlüsse aus einer Isolation generierten, der ineffizienteste (0,63 Punkte pro Abschluss). Der erhoffte Schritt zum Star blieb aus, und in den

Playoffs, als Boston sang- und klanglos gegen die Milwaukee Bucks ausschied, konnte er bei Weitem nicht an die Leistungen des Vorjahres anknüpfen. Tatum war plötzlich schnell eine Enttäuschung. Kritik an Bostons Weigerung wurde laut, ihn oder Jaylen Brown in potenziellen Trades für etwa Kawhi Leonard anzubieten. Nach Irvings Abschied schien es endgültig, als hätten sich die Celtics verpokert, als sie ihren jungen Kern für alle Spieler außer Anthony Davis als „untouchable“ deklarierten. Dass Team USA mit vier Celtics, darunter Tatum und Brown, bei der Basketball-WM im Sommer enttäuschte, passte recht gut ins Bild.

Two-Way-Tatum

Fast Forward: Tatum wurde Ende Januar erstmals zum All Star gewählt, genau wie Brown legt er über 20 Punkte im Schnitt auf, ist Eckpfeiler eines der besten Teams der Eastern Conference.


„Hast du eigentlich eine Ahnung, wie gut du sein kannst? Es gibt sehr wenige Two-Way-Player in unserem Spiel, und du kannst einer von ihnen sein. Du könntest wie Kawhi und Paul George sein.“ Gregg Popovich

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Momentan gibt es eigentlich keinen Zweifel mehr, dass die Celtics über eines der besten „U25-Duos“ der Liga verfügen und dass viele ihr Urteil über insbesondere Tatum überdenken müssen – wieder einmal. Und wenn es nach ihm geht, wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. „Ich habe schon immer zu Kawhi Leonard und Paul George aufgesehen, vor allem zu PG“, sagte Tatum im November, nachdem er bei einer knappen Niederlage bei den L.A. Clippers 30 Punkte aufgelegt und sich dabei mit den beiden Stars duelliert hatte. „Das ist die Art von Möglichkeit, die du haben willst. Scheinwerferlicht, große Bühne … du willst dich da nicht verstecken, sondern den Wettkampf annehmen, zeigen, dass du dazugehörst, dir ihren Respekt verdienen.“ Tatum will zum Kreis der Superstars aufsteigen, das betont er immer wieder – und das bezieht er mehr als viele andere junge Spieler auch darauf, ein legitimer Two-Way-Player zu sein. Das mag zwar ein ausgelutschter Begriff sein, da jeder Spieler de facto an beiden Enden des Courts agiert, aber Tatum will sich über elitäre Offensive und elitäre Verteidigung definieren, eben wie Leonard und George. Die Konstanz, die er im dritten Jahr in der Verteidigung zeigt, ist dabei tatsächlich eine der wichtigsten Entwicklungen im Vergleich zur Vorsaison. Tatum war von Beginn an besser als der Ruf, den er sich defensiv an der Duke University erarbeitet hatte: Lange Arme, Beweglichkeit und Spielintelligenz machten ihn quasi sofort zu einem Spieler nach der Vorstellung von Coach Brad Stevens, da er vielseitig einsetzbar ist. Zudem wurde ihm als Rookie klar gesagt, dass er nicht starten würde, sofern der Einsatz am eigenen Korb nicht passt. Gerade in dieser Hinsicht markierte Jahr zwei jedoch eher einen Rückschritt, wie Tatum selbst zugibt. „Letztes Jahr, vor allem dann, wenn es für mich nicht so lief, hat sich das leider auf meine Defense übertragen“, sagte Tatum im Januar 2020 zu ESPN. „Ich war nicht so engagiert, wenn ich nicht glücklich war. Das ist letztes Jahr oft passiert. Es gab ein paar sehr harte Tage, sogar ziemlich oft. Es hat wirklich nicht viel Spaß gemacht.“ Dass es teamintern in Boston in der Saison 2018/19 regelmäßig knisterte, ist bestens bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass Tatum als guter Freund von Irving teilweise zwischen den Stühlen saß. Es ist jedoch abgehakt: In der laufenden Spielzeit ist das Engagement kein Problem mehr, im Gegenteil. Gegen den Ball ist er gut, hier sind Brown oder Marcus Smart (oder auch Semi Ojeleye) jedoch Bostons giftigste Optionen. Tatum hat abseits des Spielgeräts seinen größten Wert, und hier hat er sich auch am stärksten entwickelt. Er ist sehr aufmerksam in den Passwegen und hebt Bostons Stealrate in seinen Minuten signifikant, im oft centerlosen und

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sehr switchfreudigen Defensivsystem der Celtics kommt ihm aber auch in Sachen Ringschutz eine wichtige Rolle zu. Außerdem gehört er laut Second Spectrum zu den besten Verteidigern des Ballhandlers im Pick-and-Roll, ist sehr gut darin, nicht zu viel Platz für den Wurf zu lassen und gleichzeitig nicht zum Drive einzuladen. Und er kann durchaus auch auf den primären Ballhandler der Konkurrenz angesetzt werden. Die gute defensive Balance führt dazu, dass die Celtics, die zu den stärksten Teamverteidigungen der laufenden Saison gehören, mit Tatum auf dem Court noch einmal deutlich stärker sind – pro 100 Ballbesitze lässt Boston fast vier Punkte weniger zu. Beim defensiven Real PlusMinus von ESPN belegte er vor dem All-Star-Break ligaweit sogar Platz drei (hinter LeBron James und Kris Dunn), wenngleich die Probleme solcher Metriken in Bezug auf die Defense natürlich nach wie vor bestehen und sich niemand komplett darauf verlassen sollte (Beweisstück A: LeBron auf Platz eins …). Der Eye-Test überzeugt jedoch ebenfalls, wie Coach Stevens gegenüber ESPN bestätigt: „Manchmal liegen sie völlig daneben. Aber Jaysons Defense ist wirklich viel besser geworden. Seine Länge ist ein wichtiger Faktor, und er nutzt sie effektiv. Viele Spieler sind lang, nutzen aber nicht wirklich aktiv ihre Hände. Jayson tut das … nicht nur am Ball, sondern auch abseits des Balles.“

Zwischen Star und Rollenspieler

Noch interessanter agiert Tatum derweil in der Offensive. Sein Talent war zwar bereits in den Playoffs 2018 offensichtlich, mittlerweile ist er jedoch nicht nur ein wesentlich reiferer, sondern auch ein konstanterer Scorer geworden. Während im zweiten Jahr und auch zu Beginn dieser Spielzeit noch oft ineffiziente oder unauffällige Leistungen auf gute Auftritte folgten, kommt Tatum seinem Ziel, Abend für Abend eine offensive Waffe zu sein, mittlerweile immer näher. Ende Januar, Anfang Februar 2020 reihte er erstmals in seiner Karriere neun Spiele mit mindestens 20 Punkten aneinander, kurz vor der All-Star-Pause überholte er auch Kemba Walker in der teaminternen Topscorer-Wertung und schenkte den Clippers beim zweiten Wiedersehen 39 Zähler ein. Noch erfreulicher als die nackten Zahlen war dabei, dass er von Oktober bis Februar in jedem Monat seine True Shooting Percentage – die Zweier, Dreier und Freiwürfe in einer Formel vereint – nach oben schraubte. Tatum füllt in jedem Spiel unterschiedliche Rollen aus, was ihn in Bostons System so wertvoll macht: Er kann abseits des Balles agieren und das Feld für etwa Walker breit machen, er kann selbst attackieren und kreieren, fungiert regelmäßig als Anker der Bank-

Lineups, ist mal Scorer, mal Playmaker, mal Rollenspieler, mal offensiver Fixpunkt, wobei letzteres im Laufe der Saison immer häufiger der Fall war. Insbesondere während der erneuten Ausfallzeit von Hayward übernahm Tatum mehr und mehr Spielanteile – er führt die Celtics auch knapp vor Walker bei der Usage Rate an. Dass seine Quoten dabei oberflächlich schwächer aussehen als die von etwa Brown, ist auch damit zu erklären, dass sein offensives Jobprofil diverser und diffiziler ist. Gerade von der Dreierlinie ist sein durchschnittlicher Schwierigkeitsgrad weitaus höher. Brown ist hier vor allem Catchand-Shoot-Spezialist, über 90 Prozent seiner Dreier geht ein Assist voraus. Tatum kreiert sich rund 40 Prozent seiner Dreier selbst, unter anderem mit Stepbacks, weshalb die Quote von Downtown (zu Redaktionsschluss 38,2 Prozent) insgesamt durchaus beeindruckt. Unter allen Spielern, die pro Partie mindestens drei Dreier aus dem Dribbling nehmen, belegt er sogar Platz zwei hinter Damian Lillard (38,7 Prozent). Bei den Isolationen ist er mittlerweile im 70. Perzentil angekommen, also kaum noch mit der vergangenen Saison zu vergleichen. Im Vergleich zum Vorjahr fällt dabei vor allem sein verbessertes Ballhandling ins Auge. Tatum kann sich mittlerweile viel besser durch sein Dribbling Platz verschaffen als noch zu Beginn seiner Karriere, das gilt sowohl am Flügel als auch auf dem Weg zum Korb. Sein Finishing an selbigem ist zwar noch eine kleine Problemzone in seinem Spiel (wenngleich er sich seit dem kalten Saisonstart massiv gesteigert hat), er findet jedoch häufiger den Weg dorthin und agiert viel zielstrebiger. Bisweilen gibt es noch immer die eher uninspirierten Mitteldistanzwürfe nach etlichen Dribblings auf der Stelle zu sehen, diese sind 2020 aber eher eine Randnotiz und nicht mehr das teilweise definierende Element seines Spiels wie in den schlimmsten Phasen 2018/19. Tatum hat jedoch auch weiterhin einige Lücken in seinem Spiel: 4,4 Freiwürfe pro Partie sind für einen Akteur mit seinen offensiven Spielanteilen und diesen Fertigkeiten viel zu wenig und auch der Tatsache geschuldet, dass er zu oft noch dem Kontakt ausweicht, eher mit Finesse statt Power abschließen will. Die noch recht schmale Statur bedingt auch defensiv seine größte Anfälligkeit: Physisch dominante Spieler wie etwa LeBron James oder Kawhi Leonard können ihn überpowern. Es ist jedoch klar positiv zu sehen, dass er sich auch in diesen Aspekten bereits verbessert hat und offensichtlich ehrlich analysiert, woran er zu arbeiten hat. In dieser Hinsicht hat Tatum – wie schon viele Spieler vor ihm – von


Fotos: Maddie Meyer/Getty Images

der Erfahrung mit Team USA profitiert, auch wenn das Turnier eine Enttäuschung war. US-Coach Gregg Popovich ging Tatum überaus harsch an, eben weil er dessen großes Potenzial erkennt. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie gut du sein kannst?“, fragte „Pop“ laut ESPN Tatum, nachdem er diesen zuvor aufgrund eines defensiven Fehlers vor versammelter Mannschaft zur Sau gemacht hatte. „Es gibt sehr wenige Two-Way-Player in unserem Spiel, und du kannst einer von ihnen sein. Du könntest wie Kawhi und Paul George sein.“

Franchise-Player

Tatum hat diese Herausforderung angenommen. Der Wille, ein kompletter Spieler zu werden, ist ihm anzumerken, und er befindet sich bereits auf einem guten Weg. Sein Skillset garantiert Stevens maximale Flexibilität, weil man ihn mit nahezu jeder Spieler-Kombination

auf den Court schicken kann. Deswegen lässt sich auch schon jetzt die These aufstellen, dass Tatum zwar vielleicht noch nicht Bostons bester, aber bereits der wichtigste Spieler des Teams ist. Wobei auch ersteres immer näher zu kommen scheint. Die On/Off-Zahlen legen es zumindest nahe: Mit Tatum auf dem Court erzielt Boston pro 100 Ballbesitze elf Punkte mehr als der Gegner, ohne ihn ist dieser Wert knapp negativ – das gilt für keinen anderen Celtics-Spieler. Tatum ist gewissermaßen der Alleskleber seines Teams und gleichzeitig der Spieler, der noch das meiste individuelle Steigerungspotenzial besitzt. „Er ist etwas Besonderes. Ich persönlich glaube, dass wir noch überhaupt nichts gesehen haben“, sagte Kemba Walker, nachdem Tatum den Hawks Anfang Februar 32 Punkte eingeschenkt und dabei unter anderem

einen Stepback-Dreier nach vorherigem Crossover durch die Beine ausgepackt hatte, bei dem er wohl noch vor einem Kalenderjahr über die eigenen Füße gestolpert wäre. „Wir beginnen erst, den Anfang von einigen großartigen Dingen zu sehen, die uns noch bevorstehen. Er ist etwas Besonderes.“ Er ist zudem mit 21 Jahren ein All Star – und der designierte FranchisePlayer in Boston. Nun muss sich nur noch zeigen, wie lange dieses Label Bestand hat, was es für die Celtics bedeutet und wann Tatum sich wieder neu definiert. Das Ende seiner persönlichen Fahnenstange scheint noch längst nicht erreicht. „Er ist immer noch so jung“, staunte Doc Rivers nach dem besagten Spiel gegen die Clippers vor dem All-StarBreak. „Könnt ihr euch vorstellen, was er in fünf Jahren sein wird?“ Bei Tatum scheint auch folgende Frage berechtigt: Was ist er in fünf Wochen? redaktion@fivemag.de

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Fred VanVleet dürfte eigentlich nicht hier sein. Nicht mit seiner Statur, nicht mit seiner Lebensgeschichte. Nun schreibt er das nächste Kapitel: der Weg zum Star. Text: Toni Lukic

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ls Stephen Curry 2015 die Liga in Brand und neue Maßstäbe in Sachen Beliebtheit setzte, schien klar, warum: Mit Curry können sich die Leute identifizieren. Curry revolutionierte die NBA, obwohl er kein Riese, kein Überathlet ist. Jeder von uns könnte Stephen Curry sein. Doch bei allem Respekt für sein jetzt schon immenses basketballerisches Lebenswerk: Der Warrior ist nicht gerade

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Max Mustermann. Auf seinen 1,91 Meter sind keine Speckröllchen zu erkennen. Während normale amerikanische Kids in einer Garageneinfahrt dribbeln, saß Curry beim NBA-Three-Point-Contest auf dem Schoß seines Vaters und gab Kings-Star Mitch Richmond eine High Five. Nein, den wahren NBA-Helden der Straße traf Curry vergangenes Jahr in den Finals. Sein Name: Fred VanVleet. Größe: 1,83 Meter. Gewicht: 88 Kilo. Seine

Sprungkraft: überschaubar, genau wie die Spannweite. Fragt sich: Wieso spielt dieser Typ in der NBA? Die Antwort lieferte der 25-jährige Toronto Raptor ab dem vierten Spiel der Eastern Conference Finals 2019 und damit den käsigen Stoff für eine Heldengeschichte. VanVleet, der für die große NBA-Bühne zu schlecht und zu klein erscheint, wird Vater. Als ob das neue Leben durch ihn hindurchströmt, spielt er


riesig auf und holt für Toronto die erste Meisterschaft. Doch VanVleet ist mehr als nur eine fast schon zu dick aufgetragene Feelgood-Story, die dann wieder verfliegt. Es wird Zeit, den 25-Jährigen als das wahrzunehmen, was er in den Augen von Coaches und Mitspielern schon ist: ein Top-Spieler. Was ihn so effektiv macht: Er perfektioniert das, was er kann, und versteckt, was er nicht kann. Eine Szene aus dem Jahr 2017 gegen die Bulls zeigt den Wert von VanVleet: Er verteidigt in einem Zwei-gegen-vier-Fastbreak. Der Ball geht an die Dreierlinie zum offenen Wurf. Statt dem Spalding hinterherzuschauen, sucht VanVleet nach dem größten Gegner. Er weiß: Seine 1,83 Meter haben beim direkten Rebound-Duell zwar keine Chance, wenn er aber seine 88 Kilogramm in die Beine eines Big Man mit viel höherem Schwerpunkt stemmt, kann der wenig ausrichten. VanVleet boxt also Christiano Felicio (2,08 Meter, 122 Kilo) aus, sein damaliger Mitspieler Jakob Pöltl greift problemlos den Rebound. Kleiner Nachteil: In dieser Höhenlage fliegen gerne versteckte Ellbogen herum. So wie in Spiel vier der Finals, als ihm Shawn Livingston aus Versehen einen Cut auf der Wange verpasste und ihm einen Zahn ausschlug. VanVleet weiß, wie er seinen bulligen Körper zwischen sich und den Gegner bekommt, um zu finishen oder nach dem Pick-and-Roll durch die Zone zu pflügen. Immer wenn sein Verteidiger keine perfekte Position hat, attackiert er. Auch abseits des Balles ist er extrem effektiv, weil er weiß, wann er cutten muss und wann noch dieser eine Extrapass nötig ist. Es gibt kaum jemanden, der so schnell im Kopf ist wie er. Die mentale Reife ist für sein junges Alter fast schon unwirklich. Sie hat ihren Ursprung zwei Autostunden westlich von Chicago.

Glücklicherweise spielen er und seine Brüder Basketball. Bei einem Turnier lernt seine Mutter den ehemaligen Coach und Polizisten Joe Danforth kennen. Danforth war beim Tod von Freds Vater am Tatort. Er und Susan verlieben sich. Danforth übernimmt die Verantwortung für Fred, erzieht ihn mit eiserner Disziplin, um ihn von dummen Gedanken fernzuhalten. Aufstehen um 5:30 Uhr, Basketball-Training vor Schulbeginn, häufig mit einer 15-Kilo-Weste, nach der Schule dann wieder Training. Nach dem Abendessen muss er Geschirr abwaschen und im Sommer den Rasen mähen. Fred hasst seinen Stiefvater zunächst, doch der will nichts hören. Er lenkt Freds Wut in kontrollierte Bahnen und bringt ihm bei, nicht zu lamentieren. In einer Stadt, deren Talente meistens im Strudel von Gewalt und Perspektivlosigkeit verglimmen, ruhen plötzlich die Hoffnungen auf einem 1,75 Meter kleinen Basketball-Teenager. Fred wird in der Stadt „The Chosen One“ genannt. Während Mitschüler mit Messern und Schusswaffen zum Unterricht kommen – die Auburn High hat keine

Metalldetektoren am Eingang –, lassen ihn die lokalen Gangs in Ruhe. Alle wollen, dass Fred es schafft. Es ist ein unmenschlicher Druck, doch genau auf den wurde er durch seinen Stiefvater vorbereitet. „Als ich aufwuchs“, erzählt VanVleet später, „war mein Ziel, dass ich es nicht zulassen würde, dass ich einer von den Leuten aus Rockford bin, aus denen nichts geworden ist. Ihr Scheitern sitzt in meinem Hinterkopf. Das ist es, wovor ich wegzulaufen versuche.“ Er führt seine Auburn Highschool zu 22 Siegen in Folge und zum ersten Illinois Highschool Association Final Four seit 1975. Er wird von mehreren Zeitungen ins „All State Team“ gewählt. Obwohl er einer der besten Highschool-Spieler des US-Bundesstaates Illinois ist, bekommt er kein Stipendium von einem der Colleges aus der Chicago Metropolitan Area. Vielleicht deshalb, weil er sich trotz einiger Angebote dagegen entschied, an eine der renommierten Chicagoer Highschools zu gehen. Oder weil kein College-Scout seinen Kopf für einen

Fotos: Ron Turenne/NBAE via Getty Images

Harte Schule

Rockford, Illinois ist eine 150.000Einwohner-Stadt, die hart von der Deindustrialisierung getroffen wurde. Unter allen US-Städten, die weniger als 200.000 Einwohner haben, gab es in Rockford 2015 die zweitmeisten Gewaltverbrechen. Eine abstrakte Statistik, die für VanVleet grausame Wirklichkeit wurde. 1999 wird sein Vater Fred Manning – ein talentierter, aber auf der schiefen Bahn wandelnder Basketballspieler – bei einem Drogendeal erschossen. Mit fünf Jahren trifft den kleinen Fred die Realität des Lebens. In einer der gefährlichsten Gegenden der Stadt droht sein Leben auch in einem Statistikvermerk zu enden. Susan VanVleet erzählt später, dass ihr schon damals sehr ernster Sohn zu einem Jungen wurde, der „auf die ganze Welt wütend war“. Auch weil er als Kind einer Weißen und eines Afroamerikaners anders und irgendwie überall Außenseiter ist.

