FIVE #163

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BASKETBALL FOR LIFE

FREE ISAIAH!

12/2019

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MOST IMPROVED

Das sind die BreakoutKandidaten des Jahres!

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NCAA PREVIEW 2019/20

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So wird das neue Semester!

Moritz Wagner Lopez vs. Lopez Dewayne Dedmon Shawn Kemp Louie Dampier Marty Blake Jimmer Fredette Philipp Schwethelm Hamburg Towers

REX CHAPMAN Der krasse Absturz des dunkenden "Boy Wonder"

3,90 €

Österreich 5,00 ¤ Schweiz 7,80 SFR BeNeLUX 4,60 ¤ Italien 5,25 ¤ Spanien 5,25 ¤

BEGINS

ISSUE 163 ISSN 1614-9297 WWW.FIVEMAG.DE

DIE UNGLAUBLICHE GESCHICHTE DES MVP

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PLAY HARD

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editorial

FIVE

IMPRESSUM

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Redaktion: redaktion@fivemag.de Verlag: KICKZ Never Not Ballin’ GmbH Landwehrstr. 60 80336 München Tel.: +49-89-324 781 70 Fax: +49-89-324 781 99 Herausgeber: Christian Grosse Chefredakteur: André Voigt (verantw.) Grafik: Patrick „Mochokla“ Ortega

LASST UNS ÜBER DOPING SPRECHEN LIEBE FIVE-GEMEINDE, der Start in die NBA-Saison 2019/20 machte wirklich jede Menge Spaß. Unfassbar viele Stars trugen neue Trikots, es hagelte Verlängerungen, Gamewinner, sogar handfeste Überraschungen! Eine davon waren die Phoenix Suns … im positiven wie negativen Sinne. Auf der einen Seite legte die so lange so lachhaft schlechte Franchise aus der Wüste Arizonas einen optimalen Start auf dem Parkett hin. Auf der anderen Seite wurde Center-Hoffnung Deandre Ayton des Dopings überführt und für 25 Spiele gesperrt. Auch wenn zu Redaktionsschluss noch nicht feststand, ob diese Strafe reduziert werden würde … das Thema Doping war zur Unzeit auf der Tagesordnung. Was war passiert? Bei Ayton wurde bei einem Dopingtest ein verbotenes Diuretikum gefunden. Diese Stoffe haben eine abführende Wirkung und werden von Betrügern eingesetzt, um Spuren von Dopingsubstanzen zu beseitigen. Welche Mittel auf der Dopingliste stehen, ist für jeden Athleten, Arzt oder Physiotherapeuten einzusehen.

Ayton beteuerte seine Unschuld, er habe das Mittel unwissentlich zu sich genommen. So weit, so gewöhnlich in Sachen Verteidigungsstrategie bei positiven Dopingtests. Der Skandal um Ayton weckte in der Community jedoch direkt alte Verschwörungstheorien. Im Netz wurden Halbwahrheiten herausposaunt. Motto: Die dopen alle, und keiner testet! Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Abriss der Testpraktiken der NBA. Die Association lässt nicht die World Anti-Doping Association (WADA) die Athleten kontrollieren, sondern beauftragt selbst WADA-zertifizierte Labors mit der Durchführung. Ein Profi kann während der Saison viermal getestet werden, in der Offseason sind zwei Besuche der Dopingjäger erlaubt. Dabei wird Urin abgenommen. Zweimal kann zudem in der Saison Blut abgenommen (plus einmal in der Offseason) und so auch nach Wachstumshormonen gefahndet werden. Diese Tests werden natürlich nicht angekündigt. Die genauen Regularien sind Teil des Collective Bargaining Agreement (CBA) – des Tarifvertrages, den Liga und Spielergewerkschaft schließen.

BESTEN DUNK

nächste aUSGABE

Dré dunkt Seb! Pat dunkt Yuka für die Hilfe...

Die FIVE #164 erscheint am 13. Dezember 2019 oder liegt schon bis zu vier Tage vorher bei allen Abonnenten im Briefkasten. Dann im Heft: Kawhi Leonard, Shai Gilgeous-Alexander, Brandon Ingram, Kendrick Nunn und vieles mehr!

Ausgabe verpasst? Kein Thema. Scannt den nebenstehenden Code mit eurem Smartphone ein oder

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Im CBA regelt Artikel 33 in 19 Unterpunkten alle Details des gesamten Prozederes. Sind diese Regelungen so umfassend wie die der WADA? Natürlich nicht. Gibt es Doping in der NBA? Natürlich. Wie in jedem Sport, in dem es um Geld geht. Hat die NBA ein grassierendes Dopingproblem? Wahrscheinlich nicht. Dafür sind die Tests doch zu engmaschig. Und der Fall Ayton zeigt, dass die Fahnder zuschlagen. Aber natürlich gibt es mehr Schlupflöcher als in der WADA-Welt. Außerdem ist der Strafenkatalog der Liga im Vergleich zu lasch. Das erste Vergehen zieht eine Sperre von 25 Partien ohne Gehalt nach sich. Das zweite hat eine 55-Spiele-Sperre zur Folge, ein dritter positiver Test führt zu einem Ausschluss von mindestens zwei Jahren. In der WADA-Welt führt schon ein Erstverstoß zu einer Sperre zwischen einem und vier Jahren. Hier sollten die NBA und die Gewerkschaft nachbessern. Viel Spaß mit FIVE #163!

Fotos: Getty Images Lektorat: Thomas Brill Mitarbeiter dieser Ausgabe: Sebastian Dumitru #1 (MVP!) Christian Orban Moritz Wagner Ruben Spoden Manuel Baraniak Peter Bieg Thomas Fritz Tobias Feuerhahn Jens Leutenecker Torben Adelhardt Daniel Müller Ivan Beslic Toni Lukic Robbin Barberan Aboservice: KICKZ Never Not Ballin’ GmbH E-Mail: abo@fivemag.de Tel.: +49-89-324 781 70 Druck: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG Frankfurter Straße 168 34121 Kassel Vertrieb: MZV GmbH & Co. KG Ohmstr. 1 85716 Unterschleißheim Für unverlangt eingesandtes und nicht mit einem Urhebervermerk gekennzeichnetes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Beiträge, die namentlich gekennzeichnet sind, geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Vervielfältigung, Speicherung sowie Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlages. Gerichtsstand ist München.

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André Voigt

NEXT

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schaut auf www.kickz.com/de/five vorbei und ordert einfach nach.

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FIVE

inhalt

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24 SECONDS

MOST IMPROVED PLAYERS 2019/20

MARTY BLAKE

INTERVIEW: PETE STROBL

In case you missed it, Follow him …,

Die NBA ist voll von Spielern, die dieses

Heutzutage ist jeder ein Scout auf

Pete Strobl ist ein Basketballverrückter

Mixtape, Sneaker Hall of Fame,

Jahr den nächsten Schritt gehen wollen.

Twitter, Marty Blake war der erste!

im positiven Sinne. Im Interview erklärt

Prospects, Legenden-Liebling,

Das hier sind die aussichtsreichsten

Einwurf, Ruben Spoden, FIVE-Buchklub,

MIP-Kandidaten.

Publetter, Moritz Wagner, Bei der Geburt getrennt etc.

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42 NCAA-PREVIEW 2019/20 und mit ihm die nächste Welle an Top-

Wer ist der bessere Center: Brook oder

Talenten … auch aus Deutschland.

Robin Lopez?

50 Er war das „Boy Wonder“, der

Khem Birch und Dewayne Dedmon, zwei

sprunggewaltige Dreiergott mit dem

Big Men aus Reihe zwei im Porträt.

Bubigesicht. Dann kam der Absturz.

GIANNIS ANTETOKOUNMPO Vom illegalen Einwanderer zum MVP der Association. Ein Besuch bei den Wurzeln des „Greek Freak“.

JIMMER FREDETTE

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Der Edelschütze aus NCAA-Tagen ist

IN-DRÉ-SSANT

endlich in der Euroleague angekommen.

Sechs Deutsche sind 2019/20 in der NBA vertreten. Wie war ihr Start in

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in Ulm und um Ulm herum.

WARENKORB Styles, Styles, Styles … drip, drip, drip!

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Der KICKZ-Warenkorb ist wieder lit!

15 Jahre BBL haben Philipp Schwethelm

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verändert. Wie, verrät er im Interview.

IVAN BESLIC

INTERVIEW: PHILIPP SCHWETHELM

Shawn Kemp war einst der „Reignman“

Vor den „Splash Brothers“ kam Louie

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Dampier, der Shooter #1.

HAMBURG TOWERS

LOUIE DAMPIER

die neue Saison?

Neuer Coach, Teenie-Star: Das ist neu

BBL-TAKTIK-CHECK: RATIOPHARM ULM

REX CHAPMAN

ONEPAGER: BIRCH & DEDMON

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Der College-Basketball ist zurück –

ONE-ON-ONE: LOPEZ VS. LOPEZ

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der Coach, warum.

und wurde dann zu einem Fall für die Weight Watchers … seine Story ist einfach nur bitter.

Wildcards? Pah, in Hamburg ist Nachhaltigkeit Trumpf.

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Mo’ money,

In case you missed it . .

IN CASE YOU MISSED IT … Jeden Monat erschlägt einen die Fülle an News und Infos aus der NBAWelt. Da kann einem schon mal was durchrutschen. Deshalb gibt es jetzt an dieser Stelle „In case you missed it“, damit ihr nachträglich auf dem Laufenden seid, was die wichtigsten und vielleicht unwichtigsten News des Vormonats angeht.

no problems … Diese Spieler unterschrieben vor Saisonbeginn Vertragsverlängerungen. Wichtig bei Bradley Beal: Diese Verlängerung sorgt dafür, dass er laut Ligaregeln sechs Monate nicht getradet werden darf. Pascal Siakam, Raptors, 4 Jahre, 130,0 Mio. $ (bis 2024) Jaylen Brown, Celtics, 4 Jahre, 115,0 Mio. $ (bis 2024) Buddy Hield, Kings, 4 Jahre, 94,0 Mio. $ (bis 2024)

Kein Klay?

Clippers oder Lakers –

Warriors-Coach Steve Kerr erklärte Ende Oktober, dass Klay Thompson wohl die gesamte Spielzeit 2019/20 verpassen würde. Der Shooting Guard hatte sich in den NBAFinals 2019 einen Kreuzbandriss zugezogen. Einen Tag später jedoch ruderte der Trainer zurück: „Die Reha läuft großartig … aber es ist eben realistisch, dass er die Saison verpasst. Wir werden zum All-Star-Break schauen, wie es ihm geht.“

Hauptsache, San Francisco Dass Andre Iguodala in dieser Saison keine Partie für die Memphis Grizzlies absolvieren wird, ist klar. Ebenso scheint festzustehen, dass der Edelverteidiger und dreifache NBA-Champion irgendwann in dieser Saison in Los Angeles landet – ob es dann die Clippers oder Lakers werden, weiß Iguodala wohl selbst noch nicht. Allerdings soll dieses Engagement dann nur bis zum Saisonende laufen. Laut der „New York Times“ soll es für „Iggy“ dann zurück nach Nordkalifornien gehen, wo er seine Karriere bei den Golden State Warriors beenden möchte.

Domantas Sabonis, Pacers, 4 Jahre, 77,0 Mio. $ (bis 2024) Bradley Beal, Wizards, 2 Jahre, 71,8 Mio. $ (bis 2023)*

Dejounte Murray, Spurs, 4 Jahre, 64,0 Mio. $ (bis 2024) Taurean Prince, Nets, 2 Jahre, 29,0 Mio. $ (bis 2022) Joe Ingles, Jazz, 1 Jahr, 14,0 Mio. $ (bis 2022)

ARNOLD SCHWARZENEGGER, KAWHI LEONARD, PAUL GEORGE UND LINDA HAMILTON IN EINEM WERBESPOT ZUM NEUEN TERMINATOR-FILM? JA. OB DAS GEIL IST? NA KLAR! http://bit.ly/ArnieKawhi

*Das letzte Jahr ist eine Spieleroption.

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NY Knicks Nation Germany/Austria

GETEILTES LEID IST HALBES LEID Knicks-Fan zu sein, ist nicht leicht … auf die glorreichen Zeiten der 90er Jahre mit Patrick Ewing, John Starks, Larry Johnson und Co. folgte eine bis heute andauernde Zeit voller Rückschläge, Peinlichkeiten und wenig Hoffnung auf Besserung. Egal, die NY Knicks Nation Germany/Austria macht das Beste daraus. Text: André Voigt

Gruppenbild vor der Tower Bridge in London anlässlich des „NBA Global Game“ Wizards vs. Knicks im Januar 2019

Mitgliedertreffen im August 2019 in Köln

Übergabe unserer Cap an Tom Marchesi (Communications Director NBA Europe) als Dank für die Kartenorganisation zum Global Game in London Erstes Treffen der späteren Gründungsmitglieder im März 2017 in Berlin

Gruppenbild nach dem DAZN-Interview mit „Herzi“, auch in London 2019

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er 08. September 2017 wird wohl nirgends in den Annalen der New York Knicks als besonderer Tag geführt werden. Dabei war er das durchaus. Urs E., Patrick H., Roberto P., Daniel J., Lars O., Tom K., Daniel H., Robert K., Marcus S., Josef Z., Erol D., Ivan S. und Marcel M. gründeten an diesem Tag den Verein „NY Knicks Nation Germany/Austria“. Das Besondere daran? Seit der Gründung der Knickerbockers im Jahr 1946 gab es bis zum 08. September 2017 keinen eingetragenen Fanklub der Franchise in Deutschland. Mit den Worten „MEN WE DID IT“ änderten die 13 Gründungsmitglieder dies. Entstanden ist die NY Knicks Nation aus einer Facebook-Gruppe, die sich bereits fünf Jahre zuvor gebildet hatte. Über den Zwischenschritt WhatsApp-Gruppe ging es dann ins Vereinsregister, komplett mit Satzung, Mitgliedsbeitrag (10 Euro im Jahr), einem Vorsitzenden, einem stellvertretenden Vorsitzenden und einem Schatzmeister.

Interview mit David Nienhaus von der „Sportschau“ im März 2019

115 Mitglieder zählt der Verein momentan und wächst weiter. Stichwort: Fankultur. Fanforen im Internet gibt es viele. Der NY Knicks Nation reicht das nicht. „Wir veranstalten bundesweite Mitgliederversammlungen sowie regionale Vereinstreffen. Hier könnt ihr Kontakte zu Knicks-Fans in eurer Stadt oder Region knüpfen und euch zum Basketballschauen oder einfach auf das eine oder andere Getränk verabreden“, heißt es auf der Website des Vereins … und das ist kein reines Lippenbekenntnis. Am 17. Januar 2019 machte sich die Nation auf nach London, um ihren Herzensklub in London gegen die Washington Wizards anzufeuern … nur um die Knicks dann in letzter Sekunde verlieren zu sehen. Am 23. August 2019 gab es ein Mitgliedertreffen in Köln, wo unter anderem am Rhein auf dem Freiplatz gezockt und ein Interview mit der „ARD Sportschau“ aufgenommen wurde. Klar: mit Rückblick auf die enttäuschten Erwartungen der Free Agency 2019 …

Absolutes Highlight dürfte für die Nation aber das Meet-and-Greet mit Kristaps Porzingis am 14. Juli 2018 gewesen sein. Damals besuchte der „Star und zukünftige FranchisePlayer unserer New York Knicks“, wie es Thorsten A. im Blog des Vereins schreibt, die Hauptstadt Berlin, um für einen Sponsor Werbung zu machen. Der Verein organisierte ein Treffen, zu dem zwölf Mitglieder erschienen. Porzingis nahm sich Zeit, setzte die eigens angefertigte Cap des Vereins auf, posierte für ein Gruppenfoto und erklärte, unbedingt beim Europe Game gegen die Wizards dabei sein zu wollen … das war er nicht, gute sieben Monate später forcierte er einen Trade zu den Dallas Mavericks. Es ist nicht leicht, KnicksFan zu sein, aber die NY Knicks Nation Germany/Austria macht das Beste daraus. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid. Auch wenn die Franchise eine Gewinnerkultur seit Jahrzehnten vermissen lässt, die Fankultur der NYKNGA ist titelreif!

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follow him . .

MUST-FOLLOW #1 Social Media sind aus dem NBA-Fanleben nicht mehr wegzudenken. Doch wie die so wertvolle Screen-Zeit sinnvoll nutzen? Wem folgen? Schön, dass ihr fragt … denn wir haben monatlich ein paar Empfehlungen für euch. JOEL EMBIID

https://twitter.com/JoelEmbiid

Wie heißt Joel Embiids Hund? Richtig: Klaus Hinkie De Paula Embiid. Das wisst ihr aber nur, wenn ihr dem 76ers-Center auf Twitter folgt. Doch der MVP-Mitfavorit ist nicht nur für Niedliches zuständig, er lebt auch seinen inneren Troll gern aus.

NBA INJURY REPORT

https://twitter.com/NBAInjuryR3port

Ein Profi wird eine Partie verpassen, der Klub gibt einen Tweet mit der dazugehörigen Pressemitteilung raus. Langweilig. Der „NBA Injury Report“ hingegen peppt das Ganze mit komplett ausgedachten Gründen für das Fehlen des jeweiligen Stars auf. High Comedy!

BOBBY KARALLA

https://twitter.com/bobbykaralla

Bobby Karalla arbeitet für die Dallas Mavericks, wo er nicht nur digitale Inhalte produziert, sondern auch vor den Heimspielen auf dem Videowürfel interviewt wird, sich ganz tief in die Statistiken der Mavs gräbt und sogar einen Podcast hat (Numbers on the Board). Für MavsFans ein absolutes Muss!

ADRIAN WOJNAROWSKI https://twitter.com/wojespn SHAMS CHARANIA https://twitter.com/ShamsCharania Wenn ihr in Sachen „Breaking News“ aus der NBA immer auf dem Laufenden bleiben wollt, empfiehlt sich bei diesen beiden Herrschaften ein Twitter-Abo. Wenn irgendwo ein Trade durchgezogen wird, die Diagnose einer Verletzung feststeht oder ein Free Agent unterschreibt: Woj und/oder Shams hauen es wenige Minuten später raus.

HOUSE OF HIGHLIGHTS

https://www.instagram.com/houseofhighlights/

„Alles, was du im Sport sehen musst“, dieser Slogan passt beim „House of Highlights“. Wer also damit klarkommt, dass nicht nur NBA-Videos in die eigene Timeline eindringen, ist hier genau richtig. Jeden Morgen haben die Kollegen vom HOH die krassesten Szenen der vergangenen NBA-Nacht zuverlässig am Start … und eben alles, was im Entferntesten sehr geil ist und mit Sport zu tun hat.

NBA ON TNT

https://www.instagram.com/nbaontnt/

Ihr bekommt nicht genug von Kenny Smith, Charles Barkley, Shaquille O’Neal und Ernie Johnson? Dann abonniert den Kanal der besten NBATV-Crew, wenn es ums reine Entertainment geht. Alle Videos aus der Show und mehr gibt es auch hier.

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five-buchklub Derrick Rose

I’ll Show You Jeden Monat stellen wir euch an dieser Stelle im FIVE-Buchklub lesenswerte Bücher aus der Welt des Basketballs vor. Text: Daniel Müller

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eien wir ehrlich: Wir alle lieben eine gute Story, wir alle lieben Helden. Und die Story von Derrick Rose ist einfach eine verdammt gute, sprich: fesselnde. Auch wenn wir noch nicht wissen, wie sie ausgeht. Das fehlende Ende ist, wie bei so vielen (imho) zu früh erschienenen Memoiren, auch im Fall von „I’ll Show You“ ein ernsthaftes Manko, das nicht wenige abschrecken dürfte: Warum sich durch 257 Seiten arbeiten, wenn das letzte Kapitel noch nicht mal geschrieben ist? Rose ist gerade erst 31 geworden und hat für die aktuelle Saison bei den Pistons angeheuert, wo er an der Seite von Reggie Jackson, Blake Griffin und Andre Drummond versuchen wird, seinem neuen is massive success“ – gerecht zu werden und es allen Zweiflern zu zeigen. Sieht so aus, als könnten da nochmal gut 100 Seiten geschrieben werden, bevor das letzte Kapitel kommt … Eine Bemerkung in Sachen Stil vorweg: Keine Ahnung, ob Co-Autor Sam Smith (u.a. „The Jordan Rules“) einfach Interviewsessions transkribiert oder aber

Derrick Rose: „I’ll Show You“ 257 Seiten, Triumph Books, September 2019, ca. 12 Euro (E-Book)

auf jeden Fall sehr „authentisch“. Das mag in diesem Zusammenhang ein überstrapazierter Begriff sein, sicher, aber so liest sich der Text eben: direkt, unverblümt, organisch, dass es eine Freude ist, streckenweise auch redundant und sprunghaft – in vielerlei Hinsicht das stilistische Gegenteil zu größtenteils glattpolierten NBA-Biographien. Auch inhaltlich vermittelt „I’ll Show You“ einen irgendwie „ehrlichen und kompletten“ Eindruck: Die Höhepunkte stehen direkt neben den privaten Fehltritten und sportlichen Rückschlägen, selbst bittere Momente werden ausführlich geschildert. Und von letzteren gibt es wahrlich einige im Leben von Derrick Rose – so viele gar, dass man sich fragt, wie das einer aushalten, wie da einer weitermachen kann. Zum einen sind da natürlich die krassen Verletzungen (2012 Kreuzbandriss links, 2013 Meniskusriss rechts, 2015 Meniskusriss links, 2015 Orbitafraktur inklusive Verlust von neun Zähnen, 2017 erneuter Meniskusriss links, 2017 Sprunggelenksverletzung), die einsamen Monate in der Reha, die Selbstzweifel, die Fragen nach dem Sinn des Ganzen. Zum anderen die harsche Kritik von außen, die unwürdige Behandlung

als „damaged goods“, die demütigende Mindestlohn-Odyssee von einer Franchise zur nächsten. Ehrlich gesagt überrascht es vor diesem Hintergrund doch eher, dass Rose bisher erst zweimal AWOL gegangen ist, um sich eine Auszeit zu gönnen und über seine Zukunft nachzudenken. Und was die Sitting-out-Hetze in diesem Zusammenhang betrifft: Doppelmoral at its finest. Derrick Rose hat es vielleicht etwas zu freimütig formuliert, in der Sache aber trotzdem recht. Siehe Kawhi Leonard, siehe LeBron James. Aber gut, wir schweifen ab, zurück zur Story … Aufgewachsen in einem CrackHaus in Englewood, der Murder Capital von Chicago, ohne Vater, ohne Ressourcen, ohne Chancen, aber dafür mit einer gottgegebenen Überathletik, entwickelt Rose schon früh ein Game, das im Gegensatz zu seinem introvertierten Charakter steht und für jede Menge Ooohs und Aaahs auf den Rängen sorgt. Nach nur einer NCAA-Saison wird er 2008 als erster Pick von den Bulls gezogen und 2011 mit gerade mal 22 Jahren zum jüngsten MVP aller Zeiten gekürt. Alle Ampeln stehen auf „Greatness“. Dann kommt der 28. April 2012: das erste Playoff-Spiel gegen die 76ers, der Kreuzbandriss im letzten Viertel mit nur noch 82 Sekunden auf der Uhr und zwölf Punkten Vorsprung. „A reckless move, some crazy unnecessary shit“, beschreibt es Rose in „I’ll Show You“. Und so beginnt sie, die ewige Comeback-Saga, die an Halloween 2018 ihren vorläufigen Höhepunkt findet, als Derrick Rose im Jersey der Timberwolves 50 Punkte gegen die Utah Jazz macht. So weit, so bekannt. Wer wissen will, wie sich das anfühlt, von aller Welt für beschränkt gehalten zu werden, nur weil man nicht viel redet; von Taj Gibson die Visage zermalmt zu bekommen; selbst als schwarzer NBA-Profi in Downtown Chicago keinen Laden mieten zu können; zweimal das Jimmy-ButlerDrama durchzumachen und zweimal den Tom-Thibodeau-Moment zu erleben … der muss „I’ll Show You“ lesen. Auch über den 2015/16er Zivilprozess gegen Derrick Rose wegen angeblicher gemeinschaftlicher Vergewaltigung seiner Exfreundin erfährt man etwas auf diesen Seiten, hauptsächlich in Form von Unschuldsbeteuerungen. Vom Slut-Shaming seiner Anwälte und den Selfies, die einige der Geschworenen nach der Urteilsverkündung mit dem NBA-Star schossen, steht da allerdings nichts.

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mixtape

DAS FIVEMIXTAPE DES MONATS! „Bball is Jazz“, sagt Holger Geschwindner, und da hat der Mann recht! Trotzdem gibt es ab sofort an dieser Stelle das FIVEMixtape des Monats, damit ihr euch beim nächsten Heimspiel nicht zu den Greatest Hits von Queen warmmachen müsst, nur weil „der Anschreiber die so gerne hört“. Einfach den QR-Code einscannen, und schon landet ihr bei den FIVE-Playlists auf Spotify. Und davon gibt es übrigens sogar schon zwei!

FIVE #162 French M ontana - N o Stylist A Boogie Wit da Ho odie - Sw ervin Meek Mill feat. Drake G o in g Future fe Bad at. Meek M ill & Doe Drake - N Boy - 100 onstop Shooters Young Thu g feat. J.C ole & Tra Jay Rock vis Scott - Win - The Lond on G-Eazy fe at. Tyga Bang Rick Ross - Hustlin ‘ Kendrick L amar - Big S hot A$AP Ro cky - Pra ise the Lo rd

2 FIVE #16

Loko - Go 3 16 Z # n Jo FIVE yga & iana eat. T f aky Thot G r Y - F e VG z e & n a B L rdi Tory t. Ca oc t e fea c a f Tic T e k Ou Wow Blu nez - Bac a ne y L o d l y e a iddle M Tor Kenn he M Post with Dom s in T k c id & a K R n §ig The -Boy Dolla Rich & Hit t. Ty icch a R e f y d d r ate 24hrs at. Ro re W sle fe - Pu s y Hus e o s ig ip N KIKA ith M nez ard w a t L s itch ze y u M Tor e Sw - Ze feat. fset lip th f F e O in 9 & t 6ix ake Scot t. Dr o fea Travis . t Quav a e f Black Kodak

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#163

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einwurf

EINWURF

THE W

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In seiner Kolumne „Einwurf“ schaut Christian Orban über den Spielfeldrand hinaus und schreibt über die weniger beachteten Aspekte der Basketballkultur. Text: Christian Orban

ie diesjährige WNBA-Saison, die 23. seit der Gründung der Liga, begann im Mai unter keinen guten Vorzeichen. So herrschte ein beträchtliches Maß an Unsicherheit vor. Denn bereits im November 2018 war die Spielerinnengewerkschaft (WNPBA) aus dem Manteltarifvertrag (CBA) ausgestiegen, um einen Wandel einzufordern und heuer mit der Liga neu zu verhandeln. Die berechtigten Hoffnungen der Profis bleiben eine faire Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Auch stand die WNBA zum Saisonstart noch immer führungslos da (im Oktober 2018 war Lisa Borders als Ligapräsidentin zurückgetreten). Zudem warf das verletzungsbedingte Fehlen einiger Starspielerinnen seine Schatten voraus … Zum Saisonsende im Oktober erschien „The W“ indes in einem helleren Licht. Ligaweit herrschte gedämpfte Zuversicht vor. Sowohl die WNBA als auch die WNPBA zeigen sich optimistisch, einen neuen Tarifvertrag zu erreichen (der aktuelle lief an Halloween aus). Eine Hoffnungsträgerin ist hierbei Cathy Engelbert, die Mitte Mai als Commissioner der WNBA eingestellt wurde und ihre Tätigkeit im Sommer aufnahm. Zuvor die erste Geschäftsführerin der Wirtschaftsberatung Deloitte, stellt sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrung in der Umsatzgenerierung einen großen Zugewinn dar. Schließlich sind Mehreinnahmen essenziell, um „The W“ zukunftsfähiger aufzustellen. Zugleich bleibt eine gerechtere Aufteilung das bestimmende Diskussionsthema. So erhalten die WNBAProfis bislang keine 25 Prozent von den basketballbezogenen Einnahmen der Liga und ein Durchschnittsgehalt von rund 75.000 US-Dollar (das Minimum beträgt 42.000). Dass viele Spielerinnen eine zusätzliche Saisonhälfte in Übersee absolvieren, ist die belastungsreiche Konsequenz jener unzureichenden Vergütung. Hinzu kommt die Problematik der Reisestrapazen und -verzögerungen. Denn

aus Kostengründen sind die WNBA-Teams den Unwägbarkeiten des kommerziellen Flugverkehrs ausgesetzt. Die Verkürzung von Erholungs- und Vorbereitungszeiten sowie eine Erhöhung des Verletzungsrisikos sind die von den Aktiven zu tragenden Folgen. Als Commissioner schlägt Engelbert jedoch den richtigen Ton an und geht auf die Profis wohlwollend zu. Etwa durften die Las Vegas Aces und Los Angeles Sparks in den diesjährigen Playoffs mit Privatflügen (diese galten nach dem bisherigen CBA als unlauterer Wettbewerbsvorteil) zu ihren Auftaktpartien der Semifinals an die Ostküste reisen. Es war ein Schritt in die richtige Richtung. Auf dem Parkett verblasste im Saisonverlauf derweil die Sorge um die fehlenden großen Namen. Sue Bird, Breanna Stewart, Angel McCoughtry, Skylar DigginsSmith (im Mutterschutz) und Maya Moore (persönliche Auszeit) verpassten die Saison komplett, Diana Taurasi und Seimone Augustus einen Großteil davon. In ihrer Abwesenheit glänzten junge Spielerinnen wie „Rookie of the Year“ Napheesa Collier, Arike Ogunbowale, die Zweitplatzierte dieser Wahl, „Sixth Woman“ Dearica Hamby sowie die Zweitjahresprofis A’ja Wilson, Diamond DeShields und Jordin Canada, die allesamt in All-WNBA-Teams berufen wurden. Gewürdigt seien überdies die Champs der Washington Mystics um Superstar Elena Delle Donne. Obwohl sie erneut nicht von Verletzungen verschont blieb, absolvierte „EDD“ eine grandiose Saison und trat als erste WNBASpielerin in den exklusiven „50-40-90-Klub“ ein. Dass die vielseitige Ausnahmekönnerin zum zweiten Mal in ihrer Karriere zum MVP der Liga avancierte, war folgerichtig. Auch weil die Mystics eines der besten Teams und die effizienteste Offense der WNBA-Historie stellten. Unter Erfolgscoach Mike Thibault spielten sie sonach beispielhaften Teambasketball und brachen dabei 15 WNBA-Saisonrekorde, etwa hinsichtlich der erzielten Dreier und Assists,

der niedrigsten Ballverlustrate und höchsten True-Shooting-Quote (inklusive 87,5 Prozent von der Freiwurflinie). Ihre Saisonsiege holten die „‘Stics“ mit einer Durchschnittsdifferenz von 19,5 Punkten. Der Titelgewinn der Truppe von „Coach T“ – der erste für ihn, Delle Donne und die Franchise – war daher hochverdient. Unterdessen konnte die WNBA in puncto Reichweite 2019 kleinere Erfolge verzeichnen. Die Fernsehberichterstattung wurde vor Saisonbeginn erweitert: ESPN übertrug während der regulären Saison 16 Partien (drei mehr als im Vorjahr) und nahezu alle Playoffspiele. NBA TV strahlte 45 Spiele aus, CBS seinerseits 40 Partien in der Primetime und am Wochenende. Zudem waren 20 Livespiele auf Twitter sowie eine Handvoll Topspiele auf ABC zu sehen. Durchschnittlich erreichte die WNBA während der Hauptrunde via ESPN und ABC 246.000 Zuschauer – ein Zuwachs von sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Darüber hinaus wurde mitgeteilt, dass die Zuschauerzahlen für den WNBA League Pass um elf Prozent angestiegen und auch die Merchandising-Umsätze in dieser Saison angewachsen seien. In den Hallen selbst waren die Fan-Zahlen (6.500 im Schnitt) zwar leicht rückläufig, doch wurde ligaweit ein höherer Prozentsatz der verfügbaren Plätze besetzt: 81,7 Prozent im Vergleich zu 74,2 Prozent 2018. Etwa war das Vorzeigeteam der Mystics vor Saisonbeginn in eine kleinere eigene Arena umgezogen. Unter anderem wegen der besseren Spielatmosphäre und Unabhängigkeit vom Buchungskalender großer Hallen. Die Unterstützung seitens der Washington Wizards, die denselben Eigner haben, ist hierbei im Übrigen ein Positivbeispiel für die NBA, der rund 70 Prozent der WNBA gehören und die generell mehr investieren darf. „The W“ kann also auf eine durchaus erfolgreiche Saison zurückschauen, in der kleine Fortschritte vollzogen wurden, die es in Zukunft auszubauen gilt.

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look PAUL GEORGE, L.A. CLIPPERS

Polo Ralph Lauren, Polo Sport Fleece, 159,95 € bei KICKZ.COM

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FIVE-Fit des Monats „PG GETS COZY“ Ihr wollt nicht nur wissen, was oncourt in der NBA stylemäßig gerade angesagt ist? Westbrook ist euch zu krass, ihr sucht aber dennoch eine Inspiration für euren Lifestyle? Keine Bange! FIVE hilft euch ab sofort mit dem „Fit des Monats“!

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Legenden-Liebling des Monats

LEGENDEN-LIEBLING DES MONATS MJ, Magic, Larry, Kobe … sie sind die unsterblichen Legenden, die jeder kennt. An dieser Stelle wird aber ab sofort der Baller gedacht, die keine Überstars waren, aber auf die eine oder andere Art einfach Kult – die Legenden-Lieblinge des Monats!

MICHAEL CAGE W

arum Michael Cage heutzutage so gut wie niemand mehr kennt? Das hat vor allem mit zwei Gegebenheiten zu tun. Da wäre zum einen die Tatsache, dass er seine besten Jahre von 1984 bis 1988 bei den L.A. Clippers verbrachte. Zum anderen war Cage in einem Bereich übertalentiert, der seit jeher ein Schattendasein fristet: Er reboundete. In seinem Senior-Jahr an der San Diego State University war der 2,06 Meter lange Power Forward der einzige Student Athlete, der in der NCAA bei den Punkten (24,5) und Rebounds (12,6) pro Spiel in den Top Ten rangierte. Dabei gingen ihm smarte Postmoves weitgehend ab. Cage stand für Power. Und für Jheri Curls.

Diese in den 80er Jahren bei Afroamerikanern angesagte Frisur pflegte der harte Mann am Brett mit mindestens so viel Hingabe wie seinen gestählten Körper. Um diesen Look zu verwirklichen, musste Cage täglich die nötigen Chemikalien auftragen lassen und mit einer speziellen Mütze schlafen. Außerdem sorgte die ölige Mixtur in seinem Haupthaar auf dem Parkett immer wieder für Verstimmung. „Wenn dir das Öl auf den Ball tropft, finden die anderen Jungs das nicht wirklich gut“, gab der Mann, den sie „John Shaft“ und „Windexman“ (weil er die Bretter putzte) nannten, später preis. Aber zurück zu den Rebounds. Zum Ende der Saison 1987/88 lieferte sich Cage das wohl am wenigsten bekannte Statistikduell der NBA-Geschichte. Charles

2017/18 fiel ein Rekord für die Ewigkeit. Cage hatte in seiner Karriere jeden seiner 25 Dreier verfehlt – so viele wie kein anderer NBA-Profi, ohne dabei mindestens einen Treffer zu landen. Dann kam Zaza Pachulia, der die neue Bestmarke mit 31 Versuchen von Downtown ohne Erfolg hält.

Oakley von den Chicago Bulls hatte vorgelegt, Cage musste sich im letzten Saisonspiel 29 Rebounds greifen, um sich den Titel des besten Rebounders der Saison zu sichern. Als Cage an diesem Tag in die Kabine kam, hing ein Zettel in seinem Spind: „29 Rebounds, um Nummer eins zu sein. Mach es, Michael!“ Cage griff am Ende sogar 30, spielte die kompletten 48 Minuten, die Clippers verloren mit 100:109 ihre 65. Partie dieser Saison. Die NBA ehrte diesen Kampf der Bretter später mit einem Video, in dem Cage über sich und Charles Oakley sagt: „Wir sind Arbeiter. Jeder mag den langen Sprungwurf, den spektakulären Dunk und all das … aber die echten Männer, die echte Drecksarbeit, die ist unter dem Korb!“ Amen!

Michael Cage malochte für zwei der miesesten Teams aller Zeiten. Die Clippers gewannen 1986/87 gerade mal zwölf Partien, im Folgejahr waren es 17. Das ließ den Koloss nicht kalt. „All diese Niederlagen machen mich fertig, Mann“, vertraute er der „Sports Illustrated“ schon 1987 an. „Ich schlafe nicht gut, vielleicht weil ich zu viel darüber nachdenke, wie wir spielen. Die Leute sehen uns als Witz, aber das ist nicht witzig. Manchmal sitze ich einfach nur alleine da und denke: ‚Wie ist es dazu gekommen?‘“

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five-prospects Prospects

USMAN GARUBA

S

panien gehört bei den internationalen Jugendwettbewerben seit inzwischen zwei Jahrzehnten zu den dominierenden Nationen. Dafür, dass dies auch in den vergangenen Jahren unverändert blieb, sorgte unter anderem Usman Garuba. In 21 von der FIBA ausgerichteten offiziellen Länderspielen vertrat Garuba Spanien bisher, in 18 davon gelang ihm ein Double-Double aus Punkten und Rebounds. Bei der U16-EM 2016 gewann er mit Spanien die Goldmedaille und wurde als „Most Valuable Player“ des Turniers ausgezeichnet. Im vergangenen Sommer ging es in der U18 für Garuba weiter. Ergebnis? Goldmedaille und eine Wahl unter die besten fünf Spieler des Turniers. 15,6 Punkte, 12,9 Rebounds und 2,1 Blocks pro Spiel lieferte Usman Garuba, bei einer Feldwurfquote von 47,1 Prozent. Der 2,03 Meter große Big Man in Diensten von Real Madrid ist ebenso talentiert wie engagiert bei der Arbeit unter den Brettern. Der am 09. März 2002 in Madrid geborene Garuba ist zwar kein „Freak Athlete“, aber mit langen Armen, kräftigen Beinen und zumindest solider Athletik ausgestattet. Mit seinem Körperbau erinnert der Sohn nigerianischer Immigranten an Spieler wie seinen spanischen Landsmann Serge Ibaka oder den US-Amerikaner Paul Millsap. Seine Spielweise, seine Arbeit unter den Brettern, sein sehr starkes Stellungsspiel und das Ausboxen für den Rebound allerdings … all das schreit eher „Felipe Reyes“.