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körperlich so wenig imposanten Spieler hinhalten will. Einer seiner wenigen Fans ist Wichita-State-Coach Gregg Marshall. „Er ist der größte Wettkämpfer, den ich je gesehen habe, und ich habe schon einige gesehen. Er hasst es wirklich zu verlieren und hat einen unglaublichen Glauben an sich selbst“, erklärt Marshall. VanVleet muss nicht lange überlegen und geht zu den Shockers nach Kansas. „Play Angry“ wird zum Motto von Wichitas Final-Four-Run im NCAATournament 2013. Das Team ist eine Ansammlung an anderswo Verschmähten. Niemand verkörpert die „Niemand glaubt an uns“-Mentalität des Teams so sehr wie Freshman VanVleet, der jedoch

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insgesamt nur 4,3 Punkte in 16,2 Minuten pro Partie beisteuert. Im zweiten Jahr ist er Starting Point Guard und der Anführer der Shockers, in deren Reihen auch die späteren NBAProfis Ron Baker und Cleanthony Early spielen. „Fred sagt immer das Richtige zur richtigen Zeit“, erklärt sein damaliger Mitspieler Baker. „Es ist wie Musik in den Ohren. Es ist immer schön, seine Stimme zu hören, wenn wir gewinnen – und auch, wenn wir verlieren.“ Niederlagen gibt es in dieser Saison nur eine einzige – in der zweiten Runde der March Madness ist für das Team mit 76:78 gegen Kentucky Schluss. In vier Jahren bei Wichita erzielt VanVleet 10,2 Punkte und 4,5 Assists im

Schnitt. Es sind keine herausragenden Zahlen, doch wenn er auf dem Court steht, dann gewinnt Wichita. Mit ihm als Starter haben die Shockers eine Bilanz von 91-15. Er wird zwei Mal zum „Conference Player of the Year“ in der Missouri Valley Conference gewählt. Jetzt liegt es an den NBAManagern. VanVleet spielt vor der Draft innerhalb von 30 Tagen bei 18 Teams vor. Für den Draft-Abend organisiert er eine Party für Freunde und Verwandte, um mit ihnen den schönsten Moment seines Lebens zu feiern. Sein Name wird jedoch nicht aufgerufen. Statt die ganze Welt zu verfluchen, nimmt VanVleet ein Mikrofon und spricht mit fester Stimme zu seinen


Fall wettet er darauf, dass er sich bei einem Summer-League-Team einen Platz in einem NBA-Kader erkämpfen wird. Ein Mann ist bereit, diese Wette einzugehen und sie auch gern zu verlieren: Torontos Assistant General Manager Dan Tolzman. Der beobachtet den Guard am College und ist fasziniert von dessen Qualitäten als Floor General und Anführer. „Jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, dachte ich mir: ‚Mann, ich frage mich, ob er gut genug ist für die NBA‘“, erzählt Tolzman. „Aber ich liebe ihn einfach. Ich liebe alles daran, wie er spielt.“ Die Raptors haben 2016 keinen Second-Round-Pick, also geben sie VanVleet einen Summer-League-Vertrag. Der überzeugt in den fünf Sommerpartien

„Ich gehe immer zu ihm hin und frage, was er sieht. weil ich nicht alles sehen kann, was er sieht.“ Kyle Lowry -----------

Gästen: „Meine Story endet nicht hier, es ist der Anfang. Für meine Geschichte hätte es einfach nicht gepasst, wenn ich gepickt worden wäre.“

Fotos: Mark Blinch/NBAE via Getty Images

Alles auf mich

Dabei hätte es durchaus so weit kommen können. Einige Teams wollen VanVleet zum Ende der zweiten Runde mit der Ankündigung picken, ihn zunächst in die G-League zu schicken, damit er sich dort beweist. VanVleet aber weiß, dass er mehr wert ist. „Ich werde mich nicht für 10.000 Dollar ausbeuten lassen“, erklärt er seinen Gästen. „Also habe ich abgelehnt und auf mich gewettet.“ „Bet on yourself“, das wird zu VanVleets offiziellem Mantra. In diesem

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mit 6,2 Punkten, 3,0 Rebounds, 1,6 Assists sowie einer Dreierquote von 54,5 Prozent bei 2,2 Versuchen. Doch die Raptors haben schon vier Point Guards im Kader, und es ist nur noch ein Platz frei. VanVleet setzt sich trotzdem gegen fünf Konkurrenten durch. Toronto nimmt ihn als Free Agent für zwei Jahre unter Vertrag. Dabei hilft es auch, dass VanVleet von derselben Agentur vertreten wird wie Torontos Anführer Kyle Lowry. Der nimmt VanVleet schnell unter seine Fittiche. Schon kurze Zeit später merkt er, dass er auch vom Rookie noch einiges lernen kann. „Ich gehe immer zu ihm hin und frage, was er sieht“, erzählt Lowry. „Weil ich nicht alles sehen kann, was er sieht.“ Trotzdem wird VanVleet 2016/17 ganze 16 Mal in die G-League geschickt, um Spielpraxis zu sammeln. Mit dem Abgang von Publikumsliebling Cory Joseph rückt VanVleet zur folgenden Saison in die Rotation und erledigt seinen Job exzellent. In 20 Minuten Spielzeit kommt er auf 8,6 Punkte und 3,2 Assists bei einer Dreierquote von 41,4 Prozent. Als Belohnung stattet ihn Torontos

Manager Masai Ujiri mit einem neuen Zweijahresvertrag aus, der ihm pro Saison neun Millionen Dollar sichert. Im Sommer 2018 ist er damit der bestbezahlte Spieler, der sich für die Draft 2016 angemeldet hatte. Die Wette auf sich selbst war also hervorragend platziert. Zur neuen Saison stehen viele Veränderungen in Toronto an. Coach Dwane Casey wird von Nick Nurse abgelöst, Ujiri tradet DeMar DeRozan und Jakob Pöltl für Kawhi Leonard und Danny Green. VanVleet? Für den geht es weiter nach oben. Seine Spielzeit steigert sich auf 27,5 Minuten, er startet in 28 Spielen und erzielt 11,0 Punkte sowie 4,8 Assists. In den Playoffs zeigt er zunächst gegen Orlando eine ordentliche Leistung, doch in der Serie gegen Philadelphia und in den ersten drei Spielen gegen Milwaukee ist er praktisch nicht spielbar. Er kommt in diesen zehn Partien auf 2,4 Punkte bei 15,9 Prozent aus dem Feld und 12,0 Prozent von der Dreierlinie. Später erzählt VanVleet, dass dieser Stretch gar nicht so schlimm gewesen sei, bis auf die gefallenen Würfe habe er genauso gut gespielt wie vorher. Doch es ist offensichtlich, dass ihm etwas anderes im Kopf rumschwirrt: die Geburt seines zweiten Kindes. Zwischen dem dritten und vierten Spiel gegen Milwaukee fährt er zur Geburt seines Sohnes nach Rockford, bleibt dort einen Tag und kommt als anderer Spieler zurück nach Toronto. Plötzlich scheint er jeden wichtigen Wurf zu treffen, kommt in den restlichen acht Spielen auf 14,7 Punkte mit Quoten von 51,0 Prozent aus dem Feld und 52,6 Prozent von draußen. Im entscheidenden sechsten Spiel der Finals erzielt er 22 Punkte, einen mehr als Gegenspieler Stephen Curry. Bei einer Verfilmung seines Lebens würden jetzt die Credits einrollen. Zu süß ist dieses Happy End. Doch VanVleet ist noch nicht fertig. Dass viele Beobachter die Raptors nach dem Abgang von Leonard als Meisterschaftskandidat abschreiben, ist der beste Treibstoff für VanVleets Motivationsmotor. Vom Rollenspieler entwickelt er sich zu einem der Hauptverantwortlichen für die hervorragende Saison der Raptors. Er startet neben Lowry, spielt 36 Minuten im Schnitt, erzielt 18,0 Punkte pro Spiel, ist ligaweit die Nummer 14 bei den Assists (6,8) und Vierter bei den Steals (1,9). Im Sommer wird VanVleet zum Unrestricted Free Agent. Masai Ujiri weiß, dass der Publikumsliebling gerne bleiben würde. Dem Macher ist aber auch bewusst, dass VanVleet nicht nur jedes Team besser machen, sondern auch als Identifikationsfigur in jeder Halle Tickets verkaufen kann. Es sieht so aus, als würde für VanVleet ein großer Zahltag bevorstehen. Wetten muss er darauf dieses Mal nicht. redaktion@fivemag.de

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H E LD E N Toronto ist eine Eishockey-Stadt. Kanada ist ein Eishockey-Land. Da haben es andere Sportarten schwer, Fuß zu fassen, eine Fanbasis aufzubauen und für ihren Sport zu begeistern. Das gilt auch für den Basketball – und damit für die Toronto Raptors. Können die Raptoren in Ontarios Hauptstadt ihre Daseinsberechtigung aufrechterhalten, auch wenn der „We the North“-Hype irgendwann nachlässt? Beim Besuch vor Ort stellte sich heraus: Die Kostenintensität des EishockeySports könnte eine Chance sein – und die Migrationsrate der Stadt. Text: Tobias Feuerhahn

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Fotos: CN Tower by AmĂŠlie Lorente from the Noun Project/Tom Szczerbowski/Nathaniel S. Butler/NBAE via Getty Images


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nmittelbar vor den Toren der Scotiabank Arena stehen sie. Mitten in Downtown Toronto. Umsäumt vom Glas und Beton der Skyline. In Bronze gegossene Sieger, Helden, Tradition. Der ganze Stolz der Sportstadt im kanadischen Bundesstaat Ontario. Manch einer der porträtierten Athleten reißt die Arme in einer Jubelpose in die Luft. Andere lehnen auf einer Betonmauer. Einer überwindet diese gerade mit einem Hocksprung – und alle tragen sie Kufen an den Füßen, halten einen langen Schläger mit gebogener Kelle in der Hand. Es sind die Statuen verdienter Spieler der Toronto Maple Leafs. Die sogenannte „Legends Row“ ist ein Tribut an die Großen des kanadischen Volkssports: Eishockey-Helden. Sie stehen den Fans zu jeder Tages- und Nachtzeit für Fotos parat. Die Suche nach einem Schrein der BasketballHeroen der Stadt ist vergeblich. Kein Bronze-Abbild von Kawhi Leonard, wie er zum Jumper hochgeht und Joel Embiid den entscheidenden Wurf zum Einzug in die Eastern Conference Finals ins Gesicht drückt. Keine Statue von Serge Ibaka beim Dunk. Kein Kyle Lowry. Kein Fred VanVleet. Kein Marc Gasol. Nicht einmal irgendein Hinweis darauf, dass die Karriere von Vince Carter hier ihren Anfang nahm. Für Basketball-Fans mag die „Legends Row“ beinahe wie ein Mahnmal wirken, wenn sie in Richtung Einlasskontrolle der Arena pilgern. Wenn das noch nicht genug ist, schreit zudem der Name des Platzes vor der Multifunktions-Halle „This is our Town“. Denn wer vor dem Haupteingang der Scotiabank Arena steht, befindet sich auf dem Maple Leafs Square. Gut, ganz so dramatisch ist es nicht. Wer durch die Stadt läuft, bemerkt durchaus, dass auch die Raptors allmählich ihren Platz in den Herzen der Sportfans gefunden haben. RaptorsInsignien pirschen sich immer näher an die Pilgerstätte Scotiabank Arena heran. „We the North“-Graffitis prangen von den Wänden unter Autobahnbrücken. Ein Sticker hier und da, der einen übergroßen Turban und eine Karikatur des Gesichts von Raptors-Edelfan Nav Bhatia zeigt. An der Ecke Queen Street und Duncan Street ziert ein Bild die Mauer eines Hauses. Darauf zu sehen ist Kawhi Leonard, wie er die Larry O’Brien Trophy in die Höhe reckt, daneben stößt Kyle Lowry einen Jubelschrei aus – auch wenn der Finals-MVP und sein Point Guard darauf eher so aussehen wie in der Sonne geschmolzene Actionfiguren aus Plastik. An der Tür eines Restaurants auf der King Street klebt in Schwarz-

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Weiß das Konterfei von Pascal Siakam. Die Inschrift darunter: #43 eats free.

Jump on the Bandwagon

„Toronto ist eben auch eine HypeTown“, erzählt Jasper in einem Restaurant. Im Hintergrund flimmert ein Fernseher, der gerade zeigt, wie zehn Männer einer Hartgummischeibe hinterherjagen, die auf der Mattscheibe etwa so groß erscheint wie die Hinterlassenschaften einer Fliege. Die Maple Leafs spielen gegen die Chicago Blackhawks. Jasper lebt schon lange in Toronto. Sein ganzes Leben lang, um genau zu sein. Die Wände seines alten Zimmers in seinem Elternhaus schmücken

Wenn Josh vom Abgang des FinalsMVP spricht, klingt er beinahe, als wäre ein guter Freund nach Übersee gezogen. -----------

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Bilder seiner Sporthelden – allesamt Eishockey-Spieler. Daneben hängen Erinnerungsfotos von ihm in seiner Eishockey-Kluft. Ob er bei der ChampionshipParade der Raptors war? Im Sommer 2019, als die ganze Stadt außer Kontrolle schien? „Ja, das habe ich mir angesehen. Aber da waren eine Menge Bandwagon-Fans – einer davon war ich.“ Wenn die Leafs mal wieder Meister würden, meint er, dann wäre hier mehr los. „Das ist bei uns eben Tradition.“ Das wird noch klarer, als die Feldreporterin der Maple Leafs im TV Major Marcelo Plada vom kanadischen Militär zu seiner schönsten Erinnerung an Torontos Eishockey-Team befragt. 1993 war das, als die Leafs beinahe die Stanley-Cup-Finals erreichten, dann aber mit 3-4 an den Los Angeles Kings scheiterten. Die 1995 gegründeten Raptors waren da noch ein feuchter Traum. Direkt neben unseren Köpfen grummelt es immer stärker, während

wir uns unterhalten. Das liegt zum einen am Verdauungstrakt der beiden Männer, die auf den erhöhten Barhockern sitzen und offenbar mit dem vietnamesischen Essen kämpfen. Zum anderen ist es ihre Gemütslage, die einen gewissen Zorn in ihre Stimme treibt. Die Blackhawks haben gerade das 3:0 erzielt. „Können wir zu den Raptors umschalten?“, raunzt einer der beiden die Barfrau an, als hätte er ein Insekt in seinem Bier entdeckt. Der Satz ist zwar als Frage formuliert, der Ton lässt aber keinen Zweifel daran, dass er als Aufforderung gemeint ist. Sieh einer an! Die Identifikation mit den Basketballern ist also vorhanden – zumindest wenn die Leafs den Hintern versohlt bekommen. Die Raptors treten an diesem Abend in Minnesota an. Und die Stimmung in dem Laden im Stadtteil Roncesvalles erhellt sich. Plötzlich wird das Grummeln der Männer von Anfeuerungen abgelöst. Die Raptors liegen vorn. Ist das nur die Hypewelle oder die Freude echter Fans? Egal. Zumindest besteht Hoffnung für die Basketball-Gemeinde. Die Raptors werden längst nicht mehr belächelt. Das Team, das früher mit einem hellroten Dino auf den Trikots auflief, den in den Neunzigern noch viele Einheimische abwertend mit Barney, einem TV-Dino aus dem Kinderfernsehen, verglichen.

Hype-Town Toronto

Diese Hoffnung bestätigt sich auf der Heimfahrt. Wir teilen uns ein Uber mit Josh – dem wohl einzigen Kanadier, der seinen Traum von einer EishockeyLaufbahn so schnell begraben hat wie Anthony Bennett seine Hoffnungen auf den Titel des „Rookie of the Year“. Er verfolgt die Raptors ganz genau. Kein Bandwagon-Fan. Zu den Final-Spielen gegen die Warriors setzte er sich schon um 15:00 Uhr in eine Bar in Toronto, um sich einen vernünftigen Blick auf die Bildschirme zu sichern, auf denen er zu sehen hoffte, wie Kawhi und Co. Golden State den Zahn ziehen würden. „Das war eine teure Woche“, sagt Josh. Trinken musste er schließlich schon am Nachmittag, während er auf die abendlichen Spiele wartete. Zu der Parade ging er nicht. „Da war es mir zu voll.“ Der Hype war zu groß. Was aber, wenn dieser Hype nachlässt? Wenn die Raptors plötzlich nicht mehr in den Playoffs auftauchen? Wenn sie kein Titelkandidat mehr sind? Kurzum: Wenn alles wieder so wird, wie es früher war? „Basketball wird populärer in Kanada und vor allem in Toronto“, meint Josh. Aber der Sport braucht Helden. Die Stadt braucht Helden. Der Nachwuchs braucht sie. Um sich daran zu orientieren, um Geschmack


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Fotos: Ron Turenne/Nathaniel S. Butler/NBAE via Getty Images


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am Basketball zu entwickeln. Die erste große Nummer, die für die Raptors auflief, entfachte die erste Flamme. „Shai Gilgeous-Alexander, Andrew Wiggins, Jamal Murray – sie alle wuchsen mit Vince Carter auf“, umreißt Josh, was „Air Canada“ für den Basketball im hohen Norden bereits getan hat. „Mal sehen, was die KawhiWelle bringt.“ Wenn Josh vom Abgang des Finals-MVP spricht, klingt er beinahe, als wäre ein guter Freund nach Übersee gezogen. Böse sei er ihm aber nicht. Stattdessen freue er sich über Leonards Einfluss. Sein 13-jähriger Neffe hatte mit Basketball – typisch kanadisch – nichts am Hut. „Und dann kam Kawhi in die Stadt“, sagt Josh und grinst dabei. „Seitdem ist der Junge besessen von diesem Sport.“ Und dennoch: „Toronto ist eine Eishockey-Stadt. Das hat hier Tradition.“ Schon wieder dieser Satz.

Fotos: Vaughn Ridley/Getty Images/Tom Szczerbowski/Getty Images/Claus Andersen/Getty Images

Das Kratzen der Kufen

Klar, die Maple Leafs gibt es seit 1917. Sie waren Teil der „Original Six“, der Gründungsmitglieder der NHL, und zudem schon 13 Mal Stanley-CupSieger. Die Phrase klingt trotzdem irgendwie abgedroschen. Beim Spaziergang durch Toronto gewinnt sie aber schnell wieder an Wert. Dort, wo in den meisten anderen Städten der Welt wahrscheinlich Basketbälle auf dem Asphalt scheppern und mit dem so einprägsamen „Platsch“ durch die Reuse der Körbe rauschen würden, kratzen in Toronto Kufen über Eisflächen. Dort kracht es, wenn die Schläger auf die Pucks einhämmern. Jugendliche sind auf den Freiplatz-Eisflächen ins Weiß und Blau der Maple Leafs gehüllt. Genau wie die Kinder, die über das Eis flitzen, als würden sie mit Spikes unter Laufschuhen über den Sportplatz rennen. Dabei üben sie die Jubelposen der NHL-Stars. Ein Bein nach hinten gestreckt, das Knie auf dem Eis. Das andere ist gebeugt. Und einen Arm reißen sie vor und zurück, als würden sie einen dicken Ast zersägen. Kein Heranwachsender zählt langsam die Uhr herunter, während er einen Ball vor sich her und durch seine Beine dribbelt. Kein leises „Fünf, vier, drei, zwei, eins“, bevor er zum entscheidenden Wurf hochgeht und das abgeklappte Handgelenk noch eine Weile in der Luft stehen lässt. Nirgends. Auf den Eishockey-Freiplätzen, den gefluteten Parkplätzen, auf denen Pick-up-Eishockey gespielt wird, schreit die ganze Stadt den Besuchern ihre Vernarrtheit in diesen Sport ins Gesicht. Mal wieder. Auch in den Shops ist die Hierarchie der Sportarten schnell geklärt. An den Wänden hängen

Eishockey-Trikots. Sauber gestaffelt nach Mannschaften. Die Namen der Spieler prangen über den überdimensioniert erscheinenden, aufgenähten Nummern. Ästhetik für jeden Sportverrückten. Die Raptors-Andenken hängen darunter, zusammengequetscht auf ein paar wenigen Metallständern. So reizvoll die Eishockey-Devotionalien angerichtet sind, sind sie vor allem eins: sehr, sehr teuer. Genau wie der

Auf den EishockeyFreiplätzen, den gefluteten Parkplätzen, auf denen Pick-upEishockey gespielt wird, schreit die ganze Stadt den Besuchern ihre Vernarrtheit in diesen Sport ins Gesicht. -----------

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gesamte Sport. Schläger, Helm, diverse Schoner, Schlittschuhe – eine HockeyAusrüstung belastet den Geldbeutel. „Zum Basketballspielen brauchst du lediglich zwei Dinge: einen Ball und einen Korb“, fasst Josh nüchtern zusammen. Eine Chance für den Sport, der wie jeder andere von der Begeisterung der jungen Generation abhängt – genau wie die Mannschaften, die nach Bedeutung streben. Eishockey ist etwas für Menschen mit Kohle auf dem Konto. Und vornehmlich für Weiße. Die sind mit dem Sport aufgewachsen. Und hier liegt möglicherweise eine weitere Chance für den Basketball und damit auch die Raptors sowie die NBA, noch stärker an Bedeutung zu gewinnen: im demografischen Wandel der Stadt Toronto.

„Toronto ist eine multikulturelle Stadt und wird immer mehr dazu“, sagen Josh und Jasper unisono. Viele der Migranten kommen aus asiatischen und arabischen Ländern. Sie sind sportlich anders sozialisiert als gebürtige Kanadier – und daher weitgehend immun gegen das Eishockey-, womöglich aber anfälliger für das Basketball-Virus. Laut einer Volkszählung aus dem Jahr 2016 stammen mehr als 50 Prozent der Menschen, die in Toronto leben, aber nicht in Kanada geboren sind, aus asiatischen Ländern.

Auf ein Leben in Co-Existenz

Vor einem Seiteneingang der Scotiabank Arena zumindest liegen Raptors und Maple Leafs schon einmal gleichauf. Auf den grauen Betonboden sind die Logos beider Klubs aufgemalt. Beide sind gleich groß. Beide sind gleichmäßig abgelatscht von den Besuchern der Halle und den Businessmenschen, die auf dem Weg von der U-Bahn zu einem der in Glas gekleideten Wolkenkratzer an der Arena vorbeilaufen. Vor dem Eingang tigert ein Mann auf den Logos auf und ab. Er trägt eine dicke Jacke und eine Strickmütze. Es ist kalt in Toronto. Wenn er ausatmet, steigen Rauchwölkchen auf – mal vom kondensierenden Atem, mal vom Zigarettenqualm. Es ist Ende Januar. In etwa einer Stunde treffen die Raptors auf die Philadelphia 76ers. Der Mann nimmt noch einen tiefen Zug an seiner Zigarette, bevor er wieder in bester Marktschreier-Manier brüllt: „Tickets. Basketball-Tickets.“ Auch vor ein paar Tagen stand er schon dort. Gehüllt in dieselbe Jacke und dieselbe Mütze. Nur bot er vor dem Spiel der Maple Leafs gegen die Calgary Flames Eishockey-Tickets feil. Ein Blick unter das Hallendach der Scotiabank Arena. Schon wieder wird klar, wer hier Herr im Haus ist. An den Metallrahmen rund um den Videowürfel hängen die Nummern jener Leafs-Größen, die nicht mehr vergeben werden, auf der anderen Seite die 13 Championship-Banner. Obwohl an diesem Abend Basketball gespielt wird, ist der MeisterWimpel der Raptors umzingelt von blau-weißer Tradition. Die Stimmung in der Halle ist jedoch vergleichbar mit der beim Spiel der Leafs gegen die Flames – vielleicht bringen die Basketball-Fans sogar ein paar Dezibel mehr als die Anhänger beim Eishockey. Egal. Die Raptors gewinnen. Vielleicht ein weiterer Schritt zum Erlangen eigener Tradition. Und vielleicht gesellt sich in friedlicher Co-Existenz irgendwann eine weitere Bronzestatue zur „Legends Row“ – eine mit kurzen Hosen und einem Basketball in der Hand. redaktion@fivemag.de

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KENYON MARTIN BAD ASS YELLOW BOY

Fotos:Zach Beeker/NBAE via Getty Images

Kenyon Martin war eine dunkende Naturgewalt. Er ließ sich auf jede Privatfehde ein – und gewann. Doch hinter der Bad-Boy-Attitüde findet sich ein erstklassiger Charakter und noch besserer Mitspieler. Text: Toni Lukic

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ydia Moore ist entschlossen. Ihr ist es egal, dass die Leute sie gerade anstarren. Sie wühlt sich durch Sprite-Dosen mit Bildern von NBAStars. Ihr Ziel: in diesem Supermarkt alle Dosen mit dem Gesicht ihres Sohnes Kenyon Martin zu finden. Der Power Forward der New Jersey Nets steht peinlich berührt daneben und will seine Mutter aufhalten. Sie arbeitet sich aber unbeirrt durch

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die Allen Iversons und Kobe Bryants, bis sie schließlich 48 Kenyon Martins zusammengesammelt hat. Der echte Martin trägt 16 Liter an Limo-Dosen mit seinem Gesicht darauf zur Kasse. Seine Mutter will sie zu Hause in Dallas verteilen. Alle sollen wissen, dass ihr Sohn jetzt ein Basketball-Star ist. Denn für ihn und die unbedeutenden Nets interessieren sich die nationalen Fernsehstationen nicht.

Noch nicht. Denn zu Beginn der 2000er spielen die zwei spektakulärsten Shows in New Jersey, eine in North Caldwell im Haus der HBO-Erfolgsserie „Sopranos“ und die andere 20 Kilometer westlich in der Continental Airlines Arena. Dort rollen die Nets, angeführt von Jason Kidd und Martin, über ihre Gegner hinweg. Beachtlich sind nicht nur Martins allabendliche Versuche, die Korbanlagen zu zerstören, sondern auch die Liste an


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Spielern und Verantwortlichen, mit denen er in der Folge Privatfehden austrägt … und in der Regel gewinnt. Was viele heute aber immer noch nicht blicken: Der 2,06-Meter-Hüne ist viel mehr als ein tätowiertes TestosteronRhinozeros. Er ist einer der komplexesten Charaktere, die die NBA je gesehen hat. Coaches und Mitspieler lieben ihn für seine Empathie, seinen Humor, seine Aufopferung und Spielintelligenz. Mit etwas mehr Trainingsfleiß und etwas weniger Verletzungen würden wir heute von einer Legende sprechen. Um den Menschen Kenyon Martin zu verstehen, muss nur einem Hinweis gefolgt werden. Den liefert er immer dann, wenn er besonders verheerend über jemanden dunkt, sein Jersey zur Seite reißt und ein Tattoo offen legt: „BAD ASS YELLOW BOY“. Der Schriftzug ist eine Anspielung an seine helle Haut. Für die wird er als Kind in der afroamerikanischen Community von Oak Cliff gehänselt. Hinzu kommt, dass er stottert. Er hat keine einfache Kindheit. Der Vater verlässt Martins Mutter und dessen drei Jahre ältere Schwester Tamara. Lydia zieht mit den Kindern aus Michigan nach Texas und hat zwei Jobs, um die Familie einigermaßen durchzubringen. Martins ältere Schwester kümmert sich zu Beginn noch um die Hänseleien der anderen Kinder. Doch der kleine Kenyon lernt schnell, sich zu wehren. Und das mit Methoden, die er auch später noch anwenden soll: Konflikte löst er mit Fäusten, auf einen miesen Spruch hat er immer noch einen mieseren parat. „Wenn du in einem Löwenkäfig aufwächst, dann darfst du kein Schaf sein“, ist heute noch sein Credo. Glücklicherweise bringt seine Mutter ihm bei, anderen stets mit Respekt zu begegnen. Es sei denn, er bekommt keinen zurück. Martin ist als Teenager schon recht bald eine körperliche Ausnahmeerscheinung. Er liebt Basketball, weil das Team einer Familie gleichkommt, die es zu beschützen gilt.

Talent, aber keine Skills

Unter den College-Scouts gilt Martin als hervorragender Verteidiger und athletischer Freak, mehr aber nicht. Viele CollegeAngebote flattern nicht ins Haus. Am meisten bemüht sich Coach Bob Huggins von der University of Cincinnati. „Er war sehr talentiert, als er zu uns kam“, erklärt Huggins. „Er hatte einfach nur keine Skills.“ Der Coach sucht Spieler, die unter seiner teils cholerischen Leitung nicht einknicken und Charakter haben. Martin ist dafür genau der Richtige. In seinem Freshman-Jahr tut Martin jedoch alles, um den Ball nicht zu bekommen. Er hat Angst davor, gefoult zu werden. In 22 Spielen muss Martin 32 Mal an die Linie und trifft zehn Würfe. In seiner ersten Saison verbucht er nur 2,8 Punkte pro Spiel. Er fühlt sich verloren in Ohio und

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hat Heimweh. Er nimmt einen Bus und fährt 1.600 Kilometer nach Dallas. Seine Schwester und seine Mutter, beide mit jeweils zwei Jobs beschäftigt, wollen nichts davon hören und schicken ihn zurück. Martin will Coach Huggins nicht enttäuschen und arbeitet den ganzen folgenden Sommer. Er steigert seine Punkteausbeute auf 9,9 pro Spiel und liefert dazu 8,9 Rebounds, 2,8 Blocks und 1,0 Steals. Dabei achtet er gar nicht auf persönliche Statistiken, ihm ist der Respekt der Teammates wichtiger. Nach einem monströsen 24-Punkte-23-Rebounds-10Blocks-Triple-Double gegen DePaul fragt er den Trainer nach dem Spiel: „Habe ich zu oft geworfen?“ In seinem dritten Jahr ist Martin nicht nur der emotionale Anführer, sondern auch der verlängerte Arm des Trainers. Bei Walk-Throughs, wenn das Team im Training das Spiel eines Gegners imitiert, dirigiert er, wo die Big Men zu stehen haben und wann die Guards cutten sollen.

„Wenn du in einem Löwenkäfig aufwächst, dann darfst du kein Schaf sein.“ -----------

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Martin steht mittlerweile auf den Listen der NBA-Scouts, lässt jedoch keinen Zweifel daran, auch sein letztes Jahr am College abschließen zu wollen. Der Senior möchte mit seinem Team endlich etwas gewinnen. Dafür geht er im Sommer in die Halle und wirft Jumper, bis ihm der Arm abfällt. Das Ergebnis ist sagenhaft: Der Wurf fällt, genau wie der Jumphook. Er steigert seine Punkteausbeute von 10,1 auf 18,9 Zähler pro Spiel, dazu holt er 9,7 Rebounds und blockt 3,5 Würfe. Martin gilt mit Abstand als bester College-Spieler seiner Klasse und als sicherer erster Pick der 2000er Draft. Doch dann bricht er sich im NCAA-Tournament gegen St. Louis das Bein. Plötzlich steht die Profi-Karriere auf dem Spiel. Doch Martin macht sich darüber keine Gedanken. „Ich war nur besorgt, wie meine Mitspieler es aufnehmen würden“, sagt er. Die Antwort ist: Die Kollegen sind völlig von der Rolle und verlieren. Dass Martin trotzdem als erster Pick bei den Nets landet, liegt zum einen am extrem schwachen Draft-Jahrgang und zum anderen an Rod Thorn. Den verletzten Martin zu ziehen, ist seine erste

Entscheidung als President of Basketball Operations. Und Thorn ist ausgewiesen gut darin, richtige Entscheidungen zu fällen. Der ehemalige Spieler installierte als BullsManager den späteren Hall-of-Fame-Coach Jerry Sloan und draftete Michael Jordan. Er setzte als Vorsitzender eines Komitees das Dream Team 1992 zusammen. Thorn weiß, wie Spieler ticken, und er erkennt ihren Wert. Obwohl Martin bei seinem Draft-Workout für die Nets Airball um Airball wirft und nach drei Minuten japsend auf dem Boden liegt, weiß Thorn sofort, wie wertvoll dieser Youngster sein kann. Martin soll einer grauen NetsFranchise Sichtbarkeit und Toughness liefern. Als David Stern in der Draft Martins Namen als allerersten aufruft, weint der wie ein kleiner, schüchterner Junge, aus purer Erleichterung. Es gab Zeiten, in denen Martins Familie ohne Bleibe auf der Straße saß. Einen Tag nach der Draft kauft er seiner Mutter in Dallas ein Haus mit drei Schlafzimmern, Schwester Tamara zieht ein paar Blocks weiter in ein Eigenheim. Martin ist übrigens bis heute der letzte erste Pick einer Draft, der die vollen vier Jahre am College verbrachte. Seinen Abschluss macht er im Fach „Criminal Injustice“. Der 22-Jährige ist körperlich und mental bereit für die NBA. Seine Freundin ist schwanger, er hat also keine Zeit für zu viele dumme Gedanken. Er erzielt ordentliche 12,0 Punkte und 7,4 Rebounds und wird ins AllRookie First Team gewählt. Martin bringt die erhoffte Aggressivität, doch wissen Point Guard Stephon Marbury und Coach Byron Scott noch nicht, wie sie ihn richtig einsetzen können. Glücklicherweise macht Rod Thorn im Sommer einen entscheidenden Schachzug. Er tradet Marbury nach Phoenix für den besten Spielmacher der Liga: Jason Kidd. Dessen Karriere ist an einem Scheideweg. Bis dahin hat er in Phoenix und Dallas genau eine Playoffserie gewonnen. Kidds natürliche Autorität sorgt dafür, dass die Nets-Mitspieler ihn nicht enttäuschen wollen. Vor allem Martin geht bereitwillig dorthin, wo der Aufbau ihn hinschickt. Das ist meist auf Korbhöhe. Es vergeht so gut wie keine Woche, in der es die Alley-Oop-Kombination Kidd-„K-Mart“ nicht in die Top Ten der Woche schafft. Grundlage des Erfolgs ist in Jersey aber eine kompromisslose Verteidigung, in der Kidd den besten Außenspieler übernimmt und Martin den stärksten Big Man in Schach hält. Das übliche Resultat: Kidd holt den Rebound, während Martin schon zur Mittellinie sprintet und wenige Sekunden später am Ring hängt. Die Nets verdoppeln ihre Bilanz auf 52 Siege. Plötzlich sind sie eine Mannschaft, die nicht mehr nur einsteckt, sondern auch austeilt. Martin spielt so hart, dass er sechs Flagrant Fouls sammelt,


Fotos: Nathaniel S. Butler/NBAE via Getty Images

die ihn für sieben Spiele auf die Bank verbannen und ihn 347.057 Dollar an Strafen kosten. Immer wieder liefert er sich Rangeleien mit den besten Spielern des Gegners, um sie mental zu zermürben. Doch die Aggression richtet sich nicht nur gegen das andere Team. Nach einem Spiel gegen die Blazers prügelt er sich mit Rookie Richard Jefferson in der Kabine. Die beiden begraben das Kriegsbeil aber wieder relativ schnell. Die Nets schaffen es in die Finals, doch gegen die schlachtenerprobten Lakers kann New Jersey kein Spiel gewinnen, auch wenn Martin mit 22,0 Punkten im Schnitt wenig vorzuwerfen ist. Zur folgenden Saison rollt der Nets-Fastbreak noch öfter an. Shooter Keith Van Horn wird getradet, sodass Richard Jefferson mehr Spielzeit bekommt und Kidd mit dem Highflyer noch mehr auf die Tube drückt. Martin leistet sich keine Flagrant Fouls mehr und lässt sich von Sticheleien nicht so leicht aus dem Konzept bringen. Im Finale warten Tim

Duncan und die Spurs. Die Serie ist nach vier Spielen ausgeglichen. Martin spielt bisher extrem starke Playoffs, liefert 22,4 Punkte im Schnitt. Doch vor Spiel fünf fängt er sich eine Grippe und kann sein physisches Game nicht anbringen. Er bekommt nur acht Schüsse los und trifft zwei. Im sechsten Spiel ist er immer noch geschwächt – wollen die Nets aber gewinnen, muss Martin aggressiv sein. Das Problem: Sein Gegenspieler ist der methodische Tim Duncan, der auf keine Finte des energischen Martin reinfällt. Weil der aber nur mit dem Blick zum Korb spielen kann und Duncan vor sich hat, wird das Spiel zum Desaster. Der Power Forward trifft nur drei von 23 aus dem Feld, fünf seiner Würfe werden geblockt. Bitter, weil die Nets durchgehend bis Mitte des vierten Viertels führen. Kurz vor dem Schlusspfiff nimmt Martin seinen Anführer Kidd in den Arm und entschuldigt sich – die Meisterschaft ist verloren. Später erzählt er, dass ihm schnell klar geworden sei, dass die Nets nicht nochmal im Finale landen würden. Nach zwei Finals sind sie die Gejagten.

Stress? Kannste haben!

Die Konkurrenten im Osten, Detroit und Indiana, rüsten im Sommer auf. Der einzige Nets-Neuzugang ist Center Alonzo Mourning, der fast zwei komplette Spielzeiten wegen einer Nierenkrankheit aussetzen musste. Mourning ist ein Arbeiter-Typ … anders als Martin, der es im Training eher mal locker angehen lässt. In einer Trainingseinheit geraten beide aneinander. Mourning stellt Martins Führungsqualitäten in Frage, weil der wegen einer leichten Knöchelverletzung nicht mitmachen will. „Du kannst kein Anführer sein und dann heulen: ‚Mein Knöchel, mein Knöchel‘“, macht der Veteran ihm deutlich. Daraufhin äfft Martin den Center mit den Worten „Meine Niere, meine Niere“ nach. Wenig später entschuldigt er sich. „Ich habe etwas Verletzenderes gesagt als er. Wo ich herkomme, ist das so: Wenn du etwas Schlimmes zu mir sagst, dann sage ich etwas noch Schlimmeres“, erklärt Martin. „Das war falsch von mir, hundertprozentig falsch.“ Martin selbst sucht keinen Stress. Doch andere, die Stress wollen,

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Fotos: Noren Trotman/NBAE via Getty Images

wissen, dass sie bei Martin fündig werden. In den Playoffs 2004 treffen die Nets auf die Knicks. Keine gute Ausgangslage für New Jersey. Denn obwohl die Nets um Längen besser spielen, halten die meisten Basketball-Fans zu den Knicks. Als ob es noch etwas Motivation für „K-Mart“ bräuchte, erzählt Knicks-Forward Tim Thomas den Reportern, dass Martin ein „Fugazi“ sei – also ein Typ, der nur auf hart macht, aber eben nicht hart ist. Die Zeitung „Daily News“ bringt daraufhin ein Cover mit der Überschrift „Heulender Tim“. Zur nächsten MediaSession kommt Martin mit einem T-Shirt, das die Titelseite als Aufdruck hat. Die Nets werfen die Knickerbockers mit 4-0 aus den Playoffs, im finalen Spiel der Serie legt Martin 36 Punkte und 13 Rebounds im Madison Square Garden auf. Er bezeichnet den Sweep gegen die Knicks als schönsten Moment in seiner Zeit bei den Nets. In der nächsten Runde ist dann gegen den späteren Meister aus Detroit nach sieben Spielen Schluss. Martin hat mit 16,7 Punkten und 9,5 Rebounds pro Spiel seine statistisch gesehen beste Saison gespielt, ist zum ersten Mal All Star. Im Sommer wird er Free Agent. Es gibt nur ein Problem: Der Geschäftsmann Bruce Ratner hat die Nets für 300 Millionen Dollar gekauft. Das Nets-Front-Office erklärt, der Markt solle den Wert Martins bestimmen, und dann werde man eine Entscheidung fällen. Ein fragwürdiges Verhalten. Die Nuggets bieten Martin einen Vertrag über sieben Jahre und 92 Millionen Dollar. Ein Angebot, bei dem die Nets nicht mitgehen wollen. Martin unterschreibt in Denver. Später konfrontiert er Ratner: „Ich finde, Sie haben mich betrogen, Sie haben uns betrogen, Sie haben die Nets-Fans betrogen, Sie haben jeden betrogen, Mann!“ Bei den Nuggets stellt er sich in standesgemäßer Martin-Manier vor: Es kommt zu einer Schlägerei mit Mitspieler Nenê Hilario. Wieder ist es nur ein reinigendes Gewitter. Die beiden sind anschließend für sieben Jahre Teammates auf derselben Position. Den in der Vergangenheit eher phlegmatischen Nuggets haucht Martin mit seiner kompromisslosen Spielweise neue Energie ein, kann mit 15,5 Punkten etwa seinen Schnitt aus Nets-Tagen halten. Wer nicht mehr mitmacht, ist Martins Körper. Zum Ende der Saison muss er sich einer Mikrofraktur im Knie unterziehen – ein verheerender Eingriff für einen Athleten wie ihn, weil sie dem Spieler die Explosivität raubt. Zum Tip-Off der neuen Spielzeit will er für sein Team da sein, was sich im Nachhinein als riesiger Fehler herausstellt. Er schleppt sich mit höllischen Knieschmerzen durch die Saison, schädigt das Gelenk dabei noch mehr und muss 26 Spiele aussetzen. In der Folgesaison muss er sich nach zwei Spielen erneut einer

Mikrofraktur unterziehen – dieses Mal am anderen Knie. Die Saison ist gelaufen, und möglicherweise auch die Karriere. Bis dahin hat niemand in der NBA gespielt, der diesen Eingriff an beiden Knien durchführen ließ. Doch der Stehauf-Hüne Martin kommt wieder.

Wiedergeburt

Die flöten gegangene Athletik kompensiert er mit ein paar neuen Skills, der lange Jumper sitzt genauso wie ein Floater. Das Scoring der Nuggets übernehmen Allen Iverson, Carmelo Anthony und J.R. Smith. Martin aber ist der MVP der Verteidigung.

„Ich finde, Sie haben mich betrogen, Sie haben uns betrogen, Sie haben die NetsFans betrogen, Sie haben jeden betrogen, Mann!“ -----------

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Er stopft mit seiner Spielintelligenz Löcher und hat die Autorität, die Kollegen defensiv herumzukommandieren. Die Nuggets gewinnen 2007/08 sehr gute 50 Spiele, landen aber in einer lächerlich starken Western Conference auf dem achten Platz und werden von den L.A. Lakers in der ersten Playoff-Runde schnell mit 4-0 abgefertigt. Zu Beginn der nächsten Saison wird Iverson für Chauncey Billups und Antonio McDyess nach Detroit getradet. Die Nuggets spielen toughen Basketball, gehören defensiv zu den Top Ten und werden erst in den Conference-Finals eliminiert – wieder von den Lakers. In den folgenden beiden Jahren werden wieder jeweils mehr als 50 Siege geholt, doch beide Male geht es nicht über die erste Playoff-Runde hinaus. Das liegt vielleicht auch am zerrütteten Verhältnis der Spieler zu Coach George Karl. Besonders Martin, Anthony und Smith trauen dem Erfolgstrainer nicht mehr. Obwohl sie jahrelang zusammenarbeiten, soll sich Karl nie um das Wohlergehen der Spieler

gekümmert haben. Er habe sie sogar teilweise ignoriert. 2016 tritt Karl in seinem Buch „Furious George“ gegen seine Ex-Spieler nach. In einem Auszug, den er der „New York Post“ zur Vorveröffentlichung gibt, schreibt er: „Kenyon und Carmelo haben zwei große Lasten getragen: all das Geld und keinen Vater, der ihnen gezeigt hat, wie man sich als Mann verhält.“ Karl wird dafür in den Medien scharf kritisiert. Zudem hat er jetzt Zoff mit Martin an der Backe. Der tweetet zunächst: „Als ich aufwuchs, hatte ich keinen Vater. Das wissen wir alle. Aber was ist George Karls Entschuldigung dafür, ein furchtbarer Mensch zu sein?“ In den folgenden Tagen geht er in jede bekannte Sport-Talkshow und lässt die Welt wissen, wie wenig er vom Menschen George Karl hält. Wenig überraschend unterschreibt Martin 2011 keinen neuen Vertrag in der „Mile High City“. LeBron James und Pat Riley wollen ihn nach Miami holen. Doch Martin weiß, dass Riley seinen Spielern auch mal Vorschriften macht, was ihre Abendgestaltung angeht. Mit der Begründung, dass er sich in so einem Umfeld nicht wohlfühlen würde, sagt er ab. Man könnte sagen, er sabotiert sich auf dem Weg zu einer Meisterschaft wieder mal selbst. Doch die Annahme, als NBA-Spieler mehr wert zu sein, wenn man nur für den sportlichen Erfolg arbeitet, hat Kenyon Martin nie geteilt. Auf dem Platz tut er alles für den Sieg, aber sonst sind ihm andere Dinge wichtiger: zum Beispiel sein Verhältnis zu seinen Mitmenschen. Sein Vermächtnis ist, dass er moralisch integer war und sich treu blieb. Auch wenn das manchmal schmerzhaft ausging. Während des NBA-Lockouts 2011 unterschreibt er in China. Es folgen noch vier Spielzeiten bei den Clippers, Knicks und Bucks, in denen er eher als Mentor für die jungen Spieler agiert. Im Juli 2015 beendet er seine aktive Karriere. In der Folge fokussiert er sich darauf, Menschen zu helfen, die ähnliche Schicksalsschläge erlebt haben wie er selbst. Er gründet die Kenyon Martin Foundation und hilft wenig privilegierten Familien – vor allem jenen, in denen der Vater fehlt. Seit 2005 engagiert er sich für die Stuttering Foundation of America, eine Non-Profit-Organisation, die sich um stotternde Menschen kümmert. Glücklicherweise hört man auch heute noch regelmäßig von Martin, er ist ein gern gesehener Gast in SportTalkshows. Immer dann, wenn sich ein Spieler kontrovers verhält, wird Martin, der Menschenkenner, befragt. Vielleicht hören wir in Zukunft seinen Namen auch wieder öfter auf dem Basketball-Feld. Sein Sohn Kenyon Martin Jr. hat ähnliches Talent wie der Vater. Vielleicht stehen die beiden auch bald im Supermarkt und suchen nach dem nächsten Martin auf Sprite-Dosen. redaktion@fivemag.de

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NCAA-Tournament

N C A A - T O U R N A M E N T

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AUF ZUM GROSSEN TANZ Die Tanzschuhe sind geputzt? Sehr gut. Schließlich ist März, und der „Big Dance“ steht vor der Tür. Auch dieses Jahr duellieren sich wieder 68 College-Mannschaften um die NCAA-Krone. Und wenn das turbulente Treiben in der regulären Saison nur einen ersten Vorgeschmack lieferte, dann verspricht das Turnier Drama und Spannung pur. FIVE erklärt, welche Mannschaften als Favoriten ins Rennen gehen, wer die Geheimtipps sind und welche Spieler im Fokus stehen. Text: Torben Adelhardt

Die Top-Favoriten

Fotos:Peter G. Aiken/Getty Images

BAYLOR BEARS (BIG 12)

Es ist lange her, dass die Baylor Bears als Mitfavorit in die March Madness gingen. Wie lange? Als Baylor 1950 zum bisher letzten Mal im Final Four stand, gewann das City College of New York den Titel, und die NBA-Champions kamen aus Rochester. Der zweihändige Standwurf war noch ein integraler Bestandteil des Spiels ... In den vergangenen 70 Jahren waren die Bears keine feste Institution im NCAA-Turnier, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahmen sie gar nur einmal (1988) an der March Madness teil. Die Universität aus Waco, Texas gehört nicht zu den NCAA-Basketballhochburgen und ist auch keine primäre Adresse für die Top-Highschool-Talente des Landes. Umso bemerkenswerter ist es, dass Headcoach Scott Drew seine Mannschaft im Laufe des vergangenen Jahrzehnts bis an die Spitze der Big-12Conference führte. Sein Erfolgsrezept:

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disziplinierte Verteidigungsarbeit sowie langsames, methodisches Angriffsspiel. Und in keinem Jahr ging diese Rechnung so gut auf wie in der aktuellen Saison. Die Bears legten von November bis Februar eine beeindruckende Serie von 23 Siegen in Folge auf das Parkett – samt Erfolgen gegen Kansas, Texas und Florida. „Sie sind gut. Sehr, sehr gut“, bilanzierte Lon Kruger, Trainer des Ligakonkurrenten aus Oklahoma, nach der Niederlage seiner Mannschaft gegen Baylor im vergangenen Januar auf sehr nüchterne Weise. Das Prunkstück der Bears ist zweifelsfrei die Defensive. Keine Mannschaft erlaubte ihren Gegnern im Durchschnitt weniger Punkte pro Angriff (0,757 PPP), bei der angepassten Defensiveffizienz nach KenPom belegten die Bears den dritten Rang. Mit Davion Mitchell, Mark Vital und Freddie Gillespie stehen gleich drei der besten NCAA-Verteidiger in den Reihen der Bears. Sie alle können mit ihrer Athletik und physischen Stärke mehrere

Positionen verteidigen und blühen in dem switch-intensiven Defensivsystem regelrecht auf. In der Offensive vertraut Drew auf eine Smallball-Aufstellung mit nur einem Lowpost-Spieler. Auch wenn Baylor im Angriff als Team durchaus effizient agiert (22. Platz beim Offensivrating), fehlt es an individueller Klasse und Akteuren, die in engen Spielsituationen auch aus dem Dribbling hochprozentige Wurfchancen kreieren können. Die Topscorer Jared Butler (15,7 PPG) und MaCio Teague (14,2) können an guten Tagen von der Dreierlinie Feuer fangen. Aber am Ende haben die Bears vor allem gute Karten auf den Titelgewinn, wenn sich ein altbekanntes Basketball-Mantra bewahrheiten sollte: „Defense wins championships!“ Spieler im Blick: Davion Mitchell (Guard, Sophomore, 1,88 Meter, 9,7 PPG, 3,6 APG, 2,8 RPG, 1,6 SPG, 0,4 BPG, 46,8 eFG%) --------------------------------------------


DAVION MITCHELL 71


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NCAA-Tournament

2020

DUKE BLUE DEVILS (ACC)