Jeden Monat stellt euch Peter Bieg an dieser Stelle die größten Talente Europas und Deutschlands vor. Text: Peter Bieg

Reyes, sein Teamkollege bei Real Madrid und inzwischen 39 Jahre alt, durchlief alle spanischen Nationalmannschaften und ist Rebound-Rekordhalter sowohl in der ACB als auch in der Euroleague. In der ACB hat Garuba inzwischen auch schon gespielt: In der ersten Liga Spaniens debütierte er bereits im Oktober 2018 – als drittjüngster Spieler aller Zeiten. Zur Saison 2019/20 gehört Garuba vollständig zum Kader der Seniorenmannschaft von Real, nachdem er in den Jahren zuvor für verschiedene Jugendteams und die B-Mannschaft aufgelaufen war. Mit seinem Double-Double (13 Punkte, zehn Rebounds) gegen UCAM Murcia am 30. September 2019 wurde Garuba mit 17 Jahren und sechs Monaten zum jüngsten Spieler aller Zeiten, dem dies in der ACB gelang. Ob die Karriere des jungen Mannes womöglich gar in der NBA weitergeht, bleibt aber abzuwarten. Ein limitierender Faktor ist seine Körpergröße, ein Shotblocker ist Garuba auf höchstem Niveau eher nicht. Doch sein Körper ist stark, seine Bewegungen sind kraftvoll und koordiniert, der Motor unermüdlich. Dazu kommen schöne Bewegungen im Post und eine gute Fußarbeit. Wenn Garuba sein Spiel mit dem Gesicht zum Korb und somit insbesondere seinen Wurf stabilisiert, ist eine Zukunft als europäische Light-Version von Paul Millsap auf jeden Fall vorstellbar. redaktion@fivemag.de

Usman Garuba Geburtstag: 09.03.2002 Größe: 2,03 Meter Gewicht: 104 Kilogramm Position: Power Forward/ Center Verein: Real Madrid

Stats: 15,6 PPG, 12,9 RPG, 2,1 BPG, 47,1 FG% (U18-EM 2019)

QR-code: http://bit.ly/UGaruba Usman Garuba gegen Gleichaltrige im Sommer 2019.

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or einigen Tagen habe ich ein langes Interview mit Carsten Lichtlein gelesen. Lichtlein selbst ist seit Jahren einer der besten Handballtorhüter Deutschlands und zufälligerweise zusammen mit Dirk Nowitzki in Würzburg auf die Schule gegangen. Er berichtete darüber, welche Schwierigkeiten er und Dirk hatten, um von der Schule für Lehrgänge der Nationalmannschaft freigestellt zu werden. Zwar hätten sie dann immer eine Freistellung bekommen, allerdings immer nur mit gleichzeitiger Standpauke des Direktors: „Mit Sport lässt sich kein Geld verdienen.“ Ein Satz, den auch ich während meiner Schulzeit mehr als einmal hörte, wenn ich um eine Freistellung betteln musste, um an Lehrgängen teilnehmen zu können. So sauer ich damals war, sehe ich in dieser Aussage heute natürlich auch eine gewisse Sorge meiner damaligen Lehrer. Mein Tagesablauf war eigentlich seit meinem 14. Lebensjahr gleich. Morgens von 07:45 bis 13:00 Uhr stand Schule auf dem Programm, danach schnell irgendwo was zu essen schnappen und dann entweder mit dem Zug oder meist im Auto meiner Mutter in die Halle zum Training. Von 15:00 bis 16:30 Uhr stand immerhin die erste Einheit auf dem Plan. Meistens Individualtraining. Danach schnell die Sachen gepackt und die Halle gewechselt, um pünktlich um 18:00 Uhr wieder umgezogen für das Training mit meiner Jugendmannschaft auf dem Feld zu

der ruben-report

der Ruben Report stehen. Um 20:00 Uhr ging es dann entweder unter die Dusche oder drei-, viermal die Woche nochmals für zwei Stunden im Herrentraining und in anderer Halle weiter. Wenn ich dann gegen 23:00 Uhr nach Hause kam, war die Motivation, Hausaufgaben zu machen oder für die Schule zu lernen, natürlich nicht mehr besonders groß. Meinen Eltern zuliebe versuchte ich wenigstens ein bisschen was für die Schule zu machen. Am Wochenende war ich dann in Deutschland unterwegs, um drei oder vier Spiele für meinen Verein zu absolvieren. Mit meinen Eltern hatte ich die Abmachung, dass ich so viel Zeit in Basketball investieren durfte, wie ich wollte, solange ich in der Schule versetzt wurde. Der Plan ging für mich auf. Zumindest das Klassenziel konnte ich immer erreichen, und letztendlich hatte ich nach dem Abitur alle Karten selbst in der Hand. Ich entschied mich zunächst gegen ein Studium und für eine professionelle Basketballkarriere … und siehe da, entgegen der Ansicht meiner Lehrer konnte ich mit Basketball doch Geld verdienen. Carsten Lichtlein und Dirk Nowitzki sind natürlich tolle Beispiele für Menschen, bei denen der ProfisportPlan voll aufgegangen ist. Aber in deren Schatten stehen unheimlich viele

Sportler, denen eine solche Karriere nie vergönnt ist oder war. Doch wenn ich heute mit meinen Mitspielern von damals spreche, die nie den Sprung in den Profibereich gewollt, gewagt oder geschafft haben, merke ich, dass sie erfolgreich und mit Freude in ihren Berufen tätig sind und dass keiner das sportliche Engagement von damals bereut hat. Ich selbst konnte zwar vom Basketball leben, bin jedoch ganz sicher nicht reich dadurch geworden. Allerdings glaube ich, dass das, was ich über Disziplin, Durchhaltevermögen, Teamgeist und Auftreten gelernt habe, mich in meinem Leben – egal in welcher Situation auch immer – weitergebracht hat und immer noch weiterbringt. Die Lehrer sollten deshalb, was den Leistungssport betrifft, meiner Meinung nach umdenken. Schließlich sollte nicht der mögliche Verdienst im Vordergrund stehen, sondern vielmehr, dass man die Chance nutzen soll, sich selbst zu entwickeln und zu verwirklichen. Solange man tut, was man liebt, und solange man bereit ist, dafür alles zu geben, wird es einen im Leben weiterbringen. Ganz egal, ob man letztendlich damit (viel) Geld verdienen kann oder sich dann doch in eine ganz andere Richtung entwickelt.

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MOE DIARY Moritz Wagner absolviert momentan

seine zweite NBA-Saison in Washington, D.C. In FIVE nimmt er euch mit auf seine Reise, die ihn von Alba Berlin über die University of Michigan bis zu den Wizards geführt hat. Text: Moritz Wagner

L

eute, ich bin ganz ehrlich: So richtig spektakulär waren die letzten paar Monate nicht. Es gibt einfach nicht so viel Spannendes zu erzählen, und das ist auch gut so. Die Saison ist mittlerweile voll im Gange, unsere Bilanz liegt bei einem Sieg und zwei Niederlagen, und am Mittwoch haben wir unser erstes Heimspiel gegen Houston. Man vergisst über den Sommer fast, wie das richtige NBA-Leben wirklich aussieht. Trainingseinheiten, Spiele, Fliegen und Hotels … oh mein Gott, so viele Hotels! Innerhalb der ersten Saisonwoche waren wir in vier verschiedenen Städten. Ich weiß: Das klingt alles total aufregend und so, aber es ist jetzt nicht so, dass wir großartig Zeit haben, uns das Alamo anzugucken, wenn wir zum Beispiel nach San Antonio fliegen. Wir sitzen stattdessen schön im Westin Hotel, versuchen zu schlafen und schauen Serien. Ich versuche meistens, ein paar Spaziergänge einzubauen und wenigstens ein bisschen was von der Stadt zu sehen. Aber wenn du dann in Oklahoma City bist, tja, da ist die Liste an Sehenswürdigkeiten schon extrem kurz. Obwohl es da ein sehr aufwendig gebautes Denkmal gibt, im Gedenken an

die Opfer eines Terroranschlags im Jahr 1995, welches ich mir vergangenes Jahr schon angeguckt habe. Ich möchte den Anwohnern von Oklahoma City jetzt keinesfalls zu nahe treten, aber da leg ich mich doch lieber in mein Hotelbett und gucke ein paar Folgen „Friends“. Ansonsten gefällt es mir hier in Washington, D.C. sehr gut. Ich muss echt sagen, dass ich bis jetzt extrem Glück mit meinen Stationen in den USA gehabt habe. Ann Arbor, Los Angeles und Washington, D.C. sind allesamt Städte, in denen es sich sehr gut leben lässt. Obwohl es in D.C. auch ordentlich Verkehr gibt, ist die Stadt ansonsten sehr unaufgeregt. Europäisch gebaut irgendwie, würde ich sagen … ohne jetzt natürlich so tun zu wollen, als hätte ich von Architektur allzu große Ahnung. Trotzdem wird es nie langweilig. Hier dreht sich natürlich viel um Politik, und das merkt man auch sofort an den Leuten, die hier in den Straßen rumlaufen. Wenn du abends essen gehst, siehst du schon den einen oder anderen jungen Anzugträger, der sich auf ein Glas Wein von seinem stressigen Leben im Politikbetrieb der Hauptstadt erholt. Dies ist übrigens

eine sehr spekulative These, wie mir gerade auffällt … Es gibt zahlreiche Restaurants in der Stadt, die ich auch oft besuche. Meine „Koch-Skills“ reichen leider noch nicht aus, um sieben Tage die Woche wirklich was Leckeres auf den Tisch zu bringen. Ich betone an dieser Stelle bewusst das Wort „noch“. Ich arbeite nämlich dran. Was die Wizards als Organisation angeht, fühle ich mich in meiner neuen Arbeitsumgebung sehr wohl. Auch wenn keiner so wirklich an uns glaubt, habe ich, was unser Team angeht, ein sehr gutes Gefühl. Jeder in der Organisation, von den Spielern über die Trainer bis zum Equipment Manager, arbeitet sehr hart. Du merkst, dass die Franchise eine neue Richtung einschlagen möchte und alles dafür gibt, eine gewisse Kultur zu entwickeln. Und es fühlt sich gut an, Teil dieser Kultur zu sein. Außerdem ist es mir ziemlich egal, was die Außenwelt über uns denkt. War es mir eigentlich schon immer. Letztes Jahr war ich Teil eines Lakers-Teams, das sehr hohe Erwartungen an die Saison hatte. Am Ende waren alle enttäuscht. Dieses Jahr ist es dann mit den Wizards halt eben genau andersrum.

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Bei der geburt getrennt / Publetter

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- PubLetter -

Bei der geburt getrennt Joey Bargeld

klay Tho mpson

All about the Benjamins

A

ls Rockets-GM Daryl Morey vor ein paar Wochen tweetete: „Fight for freedom, stand with Hong Kong“, trat er eine Lawine los, die die Grundmauern der gesamten NBA erschütterte. Und obwohl sich Morey kurz darauf entschuldigte und den Tweet sogar löschte, ließ die Vergeltung der Chinesen nicht lange auf sich warten. Alle elf chinesischen NBA-Partner legten ihre Geschäftsbeziehungen mit der Liga vorläufig auf Eis und kündigten ihre Endorsement-Deals. Schadensbegrenzung war nun das Motto. James Harden entschuldigte sich kleinlaut für seinen GM: „We apologize. You know, we love China!“ Steve Kerr klärte uns auf: „Die Welt ist komplex, und es gibt mehr grau als schwarz und weiß.“ Und „Woke Warrior“ LeBron James, der in der Vergangenheit immer wieder durch sein soziales Engagement und sein „More than an athlete“-Gelübde Schlagzeilen machte, warf Morey vor, uninformiert zu sein. Man müsse vorsichtig sein, was man sagt, denn – und jetzt kommt’s – „freie Meinungsäußerung kann auch negative Seiten haben“. Wow! Worte nicht aus dem kommunistischen Programmheft, sondern aus dem Mund der NBA-Galionsfigur LeBron James. Aber seien wir fair. Es ist nicht nur der „King“. Die gesamte Liga benimmt sich, als würde sie unter dem Stockholm-Syndrom leiden. Keiner macht jetzt den Mund auf. War es nicht erst vor zwei Jahren, als die NBA ihr All-Star-Game von Charlotte nach New Orleans verlegte, wegen der neuen „Bathroom Laws“ und der damit verbundenen Diskriminierung der LGBTQ-Community in North Carolina? Haben nicht mehr als ein Dutzend NBA-Spieler öffentlich und unter dem Schutzmantel der Liga für „Black Lives Matter“ und gegen Police Brutality protestiert? Zeigen nicht immer wieder wichtige NBA-Persönlichkeiten wie LeBron James, Steph Curry und Chris Paul dem US-Präsidenten Donald Trump mit seiner umstrittenen und keiltreibenden Rhetorik den verbalen Mittelfinger? Doch! Und das ist gut so. Aber warum sagt JETZT keiner was?! Wir kennen die Antwort: Geld. Aber wie viel ist es genau? Was steht hier auf dem Spiel? Laut NBC News haben im letzten Jahr 800 Millionen Chinesen NBA-Spiele angeschaut, und der Wert der besten Basketballliga der Welt wird in China auf ca. fünf Milliarden US-Dollar geschätzt. Die neue Partnerschaft zwischen der NBA und dem chinesischen Internet-Giganten Tencent, der die

Spiele übers Internet streamt, bringt der Liga 1,5 Milliarden US-Dollar ein. Der chinesische Markt produziert zehn Prozent des Gesamtumsatzes der NBA … ein Anteil, der sich aller Voraussicht nach bis 2030 verdoppeln dürfte. Der „King“ selbst sitzt auf einem 35-Millionen-Deal von den Lakers, und 32 Millionen kommen nochmal von Nike obendrauf. Nikes Schuhverkäufe haben sich allein in China in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Und die Firma mit dem Swoosh betreibt 110 Fabriken mit über 145.000 Arbeitern in China. Was würde wohl passieren, wenn die Chinesen von heute auf morgen sagen: „Hey Nike, produziert euer Zeug woanders!“ Da gehen MillionenUmsätze flöten für die Firma, die sich immer als ziemlich „woke“ bezeichnet hat, und es bedeutet Einbußen für jeden Nike-Athleten, besonders die mit Signature-Schuhen, die wahrscheinlich in irgendeiner Art und Weise am Umsatz beteiligt sind. LeBrons Filmstudio SpringHill Entertainment, welches „Space Jam 2“ in Kollaboration mit Warner Brothers produziert, erhofft sich außerdem starke Ticketverkäufe in China, muss aber an der chinesischen Zensur vorbei. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass die Chancen, den chinesischen Markt zu erreichen, auf null gesunken wären, wenn LeBron ein kritisches Wort über chinesische Politik geäußert hätte. Athleten wie auch Unternehmen (und dazu zähle ich die NBA) täten gut daran, sich nicht Werte auf die Brust zu schreiben, die sie nicht mehr gewillt sind zu verteidigen, sobald es sie etwas kostet. Genauso ist Vorsicht geboten bei der Erschließung von Märkten, in denen andere Ideologien herrschen und wo „Wokeness“ größere Konsequenzen haben kann als der Verlust von Twitter-Followern. Am Ende bleibt nur die Feststellung, die Ex-NBA-Spieler Andrew Bogut in seinem Tweet nicht besser hätte zusammenfassen können. „Everyone is for the ,cause‘ until the ,cause‘ costs them $$$$$.“ So wahr.

Christian Grosse (Herausgeber)

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SNEAKER HALL OF FAME:

DER „CONVERSE WEAPON“

FIVE hat eine eigene Hall of Fame eröffnet! Ab sofort nehmen wir jeden Monat einen herausragenden Sneaker der Basketballschuhgeschichte in unsere Ruhmeshalle auf. Ehrengast in diesem Monat und neuestes Hall-Mitglied? Der „The Weapon“ von Converse!

D

er „The Weapon“ ist nicht das bekannteste Modell der Marke Converse aus Malden im USBundesstaat Massachusetts. Die bereits 1908 gegründete Firma brachte 1917 die legendären „Converse All Stars“ heraus, heute gemeinhin als „Chucks“ bekannt und die mit Abstand meistverkauften Basketballschuhe aller Zeiten. Doch auch wenn so ziemlich jeder zuerst an Chucks denkt, wenn von Converse die Rede ist, wird der „Weapon“ dennoch vor ihnen in diese Hall of Fame aufgenommen. Der Grund: Magic und Larry. Die Macher von Converse – damals die erfolgreichste Basketballschuhmarke der Welt – hatten Magic Johnson und Larry Bird unter Vertrag. Anstatt aber für jeden einen eigenen Schuh zu

designen, wollten sie die beiden absoluten Superstars davon überzeugen, gleichzeitig dasselbe Modell zu tragen. Dafür sollten Magic und Bird natürlich auch einen Werbefilm drehen. Dieser wurde in French Lick, Indiana aufgenommen, der Heimat von Bird. Die beiden Superstars hatten bis dahin jedoch noch keine Freundschaft entwickelt – immerhin waren sie große Rivalen um den Titel. Erst der Videodreh auf dem Land war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Als der Schuh dann 1986 auf den Markt kam, trugen die zwei besten Basketballer der Welt dasselbe Modell, aber in unterschiedlichen Farben. Vor allem Magics „Lakers-Colorway“ ist bis heute legendär.

Name: Hersteller: Designer: Jahr: Preis: OG-Farben:

DID YOU KNOW?

The Weapon Converse unbekannt 1986 65 Dollar Black/White, Lakers

Larry Bird trug den „Weapon“ von 1986 bis 1990 und danach die „Converse CONS“. Magic bekam in der Folge eigene Signature-Schuhe.

Converse produzierte den „Weapon“ in den verschiedensten Colorways, sodass er zu fast allen Teamfarben passte.

Der Weapon-Rap Neben Magic und Bird hatte Converse auch noch die Superstars Isiah Thomas, Kevin McHale, Bernard King und Mark Aguirre unter Vertrag. Also ließ die Firma alle in einem Werbevideo rappen. Wie das lief? So semi … aber seht selbst: Link: http://bit.ly/WeaponRap

Larry vs. Magic Der legendäre „Choose your weapon“-Werbespot mit Magic Johnson und Larry Bird ist bis heute einer der besten aller Zeiten! Das Kornfeld, die Limo, das Wegreißen der Hose … legendär eben! Link: http://bit.ly/LarryvsMagic

Converse legte den „Weapon“ einige Male neu auf. Zum Beispiel als „The Loaded Weapon“ (2003), „The Weapon 86“ (2008) oder „The Weapon EVO“ (2009). Der große Erfolg blieb diesen Versionen aber verwehrt, auch weil die Qualität zu wünschen übrig ließ …

In den NBA-Finals 1986 trugen Magic und Bird beide den „Weapon“.

2002 trug Kobe Bryant den „Weapon“ im Lakers-Colorway. Er hatte sich aus seinem Vertrag bei Adidas herausgekauft und durfte ein Jahr lang nirgendwo anders einen Deal unterschreiben.

Axl Rose von Guns ’N Roses bekam einen eigenen „Weapon“ von Converse designt.

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nba-awards

DIE NBA-AWARDS 19/20 VERSION 1.0

In dieser Saison begleiten wir die NBA-Awards von Oktober bis April für euch auf dieser Doppelseite. Wer liegt also zu Saisonbeginn vorn im Rennen um den Most Valuable Player, Rookie des Jahres, Most Improved Player, Best Sixth Man und Defensive Player of the Year? Auch wenn die Zahlen so früh in der Spielzeit mit Vorsicht zu genießen sind, kommt hier ein erster Zwischenstand.

MOST VALUABLE PLAYER 1. KARL-ANTHONY TOWNS Timberwolves Stats: 32,0 PPG, 13,3 RPG, 5,0 APG, 2,0 BPG, 64,8 eFG%

DEFENSIVE PLAYER OF THE YEAR Zu diesem Zeitpunkt der Saison helfen in Sachen Defense die Statistiken nur bedingt. Deshalb an dieser Stelle eine schnelle Liste der bisher sehr positiv aufgefallenen Akteure … Rudy Gobert, Jazz Joel Embiid, Sixers Jonathan Isaac, Magic Karl-Anthony Towns, T-Wolves Matisse Thybulle, Sixers

Towns legte den fettesten Start aller NBAProfis in die neue Spielzeit hin. Spannend war vor allem die hohe Zahl an Dreierversuchen (9,7) und Freiwürfen pro Partie (9,0). Sollte sich dieser Trend bestätigen, würde wohl nur ein Dasein seiner Timberwolves im Ligamittelmaß eine ernsthafte Kandidatur für den MVP-Award torpedieren. Das ist leider wahrscheinlich … 2. LUKA DONCIC Mavericks Stats: 29,3 PPG, 10,3 RPG, 7,3 APG, 2,3 SPG, 57,5 eFG% HALLELUKA! Was für ein Start für den Slowenen! Sicher: Der Dreier fiel noch nicht (31,0 3P%), und im Zusammenspiel mit Kristaps Porzingis braucht es noch etwas Feintuning, aber dieser Typ ist absolut schmerzfrei und einfach kaum zu stoppen. 3. KAWHI LEONARD Clippers Stats: 27,0 PPG, 6,5 RPG, 7,5 APG, 1,8 SPG, 56,5 eFG% Zugegeben: Im Vergleich mit den rohen Zahlen anderer Frühstarter diese Saison verblassen die Statistiken von Leonard. Im Gegensatz zu seinen Kollegen schreit bei seinen Leistungen jedoch nicht alles

irgendwie „Regression zur Mitte“. Einzig die Assistzahl (mehr als das Doppelte seines bisherigen Karrierehöchstwerts) erfordert eine Überprüfung. Aber: Leonard war schon zu Saisonbeginn wieder dieser BasketballTerminator, der sich so emotions- wie nahtlos bei den Clippers ins System eingearbeitet hat und dieses natürlich dominiert. 4. GIANNIS ANTETOKOUNMPO Bucks Stats: 24,3 PPG, 13,3 RPG, 9,0 APG, 1,7 BPG, 54,7 eFG% Der Titelverteidiger kam statistisch gewohnt facettenreich in die Saison, die erwartete Verbesserung an der Dreierlinie blieb zu Beginn jedoch aus (16,7 3P%). Dafür schien er in Sachen Playmaking einige neue Ideen entwickelt zu haben, um seine Kollegen bestmöglich zu bedienen. 5. JOEL EMBIID Sixers Stats: 25,5 PPG, 13,0 RPG, 4,0 APG, 2,0 BPG, 56,1 eFG% Embiids MVP-Chancen werden zu einem guten Teil von der Anzahl der Spiele abhängen, die er schlussendlich absolviert. Zum Start präsentierte er sich jedenfalls als fulminante Wucht an beiden Enden des Feldes. Nur der Dreier (30,0 3P%) fiel erneut nicht sicher. Auf den Plätzen: LeBron James, Russell Westbrook, Anthony Davis, Trae Young, Damian Lillard und Pascal Siakam.

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ROOKIE OF THE YEAR

BEST SIXTH MAN

1. R.J. BARRETT Knicks Stats: 20,5 PPG, 7,5 RPG, 3,3 APG, 2,0 SPG, 55,5 eFG%

1. LOU WILLIAMS Clippers Stats: 22,3 PPG, 3,5 RPG, 5,3 APG, 2,5 TPG, 35,0 3P%, 51,7 eFG%

Der größte Kritikpunkt am Kanadier war, dass er in seinem Jahr an der Duke University ineffizient agierte und den Dreier nicht traf. Davon konnte zu Saisonbeginn keine Rede sein (46,7 3P%).

Williams ist seit Jahren Favorit auf diese Auszeichnung, und das ändert sich auch dieses Jahr nicht. Sein Mix aus Scoring und Playmaking ist perfekt für seine Rolle. 2. DERRICK ROSE Pistons Stats: 21,5 PPG, 1,8 RPG, 5,3 APG, 0,8 SPG, 4,3 TPG, 55,5 eFG%

2. JA MORANT Grizzlies Stats: 18,0 PPG, 3,7 RPG, 6,0 APG, 1,7 SPG, 53,5 eFG%

Rose schickt sich an, Williams die Rolle als bester Bankscorer 2019/20 streitig zu machen. Fragt sich: Startet er vielleicht in absehbarer Zeit für Detroit?

Die Memphis Grizzlies haben ihren Point Guard der Zukunft gefunden. Morant zeigte vom Start weg, dass er bereits ein echter Playmaker ist. Muss er noch lernen, in der Zone abzuschließen? Klar, aber dieser Lernprozess steht allen Rookies bevor.

3. MONTREZL HARRELL Clippers Stats: 20,5 PPG, 6,8 RPG, 2,8 APG, 1,0 SPG, 3,0 TPG, 76,2 eFG%

3. KENDRICK NUNN Heat Stats: 22,3 PPG, 3,3 RPG, 3,3 APG, 2,0 SPG, 59,6 eFG%

Die Clippers haben nicht nur die beste Bank der Liga, sondern auch gleich zwei Anwärter auf diesen Award. Harrell kommt über seine Energie und das Pick-and-Roll.

Wer? Nunn versuchte schon 2018/19 den Sprung in die NBA, kam aber für die Warriors über die G-League nicht hinaus. Bei den Heat liefert er reifes Scoring und wird wohl bald seine Wurfversuche an Jimmy Butler abgeben müssen …

Auf den Plätzen: Delon Wright, Luke Kennard, Goran Dragic, Spencer Dinwiddie und Devonte’ Graham.

Auf den Plätzen: Rui Hachimura, Coby White, P.J. Washington, Tyler Herron und De’Andre Hunter.

MOST IMPROVED PLAYER* 1. LUKE KENNARD Pistons Stats: 18,3 PPG, 2,8 RPG, 2,8 APG, 0,3 SPG, 48,1 3P%, 60,6 eFG% Mit seinen 18,3 Zählern von der Bank mit Fabelquoten sorgte Kennard für massig Offensive von der Bank in Detroit. 2. BAM ADEBAYO Heat Stats: 15,3 PPG, 11,0 RPG, 5,3 APG, 1,0 SPG, 1,3 BPG, 53,8 eFG% Sollte Adebayo seine Assistausbeute in den kommenden Wochen bestätigen, hat er eine vollkommen neue Dimension seines Spiels erschlossen. 3. DEJOUNTE MURRAY Spurs Stats: 14,7 PPG, 8,3 RPG, 6,0 APG, 2,0 SPG, 20,0 3P%, 56,1 eFG% Murray scheint sein Kreuzbandriss aus der Vorsaison überhaupt nicht mehr zu behindern. Seine Arbeit am Brett und die Defensive ragen heraus. Auf den Plätzen: Markelle Fultz, Lonzo Ball und Jonathan Isaac. * Zweitjahresprofis werden traditionell von uns bei der MIP-Wahl nicht berücksichtigt.

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Aaron

Gordon

AARON GORDON

Die Orlando Magic waren in der Saison 2018/19 eines der Überraschungsteams in der NBA. An der Seite von AllStar-Center Nikola Vucevic zeigte vor allem Aaron Gordon starke Leistungen. Coach Jens nimmt den 24-jährigen Power Forward unter die Taktiklupe. Text: Jens Leutenecker

Position: Power Forward Geburtstag: 16. September 1995 Größe: 2,06 Meter Gewicht: 99 Kilo Verein: Orlando Magic Erfahrung: 5 Saisons

Stats 2018/19: 17,0 PPG || 7,8 RPG 4,0 APG || 2,2 TPG || 0,8 BPG 34,9 3P% (PER 36 MIN.)

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ikipedia hat die SmallballRevolution trotz 21 NowitzkiJahren anscheinend noch nicht ganz realisiert: Unter einem Power Forward stellt sich die englischsprachige Version der OnlineEnzyklopädie einen Spieler vor, der mit dem Rücken zum Korb spielt und mit seinem Mitteldistanzwurf brilliert ... Aaron Gordon und die Orlando Magic bringen die Power wieder in den Forward – und das mit erstaunlich guter Effizienz! Der 24-jährige Gordon hat sich in den vergangenen Jahren ein sehr interessantes Skillset erarbeitet: Kleinere Gegenspieler dürfen den häufig aussichtslosen Kampf mit ihm in der Zone führen, die 100 Kilogramm auf 2,06 Meter Körpergröße setzt er gekonnt und mit einer guten Portion Rücksichtslosigkeit ein! Gordon parkt jedoch nicht einfach in der Zone und verhindert damit eine gute Raumaufteilung, sondern positioniert sich im richtigen Moment unterm Korb. Dieses smarte Einsetzen seines Körpers führt zu vermeintlich einfachen Punkten, da er sich vor dem Pass bereits in eine ideale Ausgangslage gebracht hat. Größere Spieler kann er mit sicheren Dribbelbewegungen im Stil von Blake Griffin oder dem geschickten Ausnutzen von indirekten Blöcken effektiv attackieren. In der NBA gibt es nur noch wenige Lineups, die gleich zwei kraftvolle Spieler auf das Feld stellen. Aber gerade die Kombination Aaron Gordon und Nikola Vucevic ist defensiv exzellent und offensiv gut genug. Mit einem großen Center für das Beschützen des Rings und einem athletischen Vierer für die Rebounds kamen die Orlando Magic auf ein Defensivrating von 106 Punkten

auf 100 Angriffe – das ist ein absoluter Topwert in der NBA! Sowohl Gordon als auch Vucevic verfügen über erstaunlich gute Passfähigkeiten. Ganz im Stil internationaler Topcenter stellen sie die gegnerische Verteidigung mit High-Low-Anspielen oder Pässen nach dem Pick-and-Roll vor große Rotationsprobleme. Gordons Assistzahlen haben sich in seinen fünf NBA-Spielzeiten permanent gesteigert, von weniger als einer Vorlage in der Rookie-Saison bis auf 3,7 Assists pro Spiel. Damit befindet er sich unter den besten 20 Forwards – und wenn Vucevic mal nicht spielt, läuft die Offense mit fünf Assists pro Partie zu großen Teilen über Gordon. Als ballführender Spieler kam der Power Forward im letzten Jahr auf etwas mehr als drei Pick-and-Roll-Angriffe, die er mit eigenen Abschlüssen und cleveren Anspielen durchaus effektiv nutzt – auch das ist eine interessante Seite des 24-Jährigen und bestätigt den Vergleich mit Blake Griffin! D.J. Augustin, Michael CarterWilliams und Evan Fournier auf den Kreativpositionen, dazu Terrence Ross als Scorer und natürlich Vucevic als Starspieler – die Magic scheinen für die kommende Saison gut aufgestellt zu sein! Das größte Potenzial liegt definitiv bei Gordon, seine Entwicklung kann durchaus mit den Playoffchancen der Magic gleichgesetzt werden. Der Sprungwurf, insbesondere aus dem Dribbling, hat sich zuletzt stetig verbessert. Richtiges Vertrauen in seine Wurffähigkeiten scheint Gordon trotzdem noch nicht gefunden zu haben: Daheim trifft er starke 41 Prozent seiner Dreier, auswärts sind es deutlich weniger.

Die schwache Dreierquote von weniger als 28 Prozent auf gegnerischem Terrain erklärt die dürftige Auswärtsbilanz von 17 Siegen in 41 Spielen, das muss sich definitiv verbessern. Im Postup-Spiel positioniert sich Gordon häufig sehr gut und punktet dann hochprozentig. Aber wenn er den Ball am rechten oder linken Zonenrand bekommt und dann per Dribbling ins Eins-gegen-eins gehen soll, fehlen ihm einfach noch die Goto-Moves. Der Hookshot mit rechts oder der Spinmove zur linken Hand – Gordon sollte sich eine Kombination aus zwei Bewegungen draufpacken, um erfolgreich zu sein. Er versucht zu häufig, den Gegner mit Rambo-Basketball zu „überpowern“, gute NBA-Verteidiger hängen ihm dann entweder das Offensivfoul an oder vermeiden geschickt den Kontakt und erzwingen damit Ballverluste. Mit einer variantenreicheren Offensive kann er dann ein gegnerisches Doppeln erzwingen und die guten Passfähigkeiten für sich und sein Team ausnutzen. Fazit: Aaron Gordon ist ein sehr interessanter Spieler, der ähnlich wie Blake Griffin mit einer Mischung aus überragender Athletik und Talent zum Starspieler aufsteigen kann. Er entwickelte sich 2018/19 stetig weiter und kann in dieser Saison zum großen Durchbruch ansetzen. Und mit ein bisschen mehr Skills und etwas besser eingesetzter Power kann Gordon dann eigenhändig den WikipediaArtikel umschreiben: Ein Power Forward ist ein sehr guter Werfer aus der Mittel- und Dreierdistanz, reboundet überdurchschnittlich gut und kann sich im richtigen Moment auch kraftvoll unterm Korb durchsetzen! redaktion@fivemag.de

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Houston

nba-plays

Rockets

1

A 5

4

Laufweg

houston rockets

Pass Dribbling Block HO Handoff

2

3

Russell Westbrook (1) dribbelt in die Mitte, während James Harden (2) den Stagger-Screen von P.J. Tucker (4) und Clint Capela (5) nutzt. Tucker schneidet nach seinem Block direkt durch die Zone in die gegenüberliegende Ecke.

1

Die Houston Rockets setzen 2019/20 alles auf das Duo James Harden und Russell Westbrook. So kann es funktionieren … Text: André Voigt

D

ie Houston Rockets sorgten nicht nur für einen der Trade-Schocker des vergangenen Sommers, sie sind eines der faszinierendsten Experimente der NBA-Saison 2019/20. Die Frage: Können zwei der balldominantesten Guards der besten Basketballliga der Welt wirklich gewinnbringend koexistieren? James Harden war im Vorjahr lange eine Stepback-Dreier nehmende One-Man-Show. Russell Westbrook gab vor der Ankunft von Paul George in Oklahoma City den absoluten Alleinunterhalter. Können sie jetzt zusammen? Wie damals, als beide noch bei den Thunder spielten? Coach Mike D’Antoni hat die Aufgabe, die Fähigkeiten der beiden MVPs in ein taktisches Korsett einzupassen, welches die Stärken seines

Starduos akzentuiert und gleichzeitig die Schwächen kaschiert. Vor allem die in der Vergangenheit oftmals fehlende Liebe zum Spiel ohne Ball wird der Trainer seinen Anführern einimpfen müssen. Da Westbrook zuletzt – bis auf die Abschlüsse in Korbnähe – aus allen Lagen wenig effizient agierte, dürfte es vor allem Harden sein, der sich abseits des Spaldings Räume und Würfe suchen muss. Das sollte ihm allerdings helfen, kann der Eins-gegen-eins-Maestro so doch Energie für die Crunchtime sparen. Genau dann sollte der Ball auch bei „The Beard“ landen und er sein offensives Ding machen können. Westbrooks Wurfquoten in engen Spielen 2018/19? Eiskalte 20,2 Prozent aus dem Feld sowie 29,0 Prozent von der Dreierlinie.

B

2

5

4

3

Westbrook bekommt jetzt von Harden und Capela einen weiteren Stagger-Screen gesetzt. Danuel House (3) verschiebt auf den Flügel, während Tucker die Position in der Ecke an der Baseline besetzt. Harden positioniert sich an der Verlängerung des linken Zonenrandes an der Dreierlinie.

2

1

C 5

3

4 Westbrook kann jetzt mit Geschwindigkeit penetrieren, selbst abschließen oder – je nachdem, wie die Verteidigung reagiert – den abrollenden Capela bzw. die Schützen außen bedienen.

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one-on-one

Brook

brook lopez Brook lopez Geburtstag: 01. April 1988 Größe: 2,13 Meter Gewicht: 123 Kilo Erfahrung: 11 Saisons

Stats 2018/19*: 15,6 PPG || 6,1 RPG 1,5 APG || 0,8 SPG 1,3 TPG || 45,2 FG% 36,5 3P% || 84,2 FT%

Advanced Stats: 14,6 PER || 16,0 USG 59,7 TS% || 8,7 RBR 9,6 AST

Lopez

vs.Robin

Lopez

I

n seinen ersten acht NBASaisons hat Brook Lopez bei 31 Dreierversuchen genau drei Treffer erzielt, das ergibt eine Quote von 9,7 Prozent oder alle 151 Spiele einen erfolgreichen Dreipunktewurf. In den letzten drei Spielzeiten gesellten sich mit einer der radikalsten Umstellungen der NBA-Geschichte 433 weitere erfolgreiche Dreier hinzu, mit 36,5 Prozent Erfolgsquote befindet sich Brook Lopez dabei aktuell sogar im obersten Drittel aller Schützen! Mit der neuen Fertigkeit passt er ganz genau in das Anforderungsprofil von Coach Mike Budenholzer: Mit 38 Dreierversuchen pro Spiel 2018/19 nahmen die Bucks ganze 14 mehr als noch in der Vorsaison, einzig die auf „Moreyball“ getrimmten Houston Rockets versuchten ihr Glück häufiger aus der Distanz. Es sind jedoch nicht ausschließlich die Wurffähigkeiten, die Lopez zum idealen BucksSystemspieler machen. Er hat einen exzellenten Mix aus Jumper und Drive zum Korb gefunden. Regelmäßig zieht er zum Korb, postet erfolgreich auf und trifft in der Zone mehr als zwei Drittel seiner Würfe. Damit ist er noch vor MVP Giannis Antetokounmpo oder Rudy Gobert der beste Finisher in der NBA! Den „Beast Mode“ schaltet Brook Lopez übrigens beim Abrollen zum Korb nach dem direkten Block ein: In 82 NBA-Spielen hat er genau neun Korbleger aus dem Pick-and-Roll verlegt! Der einzige Wermutstropfen in Lopez’ Offensivspiel ist seine relativ eigennützige Spielweise: Mit ihm auf dem Feld sinkt die Assistrate der Bucks deutlich, gerade in den Playoffs war das manchmal grenzwertig. Trotzdem: Brook Lopez verbessert durch sein Scoring definitiv die Bucks-Offensive!

one-on-one

In diesem One-on-One hat Coach Jens ein doppelt interessantes Duell aufbereitet: Mit Brook und Robin Lopez werden nicht nur zwei Center derselben Mannschaft, sondern auch zwei Zwillingsbrüder miteinander verglichen. Text: Jens Leutenecker 24

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robin lopez

S

creen, hit and roll“, das ist seit mittlerweile elf Jahren die Aufgabe von Robin Lopez in verschiedensten NBATeams! Ob für Steve Nash in den Playoffs 2010 gegen die L.A. Lakers um Kobe Bryant, für einen jungen Damian Lillard bei den Trail Blazers einige Jahre später oder für MVP Giannis Antetokounmpo in der anstehenden Spielzeit – Robin Lopez kennt seine Rolle. Etwas mehr als neun Punkte und fünf Rebounds sind seine Durchschnittswerte, den Bucks sind diese Zahlen und Lopez’ Skills knapp fünf Millionen Dollar wert. Zugegeben, sein Spiel ist nicht sonderlich spektakulär: Alley-Oop-Anspiele oberhalb Ringniveau waren vor einigen Jahren noch eine Option, sollten vom 31-Jährigen jedoch nicht mehr erwartet werden. Vielmehr ist es die Arbeit am Boden, die Mike Budenholzers Bucks helfen soll. In einem schwachen Bulls-Team war der Pivot der beste Blocksteller für Zach LaVine, Kris Dunn & Co. und sorgte so für freie Würfe. Dem ballverliebten LaVine verhalf er durch gute, am Rande der Legalität gestellte Blöcke zu den sechstmeisten Pick-andRoll-Punkten ligaweit. LaVine wurde freier als bei anderen Centern und kam unter anderem deshalb auf eine sehr gute Trefferquote von 44 Prozent. Im Spiel mit dem Rücken zum Korb macht Lopez keine Gefangenen: Genau dreieinhalb Postups erlaubten ihm die Bulls 2018/19, und Lopez nutzte seine Möglichkeiten. Einen Pass raus zum Mitspieler darf man jedoch nur in jedem zweiten Spiel erwarten – wenn Robin Lopez also den Ball unterm Korb bekommt, schließt er meistens selbst ab. Mit dem einhändigen Skyhook zaubert er Kareem Abdul-Jabbar jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, denn Lopez verwandelt diesen mit einer überragenden Trefferquote von 62 Prozent. Damit ist ein Lopez-Hookshot effizienter als ein Isolation-Dreier von James Harden – take that for data!

fazit

robin lopez Geburtstag: 01. April 1988 Größe: 2,13 Meter Gewicht: 123 Kilo Erfahrung: 11 Saisons

Stats 2018/19*: 15,8 PPG || 6,4 RPG 2,0 APG || 0,2 SPG 2,2 TPG || 56,8 FG% 22,6 3P% || 72,4 FT%

Advanced Stats: 13,5 PER || 18,7 USG 55,4 TS% || 5,7 RBR 22,3 AST**

Brook und Robin Lopez sind

Defensivschwachstelle und ist in

Antetokounmpo und Lopez auf dem

zwar Zwillinge, aber das sieht

den letzten Jahren nicht unbedingt

Feld erzielten die Gegner auf 100

man ihnen in der Verteidigung

schneller geworden.