KILLIAN TILLIE

Die Traditions-Uni aus Durham lieferte in dieser Saison eigentlich genügend Gründe, um sie aus der Riege der Turnierfavoriten zu streichen. Von der Blowout-Pleite gegen NC State (66:88) über die Niederlage gegen das Mid-Major-Team Stephen F. Austin im heimischen Cameron Indoor Stadium bis hin zum knappen Overtime-Sieg über die kriselnden North Carolina Tar Heels: Die Blue Devils ließen oftmals die spielerische Dominanz vermissen, die ihnen vor der Saison attestiert wurde. Doch im Gegensatz zu anderen Preseason-Favoriten wie Michigan State, Virginia oder Florida, die während der Saison komplett Schiffbruch erlitten, konnte sich „Coach K“ auf sein PointGuard-Big-Man-Tandem verlassen. Aufbauspieler Tre Jones (15,8 PPG, 6,4 APG) und Freshman Vernon Carey Jr. (17,9 PPG, 8,8 RPG) sind die Stützen der Duke-Offensive, die traditionell zu den effizientesten der NCAA gehört (achter Platz beim Offensivrating). Carey Jr. ist der Fixpunkt in der Offensive und dominierte mit seiner Physis die Konkurrenz im Lowpost, wo er sehr gute Werte verzeichnete (1,07 PPP in Postup-Situationen). Mit Stretch-BigMan Matthew Hurt (41,4 3P%) sowie den Flügelspielern Cassius Stanley (37,1) und Jordan Goldwire (37,2) komplettieren zuverlässige Dreierschützen die Offensive und sorgen für das notwendige Spacing – ein Aspekt, der dem letztjährigen DukeTeam abging. Die Blue Devils sind eine von drei Mannschaften, die sowohl beim Offensivals auch beim Defensivrating in den Top Ten rangieren. Eine gute Voraussetzung für einen tiefen Turnierritt: Die letzten fünf College-Champions belegten allesamt einen Platz unter den ersten elf Mannschaften bei der angepassten Defensiv- und Offensiveffizienz. Spieler im Blick: Tre Jones (Guard, Sophomore, 1,88 Meter, 15,8 PPG, 6,4 APG, 4,2 RPG, 1,8 SPG, 48,1 eFG%) --------------------------------------------

GONZAGA BULLDOGS (WCC)

Seit nunmehr 22 Jahren sind die Gonzaga Bulldogs ein Dauergast im NCAA-Turnier. Während sie bei ihren ersten Auftritten noch das exotische Team aus der wenig renommierten West Coast Conference waren, sind die „Zags“ längst zum ambitionierten Titelanwärter emporgestiegen. Bei den vergangenen fünf Turnieren erreichten sie als einzige Mannschaft stets das Achtelfinale. Auch in diesem Jahr gehört das Team aus Spokane wieder zu den FinalFour-Aspiranten, denen die Buchmacher in Las Vegas gute Chancen auf den Titelgewinn einräumen. Die Bulldogs rangieren bei der Offensiveffizienz laut KenPom.com auf dem ersten Platz und

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stellen am offensiven Ende des Feldes jeden Gegner vor Probleme. Topscorer des Teams ist der serbische Big Man Filip Petrusev (17,4 PPG), der aus dem Postup (50,4 FG%) und als abrollender Spieler in Pick-and-Roll-Spielzügen (65,4 FG%) ein effizienter Scorer ist. Insgesamt kommen sieben Rotationsspieler auf eine durchschnittliche Punkteausbeute im zweistelligen Bereich. Das Guard-Triumvirat Ryan Woolridge (10,1 PPG, 4,4 APG), Joel Ayayi (10,3 PPG, 3,4 APG) und Admon Gilder (10,8 PPG, 2,1 APG) floriert in der bewegungs- und passlastigen Gonzaga-Offensive, wo alle drei Spieler den Korb attackieren sowie den Distanzwurf treffen können. Der Schlüsselspieler ist jedoch ein Big Man: Killian Tillie hatte in seinem Senior-Jahr immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen, aber wenn der französische Stretch-Big-Man fit war, hob er die Offensive seiner Mannschaft noch

ein Level höher. Mit seinen Fähigkeiten als Distanzschütze und Passgeber vom Highpost ist der 2,08-Meter-Mann der perfekte Frontcourt-Partner für Petrusev, um dem Serben den nötigen Platz im Lowpost zu verschaffen. Die Gonzaga Bulldogs hatten in der abgelaufenen WCC-Saison mit den BYU Cougars, Saint Mary’s Gaels und Pacific Tigers das erste Mal seit Jahren wieder mehrere Mannschaften in ihrer Liga, die sie ernsthaft herausfordern konnten. Dass die „Zags“ in dieser Spielzeit nicht wie gewohnt im „Cruise Control“Modus durch die Conference spazieren konnten, könnte sich im Laufe des NCAATurniers als Vorteil erweisen. Spieler im Blick: Killian Tillie (Big, Senior, 2,08 Meter, 13,7 PPG, 5,0 RPG, 1,8 APG, 61,5 FG%, 39,2 3P%) --------------------------------------------


Nach 14 Conference-Meisterschaften in Folge fand die Vorherrschaft der Kansas Jayhawks 2019 ihr Ende: Mit einer Bilanz von 12-6 schloss die Mannschaft von Trainer Bill Self zum ersten Mal seit der NCAA-Saison 2003/04 die Big-12-Spielzeit nicht auf dem ersten Tabellenplatz ab. Das Ende einer Dynastie? Mitnichten. Angesichts der enormen Ausgeglichenheit der Big-12-Conference in der jüngeren Vergangenheit war es nur eine Frage der Zeit, bis die Serie der Jayhawks reißen würde. Doch bereits in diesem Jahr ließ der NCAA-Meister von 2008 wieder die Muskeln spielen: Nach zwei knappen Niederlagen zum Saisonstart gegen Duke (66:68) und Villanova (55:56) verließen die Jayhawks bis zum Redaktionsschluss nur noch ein weiteres Mal das Feld als Verlierer (55:67 gegen Baylor). Die Jayhawks anno 2020 sind eine dominantere Version ihres Vorgängermodells: Nach dem Abgang des letztjährigen Topscorers Dedric Lawson mussten die College-Rückkehrer Devon Dotson, Ochai Agbaji, Udoka Azubuike und Marcus Garrett in größere Rollen schlüpfen und machten allesamt wichtige Entwicklungssprünge. Die große Stärke der Jayhawks liegt in ihrer Defensivarbeit: Sevenfooter Azubuike ist trotz seiner Masse zu einem herausragenden Verteidiger gereift, der auch das gegnerische Pick-and-Roll effektiv unterbinden kann. Mit diesem furchteinflößenden Ringbeschützer im Rücken können die Perimeter-Spieler Dotson, Garrett, Agbaji und Isaiah Moss eine Menge Druck auf den Ball ausüben. Die Jayhawks erlauben ihren Kontrahenten die niedrigste True-Shooting-Quote aller Teams und liegen bei der Rebound-, Block- sowie Stealrate jeweils unter den 35 besten Mannschaften der NCAA. In der Offensive legt Coach Self das Wohl seiner Truppe in die Hände seines Sophomore-Aufbauspielers Dotson. Der dynamische Guard lässt zwar noch die Konstanz von jenseits der Dreierlinie vermissen (30,6 3P%), ist aber als Dribbler im Pick-and-Roll mit den Big Men Azubuike und David McCormack auf dem College-Level kaum zu verteidigen. Vorsicht ist geboten, wenn am Ende von engen Spielen der Gegner zur „Hack-a-Doke“-Taktik greift: Azubuike steht im Moment bei einer Freiwurfquote von 42,3 Prozent und musste während der Big-12-Saison bereits mit geschenkten Trips an die Linie vorliebnehmen.

Underdogs in ungewohnter Rolle SAN DIEGO STATE (MWC)

In den vergangenen Jahren ist es vergleichsweise still geworden um die Aztecs aus der Mountain West Conference. Dabei war San Diego State von 2010 bis 2015 noch eine feste Konstante im NCAA-Tournament. Unter ihrem damaligen Headcoach Steve Fisher „genossen“ die Aztecs den Ruf als knallhartes Defensivteam, das mit seiner Athletik und Physis jedem Team das Punkten erschwerte. Spieler wie Kawhi Leonard, Malcolm Thomas und Jamaal Franklin waren damals die Hauptprotagonisten, und mit dem zweimaligen Erreichen der Sweet-Sixteen-Runde (2011, 2014) fallen auch die größten Turniererfolge der Universitäts-Historie in diese Zeit. In diesem Jahr fällt den Aztecs jedoch nicht die Rolle des gefährlichen Underdogs zu. Stattdessen gehört San Diego State zu den meistgehypten Mannschaften und schielt auf den ersten Final-Four-Einzug. Um diese Premiere

im kommenden April feiern zu können, sind Höchstleistungen des Starspielers Malachi Flynn notwendig. Der 21-Jährige ist mit 16,9 Punkten pro Spiel nicht nur der effektivste Scorer der Aztecs, sondern als umsichtiger Point Guard auch der primäre Initiator ihrer Halbfeldoffensive. San Diego State trifft als Team sowohl von der Dreier- (38,2 3P%) als auch von der Freiwurflinie (75,3 FT%) sehr sicher und verliert zudem nur selten den Ball (29. Platz in der NCAA). In Verbindung mit ihrer disziplinierten Defensivarbeit, bei der die Aztecs mit schnellen Rotationen die Dreierlinie und die eigene Zone beschützen, stehen die Mannen von Trainer Brian Dutcher auf dem 5. Platz im Teamranking von KenPom und gehören beim Offensivsowie Defensivrating zu den zehn besten Mannschaften der Nation. Spieler im Blick: Malachi Flynn (Guard, Junior, 1,85 Meter, 16,9 PPG, 5,1 APG, 4,3 RPG, 1,9 SPG, 53,2 eFG%) --------------------------------------------

MALACHI FLYNN

Fotos: Steve Dykes/Ethan Miller/Getty Images

KANSAS JAYHAWKS (BIG 12)

Spieler im Blick: Udoka Azubuike (Big, Senior, 2,13 Meter, 13,1 PPG, 10,1 RPG, 2,6 BPG, 74,1 FG%) --------------------------------------------

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ncaa

NCAA-Tournament

2020

DAYTON FLYERS (ATLANTIC 10)

OBI TOPPIN

„Dayton is legit!“, rührte ESPN-Analyst und College-Basketball-Experte Jay Bilas als einer der ersten Journalisten in diesem Jahr mit Vehemenz die Werbetrommel für die Dayton Flyers. Der frühere Center der Duke Blue Devils sprach sich für das Mid-Major-Team aus der A10-Conference als Titelanwärter aus, als andere Medienvertreter die Siegesserie der Flyers als Strohfeuer abtaten. Doch mittlerweile ist Dayton weitaus mehr als nur ein „Hipster“Pick, wenn es um den Turniersieg geht. Headcoach Anthony Grant hat die sehr gute Arbeit seines Vorgängers Archie Miller, der die Flyers zu vier Turnierteilnahmen in Folge führte, nicht nur fortgesetzt, sondern in dieser Saison zu einem vorläufigen Höhepunkt gebracht. Dayton spielt nicht nur die vielleicht ansehnlichste Offensive aller College-Mannschaften, sondern auch eine der effizientesten. Bei der angepassten Offensiveffizienz rangiert Dayton auf dem zweiten Platz hinter Gonzaga. Angeführt von All-American-Spieler Obi Toppin (19,2 PPG, 66,9 eFG%), kommen die Flyers auf eine True-Shooting-Quote von 61,8 Prozent (1. Platz) und eine Assistrate von 61,1 Prozent (13. Platz). Toppin ist mit seiner Größe, Physis und Athletik ein wandelndes Mismatch und verfügt über ein ausgereiftes Inside-out-Spiel, das von dem ScoringPotenzial der Guards Jalen Crutcher (15,0 PPG), Trey Landers (10,9) und Ibi Watson (10,1) ergänzt wird. So hervorragend die „FiveOut“-Offensive auch funktioniert, in der Defensive sind die Flyers verwundbar. Bei der Niederlage gegen die Kansas Jayhawks ließen sie ganze 90 Punkte zu, und auch bei den Siegen über Richmond (79) und Indiana State (81) hatte das Team aus Ohio Probleme, den Gegner am Scoren zu hindern. Reicht die offensive Feuerkraft für sechs Siege in Folge aus? Spieler im Blick: Obi Toppin (Big, Sophomore, 2,06 Meter, 19,2 PPG, 10,3 RPG, 1,9 APG, 1,2 BPG, 60,6 FG%) --------------------------------------------

Sleeper-Teams und Cinderellas Sie sind natürlich das Salz in der NCAATournament-Suppe, der Grund, warum der basketballerische März mit dem Adjektiv „verrückt“ in Verbindung gebracht wird und wieso Millionen von Brackets bereits nach wenigen Stunden hinfällig sind: die Cinderella-Teams. In diesem Jahr gesellen sich zu den potenziellen Cinderellas, die aus den Mid-Major-Conferences stammen, noch eine ganze Reihe an Sleeper-Teams aus den größeren Ligen. Die Fighting Illini aus Illinois kamen in dieser Saison nur schwer in die Gänge und leisteten sich drei Pleiten, noch bevor die Saison in der Big-Ten-Conference

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begann. Dort machte die Mannschaft aber mit Siegen über Michigan, Wisconsin und Penn State auf sich aufmerksam. Point Guard Ayo Dosunmu (16,2 PPG) und 300-Pfund-Freshman-Koloss Kofi Cockburn (13,6 PPG) bilden eines der effektivsten Zwei-Mann-Tandems der NCAA 2019/20. Aus der Big-East-Conference sind die Marquette Golden Eagles der attraktivste Sleeper-Pick. Markus Howard ist als bester NCAA-Scorer (27,1 PPG) in der Lage, an einem guten Tag jeden Gegner im Alleingang aus der Halle zu schießen. Ein ganz heißer Tipp sind die BYU Cougars, die seit den altehrwürdigen Tagen von Jimmer Fredette nicht mehr einen solchen Hype um die Universität aus dem Mormonenstaat entfachen konnten. Der Star der Mannschaft ist Yoeli Chields (21,2 PPG, 8,6 RPG, 2,2 APG), der beim 91:78-Triumph über die Gonzaga Bulldogs ein amtliches 28-10-Double-Double

auflegte. Als Team netzen die Cougars 42,2 Prozent ihrer Dreier (1. Platz) ein. Die Virginia Cavaliers erlebten als amtierender NCAA-Titelträger eine enttäuschende Saison und punkteten so wenig wie kaum ein anderes NCAATeam (56,8 PPG). Mit ihrer erstickenden Defensive könnten die Spieler von Coach Tony Bennett jedoch für die eine oder andere Überraschung sorgen. Ähnliches gilt für die Michigan State Spartans, Memphis Tigers und Florida Gators, die allesamt aus unterschiedlichen Gründen ihrem Preseason-Hype nicht gerecht wurden, aber als schwächer gesetzte Mannschaften dennoch das zweite Turnierwochenende erreichen können. Da zum Redaktionsschluss die letzten NCAA-Turniertickets noch nicht vergeben waren, kann über die gefährlichsten Mid- bzw. Low-MajorTeams nur spekuliert werden. Die


Stephen F. Austin Lumberjacks haben bei ihrem Überraschungserfolg gegen Duke bewiesen, dass sie stärkere Gegner schlagen können, und provozieren so viele Turnovers wie kein anderes Team. Die Akron Zips, Furman Paladins und Northern Iowa Panthers gehören zu den treffsichersten Mannschaften in dieser Saison und nehmen mehr als 40 Prozent ihrer Abschlüsse von jenseits der Dreierlinie. Fängt eines dieser Teams Feuer, geraten selbst die besten Gegner ins Schwimmen und sehen sich einem schwierigen Dreier-Contest ausgesetzt.

Die Draft-Perspektive Die March Madness ist eine spektakuläre Basketballveranstaltung, bei der auch NCAA-Abstinenzler einschalten. Den NBAFans gewähren die Spiele oftmals einen ersten Blick auf die vielversprechendsten Draft-Prospects. In den vergangenen Jahren verpassten jedoch immer wieder Top-Talente wie Ben Simmons oder Markelle Fultz mit ihren Mannschaften den Einzug in das große NCAA-Turnier. In diesem Jahr aber ist das Teilnehmerfeld in Bezug auf NBA-Talente so ausgedünnt wie noch nie zuvor. Die Liste an Spielern, die bei der Draft 2020 extrem hoch gehandelt werden und nicht an der March Madness teilnehmen, ist lang: Anthony Edwards, Cole Anthony, LaMelo Ball, James Wiseman, Deni Avdija, Killian Hayes, Tyrese Haliburton, R.J. Hampton, Onyeka Okongwu und Jaden McDaniels. Was zuerst nach einer Enttäuschung klingt, bietet in Wahrheit die Chance, andere Talente im grellen Scheinwerferlicht des NCAA-Turniers zu beobachten. Da wäre zum einen der athletische Stretch-Big Obi Toppin, der als erste Angriffsoption beim Überraschungsteam aus Dayton sein variables Paket an Fertigkeiten präsentiert. NBA-Scouts sind sich noch uneins darüber, ob der Sophomore auch in der Defensive seinen Mann stehen kann. Auch Isaac Okoro (Auburn Tigers) möchte noch Eigenwerbung

betreiben. Der Freshman-Flügelspieler ist ein überragender Verteidiger und zeigte im Laufe der Saison, dass er auch als sekundärer Playmaker neben einem Scoring Guard wie Samir Doughty effektiv sein kann. Es ist nicht auszuschließen, dass Okoro mit starken Leistungen noch bis in die Top 5 der Draft 2020 vorstößt. Bei den Arizona Wildcats spielen mit Nico Mannion, Josh Green und Zeke Nnaji drei potenzielle Erstrundenpicks, weshalb das Team aus Tucson aus NBA-Perspektive besonders spannend ist. Auch die Kentucky Wildcats wissen standesgemäß eine Reihe an potenziellen NBA-Spielern in ihren Reihen. In diesem Jahr ist Guard Tyrese Maxey der vielversprechendste Pfeil im Köcher von Headcoach John Calipari. Auch wenn die anstehende Draft an der Spitze relativ talentarm zu sein scheint, gibt es eine Vielzahl von spannenden College-Akteuren, denen gutes Potenzial als NBA-Rollenspieler attestiert werden kann: Devin Vassell (Florida State), Devon Dotson (Kansas), Jordan Nwora (Louisville), Aaron Henry (Michigan State), Tyler Bey (Colorado), Jalen Smith (Maryland), Saddiq Bey (Villanova) und Jahmius Ramsey (Texas Tech).

Das kleine Einmaleins der March Madness Die Qualifikation: Auch dieses Jahr dürfen 68 Teams am „Big Dance“ teilnehmen. Direkt qualifiziert sind dabei die Meister der 32 NCAA-Conferences („automatic bids“). Die übrigen 36 Teilnehmer („atlarge bids“) werden am Sonntag vor Turnierbeginn, dem „Selection Sunday“ (dieses Jahr am 15. März), auf Basis ihrer Leistungen in der Hauptrunde von einem Auswahlkomitee bestimmt und live im Fernsehen bekannt gegeben. Die meisten von ihnen entstammen traditionell den großen Conferences ACC, Big East, Big Ten, Big 12, Pac-12 und SEC. First Four und Turnierbaum: Am Dienstag und Mittwoch müssen zunächst acht Teams „nachsitzen“ und am sogenannten „First Four“ in Dayton

Fotos: Justin Casterline/Leon Halip/Getty Images

AYO DOSUNMU

um die letzten vier Turniertickets spielen. Sie sind nur knapp ins Turnier gerutscht und komplettieren das Teilnehmerfeld der ersten Turnierrunde. Die 64 verbliebenen Teams werden in einem Turnierbaum angeordnet. Dieser Baum hat vier Äste, die sogenannten Regionen, die nach ihrem Austragungsort als „East“, „West“, „Midwest“ und „South“ bezeichnet werden. In jeder Region werden die jeweils 16 Teams durchnummeriert, wobei zunächst #1 auf #16 trifft, #2 auf #15 etc. Die Zuordnung der Teams in die Regionen ist jedoch nur bedingt vom Standort der Uni abhängig. Das heißt, Mannschaften von der Ostküste (z.B. Villanova) können auch in der „West Region“ in Kalifornien spielen und umgekehrt. „Do or Die“: Das Turnier verläuft nach dem K.o.-Prinzip, sprich: Wer ein Spiel verliert, kann nach Hause fahren! Am ersten Wochenende finden von Donnerstag bis Sonntag die erste und zweite Turnierrunde statt. Am zweiten Wochenende kommt es zum Sweet Sixteen (Achtelfinale) und Elite Eight (Viertelfinale). Die Sieger jeder Region qualifizieren sich für das Final Four, also die Runde der letzten vier. Die Halbfinals steigen am Samstag, das große Finale am Montag. Dieses Jahr findet das Mega-Event vom 04. bis 06. April im Mercedes-Benz Stadium statt, sonst die Heimstätte des NFL-Teams Atlanta Falcons. „Upsets“: Mit diesem Begriff werden Außenseitersiege bezeichnet, also Erfolge von niedriger gesetzten Teams. Der vielleicht größtmögliche Upset ereignete sich vor zwei Jahren, als die an #1 gesetzten Virginia Cavaliers gegen die an #16 gesetzten UMBC Retrievers verloren. Ein spektakuläres Novum: In den bisherigen 132 Anläufen hatte noch nie eine #16 ein Spiel gewonnen. Einer #15 gelang immerhin achtmal ein Upset, gleich zweimal im Jahr 2012 (Lehigh mit C.J. McCollum und Norfolk State mit Kyle O’Quinn) sowie einmal in 2013 (Florida Gulf Coast) und 2016 (Middle Tennessee). Erstrundensiege von 11ern, 12ern und 13ern sind hingegen in der ersten Runde fast jedes Jahr zu beobachten. Und spätestens ab dem Achtelfinale sind Upsets an der Tagesordnung: Nur ein einziges Mal (2008) standen alle vier #1-Seeds im Final Four. „Cinderella-Storys“: Wenn eine Mannschaft gleich mehrere Upsets hintereinander startet, wird sie zur Märchengeschichte – zur „CinderellaStory“. Das jüngste Beispiel hierfür sind die Loyola Ramblers aus Chicago, die es 2018 als #11 bis ins Final Four schafften und dort erst an Moritz Wagner und den Michigan Wolverines scheiterten. Dies gelang zuvor nur den Teams von LSU (1986), George Mason (2006) und VCU (2011). Der am niedrigsten gesetzte Champ waren übrigens die Villanova Wildcats von 1985, die als #8 die Netze abschnitten. redaktion@fivemag.de

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Vujcic

NIKOLA VUJCIC

„ DER KLASSISC HE C E NTE R WIR D W I E DE RKOMME N“

Nikola Vujcic war einer der besten Center Europas und ist heute Manager von Maccabi Tel Aviv. Im Gespräch mit FIVE erzählt der 41-jährige Kroate, der inzwischen auch die israelische Staatsbürgerschaft besitzt, von seinem NBA-Verzicht und kündigt die Renaissance der großen

Fotos: Patrick Albertini/Euroleague Basketball via Getty Images

Jungs an. Text und Interview: Peter Bieg

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ikola Vujcic, dieser Name stand fast zwei Jahrzehnte lang für einen der dominantesten Center Europas. Der am 14. Juni 1978 im kroatischen Vrgorac geborene Vujcic war einer der vielseitigsten und erfolgreichsten Big Men des Kontinents. Dreimal schaffte es Vujcic ins All-Euroleague First Team (2005 bis 2007), zweimal gewann er die Euroleague (2004, 2005) sowie außerdem fünf israelische Meisterschaften. Ein Beleg seiner Vielseitigkeit ist das Triple-Double (elf Punkte, zwölf Rebounds, elf Assists), welches er im November 2005 auflegte – das erste in der modernen Ära der Euroleague und ein Kunststück, welches er ein Jahr später wiederholen sollte.

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27 Punkte sowie je zehn Rebounds und Assists gelangen Nikola Vujcic am 30. November 2006. Beide Meilensteine erreichte Vujcic im Trikot von Maccabi Tel Aviv – dem Klub, wo er auf dem Zenit seines Könnens spielte. Heute ist Vujcic, ein 2,11-Meter-Mann, Manager des Euroleague-Mitfavoriten. FIVE: Nikola Vujcic, wie sehen Sie die Euroleague-Saison bisher? Nikola Vujcic: Das ist eine sehr enge, spannende Saison. Viele Mannschaften zeigen sehr, sehr guten Basketball und haben jede Menge Talent. Schon nach den ersten Wochen war ein regelrechter Hype um die diesjährige Euroleague-Saison zu

spüren. Wir haben das selbst erlebt, unsere Spiele sind Wochen im Voraus ausverkauft. Das ist zu Saisonbeginn längst nicht immer so. Es zeigt, dass wir – als Liga, aber auch als individueller Klub – einen guten Job machen. Denn die Fans lieben es. Was erwarten Sie von Ihrer Mannschaft? Maccabi hat bereits fünfmal den Euroleague-Titel gewonnen. Deshalb geht es für uns im Prinzip darum, so viele weitere Trophäen wie möglich zu holen. Natürlich müssen wir realistisch bleiben, und es wäre vermessen zu sagen, dass wir die Euroleague gewinnen. Aber unsere Erwartung ist es, in jedem Wettbewerb um den Titel mitzuspielen. Das ist der Anspruch dieses Klubs, so ist das.


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In den vergangenen Jahren hat es Maccabi bisweilen nicht geschafft, solche Trophäen zu gewinnen. Die EuroleaguePlayoffs wurden verpasst, auch den israelischen Meistertitel konnte man mehrfach nicht gewinnen. Wo liegen die Gründe für diese kleine Dürre? Schauen Sie, das sind zwei verschiedene Ligen und damit auch zwei verschiedene Themen. Aber auch in der israelischen Liga gibt es ja seit einigen Jahren ein Final-Four-Format bei den Endspielen. Und das ist verrückt, denn an einigen Tagen können auch vermeintlich unterlegene Mannschaften einen sehr starken Rhythmus entwickeln und den angeblichen Favoriten dann in einem Spiel entsprechend schlagen. Das ist uns passiert, mehrfach. Und auch Verletzungsprobleme kamen für uns dazu. Was das Ausländerkontingent angeht, sind die Regeln außerdem ganz anders als in der Euroleague (ein israelischer Spieler muss in der israelischen Liga permanent auf dem Court stehen, maximal acht Ausländer dürfen in einer Spielzeit von einem Klub gemeldet werden, Anm. d. Red.). Das ist eine ganz schöne Umstellung, und von gut vorbereiteten Gegnern wurden wir da mehrfach kalt erwischt. In den vergangenen Jahren haben wir immerhin zwei Meisterschaften gewonnen und oftmals bis zuletzt um den Einzug in die Runde der letzten acht in der Euroleague mitgespielt. Aber es hat auch mehrfach nicht gereicht, und das war neu für uns. Es ist nicht einfach, in diesen beiden recht verschiedenen Wettbewerben gleichzeitig erfolgreich zu sein. Wie gefällt Ihnen das neue Format der Euroleague und das Wachstum der Liga auf inzwischen 18 Mannschaften? Ich liebe es. Das gefällt mir viel besser als das vorherige System. Es ist viel interessanter für die Fans und die Sponsoren, und es ist einfach ein viel intensiverer Wettbewerb. Woche für Woche können wir unseren Fans etwas ganz Besonderes anbieten. 18 fantastische Mannschaften, die in einer Liga gegeneinander antreten – das ist sehr interessant für den Zuschauer. Wie wollen Sie den Klub Maccabi Tel Aviv generell voranbringen? Das Ziel ist es, die besten israelischen Spieler im Kader zu haben. Und dann geht es natürlich auch immer darum, diese Spieler weiterzuentwickeln, bis in die NBA. Zuletzt haben wir das bei Yovel Zoosman versucht, der allerdings dann doch nicht gedraftet wurde. Jetzt haben wir Deni Avdija, der aktuell als Top-5-Pick der nächsten Draft gehandelt wird. Das ist eine Sache, an der wir weiterarbeiten wollen. Wir wollen Spieler entwickeln. Und zum Zweiten wollen wir die besten Basketballer – aber auch Persönlichkeiten – aus dem Ausland in unser Team bringen. Die letzten zwei, drei Jahre hatten wir da bereits sehr

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großen Erfolg, denke ich. Wir haben die Kultur im Klub und drum herum verändert: Spieler wollen zu uns kommen, wollen bei uns bleiben und fühlen sich hier sehr wohl. Wir wollen in der Zukunft einerseits der Klub sein, der die höchsten Standards erfüllt, und andererseits dann Spieler hierherbringen und entwickeln, welche die höchsten Standards erfüllen. Sie haben Zoosman und Avdija bereits angesprochen. Wie sind denn die Gegebenheiten, um in einem Land wie Israel Talente zu entwickeln? Das mussten wir vor ein paar Jahren auch anerkennen, dass wir unser System verändern müssen, wenn wir EuroleagueSpieler entwickeln wollen. Es geht nicht darum, dass diese Spieler Rollenspieler

„das team sollte im idealfall wie eine familie sein, mit einer hohen gemeinsamen motivation. darauf schauen wir am meisten.“ -----------

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in der israelischen Liga sind. Deshalb haben wir eine Akademie gegründet und die Standards erhöht. Denn die Euroleague ist ein eigenes Level – was Fähigkeiten angeht, aber auch den Arbeitsaufwand für junge Spieler. Viele sind dazu nicht bereit und spielen entsprechend in der israelischen Liga, ohne den nächsten Schritt zu machen. Was ist das Besondere an Maccabis Jungstar Deni Avdija? Er hat enormes Basketball-Talent. Er ist 2,07 Meter groß und spielt als Point Guard. Seine Court Vision und sein Verständnis von Basketball sind exzellent. Wir sprechen hier über einen 20-Jährigen. Denis Potenzial ist sehr groß, weil auch seine Arbeitseinstellung enorm ist. Ich habe so etwas viele, viele Jahre lang nicht gesehen. Er hat einen extremen Willen, sich zu verbessern. Er möchte seinem großen Talent mit seiner Arbeitseinstellung nicht nachstehen, was selten ist. Unglücklicherweise wird das

wohl seine letzte Saison bei uns sein. Denn er ist ein Spieler, der die Euroleague auf höchstem Niveau dominieren könnte. Doch dominieren wird er dann wohl früher oder später in der NBA. Sie haben als Center gespielt und in Europa über Jahre hinweg dominiert. Was denken Sie über die Entwicklung der Center-Position? Und würden Sie heute gern nochmal ins Geschehen eingreifen? (lacht) Ich rede viel mit Menschen aus der Basketballszene, insbesondere mit Scouts und Managern aus der NBA und Europa. Wir beobachten, dass es sowohl weniger echte Center, aber auch weniger echte Point Guards gibt. Basketball wird gerade mehr und mehr Run-and-Gun, mehr als je zuvor. Das ist ein neuer Ansatz. Fans lieben es, wenn James Harden 50 Punkte pro Spiel macht. Es ist etwas, woran wir uns anpassen müssen. Die Zeiten von Big Men, 2,10 Meter groß und schwer, die einfach unter dem Korb stehen, sind einstweilen vorbei. Aber das ist alles zyklisch, alles kommt und geht. Der klassische Center wird wiederkommen, glaube ich. Unglücklicherweise gibt es gerade nur noch wenige echte Big Men, die auch fähig sind und auf dem höchsten Niveau dominieren können. In der NBA reden wir da über Nikola Jokic, der aus Europa gekommen ist. Aber da sind ansonsten kaum Big Men, die wirklich dominieren können. Anthony Davis ist ein moderner Big Man, und es gibt noch ein paar mehr, die im Post spielen können. Aber die meisten von ihnen spielen überall und nicht bloß unter dem Korb. Die großen Jungs … die brauchen eine neue Ära, um nochmal aufzublühen. Sie haben damals selbst über ein recht modernes, vielseitiges Talentpaket verfügt. Hatten Sie den Traum von der NBA? Und falls ja, wie nahe sind Sie diesem Traum gekommen? Sehen Sie, ich hatte mehrere Male die Gelegenheit, dorthin zu gehen. Bloß war das damals alles anders. Ich habe in Europa dominiert und hatte einen sehr guten Status in der Euroleague. Ich wollte nicht in die NBA, nur um in die NBA zu gehen. Ich habe davon geträumt, Titel zu gewinnen und um Trophäen zu spielen. Wenn du in der NBA nicht die Chance hast, zu einem Contender zu gehen, warum dann dorthin wechseln? Zu meiner Zeit habe ich keinen Sinn darin gesehen, zu einem Team zu gehen, das dann 15 Spiele gewinnen könnte. Deshalb habe ich mich auf die Euroleague konzentriert, den Wettbewerb. Ich hatte mehrmals die Chance zu wechseln, doch das waren andere Zeiten. Nach Ihrer aktiven Zeit haben Sie eine Basketball-Akademie im kroatischen Split gegründet. Gibt es die noch? Das war ein sehr schönes Projekt in Kroatien, gemeinsam mit Coach Mladen Sestan. Er ist der Coach, der auch mich entwickelt hat. Wir haben diese


Fotos: Patrick Albertini/Euroleague Basketball via Getty Images

Akademie gestartet und großen Erfolg gehabt. Zwei NBA-Spieler haben sich in dieser Akademie entwickelt, Ante Zizic (Cleveland Cavaliers, im Jahr 2016 an 23. Stelle gedraftet) und Dragan Bender (zunächst bei den Phoenix Suns und heute bei den Milwaukee Bucks, im Jahr 2017 an vierter Stelle gedraftet, Anm. d. Red.). Vier weitere Spieler haben inzwischen ihre Ausbildung an nordamerikanischen Colleges abgeschlossen. Das war wirklich sehr gut. Aber ich habe das Angebot von Maccabi erhalten, und Dragan Bender ist mit nach Tel Aviv gekommen. Coach Sestan ist ebenfalls mitgekommen. Das Projekt liegt also momentan auf Eis. Es existiert noch, und im Sommer bieten wir gelegentlich Camps an, aber es ist aktuell kein großes Projekt für mich. Wie eng stehen Sie im Austausch mit Bender und Zizic? Wir haben fast täglich Kontakt. Das sind junge Spieler, 22 (Bender) bzw. 23 Jahre (Zizic) jung. Sie arbeiten hart, trainieren hart. Sie haben eine große Zukunft vor sich, wo auch immer. Für sie ist das aktuell sicher nicht so, wie sie sich das dauerhaft vorstellen. Aber das Talent ist da, und ich bin mir sicher, dass sie in einigen Jahren große Schlagzeilen machen werden.

Was ist für Sie bei einer Spielerverpflichtung am wichtigsten? Die Persönlichkeit, definitiv. Wir machen da keine Kompromisse. Wir wollen ein gesundes Team, das funktioniert. In einer Saison liegen viele Herausforderungen vor uns. Das Team sollte im Idealfall wie eine Familie sein, mit einer hohen gemeinsamen Motivation. Darauf schauen wir am meisten. Basketball-Skills sind da fast schon zweitrangig. Zumal du heutzutage über jeden Basketballer auf der Welt sehr gut Bescheid wissen kannst. Daten sind sehr einfach zu bekommen. Natürlich muss alles ins Budget passen, da fallen manche Spieler raus. Also geht es vor allem erst mal um bezahlbare Spieler mit der richtigen Mentalität, die auch Rückschläge während einer Saison einstecken können und immer weiterkämpfen. Hungrig auf Titel sollten sie auch sein. Wie wirken sich die finanziellen Einflüsse aus China und der G-League auf das Recruiting aus? Das ist eine schwierige Umgebung. Wir wollen, dass unsere Liga die beste ist, und dementsprechend wollen wir auch die bestmöglichen Spieler holen. Aber das gilt eben auch für die angesprochenen anderen Ligen. Für die Spieler ist es

genial: In Europa geht es primär um den Wettbewerb, Oldschool-Competition. Wir sprechen über Trophäen und Traditionen. In anderen Ligen geht es um andere Dinge, mit anderen Voraussetzungen. Die Spieler können es sich aussuchen. Das griechische Derby in der Euroleague steht bald wieder an, und Sie haben lange in Griechenland gespielt. Wie erinnern Sie sich an Ihre Zeit bei Olympiakos Piräus und diese unfassbare Rivalität mit Panathinaikos Athen? Ich habe zwei Jahre für Olympiakos gespielt, mit großartigen Menschen, Fans und Teambesitzern. Diese Derbys waren immer speziell. Das ist etwas Besonderes, auf höchstem sportlichen Niveau. Zu meiner Zeit konnten wir mehrere Spiele wegen der Fan-Ausschreitungen nicht beenden. Ich hoffe, dass die Mannschaften den Regeln der Euroleague weiterhin folgen und sich auf das Sportliche konzentrieren. Die Entscheidung von Olympiakos, vorerst nur noch in der Euroleague zu spielen, wird das Beste für den Klub sein. Sie entscheiden, was das Beste für sie ist. Wir alle beobachten das sehr genau. Da ist etwas Einzigartiges, Ungewöhnliches passiert. Es ist spannend zu sehen, wie das weitergeht. redaktion@fivemag.de

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SCOTTIE WILBEKIN

„U NSER COACH H AT E INE ME NG E VAR IANTEN UN D EIN REL ATIV DIC KE S PLAYB OOK“ Scottie Wilbekin hat sich in kurzer Zeit zu einem der aufregendsten Guards des Kontinents entwickelt und folgerichtig gerade seinen Vertrag bei Maccabi Tel Aviv bis zum Jahr 2023

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verlängert. FIVE sprach mit dem 26-Jährigen über die Titelchancen von Maccabi in der Euroleague, seine wichtigsten Coaches und seine ungewisse Zukunft in der türkischen Nationalmannschaft. Text und Interview: Peter Bieg

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cottie Wilbekin, das war bis zum Anfang des Jahres 2018 ein Name, der nur ausgewiesenen Basketball-Experten überhaupt etwas sagte. Geboren am 05. April 1993 in Gainesville, Florida. Studium an der University of Florida, dort Point Guard unter Coach Billy Donovan, dem heutigen Cheftrainer der Oklahoma City Thunder. Einige individuelle Auszeichnungen, gute Statistiken – aber kein Erfolg bei der NBA-Draft 2014. Trotz weiterer Bemühungen in der Summer League ergab sich für Wilbekin kein dauerhafter Platz in der National Basketball Association, und der 1,88-Meter-Mann musste seine ProfiLaufbahn im Ausland beginnen. Für die Cairns Taipans in Australien und AEK Athen in Griechenland spielte Wilbekin, bevor er sich im Jahr 2015 für drei Jahre dem aufstrebenden türkischen Klub Darüssafaka Istanbul anschloss und seiner Basketballkarriere den vorentscheidenden Schub verlieh. Dabei war kurz zuvor noch ein VierJahres-Vertrag bei den Philadelphia 76ers geplatzt ... In Istanbul entwickelte sich Scottie Jordan Wilbekin zu einem europäischen Qualitätsspieler, der als Guard mit dem Ball und abseits davon inzwischen zur Elite gehört. Wilbekin sammelte erste Erfahrungen in der Euroleague und katapultierte sein Spiel sowie die eigene Bekanntheit 2017/18 in neue Sphären. 41 Punkte erzielte Wilbekin am 23. März im Halbfinale des Eurocups. 10 von 15 Distanzwürfen traf er für

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Darüssafaka im Duell mit Bayern München. Istanbul gewann 87:83 im Audi Dome und stand somit im Finale des zweithöchsten europäischen Vereinswettbewerbs. Je 26 Zähler erzielte Wilbekin in den beiden Finalspielen gegen Lokomotiv Kuban Krasnodar – und sicherte damit den Titelgewinn für Darüssafaka Istanbul unter Headcoach David Blatt. Als MVP des Eurocups und des Eurocup-Finales sowie Mitglied des All-Eurocup First Teams hatte Scottie Wilbekin dafür gesorgt, dass seinen Namen spätestens jetzt Zuschauer und Entscheider in ganz BasketballEuropa kannten. Mit dem Wechsel im Sommer 2018 nach Maccabi Tel Aviv und der vorzeitigen Vertragsverlängerung dort vor einigen Wochen hat sich der 26-Jährige als Top-Guard in der Euroleague etabliert. FIVE: Scottie, dein Klub Maccabi Tel Aviv hat in der Euroleague einen extrem guten Start hingelegt und gehört zu den besten Mannschaften der Hauptrunde. Wie sieht euer Erfolgsrezept aus? Scottie Wilbekin: Wir glauben an das System unseres Coaches und setzen es alle gemeinsam um. Wir sitzen alle im selben Boot und arbeiten permanent hart für diesen Erfolg. Mit Coach Ioannis Sfairopolous, zuvor mehrere Jahre bei Olympiakos Piräus als Cheftrainer aktiv, kam Mitte der vergangenen Saison auch der Erfolg zurück nach Tel Aviv. In den Jahren davor hatte der Klub eine ungewöhnliche Durststrecke erlebt. Was zeichnet Ioannis Sfairopolous als Coach aus?

Er ist sehr detailorientiert. Er macht einen sehr guten Job, indem er uns die kleinen Dinge erklärt. Egal ob das der Gameplan für jedes einzelne Spiel ist oder die Ideen, die er dabei hatte und an die wir uns dann halten sollen. Er denkt an alles und plant extrem gut. Was ist deine Rolle in seinem Konzept? Meine Rolle? Ich führe die Mannschaft in der Offense und bringe ansonsten alles ein, was ich kann. Das ist eine sehr vielfältige Rolle. Kürzlich habt ihr die Verpflichtung von Amar’e Stoudemire bekannt gegeben, einige Wochen zuvor die von Jalen Reynolds. Wie hilfst du diesen Neuzugängen als Anführer und Spielmacher bei der Integration? Ich helfe ihnen, wenn sie Probleme mit den Spielzügen haben. Unser Coach hat eine Menge Varianten und ein relativ dickes Playbook. Das kann schwierig sein, gerade mitten in der Saison, als Nachverpflichtung. Er hat so viele verschiedene Spielzüge, da muss ich schon mal nachhelfen und meine Kollegen in die richtigen Positionen bringen. Auch mit Deni Avdija arbeitest du jeden Tag bei Maccabi Tel Aviv zusammen. Dein Mitspieler wird als Lottery Pick in der kommenden Draft gehandelt. Avdija – ein Israeli mit serbischen Wurzeln – ist 19 Jahre alt und 2,05 Meter groß. Was macht ihn speziell, und wie weit kann er es bringen? Sein Skillset gepaart mit seinen körperlichen Voraussetzungen, das

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macht ihn besonders. Er hat jede Menge Potenzial. Denn er will wirklich arbeiten und immer besser werden. Er investiert eine Menge, und das könnte am Ende den Unterschied für ihn ausmachen. Du warst einer Anstellung in der NBA selbst mehrfach ziemlich nahe. Im Sommer 2015 hast du einen Vier-JahresVertrag bei den Philadelphia 76ers unterschrieben, der dann jedoch kurz vor Saisonbeginn aufgelöst wurde. Du hast also bisher nur in der Summer League für NBA-Teams gespielt. Ist ein Platz in der NBA noch immer etwas, das dich heutzutage antreibt? Nein, nein. Da denke ich überhaupt nicht drüber nach, gar nicht (lacht). Ich möchte einfach nur spielen und jedes Jahr das Beste rausholen. Die große Bühne in Europa hast du in der Saison 2017/18 betreten, als du mit Darüssafaka Istanbul den Eurocup gewonnen hast und dort auch zum Most Valuable Player des Finales und der Hauptrunde gewählt wurdest. Wie hat diese Episode unter Headcoach David Blatt deine Karriere beeinflusst? Das war ein Sprungbrett für mich, definitiv. Das hat mir definitiv dabei geholfen, als Spieler in Europa voranzukommen. David Blatt ist ein sehr guter Trainer, der mir sehr viel beigebracht hat. Für die beiden Jahre unter ihm in Istanbul bin ich sehr dankbar.

Fotos: Seffi Magriso/Euroleague Basketball via Getty Images

Coach David Blatt hat schon die Cleveland Cavaliers trainiert, die russische Nationalmannschaft und Olympiakos Piräus. Er ist ein ehemaliger Point Guard und hat einen enorm guten Ruf. War David Blatt der wichtigste Coach in deiner bisherigen Karriere? Ich bin mir nicht sicher, ob er der wichtigste war, aber definitiv einer der zwei wichtigsten Headcoaches. Der andere war Billy Donovan, mein Coach an der University of Florida. Auch er ist ein ehemaliger Point Guard – und heute coacht er die Oklahoma City Thunder. Du spielst seit einigen Jahren auch für die türkische Nationalmannschaft, nachdem du die dortige Staatsbürgerschaft zu deiner Istanbuler Zeit erhalten hast. Was war dein bisher bester Moment als türkischer Nationalspieler? Als wir einmal fast die Vereinigten Staaten geschlagen hätten, bei der Weltmeisterschaft im Jahr 2019. Gegen dieses Team in die Overtime zu gehen, das war wirklich etwas Besonderes für mich. 93:92 haben sie in der Verlängerung dann gegen uns gewonnen … Wie ist es ansonsten so in der türkischen Nationalmannschaft als gebürtiger USAmerikaner aus Florida? Gar nicht so speziell. Alle meine Mitspieler dort sprechen sehr gut

Englisch, und ich habe ja auch schon etwas Türkisch gelernt. Ich spreche nicht fließend Türkisch, komme im Alltag aber gut zurecht. Kürzlich hat Hidayet Türkoglu, ein früherer türkischer NBA-Spieler, der jetzt für den Nationalverband arbeitet, die Idee ins Spiel gebracht, Shane Larkin einzubürgern, was dann auch geschah. Er spielt gerade bei Anadolu Efes eine Wahnsinnssaison und war bereits in der vergangenen Spielzeit einer der besten Euroleague-Spieler. Allerdings spielt er wie du als Point Guard … Ja, und nur einer von uns beiden kann als naturalisierter Spieler eingesetzt werden. Aber das ist kein Problem für mich, ich empfinde das nicht als Beleidigung. Ist Shane Larkin aktuell der beste Spieler der Euroleague? Im Moment spielt er von allen Spielern in der Euroleague am besten, davon bin ich überzeugt. Nikola Mirotic vom FC Barcelona kommt aber nicht weit dahinter. Und auch Mike James spielt wie jedes Jahr eine sehr starke Saison. Wie sehen deine persönlichen Ziele aus – für den Rest der Saison, aber auch für deine weitere Karriere? Ich möchte, dass unser Team im weiteren Verlauf der Saison so gesund wie möglich ist. Denn wenn wir gesund bleiben, dann

können wir in diesem Jahr noch sehr große Dinge erreichen. Persönlich möchte ich mich individuell immer weiter verbessern, um meinem jeweiligen Team zum Sieg verhelfen zu können. Als Distanzwerfer etwa scheinst du in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht zu haben … Ja, ich arbeite permanent an meinem Wurf. Wann immer ich trainiere, werfe ich auch. Das ist mir sehr wichtig. Hast du dabei bestimmte Vorbilder? Nicht wirklich. Als ich jünger war, habe ich Kobe Bryant und Allen Iverson sehr gemocht. Inzwischen schaue ich Basketball und bewundere die handwerklichen Fähigkeiten von vielen verschiedenen Spielern. Was würdest du machen, wenn du kein Basketballer wärst? Das finde ich heraus … in den nächsten sieben, acht, neun Jahren (lacht). So lange läuft meine Karriere hoffentlich noch. Was danach kommt? Da habe ich ehrlicherweise noch gar keinen Plan! redaktion@fivemag.de

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Hamburgs

Offensive

HAMBURGS OFFENSIVE

Heiko Schaffartzik als Rückkehrer, Jorge Gutierrez und Bogdan Radosavljevic als Nachverpflichtungen: Die Offensive der Hamburg Towers wird von einem illustren Trio angeführt. Welches System hat Aufstiegs-Coach Mike Taylor bei den Towers installiert? Text: Manuel Baraniak

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instürzende Neubauten. Mit dem Namen der Berliner Experimental-Band könnte ganz gut die Bundesliga-Premiere der Hamburg Towers umschrieben werden. Denn der Aufsteiger stürzte beim ersten BBL-Spiel seiner Klub-Historie fast ein, beim Gastspiel in München waren die Towers auf Kurs, die höchste Pleite der modernen BBLGeschichte zu kassieren. Zwischenzeitlich lagen die Hamburger mit 64 Zählern zurück (die höchste Punktedifferenz seit der digitalen Datenerfassung zur Saison 1998/99 liegt bei 63 Punkten), am Ende unterlagen sie mit 55:111. Knapp vier Monate später: Beim Gastspiel in Crailsheim müssen die Hamburger nach gut vier Minuten bereits einen zweistelligen Rückstand hinnehmen. Wo sie in den ersten Saisonwochen vielleicht die nächste Klatsche kassiert hätten, kämpfen sich die Gäste jetzt aber zurück, agieren mit der Überraschungsmannschaft der Liga auf Augenhöhe und führen in der Schlussminute sogar! Auch wenn die Towers letztlich knapp mit 98:101 den Kürzeren ziehen, zeigt die Leistung gegen die Merlins die Fortschritte des Aufsteigers seit Saisonstart. „Ich bin stolz auf den Einsatz meiner Mannschaft. Wir hatten teilweise einen sehr guten individuellen Einsatz und sehr gute Teamarbeit. Wir haben uns in der zweiten Halbzeit gut verbessert und konnten so in die Position kommen, um das Spiel zu gewinnen“, zeigte sich auch Towers-Cheftrainer Mike Taylor zufrieden. Wie hat es der Coach geschafft, sein Team nach den holprigen ersten Saisonwochen in eine solche Position zu bringen?