Abschlüsse gerechnet mickrige

nicht an! Während Brook einer

Bruder Brook

101 Punkte, das muss man erst

der besten NBA-Verteidiger in

machte in Milwaukees tiefer

mal nachmachen! Offensiv sind

der Pick-and-Roll-Defense ist,

„Drop-Verteidigung“, bei der

die beiden Brüder inzwischen

*Auf 36 Minuten Spielzeit hochgerechnet

bereitet ein genaues Beobachten

man als Centerverteidiger

unterschiedliche Spielertypen, ohne

von Robins Defensivarbeit jedem

vorrangig Abschlüsse am Ring

die Dreierrevolution in der NBA

Coach Kopfzerbrechen. Robin

erschwert, einen exzellenten

wäre Robin mit seinen Postups

** PER – Player Efficiency Rating, USG – Usage Rate, TS% – True Shooting Percentage, AST – Assistrate, RBR – Reboundrate

ist zu langsam, schützt den Ring

Job. Er beobachtet genau die

möglicherweise der bessere

nicht und fokussiert sich zu

Intentionen des gegnerischen

Offensivspieler. Brook gewinnt

sehr auf den abrollenden Center,

Guards, arbeitet gerne mit

jedoch aufgrund der deutlichen

anstatt den ballführenden Guard

Verteidigertäuschungen und

Leistungsunterschiede in der

zu stoppen. In den Playoffs 2014

verfügt über einen schnellen ersten

Verteidigung dieses One-on-One-

mit Portland war er die größte

Sprung. Mit dem Defensivduo

Bruderduell in Milwaukee!

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Khem

Birch

Heart & Hustle Dass 2019 die Playoffs erreicht wurden, haben die Orlando Magic nicht zuletzt einem übersehenen Bankarbeiter zu verdanken: Big Man Khem Birch. Text: Christian Orban

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ie so viele Spieler musste sich Khem Birch seine NBA-Chance über Umwege hart erarbeiten. 2014 blieb der 2,06-Meter-Mann aus Montreal ungedraftet und ihm sodann der Sprung in einen NBA-Kader versagt. Es folgte je eine Saison in der D-League, in der Türkei und beim griechischen Powerhouse Olympiakos Piräus. Dabei konnte sich Birch vor allem durch solide Auftritte in der Euroleague (7,3 Punkte, 5,6 Rebounds und 1,0 Blocks) für höhere Aufgaben empfehlen. Im Sommer 2017 waren es schließlich die Orlando Magic, die den vormaligen UNLV Runnin’ Rebel unter Vertrag nahmen. Indes befand er sich weiterhin im Wartestand und verbrachte als NBA-Rookie viel Zeit beim G-LeagueTeam der Magic. Auch 2018/19 waren die Minuten hinter All-Star-Center Nikola Vucevic und Lottery-Pick Mo Bamba für Birch zunächst rar, wenngleich Headcoach Steve Clifford ihm versicherte, dass er gut genug für die Liga sei. Trotz aller Zweifel reagierte der heute 27-Jährige jedoch äußerst professionell: „Was auch immer ich tun soll, ich werde es tun. Ich werde bereit sein.“ Damit sollte er recht behalten. Denn nachdem Bamba Anfang Februar für den Rest der Saison mit einer Beinverletzung ausfiel, konnte sich Birch

endlich in der NBA beweisen. In 30 Partien – von denen die Magic 21 gewannen und damit ihre erste Playoffteilnahme seit 2012 einfuhren – steuerte er als Backup in 15,5 Minuten pro Partie 6,2 Punkte und 4,7 Rebounds (2,1 offensiv) bei und traf 63,7 Prozent seiner Feldwürfe. Dabei überzeugte Birch als einsatzvoller und rollenbewusster Arbeiter, der sich selbst nicht zu wichtig nimmt. „Ich bin nicht hier, um zu punkten oder der Held zu sein“, betonte der stille Kanadier. „Ich versuche nur, meiner Mannschaft beim Gewinnen zu helfen.“ Was offensichtlich funktionierte. Im Angriff stellt Birch hierzu harte, effektive Blöcke und bietet vertikales Spacing, da er exzellent zum Korb abrollt (81. Perzentil ligaweit). Fast 30 Prozent seiner Abschlüsse erfolgten im Vorjahr aus dem Pick-and-Roll, wobei er pro 36 Minuten die meisten Freiwürfe seines Teams zog. Zudem arbeitet der athletische Big Man energisch am offensiven Brett und bewegt sich als Cutter gut in freie Räume. Defensiv besticht Birch insbesondere mit seiner Agilität und Explosivität als Ringbeschützer. 2018/19 gestattete er in Korbnähe eine Trefferquote von nur 52,0 Prozent. Ligaweit war dies der achtbeste Wert unter allen Rotationsspielern, die pro Spiel mindestens drei dieser Würfe verteidigten.

Generell haben die Magic mit Birch auf dem Feld zuletzt in der Defense pro 100 Ballbesitze 5,2 Zähler weniger zugelassen (2017/18: 5,9). So hat er in seiner kleinen Rolle dazu beigetragen, Orlandos schwache Bank zu stabilisieren, und den Erfolgslauf gen Endrunde mit möglich gemacht. Nicht umsonst ließ Nikola Vucevic stellvertretend verlauten: „Jeder liebt es hier, mit ihm zu spielen.“ Folgerichtig haben die Floridianer Birch im Sommer mit einem neuen Zweijahresvertrag über sechs Millionen US-Dollar ausgestattet, der ihm endlich finanzielle Sicherheit gibt. Für seine Rolle als primärer Backup von „Vooch“ muss der selbstlose Erfolgshelfer in dieser Saison aber wiederum kämpfen. Denn Bamba ist mit 21 Jahren weiterhin ein Hoffnungsträger, der viel Potenzial birgt und zunächst mehr Einsatzzeit bekommen dürfte. „Ich glaube nicht daran, dass man seine Position wegen einer Verletzung verlieren sollte. Khem versteht das, und wir haben darüber gesprochen“, erklärt Coach Clifford. „Das bedeutet aber nicht, dass Khem nicht spielen wird.“ Vielmehr wolle er „nach Wegen suchen, um ihn bereit zu halten“. Eines sollte dabei klar sein: Wenn seine Nummer aufgerufen wird, wird Khem Birch beherzt beitragen. redaktion@fivemag.de

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Dewayne

Dedmon

Der Königshelfer Die Sacramento Kings wollen in dieser Saison endlich die Playoffs erreichen. Ein befähigter Rollenspieler, der ihnen dabei helfen soll, ist Dewayne Dedmon. Text: Christian Orban

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018/19 waren die Sacramento Kings eines der Überraschungsteams der NBA. Sie begeisterten mit temporeichem Offensivbasketball und erspielten ihre beste Saisonbilanz (3943) seit 13 Jahren, als die Franchise letztmals die Endrunde erreichte. Dass dem Team um De’Aaron Fox und Buddy Hield die lang ersehnte Playoffteilnahme verwehrt blieb, lag zuvorderst an der schwachen Defensive. So ließen die Kings sehr viele Dreier zu, sie beschützten den Ring denkbar schlecht und schickten den Gegner zu oft an die Freiwurflinie. Obendrein gaben sie durch ihre dürftige Reboundarbeit weitere leichte Punkte ab. Ein Spieler, der „Sacto“ heuer am eigenen Korb direkt weiterhelfen wird, ist Sommerzugang Dewayne Dedmon. Ausgestattet mit einem Dreijahresvertrag über 40 Millionen US-Dollar, ersetzt er auf der Centerposition Willie CauleyStein und damit einen unzulänglichen Ringbeschützer. Dedmon hat derweil in seinen sechs Profijahren defensiv stets überzeugt. Der Sevenfooter mit den langen Armen ist ein grundsolider Innenverteidiger, kompetenter Shotblocker und Help-Defender. Auch hält er gegen Ballführer im Pick-and-Roll ordentlich stand. Zudem putzt der 30-Jährige routiniert die Bretter, was den

reboundschwachen Kings gut zu Gesicht stehen sollte. Gleiches gilt für seine Einsatzfreude und ansteckende Energie. Im Angriff dürfte sich Dedmon als Ergänzungsspieler ebenfalls gut einfügen. Schließlich hat er sich in zwei Jahren in Atlanta (10,4 Punkte und 7,7 Rebounds) den Dreier angeeignet und diesen zuletzt verlässlich eingenetzt (38,2 Prozent Trefferquote bei 3,4 Versuchen pro Partie). Als Stretch-Big, der beim Pick-and-Pop 2018/19 ligaweit im 73. Perzentil rangierte, vermag er sonach das Feld weit zu machen und gemeinsam mit Edelschütze Hield sowie Harrison Barnes Räume für Aufbaudynamo Fox und Power Forward Marvin Bagley zu öffnen. Zumal Dedmon in Transition gern als Trailer agiert, der den Dreier anbringt und gegnerische Fünfer aus der Zone lockt. Zugleich rollt der wurfstarke Big Man dank seiner guten Fußarbeit und seines cleveren Stellungsspiels sehr effizient zum Korb ab, wo er exzellent finisht. Ohne ein Vertikalathlet zu sein, kann Dedmon daher in Ringnähe mit einer Karriere-Feldwurfquote von starken 69,6 Prozent aufwarten. Der Südkalifornier, der im Los Angeles County aufgewachsen ist und die USC besucht hat, bringt also gefragte Qualitäten mit, die sonst kein Big Man der Nordkalifornier vereint:

Abschlussstärke, Dreier plus Defense. Hinzu kommen die Erfahrung aus fünf NBA-Stationen und Dedmons NoNonsense-Attitüde. Diese war auch gefragt, da er in der Draft 2013 unberücksichtigt blieb und sich in der Folge über die Entwicklungsliga und Kurzzeitverträge in die NBA arbeiten musste. Dabei hat sich Dedmon bisher in jedem Profijahr verbessert gezeigt und in seiner Rolle solide abgeliefert. Als Passgeber bleibt er indes limitiert, was in einer Starting Five an der Seite von Bagley, Barnes und Hield nicht gerade ideal erscheint. Entsprechend muss Headcoach Luke Walton wohl kreativ werden, um im Halbfeld genügend Ballbewegung zu gewährleisten. Nicht zuletzt steht hinter Dedmons Gesundheit ein kleineres Fragezeichen. Schließlich verpasste er in den vergangenen beiden Spielzeiten aufgrund von Beinverletzungen jeweils 18 respektive 20 Partien. Gleichwohl ist er ein relativ junger 30-Jähriger, da er erst spät mit dem Basketball begonnen und nicht mehr als 350 NBASaisonspiele absolviert hat, von denen er 176 starten durfte. In jedem Fall werden die Kings ihren Three-and-DCenter brauchen, wenn sie erstmals seit 2006 die Playoffs erreichen wollen. redaktion@fivemag.de

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Giannis

Antetokounmpo

GIANNIS ANTETOKOUNMPO

BEGINS

Giannis Antetokounmpo ist der amtierende Most Valuable Player der NBA. Er zierte das Cover von „NBA 2K19“, bekam im Sommer seinen eigenen Signature-Schuh. Der Power Forward der Milwaukee Bucks ist vielleicht der beste Spieler der Welt. Doch vor allem ist er Giannis … auch wenn ihn viele nicht mal Mensch nannten. Text: André Voigt 28

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5 Grad im Schatten. Nicht ungewöhnlich für Athen im Hochsommer. Entsprechend steht die Luft im „Zografou AntetokounBros Municipal Gymnasium“. Thanasis Antetokounmpo schwitzt wie alle anderen in der Halle, wo der griechische Viertligist EFAO Zografou B.C. seine Heimspiele austrägt. „Hier waren wir in der Regel so sechs bis acht Stunden am Tag. Jeden Tag“, erzählt Antetokounmpo, während er den Blick schweifen lässt. Im Eingangsbereich des schmucklosen Betonbaus hängen an einer Wand vergilbte Bilder der ehemaligen ersten Herrenteams. An einer anderen befestigt Tesafilm Wachsmalbilder der weiblichen Basketballminis. Durch die Fenster an der Seite gegenüber den Tribünen scheint die unerbittliche Sonne auf das Parkett. Sie erhellt ein Feld, das mehr Schulturnhalle ist als Arena. Die einst von der Hallendecke hängenden Körbe, die mittels zweier Kurbeln heruntergelassen wurden, bleiben schon länger unbenutzt. Das Gestänge rostet friedlich vor sich hin. Modernere Standkörbe haben ihren Job übernommen. Die beiden Anlagen sind das Einzige, was hier mit diesem Adjektiv versehen werden darf. Alles ist so, wie es damals war, als für Giannis Antetokounmpo alles begann. Die Halle, die Tribüne, der kleine Röhrenfernseher nebst DVD-Player, die Gewichtsscheiben, von denen schon lange die Farbe abgeplatzt ist. Nichts hier ist Glamour, High End oder Gönnung. Es ist stickig, zu heiß, riecht zu sehr nach Schweiß. Aber so riecht halt Arbeit, so brennt Leidenschaft. Und doch ist nicht alles so wie früher. Denn an der Wand rechts neben dem Eingang hängen sie, die überlebensgroßen Poster der – so nennen sie sich heute, und auch ihre gemeinnützige Stiftung trägt diesen Namen – „AntetokounBros“. Die Antlitze von Thanasis, Kostas und natürlich Giannis – alle mit einem beigestellten NBA-Logo – zeigen, dass hier die Geschichte der Brüder ihren Anfang nahm. Thanasis Antetokounmpo zeigt auf das Geländer, das die 500 Fans fassende Tribüne begrenzt, die circa zweieinhalb Meter über dem Spielfeld ihr Ende findet. „Dort haben wir Klimmzüge gemacht.“ Wie viele ungefähr? Daran kann sich der 27-Jährige nicht mehr erinnern. „Tausende“, sagt er und lacht.

Keine Ausreden Das Zappeion liegt keine vier Kilometer vom Stadtteil Zografou entfernt, und doch sind es Welten. Das klassizistische Gebäude am südlichen Rand der Athener Innenstadt wurde von Evangelos Zappas gestiftet, dem Gründer der Olympien, des Vorläufers der Olympischen Spiele der Neuzeit.

Inmitten der beeindruckenden Architektur, in der wunderschönen Rotunde des heute als Kongresszentrum dienenden Bauwerks, stehen die Antetokounmpo-Brüder. Oder besser vier von ihnen. Fünf sind es insgesamt: Francis, Thanasis, Giannis, Kostas und Alexis. Bis auf Francis, den Ältesten, wurden sie alle in Athen geboren. Bis auf den Ältesten, der Fußballprofi wurde, spielen sie alle Basketball. Sie stehen

„Giannis kann werfen! Wenn du ihn gesehen hättest, als er 18, 19, 20 Jahre alt war, dann hättest du gesagt: ‚Das Einzige, was der Typ macht, ist werfen!‘“ Thanasis Antetokounmpo -----------

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in der Mitte des Zappeion und lachen. Einen besonderen Grund dafür brauchen sie in der Regel nicht, in diesem Fall aber haben sie einen in der Hand: Giannis’ ersten Signature-Schuh. Alle tragen sie „Freak“-T-Shirts und halten das für den Berühmtesten unter ihnen designte Schuhwerk in den Händen. Von oben brennt gnadenlos die Sonne. Von vorne streamen die Objektive der Kameras die Geschichte der AntetokounBros in die Welt. „Früher hatten wir nur uns: meine Eltern und wir Brüder. Wir lernten damals, hart zu arbeiten“, wird Thanasis Antetokounmpo einige Stunden später sagen. Damals, das war die Zeit vor der Anerkennung und dem Geld, das der Basketball mit sich brachte. Vor dem Sport. Die Zeit, in der die Brüder in der Plaka, der Altstadt Athens, als fliegende Händler unterwegs waren. In der sie staatenlos waren. Fremde in dem Land, das sie als ihr Land bezeichnen. „Wir lebten damals in der ständigen Angst,

ausgewiesen zu werden“, beschreibt der 24-jährige NBA-MVP. „Aber es gab diese Menschen, die uns das Gefühl gaben, willkommen zu sein.“ Giannis Antetokounmpo ist an diesem Wochenende im Juni zurück in Athen. Seiner Heimat. Dem Ort, an dem seine unglaubliche Reise zum Gipfel der Basketballwelt begann. Fünf Tage zuvor hatte er den MVP-Award 2018/19 entgegengenommen. Wenige Wochen vorher hatten seine Milwaukee Bucks als bilanzbestes NBA-Team der Saison eine 2-0-Führung in den Conference-Finals gegen die späteren Champs der Toronto Raptors aus der Hand gegeben. „Ich will dich nicht anlügen: Nach dem zweiten Spiel, als wir 2-0 in Führung lagen, meine Mitspieler und ich … wir grinsten uns an, weil wir dachten: ‚Wir spielen in den NBA-Finals!‘“, gibt Giannis Antetokounmpo in Athen selbstkritisch zu. „Was danach passierte … du kannst dich natürlich hinstellen und über allgemeine Dinge sprechen: dass wir besser unsere Dreier hätten treffen müssen, dass wir besser hätten rebounden müssen. Das bringt dich aber nicht weiter, du musst in die spezifischen Details gehen. Ich selbst muss das Spiel in so einer Serie einfacher für meine Kollegen machen.“ So war Giannis Antetokounmpo schon immer. Ausreden? Die Schuld bei anderen suchen? Das entsprach nie seinem Naturell. Dabei wäre es von Anfang an so einfach gewesen.

Ständige Angst Es ist das Jahr 1991, als Sani Abacha die Macht in Nigeria übernimmt. Der ehemalige General errichtet eine Militärdiktatur im ölreichen Land, die als eine der brutalsten in die Geschichte Nigerias eingehen wird. Abacha lässt politische Gegner verhaften oder hinrichten. Er schafft die Pressefreiheit ab, errichtet einen waschechten Polizeistaat. Charles und Veronica Adetokounbo beschließen, dass sie unter diesen Umständen nicht in ihrem Heimatland leben wollen. Sie flüchten als illegale Einwanderer nach Athen. Ihren Sohn Francis ziehen fortan die Großeltern in Nigerias Hauptstadt Lagos groß. In Griechenland angekommen, taucht das Ehepaar mehr oder weniger unter. Sie sind illegal in der EU, dürfen nicht arbeiten, haben keine Chance auf die griechische Staatsbürgerschaft. Charles verdient etwas Geld als Handwerker, Veronica bietet ihre Dienste als Babysitterin an und verkauft später auf den Straßen Athens alles, was sich für Geld vertreiben lässt. „Alles, was du dir denken kannst, haben wir damals verkauft“, erinnert sich Giannis Antetokounmpo. „Uhren, Taschen, DVDs, Spielzeug … alles.“ Das Paar lebt im Schlagschatten Athens und bekommt vier weitere Söhne, die allesamt staatenlos sind.

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Giannis

Sie haben weder Reisepässe noch eine Sozialversicherungsnummer … offiziell gibt es Thanasis, Giannis, Kostas und Alexis Antetokounmpo nicht. „Zwanzig Jahre lang waren meine Eltern illegal“, sagt Giannis, der am 09. Mai 2013 die griechische Staatsbürgerschaft verliehen bekam, genau wie seine Brüder … dass dies anderthalb Monate vor der NBA-Draft passiert, in der er als Erstrundenpick gilt, ist dabei kein Zufall. Der griechische Verband setzt sich für die Brüder ein, als feststeht, dass die drei ältesten NBAPotenzial besitzen. Die Behörden lenken ein und ändern seinen Nachnamen von Adetokounbo willkürlich zu Antetokounmpo … oder in griechischer „Es ist schwer, 20 Jahre ohne Papiere zu überleben. Sehr, sehr hart. Meine Eltern bekamen Kinder, sie mussten Arbeit finden – alles ohne Papiere“, erklärt Giannis Antetokounmpo. „Jeden Moment konnte die Polizei kommen und sie deportieren. Meine Eltern sind meine Helden.“ Es ist schwer vorstellbar, wie es die Familie überhaupt schafft, über die Runden zu kommen. „Wir zogen damals oft um, von einer Wohnung in die nächste. In der Regel hatten wir zwei Zimmer für unsere sechsköpfige Familie“, blickt Thanasis mit ernster Stimme zurück. „Wir wurden aus den Wohnungen geworfen, weil wir die Miete nicht zahlen konnten. So einfach ist das. Sobald wir nicht das nötige Geld hatten, mussten wir eine andere Bleibe finden.“ Selbst für das Essen reichen die Einnahmen der Familie oft nicht. Dabei greifen die Söhne der Mutter stets unter die Arme. „Meine Mutter verkaufte auf der Straße Sonnenbrillen, kleine Spielzeuge, solche Dinge. Wir halfen ihr dabei. Nur so konnten wir sicherstellen, dass wir ein Dach über dem Kopf hatten. Giannis war damals elf Jahre alt, ich 13, vielleicht waren wir etwas jünger“, berichtet Thanasis weiter. „Freizeit, wie sie andere Kids in unserem Alter haben, kannten wir gar nicht. Wir versuchten immer, Spaß und Arbeit zu verbinden. Wir überlegten uns Spiele, um Spaß zu haben.“ Giannis macht all das nichts aus. Er sieht sich als „Business Man“, das Verkaufen als Spiel. Er freut sich über die Zeit, die er mit seiner Mutter und seinem großen Bruder verbringen kann, den er anhimmelt. Es ist Thanasis, dem immer wieder neue Ideen kommen, um dem Alltag für kurze Zeit zu entfliehen. „Wenn wir zum Beispiel auf dem Basar waren, um zu verkaufen, fingen wir an, Münzen an eine Wand zu werfen“, lacht er. „Wessen Münze näher an der Wand liegen blieb, hatte gewonnen. Oder wir stoppten die Zeit, die wir brauchten, um vom Basar zu meiner Mutter zu laufen und Wechselgeld zu holen. Solche Dinge …“ Obwohl die Familie immer wieder umziehen muss, bleiben die

Antetokounmpo

Antetokounmpos in Sepolia, einem Stadtteil nördlich des Athener Zentrums. So können die vier Brüder in ihrer Schule bleiben. Gleichzeitig können die „Außenseiter“ in „ihrem“ Athen bleiben. Aber auch dort grassiert ein Rassismus, der den Antetokounmpos dauernd begegnet. „In unserer Schule gab es vier Kinder, die nicht weiß waren: meine drei Brüder und ich. Wir waren natürlich anders als der Rest“, erinnert sich Giannis. „Aber ich habe erst später realisiert, dass ich, als ich klein war, Rassismus gar nicht wirklich wahrgenommen habe, weil wir weiße Freunde hatten, die alles andere überlagert haben. Diese Freunde zu haben und die Worte meines Vaters, sein Rat, den Hass nicht in dein eigenes Herz zu lassen, das hat mir sehr geholfen. Deshalb geben wir unserem Land so viel zurück, deshalb fühlen wir uns als Griechen.“ Aber natürlich gibt es den Hass. Natürlich gibt es Menschen, die sie behandeln, als gehörten sie nicht zu Athen, als seien die Antetokounmpos keine Menschen. Es wäre ein Leichtes und nur allzu verständlich gewesen, wenn diese Zeit die Brüder für immer verbittert zurückgelassen hätte. „Rassismus gibt es überall. Meine Familie gab mir das Gefühl, zu Hause zu sein“, erklärt Thanasis. „Aber natürlich haben wir das erlebt, deshalb wollten wir in den Herzen dieser Menschen etwas verändern. Das war immer unsere Hoffnung. Wir mussten geduldig sein, weiter hart an uns arbeiten und daran glauben, dass am Ende alles gut wird.“ Der Basketballplatz des Viertels wird zu ihrem Zuhause, das kleine Eckcafé von Giannis Tsiggas, einen Freiwurf vom Freiplatz entfernt, zu einem zweiten Wohnzimmer. „Morgens, mittags, abends … immer spielten sie“, erinnert sich der grauhaarige Tavernenbesitzer mit der schwarzumrandeten Brille. „Nach jedem Training gab er uns Eis zum Essen“, sagt Giannis. Auch Sandwiches gibt es für die immer hungrigen Athleten. Als er mit der Schule fertig ist, fragt der heutige Superstar, ob er nicht bei Tsiggas im Café arbeiten könne, um etwas Geld für die Familie zu verdienen. „Er erwiderte nur: ‚Nein, du wirst morgens trainieren. Komm dann zurück und ruh dich aus. Wenn du etwas zu essen brauchst, kannst du hierherkommen und essen. Aber du arbeitest nicht in meinem Laden. Du wirst ein Basketballspieler‘“, erinnert sich Giannis. „Damals waren die Zeiten etwas schwieriger“, umschreibt Tsiggas. „Leider war die Nachbarschaft nicht immer hilfsbereit. Aber sie haben es geschafft. Niemand konnte etwas Schlechtes über die Antetokounmpos sagen. Sie waren eine sehr höfliche Familie. Sie lächelten immer und überall. Die Armut und die schwierigen Zeiten gaben Giannis später seine Bodenhaftung.“

Und so wird Sepolia zur Heimat, hier finden die Antetokounmpos eine Komfortzone, die unfassbar wertvoll ist. Jeder kennt sie, und sie kennen jeden. Gehen sie heute durch die engen Straßen, kommen sie nicht sehr weit, bis es Umarmungen und Küsse auf die Wangen setzt. „Du brauchst Hilfe. Von Nachbarn, der Kirche, den Trainern. Dir helfen so viele Menschen, wenn du sie fragst. Dieser alte Spruch ‚Es braucht ein Dorf, um ein Kind aufzuziehen‘ trägt viel Wahrheit in sich. Ich hatte eine Menge Hilfe, und diese Menschen haben mich unfassbar motiviert“, ist Giannis für die Hilfe damals dankbar. „Es ist Wahnsinn … mein Vater half uns sehr, indem er uns beibrachte, wie wir damit umgehen. Er zeigte uns, dass wir Hass nicht mit Hass begegnen dürfen. Natürlich habe ich Rassismus am eigenen Leib erlebt, aber ich hatte auch immer Menschen um mich herum, die mir nicht das Gefühl gegeben haben, dass ich weniger wert bin als sie.“

Der Scout & Gott Basketball war jedoch nicht Giannis’ erste Liebe. Das war der Fußball. Francis Antetokounmpo wurde Profi, Vater Charles hätte es fast geschafft. Giannis Antetokounmpo ist zwölf Jahre alt, als der Basketball ihn findet … und zwar in Person von Spiros Velliniatis. Velliniatis ist Talentsucher. Als er eines Tages in Sepolia an den Freiplätzen vorbeischaut, traut er seinen Augen nicht. Dort spielen zwei hoch aufgeschossene Jugendliche Fangen statt Basketball. Und trotzdem beeindrucken Thanasis und Giannis Antetokounmpo den Scout nachhaltig. „Giannis und seine Brüder jagten sich einfach“, erinnert sich Velliniatis. „Ich sah überragende Auffassungsgabe, wie sie die Richtung wechselten, und diese Leidenschaft für das Gewinnen … wenn du deine Augen aufmachst, kannst du auch Talent sehen, wenn eine Person keinen Ball am Fuß oder in der Hand hat.“ Er ist so beeindruckt, dass er sogar an eine Eingebung von Gott glaubt. „Ich fragte: ‚Vater im Himmel, sehe ich das hier richtig? Warum ich?‘“, verriet er einmal der „New York Times“, „und Gott antwortete: ‚Wenn nicht du, wer sonst?‘“ Doch mit der Entdeckung beginnt erst die Arbeit für den ehemaligen Coach. Auf der einen Seite muss er einen Klub finden, der Giannis und Thanasis aufnimmt – beiden fangen quasi bei null an. Auf der anderen Seite muss er die Eltern überzeugen, dass es sich lohnt, Zeit in den Sport zu investieren … und dazu noch in den Basketball. Er verspricht den Eltern, ihnen Jobs zu verschaffen, die ihnen 800 Euro im Monat bringen werden. Beides schafft Velliniatis. Der damals noch in der dritten Liga spielende EFAO Zografou B.C. sucht händeringend nach Talent.

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„Ich fragte: ‚Vater im Himmel, sehe ich das hier richtig? Warum ich?‘, und Gott antwortete: ‚Wenn nicht du, wer sonst?‘“ Spiros Velliniatis -----------

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Velliniatis wird der erste Coach der AntetokounBros. Knapp sechs Kilometer legen die Brüder zurück, um zur Halle zu kommen … und wieder sechs auf dem Rückweg. Manchmal sind sie nach einem langen Trainingstag plus Kraftraum so erschöpft, dass sie auf Matten in einer Kabine schlafen. Aber das ist nicht der einzige Grund für diese Übernachtungen. Es kommt immer wieder zu Übergriffen auf Migranten durch Anhänger der rechtsextremen Partei der „Goldenen Morgenröte“ – auch deshalb schlafen die Antetokounmpos lieber in der Halle. Sie haben Angst, sechs Kilometer durch die Nacht nach Hause zu laufen. Die Hingabe zum Sport kommt indes nicht von ungefähr. Sie ist das Ergebnis der Erziehung von Victoria und Charles. „Ich bin in einem nigerianischen Zuhause aufgewachsen“, weiß Giannis Antetokounmpo. „Natürlich wurde ich in Griechenland geboren, ich ging hier zur Schule. Aber am Ende, wenn ich nach Hause komme, gibt es da keine griechische Kultur. Es ist nigerianische Kultur, in der geht es um Disziplin, Respekt vor den Älteren, um eine strenge Moral.“ Basketball wird schnell zu mehr als nur einem Spiel, der Sport wird zur Hoffnung für die ganze Familie. Deshalb stecken die beiden Brüder all ihre Kraft in den Sport – immer unterstützt von ihren Eltern. „Meine Mutter hat meine Zukunft gesehen“, sagt Giannis. Sie treibt ihn damals an, immer weiterzuarbeiten. Sie installiert einen Hunger, der bis heute nicht zu stillen ist. „Sie ist mein Vorbild, die stärkste Frau, die ich kenne, nichts haut sie um. Sie hat fünf Söhne. Sie musste tough sein, und sie ist auch wie ein Mann in vielerlei Hinsicht. Ich möchte für sie immer besser werden.“ Deshalb schlafen die beiden in der stickigen Halle des EFAO Zografou B.C. Deshalb die unzähligen Klimmzüge, die vielen Sprints die Tribünentreppen hinauf. Deshalb teilen sich Thanasis und Giannis selbst in Spielen ein Paar Basketballschuhe. Sie arbeiten, genau wie sie es auf den Straßen der Plaka gemacht haben. Die Abende auf „ihrem“ Freiplatz mit ihren Freunden, den heute ein großes Giannis-Graffiti schmückt, die Sessions im Internetcafé, wo sie sich Highlightvideos der NBA-Stars anschauen … das ist der Spaß, die Belohnung. Der Sport gibt den Brüdern aber noch mehr: Das Gefühl, dazuzugehören, wird immer stärker. Bald kennt in Sepolia so ziemlich jeder die perfekt Griechisch sprechenden Basketballverrückten mit dem ansteckenden Lachen. Es entstehen Freundschaften für die Ewigkeit – Basketball als Mittel zur Integration. „Ich kann nach Sepolia zurückgehen und Giannis sein. Das mache ich jedes Jahr, und ich versuche, meinem Viertel dort etwas zurückzugeben“, erklärt Giannis. „Es macht immer Spaß, normal sein zu können. Dort bin ich

nicht der ‚Greek Freak‘ oder ‚Giannis Antetokounmpo‘ … ich bin einfach nur ‚Giannis‘. In meinem Viertel behandeln sie mich, als wäre ich nie fortgegangen.“ Das gilt auch für Thanasis, seinerseits mittlerweile ebenfalls NBAProfi bei den Milwaukee Bucks. Als er und seine Brüder ein Streetball-Turnier besuchen, welches Giannis’ Ausrüster Nike organisiert, sprechen zwei Youngsters ihn und Alexis an. Die offiziellen Spiele sind bereits beendet, beide warten darauf, dass Giannis die letzten Medientermine des Tages bewältigt. Also willigt Thanasis ein, mit seinem Bruder gegen die beiden Teenager ein schnelles Zwei-gegen-zwei zu absolvieren. In der gleißenden Mittagssonne wird gedunkt, verteidigt, geschwitzt. „Warum sollte ich das nicht machen?“, erwidert Thanasis auf die Frage nach dem Warum. „Wir wollen ein Vorbild sein für Kids wie diese beiden. Es braucht ein Dorf, um ein Kind aufzuziehen!“ Die Antetokounmpos sehen sich weiter als Teil dieser Dorfgemeinschaft.

Man of Mystery Als das Talent von Giannis immer offensichtlicher wird, wird die kleine Halle von Filathlitikos zum Pilgerort für Scouts aus aller Welt. Angetan von schlecht aufgelösten YouTube-Videos, machen sie sich auf nach Athen. Wohin auch sonst? Antetokounmpo hat keinen Reisepass. Er kann nicht für die griechischen Jugendnationalmannschaften spielen, darf das Land nicht verlassen. Also sitzen die Scouts oder General Manager der NBA und einiger europäischer Spitzenklubs auf den weißen Plastikstühlen am Spielfeldrand. Kommunizieren dürfen sie offiziell nicht mit dem Supertalent. „Bucks-Manager John Hammond war hier – der Mann, der mich gedraftet hat“, lacht Giannis. „Er saß am Rand, während wir trainierten, und rief einfach nur so Sachen wie: ‚Mann, wird der gut!‘“ Als Antetokounmpo immer mehr in den Fokus rückt, besteht plötzlich auch die Chance, griechischer Staatsbürger zu werden. Doch da sich der Prozess hinzieht, kann er nicht in den USA bei interessierten Teams vorspielen. Er bleibt bis zum DraftAbend ein „International Man of Mystery“, ein Projekt, ein Risiko. Nur deshalb können ihn die Milwaukee Bucks überhaupt an 15. Stelle draften. Vor ihm werden 14 Spieler gezogen, von denen bis heute nur Victor Oladipo (zwei Mal) in ein All-Star-Team gewählt wurde. Der Rest ist Geschichte … Erfolgsgeschichte. Giannis Antetokounmpo ist amtierender MVP und ein Basketballer, den es so kein zweites Mal auf dieser Welt gibt. Natürlich fehlt ihm noch der sichere Dreier, der Sprungwurf aus dem Dribbling. Thanasis Antetokounmpo ist sich jedoch sicher,

NBA-DRAFT 2013 Wurde jemals in der NBA-Neuzeit eine Gruppe von schlechteren Spielern vor einem späteren MVP gezogen als 2013? Pick 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

Team CLE ORL WAS CHA PHO NOH SAC DET MIN POR PHI OKC DAL UTA MIL

Spieler Anthony Bennett Victor Oladipo Otto Porter Cody Zeller Alex Len Nerlens Noel Ben McLemore K. Caldwell-Pope Trey Burke C.J. McCollum M. Carter-Williams Steven Adams Kelly Olynyk Shabazz Muhammad G. Antetokounmpo

Uni/Klub UNLV Indiana Georgetown Indiana Maryland Kentucky Kansas Georgia Michigan Lehigh Syracuse Pitt Gonzaga UCLA Filathlitikos

dass diese Kritikpunkte schon bald der Vergangenheit angehören. „Giannis kann werfen! Wenn du ihn gesehen hättest, als er 18, 19, 20 Jahre alt war, dann hättest du gesagt: ‚Das Einzige, was der Typ macht, ist werfen!‘“, beteuert der ältere Bruder. „Aber ihm ist dasselbe passiert wie mir: Als wir unseren Wachstumsschub bekamen und unsere Athletik sich verbesserte, konnten wir jedes Mal im Angriff dunken. Warum also noch werfen? Na klar: Wenn du etwas nicht jeden Tag trainierst, dann wirst du schlechter. Doch in dieser Saison wirst du sehen, dass Giannis an der Dreierlinie okay sein wird.“ Der Rest der Liga wird das nicht gern lesen. Doch „Game recognizes game“. Die NBA weiß, wie gut Giannis Antetokounmpo ist – und dass er noch besser werden wird. Sein Weg ist anders als der der meisten Superstars. Sein Hunger ist so groß wie damals in Sepolia. „Viele Dinge treiben mich an … meine Familie ist meine Basis, sie motiviert mich jeden einzelnen Tag. Meine jüngeren Brüder treten gerade erst in meine Fußstapfen, mein älterer Bruder hat eine großartige Karriere“, sagt er mit Blick auf die Zukunft. „Aber am Ende des Tages werde ich nie vergessen, was mich überhaupt zu diesem Punkt gebracht hat: harte Arbeit. Ich wollte immer, dass mir diese Dinge – der MVP, ein eigener Schuh, das Cover eines Videospiels – widerfahren. Jeden Tag alles zu geben, hat mich auf dieses Level gebracht, warum also damit aufhören?“ Wie die Sommersonne in Athen, so brennt auch der Hunger in Giannis Antetokounmpo unerbittlich weiter. „Nach der Serie gegen die Raptors suchte ich nach einer Antwort auf die Frage, ob ich etwas anders hätte machen können. Ich muss einfach besser werden.“ dre@fivemag.de

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MOST IMPROVED PLAYERS A C H T U N G , A U S B R U C H S G E F A H R !