Fotos: TF-Images/Getty Images

Vier Nachverpflichtungen Ein Grund … sind gleich drei Gründe: nämlich die getätigten Nachverpflichtungen. Mit Spielmacher Jorge Gutierrez, Center-Hüne Bogdan Radosavljevic und Forward-Energizer Michael Carrera hatten die Towers gegen Crailsheim drei Neuzugänge während der Saison zur Verfügung, wenig später sollten die Hamburger mit Flügelspieler Demarcus Holland eine weitere Nachverpflichtung bekannt geben. Damit war der Aufsteiger die erste Mannschaft in der BBL, welche das Maximum von vier Zugängen während der Saison ausgereizt hatte. Carrera und Holland (der bei Redaktionsschluss erst eine Partie absolviert hatte) haben den Towers vor allem defensive Impulse gegeben. Die anderen beiden Neuen nehmen derweil eine zentrale Rolle in der Offensive ein.

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Gutierrez sticht schon mit seiner Vita samt 47 NBA-Partien heraus. Der Point Guard übernahm problemlos die Aufgabe als Lenker und Denker der Hamburger Offensive. Mit seiner Schnelligkeit und seinem Ballhandling ist er auch der beste Eins-gegeneins-Spieler Hamburgs – was Gutierrez sogar im Postup beweist. Niemand sollte sich von Gutierrez’ schmächtigem Körperbau täuschen lassen: Der 1,91-Meter-Mann hat die Kraft und auch die Bewegungen, um sich am Zonenrand durchzusetzen. Bei seinem Towers-Debüt gegen Göttingen suchten die Hamburger in ihrem ersten Angriff des Spiels direkt Gutierrez im Post. Dort hat auch Radosavljevic seine Stärken, über die Hälfte der Hamburger Abschlüsse am Zonenrand entfallen auf den Center. Auch als Abroller aus dem Pick-andRoll nimmt „Boggy“ eine wichtige Rolle ein. So schulterte Radosavljevic sein Team früh in den Begegnungen gegen Crailsheim und Ludwigsburg – auch gegen die MHP Riesen verloren die Towers nur knapp.

Zwei bis drei Staggered-Screens Radosavljevic’ Spielweise schneidet an, welch eher traditionelle Rollen die Big Men im Hamburger Offensivsystem einnehmen: Im Erhebungszeitraum der sechs Partien von Ende Dezember 2019 bis Anfang Februar 2020 entfielen immerhin 8,2 Prozent der Gesamtabschlüsse der Towers auf Postups, ganze 9,7 Prozent auf die Blocksteller im Pick-and-Roll. Towers-Coach Mike Taylor lässt häufig mit größeren Lineups beginnen. Das Problem: Die zahlreichen Big Men Hamburgs sind keine designierten Distanzschützen. Carrera, Radosavljevic und Marvin Ogunsipe trafen bei Redaktionsschluss nur 19,4 Prozent ihrer Dreier, Prince Ibeh und Jannik Freese haben den Distanzwurf erst gar nicht im Repertoire. So zeigt sich das Spacing in der Towers-Offensive nicht immer optimal. Der rechts aufgeführte Spielzug versucht in drei Ausstiegen, mit ballfernen Blöcken die Schützen in Szene zu setzen. Solche Staggered-Screens – wenn also zwei Spieler hintereinander einen Block für einen Mitspieler stellen – finden sich immer wieder im Offensivsystem Taylors. Beispielsweise auch, wenn sich der Ball im Post befindet und ein Flügelspieler über die Birne zur ballstarken Seite cuttet. Doch nicht immer kommen die Dreierschützen daraus direkt zum Wurf, mitunter täten die Towers gut daran, früh aus dem Spielzug auszubrechen. Ansonsten

müssen es die Hamburger doch aus dem Pickand-Roll richten, wo sie neben Gutierrez mit Heiko Schaffartzik (siehe Spieler im Fokus) und dem erst 18-jährigen Justus Hollatz aber auch versierte Spieler zur Verfügung haben. Überhaupt machten die Towers bisher einen guten Eindruck, wenn sie mehr auf ihre Guards vertrauten und kleiner spielten. Mit einem Drei-Guard-Lineup aus Gutierrez, Schaffartzik und Yannick Franke drehten sie beispielsweise die Partie in Bonn und liefen im vierten Viertel mit 35 Zählern heiß. Doch nicht alles an der Offensive ist traditionell. Das verdeutlicht die Pace – die Towers spielen ligaweit den zweitschnellsten Basketball – oder Taylors Playbook, in dem ballabseits viele unterschiedliche Screen-Arten enthalten sind. Beispielsweise läuft ein Flügelspieler schon mal durch die Zone, scheint von einem Big Man einen Block gestellt zu bekommen, nur um stattdessen um seinen Mitspieler zu curlen und seinerseits für diesen Big Man einen Block zu stellen. So wird ein 38-ProzentDreierschütze wie Beau Beech in Szene gesetzt. Auch die relativ wenigen Eins-gegeneins-Aktionen (ein Anteil von nur 6,4 Prozent im Erhebungszeitraum) sprechen für einen modernen Stil. Doch vielleicht täte den Towers eine Isolation-Option ganz gut, vor allem in engen Partien. Gutierrez, der am ehesten in diese Rolle schlüpfen könnte, machte hierbei noch keine gute Figur.

Einen hinter sich lassen Letztlich ist dies vielleicht nur eine Frage der Zeit in Hamburg – beziehungsweise auch eine der Integration der Neuzugänge sowie der Evaluation der vielen Lineup-Möglichkeiten. Denn die Towers sind eine quantitativ stark besetzte Mannschaft, die sowohl klein als auch groß gehen kann. So könnte sich das Depth Chart (siehe rechts) durchaus noch verändern. Bislang hat die Führungsriege um Coach Mike Taylor und Sportdirektor Marvin Willoughby ein gutes Händchen bei den Neuzugängen bewiesen, offensiv brachten vor allem Gutierrez und Radosavljevic das Team einen großen Schritt weiter. Damit sind die Towers vielleicht das Team in der BBL, das sich vom Saisonstart bis zur Saisonhalbzeit am stärksten verbessert hat. Klar, mit einer 56-Punkte-Pleite zu Beginn konnte es nur besser werden. Doch letztlich geht es für die Towers in ihrer BBL-Premierensaison nur darum, ein Team hinter sich zu lassen. Die Tendenz spricht dafür – und dann könnte man am Ende von „gefestigten Neubauten“ sprechen. redaktion@fivemag.de


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A1

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1

Depth Chart 2019/ 2020 Pos.

Spieler

PG

Jorge Gutierrez Justus Hollatz

SG

Heiko Schaffartzik Yannick Franke Malik Müller

SF

Beau Beech Demarcus Holland Tevonn Walker

PF

Michael Carrera Marvin Ogunsipe Kevin Yebo

C

Prince Ibeh Bogdan Radosavljevic Jannik Freese

Die Towers haben ein sehr tiefes Team, 14 Spieler laufen im Schnitt mindestens neun Minuten auf. Bei sieben Guards rutschen Spieler wie Franke, Holland oder Walker auch

Jorge Gutierrez (1) bringt den Ball über die linke Seite. Beau Beech (4) und Bogdan Radosavljevic (5) stehen hintereinander an der Dreierlinie und stellen in einem Staggered-Screen jeweils einen Block für Gutierrez, der auf die andere Seite dribbelt.

Spieler im Fokus:

HEIKO SCHAFFARTZIK 35 Jahre alt, eine ganze Saison nach einer Knieverletzung pausiert … und dennoch war Heiko Schaffartzik Ende Dezember 2019 mit seiner höchsten Punkteausbeute in der BBL seit April 2008 zur Stelle. Beim Auswärtssieg in Bonn legte der Towers-Guard 23 Punkte auf und besorgte 78 Sekunden vor Schluss den DaggerDreier zur Zehn-Punkte-Führung. Es war die endgültige „Welcoming-out-Party“ nach seiner Rückkehr in die deutsche Beletage. Nachdem Schaffartzik in seinen ersten acht Saisonspielen nur 22 Prozent seiner Dreier getroffen hatte, verwandelte er in den darauffolgenden acht Partien immerhin sehr solide 37 Prozent seiner Distanzwürfe. Auch die Partie gegen Bonn verdeutlichte Schaffartziks immer noch vorhandenes Mikrowellenpotenzial: Drei Dreier versenkte er im ersten Viertel, im nächsten Spiel gegen Vechta traf er in den ersten 95 Sekunden nach der Pause drei Distanzwürfe, und drei Wochen später in Crailsheim rotzte der Guard vier Dreier innerhalb von 175 Sekunden ein! Schon vom Wortlaut her liegen „Schaffartzik“ und „Scharfschütze“ nah beieinander … In der TowersOffensive nimmt Schaffartzik gleichermaßen eine Rolle zwischen Scorer am und abseits des Balles

ein, das verdeutlichen auch die Play-Type-Statistiken. 40 Prozent seiner Abschlüsse entfallen auf Aktionen als Ballführer bzw. aus der Isolation, 30 Prozent auf Aktionen als Spotup- und Off-Screen-Option. Als Ballführer geht Schaffartzik klar auf den Dreier aus dem Dribbling: 14 seiner 19 Wurfversuche kamen von jenseits der 6,75 Meter. Hier macht sich Schaffartziks gehobenes Alter von 35 Jahren schon bemerkbar: Bis zum Ring kommt er bei Drives kaum durch und somit auch selten an die Linie. Wenn Schaffartzik antritt, dann nimmt er lieber den TurnaroundJumper aus der Mitteldistanz. Wie sehr der Aufbau seinem Distanzwurf vertraut, zeigt sich beispielsweise auch, wenn er im Schnellangriff vom Parkplatz abdrückt. Als unerschrockener Scorer hat Schaffartzik sicherlich den größten Wert für die Towers. Gerade mit seiner Erfahrung besitzt der Guard aber auch eine gute Übersicht, wenn es darum geht, seine abrollenden Big Men einzusetzen. Wenn man Schaffartzik dann nach dem Sprung einen beidhändigen No-Look-Pass an den Mann bringen sieht, erinnert man sich wieder, wie lange der ehemalige Nationalspieler die Bundesliga geprägt hat. Seine Rückkehr in die Liga ist eine der schönsten Geschichten in dieser Saison.

3

2

B1

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Beech und Radosavljevic rotieren nacheinander weiter in Richtung linke Ecke und stellen einen Staggered-Pin-Down für Heiko Schaffartzik (2). In einer ersten Option kann Schaffartzik daraus den Dreier nehmen.

C1

3 4 5 1

2

Das Big-Men-Duo rotiert weiter Richtung Korb, um den nächsten Staggered-Screen ballabseits zu stellen – diesmal für Yannick Franke (3), der am Flügel von Schaffartzik für den Dreier angespielt wird.

3

2

B2

mal auf die Drei hoch. Keiner der Big Men strahlt konstant Gefahr von außen aus.

PLAY-TYPE P&R Ballhandler spotup isolation Off-Screen transition cut Summe

FREQ% 27,7 22,8 11,9 7,9 6,9 5,0 100,0

PPP 1,00 1,39 0,83 0,75 2,43 0,40 1,06

FG% 42,1 47,8 36,4 25,0 100,0 20,0 39,5

FT FREQ% 14,3 0,0 0,0 0,0 28,6 0,0 8,9

TO FREQ% 21,4 0,0 8,3 0,0 14,3 0,0 11,9

Die Play-Type-Stats für Heiko Schaffartzik aus seinen vergangenen acht BBL-Spielen 2019/20. Legende: Freq% – Prozentsatz der Abschlussart an allen Abschlüssen des Spielers, PPP – Punkte pro Abschluss, FG% – Feldwurfquote, FT Freq% – Wie häufig zieht der Spieler Freiwürfe, TO% Freq – Wie häufig produziert der Spieler einen Ballverlust; Daten: Manuel Baraniak

4 5 1

Es ist ein früher Ausstieg aus diesem Play möglich: Nach dem Staggered-Pick-and-Roll macht Beech kehrt und stellt keinen Block für Schaffartzik, sondern nutzt selbst einen Block von Radosavljevic, um an der Birne einen Dreier zu nehmen.

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interview

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Konga

KONSTANTIN KONGA

„DAS IST BESCHEUERT, DAS VERSTEHE ICH EINFACH NICHT“ Konstantin Konga ist nicht nur Guard der MHP RIESEN Ludwigsburg, der 28-Jährige macht sich Gedanken … und davon eine ganze Menge. Ein ganz besonderes Interview mit einem, der sich selbst, aber auch die Welt um ihn herum kritisch sieht. Interview: Manual Baraniak

Fotos: TF-Images/TF-Images via Getty Images

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ÜNF: Bist du ein „Stats Guy“? Konstantin Konga: Früher vielleicht mehr, aber jetzt schaue ich weniger auf Stats.

Ich habe dennoch zwei Zahlen für dich, mit Stand des Nationalmannschaftsfensters Ende Februar, vielleicht kannst du sie einordnen: 262 und zwei. 262 sind bestimmt meine Minuten. Zwei, die Turnovers? Richtig. Beeindruckend, in der gesamten Saison bisher nur zweimal den Ball verloren zu haben. Wie machst du das? Zum einen ist meine Rolle offensiv nicht so groß: Ich bin nicht der große Entscheidungsträger, der den Ball viel in den Händen hält und häufig das Pickand-Roll läuft. Da haben wir unsere US-Amerikaner, die individuell die Klasse haben. Ich bringe mehr den Ball sicher nach vorne und treffe die richtigen

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Entscheidungen, sage das richtige System an. Zum anderen ist es auch eine Entwicklung dahingehend, dass man älter wird und das Spiel einfach besser versteht. Ihr spielt eine sehr intensive Verteidigung und presst häufig über das ganze Feld. Man könnte annehmen, dass das auch mal auf Kosten der Konzentration in der Offensive geht. Dabei habt ihr auch als Team die wenigsten Ballverluste der Liga. Gleichzeitig haben wir auch die wenigsten Assists, wenn mich nicht alles täuscht, das muss man bedenken. (schmunzelt) Wir haben einige Spieler, die mit ihrer individuellen Klasse viel im Eins-gegeneins entscheiden können. Das führt oft zum Erfolg. Wir spielen zwar schon recht schnell, aber wir spielen nicht so riskante Pässe wie beispielsweise Alba Berlin. Wir wissen alle, dass Coach John Patrick sehr darauf bedacht ist, dass wir nicht häufig den Ball verlieren. Keiner will direkt

ausgewechselt werden, weil er den Ball verliert. (lacht) Als Spieler in Frankfurt und in Bonn hast du gegen Ganzfeldpressen gespielt. Hat dich irgendetwas überrascht, wie diese Defense trainiert wird, als du 2018 nach Ludwigsburg gewechselt bist? Ich kann hier natürlich nicht unser Erfolgsgeheimnis verraten. (schmunzelt) Erst mal weiß jeder, dass er nur spielt, wenn er fullcourt verteidigen kann. Da ist es egal, ob du offensiv 20 Punkte machst. John Patrick will sogar, dass auch unsere Big Men vorne sind, was bei den meisten Teams nicht der Fall ist. Als Big Man musst du bei deinem Gegenspieler sein: Wenn der einen Screen für den gegnerischen Guard stellt, soll sich dieser keinen Platz verschaffen und nicht großartig Speed aufnehmen können. Das verstehen auch nicht immer alle sofort: Als Big Man lernst du dein Leben lang, schnell zurückzulaufen,


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interview

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anstatt direkt vorne zu verteidigen. Was das Training betrifft: In der Offseason machen wir viel zum Grundprinzip unserer Defense. Während der Saison spielen wir auch fünf-gegen-fünf, aber dort geht es meist um taktische Dinge, wir gehen nicht die ganze Zeit volle Pulle. Individuell kannst du auch an deiner Fußarbeit arbeiten. Mit Ariel Hukporti habt ihr ein 17-jähriges Nachwuchstalent in den Reihen, das beim „Basketball Without Borders Global Camp“ zum MVP ernannt worden ist. Ich habe den Eindruck, dass Ludwigsburg seltener genannt wird, wenn es um die stärksten Nachwuchsprogramme Deutschlands geht. Da du auch in Berlin und Frankfurt – zwei Teams mit guter Nachwuchsarbeit – gespielt hast, wo würdest du das Ludwigsburger Nachwuchsprogramm einordnen? Schon die MVP-Auszeichnung zeigt, dass Ariel Hukporti zu den talentiertesten Spielern seines Jahrgangs zählt. Ich habe einen so talentierten Spieler noch nicht gesehen, auch nicht zu meiner Jugendzeit. Hier passieren auf jeden Fall die richtigen Dinge, sonst würde er sich nicht so entwickeln. Neben Ariel gibt es auch andere talentierte Spieler wie beispielsweise Lukas Herzog. Unser NBBL-Team gilt ja auch als Favorit auf die Meisterschaft. Mit den Jungs wird individuell viel trainiert, es gibt ein Sportinternat – du hast die besten Voraussetzungen. Als ich in Frankfurt war, ist das eine super Adresse gewesen – und das ist es immer noch. Vielleicht ist es für Frankfurt einfacher, Talente für sich zu gewinnen, weil sie sich schon einen Namen damit gemacht haben, junge deutsche Spieler rauszubringen: wie Danilo Barthel und Joe Voigtmann, mit denen ich dort zusammengespielt habe. Generell spricht das für die Nachwuchsarbeit in Deutschland. Genau, es gibt immer mehr talentierte Spieler in Deutschland. Wenn mir jemand sagt, ich solle mal diesen oder jenen Spieler auschecken, merke ich oft, dass ich das mit 16 oder 17 Jahren noch nicht konnte. Die Jugendarbeit ist einfach sehr viel besser geworden als noch zu meiner Zeit. Als junger Spieler siehst du auch, dass du damit Geld verdienen kannst. Und das ist dann auch ein Ansporn, es nur mit Basketball zu versuchen. Zu meiner Zeit war nicht klar, wie viel Geld du damit verdienen kannst. Hattest du dahingehend auch mal Zweifel, ob der Weg des Profibasketballers der richtige ist? Nein, Zweifel hatte ich eigentlich nie. Aber es war bei mir auch nie klar. Vor meiner Zeit in Frankfurt habe ich zwar in der Jugendnationalmannschaft gespielt, aber auch nicht als der Spieler, von dem erwartet wurde, dass er den Durchbruch schafft. Ich glaube, erst mit 21 Jahren in Frankfurt haben die Leute gecheckt, dass ich richtig

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Basketball spielen kann. Ich habe damals nicht großartig darüber nachgedacht, was ich damit verdienen kann – ich habe das einfach aus Leidenschaft gemacht. Das Wichtigste für meine Familie war, dass ich das Abitur mache. Als ich das getan hatte, konnte ich im Grunde machen, was ich wollte: und das war Basketball. Ich wusste, wenn man viel trainiert, an sich arbeitet und sich den Arsch aufreißt, dann wird das schon irgendwie. Ich hatte eigentlich nie Angst, dass das nicht klappen würde. Es gehört natürlich auch viel Glück dazu: Du musst in die richtige Situation kommen und einen Coach haben, der dich spielen lässt – da gibt es so viele Faktoren. Aber du musst deine Chance dann auch nutzen.