Es ist der natürliche Lauf in der NBA: Junge Spieler reifen, werden kräftiger, erfahrener, blicken größeren Aufgaben entgegen. Für viele macht es ab dem dritten oder vierten Profijahr richtig „klick“ – kein Wunder also, dass die „Most Improved Players“ in der Regel aus genau diesem Alterssegment stammen. FIVE hat zum Saisonstart die aussichtsreichsten Kandidaten für diesen Award sondiert und dabei die Zweitjahresprofis wie immer außer Acht gelassen.* Text: Sebastian Dumitru

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* Warum die Sophomores auf diesen Seiten keine Erwähnung finden? Vom ersten zum zweiten NBA-Jahr macht jeder Spieler einen Sprung – weil er dann einfach weiß, wie es in der Liga läuft.

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DE’AARON FOX POINT GUARD SACRAMENTO KINGS ALTER: 21 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 17,3 PPG, 7,3 APG, 3,8 RPG, 1,6 SPG, 31,4 MPG Fox landete bereits in der vergangenen Saison auf vielen MIP-Listen. Der junge Point Guard der Sacramento Kings verbesserte seinen Scoring- und Assistschnitt um mehr als 50 Prozent, bekam sowohl seinen Distanzwurf als auch seine Assist-zu-Ballverlust-Rate in den Griff, etablierte sich als einer der dynamischsten jungen Point Guards in der National Basketball Association. Dabei ist er immer noch erst 21 Jahre jung und hat noch immens viel Luft nach oben. Der statistische Sprung zum 20-Punkte-10-Assists-Mann ist nicht allzu weit weg. Die Pace bei den Kings ist mit weit über 100 Ballbesitzen hoch genug, um die für den MIP-Sieg notwendigen Basis-Statistiken zu erreichen. Auch in puncto Effizienz hat Fox noch viel Entwicklungsspielraum – vor allem in der Mitteldistanz, wo er dank seines explosiven Antritts oft viel Platz hat, aber (noch) zu viele Zähler liegen lässt. Ein bisschen mehr wie Chris Paul soll Fox spielen, das verriet sein Personal Trainer und Agent Chris Gaston. Knapp 25 Punkte und zehn Assists pro Partie erwarten De’Aaron Fox und sein Umfeld. Sollte der Drittjahresprofi diese Werte tatsächlich erreichen und die aufstrebenden Kings sogar in die Playoffs führen, dann wird sein Name am Ende fallen müssen, wenn die drei Finalisten für diesen Award bekannt gegeben werden.

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TERRY ROZIER POINT GUARD CHARLOTTE HORNETS ALTER: 25 NBA-ERFAHRUNG: 4 JAHRE STATS 2018/19: 9,0 PPG, 3,9 RPG, 2,9 APG, 0,9 SPG, 22,7 MPG Einer der Topfavoriten auf den Award in der kommenden Saison ist mit Sicherheit Charlottes neuer Point Guard: Terry Rozier. Dabei erhielt der 25-Jährige bereits vor zwei Jahren einige Stimmen in diesem Rennen, die Auszeichnung ging damals bekanntlich an Victor Oladipo. Ein schwaches Jahr 2018/19 in einer kollektiv enttäuschenden Saison der Boston Celtics drückte Roziers Marktwert zuletzt in den Keller. So dachten zumindest viele, denn Charlotte flog ein und schnappte sich den Free Agent für satte 58 Millionen Dollar über drei Jahre. Die Abgänge von Kemba Walker und Jeremy Lamb haben dort eine riesige Lücke hinterlassen (knapp 41 Punkte und 33 Wurfversuche pro Partie), die irgendjemand füllen muss. Eben: Terry Rozier. Der wird im System von Coach James Borrego nicht nur den Ball in der Hand halten und Offense kreieren müssen, sondern sieht beim Blick über seine Schulter auch dauergrünes Licht für die eigenen Abschlüsse. Viele erinnern sich sicherlich noch an Roziers spektakuläre Leistungen in den Playoffs 2018, als er anstelle des verletzten Kyrie Irving 16,5 Punkte, 5,3 Rebounds und 5,7 Assists pro Einsatz zustande brachte – Werte, die er in einem dünnen und größtenteils talentbefreiten HornetsKader locker übertrumpfen kann. Gut 50 Prozent mehr Spielzeit bedeutet bei NBASpielern in der Regel 30 bis 40 Prozent mehr Produktivität. „Scary Terry“ durfte in Boston nur selten zeigen, dass er das Zeug zu einem NBA-Starter hat. In Charlotte stehen ihm zumindest in der kommenden Saison alle Türen offen. Auch die in den Raum mit der „MIP“-Trophäe.

JAYSON TATUM FORWARD BOSTON CELTICS ALTER: 21 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 15,7 PPG, 6,0 RPG, 2,1 APG, 1,1 SPG, 31,1 MPG Ist Jayson Tatum bereits „zu gut“, um sich in dieser Vorschau wiederzufinden? Muss der junge Celtic nicht in dieselbe Kategorie gesteckt werden wie seine beiden RookieKollegen Ben Simmons und Donovan Mitchell, die allesamt denselben Jahrgang anführten und in unserem TripleFeature in der FIVE #150 auftauchten? Jein. Tatum startet viel weiter oben als die meisten seiner Konkurrenten um diesen Award in der kommenden Saison. Vegas räumt ihm aber auch die besten Chancen ein, die Auszeichnung abzustauben. Was unterscheidet ihn also von Simmons und Mitchell? Seine völlig neue Rolle bei den Boston Celtics, die nicht nur Kyrie Irving und Al Horford verloren, sondern zunächst auch nichts mehr mit der Titelvergabe zu tun haben werden. Tatum wird eine viel prominentere Rolle im Angriff einnehmen und den Rekordmeister als erste Scoring-Option bei den Punkten und Wurfversuchen anführen, während sich Neuzugang Kemba Walker auf den Spielaufbau bei den Grünen konzentrieren kann. Damit einher geht ein neues Anforderungsprofil und Tatums wiedergefundene Hingabe, der beste Spieler an beiden Enden zu sein. Die Zeiten, in denen er zu den schlechtesten Mitteldistanzschützen der Liga von der rechten Freiwurflinienecke zählen wird, dürften vorbei sein. Er hat im Sommer nicht nur Muskelmasse zugelegt, sondern will in zwei Bereichen beweisen, dass er Bostons Franchise-Player sein kann: in der Defensive (wo er im Vorjahr stagnierte) und als Scorer, vor allem von jenseits der Dreierlinie und am Ring. Mehr Masse und Fokus beim Drive sollte für Tatum bedeuten: mehr Freiwurfversuche plus mehr Platz draußen. Die Preseason zeigte bereits, dass Tatum sein Wurfprofil angepasst und die enttäuschende Vorsaison zu den Akten gelegt hat. Eine große Saison steht ihm bevor!

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CARIS LEVERT WING BROOKLYN NETS ALTER: 25 NBA-ERFAHRUNG: 3 JAHRE STATS 2018/19: 13,7 PPG, 3,8 RPG, 3,9 APG, 1,1 SPG, 26,6 MPG Ein Mann, dessen Namen emsige NBA-Fans bereits vor einem Jahr in diesen Kreisen vernehmen konnten, landet heuer erneut auf der MIP-Liste: Caris LeVert, der mittlerweile schon 25 Jahre alt ist, allerdings erst drei Jahre in der NBA absolviert hat. „Baby Durant“ startete fulminant in die Saison 2018/19, ehe ihn ein Beinbruch monatelang außer Gefecht setzte. Gegen Ende der regulären Spielzeit war LeVert aber wieder zurück und bewies in den Playoffs endgültig, warum viele in ihm einen der kommenden Stars der Liga sehen. Seine Athletik, seine starke Defense, sein explosiver Drive und seine überraschenden Spielmacher-Qualitäten aus dem Dribbling prädestinieren ihn für diesen Award – wenn nur das plötzlich tiefe Team der Nets nicht wäre. Neben Kyrie Irving, der den Ball dominieren wird, muss sich LeVert auf dem Flügel nämlich mit Spencer Dinwiddie, Joe Harris, David Nwaba, Dzanan Musa, Garrett Temple und später auch noch Wilson Chandler um Minuten streiten. Das könnte ihm die notwendigen Touches und Würfe vorenthalten. Vegas sieht das ebenso. Für die Nets ist seine Präsenz enorm wichtig: Sie verlängerten ihren jungen Edelstein um drei Jahre, trotz der Präsenz von Irving und Kevin Durant. Kann LeVert, der schon jetzt ein verheerender Scorer ist und neben Irving vermutlich die meisten Würfe abfeuern wird, ein effizienterer Schütze werden (Karriere 32,9 Prozent Dreier)? Er wird es früher oder später werden müssen, um dann an der Seite von Irving und Durant auch als dritte Geige im Nets-Konzert zu performen.

JAYLEN BROWN GUARD/FLÜGEL BOSTON CELTICS ALTER: 23 NBA-ERFAHRUNG: 3 JAHRE STATS 2018/19: 13,0 PPG, 4,2 RPG, 1,4 APG, 0,9 SPG, 25,9 MPG Sollte Tatum wider Erwarten nicht zünden wie geplant, wartet ein zweiter Flügelspieler in Boston auf seinen Durchbruch. Den deutete Jaylen Brown – wie alle jungen Celtics – bereits vor zwei Jahren an, ehe die Funktionsgestörtheit der Grünen und der ungelenke Versuch, Gordon Hayward zu reintegrieren, auch seine Rolle zuletzt massiv einschränkten. Die Folge: eine statistische Regression, bedingt durch gesunkene Spielanteile und eine zumeist unklare Rolle. Der ehemalige dritte Pick zählt seit seinem Debüt für Boston zu den wichtigsten Two-Way-Playern für Brad Stevens, ohne sich eine klar erkennbare Stärke angeeignet zu haben. Die Fluidität seiner Aufgaben und Rolleninterpretation macht Brown zu der vielseitigen Allzweckwaffe, die Teams auf dem Flügel gerne einsetzen. Ein bevorstehendes „Contract Year“ – Boston lässt seine jungen Spieler in der Regel in die Restricted Free Agency eintreten, wie die zurückliegenden vier, fünf Jahre gezeigt haben – könnte Brown nicht nur sein komplettestes Jahr entlocken. Es könnte ihn letzten Endes auch außerhalb dessen katapultieren, was die Celtics finanziell berappen wollen.

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JONATHAN ISAAC WING ORLANDO MAGIC ALTER: 22 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 9,6 PPG, 5,5 RPG, 1,1 APG, 1,3 BPG, 0,8 SPG, 26,6 MPG

DEJOUNTE MURRAY

In geheimen (und nicht ganz so geheimen) Kreisen wird der Wing-Player der Orlando Magic als möglicher „MIP“Kandidat gehandelt. Viele würden am liebsten sofort sehen, was Jonathan Isaac mit mehr Spielanteilen leisten kann. Das Team aus Florida bleibt derweil geduldig und führt den 22-Jährigen langsam heran. Das machen sie gerne so in Orlando. Im kommenden Jahr (seinem dritten) könnte der ehemalige sechste Pick endlich alle Anlagen zusammenbringen. Seine unfassbare Länge, seine Athletik und seine defensiven Instinkte waren bereits von Tag eins an sichtbar. Isaac kam kräftiger aus dem Sommer zurück. Je mehr er in seinen Körper hineinwächst, desto gefährlicher wird er auch am offensiven Ende, wo er bisher mit winzigen Nutzungsraten über einen Komplementärspieler nicht hinauskam. Außer in Transition, per Pullup und nach Cuts trat Isaac selten in Erscheinung. Hier wird er mit mehr Selbstvertrauen in seinen Dreier, an dem er viel gefeilt hat, auch den geliebten One-Dribble-Pullup häufiger abfeuern können, wenn ihn Defensiven an der 7,24-Meter-Linie respektieren müssen.

POINT GUARD SAN ANTONIO SPURS ALTER: 23 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2017/18: 8,1 PPG, 5,7 RPG, 2,9 APG, 1,2 SPG, 21,5 MPG Emsige Leser unserer Season-Preview-Ausgabe #162 wissen Bescheid: Dejounte Murray schaffte als jüngster Spieler aller Zeiten den Sprung in ein All-Defensive-Team. Das war vor zwei Saisons, ehe ihn ein Kreuzbandriss die gesamte Spielzeit 2018/19 außer Gefecht setzte. Jetzt ist der 29. Pick 2016 zurück und bereit, nicht nur wieder Basketball zu spielen, sondern zu dem Star zu avancieren, den sein Coach Gregg Popovich von Anfang an in ihm gesehen hat. Es wird sicherlich ein Weilchen dauern, ehe der 23-Jährige in Schwung gekommen ist. Das ist nicht unüblich, wenn ein Spieler so viel Rost abschütteln muss. Es fällt dennoch nicht schwer, sich vorzustellen, dass ein älterer, reiferer und kräftigerer Murray als Vollzeit-Starter auf der Eins seine bisherigen Karrierebestwerte (8,1 Punkte, 5,7 Rebounds, 2,9 Assists und 1,2 Steals pro Abend) pulverisiert. Dass er beim Rebounding und defensiv – Gesundheit vorausgesetzt – erneut zu den Ligabesten auf den GuardPositionen zählen wird, kann erwartet werden. Seine Länge und Antizipation sind exquisit, San Antonios statistischer Absturz hatte vor allem auch mit Murrays Fehlen zu tun. Sein Wachstum als Spieler wird der Youngster aber in der Offensive unter Beweis stellen müssen. Zwei Bereiche stehen besonders im Fokus: Shooting und Playmaking. Vor zwei Jahren war Murray als Dreierschütze überhaupt kein Faktor, die Offensive performte zudem in allen Aspekten schlechter, wenn er auf dem Parkett stand. Vor allem im Pick-and-Roll wird er smarter und entschiedener agieren müssen, um zum Plus-Angreifer zu reifen. Kann sein, dass Popovich ihn langsam wieder heranführt. Murray dürfte dennoch besser zurückkehren als jemals zuvor.

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BAM ADEBAYO BIG MAN MIAMI HEAT ALTER: 22 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 8,9 PPG, 7,3 RPG, 2,2 APG, 0,9 BPG, 0,9 SPG, 23,3 MPG „Bam-Bam“ hat endlich freie Bahn in Miami, mehr als 23 Minuten im Schnitt auf dem Parkett zu stehen. Hassan Whiteside ist in Portland, Kelly Olynyk und Meyers Leonard lungern lieber am Halbkreis herum und feuern Jumpshots ab. Bam Adebayo wird sich also unter den Brettern austoben können, wo seine Länge und Gewandtheit für Wirbel sorgen. Sein Passspiel ist überraschend ausgefeilt. Sein Rebounding und seine Fähigkeiten, sowohl mit Power als auch mit Finesse abzuschließen, untermalen seine Vielseitigkeit, die auch am defensiven Ende durchschimmert. Egal ob beim Beschatten in der Zone oder beim Hedgen gegen kleinere Spieler im freien Raum – der 115-KiloMann ist flink auf den Beinen. Adebayo ist außerdem ein ausgezeichneter Freiwurfschütze (72,8 Prozent Karriere), der im Sommer auch an seinem Distanzwurf gearbeitet hat. Kein Wunder also, dass ihn Miami auf Biegen und Brechen nicht in ein eventuelles Tradepaket für Russell Westbrook packen wollte: „Bam-Bam“ ist ein integraler Bestandteil der Zukunftsplanungen von Pat Riley. Eine bevorstehende Double-Double-Saison und ein ständiges Wachstum werden auch allen Außenstehenden zeigen, warum das so ist.

LONZO BALL POINT GUARD NEW ORLEANS PELICANS ALTER: 22 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 9,9 PPG, 5,4 RPG, 5,4 APG, 1,5 SPG, 30,3 MPG Der ehemalige zweite Pick kam nach zwei Jahren in Los Angeles im Anthony-Davis-Trade zu den Pelicans. Dort will er zeigen, dass das Dauerdrama in Tinseltown viel mehr mit seinem langsamen Start in die NBA zu tun hatte als seine mangelnden Fähigkeiten auf der Point-Guard-Position. Die Kritiker fühlen sich indes nach zwei wenig beeindruckenden Jahren bestätigt. Balls katastrophaler Wurf – er hat bisher in seiner Karriere nur 38,0 Prozent seiner Feldwürfe, 31,5 Prozent seiner Dreier und peinliche 43,7 Prozent seiner Freiwürfe versenkt – machte ihn bisher zur dankbaren Zielscheibe. Dass sein Wurf mechanisch völlig verkorkst war, machte es noch einfacher, auf ihm herumzuhacken. Zumindest der eingedrehte Korkenzieher-Jumpshot scheint aber nach hartem Training der Vergangenheit anzugehören. Steigert Ball seine Treffsicherheit auf zumindest respektable Werte, winkt ihm ein massiver statistischer Sprung. Defensiv zählt der 22-Jährige bereits jetzt zu den Guards mit dem meisten Einfluss. Auch sein Rebounding, sein Passspiel und sein Basketball-IQ platzieren ihn in diesen Kategorien unter den Besten auf seiner Position. Alles, was Ball also fehlt, sind eine konstantere Rolle, mehr Spielanteile als zuletzt in L.A. (seine Nutzungsrate sank nach der Ankunft von LeBron James) und konstantere Werte als Scorer. In New Orleans zählt Lonzo Ball neben Zion Williamson, Brandon Ingram, Jaxson Hayes und Josh Hart zum Kern für die Zukunft. Er wird dort alle Möglichkeiten bekommen, sein Spiel endlich auf einem für einen Nummer-zwei-Pick angemessenen Niveau zu stabilisieren.

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BRANDON INGRAM FORWARD NEW ORLEANS PELICANS ALTER: 22 NBA-ERFAHRUNG: 3 JAHRE STATS 2018/19: 18,3 PPG, 5,1 RPG, 3,0 APG, 0,6 BPG, 0,5 SPG, 33,8 MPG Neben Ball erhielten die Pelicans bekanntlich einen zweiten ehemaligen Nummer-zwei-Pick aus Los Angeles: Brandon Ingram. Auch er fiel der Personalpolitik und damit einer einhergehenden Veränderung der Prioritäten auf und neben dem Parkett in L.A. zum Opfer. Im „Bayou“ kann der erst 22-Jährige seine Vielseitigkeit künftig über weitere Strecken unter Beweis stellen, als das bei den Lakers der Fall war. Dabei überzeugte Ingram sogar, solange er nicht neben LeBron James auf dem Parkett stand und den Spalding selbst in der Hand halten durfte. Mit 18,3 Punkten und 3,0 Assists im Schnitt bei einer bisher karriereführenden True-Shooting-Quote von 55,5 Prozent legte der 2,06-Meter-Mann die Messlatte zum dritten Mal in drei Jahren höher, bevor ihn eine Gefäßerkrankung („DVT“ – tiefe Venenthrombose) die letzten Saisonmonate zum Zuschauen zwang. Mittlerweile ist Ingram wieder kerngesund, seine Länge sowie die Übersicht als Spielgestalter sind wie gemacht, um im schnellen System von Coach Alvin Gentry zu funktionieren. Der neue Pelicans-Manager David Griffin schwärmt von Ingrams Fähigkeit, dank monströser Spannweite und Treffsicherheit von innen auch auf Power Forward zu spielen. Ingrams Scoring-Schnitt lag bereits weit oben – macht er aber defensiv den anvisierten Sprung zum klaren Plusspieler, hat er gute Aussichten auf den MIP-Award.

OG ANUNOBY FORWARD TORONTO RAPTORS ALTER: 22 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 7,0 PPG, 2,9 RPG, 0,7 APG, 0,7 SPG, 20,2 MPG Der junge Flügel und frischgebackene NBA-Champion wird in der kommenden Spielzeit mit ziemlicher Sicherheit seine bisher besten Leistungen in seiner noch jungen NBA-Karriere zeigen. Schließlich sind zwei Starter auf den Außenpositionen, Kawhi Leonard und Danny Green, seit dieser Offseason in Los Angeles. Anunoby brauchte nicht lange, um sich die beiden Neuzugänge Rondae Hollis-Jefferson und Stanley Johnson vom Leib zu halten und sich in der Startformation festzuspielen. Dort stand er bereits während seiner RookieSaison 2017/18 (74 Partien, 62 Starts), ehe ihn vor allem Leonards Ankunft im Vorjahr auf die Bank verbannte. Seine ausgezeichnete Verteidigung und der Fakt, dass er Schritt für Schritt durch die sportliche Entwicklung der Raptors-Franchise ging, machen ihn zu einem verlässlichen Rotationsspieler für Coach Nick Nurse. Anunoby hat von Leonard gelernt: Er ist geduldig, kennt seine Aufgaben und versucht nie, noch mehr zu machen. Das wird er in der kommenden Saison aber sicherlich dürfen und müssen. Sein bisher schwungloser Scoring-Schnitt (Karriere: 6,4 PPG) wird mit steigenden Wurfanteilen (5,3 Versuche im Karriereschnitt) klettern, sich vielleicht sogar verdoppeln. Knüpft Anunoby, der als Rookie 37,1 Prozent seiner Dreier traf (bei 2,7 Versuchen pro Partie), an die damalige Sicherheit von außen an, wird er – genau wie sein Team – viele Skeptiker überraschen.

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ZACH COLLINS FORWARD/CENTER PORTLAND TRAIL BLAZERS ALTER: 21 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 6,6 PPG, 4,2 RPG, 0,9 BPG, 33,1 3P%, 17,6 MPG Zach Collins ist längst nicht mehr der dürre, weniger als 100 Kilogramm schwere 2,13-Meter-Schlaks, der vor etwas mehr als zwei Jahren sein Debüt in der NBA gab. Zwar bekam das angesichts einer tiefen Blazers-Mannschaft kaum jemand mit, aber Collins hat sich dank seiner Sonderbegabungen zum Joker in der Truppe von Terry Stotts gemausert. Seinen Mini-Breakout hatte der Youngster in den vergangenen Playoffs, als er die Conference-Halbfinalserie gegen die Denver Nuggets nach 2-3-Rückstand zugunsten seiner Blazers drehte (mit durchschnittlich 10,5 Punkten und 4,5 Blocks in den letzten beiden Partien), nachdem ihn Stotts in die Startformation geschmissen hatte. Wie viele Big Men treffen ihren Wurf sicher und beschützen den Ring? Collins, der eine Karriere-True-Shooting-Quote von 53,0 Prozent vorweist, blockte 0,9 Würfe in weniger als 18 Minuten im Schnitt, drückte obendrein die Quoten der Gegner massiv nach unten. Nach den Abgängen mehrerer Rotationsspieler und Jusuf Nurkic’ Verletzung ist Collins plötzlich der dienstälteste Big Man in Portland, wird in der kommenden Saison also starten. Ob auf der Vier oder Fünf (neben Neuzugang Hassan Whiteside), spielt zunächst nur insofern eine Rolle, als für ihn unterschiedliche Würfe abfallen werden. Doch egal ob nah am Brett oder vermehrt aus der Mitteldistanz – der Drittjahresprofi hat bewiesen, dass er vielseitig und effizient agieren kann.

THOMAS BRYANT CENTER WASHINGTON WIZARDS ALTER: 22 NBA-ERFAHRUNG: 2 JAHRE STATS 2018/19: 10,5 PPG, 6,3 RPG, 1,3 APG, 0,9 BPG, 20,8 MPG Die L.A. Lakers wussten nicht, was sie an Thomas Bryant hatten – obwohl der im zarten Alter von nur 20 Jahren bereits den Sprung ins All G-League First Team schaffte. Sie schmissen ihn 2018 aus ihrem Kader, ehe die Wizards sich die Dienste des Big Man sicherten, der dann als Sophomore in der Vorsaison einen gigantischen Schritt zum produktiven Starter machte. Im dünnen Frontcourt der Hauptstädter war der Youngster ein Lichtlein im Schattenreich. Jetzt geht er als einzig bekannte Größe unter den Langen der Wizards in seine dritte Saison – und hat exzellente Chancen, seine guten Werte aus der Vorsaison weiter auszubauen. Aus dem Zweierbereich, vor allem in Korbnähe, ist Bryant kaum zu stoppen. 78,0 Prozent seiner Würfe von dort traf der Big Man zuletzt. Defensiv muss er zulegen. Auch jenseits der Dreierlinie steckt noch immenses Verbesserungspotenzial in ihm. Mit Spielzeit satt und einem ehrlichen Rebuild in Washington steht seiner fortgesetzten Entwicklung jedoch nichts im Weg – zumal er einer der wenigen Spieler in D.C. ist, die das Management langfristig gebunden hat. redaktion@fivemag.de

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NCAA-VORSCHAU 2019/20

DAS NEUE SEMESTER! JORDAN NWORA

Der Basketball-Sport ist zurück auf dem Campus: Am 05. November startete die neue College-Basketball-Saison. Wer sind die heißesten Titelanwärter, wer die talentiertesten Erstsemester? Und bei welchen Partien lohnt sich das Einschalten? Die NCAA-Saisonvorschau von FIVE klärt auf. Text: Torben Adelhardt

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st dies der Anfang vom Ende? Die Ragnarök in der NCAA? Zumindest bekam der geneigte Fan in den vergangenen Wochen das Gefühl, dass der amerikanische Universitätssport in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Wer das Treiben in der Welt des Collegesports zuletzt mit einem Auge respektive Ohr verfolgt hat, wird mitbekommen haben, dass mal wieder politische und moralisch-ethische Grundsatzdebatten über die Zukunft des „Amateursports“ geführt wurden. Die NCAA ist eine äußerst profitorientierte Organisation, die

sich mit ihrem Milliarden von Dollar einbringenden Basketball-Produkt „March Madness“ Jahr für Jahr die Taschen vollstopft. Und die sich konsequent dagegen wehrt, ihren Hauptakteuren, den Sportlern, die Möglichkeit zur finanziellen Eigenvermarktung zu eröffnen. Dieses Thema ist wahrlich nicht neu und findet seit Jahren im öffentlichen Diskurs statt. Doch in diesem Sommer gewann es deutlich an Brisanz. Denn die NCAA bekommt mächtig Druck: Am 30. September verabschiedete Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien, den „Fair Pay to Play Act“. Das Gesetz

erlaubt Hochschulathleten im Bundesstaat Kalifornien, einen Agenten einzustellen und Werbeverträge zu unterzeichnen. Es ermöglicht den Nachwuchssportlern, für Produkte und Unternehmen zu werben sowie von ihren sportlichen Leistungen und dem eigenen Namen finanziell zu profitieren. Das Gesetz soll zum 01. Januar 2023 in Kraft treten und die Athleten auch davor schützen, von der NCAA mit Sanktionen belegt zu werden, wenn sie solche finanziellen Einkünfte beziehen. Während es Jubelschreie auf Seiten der Sportler und Politik gab, herrschte bei der betroffenen Organisation selbst Katerstimmung vor. Denn NCAA-Präsident Mark Emmert versteht nur zu gut, welche Wirkung dieses Gesetz hat.

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In der Folgezeit signalisierten Politiker aus anderen Bundesstaaten (unter anderem Colorado, Florida, Illinois, Kentucky, Minnesota, South Carolina, New York, Nevada), dass sie ebenfalls ein solches Gesetz auf Bundesstaatsebene durchbringen wollen. Die Verantwortlichen im Hauptsitz der NCAA stehen durch diesen politischen Druck folglich unter großem Handlungszwang. Emmert sprach nach der Gesetzesverabschiedung bereits davon, dass er eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat, die über Möglichkeiten zur „Optimierung“ der bestehenden NCAARegularien diskutiert. Kein komplettes Einlenken, aber ein erster Beleg, dass die NCAA die Zeichen der Zeit kommen sieht und Reformen auf den Weg bringen muss.

„Fair Pay to Play“ wirft zwar seine Schatten voraus und wird auch in den nächsten Monaten und Jahren ein dominierendes Thema sein, doch Einfluss auf die sportlichen Gegebenheiten in der neuen College-Basketball-Saison nimmt das Gesetz nicht. Denn hier gilt noch immer die alte Adi-Preißler-Weisheit: „Entscheidend ist aufm Platz.“ Und auf den Courts der 351 Division-I-Teams erwarten uns dieses Jahr viele spannende Geschichten. Da wären zum einen die neu formierten Memphis Tigers. Coach Penny Hardaway brachte den besten RecruitingJahrgang des Jahres nach Tennessee und plant mit einem Trip ins Final Four – es wäre die erste Teilnahme seit der Vizemeisterschaft vor elf Jahren. Für die üblichen Blaublüter-Unis wie Duke,

Kentucky, Michigan State und Kansas zählt ohnehin nur der Titel, und alle Teams haben bewiesene Collegespieler sowie talentierte Neuankömmlinge in ihren Reihen. Zu den besten Freshmen zählen auch Cole Anthony (UNC) und Anthony Edwards (Georgia). Die beiden Guards gehen als Topfavoriten auf den Top-Pick in der NBA-Draft 2020 in die Saison. Beide sind vom Start weg die Fixpunkte in den Offensivsystemen ihrer Mannschaften. Aus deutscher Perspektive bietet die NCAA so viele spannende Geschichten wie lange nicht mehr. Mit Franz Wagner (Michigan), Isaiah Ihnen (Minnesota) und Lars Thiemann (California) debütieren drei deutsche U-Nationalspieler und sollten wichtige Rotationsminuten sehen.

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Die Titelfavoriten MICHIGAN STATE SPARTANS (Big Ten Conference) Von ESPN über die „Sports Illustrated“ bis hin zur „USA Today“: Die Michigan State Spartans landeten in praktisch jedem renommierten Preseason-Ranking auf dem ersten Platz. Und nicht nur die Fachpresse hält große Stücke auf die Spartys. Bei der alljährlichen Trainerbefragung von CBS Sports stimmten 54 Prozent der befragten

JOSHUA LANGFORD

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College-Headcoaches für die Truppe aus East Lansing als NCAA-Champion 2020 – noch nie sprachen sich mehr Trainer für eine Mannschaft aus. Dass die Truppe von Coach Tom Izzo mit solchen Vorschusslorbeeren bedacht wird, überrascht kaum. Beim letztjährigen Final-FourTeilnehmer und amtierenden BigTen-Champion kehren mit den Guards Cassius Winston (18,8 PPG) und Joshua Langford (15,0) sowie Big Man Xavier Tillman (10,0) drei der vier besten Scorer aus dem Vorjahr zurück. Playmaker Winston orchestriert als umsichtiger Passgeber und effizienter Scorer die

Offensive seiner Mannschaft – oder wie es Izzo plakativ zusammenfasst: „Er ist der Strohhalm, der den Drink umrührt. Er hatte ein unfassbares Jahr, und ich sehe, wie er noch größer, stärker und sogar besser wird. Und das sind gute Nachrichten für uns.“ In gewisser Weise ist Winston die Personifikation des IzzoBasketballs: uneigennützig, clever in der Abschlusssuche und abgezockt. Zusammen mit seinem genesenen Backcourt-Partner Langford, der aufgrund einer Knöchelverletzung zwei Drittel der vergangenen Saison verpasste, sowie den beiden Sophomores Aaron Henry und Gabe Brown gibt es genügend PerimeterShooting um Tillman als physischen Lowpost-Scorer. Die Spartans stellten in den vergangenen beiden Saisons eine TopTen-Defensive und sollten auch 2020 wieder zu den besten Verteidigungen des Landes gehören. Sollte Winston von Verletzungen verschont bleiben, sind die Spartans der Favorit für die March Madness.

LOUISVILLE CARDINALS (Atlantic Coast Conference) Die Louisville Cardinals sind in den vergangenen Jahren von einem handfesten Skandal in den nächsten geschlittert: Stripperinnen und Prostituierte auf dem heimischen Campus als Werbemaßnahmen, Adidas-Gelder für namhafte Highschool-Rekruten, Korruption und Bestechung über Jahre hinweg. Schlimmer geht es kaum … Die NCAA verhängte eine ganze Reihe an Sanktionen – mit der Aberkennung des Meistertitels von 2013 als traurigem Tiefpunkt. Hall-of-FameTrainer Rick Pitino nahm im September 2017 (gezwungenermaßen) seinen Hut, Top-Prospects wie Anfernee Simons und Courtney Ramey zogen ihr CardinalsCommitment zurück. Dass die Alma Mater von aktuellen NBA-Spielern wie Donovan Mitchell, Terry Rozier und Montrezl Harrell schon zwei Jahre später dennoch wieder an der Tür zum College-Olymp anklopft, ist zu großen Teilen der Verdienst des neuen starken Mannes an der Seitenlinie: Chris Mack. Der 50-Jährige geht in seine zweite Spielzeit in Kentucky und bewies in seiner Premierensaison, dass er nicht nur ein Maestro am Taktikbrett ist, sondern auch im Bereich Spielerentwicklung zu den Besten seiner Zunft gehört. Jungs wie Jordan Nwora (2018/19: 17,0 PPG, 7,0 RPG) und Dwayne Sutton (10,0, 6,9) legten signifikante Entwicklungssprünge hin, und mit Ryan McMahon, Steven Enoch, Malik Williams

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und Darius Perry sind vier weitere Spieler aus der letztjährigen Rotation weiterhin bei den Cardinals dabei. Gepaart mit einer sehr guten Recruiting-Klasse und angeführt von „McDonald’s All American“Auswahlspieler Samuell Williamson, gehören die Cardinals zu den tiefsten Teams der Nation. Vor allem die oft switchende Defensive von Coach Mack wird den gegnerischen Trainern wieder Schweißperlen auf die Stirn treiben.

KENTUCKY WILDCATS (Southeastern Conference) Hat John Calipari sein Mojo verloren? Als geistiger Eigentümer der „Oneand-Done“-Praxis steht der 58-jährige Basketballtrainer seit über einem Jahrzehnt dafür, die verheißungsvollsten NBA-Talente aus der Highschool für eine Saison an seine Universität zu lotsen. Seit 2009 kam jedes Jahr stets mindestens ein ESPN-Top-TenRekrut nach Lexington, um für Calipari aufzulaufen. Mit James Wiseman, Isaiah Stewart, Anthony Edwards, R.J. Hampton, Vernon Carey Jr., Jaden McDaniels und Scottie Lewis schlugen dieses Jahr jedoch die besten Talente allesamt ihr KentuckyAngebot aus. Obwohl Calipari an der Recruiting-Front einige Niederlagen einstecken musste, akquirierte er mit Tyrese Maxey, Khalil Whitney, Keion Brooks und Johnny Juzang vier Spieler aus den Top 35 des Jahrgangs – und hat damit laut 247Sports.com die zweitbeste Freshman-Klasse der neuen Spielzeit. Mit den Guards Ashton Hagans und Immanuel Quickley sowie den beiden Frontcourt-Spielern EJ Montgomery und Nick Richards sind zudem vier Rotationsspieler aus der vergangenen Saison wieder dabei. Hagans haderte als Freshman noch mit seinem Sprungwurf und leistete sich zu viele einfache Ballverluste, ging aber am defensiven Ende des Feldes mit seiner aggressiven Verteidigungsarbeit eindrucksvoll vorneweg und ist der Dynamo der Fastbreak-zentrierten Kentucky-Offense. Calipari wird wie jedes Jahr seine Athleten laufen lassen, DribbleDrives forcieren … und den Distanzwurf vermeiden. Nur elf Mannschaften (von 351!) nahmen 2018/19 weniger Versuche von draußen als Kentucky, dessen Dreierrate bei unter 30 Prozent lag. Es hat definitiv etwas von „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Denn auch in diesem Jahr lautet die alles entscheidende Frage: Können die Wildcats-Freshmen direkt abliefern? Wenn die Guards Maxey und Whitney ihre angedachten Rollen als effiziente Scorer im Halbfeld ausfüllen, ist Kentucky nicht nur in der SEC ein Titelkandidat.

ASHTON HAGANS

KANSAS JAYHAWKS (Big 12 Conference) 14 Meisterschaften in Folge – eine beispiellose Dominanz, die in der vergangenen Saison ihr Ende fand. „Wir hatten einen verdammt guten Lauf. Alle Spieler, die ich in den vergangenen 14 Jahren hier trainieren durfte, verdienen dafür Lob“, erklärte Kansas-Headcoach Bill Self. Seine Jayhawks landeten mit einer Bilanz von 26-10 auf dem dritten Platz der Big 12 Conference – und verpassten somit zum ersten Mal seit 2004 den Ligatitel. Schlägt das Imperium aus Kansas in diesem Jahr zurück? Wenn es nach Self geht, spricht wenig dagegen, in der kommenden Saison eine neue (Titel-)Serie zu starten: „Die Enttäuschung darüber, dass wir in diesem Jahr die Liga nicht gewinnen konnten, treibt uns nur dazu an, direkt einen neuen Lauf hinzulegen.“ Auf Spielerseite haben Devon Dotson, Ochai Agbaji, Udoka Azubuike, Marcus Garrett und David McCormick mit Sicherheit dieselbe Agenda. Auch Silvio de Sousa, der in der Vorsaison keine Spielberechtigung seitens der NCAA erhielt, wird sein Comeback auf dem Feld feiern

und Trainer Self eine weitere physische Lowpost-Präsenz geben. Zusammen mit Azubuike und McCormick bildet der 21-Jährige ein Frontcourt-Trio, das in Sachen Physis die absolute Speerspitze im College-Basketball bildet. Auf den Flügelpositionen stehen mit Agbaji sowie den Neuzugängen Isaiah Moss (Transfer aus Iowa) und Jalen Wilson (Freshman) Spieler parat, die in der Verteidigung aufgrund ihrer Athletik und Größe viel switchen können und in der Offensive ihre Qualitäten als Schützen und Slasher einbringen werden. Dotson ist der Katalysator des Angriffsspiels und drehte zum Ende seiner Freshman-Saison mächtig auf. Im Zusammenspiel mit dem Finesse-Scorer Azubuike kann Self auf ein Point-GuardBig-Man-Duo vertrauen, das sich vor keiner Combo im Land verstecken muss.

ANDERE PRESEASON-FAVORITEN: Maryland Terrapins (Big Ten Conference), Florida Gators (SEC), Virginia Cavaliers, Duke Blue Devils (beide ACC), Villanova Wildcats (Big East Conference).

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Die Rückkehrer CASSIUS WINSTON (PG, 1,85 Meter, Senior, Michigan S tat e ) Cassius Winston kam bereits in der vergangenen Saison zu All-AmericanEhren und legte durchschnittlich 18,8 Punkte und 7,5 Assists pro Partie auf. Auch ohne elitäre Athletik und Antrittsgeschwindigkeit dringt der Aufbauspieler in die gegnerische Zone ein, von wo er entweder selbst abschließt oder seine Mitspieler per Kickout-Pass bedient. Seine letztjährigen Wurfquoten (50,2 FG%, 39,8 3P% und 84,0 FT%) waren sehr effizient.

MYLES POWELL

CASSIUS WINSTON TRE JONES

(SG, 1,88 Meter, Senior, Seton Hall) Die Seton Hall Pirates sind in diesem Jahr der größte Kontrahent der Villanova Wildcats in der Big East Conference. Der Grund: Myles Powell. Der Senior-Guard gehörte mit 23,1 Punkten pro Partie 2018/19 zu den effektivsten Scorern und vollzog die Transformation vom reinen Wurfspezialisten hin zum primären Ballhandler auf eindrucksvolle Weise. Powell drückt noch immer mit Vorliebe aus der Dreierdistanz ab (8,7 Versuche pro Spiel), attackiert aber auch öfters den Korb und kommt an die Freiwurflinie.

TRE JONES (PG, 2,06 Meter, Sophomore, Duke) Die letztjährige Recruiting-Klasse der Blue Devils stand die ganze Saison über im Rampenlicht der Öffentlichkeit: Zion Williamson dominierte die Konkurrenz auf spektakuläre Weise, R.J. Barrett knackte den Freshman-Scoring-Rekord in der ACC, und auch Cam Reddish legte trotz Wurfproblemen noch 13,5 Punkte pro Spiel auf. Tre Jones flog da unter dem Radar – trotz Zahlen von 9,4 PPG, 5,3 APG, 3,8 RPG und 1,9 SPG. In seiner zweiten Saison in Durham wird Jones als primärer Ballhandler gefordert sein und wesentlich häufiger den eigenen Abschluss forcieren müssen. Als aggressiver Verteidiger am Ball mit flinken Händen und guter lateraler Geschwindigkeit überzeugte Jones bereits 2018/19.

MARKUS HOWARD (SG, 1,81 Meter, Senior, Marquette) 31 Punkte – so viele „Buckets“ benötigt Markus Howard noch, um sich auf den ersten Platz in der All-TimeScoringliste der Marquette Golden Eagles vorzuschieben. 1.955 Punkte (19,7 PPG) legte der kleine Aufbauspieler in seiner

College-Karriere bereits auf und beendete die letzte Saison auf dem 5. Platz der NCAA-Scorerliste (25,0 PPG). Durch den Abgang des Forward-Brüderpaars Joey und Sam Hauser verliert Howard seine präferierten Pick-and-Pop-Partner, die durch ihre Distanzwürfe und Drives auch Freiräume für Howard geschaffen haben. Mit einer Usage Rate von 37,0 Prozent war Howard in der letzten Saison schon der absolute Fixpunkt der Offensive – ein Umstand, der sich jetzt nicht ändern wird. Marquette ist in der eigenen Conference hinter Villanova und Seton Hall einzuordnen, aber mit ihrem wurfgewaltigen Point Guard haben die Golden Eagles einen spektakulären Individualisten in ihren Reihen.

Die Freshmen JAMES WISEMAN (C, 2,16 Meter, Memphis) Vor über neun Jahren legte LeBron James mit seiner „Decision“ die Messlatte für pathetisch inszenierte Wechselbekanntmachungen ziemlich hoch. Bei den meistgehypten Highschool-Spielern ist es mittlerweile auch zur Gewohnheit geworden, dass die Verkündung der College-Zukunft zur medialen Show ausschweift. Als Top-Rekrut James Wiseman auf SportsCenter seine Entscheidung bekannt gab, holte er ein silbernes PlüschEinhorn mitsamt Memphis-Tigers-Jersey unter dem Tisch hervor. Eine wenig subtile Anspielung auf das Einhorn-Label, das

Wiseman aufgrund seiner Statur und Spielweise verpasst bekam. 25,8 Punkte, 14,8 Rebounds und 5,5 Blocks brachte der Neu-Tiger während seines letzten Highschool-Jahres pro Spiel. Mit 2,16 Meter, einer guten Mobilität und Potenzial beim Sprungwurf bringt der 18-Jährige ein vielversprechendes Skillpaket mit. Auch wenn er hin und wieder Defizite bei der Pick-and-Roll-Verteidigung offenbarte, ist er mit seiner Länge und seiner Agilität dazu in der Lage, in der Defensive viele Löcher zu stopfen und den eigenen Korb zu beschützen. Für Coach Hardaway ist Wiseman de facto ein Semi-Neuzugang, da der frühere NBA-Profi sein CenterTalent bereits an der Highschool und in Auswahlteams trainierte. Er weiß, wie er Wiseman am effektivsten einbinden kann. In einem tiefen Tigers-Team spielt der Big Man mit starken Athleten wie Precious Achiuwa, DJ Jeffries und Isaiah Maurice zusammen und wird seine Skills in dem schnellen Spielstil von Hardaway gewinnbringend einsetzen.

COLE ANTHONY (PG, 1,91 Meter, North Carolina) Die älteren Semester unter den FIVELesern werden sich mit Sicherheit noch an den Namen Greg Anthony erinnern. Der Alumnus der UNLV spielte von 1991 bis 2002 in der NBA und verdiente sich seine Sporen als Defensivspezialist. Zwei Dekaden später ist dessen Sohn Cole dabei, in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Und was das spielerische Talent am offensiven Ende

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des Courts anbelangt … hier könnte der sprichwörtliche Apfel nicht noch weiter entfernt vom Baum gefallen sein. Der Junior machte sich früh einen Namen als talentiertester Spieler seines Highschool-Jahrgangs. Für die renommierte Oak Hill Academy machte Anthony als Senior den „Big O“ (oder RW0) und legte über die Saison hinweg ein Triple-Double auf (18,2 PPG, 10,2 RPG und 10,1 APG). Bei den alljährlichen All-StarSpielen zementierte der Guard seinen Status als Ausnahmetalent und sammelte beim McDonald’s All-American Game, Nike Hoop Summit und Jordan Brand Classic MVP-Ehren ein. Im Gegensatz zu seinem Vater ist Cole Anthony ein Scoring Guard mit ausgeprägtem Wurftalent und Spielwitz. Der Tar-Heel-Freshman ist ein Playmaker der modernen Bauart, der durch sein Scoring ständig Druck auf eine Defense ausübt und so Räume für seine Mitspieler schafft. UNC-Trainer Roy Williams gibt seinem neuen Starspieler vom ersten Tag an die Schlüssel in die Hand. Anthony wird eine Menge Gelegenheiten bekommen, den NBA-Scouts zu beweisen, wer der Nummer-eins-Pick der kommenden Draft sein sollte.

dämpfen („Er hat noch viel Arbeit vor sich“), aber für die Anhängerschaft in Athens steht bereits fest, dass Edwards sie nach fünf Jahren Abstinenz wieder zurück ins große NCAA-Tournament führt.

NICO MANNION (PG/SG, 1,90 Meter, Arizona) Es gibt sicherlich Erstsemester, die mehr scoren werden als Mannion. Auch aus NBA-Perspektive gehört er

auch im zweiten Highschool-Jahr die innerstaatliche Konkurrenz mit durchschnittlich 23,4 Punkten und 5,8 Vorlagen pro Partie. Nach seiner JuniorSaison schloss Mannion die Highschool frühzeitig ab und schrieb sich bei den Arizona Wildcats sein. „Er ist ein Alleskönner auf der Point-Guard-Position. Er punktet, ist stark in der Transition-Offense und weiß, wie er seine Mitspieler einbindet“, lobt ihn Sean Miller, sein neuer Headcoach in der Wüste Arizonas. Und Mannion

ANTHONY EDWARDS (SG, 1,96 Meter, Georgia) Von einem Anthony zum nächsten: Im Stegeman Coliseum zu Athens, Georgia, geben sich ab sofort die NBA-Scouts regelmäßig die Klinke in die Hand. Die Hauptattraktion auf dem Feld heißt Anthony Edwards, der 19-jährige SuperFreshman der hiesigen Bulldogs. „Er bringt so viel natürliches Talent mit, seine Explosivität und Stärke ist unglaublich“, schwärmt Tom Crean, Headcoach in Georgia, von seinem neuen Starspieler. Crean trainierte in seiner Zeit bei Marquette und Indiana bereits Dwyane Wade und Victor Oladipo – zwei Guards, mit denen Edwards aufgrund seiner kräftigen Statur und Athletik verglichen wird. Für die Georgia Bulldogs ist Edwards der erste Fünf-Sterne-Rekrut seit Kentavious Caldwell-Pope (2011) und vom ersten Spiel an der offensive Hoffnungsträger von Crean und Co. In seinem letzten HighschoolJahr füllte Edwards das Scoreboard mit durchschnittlich 25,7 Punkten, 9,6 Rebounds, 2,7 Assists, 2,1 Steals und 1,1 Blocks. Mit seinen Skills als Schütze und im Drive bietet Edwards ein offensives Gesamtpaket an, das ihn auf CollegeEbene zu einem wandelnden Mismatch macht. Schmächtigere Kontrahenten überpowert er beim Drive, und gegen eine tief absinkende Defensive kann er auch aus dem Dribbling zum Wurf hochgehen. Sein Übungsleiter versucht die Erwartungen an den Freshman zu

NICO MANNION

nicht unbedingt zu den spannendsten Freshmen. Und vielleicht ist der rothaarige College-Neuling nicht einmal besser als Josh Green, der andere FünfSterne-Rekrut im Team der Arizona Wildcats. Aber fest steht, dass Mannion zu den interessantesten Spielern gehört, die dieses Jahr ihr NCAA-Debüt geben. Das erste Mal erlangte Mannion im Alter von 15 Jahren nationale Berühmtheit, als die „Sports Illustrated“ dem Highschool-Phänomen aus Arizona ein großes Porträt widmete. Denn ein athletischer Rotschopf, der in seinem Freshman-Jahr über seine Verteidiger hinwegstopft und Dreier mit traumwandlerischer Sicherheit trifft, weckt im digitalen Zeitalter von Twitter und Instagram schnell überregionales Interesse. Mannion, dessen Vater Pace in den 80er Jahren in 216 NBA-Partien auf dem Parkett stand, dominierte

kommt gerade richtig: Die Wildcats sind nach dem letztjährigen Verpassen der March Madness auf Wiedergutmachung aus, und ihr neuer Ballhandler stellt die Personifikation des spannenden Aufschwungs dar.

ANDERE TOP-20-REKRUTEN: Isaiah Stewart (C, Washington), Vernon Carey Jr. (C, Duke), Scottie Lewis (SF, Florida), Jaden McDaniels (PF/C, Washington), Tyrese Maxey (SG/PG, Kentucky), Matthew Hurt (PF, Duke), Khalil Whitney (SF, Kentucky), Josh Green (SG, Arizona), N’Faly Dante (C, Oregon), Precious Achiuwa (SF, Memphis), Jeremiah Robinson-Earl (PF, Villanova), Bryan Antoine (SG, Villanova), Trendon Watford (PF, LSU), Samuell Williamson (SF, Louisville), Isaiah Mobley (PF, USC).

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Die Deutschen FRANZ WAGNER ( S F, 2 , 0 1 M e t e r , F r e s h m a n , M i c h i g a n ) „Wagner Mania 2.0“ in Ann Harbor: Nachdem Moritz Wagner in seinen drei Jahren bei den Michigan Wolverines eine erfolgreiche Zeit erlebte, schickt sich nun sein jüngerer Bruder Franz an, es ihm gleichzutun. Der 18-Jährige erspielte sich in der vergangenen Saison einen festen Rotationsplatz unter Alba-Berlin-Coach Aito und überzeugte auf Anhieb durch sein variables Offensivspiel. Dass der spanische Übungsleiter für sein Nachwuchstalent vereinzelt schon Spielzüge laufen ließ, spricht für das Leistungsvermögen des Berliners. Für seinen Wechsel ans College erntete Wagner jedoch nicht nur Zuspruch. „Er gehört auf dieses Level [Euroleague, Anm. d. Red.] und sollte nicht gegen Junioren in den USA spielen“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Artikel Albas Sportdirektor Himar Ojeda. Bei den Wolverines darf sich der Flügelspieler vom Start weg Hoffnungen auf eine wichtige Rolle im Team machen. Durch die Abgänge der „Underclassmen“ Ignas Brazdeikis und Jordan Poole sowie des Redshirt-Juniors Charles Matthews gen NBA muss Neu-Headcoach Juwan Howard knapp 62 Prozent des letztjährigen Scorings ersetzen. Der ehemalige NBA-All-Star hat hierfür auch schon einen Spieler im Blick: „Franz kann an einem Abend locker 20 Punkte auflegen.“ Für Howard steht fest, dass er mit dem Deutschen ein Juwel in der Mannschaft hat. „Wenn Franz hier zur Highschool gegangen wäre, wäre er ein Fünf-Sterne-Talent gewesen – so gut ist er. Er bringt Spielintelligenz mit, ist stark, kann den Ball auf den Boden setzen, seinen eigenen Wurf kreieren und über dich hinwegstopfen. Er wird mal ein guter Profi werden.“

OSCAR DA SILVA ( P F, 2 , 0 6 M e t e r , J u n i o r , S t a n f o r d ) Für Oscar da Silva stand in diesem Sommer ein besonderer Mannschaftsausflug an: Die Stanford Cardinal flogen im Rahmen ihrer Saisonvorbereitung nach Europa und machten auch in München halt, der Heimatstadt ihres deutschen Forwards. „Es war eine tolle Erfahrung und eine gute Möglichkeit, um als Team näher zusammenzurücken“, berichtete da Silva im Interview beim PAC-12 Media Day. Auf individueller Ebene verlief die letzte Spielzeit durchwachsen. Trainer Jerod Haase nahm seinen Sophomore im Laufe der Saison immer wieder ins Gebet, was dessen Intensität auf dem Court betraf: „Solange ihm die Konstanz

FRANZ WAGNER

in seiner Einstellung und Gier abgeht, wird er auch keine konstanten Leistungen abrufen können.“ Im Windschatten der anderen Sophomores, KZ Okpala und Daejon Davis, nahm sich da Silva in der Offensive oftmals zurück und setzte auf seinen Distanzwurf, anstatt aggressiv zum Korb zu ziehen. Okpala hat seine Zelte in Stanford mittlerweile abgebrochen und spielt ab dieser Saison für die Miami Heat. Da Silva muss nun mehr offensive Verantwortung übernehmen und seine Vorteile als athletischer 2,06-Meter-Mann mit Ballhandling-Skills ausspielen. Eine Statistik aus der letzten Saison, die für einen aggressiveren da Silva spricht: Wenn der deutsche Nachwuchsnationalspieler mehr als 13 Punkte auflegte, ging sein Team in fünf von sechs Partien als Sieger vom Feld ...

ihn als „Four Star“-Talent in den Top 100 seines Jahrgangs. Auch Pitino sieht in seinem Freshman eine sofortige Verstärkung. „Er ist extrem vielseitig, kann verschiedene Positionen spielen, ist mehr als zwei Meter groß und kann werfen. Wenn man ihn beobachtet, sieht man sofort, dass er ein immenses Talent hat. Legt er noch ein wenig an Muskelmasse zu, gilt für ihn ‚The Sky is the Limit‘“, sagt der 37-Jährige. Mit der U20-Nationalmannschaft gewann Ihnen bei der Europameisterschaft in Tel Aviv die Bronzemedaille und überzeugte in seiner Rolle als athletischer Flügel mit aktiver Verteidigungsarbeit und starken Finishes im Fastbreak-Spiel. In diesen Bereichen wird Ihnen auch auf dem College-Level sofort überzeugen und sich in einer starken Conference beweisen können.

ISAIAH IHNEN

ANDERE DEUTSCHE IN DER NCAA DIVISION I :

( S F / P F, 2 , 0 4 M e t e r , F r e s h m a n , M i n n e s o ta ) Die Minnesota Golden Gophers befinden sich nach den Abgängen der letztjährigen Topscorer Jordan Murphy und Amir Coffey in einem Übergangsjahr. Gleich sieben neue Spieler begrüßte Headcoach Richard Pitino zum Semesterstart, darunter auch den deutschen Flügelspieler Isaiah Ihnen. Die Recruiting-Website 247Sports rankte

Jonathan Baehre (F, R-Jr., Clemson), Max Brackmann (C, Fr., Southeastern Louisiana), Quirin Emanga (G/F, Fr., Northeastern), Finn Fleute (PF, Fr., Montana State), Sam Griesel (G/F, So., North Dakota), Robin Jorch (C, R-Sr., Boise State), Marten Linßen (C, R-So., UNC Wilmington), Yannick Olma (PF, Fr., Tampa), Antonio Pilipovic (F, Jr., Drake), Lars Thiemann (C, Fr., California).

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Die Top-Spiele SAINT MARY’S VS. UTAH STATE

14 Spiele umfassende Kräftemessen der Atlantic Coast Conference und der Big Ten Conference wartet in diesem Jahr mit einigen Highlights auf.

(29.11., Moraga/CA) In jeder Saison gibt es talentierte MidMajor-Teams, die in der March Madness zu den attraktivsten Geheimtipps auf den Einzug ins Final Four zählen. Die Saint Mary’s Gaels aus der West Coast Conference und die Utah State Aggies (MWC) gehören zu jenen Teams, die außerhalb der Top-Conferences für Furore sorgen werden. Ende November treffen beide aufeinander. Bedeutet auch: Mit Sam Merrill und Jordan Ford duellieren sich zwei der besten Scorer des Landes.

ACC/BIG TEN CHALLENGE (02.-04.12.)

GONZAGA VS. WASHINGTON (08.12., Spokane/WA) Das Giganten-Duell in Spokane! Die Gonzaga Bulldogs treffen mit ihrem internationalen Frontcourt-Triumvirat aus Killian Tillie, Oumar Ballo und Filip Petrusev auf das Freshman-Duo Isaiah Stewart und Jaden McDaniels. SmallballFans kommen hier sicher nicht auf ihre Kosten. Alle anderen sollten einschalten, wenn gleich fünf Big-Man-Talente mit NBA-Aspirationen aufeinandertreffen.

VILLANOVA VS. KANSAS

mindestens anderthalb Augen auf die NCAA-Meisterschaft schielen. Während die Wildcats aus Pennsylvania auf ihr positionsloses, perimeterorientiertes Spielsystem vertrauen, stehen bei den Jayhawks mit Udoka Azubuike und Silvio de Sousa zwei physische Lowpost-BigMen im Fokus.

LOUISVILLE VS. KENTUCKY (28.12., Lexington/KY) Das Kentucky-Derby verspricht in diesem Jahr so eng zu werden wie schon lange nicht mehr. Aus den letzten zwölf Partien gingen die Cardinals nur zweimal als Sieger vom Platz. Doch in dieser Saison bietet Louisville-Trainer Chris Mack ein Team auf, das in Sachen Athletik und Tempo mit dem Dauerrivalen aus Lexington mithalten kann.

(21.12., Villanova/PA) Freshman-Superstar Cole Anthony gegen Kaleb Wesson, das Duell der Traditionsunis Duke und Michigan State sowie Franz Wagner zu Gast beim Titelaspiranten aus Louisville, der mit Jordan Nwora und Samuell Williamson zwei starke Flügelspieler aufbietet – das

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Kurz vor Heiligabend bitten die AboMeister aus der Big East und Big 12 Conference im Wells Fargo Center zum Tanz. Beide Teams eint, dass sie in der letzten Spielzeit unter ihren Möglichkeiten geblieben sind und mit

MEMPHIS VS. GEORGIA (04.01., Memphis/TN) NBA-Fans, aufgepasst: Falls sich das Lieblingsteam zum Jahreswechsel bereits aus dem Playoffrennen verabschiedet hat, lohnt sich ein Blick auf das Spiel zwischen den Memphis Tigers und Georgia Bulldogs. Gleich drei Spieler mit Lottery-Potenzial stehen hier auf dem Feld (Anthony Edwards, James Wiseman und Precious Achiuwa).

FLORIDA VS. GEORGIA (05.02., Gainesville/FL) Scottie Lewis genießt nicht den gleichen Hype wie andere Freshmen, aber der Neu-Gator ist mit seiner Athletik, dem Zug zum Korb und seiner Dynamik ein vielversprechendes Flügeltalent. Sollte es zum direkten Duell zwischen ihm und Anthony Edwards (dem designierten Top-Pick der Georgia Bulldogs) kommen, werden NBA-Scouts genau hinschauen.

NORTH CAROLINA VS. DUKE (08.02., Chapel Hill/NC, 07.03., Durham/NC) Die Partien zwischen den größten Rivalen der NCAA tragen sich alle Anhänger des College-Basketballs frühzeitig in ihren Kalender ein. Das Derby von der Tobacco Road wurde im Rahmen einer ESPNUmfrage zur drittgrößten Rivalität im amerikanischen Sport gewählt. Doch nicht nur die spezielle Stimmung bei diesen Matches sollte Basketballfans vor die Fernsehgeräte locken. Supertalent Cole Anthony bekommt es bei den Spielen mit Tre Jones zu tun, einem der besten GuardVerteidiger, die die NCAA zu bieten hat. redaktion@fivemag.de

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REX CHAPMAN legends

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Chapman

UN-GROSSARTIG

Rex Chapman ist eines der größten College-Talente seiner Generation. Ein Musterathlet mit präzisem Sprungwurf, Athletik und Gewinnerlächeln. Auch in der NBA liefert er ab. Trotzdem isoliert er sich. Eine lange Krankenakte treibt ihn schließlich in die Sucht nach Schmerzmitteln. Eine Sucht, die 2014 ihren traurigen Tiefpunkt findet – als Chapman verhaftet wird. Text: Tobias Feuerhahn

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or beinahe zwei Dekaden – im Jahr 2001 – sitzt ein Mann in einer Entzugsklinik in Tucson im USBundesstaat Arizona. Er kotzt sich die Seele aus dem Leib. Sieben oder acht Tage lang dauert die Tortur. Die Krankenschwestern sehen das unfassbare Elend mit an. Mit der Droge, gegen die der 1,93-Meter-Hüne mit dem lichten Haupthaar kämpft, hatten sie es noch nicht oft zu tun. Aber die Pein, in der sich der Mann jämmerlich windet, erinnert sie an einen Heroin-Entzug. 13 Jahre später taucht ein Foto in den Medien auf. Es flimmert in den TV-Nachrichten, prangt in den Zeitungen. Abgebildet ist ein Mann mit Halbglatze, seine Augen starren ins Leere, als wären sie daran gewöhnt, ohnehin nicht klar zu sehen. Das Gesicht des Mannes ist aufgedunsen wie ein Pfannkuchen, der zu lange in zerlaufener Butter lag. Wer auf dieser Art Fotos abgebildet ist, ist nie gut getroffen. Es ist

ein klassischer „Mugshot“, ein Polizeifoto. Warum dieses Bild im September 2014 für so viel Aufmerksamkeit sorgt? Dafür braucht es einen Blick zurück bis zur NBADraft 1988 … Damals betritt ein junger Basketballer die Bühne der Association, der mit reichlich Vorschusslorbeeren geschmückt ist. Eine große Karriere wird ihm prophezeit. In den Neunzigerjahren stopft er Alley-Oops durch Nordamerikas Körbe, trifft Sprungwürfe aus allen Distanzen, bittet Größen wie Michael Jordan zum Trashtalk. Er sieht athletisch aus – wie von einem Profisportler zu erwarten ist. Das Gesicht scharfkantig und schlank, der Blick stechend. Es ist derselbe Mann, den die Krankenschwestern in Tucson mit einem Heroinsüchtigen vergleichen, derselbe Mann, dessen aufgequollenes Gesicht in den Nachrichten zu sehen ist. Zwischen diesen zwei Bildern liegen mehr als 15 Jahre exzessiven Medikamentenmissbrauchs. Die Rede ist

von Rex Chapman, erster Draftpick in der Geschichte der Charlotte Hornets, NBAVeteran, der in 666 Spielen für die Hornets, die Washington Bullets, die Miami Heat und die Phoenix Suns durchschnittlich 14,6 Punkte auflegte.

Harte Liebe Chapman wächst mit seiner jüngeren Schwester in Owensboro, Kentucky auf. Knapp 50.000 Menschen leben in den Sechziger- und Siebzigerjahren in der Kleinstadt 173 Kilometer westlich der Metropole Louisville. Zunächst versucht sich Rex im Schwimmen, er spielt Football – und natürlich schließlich Basketball. Kein Wunder, stammt der heute 52-Jährige doch aus einer echten Basketball-Familie. Sein Vater Wayne spielte selbst in der ABA und gewann zwei nationale Titel in der Division II der NCAA als Trainer am Kentucky Wesleyan College. Der Vater sieht jedoch nicht viele von Rex’ Partien an der Highschool, weil

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seine eigenen Teams oft selbst spielen. Hin und wieder aber schaut er in der Halle der Apollo High vorbei – und sieht, wie sein Sohn heraussticht, seine Gegner dominiert. Eines Abends zerlegt Rex die gegnerische Schule mal wieder im Alleingang. „Ich hatte ungefähr 40 Punkte und 20 Rebounds“, sagt er im Gespräch mit FIVE. Wayne hatte auf der Tribüne Platz genommen, das sportliche Massaker bezeugt. Wieder zu Hause, wartet Rex auf eine Reaktion seines Vaters – irgendeine. Aber Wayne bleibt stumm. Als Rex ihn schließlich fragt, was er über die Partie, über den Auftritt denkt, sagt sein Vater: „Was ich denke? Ich würde gerne wissen, wann du endlich ein verdammtes Offensivfoul annimmst!“ Rex Chapman ist deswegen nach eigener Aussage nicht sauer auf seinen Vater. Als seine Mutter ihn trösten will, schickt er sie einfach weg. „Ich nahm solche Aussagen als Ratschlag. Mein Vater versuchte mir zu helfen – egal, wie das manchmal im Endeffekt rüberkam“, erinnert sich Chapman. Schon in seiner vorletzten Spielzeit an der Highschool – ein Jahr bevor Chapman die Ehre als „Mr. Basketball Kentucky“ zuteilwird – baggern die College-Trainer an dem Shooting Guard wie ein Matrose auf Landgang. Selbst Michael Jordan versucht ihn an die University of North Carolina zu locken. Auch Denny Crum, Headcoach der University of Louisville, ruft an. Ausgerechnet die Louisville Cardinals. Die Mannschaft, die Chapman schon verehrt, seit er ein kleines Kind war. „Ich wollte unbedingt dorthin“, sagt Chapman heute. Kenny Payne, der damals sein erstes Jahr als Cardinal gerade hinter sich hat, führt Rex Chapman bei dessen Besuch an der Uni über den Campus, geht mit ihm essen, zeigt ihm die Halle. „Rex war von einem gewissen Flair umgeben, das anders war“, sagt Payne gegenüber FIVE. „Er wusste, dass er ein toller Basketballer war, blieb aber trotzdem zurückhaltend und bescheiden.“ Chapman sagt den Cardinals sein Kommen zu – bis zu einem Anruf. Am anderen Ende der Leitung: Eddie Sutton, Cheftrainer der University of Kentucky, mit der die Cardinals in bitterer Rivalität leben. Die Atmosphäre von Erfolg, die AdolphRupp-Aura, die das Zuhause der Wildcats umgibt, bringt Chapman ins Zweifeln. „In Kentucky war einfach alles anders. Alles schien professioneller“, sagt Chapman. „Ich rief daraufhin Coach Crum an und sagte ihm, dass ich meine Meinung geändert hätte. Er verstand das und gab mir seinen Segen.“

Never forget, Kenny Auf dem Parkett läuft es für Chapman im Dress der Wildcats wie geschmiert. Am 27. Dezember 1986 bekommt das auch Kenny Payne zu spüren. Im Derby zwischen der University of Louisville und den Kentucky

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Wildcats bezeugt Muhammad Ali, wie Chapman die Cardinals beim 85:51 beinahe im Alleingang schlägt. 26 Punkte und vier Assists legt „The Boy Wonder“ auf, jagt fünf seiner acht Dreier durch die Reuse. Chapman sieht damals etwa so aus wie der bubihafte Junge in der Kinderschokoladen-Werbung. Dass sein knabenhaftes Gesicht konträr zu seiner Unbarmherzigkeit auf dem BasketballFeld steht, bekommt besonders Kenny Payne zu spüren. Im Fastbreak zieht Chapman in die Zone. Payne versucht noch, sich dem heranrauschenden Shooting Guard in den Weg zu stellen – das aber interessiert den Freshman Chapman kaum. Er steigt hoch und hämmert den Ball durch den Ring. Payne geht zu Boden, als wäre er gerade angefahren worden. Auch heute ist Chapman bemüht, seinen Freund diese Szene nicht vergessen zu lassen. „Ich schicke ihm das Foto noch einmal im Jahr“, sagt der 52-Jährige lachend. Und Payne erwidert: „Ja, er gibt noch immer mit dem Video an. Wäre er nicht Familie, wäre er wohl mein Feind.“ Doch Rex Chapman ist nach seiner Ankunft bei den Wildcats in Lexington einsam. Unter der Last des ihm aufgebürdeten Ruhms fällt es dem damals 19-Jährigen abseits des Courts schwer, die Brust herauszustrecken. Er ist freundlich, aber zurückhaltend. Er weiß nicht, wie er sich im Umgang mit anderen verhalten soll. Obwohl ihn jeder kennt und ihm ob seiner Berühmtheit auf dem Campus Gesellschaft stets sicher ist, fühlt er sich schnell isoliert.

Two-and-done Auch auf anderen Ebenen gibt es Probleme. Während seiner Zeit an der UK lässt Chapman mehrfach sein Auto neu lackieren. Nicht, weil ihm die Farbe missfällt. Chapman geht mit schwarzen Frauen aus. Ihren Unmut über die DatingGewohnheiten des jungen Basketballers verewigen Rassisten in der Karosserie seines Fahrzeugs, ritzen Sprüche wie „N***er Lover“ in den Lack. In seinem Alter ist dieser Hass für Rex Chapman schwer zu begreifen. Von der Uni bekommt er wenig Hilfe. Die Entscheidungsträger wollen, dass er seine Liebschaften verborgen hält. „Es war eine andere Zeit“, sagt Chapman heute beinahe etwas lapidar. „Ich bin ausgegangen, mit wem ich wollte. Mit schwarzen Frauen, mit weißen Frauen. Mit Volleyballspielerinnen. Das machte für mich keinen Unterschied.“ Sportlich ist er weiter kaum zu halten. Mit 19,0 Punkten und einer Dreierquote von 41,5 Prozent führt er die Wildcats in seinem zweiten Jahr bis ins Sweet Sixteen der March Madness. „Er war so schwer zu verteidigen“, erinnert sich Kenny Payne. „Rex konnte dich auf so viele Arten schlagen. Er konnte werfen, nachdem er sich durch Blöcke geschlängelt hatte. Er konnte dribbeln. Er war schnell im

„Er konnte werfen, nachdem er sich durch Blöcke geschlängelt hatte. Er konnte dribbeln. Er war schnell im Umschaltspiel. Das war sehr ungewöhnlich. Zu dieser Zeit warfen die meisten Spieler nur ihre Jumper aus dem Stand. Rex konnte dich auf viele Arten attackieren.“ Kenny Payne -----------

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Umschaltspiel. Das war sehr ungewöhnlich. Zu dieser Zeit warfen die meisten Spieler nur ihre Jumper aus dem Stand. Rex konnte dich auf viele Arten attackieren.“ Am 24. März 1988 erzielt Chapman im Achtelfinale gegen Villanova 30 Punkte – Kentucky verliert dennoch mit 74:80. „In diesem Jahr hätten wir eigentlich Meister werden müssen“, so Chapman. Es ist sein letztes Spiel für die Wildcats. In 61 Partien für die UK erzielt er 1.073 Punkte, trifft 40 Prozent seiner Dreier. Im Alter von 20 Jahren entscheidet er sich dennoch, ins Profilager zu wechseln – auch das ist ungewöhnlich für die Achtzigerjahre, lange vor der One-and-Done-Ära. Wegen Regelverstößen beim Rekrutieren droht die NCAA, die University

of Kentucky auf Bewährung zu setzen. Das jedenfalls wird Rex Chapman zugetragen. Außerdem zieht sich der Shooting Guard eine erste Rückenverletzung zu. Er sorgt sich um seine Zukunft, wenn er nicht bald Geld aus seinem Talent schöpft. „Der Hauptgrund, warum ich nach zwei Jahren am College in die NBA wollte, war die Tatsache, dass ich ein Top-Ten-Pick sein würde“, sagt Chapman. An achter Stelle der Draft sichern sich 1988 die Charlotte Hornets die Rechte an dem Shooting Guard aus Owensboro, Kentucky. Er ist der erste Draftpick der neu gegründeten Franchise. Alles ist neu. Alles ist aufregend. Und Rex Chapman ist wieder allein. Alle seine Mannschaftskameraden sind verheiratet, haben Kinder. Chapman ist gerade dem Teenager-Alter entwachsen, weiß nicht einmal, wie er alleine den Haushalt schmeißen soll. Er bittet nicht gern um Hilfe. Das hat er noch nie gemacht. Er will niemandem zur Last fallen, versucht stets, es allen recht zu machen. Rückblickend ist er froh, dass ihm bei seinen ersten Schritten ins Erwachsenenleben doch jemand unter die Arme greift. Dell Curry ist einer seiner Mitspieler. Curry und dessen Familie kümmern sich. Sie helfen beim Umzug, waschen seine dreckige Kleidung. Und das, obwohl der gerade geborene Stephen Curry ebenfalls umsorgt werden will.

„Das war unheimlich dumm“ All das passiert im Schatten der Lichtkegel großer NBA-Hallen, abseits der Highlights in den Sportsendungen. Dort zeigt sich Chapman weiterhin souverän. In seinem ersten Jahr bei den Hornets liefert „The Boy Wonder“ ab. 16,9 Punkte erzielt er in seinem Rookie-Jahr im Durchschnitt. Seine tiefschürfende Unsicherheit, die Schwierigkeit, sich gegenüber seinen Mitmenschen zu öffnen und soziale Kontakte zu pflegen, verbirgt er. Auch physisch kommen die Einschläge näher. Chapman ist nicht nur ein ausgewiesener Distanzschütze, er ist auch ein Springer. „Ich war zunächst mehr ein Athlet als ein Basketballspieler. Und ich weiß nicht, ob ein menschlicher Körper dafür gemacht ist, jede Nacht ein Basketballfeld rauf und runter zu rennen, ständig zu springen“, sagt Chapman heute. Am 17. Januar 1994 – Chapman ist mittlerweile für die Washington Bullets aktiv – knickt er um. Und zwar so heftig, dass der Knochen durch seine Haut bricht. „Ich hatte mir in diesem Spiel den Knöchel ausgerenkt. Der Knochen guckte aus der Haut“, erinnert sich der 52-Jährige. Die Bullets verlieren mit 87:100 gegen die San Antonio Spurs. Chapman ist gerade für das All-Star-Game nominiert worden – zum ersten und einzigen Mal in seiner Karriere. Es heißt, Washington müsste mindestens zehn Wochen auf seinen Guard verzichten. Chapman kehrt nach nur sechs Wochen aufs Feld zurück. „Das war unheimlich dumm“, sagt er heute.

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Chapman macht weiter. Getrieben von dem Verlangen, eine Meisterschaft zu gewinnen, es endlich einmal ins All-StarTeam zu schaffen. Das ist es, was alle erwarten – also will er dem entsprechen. Was daraus folgt, ist noch mehr Leid. Je mehr Chapman nach der ihm prophezeiten Karriere strebt, je weiter ihn sein Kampfgeist treibt, desto tiefer gräbt er sich selbst in ein Loch des Scheiterns. Sieben oder acht Operationen folgen. Wie viele es wirklich waren, weiß er gar nicht mehr. Eine OP an der Achillessehne, Schrauben im Handgelenk, Draht und Schrauben im Zeigefinger, eine Stressfraktur des Wadenbeins. Die Lektüre von Chapmans Krankenakte erweckt größeren Schrecken als ein Stephen-King-Roman. In der Saison 1996/97 plagen ihn die Nerven im rechten Fuß. Eine Spielzeit zuvor ist er zu den Phoenix Suns gewechselt. Chapman will auf die Zähne beißen, will weiterspielen. Zum ersten Mal nimmt er das Schmerzmittel Vicodin. Es hilft ihm durchzuhalten. Und Rex Chapman hält durch. Während seiner letzten drei Jahre als Basketballprofi schluckt er ein paar Pillen, sobald sich der Schmerz in seinem Körper ausbreitet. Im Frühling 2000 hängt er die Schuhe an den Nagel – danach zieht sich die Schlinge der Sucht immer weiter zu. Nach einer Blinddarm-OP im selben Jahr kommt Chapman zum ersten Mal mit OxyContin in Kontakt – ein starkes Schmerzmittel. Chapman ist kein Trinker, er raucht kein Gras. Er ist nie zuvor in seinem Leben mit Drogen in Kontakt gekommen. OxyContin nimmt er nur ein paar Tage, „dann merkte ich, wie die Pillen etwas mit mir machten“, sagt Chapman.

Sehen, was man sehen will Das Mittel lindert nicht nur seine Schmerzen. „Ich war mein ganzes Leben lang etwas merkwürdig, etwas unbeholfen.“ Plötzlich fällt es ihm leichter, auf andere Menschen zuzugehen, mit ihnen zu sprechen. Und es fällt ihm leichter, seine Probleme zu ignorieren – seine Ehe zum Beispiel. Denn Chapman ist mittlerweile verheiratet. Es sei eine schwierige Ehe gewesen, sagt Chapman, und das habe vor allem an ihm gelegen. Hat er seine Pillen intus, ist es, als hätte jemand die Handbremse gelöst, die seine Kontaktfreude ausbremst. Als würde der Nebel, der seine Sinneswahrnehmung fortan verschleiert, ihm nur offenbaren, was er auch sehen und hören möchte. Chapman ist dauerhaft euphorisiert. Die Sucht übermannt ihn, und er gibt ihr nach. „Nach ungefähr anderthalb Jahren nahm ich etwa fünfzig Vicodin und zehn OxyContin – und das jeden Tag“, sagt Chapman. Nach seiner Zeit als Profi fällt es Chapman immer schwerer, seinen Alltag mit Sinn zu füllen. Er wettet auf Pferderennen. Das hat schon sein Vater

Chapman

getan. Gleichzeitig wächst die Toleranz, die sein Körper gegen die Medikamente entwickelt hat. Er braucht immer mehr davon, damit der Effekt nicht nachlässt. Etwa vierzig Millionen Dollar hat er während seiner Zeit in der NBA verdient, schätzt er. Genug, um seinen Konsum zu decken. „Ich dachte nicht daran, dass mir das Geld irgendwann ausgehen könnte“, sagt Chapman. Einen Teil seiner

„Ob ich glücklich bin? Ich weiß es nicht. Aber mir geht es gut.“ -----------

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Medikamente bekommt er auf Rezept. Aber das genügt schon bald nicht mehr. Wo anderen Menschen das Geld und das Ansehen einer großen Sportlerlaufbahn die Türen zu höheren Kasten, zu Jobs nach der Karriere aufstoßen, öffnen sie für Rex Chapman die Kofferraumklappe seines Dealers, bei dem er seinen Pillenvorrat aufstockt. Dosen mit 300 Tabletten nimmt er ihm ab. Neben der Spiel- und Drogensucht kämpft Chapman nunmehr auch mit wachsenden Depressionen. Er bittet niemanden um Hilfe. Das hat er noch nie gern gemacht. Ein Freund zieht im Jahr 2001 aber die Notbremse. „Sein Leben löste sich auf. Es war, als wäre Rex süchtig nach der Sucht“, sagt Danny Ainge im Interview mit der „Sports Illustrated“. Ainge ist Chapmans Trainer in Phoenix. Bis zum heutigen Tag sind die beiden befreundet. Er legt Chapman nahe, sich sofort in die Entzugsklinik Sierra Tucson einweisen zu lassen. Tagelang muss sich Rex Chapman übergeben. Er schwitzt, weiß

nicht, ob Tag oder Nacht ist, während sich sein Körper vom Gift entwöhnt. „Es war brutal“, fasst der 52-Jährige zusammen. Er fühlt sich wie im Gefängnis. Wieder einmal ist Chapman isoliert – dieses Mal auch physisch. Durch die Entgiftung muss er allein. Als Chapman aus der Reha kommt, kehrt der Schmerz zurück. Dieses Mal ist es der Bauch, der ihn quält. Ein paar Monate später muss er wieder unters Messer: Schrauben sollen aus seinem Handgelenk entfernt werden. Zur Schmerzlinderung verschreibt ihm der Arzt Vicodin. Auch der Bauch tut nicht mehr weh, als er die Pillen schluckt – aber die Abwärtsspirale dreht sich wieder. Anfang des Jahres 2002 ist Rex Chapman wieder abhängig von jenen Medikamenten, die ihn schon einmal niedergestreckt haben. Er geht erneut in eine Entzugsklinik. Wieder kämpft er sich durch den Entzug, entgiftet seinen Körper, kotzt sich die Seele aus dem Leib. Als er wieder clean ist, kommen die Bauchschmerzen zurück. Ein Arzt legt ihm nahe, sich Suboxone zu besorgen. Ein Medikament, das beim Entzug von Opiaten helfen soll. Starkes Zeug, das niemand seinem Körper lange zumuten sollte. Rex Chapman nimmt es zehn Jahre lang.