„Jeden Tag bin ich morgens um 4:30 Uhr aufgestanden und habe dreimal am Tag trainiert. Damals dachte ich, dass ich das tun muss – auch wenn mein Fuß wehgetan hat.“ -----------

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Wie blickst du generell auf deine Zeit in Frankfurt zurück? Das war eine schöne Zeit. Ich glaube, wenn ich den Mindset gehabt hätte, den ich jetzt habe, wäre ich individuell erfolgreicher gewesen. Wobei man das auch nicht so sagen kann: Meinen Mindset jetzt habe ich auch nur durch meine vergangenen Erlebnisse. Damals war ich nicht … „erwachsen genug“ ist vielleicht die falsche Umschreibung. Aber ich habe vieles persönlich genommen, wollte auf Teufel komm raus individuell erfolgreich sein und habe ein wenig vergessen, dass es ein Teamsport ist. Ich war einfach noch nicht so reif. 2016 ging Joe Voigtmann mit Baskonia direkt zu einem Euroleague-Klub, Danilo Barthel mit den Bayern zu

einer Mannschaft, die bald auch in der Euroleague spielen würde. Hast du dich rückblickend manchmal gefragt, warum du es nicht auf dieses Niveau geschafft hast? Erstens war ich sicherlich nicht so talentiert wie die beiden. An der Arbeitseinstellung hat es nicht gelegen – ich würde behaupten, mehr als die beiden trainiert zu haben. Zweitens habe ich nebenbei auch mein Ding gemacht. Ich war immer morgens um zehn Uhr beim Training, aber ich war abends auch unterwegs – das war vielleicht nicht immer optimal. Und drittens kamen bei mir Verletzungen hinzu, die mich ein wenig aus der Bahn geworfen haben: gerade zu meiner Zeit in Bonn mit einem Knorpelschaden im Fuß, den ich eineinhalb Jahre später noch gespürt habe. Ich hatte auch schon in Frankfurt mit Verletzungen zu tun, aber da kam ich immer so zurück wie zuvor. In Bonn habe ich das erste Mal gemerkt: „Krass, ich kann nicht mehr so spielen, wie ich davor gespielt habe.“ Dann bist du frustriert, wütend und versuchst mit Zwang, das irgendwie hinzubiegen – und trainierst mehr, als du vielleicht mit einem kaputten Fuß trainieren solltest. Wie hat sich das bei dir persönlich bemerkbar gemacht? Ich habe in einem Sommer sechs bis acht Wochen lang durchtrainiert. Jeden Tag bin ich morgens um 4:30 Uhr aufgestanden und habe dreimal am Tag trainiert. Damals dachte ich, dass ich das tun muss – auch wenn mein Fuß wehgetan hat. Ich dachte einfach, ich müsste wieder auf das Level kommen, auf dem ich mal war. Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass vieles auch im Kopf stattfindet. Das meinte ich eben: Mir hat eine gewisse Reife gefehlt. Basketball war damals alles für mich. Ich hatte im Sommer nicht großartig Urlaub gemacht, sondern war immer mit Basketball beschäftigt – ich hatte eigentlich kein Leben neben dem Basketball. Das ist auch nicht gut. Mit 20 Jahren bist du aus Berlin weggezogen – wie viel Berliner steckt noch in dir? Das bin ich durch und durch, bis obenhin, zu 100 Prozent. Unterscheidet Berliner Basketballer etwas von den anderen Basketballern in Deutschland? (überlegt) Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich denke schon. Berlin hat so krasse Spieler gehabt, die es leider nicht immer geschafft haben, die aber vom Talent- und Skilllevel auf einem Top-Niveau waren. Wie ein Edwin Ofori-Attah: Von den Skills her gab es so jemanden davor in Deutschland nicht, er hat Scoring-Rekorde am College gebrochen. Auch jemanden wie Misan (Nikagbatse, heute Haldin) gab es zuvor in Deutschland nicht … jemand, der tätowiert und „Baller“ ist und der nicht dem Bild des „deutschen Basketballs“ entspricht. Dann


Femi Oladipo, der auch sehr talentiert und krass athletisch gewesen ist. In Berlin herrscht einfach viel Ablenkung. Du kommst schnell auf andere Wege, wenn du mit den falschen Leuten abhängst. Früher gab es ja nicht solche Programme wie das von Alba: Da trainierst du morgens, gehst mit denselben Leuten zur Schule, gehst dann abends wieder zusammen zum Training – das wird alles überwacht. Früher gingst du abends zum Training – und davor konntest du machen, was du wolltest. Wie die heutigen Berliner Spieler sind, kann ich aber schwer sagen, da kenne ich zu wenige. Talente gibt es natürlich immer: wie die Wagner-Brüder Franz und Moritz, wie Maodo Lo, den damals keiner auf dem Schirm hatte. Vielleicht könnte man den Berliner Basketballer mit „Swag“ beschreiben, mit einer gewissen Streetball-Mentalität. In Berlin aufzuwachsen ist anders, als woanders aufzuwachsen. Das versuche ich auch immer meiner Frau zu erklären. Wenn du wie ich in einem Bezirk in Kreuzberg aufwächst, dann schaust du immer über deine Schulter … wenn du zur Schule oder nach Hause gehst, wenn du zum Training fährst. Ich will nicht sagen, dass das immer positiv ist – aber du hast automatisch eine gewisse Abhärtung in dir. Du lernst schon früh, dich durchzusetzen und keine Schwächen zu zeigen. Das hat mir beim Basketball geholfen. Auch wenn ich wusste, ich bin schlechter als ein anderer Spieler, hatte ich die Einstellung: Nee, ich bin besser – einfach nur, weil ich aus Berlin bin. (lacht)

Fotos: TF-Images/TF-Images via Getty Images

Lass uns über Dinge abseits des Basketballs sprechen. Du kannst gut zeichnen – war das schon immer so, und hat sich das bei dir als Ausgleich zum Basketball entwickelt? Als ich früher öfter verletzt gewesen bin, ist das eine Art Ablenkung gewesen. Ich habe mir viele Gedanken um andere Sachen gemacht, hatte Wut und Trauer in mir – da hat es mich einfach abgelenkt, etwas zu malen. Jetzt habe ich weniger Wut und Trauer in mir. (lacht) Ich habe meine Frau. Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt etwas gemalt habe. Das war damals einfach so ein Gefühlsding. Erstellst du die Motive deiner Tätowierungen selbst? Ja, ich habe mir viele Motive selbst ausgedacht. Die werden dann nicht immer genau so, weil ich zu viele Details drin haben will, was schwer umzusetzen ist. Im vergangenen Sommer habe ich viel Zeit in dem Tätowierstudio verbracht, in dem ich mich tätowieren lasse, wenn ich in Berlin bin. Ich habe mir angeschaut, wie das alles läuft, mit den Leuten dort gesprochen und ein paar Sachen entworfen, erst mal nur aus Spaß. Ich habe immer so viele Ideen … früher habe ich gedacht, ich werde vielleicht Tätowierer. Heute denke ich, wenn

ich mit dem Basketball aufhöre, mache ich einen Tequila-Laden auf. Morgen ist es vielleicht schon wieder was anderes. (lacht) Du interessierst dich auch für Kampfsport, im Speziellen für Mixed Martial Arts. Darko Milicic hat nach dem Ende seiner Basketballkarriere kurz Kickboxen gemacht … Ja, aber Milicic hatte nur drei Kämpfe. Ich will nach dem Basketball auf jeden Fall einen Amateurkampf machen. Und dann mal gucken. Machst du den Kampfsport als Ablenkung, oder kannst du vom Training vielleicht etwas für den Basketball mitnehmen? Während der Saison kann ich es nicht machen und darf es auch gar nicht, soweit ich weiß. Aber im Sommer mache ich es, um fit zu bleiben. Ich habe auch einfach Spaß daran, weil es eine neue Welt ist. Ich bin eh sportbegeistert, Fußball finde ich aber langweilig. Es tut mal ganz gut, vom Basketball wegzukommen und andere Sportarten zu betreiben. Beim Kampfsport sind es ganz andere Bewegungen. Ich glaube schon, dass es dir im Basketball Vorteile bringt, wenn du deinen Körper einfach anders bewegen kannst. Das sind dann vielleicht Kleinigkeiten, die nicht sofort sichtbar sind. Dieses Thema, wie man als Profisportler etwas von einer anderen Sportart mitnehmen kann, finde ich auch ziemlich interessant. In Bonn habe ich mit Julian Jasinski zusammengespielt. Dessen Bruder Daniel ist Diskuswerfer. Im vergangenen Sommer war ich beim TV Wattenscheid bei deren Olympiastützpunkt, da haben wir dann auch Athletiksachen gemacht, die mehr mit Leichtathletik als mit Basketball zu tun haben – aber die dir auch als Basketballer extrem viel bringen, weil es dort auch um Schnell- und Sprungkraft geht. Deine Frau ist Yoga-Lehrerin und Personal Trainerin. Inwiefern hat sie dich hierbei auch beeinflusst? Ja, hat sie … durch Yoga und Meditation, aber auch menschlich. Yoga könnte ich unter der Saison sicherlich noch häufiger machen. Im Sommer machen wir schon öfter was zusammen. Was für sie super einfach ist und wo man denken würde, ich hätte viel mehr Kraft, ist für mich aber richtig schwierig: zum Beispiel irgendwelche Posen zu halten. Auch durch Yoga wirst du viel beweglicher, was beim Basketball sehr wichtig ist. Dein Radius ist einfach viel größer – das heißt, du kannst viel mehr Kraft generieren. Und ich glaube, du wirst auch weniger anfällig für Verletzungen. Dann geht es dir auch um karriereverlängernde Maßnahmen? Auf jeden Fall. Ich weiß nicht, wie lange ich noch Basketball spielen will, aber

ich will in dieser Zeit einfach gesund bleiben – und vor allem nach der Karriere gesund sein. Ich habe keinen Bock, auf Teufel komm raus bis 40 Basketball zu spielen und dann mit 45 auf Krücken zu laufen. Oder humpelnd meinen Kindern hinterherzurennen. War es auch der Einfluss deiner Frau, der dafür gesorgt hat, dass du dich mittlerweile vegan ernährst? Das kam schon kurz davor. Es ist natürlich einfacher, wenn sich deine Frau genauso ernährt. Ich kann mir das gar nicht mehr anders vorstellen. Das hat mir gesundheitlich und körperlich viel gebracht – das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Nicht nur körperlich, auch geistig. Ich denke auch, dass dich das ruhiger macht. Ich habe kürzlich einen Podcast von Joe Rogen gehört. Es klingt vielleicht wie eine bescheuerte Theorie, aber ich glaube, da ist was dran: Wenn du täglich Fleisch konsumierst, gewöhnt sich dein Körper daran, und du entwickelst das Bedürfnis, immer Fleisch zu wollen – das macht dich vielleicht auch aggressiver. Ich habe bei mir zumindest bemerkt, dass ich früher mehr auf Krawall aus war – jetzt bin ich ganz entspannt. Ich ernähre mich seit etwa neun Jahren vegetarisch, aus moralischen Gründen. Ich war auch überrascht, wie leicht mir die Umstellung gefallen ist. Mittlerweile bekommst du ja auch in allen Supermärkten Alternativen. Was du ansprichst: Ich will auch nicht, dass wegen mir irgendwelche Tiere sterben müssen. Ganz ehrlich: Als ich angefangen hatte, mich so zu ernähren, war mir das scheißegal. Aber mit der Zeit habe ich eine Empathie für Tiere entwickelt, die ich davor nicht hatte. Ich kann mir jetzt nicht mehr vorstellen, was Totes zu essen. Ich denke, wenn du was Totes isst, dann macht das auch was in dir – das gibt dir keine Lebensenergie. Mir scheint, dass Ernährung allgemein in den letzten Jahren für Profisportler ein immer wichtigeres Thema geworden ist. Gibt es deiner Meinung nach weitere Bereiche, mit denen sich Profisportler auseinandersetzen sollten? Ich glaube, mental kann man eine Menge machen. Ich war zwar noch nie bei einem Mentaltrainer, aber bei mir hat sich durch Meditation viel verändert, zum Teil auch durch meine Frau. Unser Athletiktrainer in Ludwigsburg, Benjamin Pantoudis, versucht mit uns auch in diese Richtung zu arbeiten: ob es eine Geschichte ist, die er nach dem Spiel erzählt, oder ob wir nach dem Training bei der Recovery eine Art Meditation machen und auf unsere Atmung achten. Das habe ich zum ersten Mal erlebt und finde das echt gut. Ich habe mich kürzlich mal mit dem Athletiktrainer von UNICS Kazan, Marcus

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Fotos: TF-Images/TF-Images via Getty Images

Lindner, unterhalten. Er erzählte von einer Trainingsüberwachung mittels GPS und einer Herzratenvariabilitätsmessung, bei der die Spieler morgens einen Gurt anlegen müssen, der mit ihrem Handy gekoppelt ist. Da du jemand bist, der sehr auf seinen Körper achtet: Gibt es bestimmte Tools, mit denen du gerne mal arbeiten wollen würdest? Zum einen finde ich das schon sehr interessant. Zum anderen ist das dann aber auch irgendwann zu viel. Du brauchst natürlich auch das Geld für diese Gadgets, die Leute, die das auswerten, und die Spieler, die sich das anhören und etwas ändern wollen. Es ist zwar interessant, aber ich weiß nicht, ob ich immer Bock hätte, so einen Gurt anzulegen. Ich bin kein Fan von Überwachung. Das habe ich damals schon als Nationalspieler mit der NADA nicht gemocht, als ich immer angeben musste, wo ich penne. Als ich noch keine Frau und keine Freundin hatte und dann nachts bei einer Frau geschlafen habe, musste ich das angeben. Wenn ich das nicht getan habe und morgens nicht zu Hause war, hatte ich ein riesiges Problem und habe einen „Strike“ bekommen. Ich will beides nicht gleichsetzen. Aber ich weiß nicht, ob ich es wollen würde, dass jemand immer weiß, wie lange ich geschlafen habe. Vielleicht willst du mal abends feiern gehen, was nicht jeder wissen soll. Du hast auch ein Privatleben, und irgendwann muss auch mal Schluss sein mit Basketball. Weg vom Parkett und in die Zuschauerränge: Anfang dieser Saison wurdest du beim Auswärtsspiel in Weißenfels rassistisch beleidigt, ein Zuschauer hat dir gegenüber Affenlaute von sich gegeben. Rückblickend betrachtet: Wie hätte die Situation deiner Meinung nach am besten gehandhabt werden sollen? (überlegt) Am besten wäre es gewesen, wenn der Schiedsrichter das Spiel kurz unterbrochen hätte und die Spieler vom Parkett gegangen wären. Wenn der Hallensprecher öffentlich durchgesagt hätte: „Es ist ein Vorfall passiert, es waren Affenlaute zu hören.“ Und wenn die Person dann rausgeschickt worden wäre. Das wäre eine Unterbrechung von vielleicht fünf Minuten gewesen. Das passiert ja auch, wenn die Uhr mal nicht funktioniert. Es ist traurig und erschreckend zu sehen, dass so etwas in einer Sportart wie Basketball passiert. Du hast so viele verschiedene Nationen und Hautfarben nebeneinander. Und dann gibt es Zuschauer, die so etwas machen – obwohl im eigenen Team, das du unterstützt, auch schwarze Spieler sind. Das ist bescheuert, das verstehe ich einfach nicht. Im Nachhinein betrachtet: Es reicht nicht, am Ende nur Sachen zu sagen wie „Say no to racism“, „Wir sind alle gleich“ oder „Wir sind gegen Rassismus“. Es reicht nicht, das nur zu sagen und in dem Moment empört zu sein. Auch in Deutschland ist Rassismus

im System verankert. Es gibt grundlegend ein Problem in Deutschland, nicht nur im Sport. Viele Dinge merken wir als weiße Menschen gar nicht. Menschen könnten einfach viel mehr tun. Es wäre schon ausreichend, sich einfach mit dem Thema auseinanderzusetzen – und du wirst viele Sachen einfach besser verstehen und den betroffenen Personen auch Glauben schenken können.

„Einer hat vielleicht nur diese Affenlaute von sich gegeben, aber am Ende des Tages haben das alle gehört. Keiner hat irgendetwas gesagt, sondern sie haben ihn noch unterstützt, warum ich mich jetzt beschweren würde.“ -----------

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Du setzt dich mit dem Thema scheinbar sehr intensiv auseinander. Es gab ja diesen Vorfall, bei dem ein AfD-Politiker das N-Wort benutzt hat. Das ging vor Gericht, weil er angezeigt wurde. Dort wurde aber entschieden, dass die Benutzung des N-Wortes nicht strafbar ist. Deswegen gibt es eine Gegendemonstration in Hamburg, für die ich auch ein Video gemacht habe. Es gibt auch eine Petition, die man unterschreiben kann. Dabei geht es darum, dass das N-Wort in Deutschland als rassistisch

anerkannt wird, dass du jemanden anzeigen kannst, der das zu dir sagt. Das ist nicht einfach nur ein Schimpfwort wie „Arschloch“, das ist damit nicht vergleichbar, das geht viel weiter. Das Wort ist einfach dehumanisierend. Dass man in Deutschland noch darüber reden muss, ob es ein rassistisches Wort ist, das angezeigt werden kann oder nicht, und dass entschieden wird, dass das nicht der Fall ist … für eine weiße Person ist das vielleicht irrelevant, aber für viele Menschen ist das sehr verletzend. Darüber könnten wir noch den ganzen Tag reden. Du kannst dich als weiße Person nicht in jemanden hineinversetzen, der sich als kleines Kind im Sandkasten schon Sprüche anhören musste, warum er schwarz ist oder ob über ihn ein Eimer Farbe ausgeschüttet wurde. Kumpels von mir in Berlin haben früher so etwas erlebt. Das sind traumatische Erlebnisse, die einfach verletzend und nicht so einfach zu verarbeiten sind. Bei einem Fußball-Drittligaspiel zwischen Preußen Münster und den Würzburg Kickers wurde Leroy Kwadwo von einem Zuschauer mit Affenlauten beschimpft. Andere Leute in den Zuschauerrängen zeigten auf jene Person, wodurch die Polizei den Mann in Gewahrsam nehmen konnte. Bei allen Hallenverboten und Geldstrafen, die man als Liga oder Klub aussprechen kann: Das ist doch genau die Aktion, die passieren sollte. Auf jeden Fall. Was ich bei dem Vorfall beim MBC so krass fand: Am Ende wurde einer bestraft, aber die Leute drum herum haben mitgemacht. Ich hatte den Schiedsrichter darauf aufmerksam gemacht – das haben die mitbekommen und danach gepöbelt, alle zusammen. Einer hat vielleicht nur diese Affenlaute von sich gegeben, aber am Ende des Tages haben das alle gehört. Keiner hat irgendetwas gesagt, sondern sie haben ihn noch unterstützt, warum ich mich jetzt beschweren würde. Etwas Ähnliches ist ja André Voigt bei einem Fußball-Länderspiel passiert. Das ist auch so eine Sache: Die Leute, die danebensitzen, juckt es nicht, sie fühlen sich nicht angesprochen. In Deutschland ist es so, dass viele einfach nicht den Mund aufmachen. Es ist aber wichtig, dass du etwas sagst, wenn du so etwas mitbekommst – sonst fühlen sich die Leute in ihren rassistischen Kommentaren bestätigt. Donald Trump in den USA, die AfD in Deutschland – ist es in der Kabine in den letzten Jahren politischer geworden? Nee, überhaupt nicht, muss ich sagen. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Gespräche politischer werden. Viele sind schon schockiert, aber es ist wie überall: Die wenigsten tun wirklich etwas dagegen oder versuchen, etwas zu verändern. redaktion@fivemag.de

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BBL

BBL-Pokal

BBL-POKAL

„WIE EIN GLÜCKSSPIEL“

Trotz des Tohuwabohus um die Hallenfrage im Vorfeld war das BBL-Pokalfinale am 16. Februar ein gelungenes, spannendes und emotionsgeladenes Basketballfanfest vor einer Rekordkulisse von 14.614 Zuschauern in der Berliner Mercedes-Benz Arena. Nach zuvor fünf erfolglosen Finalteilnahmen gewinnt Alba Berlin gegen die EWE Baskets Oldenburg den ersten Titel in der

Fotos: City-Press via Getty Images

Ära Aito. Es ist der 10. Pokaltitel in der Geschichte der Albatrosse, die so mit Bayer Leverkusen gleichziehen. Ein Happy End für die Berliner, und dennoch ist der Modus, in dem der gesamte Pokalwettbewerb gespielt wird, nicht das Gelbe vom Ei. Drei Tage vor dem Finale sprach FÜNF mit drei Berliner Protagonisten – Kapitän Niels Giffey, Headcoach Aito Garcia Reneses und Sportdirektor Himar Ojeda – sowie mit BBL-Geschäftsführer Dr. Stefan Holz über den Modus des Pokalwettbewerbs. Text und Interview: Sebastian Finis 90


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er aktuelle Modus des Pokalwettbewerbs ist bei vielen Fans, Spielern sowie Klub-Bossen nicht unumstritten und wirft einige Fragen auf. Mehrfach wurde das Format in der Vergangenheit geändert, und dennoch ist der Modus von einer allgemeinen Akzeptanz weit entfernt. Zwischen 2009 und 2018 wurde der Pokalsieger noch in einem Top Four ermittelt, bei dem der Ausrichter automatisch gesetzt war. Die übrigen drei Startplätze wurden in drei Viertelfinals der besten sechs bzw. sieben (wenn der Ausrichter unter den besten sieben BBL-Klubs lag) Teams der Hinrunde ausgespielt. Seit der Saison 2018/19 gibt es nun einen neuen Modus, an dem alle 16 BBL-Teams (ausgenommen sind Auf- und Absteiger) teilnehmen dürfen. Alle Begegnungen sowie das Heimrecht werden in jeder Runde ausgelost – vom Achtelfinale bis zum Finale – und im K.o.Modus gespielt. Besonders die Auslosung des Heimrechts hat immer wieder für Ärger bei den Teams mit Lospech gesorgt. „Mir hat der ältere Modus, mit einem Top Four an einem Wochenende, viel besser gefallen“, findet AlbaKapitän Niels Giffey. „Mit dem TopFour-Wochenende von damals hatte der Wettbewerb noch etwas Spezielleres. Jetzt ist es tough, weil im Endeffekt alles nur noch ausgewürfelt wird. Wenn du Pech hast, kannst du am Ende nur Auswärtsspiele haben. Es ist wie ein Glücksspiel. Die Auslosung finde ich ein bisschen merkwürdig. Sie kann so extreme Vor- oder extreme Nachteile mit sich bringen. Wenn ich entscheiden könnte, würde ich zum alten Modus zurückkehren und zudem das Top Four an einem festen Standort in einer Großstadt wie etwa Hamburg stattfinden lassen.“

Weniger ist mehr

Giffey steht exemplarisch für die Meinung vieler Spieler, aber auch Coaches. Der aktuelle Modus findet über einen Zeitraum von fünf Monaten (von Oktober bis Februar) statt – mit noch mehr Partien im eh schon vollgepackten Spielplan. „Wir haben die volle Packung mit Spielen in der BBL, in der Euroleague und im Pokal“, weiß Alba-Coach Aito Garcia Reneses. „Hinzu kommen noch Partien mit den Nationalmannschaften. Für die Spieler ist es verdammt schwer, den Fokus und die Intensität hoch zu halten.“ Nichtsdestotrotz sei der Pokal ein wichtiger Titel, und die Situation müsse so akzeptiert werden, wie sie ist. „Es finden immer mehr Spiele, immer mehr Reisen statt“, erkennt Aito, der seit einem halben Jahrhundert Basketball tagein, tagaus lebt. „Wenn Basketball erfolgreicher und populärer werden soll, ist diese Richtung schlecht. Wir müssen die Anzahl der Spiele reduzieren! Die Spieler sind permanent ‚on the road‘ und spielen.

Wenn wir dieses System beibehalten, werden die Spiele immer intensitätsloser. Denn es ist unmöglich, zu jeder Zeit volle Energie und vollen Fokus zu haben. Es gibt Beispiele von Ligen in Europa oder die NBA, wo sehr viele Partien gespielt werden, die aber nicht wirklich wichtig und interessant sind. Ich bevorzuge weniger Spiele, die dafür aber alle interessieren.“ Dieses Fass haben vor Aito schon viele aufgemacht. Dennoch spricht natürlich Weisheit aus dem Mund der spanischen Trainerlegende. Genau wie Aito ist auch Albas Sportdirektor Himar Ojeda ein großer Fan der Copa del Rey. Im spanischen Pokalwettbewerb spielen innerhalb von fünf Tagen die besten acht Teams der Hinrunde an einem jährlich wechselnden Standort den Pokal aus. Hinzu kommt: Alle acht Mannschaften sind dabei im selben Hotel untergebracht. Es herrscht eine wunderbare Basketball-Atmosphäre wie in einem olympischen Dorf. Die Fans versammeln sich vor dem Hotel, um die Spieler zu sehen und sich Autogramme zu holen. Die Lobby ist voll mit Scouts, Agenten, Managern und Coaches. „Die Copa del Rey ist etwas ganz Besonderes“, schwärmt Ojeda. „Es ist ein Format, welches in Spanien sehr erfolgreich ist. Viele Länder haben versucht, das Format zu kopieren, aber eingesehen, dass es in ihrem Land nicht funktioniert. Spanien ist eine Basketball-

Nation. Die Fans lieben die Copa del Rey und nehmen sich jedes Jahr eine Woche frei, um ihr Team spielen zu sehen. Die Stimmung in der Stadt, in der der Pokal ausgetragen wird, ist hervorragend. Aber ich würde sagen, dass eine Kopie in Deutschland nicht möglich wäre. Denn es wäre schwer, so viele Menschen in eine Stadt zu bewegen. Ich erinnere mich an das Pokal-Top-Four 2017 in Berlin. Es kamen nicht viele Fans von den anderen drei Teams aus München, Bamberg oder Ludwigsburg nach Berlin. Wir müssen das Format des Pokals überdenken, können aber nicht das Gleiche wie in Spanien machen. Denn es funktioniert eben nicht in Ländern, in denen Basketball nicht den höchsten Stellenwert bei den Medien und den Fans hat.“ Seiner Meinung nach ist am aktuellen Pokalmodus in Deutschland vor allem die Auslosung fraglich und zu unsicher. Letztes Jahr hatte Alba großes Lospech, musste bei allen Spielen bis auf das erste auswärts antreten – in Frankfurt, Bamberg und München. Dieses Jahr hatte Alba vor dem Finale ein großes Hallenverfügbarkeitsproblem. Ojeda: „Auf sportlicher Ebene ist das ein Nachteil. Wenn wir den Pokal in einem Format spielen, das irgendwie verrückt sein soll, ist das okay. Das Problem ist: Der Pokal muss auch etwas sein, das den Basketball promotet und wirklich hilft, Menschen für Basketball zu begeistern.“

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BBL

BBL-Pokal

„DAS WAR KEINE LEICHTE GEBURT“ BBL-Geschäftsführer Dr. Stefan Holz verantwortet den BBL-Pokal. Was sind seine Visionen für den Wettbewerb?