„Die ganze Zeit auf Drogen“ „Ein Athlet stirbt zweimal“ – so abgenutzt dieser Spruch auch sein mag, er trifft hin und wieder zu. Nach seiner Zeit als Spieler sucht Rex Chapman nach einem neuen Sinn in seinem Leben. Er versucht sich bei verschiedenen Franchises im Management. Im Jahr 2002 heuern ihn die Phoenix Suns an. Zunächst als Scout, später als „Director of Basketball Operations“. 2005 zieht es ihn zu den Timberwolves. Nur ein Jahr später wird er „Vice President of Player Personnel“ bei den Denver Nuggets. Nirgends bleibt Chapman lange. Seine Sinne sind stets von einem Schleier aus Opiaten vernebelt, er ist weiterhin Sklave seiner Pillendose. „Ich war während dieser Jobs die ganze Zeit auf Drogen. Aber ich nahm Drogen, mit denen man trotzdem funktionieren kann. Ich würde nicht sagen, ich war gut, aber ich habe funktioniert“, sagt Chapman. Mit seiner Frau liegt er weiterhin im Clinch. Die Scheidung läuft. Die Drogen helfen Rex Chapman, seine Probleme von sich zu schieben. Er kapselt sich ab, ist es leid, in der Öffentlichkeit erkannt zu werden. Genau das wird ihm einige Zeit später zum Verhängnis – und rettet ihm doch das Leben. Im Jahr 2014 erreicht er den endgültigen Tiefpunkt. Am 19. September klicken die Handschellen. Die Polizei nimmt Chapman in Scottsdale, Arizona fest. Warum, weiß er zunächst nicht, beteuert der NBA-Veteran. „Auf den Überwachungsvideos war zu sehen, wie ich Waren einsteckte“, so Chapman. Die Kameras, die diese Videos aufzeichnen,

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hängen in einem Apple Store in Scottsdale. Dort greift er Produkte ab, täuscht vor, sie an der Selbstbedienungskasse per App zu bezahlen – und verschwindet. Sieben Mal zieht er diese Masche durch. Beim letzten Raubzug erkennt ein Mitarbeiter den früheren Suns-Guard – obwohl die Muskeln seiner aktiven Zeit längst von Fett bedeckt sind, sein kantiges Gesicht nunmehr eher einem Pfannkuchen gleicht, seine letzten Haarstoppeln ergraut sind. Apple-Waren im Gesamtwert von 14.000 Dollar lässt er mitgehen, versetzt sie anschließend beim Pfandleiher. Einen Tag lang sitzt er im Gefängnis – und da

durchdringt plötzlich die Erleuchtung den Nebel, der seinen Geist so lange gefangen hielt. Im Gefängnis fließen die Tränen. Das Bewusstsein über seine Taten gewinnt plötzlich die Oberhand. „Wenn du einmal da bist, ist es egal, wie du dorthin gekommen bist“, sagt Chapman heute. „Mir wurde bewusst, dass ich meine Kinder enttäuscht und gedemütigt habe.“

Ein letztes Mal in den Entzug Noch immer will Rex Chapman niemanden um Hilfe bitten. Seine Schwester Jenny benötigt aber keine Aufforderung. Nachdem

ihr Bruder aus dem Gefängnis entlassen wird, fliegt sie zu ihm. „Er war katatonisch. Er konnte mir nicht in die Augen sehen und sagte die ganze Zeit: ‚Ich weiß nicht, was gerade passiert ist. Was habe ich getan?’“, erzählt sie gegenüber „Sports Illustrated“. Sie besorgt ihrem Bruder einen Platz in „The Brook“, einer Entzugsklinik in Louisville. Wieder entgiften, sich übergeben, schwitzen, Schlaflosigkeit – aber dieses Mal ist es das letzte Mal. Nach einer Woche in „The Brook“ geht Chapman nach Houston. Dort bleibt er weitere drei Monate und schließt seine Rehabilitation ab. „Ich wäre gestorben“, sagt Chapman wiederholt. „Ich dachte, ich könnte es allein schaffen, aber etwas musste passieren.“ Wegen des Diebstahls muss er Schadenersatz zahlen und „ungefähr 1.000 Sozialstunden leisten“. Wie viele es genau waren, weiß er nicht mehr. Sein Kurzzeitgedächtnis lässt ihn noch heute gelegentlich im Stich – der Medikamentenkonsum hat seine Spuren hinterlassen. Nach seinem dritten Entzug beginnt für Rex Chapman wieder der Kampf zurück ins Leben, die Suche nach einem Sinn, einer Identität, um alten Mustern dieses Mal fernzubleiben. Und er bekommt unverhoffte Hilfe – wieder einmal hat er nicht darum gebeten. Bevor die College-Saison 2015 beginnt, klingelt Chapmans Telefon. Paul Archey will ihn sprechen. Dessen Unternehmen produziert die RadioBerichterstattung über die Kentucky Wildcats, Chapmans Alma Mater. Archey will Chapman in seinem Team. „Ich hätte niemals gedacht, dass Menschen mich abseits des Basketballs lieben würden. Ich dachte damals, dass ich diese Hilfe gar nicht verdiene“, sagt Chapman heute. Er nimmt sie dennoch an. Heute arbeitet „The Boy Wonder“ nicht nur als Kommentator der UK-Spiele, sondern auch bei NBA TV. Zudem macht er sich in der Drogenprävention stark, spricht auf vielen Veranstaltungen, engagiert sich gesellschaftlich. Er überwindet seine soziale Unsicherheit, geht auf Menschen zu. Auch wenn er selbst sagt, er sei noch immer nicht so gut angepasst. Rex Chapman versucht beschäftigt zu bleiben, ohne dabei Dummheiten zu begehen. Fast jeden Tag steigt er ins Becken, schwimmt rund 100 Bahnen. Das macht sein Körper gut mit. „Ich habe nach meiner dunkelsten Zeit gemerkt, wie un-großartig ich bin“, sagt er. „Ob ich glücklich bin? Ich weiß es nicht“, zweifelt er. „Aber mir geht es gut.“ Seine Augen jedenfalls sehen wieder klarer. Den Schleier vor ihnen hat er abgelegt. Sein Gesicht hat die alten Kanten zurück, die Fettpolster sind verschwunden. Der letzten Haarstoppel hat er sich auch entledigt. Der dicke, benebelte Mann auf dem Polizeifoto – er existiert nicht mehr. redaktion@fivemag.de

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Louie Dampier Der Opa der Splash Brothers Niemand hat in der Geschichte der ABA mehr Punkte, Dreier und Assists aufgelegt als Louie Dampier. Trotzdem dauerte es fast 40 Jahre, bis der „Eisenmann“ in die Hall of Fame aufgenommen wurde. Text: Thomas Fritz

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s vergingen 32 lange Jahre – die Zeit der verkürzten NBA-Dreierlinie ausgenommen –, bis es einem Basketball-Profi gelang, den Rekord von Louie Dampier zu knacken. 199 Mal warf der Point Guard der Kentucky Colones den Ball in der ABASaison 1969/70 von der Dreipunkte-Linie in den Korb. In der ehemaligen Schwesterliga der NBA gehörte der Wurf seit ihrer Gründung zwei Jahre zuvor zum Repertoire. Die „große Association“ führte ihn erst 1979/80 ein, von vielen anfangs übrigens misstrauisch beäugt und in den 80ern nur von wenigen Spezialisten mehr als einmal pro Partie genutzt.

2001 netzte Antoine Walker von den Boston Celtics schließlich 221 Mal von außen ein. Die älteren Fans werden es wissen: Der Power Forward war nie um einen schnellen Abschluss von Downtown verlegen, womit er seine Coaches regelmäßig zur Verzweiflung trieb und auch bei einigen Basketball-Puristen für Stirnrunzeln sorgte. Legendär auch seine Begründung, warum er denn so viele Dreier nehmen würde: „Weil es keine Vierer gibt …“ 2001 waren mehr als 200 erfolgreiche Dreier eine echte Hausnummer. Noch zehn Jahre später führte Dorell Wright die Liga mit „nur“ 194 Treffern an. Heute würden Walker die meisten Coaches vermutlich zurufen:

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„Kein Problem, Toine, dass du nach fünf Sekunden abdrückst. Wirf schön weiter, Junge!“ Den Dreier muss 2019 praktisch jeder draufhaben, vom Point Guard bis zum Center. Er ist fast so essenziell wie Dribbeln und Passen geworden. Was aber kaum ein BasketballFan weiß: Louie Dampier, ein nur 1,83 Meter großer und 77 Kilogramm schwerer Point Guard aus Indianapolis, Indiana, gilt als einer der ersten Dreier-Spezialisten im amerikanischen Profi-Basketball. Lange vor Larry Bird und Reggie Miller oder Steph Curry und James Harden versenkte der Mann mit der Rückennummer zehn den Wurf mit einer bis dahin nicht gesehenen Leichtigkeit im Korb. „Es ist keine Frage, dass Louie Dampier der Dreipunkte-Pionier im Basketball war“, sagt David Vance, der frühere Vizepräsident und General Manager der Colonels. „Er hat dabei geholfen, den Wurf populär zu machen.“

Schicksalsschlag Bevor sich Louie Dampier jedoch als ProfiBasketballer einen Namen macht, muss er viele dunkle Stunden überstehen. Er kommt am 20. November 1944, rund ein halbes Jahr vor Ende des Zweiten Weltkrieges, zur Welt. Seine vier Geschwister sind zwischen neun und 13 Jahre älter als das Nesthäkchen. Mit 16 ist „Little Louie“, so wird er wegen seiner schmächtigen Statur genannt, ein normaler Jugendlicher. Er spielt leidenschaftlich Baseball und Basketball, gilt als Scherzkeks und hat eine Menge Freunde. Bis eines Tages eine seiner älteren Schwestern in der Schule auftaucht und ihm eine schockierende Nachricht überbringt. Die Mutter ist nach einer Operation unerwartet an Komplikationen verstorben. Sie war die gute Seele der Familie und begleitete die Kinder immer zu deren Sportveranstaltungen. Dampier, den ein inniges Verhältnis mit seiner Mutter verband, zieht sich innerlich zurück und ist fortan viel introvertierter. „Ich kann die Traurigkeit und den Verlust nicht genau beschreiben“, sagt er noch 2015. „Ich kann es bis zum heutigen Tage nicht.“ Wenn das Unglück etwas Positives mit sich bringt – wenn man das überhaupt so sagen darf –, dann ist es die Tatsache, dass sein Vater, der sich bislang kaum um die Erziehung gekümmert hat, mehr Zeit mit dem Sohnemann verbringt. Nun begleitet ihn sein Dad zum Basketball und winkt von der Tribüne aus zu. Beide kommen sich nach all den Jahren endlich ein wenig näher. Dann kommt der nächste Schicksalsschlag. Als er 18 ist, verstirbt sein Vater an einem Magengeschwür. Dampier wird niemals wieder der Alte sein, sagen Weggefährten. Dan Issel, sein bester Freund und langjähriger ColonelsTeamkollege, weiß es nur zu gut. „Am glücklichsten ist Louie, wenn er in Ruhe den Rasenmäher fahren kann und mit niemandem sprechen muss“, sagt

Issel, der mit Dampier 1975 die ABAMeisterschaft gewinnt. „Er ist ziemlich introvertiert. Er mag das Rampenlicht nicht, und er macht alles, um nicht im Rampenlicht zu stehen.“ Die beiden passen in dieser Hinsicht gut zusammen. Während andere Teamkollegen auf Reisen schon mal das Nachtleben testen und in Bars abhängen, schließen sich Dampier und Issel im Hotelzimmer ein, bestellen Cheeseburger und Fritten und ziehen sich die amerikanische Endlos-Soap „Zeit der Sehnsucht“ rein. „Wir waren die Könige des Zimmerservice“, lacht Issel. „Wir waren nicht sehr sozial.“

Rupps Zwerge In den Jahren, als Dampier den Tod seiner Eltern verdauen muss, ist er schon ein Star an der Southport Highschool in Indiana. In seinem Senior-Jahr legt er 24 Punkte pro Spiel auf. Eben mal 40 Zähler in einem Schulmatch scoren, das nur 32 Minuten dauert? Kein Problem für den flinken Teenager mit dem lockeren Wurfhändchen. Ein Scout berichtet Adolph Rupp, Coaching-Legende der University of Kentucky und einer der erfolgreichsten Trainer der NCAA-Geschichte, von Dampier. Rupp fährt selbst in den Norden und ist begeistert von dem, was er sieht. Der technisch versierte Guard trifft fast jeden Wurf in der ersten Halbzeit. Rupp hat

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genug gesehen, verlässt die Halle zur Pause und bietet Dampier wenig später ein Stipendium an. Der lässt für Kentucky sogar seinen Kindheitstraum sausen. Eigentlich wollte er immer für die Indiana University spielen, aber der dortige Coach Branch McCracken zeigt sich beim Vorort-Gespräch nicht wirklich interessiert an seinem möglichen Neuzugang, obwohl er ihm ebenfalls ein Stipendium anbietet.

In einer Zeit, in der viele Profis das Spielgerät noch mit beiden Händen Richtung Ring befördern, hat sich Dampier einen Jumpshot angeeignet, wie wir ihn heute kennen: In der letzten Phase des Wurfs befördert er den Ball nur noch mit einer Hand Richtung Ring. Als ihn einer seiner College-Trainer fragt, von wem er den unüblichen Bewegungsablauf erlernt habe, zuckt der Scharfschütze mit den

„Gott hat Louie das Werfen beigebracht.“ -----------

Es ist eine Entscheidung, die Dampier niemals bereuen wird – und Rupp auch nicht. „Gott hat Louie das Werfen beigebracht“, schwärmt der Coach später einmal, „und ich bekomme die Anerkennung dafür.“ Nach dem Ende seiner 42 Jahre währenden Coaching-Laufbahn sagt Rupp, er habe nie einen Spieler mit einer saubereren Wurfbewegung gesehen als Louie Dampier.

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Schultern. Wer weiß, vielleicht hatten tatsächlich die Basketball-Götter ihre Hände im Spiel … In seinem zweiten Jahr mausert sich Dampier mit 21,1 Punkten neben Guard-Kollege Pat Riley (22,0) endgültig zum Star der Wildcats. Weil keiner der Studenten über zwei Meter misst, wird die Truppe auch „Rupps Zwerge“ genannt. 1966 pflügt Kentucky mit 27-2 durch die Saison und trifft im Finale des NCAA-Turniers auf Texas Western. Es ist das erste Mal in der Geschichte der College-Liga, dass mit den Texanern eine nur aus Afroamerikanern bestehende Starting Five das Endspiel bestreitet – und mit 72:65 auch noch gewinnt. Dampier verpasst seine einzige Chance auf die College-Meisterschaft, für Coach Rupp wäre es der fünfte Triumph gewesen. Nach 19,7 Punkten pro Partie und Platz drei in der ewigen Scorerliste der Wildcats meldet sich der Allrounder, der auch im Baseball-Team glänzt und für seine akademischen Leistungen ausgezeichnet wird, zur NBA-Draft 1967 an. Die Cincinnati Royals (heute die Sacramento Kings) ziehen den 22-Jährigen

in der vierten Runde als 38. Pick. Damals werden insgesamt 162 Spieler in 20 Runden von den zwölf Teams ausgewählt!

Dreier-Pionier Dampier entscheidet sich gegen die NBA. Er scheut das Risiko nicht, trotz vieler Unwägbarkeiten in der neu gegründeten American Basketball Association anzuheuern, und unterschreibt einen Vertrag bei den Kentucky Colonels aus Louisville. In Cincinnati hätte er sich erst im Tryout für einen Vertrag empfehlen müssen, die Colonels bieten ihm sofort ein Arbeitspapier an. Ein weiteres Argument gegen die NBA: Der Royals-Backcourt ist mit TripleDouble-König Oscar Robertson und Adrian Smith schon stark besetzt. Der CollegeStar hat einfach keine Lust, sich bei den Profis auf die Bank zu setzen und anderen beim Scoren zuzuschauen. Denn das kann er ja selbst gut genug … Dass es in der ABA von Beginn an die Dreipunkte-Linie gibt, kommt dem Wurfgott natürlich entgegen. Schon als Rookie nimmt Dampier 142 Dreier. Das klingt nach viel, ist aber weitaus weniger als bei Lester Selvage von den Anaheim Amigos und Chico Vaughn von den Pittsburgh Pirates, die mit 461 bzw. 410 Dreierversuchen als erste „High Volume Shooter“ im US-Profibasketball gelten. Dampier hinkt ihnen in Sachen Wurfquantität anfangs hinterher. Dafür steigert er im Gegensatz zur Mehrheit der Dreipunkte-Pioniere seine Quoten auf ein selbst heute noch annehmbares Niveau. Von seinem Rookie-Jahr abgesehen trifft er stets mehr als 34,8 Prozent von außen. Nach 199 Dreiern im Jahr 1969 netzt er in der Folgesaison 198 Mal vom Parkplatz ein (jeweils Liga-Bestwert) – mit einer Quote von jeweils 36,1 Prozent. In den 60ern und 70ern ist das ein sensationell hoher Wert, der den vierten bzw. zweiten Platz ligaweit bedeutet. Ein Trainingstier ist Dampier dabei laut eigener Aussage gar nicht. Damals konnten sich die Spieler nicht (wie heute oft üblich) praktisch so lange in der Trainingshalle aufhalten, wie sie wollten. Schon gar nicht in der teilweise etwas chaotisch geführten ABA. Nichtsdestotrotz gilt Dampiers Release als einer der schnellsten überhaupt, seine Wurfbewegung ist so flüssig, wie es nur geht. Und er besitzt einen sechsten Sinn dafür, wo sich die Dreierlinie befindet. Beispiel gefällig? Vor einem Preseason-Duell der Colonels gegen das Kentucky Wesleyan College in Owensboro haben die Verantwortlichen die Markierung extra mit Tape auf den Hallenboden geklebt, denn die NCAA führt den Dreipunktewurf erst 1985 ein. Dampier betritt das Spielfeld, stoppt an der Linie und behauptet zur Verwunderung aller Anwesenden, dass sie falsch ausgemessen sei. „Wir sind zur Mitte des Courts gegangen und haben nachgemessen“,

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erinnert sich Colonels-Manager Vance. „Und tatsächlich: Die Linie war zweieinhalb (!) Zentimeter versetzt.“ Diese Genauigkeit, ja fast Pedanterie wird vielen Großen ihres Sports nachgesagt. Kaum weniger talentiert ist Teamkollege Darel Carrier – beide erzielen in ihren ersten drei ABA-Jahren mehr als 20 Punkte pro Spiel. Bei Dampier sind es exakt 20,7 sowie 24,8 und 26,0 Zähler. „Louie und Darel waren die Splash Brothers der 60er“, meint Vance in Anspielung auf Steph Curry und Klay Thompson von den Golden State Warriors, das wohl wurfgewaltigste GuardTandem aller Zeiten. Auch Dampier und Carrier bombardieren gegnerische Verteidigungen mit langen Zweiern und Dreipunktewürfen, sie gelten als das explosivste BackcourtDuo der kurzen ABA-Geschichte. „Wir haben uns gut ergänzt“, sagt Carrier. „Entweder hast du ihn gedeckt und mich offen gelassen … oder du hast versucht, mich zu decken, und ihn offen gelassen.“ Curry und Thompson lassen grüßen! Der Dreier ist aber nicht Dampiers einzige Stärke. Der Aufbauspieler findet häufig eine gesunde Balance zwischen seinem eigenen Abschluss und den klassischen Aufbauspieler-Tugenden. Er hat nicht nur die meisten Punkte und Dreier der ABA-Geschichte erzielt, er liegt auch bei den Assists mit 4.044 in Front. Zum Teil sind diese Werte allerdings der Tatsache geschuldet, dass insgesamt nur vier Spieler die vollen neun Jahre zwischen der Ligagründung 1967 und der Auflösung 1976 absolvieren. Dampier liegt mit 728 Spielen auch in dieser Kategorie an der Spitze. Der Lohn von Klasse und Beständigkeit: Neben der Wahl ins AllRookie-Team 1967 wird er viermal für das All-ABA-Team nominiert und läuft siebenmal im All-Star-Game auf. Neben den Skills überzeugt er Zeitgenossen durch seinen bodenständigen und bescheidenen Charakter. Die langen Haare und der Schnauzbart sind weniger Anzeichen seines wilden Naturells, sondern einfach der damaligen Mode geschuldet. Marvin Roberts, zwischen 1974 und 1976 in Diensten der Colonels, meint, Dampier sei ein „wundervoller Mitspieler und Mensch“ gewesen. „Nicht sehr lautstark, einfach nur ein guter Typ, kein Drama. Er war sehr bescheiden, bis er einen Basketball in den Händen hatte – dann regnete es Sprungwurf nach Sprungwurf nach Sprungwurf.“ Der Stratege öffnet durch seine Vielseitigkeit das Feld für die anderen Akteure. Lloyd Gardner, der zwei Bücher über die Colonels schrieb, fasst Dampiers Persönlichkeit und Spielweise in einem Satz zusammen: „Er hat seine Klappe gehalten und einfach nur gespielt.“

Legendäre Mannschaft Trotz Dampiers Klasse verlieren die Colonels die Finals 1971 und 1973. Vor der Saison 1974/75 verpflichtet das

Management Hubie Brown, einen früheren NBA-Assistenztrainer, als Chefcoach. Das Ziel ist klar: endlich die ABA-Krone abgreifen. Das hungrige Team beendet die Saison – angeführt von den jungen Big Men Artis Gilmore und Dan Issel sowie Dampier, der nun mehr als Playmaker agiert (16,8 Punkte plus 5,4 Assists) – mit 23 Siegen aus 26 Partien. Im letzten Spiel der Finals gegen die Indiana Pacers legt der 30-Jährige jeweils zwölf Punkte und Assists auf, Gilmore kommt auf 28 Zähler plus 31 Rebounds. Legendär sind Dampiers starke Nerven: Er ist der derjenige, der den Ball in der Crunchtime in den Händen haben will, und entscheidet 1974/75 allein neun Spiele durch den letzten Wurf. „In unserem Meisterjahr war er die Hauptgefahr, wenn es um alles oder nichts ging“, sagt Hubie Brown. „Er liebte die kritischen Phasen in den Spielen.“ Im selben Jahr gewinnt die Warriors-Franchise ihre erste NBAMeisterschaft in Oakland. ColonelsBesitzer John Y. Brown bietet den Warriors eine Million Dollar für ein Spiel gegen Kentucky an, aber die NBA lässt das nicht zu. Ein Jahr später kommt es doch zu dem Matchup, das die Colonels mit 93:90 für sich entscheiden. In den Augen von Dampier und seinen Kollegen war das keine Eintagsfliege. „Wir hatten alles, was du brauchst“, sagt Dampier. „Wir hatten gute Verteidiger und gute Offensivspieler. Wir hatten zwei Big Men, die Double-Lowpost spielen konnten. Das ist das großartigste Team, für das ich je gespielt habe. Wenn wir den Kader zusammengehalten hätten und in die NBA gegangen wären, wären wir richtig wettbewerbsfähig gewesen. Davon bin ich überzeugt.“ Dan Issel pflichtet ihm bei: „Mit einem Center wie Artis und einem Schützen wie Louie und den ganzen anderen, die später einige Zeit in der NBA verbrachten, wäre das auch in der NBA eine ziemlich gute Truppe gewesen.“ Hubie Brown, der später die Hawks, Knicks und Grizzlies in der NBA coacht und zweimal zum „Trainer des Jahres“ gewählt wird, sagt bis heute, die Colonels seien die beste Mannschaft gewesen, die er jemals gecoacht habe. Doch es kommt anders. Teambesitzer Brown tradet Issel nach dem Titelgewinn aus finanziellen Gründen. Neuzugang Caldwell Jones wird mit dem neuen Team nie so richtig warm und verlässt Kentucky kurz darauf wieder. Im darauffolgenden Jahr verlieren die Colonels im Halbfinale mit 3-4 gegen Denver. Die ABA ist kurz darauf Geschichte. Bei der Fusion mit der NBA gehören die Colonels nicht zu den vier übernommenen Teams (das sind die Indiana Pacers, Denver Nuggets, San Antonio Spurs und New York Nets). Nach der NBA-ABA-Hochzeit und dem Ende der Colonels wird Dampier in einer Extra-Draft für die arbeitslosen Profis

von den San Antonio Spurs ausgewählt. Im Herbst seiner Spielerkarriere kommt er drei Jahre (6,7 Punkte) als Backup für All Star George Gervin zum Einsatz, einen alten ABA-Kontrahenten. „Ich habe meine Zeit dort wirklich genossen“, sagt Dampier. „Außer dass ich gegen George im Training antreten musste.“ Das direkte Duell mit dem kräftigen Flügelspieler war ihm früher noch erspart geblieben, da Gervin meist als Small Forward zum Einsatz kam. 1979 hängt Dampier seine Schuhe nach drei Playoff-Teilnahmen mit den Spurs an den Nagel. Er bleibt dem Sport erhalten und läuft weiter in diversen Hobby- und Wochenendligen in Louisville und Süd-Indiana auf. Als er dort sein letztes Spiel absolviert, ist er über 70 Jahre alt. „Louie hatte eine unglaubliche Liebe für den Wettbewerb, egal welcher Sport es war“, sagt Hubie Brown. Bei den Denver Nuggets sitzt Dampier dreieinhalb Jahre als Assistant Coach auf der Bank und gibt seinen ungeheuren Erfahrungsschatz an die neue Spielergeneration weiter.

Überraschung beim Saugen 2015 wird ihm schließlich die ultimative Würdigung für seine erfolgreiche Karriere zuteil. Er reinigt gerade das Haus, als seine Frau und seine Schwägerin mit strahlenden Gesichtern die Tür durchschreiten. „Ich habe den Staubsauger ausgemacht“, lacht Dampier, „und so habe ich erfahren, dass ich in die Hall of Fame komme.“ Seinen Ex-Kollegen Gilmore und Issel war die Ehre schon weitaus früher vergönnt gewesen. Bei Issel, der seinen besten Kumpel mit einer Rede würdigt, stößt die späte Aufnahme auf großes Unverständnis. „Aus meiner Sicht hätte Louie einer der ersten ABA-Spieler sein sollen, die in die Hall of Fame aufgenommen werden“, sagt die CenterLegende. „Er ist schließlich einer der besten Werfer aller Zeiten.“ Billy Reed, ein Journalist des „Louisville Courier-Journal“, der Dampier während dessen Karriere begleitete, meinte vor einigen Jahren: „Wenn Louie heiß gelaufen ist, konnte ihn niemand stoppen. Es scheint, dass jede Diskussion über die besten Werfer im Basketball mit Jerry West, Larry Bird und Reggie Miller beginnt, aber Louie gehört auch dazu.“ Leider hatten es die Profis aus der kurzlebigen und in den Medien nicht so präsenten ABA etwas schwerer. Ihre Leistungen wurden oft übersehen. Dass der beste Scorer, beste Dreierwerfer und beste Vorlagengeber der Liga in den Olymp des Basketballs gehört, haben sie letztlich auch in Springfield erkannt. So rückten der „Opa der Splash Brothers“ und dessen Colonels – mit 448 Siegen die erfolgreichste Franchise der NBASchwesterliga – endlich einmal ins wohlverdiente Rampenlicht. redaktion@fivemag.de

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Y T R A M BLAKE PIONIER, PATE PIPPEN UND

Marty Blake erfand das moderne Basketball-Scouting und draftete den ersten Nichtamerikaner. Ohne ihn wären Scottie Pippen, Karl Malone oder Dennis Rodman wohl nie in der NBA gelandet. Sein Lebenswerk ist nicht nur ein Testament von Eifer und Entdeckergeist: Er ist die VerkÜrperung dessen, was die NBA sein wollte und geworden ist. Text: Toni Lukic

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m April 2013 starb Marty Blake im Alter von 86 Jahren an Herzversagen. Der damalige NBA-Commissioner David Stern gab daraufhin keinen Nachruf raus. Es war eine Verneigung. „Marty begann seinen lebenslangen Dienst am Basketball in einer Zeit, in der die NBA noch in den Kinderschuhen steckte. Seine Arbeit als General Manager und Direktor des Scoutings für die NBA brachte den Teams den Wert des Scoutings bei“, erklärte Stern. „Martys Hingabe, nicht nur für die NBA, sondern auch für den Basketball, war außerordentlich, und wir werden ihm für ewig dafür dankbar sein.“ Stern, der absolutistische starke Mann, der die NBA zum MilliardenUnternehmen aufbaute, wusste, welchen Anteil Blake an diesem Erfolg hatte. Beide Männer verstanden, dass die NBA eine Liga der Stars sein müsse. Und Marty Blake war der Mann, der dafür sorgte, dass der Liga die Sternchen niemals ausgehen würden. Im Dunstkreis der NBA wurde Blake „Godfather of Scouting“ genannt. Und die heutigen Talentspäher arbeiten immer noch nach den Methoden des „Paten des Scoutings“. „Marty war eine menschliche Datenbank, bevor das Wort ‚Datenbank‘ erfunden wurde“, erzählt Stan Kasten, ehemaliger General Manager der Atlanta Hawks und jetziger Präsident der Los Angeles Dodgers. „Sein Wissen über die Menge an Basketball-Spielern als enzyklopädisch zu bezeichnen, würde ihm nicht gerecht werden. Es war auch egal, wo diese Basketballer spielten. Jedes einzelne Team in der Liga stützte sich über Generationen auf ihn.“ Blake war weniger ein Daten-Fanatiker, sondern vielmehr ein Menschenfänger im besten Sinne. Er erkannte nicht nur Talent, sondern auch Möglichkeiten – und brachte beides zu einer Symbiose. Er entdeckte Spieler von kleinen Colleges wie Scottie Pippen, Karl Malone, Dennis Rodman, Joe Dumars, Ben Wallace oder Tim Hardaway und setzte sie den NBA-Managern vor die Nase. Doch er war nicht nur ein Scout. Das Aufbrechen von rassistischen Vorbehalten, ein internationales Selbstverständnis, Struktur, Organisation – Blake hat die DNA der heutigen NBA zu einem beachtlichen Teil mitgeschrieben.

Hustle & Scout Marty Blake wurde 1927 geboren und wuchs mit seiner Mutter in dem kleinen Ort Wilkes-Barre in Pennsylvania auf. Sein Vater starb an einer Herzattacke, als Marty acht Jahre alt war. Er wohnte mit seiner Mutter hinten in einem Nähladen. In den Wehen der Weltwirtschaftskrise der Dreißiger war kaum Geld da. Die Mutter war eine russische Emigrantin, die nicht Englisch lesen oder schreiben konnte. Der jugendliche Marty musste zusehen, wie er für die kleine Familie an Geld kam.

„Mein Vater musste hustlen. Er arbeitete als Promoter für lokale Boxkämpfe, Baseballspiele, Pferde- und Autorennen“, erzählt sein Sohn und späterer Geschäftspartner Ryan Blake gegenüber FIVE. „Er arbeitete sehr hart und wusste, was die Leute von ihm brauchten.“ Blake gründete im Alter von 19 Jahren mit Geschäftspartnern die Eastern Pennsylvania Basketball League, den Vorgänger der NBA-Konkurrenzliga CBA. Er arbeitete für einige Baseball- und Football-Teams in seiner Region, ehe sich die Chance seines Lebens auftat. Im Sommer 1954 spielten in Wilkes-Barre die Harlem Globetrotters ein Showmatch gegen ein All-Star-Team

der damals acht Jahre alten NBA. Blake sorgte mit allerlei Promotion dafür, dass 12.000 Zuschauer zum Spiel kamen, obwohl eigentlich nur Platz für die Hälfte vorhanden war. Der damalige Sponsor der Globetrotters-Tour, Ben Kerner, fragte, wer für diesen Zuschauerandrang verantwortlich sei. Zufälligerweise war Kerner auch Besitzer der Milwaukee Hawks. Er stellte Blake für 70 Dollar die Woche als PR-Mann bei seinem NBA-Team ein. Als Blake in seinem winzigen Büro in Milwaukee ankam, fragte er Kerner, wo seine Mitarbeiter seien. Der führte den 27-Jährigen zur Toilette und ließ ihn in den Spiegel schauen.

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Als One-Man-Show arbeitete er fortan nicht nur als PR-Mann, sondern auch als persönlicher Assistent. Zudem musste er im Training den Schiedsrichter geben oder bei Spielen die Shotclock bedienen. Doch Blake übernahm auch sportliche Verantwortung. Als sich im ersten Saisonspiel der beste Spieler der Hawks, Frank „Pep“ Saul, das Bein brach, musste ein Ersatz her. „Niemand scoutete zu der Zeit“, erzählte Blake 2005 in einem Interview mit „Sports Illustrated“. „Ich entschied, dass wir besser damit anfangen sollten.“ Er kaufte ein Busticket für 28 Dollar nach Fort Leonard Wood in Missouri, um sich zwei Spieler bei einem Army-Turnier anzusehen – die späteren NBA-Stars Al Bianchi und Sam Jones. Es war sein erster Scouting-Trip. Auf die SpesenRückzahlung der 28 Dollar wartete er den Rest seines Lebens …

Bowling & Jazz Die Milwaukee Hawks waren eine der Lachnummern der frühen NBA, weshalb Besitzer Ben Kerner die Franchise nach St. Louis verfrachtete. Um Fans in der neuen Stadt anzulocken, griff Blake in seine Promotion-Trickkiste. Er ließ JazzLegenden wie Louis Armstrong, Stan Kenton oder Duke Ellington in der Halbzeit oder nach den Partien spielen. Er installierte eine Bowlingbahn, die von Weltklasse-Bowlern eingeweiht wurde. Auch einen Tennis-Court ließ er auslegen, auf dem die amerikanischen Tennis-Stars Jack Kramer und Pancho Gonzalez gegeneinander antraten. Auch wenn Blake nominell die sportlichen Geschicke übernehmen sollte, hatte Besitzer Kerner das letzte Wort. So war es die Idee des Bosses, einen gewissen Bill Russell zu draften und ihn für die beiden späteren Hall of Famer Ed Macaulay und Cliff Hagan nach Boston zu traden. Der Grund: Macaulay kam aus St. Louis, der Lokalmatador sollte für mehr Zuschauer und damit Einnahmen sorgen. Angeführt von der Center-Legende Bob Pettit gewannen die Hawks 1958 zwar überraschend die Meisterschaft gegen Boston, Russell wurde jedoch mit elf Meisterschaften zum absolut größten Gewinner der NBA-Geschichte. Seine erste sportliche Duftmarke setzte Blake in der Draft 1960, als er den unbekannten Point Guard Lenny Wilkens an siebter Stelle draftete. Damit setzte er sich gegen den damaligen Trainer Ed Macaulay durch, dem Wilkens mit seinen 1,77 Meter schlicht zu klein war. Blake aber sah den Aufbauspieler des kleinen Providence College beim zweitklassigen National-Invitation-Tournament – „und ich verliebte mich in sein Talent“, wie er in seinem Blog „On the Road with Marty Blake“ im Jahr 2006 beschrieb. „Wir listeten ihn mit 1,85 Meter. Er kam rein, wurde sofort Starter und

später einer der besten Point Guards aller Zeiten. Ein Jahr später musste er seinen Militärdienst antreten. Wir fielen auseinander und verpassten zum ersten Mal die Playoffs in meiner Zeit mit dem Team. Wie ließen ihn für 20 Spiele an den Wochenenden einfliegen, von denen wir die meisten gewannen“, erinnerte sich Blake. „Er war der vollendete Floor General. Er hatte eine großartige Übersicht. Er wusste, was passieren würde, bevor er die Mittellinie überquerte, und er war der Erste, der ganze Verteidigungen mit seinem Dribbling aushebeln konnte.“ Wilkens war Blakes erster Coup. Fortan hörte er immer wieder auf sein Auge und Bauchgefühl. Er musste die Not zur Tugend machen, denn in den

„Niemand scoutete zu der Zeit. Ich entschied, dass wir besser damit anfangen sollten.“ -----------

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Sechzigern waren die Hawks alles andere als eine Top-Adresse. Das altehrwürdige, aber baufällige Kiel Auditorium fasste nicht einmal 10.000 Plätze, Besitzer Kerner drohte öfter mit dem Verkauf des Teams. Blake blieb nichts anderes übrig, als eine schlagkräftige Mannschaft über die Draft zusammenzustellen. Zu dieser Zeit wählten die Teams eher Talente von lokalen Universitäten oder hörten auf die Empfehlungen von College-Coaches, die sie schon kannten. Im Zweifel zogen sie Spieler der großen Colleges, die auch im sie die schon kannten.

Der erste Scout Blake war sich allerdings sicher, dass es unter den Dächern der muffigen Provinzhallen potenzielle Stars wie Wilkens geben würde, die allen anderen verborgen blieben. Und sein Ego trieb ihn an, diese Rohdiamanten zu finden. Dieses Vorhaben begann er systematisch. Er rief die Colleges an und ließ sich die Statistiken der Spieler per Post oder Telegramm schicken. Diesen Wust an Blättern sortierte er in Ordnern. Nach

und nach baute er sein Büro zu einer Datenbank an Spielermaterial auf. Zudem half ihm seine forsche Art, mit Leuten in Kontakt zu kommen – noch mehr allerdings seine Menschenkenntnis, das Gesagte seines Gegenübers einordnen zu können. „Er hat es geliebt, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Er liebte es zu reden, hörte aber auch zu. Die Leute riefen ihn gerne an, um ihm etwas Neues zu berichten“, erzählt Ryan Blake. „Er teilte seine Informationen bereitwillig. Wenn jemand eine Info über einen Spieler brauchte, dann rief er meinen Vater an.“ Besonders in der Offseason tummelte sich Marty Blake auf Amateurturnieren und schaute sich Talente an. Er knüpfte Kontakte zu Trainern, plauschte mit ihnen über Haus und Hof, merkte sich Namen von Ehefrauen und Kindern. Schließlich fragte er die Coaches über Trainingsleistungen, Verletzungen und Schulnoten seiner Wunschspieler aus. Das klingt heute wenig spektakulär, doch in den Sechzigern war er nichts anderes als ein Pionier. Es gab keine Scouts, die in entlegene Bundesstaaten fuhren, um sich Spieler anzuschauen und das Gesehene dann penibel zusammenzutragen. „In gewisser Weise ist es schwer zu glauben, weil er wie ein zerstreuter Professor wirkt, aber Marty hat Struktur und Organisation in den ganzen Prozess gebracht“, erklärte Rob Babcock, ehemaliger General Manager der Raptors, 2005 den Einfluss von Blake auf die ganze NBA. „Er arbeitete nach einem anspruchsvollen Bewertungssystem, hat sich aber mittlerweile davon abgewandt, weil es irgendwann jeder machte. Und doch war er es, der alle dazu zwang, sich intern besser zu organisieren.“ Blake lebte schon bei den Hawks für die basketballerische Trüffelsuche. Mit Zelmo Beaty, Lou Hudson, Jeff Mullins, Pete Maravich, Paul Silas und Butch Beard draftete er in den folgenden zehn Jahren sechs All Stars. Dabei war es ihm egal, wo der Spieler herkam und welche Hautfarbe dieser hatte. So draftete er auch Spieler von sogenannten HBCUs („Historically black colleges and universities“). Damals gab es in der NBA kaum Spieler von rein afroamerikanischen Schulen. Zelmo Beaty entdeckte er auf einem rassengetrennten Playground in einem südtexanischen Örtchen mit dem abenteuerlichen Namen „Cut and Shoot“. Bei einem Spiel der Prairie View A&M überzeugte er sich von der Wettkampftauglichkeit des Centers. Er war der einzige Weiße in der Halle. Beaty wurde bei den Hawks später zwei Mal All Star, in der ABA drei Mal. Sein Riecher bestärkte Blake darin, einen noch revolutionäreren Schritt zu wagen. „Mein Vater kannte einen Geschäftsmann, der in Europa tätig war. Der erzählte ihm von diesem Spieler in

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Italien, Manuel Raga“, schildert Ryan Blake. Raga war der beste Spieler bei Ignis Varese, dem in den Siebzigern dominierenden Verein Europas. Blake draftete den „Flying Mexican“ 1970 als allerersten Nichtamerikaner in der zehnten Runde an 167. Stelle, ohne eine einzige Minute Spielzeit von ihm gesehen zu haben. „Das Vertrauen zu dem Geschäftsmann reichte meinem Vater, um Raga zu draften“, erklärt sein Sohn. An 182. Position draftete Blake zudem noch Vareses Center-Talent Dino Meneghin. Beide spielten nie für die Hawks, weil die Franchise nicht die 35.000 Dollar aufbringen wollte, um sie aus ihren Verträgen herauszukaufen. Manuel Raga wurde später in die FIBA Hall of Fame aufgenommen, genauso wie Dino Meneghin, der 28 Jahre in der ersten italienischen Liga spielte und die Euroleague sieben Mal gewann. Die neuen Besitzer der Hawks fürchteten aber den Hohn der anderen, falls sie einen Italiener auf der damals wichtigsten Position spielen lassen würden. Blake verstand es wie kein Zweiter, Talent zu finden. Dafür ging ihm das geschäftliche Verhandlungsgeschick komplett ab. Bis 1968 verpasste es Blake,

„Nur ein fetter Waschlappen arbeitet hier, und das bin ich.“ -----------

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Lenny Wilkens – das Herz der Hawks und sein erstes Fundstück – anständig zu bezahlen. Er musste Wilkens nach Seattle ziehen lassen. 1970 draftete er den legendären Pete Maravich, der mit extremen finanziellen Ansprüchen ankam. Dafür mussten Team-Legenden wie Joe Caldwell gehen. Entweder übernahm sich Blake finanziell oder zahlte den richtigen Leuten das falsche (zu geringe) Gehalt.

Marty, der Macher 1970 musste Blake bei den Hawks gehen. Zwei Tage nach seinem Abschied unterschrieb er bei der neu gegründeten ABA-Franchise in Pittsburgh einen Fünf-Jahres-Vertrag als President of Basketball. Der Kontrakt machte ihn damals zu einer der bestbezahlten Front-

Office-Figuren im US-Sport. Die Besitzer der Franchise waren allesamt New Yorker Geschäftsmänner, die darauf spekulierten, dass die NBA und ABA fusionieren würden. Wenn sie die Franchise nur lange genug am Leben erhalten würden, dann könnten sie später günstig Anteile an der NBA erwerben. Blake sollte sich einen Namen für das Team überlegen, also rief er einen Freund an, der im Zoo von Cincinnati arbeitete. „Ich sagte: ‚Du musst mir helfen. Ich brauche den Namen eines Tiers, das böse ist, aber fast ausgestorben.‘ So kamen wir auf den Kondor. Ein untergehender Raubvogel“, erzählte er. Blake war bewusst, dass die Geschichte der Pittsburgh Condors wohl nicht gut ausgehen würde, und er verlor schnell die Geduld. Den vielversprechenden, aber übergewichtigen Rookie Mike Malloy ließ er gehen, bevor dieser nur eine Minute spielte. „Nur ein fetter Waschlappen arbeitet hier, und das bin ich“, erklärte er. Fünf Monate nachdem er den Job angetreten hatte, wurde er gefeuert. Trotzdem war seine Expertise begehrt. So ziemlich jeder Manager fragte ihn vor der Draft, wen er mit seinem Pick

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wählen sollte. Blake entschied sich, aus diesem Wissen Kapital zu schlagen, und konzentrierte sich auf das, was er am besten konnte: scouten. Er gründete „Marty Blake & Associates“ und stellte seinen Spürsinn und seine Methoden allen NBA- und ABA-Teams zur Verfügung. Er stellte Mitarbeiter und Freelancer ein, baute seine Datenbank aus, schrieb Spieler-Reports und entwickelte sein eigenes RatingSystem. Er entwarf Terminpläne für Scouting-Trips. So konnten er und andere Scouts in einer Gegend so viele CollegeSpiele wie möglich schauen. Blake war jedoch kein Anwalt der College-Spieler. Er arbeitete als Dienstleister für die NBA und ABA. Ryan Blake, der später das operative Geschäft seines Vaters übernahm, erinnert sich an ein Gespräch mit dem damaligen Lakers-Manager Jerry West: „Jerry sagte zu mir: ‚Das Großartige an eurer Arbeit ist, dass ihr uns nicht nur sagt, wer spielen kann, sondern vor allem auch, wer nicht spielen kann.‘“ Hoffnungsfrohe Rookies hatten keine Ahnung, dass mit Blakes simpler Notiz „CNP“ („Can Not Play“) auf dem Bewertungsbogen ihre Profi-Karriere wahrscheinlich schon vorbei war. Ganz bestimmt aber mit dem nachdrücklichen „CNP-DND“ („Can Not Play – Do Not Draft“). Nach dem Zusammenschluss der NBA und ABA 1976 merkte die Liga schnell, dass dieser verrückte Schatzsucher den Basketball durch sein gefundenes Spielermaterial erheblich verbessern könnte. Blake wurde fortan als Director of Scouting von der NBA eingestellt. Nun saß er an der Quelle und an der Mündung des Talentstroms. Er brauchte nur einen Weg, um diesen oft so wild mäandrierenden Fluss zu begradigen und seine Arbeit zu erleichtern.

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Dieser Weg war das „Portsmouth Invitational Tournament“ (PIT) in Virginia. Das PIT ist das älteste Amateur-Basketballturnier der USA. Nur Spieler, die sich in ihrem letzten Unijahr befinden, werden dorthin eingeladen. Weil heutzutage die größten Talente in der Regel schon vorher erkannt und häufig nach ihrem Freshman-Jahr gedraftet werden, hat dieses Turnier einiges an Bedeutung verloren. In den Sechzigern und Siebzigern fand Blake dort als Manager allerdings einen Haufen brauchbarer Spieler, die er dann selbst draftete. Später wurde er Berater des Auswahlgremiums des PIT und durfte irgendwann eigenmächtig Spieler zum Turnier einladen. Und die Liga wusste, dass man im April in Virginia erscheinen musste, wenn Marty Blake die neue Ware für die nächste NBA-Saison präsentierte. Karl Malone, Scottie Pippen, Dennis Rodman, Joe Dumars, Tim Hardaway, Ben Wallace, Terry Porter und Jack Sikma sind nur eine kurze Auflistung der Spieler von kleinen Colleges, die Blake entdeckte und zum PIT einlud. 1982 etablierte er das PIT als erstes offizielles Pre-Draft-Camp der Association. Inoffiziell wurde es „Marty’s Party“ genannt. Bei diesem Turnier wurden die Früchte seiner Arbeit geerntet, wobei er die Saat lange vorher gesät hatte. Als Blake in den Sechzigern noch als Manager der Hawks nach Talenten fahndete, entdeckte er einen Spieler von Arkansas Tech: J.P. Lovelady. Er hoffte, in ihm den nächsten Jerry Sloan zu finden. Doch kurz nach seinem Abschluss starb Lovelady bei einem schweren Autounfall. Blake schickte Blumen zu dessen Beerdigung. Einer von Loveladys Teamkameraden, Arch Jones, wurde Jahre später Assistenztrainer bei Central

Arkansas. Er vergaß nicht, wer die Blumen zur Beerdigung seines Mitspielers geschickt hatte. 26 Jahre danach rief Jones in Blakes Büro an und erzählte ihm von einem gewissen Scottie Pippen. Also fuhr Blake auf Verdacht nach Arkansas. Er sagte wie üblich den Trainern nicht Bescheid und kaufte sich ein Ticket für das Spiel der Central Arkansas Bears. „Spieler werden meist nervös, wenn ein Scout wegen ihnen kommt“, erläuterte Blake seine Vorgehensweise. „Pippen machte also irgendwas mit 30 Punkten, ich brachte ihn nach Portsmouth, und zehn Minuten nach dem ersten Spiel schüttelte jeder meine Hand.“ Er hatte wieder einen Goldklumpen im Fluss gefunden. Blake hatte unzählige solcher Geschichten auf Lager. Bis zu seinem Lebensende ging er mit befreundeten Scouts auf Spielersuche. Bei den Hunderttausenden von Kilometern, die er auf seinen basketballerischen Schatzsuchen mit dem Auto abriss, stand der Basketball-Gott wohl immer an seiner Seite. Blake soll ein lausiger Autofahrer gewesen sein. Marty Blake lebte für den Basketball, und er liebte ihn. Das illustriert auch die letzte Geschichte seines Sohnes. „Ich war fünf oder sechs Jahre alt und mit meinem Vater bei einem ABA-Spiel“, erinnert sich Ryan Blake. „Ich wollte nur den Basketball auf den Korb werfen. Aber mein Dad war überall und schüttelte Hände. Irgendwann stand ich in dieser alten Dusche von dieser baufälligen Halle. Mein Vater war angezogen und sprach mit dem nackten Billy Cunningham. Als das Ganze vorbei und auch der Hausmeister nach Hause gegangen war, nahm mein Vater einen Ball, und wir warfen noch Körbe.“ redaktion@fivemag.de

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JIMMER FREDETTE DER EINSAME GOTT IN ATHEN Jimmer Fredette hat genug von chinesischer Exotik, Hype und Scoring-Rekorden. Die legendäre Punktemaschine sucht wieder den Wettbewerb anstelle des leichten Geldes und gehört als Neuzugang von Panathinaikos Athen zu den spektakulärsten Verpflichtungen der Euroleague. Fredette erklärt in FIVE, wieso er aus Shanghai nach Athen geflüchtet ist, was europäischen Basketball ausmacht und wie seine schillernde Karriere bei Panathinaikos weitergehen soll. Text: Peter Bieg

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s gibt eine Zeit, da scheint Jimmer Fredette bereit, die NBA im Sturm zu erobern: Seine Highlights im Trikot der konfessionellen Brigham Young University (BYU) laufen bei ESPN rauf und runter. Gleich zwei Mal ziert er in seinem letzten Jahr am College das Cover der „Sports Illustrated“. „Unglaublich. Der beste Scorer des Landes. Ein großartiges Talent“, sagt der damalige US-Präsident Barack Obama im Jahr 2011. Denn vor inzwischen mehr als acht Jahren steigt der Bekanntheitsgrad von Jimmer Fredette in der globalen Basketballszene schneller als eine Interkontinentalrakete. „Er ist der beste Scorer der Welt“, twittert Kevin Durant, zum damaligen Zeitpunkt „Most Valuable Player“ in der NBA, und adelt damit den besten Werfer der NCAA. 28,9 Punkte erzielt James Taft „Jimmer“ Fredette in der Saison

2010/11, seinem vierten Jahr an der BYU – und damit mehr als jeder andere College-Spieler. 52 Punkte legt der blasse 1,88-Meter-Mann gegen New Mexico auf. Fredette führt seine „Cougars“ unter die letzten 16 Teams im NCAA-Tournament, und der Hype eskaliert … Schon seit einem national im Fernsehen ausgestrahlten Spiel gegen San Diego State, in dem Fredette 43 Punkte gelingen, ist sein Name ein Verb: Gegner, gegen die er besonders viele Punkte erzielt, sind offiziell „jimmered“. Die „Jimmermania“ ist in vollem Gange und der 22-Jährige aus dem Städtchen Glen Falls im Staate New York ein Popstar. Sechs Mal erzielt er während seiner vier Jahre an der BYU mehr als 40 Punkte, knackt alle erdenklichen ScoringRekorde. Associated Press, die „Basketball Times“, CBS, die nationale Vereinigung der Basketballtrainer, „Sports Illustrated“

und viele mehr sind sich alle einig – Fredette ist der Collegespieler des Jahres 2011. Mit seinen scheinbar mühelosen Dreipunktewürfen, oftmals direkt aus dem Dribbling abgefeuert, ballert sich der unscheinbare Shooting Guard ins kollektive Gedächtnis von Basketball-Amerika. Heute, mehr als acht Jahre später, lebt Jimmer Fredette am Mittelmeer, in Athen, wo er mit Panathinaikos in der Euroleague für Aufsehen sorgen will. „Mir geht es super“, sagt er – und klingt dabei ebenso ehrlich wie durchweg entspannt und bescheiden. „Das Leben in Athen ist großartig, es ist eine sehr coole Stadt. Hier gibt es viele lustige Dinge zu entdecken und

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natürlich jede Menge historische Orte. Ein toller Platz zum Leben ist das.“ Lachend schwärmt Fredette von griechischem Essen, seinen Favoriten – Souvlaki mit Tsatsiki – kann er bereits nach wenigen Wochen im Land einigermaßen fehlerfrei aussprechen. Der US-Amerikaner scheint seine Zeit genießen zu wollen und zu können, was in den Jahren zuvor in China nicht ganz so einfach war, wie er erzählen wird.

Abenteuer Athen Fünf Wochen vor Saisonbeginn kam er in Athen an, um sich einzuleben und alles für die Ankunft seiner Familie vorzubereiten – das sind Frau Whitney, seine Liebe aus

Collegezeiten, die ihn als Cheerleaderin bei den BYU Cougars anfeuerte, und seine zwei kleinen Kinder. „Sie sollten sich auf Anhieb wohlfühlen“, erzählt er. „Alles sollte bereit sein, damit es für uns direkt losgehen kann mit dem Familienleben. Ich habe mich sehr auf sie gefreut.“ Denn in China, in den vergangenen drei Saisons für die Shanghai Sharks, war Fredette zumeist alleine in seinem Apartment im 19. Stockwerk eines der allgegenwärtigen Hochhäuser. Zwar besuchten ihn Whitney und die Kinder von Zeit zu Zeit, doch Familie Fredette wollte den Nachwuchs nicht in einer smogbelasteten chinesischen Megastadt aufwachsen sehen. Zumal Vater

Jimmer für die Spiele in der nationalen Liga CBA oftmals tagelang durchs Land flog und an noch deutlich unwirtlicheren und unwirklicheren Orten als der Metropole Shanghai antreten musste … In Athen erscheint all das buchstäblich weit weg. „Die meisten Menschen sprechen Englisch, es ist einfach, herumzukommen und sich zurechtzufinden. Und vor dieser Kulisse, diesen verrückten Fans von Panathinaikos zu spielen – das ist ebenfalls großartig. Insofern ist bisher alles gut“, so das Zwischenfazit von Fredette. Auch auf dem Court ist bisher alles gut: Elf Punkte hat er bei seinem Euroleague-Debüt erzielt, einem Heimsieg gegen Roter Stern

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euroleague

Jimmer

Belgrad, 18 sind es die Woche drauf gegen Villeurbanne, 24 Punkte gegen Lavrio in der griechischen Liga, wo Fredette standesgemäß zu den besten Werfern gehören sollte. Dennoch: Warum Europa, wo Fredette in China doch auf dem Weg zum Superstar war? Topscorer- und MVPEhren, Millionengehälter, Kultstatus und eine eigene Bekleidungslinie inklusive. Ein Argument, China zu verlassen, ist das kulturelle Abenteuer. „Es ist eine völlig neue Erfahrung für mich“, sagt Fredette, der zuvor erst einmal in Europa war – während eines Familienurlaubes. „Meine Karriere war bis zu diesem Zeitpunkt eine lustige Tour, zu verschiedensten Plätzen auf dieser Welt und völlig verschiedenen Teams“, resümiert er und schmunzelt dabei. „Ich habe in der NBA gespielt, in China … aber noch nie in Europa. Ich war begeistert von der Idee, es auszuprobieren. Das hat die Entscheidung sehr leicht für mich gemacht.“ Denn wichtiger als das Betreten von kulturellem Neuland ist dem SuperShooter der Wettbewerb: „Die Euroleague ist eine großartige Liga, in der viele sehr starke Spieler spielen. Die Leidenschaft der Fans ist ebenfalls außergewöhnlich, und deshalb bin ich jetzt aufgeregt, Teil von Panathinaikos sein zu dürfen.“ Während die chinesische CBA, wo Fredette in den vergangenen drei Jahren jeweils rund zwei Millionen USDollar pro Saison erhalten haben soll, die zweitbestbezahlte Liga der Welt ist, steht in der Euroleague der sportliche Aspekt

Fredette

im Vordergrund – auch für Fredette: „Das ist definitiv die zweitbeste Liga der Welt, ganz klar. Speziell dieses Jahr, wo so viele gute Spieler hergekommen sind. Was Talent angeht, Leute aus der NBA, so ist das vielleicht die stärkste Euroleague aller Zeiten. Viele Leute wollen hier spielen, weil die Qualität des Basketballs sehr hoch ist.“ Und weil die Gehälter ebenfalls nicht verkehrt sind: Rund 1,7 Millionen Dollar soll Fredette pro Saison bekommen, für zwei Jahre hat er beim griechischen Spitzenklub unterschrieben. Auch deshalb, weil ihn das Team seit Jahren in die Euroleague zu holen versuchte. „Mit der Verpflichtung von Jimmer Fredette erfüllt sich ein Traum von Besitzer Dimitrios Giannakopolous“, berichtet der griechische Basketball-Insider George Zakkas in einem amerikanischen Blog. „Er ist Fredette fünf Jahre lang hinterhergerannt.“ Giannakopolous, einer der reichsten Männer Griechenlands, leitet die Geschicke von „Pana“ seit dem Jahr 2012. Zuvor war sein Vater Pavlos Präsident. Jener Mann, dem es in den 1990er-Jahren gelang, NBA-Legende Dominique Wilkins für sieben Millionen US-Dollar nach Athen zu locken. Nun also Fredette. „Ich stand schon seit einigen Jahren mit Panathinaikos in Kontakt“, bestätigt er. „Jetzt haben wir den Knopf gedrückt. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um den Schritt zu wagen. Nach China zurückzugehen, wäre die Alternative gewesen, aber ich war nicht sonderlich begeistert von dieser Vorstellung.“

Einsamer Gott Dass Fredette von der Idee, weiter in China zu spielen, nicht sonderlich begeistert war, verwundert auf den ersten Blick: Denn die CBA erobert er damals im Sturm. In seinem ersten Spiel für die Shanghai Sharks im Herbst 2016 macht er 42 Punkte. Im nächsten Spiel sind es bereits 50. Im Februar 2017 sind es dann 73 Punkte in einem Spiel mit zwei Verlängerungen. Seine Saisonstatistiken lesen sich wie aus einem Videospiel: 37,6 Punkte, 8,2 Rebounds, 4,2 Assists und 1,6 Steals im Schnitt bei Wurfquoten von 47,4 Prozent aus dem Feld und 39,6 aus der Distanz. Freiwurfquote? 93,3 Prozent. In den folgenden zwei Spielzeiten geht es nahtlos so weiter. Denn Fredette ist nicht nur ein talentierter Spieler, sondern auch ein sehr harter Arbeiter, der die CBA ernst nimmt. „Wenn er sich warm wirft, aus der Distanz, dann ist das bloß ein Geräusch“, sagt sein ehemaliger Coach in China, der US-Amerikaner Brian Goorjian. „Ftt, ftt, ftt.“ Dass er damit das schmatzende Geräusch des Netzes bei einem Swish meint, sollte spätestens klar sein, wenn Goorjian ergänzt: „Er kann ohne Probleme 90 Dreier in Folge treffen.“ Und seine chinesischen Mitspieler lieben ihn. Nie verpasst er eine Trainingseinheit, kein einziges Spiel. Er ist bescheiden, gibt Hinweise und spielt immer hart. „Ich habe ihn nie schimpfen gehört. Ich habe ihn nie schlecht über jemanden sprechen gehört. Er ist höflich zu jedem, schreibt jedes Autogramm. Er geht früh ins Bett. Er ist wie ein

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70-jähriger Mann“, erzählt Goorjian einer amerikanischen Website über Fredette. „Jimo Dashen, Jimo Dashen“, skandieren die chinesischen Fans bei einem seiner Spiele, und Fredette fragt den Dolmetscher der Sharks, was das heißen soll. „Es bedeutet einsam“, antwortet der Übersetzer zur Verwunderung Fredettes, der das negativ auffasst. Doch der Dolmetscher kann das Verständnisproblem sofort ausräumen: „Nicht einsam im Sinne von allein. Es meint einzigartig im Sinne von göttlich oder meisterhaft. Du bist so weit weg von jedem anderen Spieler in dieser Liga, deshalb bist du einsam. Wie eine Gottheit.“ Der einsame Gott aus den USA hat bald darauf einen eigenen SignatureSchuh. Auch eine Bekleidungslinie, benannt nach Fredette, bringt sein chinesischer Sponsor „361“ auf den Markt. Sein Shanghai-Sharks-Trikot ist immer wieder restlos ausverkauft. Der Ruhm, den er in der NBA nicht erreichen konnte, ist in China plötzlich da. Doch es gibt auch den Smog, die Sprachbarriere und das Essen. Jahrelang isst Fredette nur Reis und Gerichte, die er zweifelsfrei identifizieren kann: Pizza, Burger, French Fries. Gekochter Frosch, Hühnerköpfe oder Kuhhirn sind ihm zu krass. Die glitzernde Weltstadt Shanghai ist das eine, aber es gibt Auswärtspartien, bei denen der Superstar in Betten schläft, die so hart sind wie der Fußboden. Bei denen er in Hallen spielt, deren Böden so vor Dreck starren, dass seine Handflächen nach dem Spiel schwarz sind … „China war eine unfassbare Erfahrung für mich. Die Menschen dort haben mich und meine Familie extrem gut behandelt“, sagt Fredette im Gespräch entschieden. „Die Fans waren super, die Organisation hat es sehr leicht für uns gemacht, und auch unter den Mitspielern und Coaches waren tolle Menschen.“ Auch sportlich habe er sich austoben können: „Ich bin in China nochmals ein viel besserer Basketballer geworden. Als US-Amerikaner wollen sie von dir jede Menge Dinge auf dem Court: Du musst die Plays machen, punkten, deine Mannschaft zum Sieg führen. Das erwarten sie von dir. An diesen vielen Erwartungen wächst du als Basketballspieler, weil du auf dem Court teilweise alles auf einmal machen musst. Ich kann mich nicht beschweren, es war eine großartige Erfahrung.“

Nicht gut genug? Deutlich weniger großartig sind Fredettes Erfahrungen in der NBA. Im Jahr 2011 von den Sacramento Kings gedraftet, kann er sich nie durchsetzen. 241 Partien macht er in der NBA – für fünf verschiedene Teams. Zuletzt versucht er es am Ende der Saison 2018/19 beim notorischen Verliererteam der Phoenix Suns. In sechseinhalb Jahren

„Nicht einsam im Sinne von allein. Es meint einzigartig im Sinne von göttlich oder meisterhaft. Du bist so weit weg von jedem anderen Spieler in dieser Liga, deshalb bist du einsam. Wie eine Gottheit.“ Dolmetscher der Shanghai Sharks -----------

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NBA erzielt Fredette nur vier Mal 20 Punkte oder mehr. Die einen sagen, er sei zu langsam und schmächtig, seine Defense nicht existent, seine Art zu punkten zu leicht durchschaubar und somit ineffizient. Die anderen sagen, sie hätten noch nie einen solchen Scorer gesehen. Alles, was Fredette brauche, sei eine weitere Chance mit sicherer Spielzeit und Wurfversuchen.

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Fredette möchte abseits der üblichen Phrasen nicht viel über die NBA verraten. „Ehrlicherweise denke ich über die NBA gar nicht nach“, sagt er. „Es geht nur darum, hier und jetzt in der Euroleague bestmöglich zu spielen. Ich habe auf der ganzen Welt gespielt und versuche, aus jeder Chance das Beste zu machen, wohin auch immer mich das führt. Und was nach Panathinaikos kommt, das wird sich zeigen. Niemand kann in die Zukunft schauen. Deshalb versuche ich, in der Gegenwart alles zu geben und zu schauen, wo mich das hinführt. Ich bin bei einem großartigen Klub und möchte eine tolle Saison spielen, nur darum geht es jetzt.“ Jetzt, bei Panathinaikos Athen, könnte Fredette eine Situation vorfinden, die das Beste aus beiden Welten vereint: eine Umgebung, in der er sich mit seiner Familie wohlfühlt und dennoch gutes Geld verdient. Und ein sportliches Umfeld, in dem er zeigen soll und muss, dass er ein Superstar sein kann. „Sie wollen, dass ich aggressiv bin und Punkte erziele. Ich soll die richtigen Entscheidungen treffen, sobald ich offen bin“, erklärt er, was Besitzer Giannakopolous und der neue Headcoach Argiris Pedoulakis von ihm erwarten. „Innerhalb des Systems werde ich meine Chancen finden und uns dabei helfen, eine Gewinnermentalität zu etablieren.“ Obwohl er bereits viel Geld verdient und inzwischen die 30 Jahre überschritten hat, ist Fredette ehrgeizig wie ein Rookie. „Ich möchte jeden Tag besser werden, den europäischen Basketball verstehen und der beste Spieler sein, der ich auf diesem Niveau sein kann. Es geht darum, dem Team beim Gewinnen zu helfen. Wir wollen in die Playoffs, von dort aus ins Final Four. Ich denke, unsere Chancen stehen gut, eine spezielle Saison hinzulegen. Wir haben das Talent. Aber wir müssen jetzt rausgehen und das auch aufs Parkett bringen.“ Auf dem Parkett braucht Jimmer Fredette noch etwas Zeit, sagt er. „Es ist ein anderer Spielstil hier, sehr stark auf Pick-and-Roll fokussiert. Blocks für den Ballführer werden hier ganz anders ausgespielt. Auch die Ballbewegung funktioniert hier anders als in der NBA oder auch in China. Es wird viel weniger gedribbelt“, analysiert der Guard. „In den vergangenen Jahren habe ich solchen Basketball nicht gespielt. Aber ich bin ein schlauer Spieler und werde das so schnell wie möglich verinnerlichen. Ich will der Beste sein und habe tolle Mitspieler, die mir beim Lernen helfen werden. Leute wie Nick Calathes, aber auch Tyrese Rice – die spielen hier seit langer Zeit und können mir einiges zeigen. Ich werde bereit sein.“ In der NBA konnte er nicht Fuß fassen, in China wurde er zum einsamen Gott. Jimmer Fredette scheint bereit, als Nächstes die Euroleague im Sturm zu erobern. redaktion@fivemag.de

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bbl-taktik

Ulms

Offensive

ULMS OFFENSIVE Acht Neuzugänge – darunter ein 18-jähriges NBA-Talent auf Point Guard – und ein Headcoach, der seine erste volle Saison an der Seitenlinie steht: Bei ratiopharm Ulm hat sich vieles geändert. Auch die Taktik unter dem neuen Trainer Jaka Lakovic? Text: Manuel Baraniak

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ls ratiopharm Ulm zuletzt einen Trainerwechsel vollzogen hatte, spielte die Mannschaft noch in der altehrwürdigen Kuhberghalle. Der Aufstieg in die deutsche Beletage war erst fünf Jahre zuvor gemeistert worden. Per Günther war noch ein 23-jähriger Wirbelwind, der den Abschied eines anderen talentierten deutschen Teamkollegen erleben musste: den des erst 22-jährigen Robin Benzing. Und Jaka Lakovic stand noch in der Blüte seiner grandiosen Spielerlaufbahn und hatte gerade das spanische Double mit dem FC Barcelona gewonnen. Vom Jahr 2011 ins Jahr 2019, und ratiopharm Ulm hat im vergangenen Sommer eine Zäsur erlebt – wohl die größte innerhalb der BBL. Nach acht Jahren an der Seitenlinie gab Thorsten Leibenath das Amt des Headcoaches ab, um fortan die Funktion des Sportdirektors zu übernehmen. Per Günther läuft das zweite Jahr in Folge nicht mehr als Starter auf der Eins auf, sondern gibt nun den Backup eines 18-jährigen potenziellen NBAErstrundenpicks. Und Jaka Lakovic geht in seine erste volle Saison als Headcoach. In Ulm, um Ulm und um Ulm herum ist so viel passiert – den Zungenbrecher könnte man mehrmals wiederholen, und man hätte noch nicht alle Veränderungen erfasst. Doch gerade dieser Umbruch macht Ulm zu einem der spannendsten Projekte der BBL.

Talentiert-risikoreicher Aufbau Wenn ein Spieler in einer Partie acht Ballverluste verzeichnet, wird für gewöhnlich kaum von einem gelungenen Debüt gesprochen. Und doch konnte beim Saisonauftakt der Ulmer gegen RASTA Vechta erahnt werden, welch talentierter Playmaker Killian Hayes ist. Der Neuzugang bestach beim 84:62-Heimerfolg vor allem mit seinem Passspiel (siehe Spieler im Fokus) – trotz jener hohen Anzahl an Turnovern. „Zuallererst muss man an sich selbst glauben“, zeichnete der französische Guard im TV-Interview ein Selbstbewusstsein nach, das auch vorhanden sein muss, wenn man von einem so ambitionierten BBL-Klub den Spielaufbau als Starter anvertraut bekommt. Zumal Hayes spätestens seit der U17-WM 2018, als er Frankreich zum Gewinn der Silbermedaille führte, als potenzieller NBALottery-Pick gilt. Es ist ein Novum in der BBL, dass ein solch junger und talentierter Spieler aus dem Ausland als Starter ein Team dirigiert. Ulms zweiter Transfercoup ist das genaue Gegenteil zu Hayes: ein 30-jähriger Veteran, der schon in der NBA aufgelaufen ist. Seine Name: Zoran Dragic. Wären die zwei Kreuzbandrisse

in den vergangenen zwei Jahren nicht gewesen, ein Spieler von Dragic’ Kaliber wäre für Ulm sicherlich nicht bezahlbar. Bezahlt gemacht hat sich bei der Verpflichtung auch der neue Coach: Schließlich spielten Lakovic und Dragic in der slowenischen Nationalmannschaft zusammen, später war Lakovic dort Assistant Coach. Mit welchem Dampf Dragic im Schnellangriff über das Parkett fliegt und gegen mitunter drei Verteidiger abschließt, ist gerade bei seiner Verletzungshistorie und seinem Alter extrem beeindruckend. Neben Tyler Harvey – der ein 58-Punkte-Spiel in der G-League in seiner Vita stehen hat – und Grant Jerrett verpflichteten die Ulmer Akteure, welche die Liga bereits kennen. Darunter mit Andi Obst einen deutschen Nationalspieler, der nach einem Jahr in Spanien nach Deutschland zurückgekehrt ist. Bislang hat Obst gezeigt, dass er nicht nur ein Schütze ist, sondern auch aggressiv den Korb attackieren kann. Apropos Spanien …

Balkan-spanischer Einfluss Gregg Popovich ist unbestritten eine Trainerlegende in der NBA, seinen Einfluss erkennt man beispielsweise an seinem „Coaching Tree“ – damit sind aktuelle Headcoaches gemeint, die unter Popovich einst assistiert oder auch indirekt verzweigt eine Beziehung zu „Coach Pop“ haben. Im europäischen Basketball kann ein solcher Trainer-Stammbaum für den Berliner Headcoach Aito Garcia Reneses gezeichnet werden – und in dem findet sich auch Jaka Lakovic wieder. Bis 2018/19 assistierte er Carles Duran in Badalona, welcher selbst wiederum zwei Jahre lang Aitos Assistent war. Womit die spanischen Einflüsse in Lakovic’ System erklärt wären. So hat der 41-Jährige eine Pick-and-Roll-Defense implementiert, die es häufig in der ACB zu sehen gibt. Dabei switcht ein Verteidiger, der ballabseits auf dem Flügel steht, zum gegnerischen Ballführer. Ballabseits folgen daraufhin zwei Switches. Als Spieler lief Lakovic unter Coaches wie Zeljko Obradovic und Dusko Ivanovic auf, womit er also auch vom „BalkanBasketball“ geprägt sein sollte. Es verwundert also nicht, dass die Ulmer zu Saisonbeginn ihre Identität zunächst in der Verteidigung fanden. In der Offensive ist der Fokus auf den Schnellangriff bereits nach den ersten sechs Pflichtspielen ersichtlich geworden: Einen hohen Anteil von 16 Prozent an ihren Offensivaktionen schlossen die Ulmer dabei in der Transition ab.

Selbst bei verwandelten Freiwürfen schaut der Ulmer Spieler, der den Ball aus dem Netz holt, auf den Touchdown-Pass über das ganze Feld. Nach Spotup-Aktionen nehmen Abschlüsse aus dem Schnellangriff damit den zweithöchsten Anteil ein. Bei oberflächlichen Fragen nach der Philosophie werden die meisten Coaches oberflächlich antworten: „aggressiv in der Verteidigung und schnell nach vorne“. Bei Ulm scheint es aber wirklich die DNA des Systems zu sein, auch wenn eine solche Verteidigung ein gewisses Risiko birgt. Und wie sieht die Halbfeldoffensive aus? Dort agieren die Ulmer mit nicht ganz so vielen Abschlüssen nach indirekten Blöcken, wie das die Berliner unter Aito tun, der geringe Fokus auf Isolationen lässt sich aber ebenso erkennen. Lakovic lässt mit vielen Handoffs agieren. In Weave-Spielzügen übergeben die dribbelnden Spieler mitunter bis zu dreimal den Ball in der Spielfeldmitte, ehe es zu einem Pick-and-Roll kommt oder ein Flügelspieler überraschend per Cut die Zone attackiert. Auch im nebenstehenden Spielzug ist ein Dribble-Handoff integriert, zumindest in einer zweiten Option. Das Ulmer Offensivsystem ist mehr von strukturierten Plays geprägt als von einer freien MotionOffense wie unter Aito in Berlin. Am Ende von Spielzügen zeigt sich die Spielintelligenz, wenn Extrapässe gespielt werden. Das könnte die Ulmer Offensive auszeichnen, auch wenn sie zu Saisonbeginn noch damit zu kämpfen hatte, die vielen Neuzugänge einzubinden.

Orange-goldene Zukunft Apropos Neuzugänge: Hayes hat in Ulm für drei Jahre unterschrieben – wie lange der Guard mit Ausblick auf die NBA-Draft jedoch in der Münsterstadt bleiben wird, ist abzuwarten. Einen Abgang von Hayes innerhalb dieses Zeitraums dürften die Macher in Ulm erwarten. Mit Blick auf das Nachwuchszentrum, den „Orange Campus“, geht es den Ulmern auch um mehr: sich als Standort etablieren, der junge Nachwuchskräfte ausbildet und auf größere Aufgaben vorbereitet, wobei diese Spieler in der Offseason für Individualtrainingseinheiten nach Ulm zurückkehren können oder auch für ihre weitere Karriere beraten werden. Nach Chris Ensminger haben sich die Ulmer in diesem Sommer mit Anton Gavel eine weitere BBL-Legende für die Nachwuchsarbeit gesichert. Ein weiterer Punkt der Zäsur – aber ein äußerst positiver mit Blick auf eine orange-goldene Zukunft. redaktion@fivemag.de

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1 Eröffnet wird der Spielzug von einem Block (Pin-Down) von Grant Jerrett (5) für Derek Willis (4), der vom linken Lowpost zum rechten Flügel rotiert und von Killian Hayes (1) angespielt wird.

Depth Chart 2019/ 2020 Pos.

Spieler

PG

Killian Hayes Per Günther

SG

Andreas Obst Tyler Harvey

SF

Zoran Dragic Patrick Heckmann Christopher Philipps

PF

Derek Willis Seth Hinrichs Maximilian Ugrai

C

Grant Jerrett Gavin Schilling

Die Ulmer haben einen tiefen Kader, wobei zu Saisonbeginn Ugrai ausgefallen ist und Günther noch rostig wirkte. Shooting kommt von allen fünf Positionen. Mit Heckmann auf Power Forward und Hinrichs auf der Centerposition kann die zweite Formation auch klein spielen.