FÜNF: Warum wurde der Pokalwettbewerb zur Saison 2018/19 revolutioniert und das beliebte Top Four abgeschafft? Dr. Stefan Holz: Es gab mehrere Gründe. Viele Fans fanden es nicht gut, dass der Ausrichter des Top Four automatisch qualifiziert ist und nur noch drei Plätze vergeben werden – zumal diese Plätze nach der Hinrunde über eine komplizierte Pokaltabelle ermittelt wurden, die separat ausgerechnet werden musste. Da brauchte man schon Abitur. Ein Modus muss einfach und verständlich sein, gerade wenn man wie wir zunehmend neue Zielgruppen erschließen möchte. Wenn man den Pokalmodus nicht in einem Satz erklären kann, dann ist er nicht gut. Ich und viele andere Beteiligte, etwa unser TV-Partner Telekom, sind Fans des aktuellen Pokalmodus. Wir glauben an

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einen klaren, „cleanen“ Pokal über mehrere, frei geloste Runden, also 16, 8, 4, 2. Es gibt keine gesetzten Heimrechte oder Setzlisten. Es ist also denkbar, dass bereits im Achtelfinale Alba Berlin und Bayern München aufeinandertreffen, so wie es auch im Fußball der Fall ist, wo schon ab der zweiten Runde Bayern München auf Borussia Dortmund treffen kann. Das ist das Wesen des Pokals und macht seinen Reiz aus. Schließlich hat die Mehrheit der BBL-Klubs für diesen Modus gestimmt. Es scheint jetzt mehr ein Glücksspiel zu sein, wer der nächste Gegner ist und wo gespielt wird. Klar! Das ist ja gerade das Schöne am Pokal. Sonst hätten wir eine Nebenliga. Das macht keinen Sinn. Der Pokal funktioniert auf der gesamten Welt so, dass Gegner

und Heimrecht ausgelost werden. Da hat man mal Glück, mal Pech. Es gibt Überraschungen. Der Weg ins Finale ist relativ kurz. Das macht den Reiz dieses besonderen Wettbewerbs aus. Das sollte der Modus auch widerspiegeln. In Spanien ist die Copa del Rey unheimlich erfolgreich und wird super von den Fans, Vereinen, Medien und Sponsoren angenommen. Diese wird nach einem komplett anderen Modus gespielt. Innerhalb von fünf Tagen spielen die besten acht Teams den Pokal an einem jährlich wechselnden Standort aus. Warum funktioniert solch ein Modus nicht in Deutschland? Die Copa del Rey ist sicherlich ein Erfolgsmodell. In Italien wird der Pokal ähnlich ausgespielt, jedoch funktioniert


er dort nicht so gut. Wir haben uns angeschaut, welche Modi in anderen Ländern gespielt werden. In Spanien mag die Copa del Rey als Top8 super funktionieren. Wir haben das bei uns aber nicht gesehen.

zweiten Mal gemacht. Eigentlich wollten wir es zum nächsten Jahr hinbekommen. Wobei wir gerade feststellen, dass viele große Hallen zum Pokalfinaltermin 2021 schon belegt sind. Spätestens 2022 sollte es aber klappen.

Warum? Wir haben uns viele Modelle angeschaut. Bei einem Top8 sprach mehr dagegen als dafür. Zum einen bedeutet ein Top8 noch mehr Spiele über mehrere Tage, die wir kaum mehr im Spielkalender unterbringen könnten. Zum anderen steht die Frage im Raum, wo dieses Turnier stattfinden sollte. Wenn der Ausrichter vielleicht schon im Viertelfinale ausscheidet, dann wird zwei weitere Tage in einer halb leeren Halle gespielt. Das ist alles irgendwie nicht richtig rund. Wir glauben an einen reinen, puren Pokal. Nicht nur ich, sondern auch unser TV-Partner und die Mehrheit der Klubs. Wir haben vor zwei, drei Jahren lange über den Modus diskutiert. Das war keine leichte Geburt. Letztlich haben wir uns für diesen Modus entschieden.

Köln wäre eine gute Adresse. Zum einen, weil es ein neutraler Standort ohne BBLTeam ist, zum anderen, weil es dort die größte Arena Deutschlands gibt. Ich bin ein großer Fan der Lanxess Arena in Köln. Dort funktioniert beispielsweise das EHF Handball Final Four fantastisch. Das Euroleague Final Four im Mai dieses Jahres verkauft sich sehr gut. Der DBB geht 2021 mit der Vorrunde der Europameisterschaft ebenfalls in die Lanxess Arena. Ich bin an sich ein großer Befürworter des Standorts Köln, ich glaube, da geht was. Allerdings haben wir ein großes Problem mit der

Waren bei der Abstimmung alle BBLKlubs involviert, und die Mehrheit hat entschieden? Ja, wie immer.

Fotos: City-Press via Getty Images/Jan-Philipp Burmann/City-Press GbR

Wollen Sie den aktuellen Modus des Pokalwettbewerbs so beibehalten wie in den letzten beiden Jahren? Ja. Das Einzige, was wir uns anschauen, ist das Heimrecht im Finale. Es ist nicht der Weisheit letzter Schluss, dass wir das Heimrecht im Finale wenige Wochen vorher auslosen. Dies wurde von uns immer als Übergangslösung verstanden. Wir schauen uns an, ob wir einen festen Standort fürs Finale hinbekommen. Das kann ein Ligastandort oder aber auch ein neutraler Standort sein. Wir überprüfen zurzeit unsere Optionen. Wann wird es dafür eine Lösung geben? Ursprünglich haben wir gesagt, dass wir nur ein oder zwei Jahre das Heimrecht im Finale auslosen. Jetzt haben wir es zum

Welchen Stellenwert hat der Pokalwettbewerb für die Basketball Bundesliga ganz allgemein? Logischerweise ist natürlich die BBL-Meisterschaftsrunde unser Hauptwettbewerb. Der Pokal ist offen gestanden einige Jahre eher stiefmütterlich behandelt worden. Wobei das Top Four eine tolle Veranstaltung war, aber eben nur das Top Four. Vorher fand der Pokal nicht wirklich statt. Der Pokal hat aber insgesamt noch Reserven und wird an Kraft noch richtig zulegen. Die Klubs und die Fans verstehen jetzt, was auch die Auslosung ausmacht. Die Auslosungen der Gegner und Heimrechte sind total spannend. Unser Medienpartner MagentaSport ist ein Fan des Pokals und fordert uns auf, ihn noch größer zu machen. Die Telekom ist immer bereit, ihn zu bewerben oder auch Spiele „for free“ anzubieten, wie jetzt das Finale. Wie kann man den Pokal hierzulande noch größer machen? Indem man ihn noch besser vermarktet und Partner gewinnt. Die Telekom kann auch eine Menge tun, gerade wenn wir an einen festen Standort gehen. Das Hallenthema ist allerdings kein Wunschkonzert. Wir werden sehen, welche realistischen Optionen wir überhaupt haben.

Wie viel Prozent waren dafür? Wir legen keine Abstimmungsergebnisse offen. Es ist grundsätzlich so, dass Beschlüsse, die die Gemeinschaft der Klubs betreffen, von den Klubs diskutiert und schließlich mit einer einfachen Mehrheit entschieden werden. Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Pokalwettbewerb, seitdem dieser vor zwei Jahren geändert wurde? Ich bin sehr zufrieden. Wir bekommen von den Fans positiven Zuspruch. Die Hallen sind gut besucht, sogar einen Tick besser als in der Liga, und auch die TV-Zahlen sind deutlich höher. Die Zuschauerzahlen auf MagentaSport sind bei den Pokalspielen so hoch wie bei einem Spitzen- oder Playoff-Spiel.

Ich glaube, dass der Pokal, so wie er jetzt ist, einige Jahre bestehen und funktionieren wird – mit Ausnahme des Finalortes. Das ist wie gesagt ein Thema, an dem wir arbeiten.

Die Anzahl der Spiele wird scheinbar von Jahr zu Jahr immer höher. War es jemals eine Option, den Pokalwettbewerb komplett zu streichen? Nein, nicht ansatzweise. Ich streiche doch nicht meinen eigenen Wettbewerb! Ich bin verantwortlich dafür, das Produkt BBL weiterzuentwickeln, und nicht dafür, es abzuschaffen.

Hallenverfügbarkeit im Februar, weil in der Regel der Karneval die Arena wegblockt. Und der Februartermin ist für uns aufgrund des europäischen Rahmenkalenders gesetzt. Deshalb werden wir vermutlich dort nichts realisieren können. Ist ein fester Austragungsort des Finales die letzte Optimierung des Pokalwettbewerbs, sodass wir danach davon ausgehen können, dass der Modus langfristig so ausgetragen wird? Oder sind noch andere Anpassungen denkbar? Ich schließe nichts aus. Es gibt aktuell aber keine andere Beschlusslage. Wir spielen mit 16 Bundesligisten ohne die Auf- und Absteiger. Wir müssen keine komplizierten „Pre-Qualifications“ spielen, die wieder niemand versteht. Wir haben auch keinen Platz im Kalender für eine weitere Runde.

Verdient die BBL schlussendlich Geld mit dem Pokalwettbewerb? Ja, über die Vereine, die letztlich die BBL sind. Der Pokal ist für die Vereine auch deshalb attraktiver geworden, weil wir mittlerweile vergleichsweise hohe Prämien ausgeben, insgesamt 900.000 Euro verteilt über alle Runden. Momentan haben wir diese Prämien über die Zentralvermarktung allerdings noch nicht zurückverdient. Daran gilt es zu arbeiten. Wie kann die Basketball Bundesliga die Ausgaben zurückgewinnen? Wie immer, über die TV-Rechte und Sponsoren. Außerdem kann man mit den Klubs eine Ticketregelung diskutieren. Momentan gehen die Ticketeinnahmen nahezu vollständig ans Heimteam. Am Ende ist es aber immer nur eine Frage, wie die Gelder allokiert werden, da Ligagelder letztlich immer die Gelder der Klubs sind. redaktion@fivemag.de

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in-dre-ssant

NBA-Reformen

Fotos:Lampson Yip - Clicks Images/Getty Images

In-DrĂŠ-ssant Elam for the win!

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Der Star des besten All-Star-Games der Neuzeit war weder MVP Kawhi Leonard noch Giannis Antetokounmpo oder ein aufblasbares Maskottchen … nein, es war das „Elam Ending“. Was das ist? Ach, nur die Zukunft des Sports. Text: André Voigt

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as All-Star-Game der NBA … seien wir ehrlich … brauchten Basketballfans schon länger nicht mehr. Der Grund dafür war schnell erklärt: Es ging um nichts, und so spielten die Akteure auch. Auf Lippenbekenntnisse, es diesmal dann doch mal wie ein richtiges Basketballspiel aussehen zu lassen, folgten seit Jahren – mit nur punktuellen Ausnahmen – 48 Minuten Dunk-undDreier-„Show“ im Schongang. Gähn. All die Druckkorbleger und von weit draußen abgeworfenen (und oft nicht erfolgreichen) Distanzwunder wussten allenfalls in den kurz nach Ende der Partie produzierten Highlight-Videos in den sozialen Medien zu entzücken. Das eigentliche Spiel, Sieger und Verlierer brauchte niemand. Dabei war das All-Star-Game mal Testosteron pur. Hier wollten die Hochtalentierten zeigen, wer der Boss ist. Denn nur hier schauten die kompletten USA am Fernseher zu. Hier sahen sie Ost gegen West. Larry gegen Magic. Mike gegen Clyde. Das gab es sonst nur bei den NBAFinals im landesweit übertragenen Fernsehen oder später sogar bei den Kabelstationen rund um die Welt. Doch über die Jahre verflachte der Drang, es an diesem Sonntag im Jahr der versammelten Basketballwelt zeigen zu wollen, wer im Konzert der Besten die erste Geige spielt. Es kümmerte schlicht niemanden: nicht die Fans, nicht die Medien und schon gar nicht die Spieler. Am 16. Februar 2020 war das erstmals seit gefühlt 25 Jahren anders. Warum?

Enter Elam

Nick Elam war in seinem letzten Studienjahr an der University of Dayton. Er besuchte ein Basketballturnier seiner Uni und sah, wie sich einige Spiele am Ende unnötig hinzogen. Absichtliche Fouls sorgten für Freiwurforgien, die gefühlte Ewigkeiten dauerten. Gleichzeitig spielten die in Führung liegenden Teams anders, sie wollten die Uhr so weit herunterlaufen lassen wie möglich. Es musste einen besseren Weg geben … Den fand er drei Jahre später: Das „Elam Ending“ war geboren. Die ersten drei Viertel einer Partie würden normal gespielt werden. Dann im Schlussdurchgang würde bei der ersten Unterbrechung nach der Vier-Minuten-Marke die Spieluhr ausgeschaltet. Auf die Punktzahl des führenden Teams würden sieben Zähler addiert. Diese Zahl war der „Winning Score“. Würde es also 100:98 stehen, würde die Mannschaft gewinnen, die als erste 107 Punkte erzielt hätte. So einfach wie revolutionär.

Elam ging mit seiner Idee hausieren und fand Jon Mugar, den Organisator des „The Basketball Tournament“ (TBT) – eine Art hoch dotiertes Streetballturnier –, das die neue Schlussphase in seine Partien einbaute. „Stop the Clock“ war dort Geschichte. Im NBA-Kosmos fand Elam in Chris Paul einen großen Unterstützer seiner Idee. Paul coachte ein Team beim TBT 2019 und traf Elam, um mit ihm über dessen Erfindung zu sprechen – nur deshalb wurde eine angepasste Version des Elam Ending beim All-Star-Game 2020 angewandt. Und der Erfolg gab Erfinder und Befürworter mehr als recht. Team LeBron und Team Giannis lieferten sich ein episches viertes Viertel, es wurde so verbissen verteidigt wie wohl noch nie auf dieser Bühne. Aus einem über drei Viertel munteren Showspielchen wurde plötzlich gefühlt das siebte Spiel der NBA-Finals.

Das Ende als Zukunft

Natürlich: Die Frage, warum es ein alternatives Ende braucht, damit die NBA-Superstars in einem All-Star-Game nach Jahren der gleichgültigen Lethargie plötzlich das eigene Intensitätslevel auf zehn drehen und abgehen, ist berechtigt. Sie hätten selbiges auch unter normalen Bedingungen tun können. Vielleicht war es auch eine Hommage an Kobe Bryant, dessen Intensität etc. Egal … Fakt ist, dass es funktioniert: beim „The Basketball Tournament“, wo mittlerweile über die Jahre 134 Spiele mit dem Elam Ending absolviert wurden, und eben am All-Star-Sunday 2020. Diese Tatsache wirft das Kopfkino an. Warum nicht das Elam Ending in der NBA einführen? Wer braucht Freiwurforgien und „Stop the Clock“? Die Antwort: niemand. Nicht in der regulären Saison, nicht in den Playoffs. War es etwas enttäuschend, dass das All-Star-Game schlussendlich durch einen Freiwurf entschieden wurde? Sicher, aber auch dafür gibt es eine innovative Lösung: Getroffene Freiwürfe in der Endphase führen zu einem Punkt Abzug beim Gegner. Es gibt schlicht keine echten Argumente gegen das Elam Ending, außer: Wir haben das aber schon immer so gemacht! Klar: Eine so drastische Reform kommt nicht von heute auf morgen. Mit Sicherheit würde die NBA das Elam Ending erst in der G-League testen und feinjustieren. Dass die Idee von Nick Elam jedoch die Zukunft ist, steht außer Frage. Hoffen wir, dass sie so früh wie möglich kommt. Das AllStar-Game kann jedenfalls die Uhr nicht mehr zurückdrehen. dre@fivemag.de

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ivan beslic „JerseyGate“

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reunde, kennt ihr das Gefühl, ein NBAGame anzuschauen und von Zahlen erdrückt zu werden? Neben den üblichen Stats werden die Spieler heutzutage bis ins Kleinste seziert. Plus-Minus-Ratings, Trefferquoten, unsinnige Vergleiche und alle möglichen Statistiken lassen das Spiel für den Betrachter wie den Matrix-Code wirken. In dieser Geschichte geht es aber um die einzig wichtige Zahl dieses Sports, quasi die DNA jedes Ballers – die eigene Trikotnummer! Die Wahl der eigenen Nummer kann viele Gründe haben. So ist es oftmals die eigene Glückszahl, eine Hommage an die eigenen Idole oder ein anderer emotionaler Grund, der aus Lebensereignissen resultiert.

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So trug Shawn Bradley etwa die 76, weil er sieben Fuß und sechs Inches lang war. Dennis Rodman spielte bei den Mavs als Kompromiss mit der 70, weil die von ihm gewünschte 69 nicht genehmigt wurde. Und bevor ihr unreifen Bengel jetzt das Internet durchforstet: Kein Spieler trug je diese zweideutige Nummer in der NBA, denn sie darf offiziell nicht vergeben werden. Seit Kobe Bryants Tod wurde in der NBA so viel über Trikotnummern geredet wie schon lange nicht mehr. Die Dallas Mavericks entschieden sich, zu Kobes Ehren die 24 nicht mehr zu vergeben, und zahlreiche Spieler wechselten ihre Nummern in Gedenken an Kobe und Gigi Bryant. #ehrenmove Eines der ikonischsten Jerseys aller Zeiten gehört aber zweifelsohne Michael Jordan. Der Wiedererkennungswert seiner 23 sucht in der Sportwelt seinesgleichen, was Jordan auch dank seiner Jumpman-Sneaker marketingtechnisch auf eine Ebene mit McDonald’s und Coca-Cola stellt. Seine Nummer wird weltweit mit „His Airness“ und Basketball in Verbindung gebracht. So, meine Freunde, geht Marketing. In insgesamt 1.072 Karrierespielen lief er 1.049 Mal mit der 23 auf und trug nach seinem ersten Comeback für 22 Partien kurzzeitig die 45, bevor er wieder zur gewohnten Nummer wechselte. Aber da gab es noch dieses eine Spiel, wo er mit der 12 auflief. Die Geschichte dazu erinnert an einen schlechten Trash-TV-Krimi. Es ereignete sich am 14. Februar 1990 in Orlando: ein Basketballspiel am Valentinstag. Die Bulls befanden sich am Ende eines sechs Spiele dauernden Auswärtstrips, mit den Orlando Magic als letzte Station. Vier der vergangenen fünf Partien hatten sie verloren. Gegen die neu gegründete Franchise wollten die Bullen kurzen Prozess machen und dann schnell wieder heimfahren. Die Spieler machten sich siegessicher in der Halle warm, während der Zeugwart jedem Spieler dessen Outfit vor den kargen Auswärtsspind legte, so wie es meine Mama zu meinen Schulzeiten immer tat. (Ich habe die gelbe Cordhose gehasst!) Als die Spieler dann Richtung Kabine gingen, um sich fertig anzuziehen, fiel auf, dass Jordans Jersey nicht mehr in dessen Spind hing. Schnell wurde klar, dass es höchstwahrscheinlich gestohlen wurde. Der materielle Schaden hielt sich dabei zwar in Grenzen, aber das Problem war, dass es keinen

zweiten Trikotsatz gab und MJ ohne Jersey nicht spielen konnte. Die Katakomben der Arena wurden auf den Kopf gestellt und alle MagicMitarbeiter, die Zugang zu den Kabinen hatten, per Kreuzverhör vergebens in die Mangel genommen. #CSIOrlando Eine Lösung musste her, bevor das Spiel losging. Also mischten sich ein paar Bulls-Mitarbeiter unter die Fans, um nach einem spieltauglichen Trikot zu suchen. Ohne Erfolg: Kein Fan-Jersey passte dem 1,98 Meter großen Jordan. Doch die Basketballgötter waren gnädig, denn der Zeugwart hatte ein namenloses rotes Bulls-Trikot mit der Nummer 12 in der Sporttasche. Die Größe passte Jordan. Also wurden die 5er Jordans zugeschnürt, und es hieß: Gametime! Bereits zum Intro herrschte Verwirrung auf den Rängen, als MJ mit neuer Jersey-Nummer angesagt wurde. Als er dann in neuer Montur auf dem Parkett stand, verstanden viele die Welt nicht mehr. Kurz aufs Handy schauen, um bei Woj den Sachverhalt zu klären, war damals noch nicht möglich. #WhataTimeToBeAlive Unbeeindruckt von seinem neuen Gewand ging es für den „G.O.A.T.“ an die Arbeit. Jordan, der in dieser Saison 33,6 Punkte pro Spiel erzielte, war bestens aufgelegt und führte die Bulls bereits im dritten Viertel zu einer komfortablen zweistelligen Führung. Doch die Magic kämpften sich zurück, retteten sich in die Overtime und gewannen das Spiel letztendlich sogar mit 135:129 gegen die reisegeplagten Bulls. Jordan spielte dabei 47 Minuten, droppte 49 Punkte bei 21 von 43 aus dem Feld, sieben Rebounds, keinen Turnover und – im Gegensatz zum Trikotdieb – auch keinen Steal. Abgesehen vom Resultat hatte seine Performance unter dem namenlosen Jersey auf keinen Fall gelitten. Doch der Vorfall beschäftigte den abergläubischen Jordan, der zu jedem Spiel seiner Karriere seine alten Tar-Heels-Shorts unter seinem Bulls-Outfit als Glücksbringer trug. Ein schlecht gelaunter MJ hatte dann manchmal auch etwas Gutes. So gewannen die Bulls die nächsten neun Partien in Folge, und das Game in Orlando war schnell wieder vergessen. Viele Gerüchte ranken sich bis heute um das besagte Spiel, doch der Fall wurde niemals aufgeklärt. Vielleicht erhoffte sich der Dieb, Jordan aus dem Konzept zu bringen, oder jemand brauchte einfach nur ein exklusives Valentinstag-Geschenk. Wir werden es wohl nie erfahren. Vielleicht war Jordan die 12 aber auch nicht so fremd, wie wir alle denken. Denn in der Junior Highschool im Jahr 1978 trug MJ genau diese Nummer. #illuminatiConfirmed Freunde, so schließt sich der Kreis: Ich war zwar nie der größte Rodman-Fan, aber die 69 hätte ich mir sicher geholt.

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