Spieler im Fokus:

KILLIAN HAYES „Killian Hayes ist das Risiko wert.“ Jaka Lakovic’ Worte zur Verpflichtung von Hayes deuten an, welches Novum in Ulm in dieser Saison zu beobachten ist: Dort hat man den Spielaufbau in die Hände eines 18-Jährigen gelegt. 43 Pflichtspiele auf Profi-Ebene hat der Guard vor seinem Wechsel von Cholet nach Ulm absolviert, nun leitet Hayes ein BBL-Team auf Eurocup-Niveau. Direkt in der ersten Partie im Ulmer Trikot sorgte Hayes für Aufsehen: Beim Heimspiel gegen Vechta zeichnete er sich vor allem als starker Ballhandler im Pick-and-Roll aus, der immer wieder einhändige Assists mit seiner starken linken Hand spielte, mitunter richtige Bullet-Pässe bis in die Ecken. Was auch ersichtlich wurde: wie sehr Hayes von seiner Größe (1,96 Meter) profitiert. Selbst beim Doppeln behält er die Übersicht für die freien Mitspieler. „Er bringt von seinen Anlagen her alles mit, was ein moderner Point Guard braucht: Er ist groß, schnell und ein hervorragender Passgeber“, schätzt Lakovic seinen Schützling ein. Bislang hat sich Hayes durchaus als „Pass first“-Guard präsentiert – mitunter hätte er vor allem bei Drives mehr auf den eigenen Abschluss gehen können.

PLAY-TYPE P&R Ballhandler isolation Spotup transition Handoff Summe

FREQ% 37,9 22,7 13,6 7,6 3,0 100,0

PPP 0,68 1,20 0,56 1,38 1,71 0,65

B

Hier trifft der Guard nicht immer die besten Entscheidungen, wenn er beispielsweise den Ball recht früh aufnimmt und so unnötige Layups mit Kontakt forciert, da seine Gegenspieler ihn einholen können. Deshalb agiert er hier noch zu ineffizient. Eine Baustelle in Hayes’ Offensive ist sicherlich sein Wurf, schon allein von der Mechanik. Aus dem Pick-and-Roll schafft er es durch Re-Screens und Stepbacks aber durchaus, sich freie Würfe zu erspielen. Interessant hierbei: Er hat in den ersten sechs Pflichtspielen fünf seiner neun Pullup-Dreier getroffen – aus dem Catch-and-Shoot aber nur zwei seiner neun Dreier! „Trotz seiner Jugend traue ich ihm zu, dass er das Team führen kann“, ließ Lakovic zudem verlauten. Dies wird Hayes vor allem als Dirigent auf dem Parkett bewerkstelligen können. Verbal können Spieler wie Günther oder Dragic vorangehen. Auch an seiner Körpersprache muss Hayes arbeiten: Klappt bei ihm etwas nicht, hadert er mitunter mit sich selbst – und vergisst dabei schon mal seinen zum Fastbreak sprintenden Gegner. Aber hier spielt halt immer noch ein Teenager, der Zeit braucht.

FG% 38,5 27,3 22,2 100,0 100,o 35,9

FT FREQ% 8,0 6,7 0,0 40,0 50,0 9,1

TO FREQ% 40,0 20,0 0,0 20,0 50,0 34,8

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3

5 4 HO

1

Hayes rotiert zum Ball und erhält ihn per Handoff zurück. Willis rotiert via Cross-Screen von Jerrett zur ballfernen Seite …

C 2

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… und stellt dort einen Pin-Down für Andi Obst (2). Jerrett stellt dahinter einen zweiten Block. Als erste Option nimmt Obst daraus den Dreier. Als zweite Option könnte Obst auch die Baseline entlangschneiden, womit Willis einen Screen von Jerrett erhalten würde.

D 4

3

5 2

HO

1

Die Play-Type-Stats für Killian Hayes aus seinen Pflichtspielen 2019/20. Legende: Freq% – Prozentsatz der Abschlussart an allen Abschlüssen des Spielers, PPP – Punkte pro Abschluss, Spieler einen Ballverlust; Daten: Manuel Baraniak

Kommt Obst nicht zum Wurf, rotiert er zu Hayes und gibt per Handoff ab. Hayes läuft mit Jerrett das Pick-and-Roll, Obst platziert sich auf dem rechten Flügel – und könnte von Abroller Jerrett einen weiteren Off-Ball-Screen erhalten.

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interview

Philipp

Schwethelm

PHILIPP SCHWETHELM „MIT 30 BEKOMMST DU DIESEN BLICK …“ Philipp Schwethelm absolviert seine 15. Saison in der BBL. Ein Gespräch über das Älterwerden, seine hoch veranlagte Altherrentruppe, Warmup-Dunks, die Karriere nach der Karriere und „Worms Armageddon“. Interview: André Voigt

F

ÜNF: Das ist jetzt deine 15. BBLSaison … hast du einen Überblick, ob du damit nah an einem Rekord dran bist? Philipp Schwethelm: Ich weiß, dass Alex King von den Bayern mehr BBL-Spiele als ich absolviert hat, und ich bin mir nicht sicher, ob Rickey Paulding mehr hat (Paulding hatte zu Redaktionsschluss 29 Partien mehr als Schwethelm, d. Red.). Ich glaube aber, dass ich auf jeden Fall unter den drei, vier Jungs dabei bin, die in der Neuzeit der Bundesliga am meisten gespielt haben. Wie stehst du nach all der Zeit und mit jetzt 30 Jahren zum ganzen Prozess der Vorbereitung auf eine Saison? Hat sich da etwas verändert? Für mich hat sich die Zeit in der Offseason in meiner Karriere über die Jahre entwickelt. In den meisten Jahren, als ich noch Jugendspieler war, aber auch früh in meiner Profikarriere war ich fast jeden Sommer bei der Nationalmannschaft. Dadurch hatte ich damals nur so zehn Tage frei zwischen Saison und der Anreise zur Natio. Da gab es nicht viel Freizeit, in der du an deinem Spiel arbeiten konntest. Erst als ich wegen meinen Rückenproblemen mit Mitte 20 vom DBB

zurückgetreten war, kam die Frage auf: Wie kann ich meinen Sommer in dieser Hinsicht gestalten? Auf einmal konnte ich an meinem Game arbeiten, ich konnte – bedingt durch meinen Positionswechsel auf Power Forward – mehr in den Kraftraum gehen, an meiner Explosivität arbeiten oder am Wurf. So wurden für mich die Vorbereitungen auf die jeweilige Saison spannender, auch weil ich nicht erst später zu meinem Team gestoßen bin, sondern auch das Trainingslager nutzen konnte, um mich weiter zu verbessern. Spätestens mit 30 aber … da bekommst du diesen Blick. Du willst noch etwas von deinem Körper für die Saison übrig haben. Du willst top vorbereitet in die neue Spielzeit gehen, aber das Rad trainingstechnisch auch nicht überdrehen. Ich kann mir vorstellen, dass sich deine Inhalte mit den Jahren auch verschoben haben, denn von deinen Fähigkeiten her wirst du durch die Arbeit im Sommer in diesem Stadium deiner Karriere nicht mehr wirklich besser … Genau. Ich habe zum Beispiel auch gemerkt, dass ich – was das Spiel selbst angeht – nicht mehr so viel Zeit brauche, um wieder reinzukommen. Mit Anfang 20, wenn ich da mal zwei Wochen keinen

Ball in der Hand hatte, habe ich beim ersten Training drei Airballs geworfen. Heute kann ich locker mal drei Wochen nichts machen, und am Ende des ersten Trainings fühle ich mich zumindest mit meinem Wurf wieder gut. Deshalb finde ich es auch gerade ein extrem spannendes Thema, was in der Euroleague passiert … Was meinst du? Nun, ich frage mich: Wer braucht eigentlich eine sechswöchige Teamvorbereitung plus zehn Vorbereitungspartien, wo 300 Fans hinkommen und niemand Geld mit verdient? Wäre es nicht eine Idee – vor allem vor dem Hintergrund, wie die

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europäischen Wettbewerbe den Spielplan aufblähen –, eine einheitliche Regelung in Europa zu finden, dass die Vorbereitung nicht vor dem 05. September beginnen darf? Meiner Meinung nach reichen drei Wochen Vorbereitung völlig, wenn es halt für alle die gleiche Zeit gibt. So hätten wir als Basketballer und vor allem die Nationalspieler im Sommer mehr Zeit, zu regenerieren sowie spezifisch am eigenen Spiel zu arbeiten. Du kennst ja auch noch Zeiten aus Köln damals bei den 99ers … … (lacht) da waren neun Wochen Vorbereitung! Ja, das kenne ich auch noch sehr gut.

Ihr in Oldenburg hättet in einem solchen Modell einen Vorteil, weil ihr viele erfahrene Leistungsträger und seit Jahren denselben Trainer habt. Neu zusammengestellte Mannschaften hätten da einen Nachteil … Klar. Teams, die Kontinuität im Kader haben, würden stark belohnt. Aber das wäre auch gut für die Bundesliga. Wir haben ja mittlerweile ein gewisses Maß an Kontinuität durch die damals eingeführte Quotenregelung. Aber natürlich hast du recht: In Oldenburg haben wir so viele erfahrene Profis, dass du nicht alles dreimal erklären musst, damit wir es verstehen, und als 30-Jähriger würde ich mich auch freuen, wenn die älteren Profis mit einer solchen Regelung einen kleinen Vorteil bekommen. (lacht) Du hast eben die Vorgaben in der Euroleague angesprochen …

Ja, dort hat die Euroleague Players Association zum Beispiel durchgesetzt, dass die Trainingslager vor dieser Saison erst am 22. August beginnen durften. Die Saison in der BBL begann am 24. September. Außerdem gibt es klare Regeln, wie viel in der Woche trainiert werden darf. Wer dagegen verstößt, zahlt hohe Strafen. Das finde ich echt beeindruckend, was dort in so kurzer Zeit erreicht wurde. Sicherlich wird so ein Modell bei all den verschiedenen Interessen in Europa mit FIBA und Euroleague sowie den ganzen nationalen Ligen nicht flächendeckend durchzusetzen sein, aber ich finde das den richtigen Ansatz. Denn in der Vorbereitung kann man Zeit einsparen, genau wie das auch bei der Nationalmannschaft getan werden kann. Warum muss sich das Team schon einen Monat vor dem Turnier treffen? Alle wollen natürlich mehr Spiele und mehr Geld verdienen, du kannst die

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Spieler aber nicht zwölf Monate lang aufs Feld schicken. Du hast schon früh in deiner Karriere auf Vereinsebene international gespielt. In der Regel gilt: Basketballer spielen lieber, als dass sie trainieren. Ist das bei dir mit 30 Jahren immer noch so? Vergangenes Jahr haben wir nicht in Europa gespielt. Da habe ich versucht, das Positive darin zu sehen: mehr Freizeit, nicht so viel reisen, mehr Zeit für den eigenen Körper. Letztlich ziehen sich aber die Trainingswochen ohne Einsatz in Europa so hin … irgendwann langweilst du dich. (lacht) Es ist wirklich so, dass es von Montag bis Mittwoch eine Qual ist, in die Halle zu gehen. Mit Anfang 20 war das anders. Von daher würde ich sagen, gerade im höheren Sportleralter bist du daran interessiert, insgesamt weniger zu trainieren und nicht immer dasselbe zu hören, was du schon in den vergangenen 15 Jahren gehört hast. Du willst einfach Spiele spielen. Wie viele echte Trainingseinheiten, wo es richtig zur Sache geht, habt ihr überhaupt in einer Saison, in der ihr international unterwegs seid? Wann haben wir das letzte Mal Krafttraining gemacht und nicht nur in der Halle versucht, mit Gummibändern so ein bisschen Spannung auf die Muskeln zu bringen? Das kann ich dir auf Anhieb nicht sagen … und so eine richtig brutale Einheit hatten wir gar nicht. Wir spielen mal zehn Minuten fünf-gegen-fünf übers ganze Feld und dann 30 bis 45 Minuten Halbfeld unsere offensiven oder defensiven Sachen. Das ist das Härteste, was wir so durchlaufen. Ich bin mir sicher, dass es auch viele Teams gibt, die das anders handhaben, aber wir haben halt viele Ü30-Leistungsträger. Wenn du da die Belastung zu hoch ansetzt, ist das kontraproduktiv, und wie vorhin schon mal gesagt: Uns musst du viele Dinge nicht so oft sagen, bis wir sie umsetzen. Deshalb müssen wir wahrscheinlich auch nicht so viel trainieren. Seid ihr wirklich so eine … versteh mich da bitte richtig … Altherrentruppe, die sich auf dem Parkett blind versteht, die vielleicht auch einen Schritt weiter denkt als jüngere Mannschaften? Auf jeden Fall ist das so, wenn wir gewisse Aufstellungen auf dem Feld haben. Unsere Erste Fünf zum Beispiel … Rickey Paulding, Karsten Tadda, Rasid Mahalbasic und ich spielen jetzt bereits unsere dritte Saison zusammen, Braydon Hobbs ist ein extrem intelligenter Basketballer, der sich überall direkt einfügt: Wir verstehen uns blind. Wir wissen genau, wo der andere seine Stärken hat, wo er den Ball haben will oder eben eine Schwäche hat, die wir gemeinsam kompensieren wollen. Dieses blinde Verständnis spürst du, das macht auch sehr viel Spaß.

Euer Coach Mladen Drijencic ist ebenfalls schon mehrere Jahre bei euch. Kann er euch noch überraschen oder unerwartete Reize setzen? Oder ist das auch ein Fall von blindem Verständnis? Ich glaube nicht, dass Mladen keine Tage hat, wo er von unserer mangelnden Auffassungsgabe oder fragwürdigen Entscheidungsfindung nicht frustriert nach Hause geht. (lacht) Aber grundsätzlich weiß er, dass er sich auf uns verlassen kann, und wir wissen genau, was er von uns erwartet. Das Verhältnis ist ein sehr fruchtbares für beide Seiten. Hat sich über die Jahre trotz dieser Kontinuität taktisch viel geändert? Schon. Wir fangen zwar nicht in jedem

Trainingslager bei null an, weil wir eben wissen, was der Coach will, aber letztlich musste sich unser Spiel den Gegebenheiten anpassen. Was ich damit meine: Je nachdem, welche Neuverpflichtungen in den Kader kamen, veränderten die Fähigkeiten dieser neuen Spieler natürlich unser Spiel. Will Cummings ist – nur als Beispiel – ein komplett anderer Spielertyp als unser jetziger Aufbau Braydon Hobbs. Aber die Grundsäulen bleiben bestehen. Eine dieser Säulen ist Rasid Mahalbasic, der ein einzigartiger Spieler in der BBL ist … Ja, er ist einzigartig. Es ist extrem cool zu sehen, wenn er gegen Greg Monroe

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oder andere Big Men auf absolutem Topniveau spielt, die über eine exzellente Athletik verfügen, wie er gegen die mit seiner Intelligenz zum Erfolg kommt. Ich habe letztlich noch keinen Spieler gesehen, der Rasid eins-gegen-eins verteidigen konnte. Sobald die Teams auf seine Dominanz reagieren, kommen wir außen ins Spiel. Und das macht beides echt Spaß. Entweder zerlegt er die Jungs am Zonenrand, oder er bringt mich perfekt ins Spiel. Der größte Name bei euch im Team ist aber natürlich Rickey Paulding … der Mann ist 37, und du siehst ihn jeden Tag. Bemerkst du, dass es bei ihm bergab geht? (lacht) Gestern ist er 37 Jahre alt geworden und wollte gegen Malaga über drei Typen dunken! Dabei hat er den Ball nicht vorne gegen den Ring geknallt, sondern hinten auf den Ring! Das Ende der Fahnenstange ist bei ihm noch lange nicht erreicht. Die Frage ist eher: Wie lange hat er noch Lust? Wenn ich seine körperliche Verfassung sehe, sehe ich nicht, dass er in den kommenden zwei, drei Jahren irgendwie abbaut. In den fünf Jahren, die ich hier bin, habe ich davon nichts mitbekommen. Die Frage ist eher: Wie viel gibt ihm Basketball? Er hat seine Frau und die drei Kinder hier. Die Familie spielt sicherlich auch immer eine Rolle bei einer solchen Entscheidung. Und: Mit jedem Jahr distanziert er sich auch alterstechnisch von einem Großteil der Mannschaft. Jede Saison kommen die neuen

20-Jährigen vom College und reden über die neuen PlayStation-Spiele. Das ist auch ein Thema. Ich habe mit ihm aber noch nie darüber gesprochen. Ich hoffe, dass er so lange hier ist, wie ich noch hier bin. Das Karriereende ist ein gutes Stichwort … du hast vergangenes Jahr zusammen mit zwei anderen Autoren ein Buch geschrieben, in dem es auch um die Zeit nach der Karriere geht. Mit dem Thema hast du dich also schon eingehend beschäftigt. Hast du einen klaren Plan, wie du entscheiden möchtest, wie und wann diese nächste Lebensphase beginnen soll? Ich mache mir viele Gedanken über die Zeit danach und schaue, was mir Basketball noch gibt. Es gibt so viele Dinge, die ich erst in den letzten Jahren wirklich schätzen gelernt habe. Zum Beispiel diesen Lebensstil: viel Freizeit, zocken, viel reisen, aber auch in den Städten, in denen du spielst, viel Anerkennung zu bekommen … und natürlich auch das Geld. All diese und noch viele andere Faktoren sind mir erst später in der Karriere wirklich bewusst geworden. Gleichzeitig kann ich mich in die Dinge, die ich gerade bei Rickey angesprochen habe, wirklich hineinversetzen, weil ich das selbst so empfinde. Ich weiß ja noch, wie ich in Ulm mit Per Günther, Till Jönke und Marcel Heberlein jeden Abend zusammensaß und „Worms Armageddon“ gezockt habe, bis tief in die Nacht. Wenn du älter wirst, fehlen dir

stellenweise die Themen. Und das spielt da halt auch mit rein: Wie sehr erfüllt dich dein Job? Gibt es eine interne Checkliste, die du bereits durchgehst, um zu entscheiden, ob du weitermachst? Spaß ist ein großer Faktor. Sinngebung auch, genau wie mein Körper. Ich merke das ja: Wenn ich früher 20 Minuten gespielt habe, konnte ich am nächsten Tag direkt wieder hart trainieren. Jetzt stecken mir 20 Minuten gegen Ludwigsburg teilweise noch drei Tage in den Knochen, aber wir spielen eben zweimal die Woche und reisen. Knie, Fußgelenke – das sind Dinge, die zwicken. Mein Warmup-Dunk wird immer flacher, bald springe ich nur noch hoch, lege den Ball rein und ziehe den Ring runter. (lacht) Und neben all diesen Faktoren spielt natürlich auch meine berufliche Zukunft eine Rolle. Ich werde nach der Sportlerkarriere nicht ausgesorgt haben. Wann ist der Zeitpunkt, an dem ich für die Wirtschaft außerhalb des Basketballs nicht mehr interessant bin? Anfang 30 kann ich sicher noch in einen Job einsteigen, da konkurriere ich mit Spätstartern im Studium oder Abbrechern. Ab Ende 30 oder sogar 40 mit Bachelor, aber ohne Berufserfahrung … da guckt ein Personaler vielleicht schon ein bisschen komisch, wenn er deine Bewerbung auf den Tisch bekommt. Natürlich kann man im Basketball bleiben, aber das ist nicht mein Plan A. dre@fivemag.de

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Hamburg Towers You can guarantee Nachhaltigkeit Die Hamburg Towers sind eines der spannendsten Projekte der Basketball-Bundesliga. Das hängt auch mit zwei Personen zusammen: Marvin Willoughby, dessen Spielerkarriere zu früh endete und der mit Sozialarbeit in Wilhelmsburg den Grundstein für die Towers legte. Und Mike Taylor, einem basketballbesessenen Coach, der einst den Ulmer Basketball geprägt hat und jüngst Polens WM-Held war. Text: Manuel Baraniak

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er Weg zum Aufstieg führt über etwa 40 Stufen. Damit soll keine Küchenpsychologie skizziert oder das Einmaleins der Sportökonomie beschrieben werden, sondern vielmehr die Anreise per Bahn zu einem Heimspiel der Hamburg Towers. An der S-Bahn-Station Wilhelmsburg angekommen, wird der Gast schon am Bahnsteig mit Blick auf den Treppenaufgang mit Basketball

konfrontiert: Denn die Frontflächen der Treppenstufen sind bemalt mit dem Towers-Logo, einer zweifarbigen Aufnahme aus einem Heimspiel der Hamburger und ebenjener Ankündigung: „Der Weg zum Aufstieg“. „Pun intended“, ist der erste Gedanke, wenn die Stufen erklommen werden und der Weg zur edel-optics.de Arena beginnt. Vorbei an der Behörde für Umwelt und Energie, die mit ihrer

streifenfarbigen Fassade ins Auge sticht, wie man es vom zuständigen Architekturbüro auch in den deutschen Metropolen München oder Köln kennt. Weiter zum Inselpark, mit Wohngebäuden auf Wasser und einer Menge Grün, Pflanzen ranken selbst an der Fassade der Arena. Schon nach diesen wenigen Metern wird klar: Wilhelmsburg, früher oder mitunter immer noch als „Problemviertel“ der Hansestadt

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verschrien, ist ein Stadtteil im Umbruch – woran auch die Hamburg Towers ihren Anteil haben (wollen). Sicherlich: Durch den Aufstieg der Towers in die Basketball-Bundesliga sind sie die einzige Hamburger Profisportmannschaft der großen Teamsportarten wie Fußball, Handball und Eishockey, die in dieser Saison in einer ersten Liga spielt. Doch die Geschichte der Hamburg Towers handelt von mehr als „nur“ einer Profimannschaft – hat sie doch ihre Wurzeln in der Sozialarbeit und möchte auch nachhaltig etwas für den Breitensport tun. Denn, so erklärt der Sportliche Leiter und Geschäftsführer der Towers, Marvin Willoughby, im Gespräch seine Vision: „Jeder Mensch in Wilhelmsburg, egal wie er wirtschaftlich dasteht, soll die Möglichkeit bekommen, Sport zu treiben. Denn wir glauben an Sport als Vehikel, die Gesellschaft zu stärken.“

„You can’t guarantee an Aufstieg“ Der Weg zum Aufstieg führt über bis zu 40 Stufen. So viele Begegnungen absolvieren ProA-Teams in einer Sechzehner-Liga maximal, ehe sie in die Finals einziehen und damit den sportlichen Aufstieg sicherstellen. Für die Hamburg Towers waren es in der Saison 2018/19 genau genommen 39 Partien. Nach einer Vier-Spiele-Serie im Viertelfinale gegen Rostock setzten sich die Hanseaten im entscheidenden fünften Playoff-Halbfinalspiel beim Hauptrundenprimus aus Chemnitz durch. Dabei hatten die Towers durch zwei Niederlagen zum Hauptrundenende noch den zweiten Platz verspielt und waren auf den vierten Rang abgerutscht, womit sie dem Top-Team aus Chemnitz nicht aus dem Weg gehen konnten. Den lang ersehnten Schritt in die deutsche Beletage zu meistern, war auch für Willoughby eine Erleichterung – sei doch zu befürchten gewesen, so der ehemalige deutsche Nationalspieler, dass bei längerer Zweitklassigkeit der Hype um Hamburg irgendwann verflogen wäre. Schon kurz nach der Gründung des Towers-Profiteams im Jahr 2014 war der Hamburger Klub mit der BBL in Verbindung gebracht worden: Im Sommer 2015 fragte die Liga nach, ob die Hamburger sich nicht für eine Wildcard bewerben wollten – Großstädte sind eben sexy. Mit einer Wildcard hatten die Towers auch 2014/15 in der ProA begonnen. Damals auch noch mit einem Geschäftsführer Pascal Roller. Dem 122-fachen deutschen Ex-Nationalspieler schien der Aufstieg Hamburgs aber nicht schnell genug zu gehen, womit Roller nach einem Zweitligajahr dem Projekt wieder den Rücken kehrte. Willoughby stand derweil mehr für nachhaltiges Wachstum. Nichtsdestotrotz hatten die Towers den Anspruch, früher oder später den Aufstieg zu schaffen –

wurden in ihren Ambitionen jedoch teils hart gebremst, als sie 2017 und 2018 zwei Jahre in Folge sogar die Playoffs verpassten. Dabei hatte Willoughby den Kader 2017/18 noch als die „beste

Mannschaft in der Geschichte der Hamburg Towers“ bezeichnet. Somit folgte im Februar 2018 die Trennung vom bisherigen Headcoach Hamed Attarbashi, welcher seit der

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Premierensaison an der Seitenlinie gestanden war. In der Offseason 2018 stellten die Towers mit Mike Taylor einen in Deutschland sehr bekannten Coach vor – schließlich hatte der US-Amerikaner acht Jahre lang den Profibasketball in Ulm geprägt und mit ratiopharm Ulm 2006 den Aufstieg in die erste Liga gefeiert. Bereits vier Jahre zuvor hatte sich Taylor als Aufstiegscoach einen Namen gemacht, als er Chemnitz von der Regionalliga in die zweite Liga führte. „You can’t guarantee an Aufstieg“, hatte Taylor bei seinem Amtsantritt in Hamburg die Erwartungen dennoch etwas zurückgeschraubt – in bestem „Denglisch“ mit äußerst sympathischem Unterton. Auch wenn niemand einen Aufstieg garantieren kann, so erhöhen sich doch die Chancen, je mehr sich der Trainer dem Sport verschreibt. Und Mike Taylor ist wahrlich ein Basketballverrückter.

Drei Teams, ein System Als wir Taylor am ersten Tag des Supercups Mitte August bei einer Medienrunde treffen, hat der 47-Jährige eine kurze Nacht hinter sich: kurz vor zwei ins Bett, um sechs Uhr wieder aus den Federn. Denn Taylor muss zu jener Zeit zwei Teams betreuen: die Hamburg Towers, die gerade erst in die Preseason gestartet sind, und die polnische Nationalmannschaft, die Taylor damals auf die Weltmeisterschaft vorbereitet. Zum ersten Mal seit 52 Jahren hatte Taylor Polen wieder zu einer WM geführt, wo sein Team mit dem Viertelfinaleinzug überraschen sollte. Am Tag vor dem Supercup absolvieren die Towers ihr erstes Testspiel, an den ersten beiden Supercup-Spieltagen nimmt Taylor dennoch Trainingseinheiten mit den Towers wahr – um am letzten Spieltag noch ein Testspiel der Towers zu coachen. Wahnsinn? Taylor findet an dieser Arbeitsbelastung vor allem Wertschätzung. „Diese Verbindung auf unterschiedlichen Ebenen, wenn sich Athletiktrainer und Assistant Coaches von Hamburg und Polen austauschen können, ist sehr interessant. Das begrüße ich an diesem Wochenende am meisten.“ Ein solcher Austausch liegt in Taylors Fall auf der Hand – denn er hat in beiden Mannschaften das gleiche System implementiert. Da beide Teams zum damaligen Zeitpunkt unterschiedlich weit in ihrer Vorbereitung vorangeschritten sind, kann es dennoch mal zu kleineren Verwirrungen kommen. „Beim Testspiel mit den Towers war es ein paar Mal der Fall, dass ich einen Spielzug aufmalen wollte, mir meine Assistant Coaches dann aber sagten: ,Das haben wir noch gar nicht gemacht‘“, schmunzelt Taylor über den Umstand, dass er einen Großteil der Saisonvorbereitung mit den Towers verpasste und seinen Assistant Coaches

Benka Barloschky und Austen Rowland übergeben hatte. Marvin Willoughby muss deshalb auch lachen, als wir ihn beim Spiel Polens gegen Ungarn fragen, wie viele Spielzüge er bei der polnischen Nationalmannschaft kenne. Antwort: „Jeden einzelnen.“ Taylor ist noch einen Schritt weitergegangen und hat sein System auch auf Hamburgs Kooperationspartner Rist Wedel übertragen – wo sein Assistant

„Wir sind mit einer politischen, aber auch mit einer HipHop-Haltung aufgewachsen. In Wilhelmsburg, ich mit einem Migrationshintergrund und einer alleinerziehenden Mutter: Das passt ja alles irgendwie in diese HipHopSchublade.“ Marvin Willoughby -----------

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Coach Barloschky als Headcoach fungiert. Mit Wedel als ProB-Ligist, den Towers als BBL-Aufsteiger und der polnischen Nationalmannschaft hat Taylor also drei Teams auf unterschiedlichem Niveau, die mit dem gleichen System agieren. Für einen Trainer eine wertvolle, da sonst nicht zu realisierende Möglichkeit, seine eigenen Ideen zu überprüfen. Barloschky arbeitet also mit dem System eines anderen Coaches – eine Methode, die Taylor selbst auch schon

einmal erlebt hat: während seiner Zeit in der G-League. 2011/12 war Taylor als Assistant Coach der Rio Grande Valley Vipers tätig, unter dem späteren NBAChampion Nick Nurse. Es folgten zwei Saisons als Headcoach der Maine Red Claws, des Farmteams der Boston Celtics. Damit lernte Taylor unter Doc Rivers sowie Brad Stevens. „Wenn du das System eines anderen Coaches ausführst, erweitert das deinen Horizont. Es hilft dir, zu wachsen und dich weiterzuentwickeln“, blickt Taylor auf diesen eigenen Lernprozess zurück. „Und auf diese Weise wollen wir in diesem Jahr auch Benka helfen. Er war im vergangenen Jahr bereits bei uns und kann in dieser Saison das System selbst in Wedel anwenden.“ Taylor ist sich der Einschränkungen bewusst, das System eines anderen zu übernehmen. „Du bist definitiv nicht selbstständig“, weiß er, wertschätzt es aber, mit Rivers und Stevens „von zwei der besten Coaches der Liga“ gelernt zu haben. Die größte Stärke von Stevens sieht Taylor übrigens in dessen akribischer Vorbereitung, die es dem Celtics-Coach ermöglicht, während eines Spiels beispielsweise mit unterschiedlichen Special-Plays aus Auszeiten heraus zu agieren. Die Zeit in der G-League sei für ihn letztlich eine Herausforderung gewesen, da man „von Montag bis Freitag einen unterschiedlichen Kader hat. Du kannst drei Spiele mit drei verschiedenen Teams bestreiten“, schneidet Taylor den Punkt an, dass NBA-Spieler in die G-League oder umgekehrt verschoben werden. „Du musst deshalb flexibel sein und dich anpassen.“

Einer von Geschwindners Jungs Flexibel sein, sich anpassen, vor einer Herausforderung stehen: Das sind allesamt Attribute, mit denen sich Marvin Willoughby zu früh in seiner Spielerkarriere beschäftigen musste. Oder besser gesagt: am Ende seiner Spielerkarriere. Aufgrund einer Knöchelverletzung musste Willoughby seine Profikarriere bereits im Alter von 27 Jahren beenden. 35 Länderspiele hat der 2,02 Meter große Flügelspieler für die deutsche Nationalmannschaft absolviert. Als Teenager befand sich Willoughby inmitten einer Basketballrevolution in Deutschland: Denn er war Teil jenes Würzburger Teams, das um die Jahrtausendwende für Aufsehen sorgte. Angeführt von einem gewissen Dirk Nowitzki, der von einem gewissen Holger Geschwindner lernte – damals wurden dessen unkonventionelle Methoden von vielen noch belächelt. Dennoch ist es eine Zeit gewesen, „von der die Menschen in Würzburg noch heute schwärmen“, schreibt Joe Herber in seiner Geschichte „Geschwindners Jungs“ für das

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FORTYONE-Magazin. „Robse, Marvin, Demond, Dirk. Geschwindners ,junge Wilde‘ sind das Team der Stunde. Sie rennen, rennen, rennen. Wer den Ball hat, wirft ihn drauf. Ein Höllentempo, wie es die Bundesliga noch nie gesehen hat.“ So sehr Geschwindner für Nowitzki der oft zitierte „Mentor“ gewesen ist, so sehr trifft das natürlich auch auf die anderen drei zu: auf Robert Garrett, Demond Greene und eben Marvin Willoughby. Zumal sich Willoughby früh umorientieren musste. 2006 hat der gebürtige Wilhelmsburger mit Weggefährten den Verein „Sport ohne Grenzen“ gegründet, der Kindern und Jugendlichen mit Sozialarbeit eine Perspektive bieten und mit Basketball Werte vermitteln will. „Über all die Jahre habe ich mit Holger Geschwindner über unsere Arbeit gesprochen und tue das heute noch“, erklärt Willoughby im Gespräch während des Supercups den Einfluss von Geschwindner auf ihn und seine Arbeit. „Bis heute habe ich ‚Hotsch‘ keinen Cent Geld gezahlt. Ich habe als Spieler mit der Sportart sehr viel Geld verdient – aber Hotsch ist nie auf die Idee gekommen, nach Geld zu fragen. So ein selbstloser Typ ist er. Wenn dir so jemand in deinem Leben geholfen hat, dann wirst du diese Selbstlosigkeit auch in dir haben und etwas zurückgeben wollen.“ Das tut Willoughby vor allem durch sein Engagement bei „Sport ohne Grenzen e.V.“, für welches er im Jahr 2015 mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet wurde. Was Geschwindner und Willoughby bei ihrer Arbeit mit dem Basketball eint? Ein Fokus auf Taktgefühl. „Das Erste, was ich bei der Arbeit mit Kids mache, ist dribbeln. Und dann versuchen wir, alle gleichzeitig zu dribbeln und einen bestimmten Rhythmus zu bekommen“, schneidet Willoughby an, dass er mit dem Geschwindner-Mantra „Basketball ist Jazz“ sehr gut etwas anzufangen weiß. Wobei für Willoughby noch mehr der Bezug zu HipHop zählt. Wer Willoughby bei Spielen der Towers hinter der Bank sitzen sieht, denkt als Erstes wohl nicht an den Geschäftsführer eines BBL-Klubs: In Sneakern und mit einem „HMBG TWRS DIGGA“-Shirt bekleidet, weckt das RunDMC-Motiv eher Rap-Assoziationen. Das passt: HipHop hat Willoughby seit Kindestagen begleitet. „Wir sind mit einer politischen, aber auch mit einer HipHop-Haltung aufgewachsen. In Wilhelmsburg, ich mit einem Migrationshintergrund und einer alleinerziehenden Mutter: Das passt ja alles irgendwie in diese HipHopSchublade“, blickt Willoughby zurück. Als Jugendlicher spielte er in der Hamburger Auswahl mit Denyo von „Die Beginner“ zusammen, bei einem der ersten Sozialprojekte wirkte Samy Deluxe mit.

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Musizierte Willoughby schon damals, verstärkte Geschwindners Ansatz nochmal die Bedeutung von Rhythmus beim Basketball. „Ich mochte das Kreativsein: etwas schaffen“, sagt Willoughby zur Musik – womit sich auch die Brücke schlagen lässt zum Macher am Schreibtisch: als Sportlicher Leiter und Geschäftsführer der Towers, im Stadtteil Wilhelmsburg, für den Standort Hamburg.

„Wir haben den Weg der Stiftung für ,Sport ohne Grenzen e.V.‘ gewählt, weil wir nachhaltig etwas schaffen wollten. Das Projekt soll weiterleben, auch wenn wir selbst irgendwann nicht mehr dabei sind.“ Marvin Willoughby -----------

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Von Utopia zum Leuchtturm Dort, wo Willoughby nun in der Geschäftsstelle sitzt und wo unweit die Towers über das Parkett laufen, drehte sich vor sechs Jahren noch nichts um Basketbälle, sondern alles um Blumen. Im Jahr 2013 fand die Internationale Gartenschau (IGS) in Wilhelmsburg statt, für die eine Blumenhalle errichtet wurde, in der nun die Towers spielen. „Wenn ich dir vor einigen Jahren gesagt hätte: ,Wir bauen hier in Wilhelmsburg eine Halle‘, dann wäre das absurd gewesen, wie ein Utopia“, blickt Willoughby zurück. Bereits fünf Jahre vor der IGS stellten er und sein Mitstreiter Jan Fischer den Entscheidern ihren Plan

einer Halle vor – damals wurden sie aber eher belächelt, weshalb sie zunächst eine Lagerhalle als Trainingsmöglichkeit umbauen wollten. Als eine Stiftung auf sie aufmerksam wurde, waren sie für die IGS plötzlich doch interessant. Von einer Blumenhalle zu einer Basketballarena – ein ungewöhnliches Konzept. Unkonventionelle Methoden hatte Willoughby als Spieler bereits von Geschwindner gelernt. „Wenn du dich nicht traust, ,outside the box‘ zu denken, kannst du nicht groß denken. Und wenn du nicht groß denken kannst, kannst du nicht etwas schaffen, das unwahrscheinlich ist“, erklärt Willoughby, was er von Geschwindner für sein Leben mitgenommen hat. Der Weg vom „Sport ohne Grenzen e.V.“ zu den Towers als Profimannschaft war ein natürlicher, stetig wachsender. Nach CampMaßnahmen in Kooperation mit Rist Wedel kam zunächst 2009 ein JBBL-, dann 2011 ein NBBL-Team hinzu, ehe die Towers 2014 als Profimannschaft gegründet wurden – die fünf Jahre später in der höchsten deutschen Spielklasse auflaufen. Und mit Hamburg sicherlich einen Standortvorteil haben. Mehr BBL-Teams in den deutschen Metropolen beheimatet zu haben, ist seit einigen Jahren ein Wunsch der Liga. Wobei es auch hinsichtlich der Infrastruktur stimmen muss. „Die Situation in Köln hat uns gelehrt, dass es wichtig ist, eine eigene Halle zu haben: um selbst zu bestimmen, wann man sie nutzen kann“, schneidet Willoughby den bislang gescheiterten Versuch in Köln an, BBL-Basketball zurück in die Rheinmetropole zu bringen. Für die RheinStars ging es zuletzt von der ProA in die erste Regionalliga. Ein für BBL-Verhältnisse kleines, aber feines Schmuckkästchen haben die Towers mit ihrer Heimspielstätte seit jeher – die regelmäßig ausverkauft ist. Die Towers haben als junger Verein den Aufstieg in die BBL gemeistert. Klingt ein wenig nach ratiopharm Ulm – schließlich feierten die 2006 mit einem gewissen Mike Taylor den Sprung in die BBL. Parallelen sieht der Coach dennoch weniger: „Ulm ist ein kleinerer, fast schon isolierter Markt. Ein realistischeres Vorbild für Hamburg ist Alba Berlin – einfach, weil es eine ähnliche Stadt wie Hamburg ist.“ Dem stimmt Willoughby zu. Zudem, so der Towers-Geschäftsführer, seien die Albatrosse zu einer Zeit groß geworden, in der der Fußball in Berlin keine so bedeutende Rolle gespielt habe. In Hamburg gibt es in dieser Saison erstmals keinen Erstligafußball. Eine Chance für die Towers. Doch dass sich nun die Sponsoren auf die Basketballer stürzen, sei nicht der Fall. „Es fing schon nach dem Aus der Handballund Eishockeyteams an, als ein paar Leute meinten: ,Geil, jetzt laufen alle Sponsoren

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zu euch.‘ Das waren aber unsere härtesten Jahre“, erklärt Willoughby, dass das Thema Sportsponsoring fast schon negativ behaftet gewesen sei. Zumal sich die Hamburger Bürger in jener Zeit gegen eine OlympiaBewerbung entschieden hatten. Das sicherlich auch aufgrund von Zweifeln am Wirtschaftsdenken hinter dem Sport. Die Verbindung von Sozialarbeit und einer Profimannschaft hatten zu Beginn auch viele Menschen kritisch gesehen. Man könne nicht etwas Soziales und etwas Elitäres wie Leistungssport zusammenbringen, musste sich Willoughby anhören. Er selbst findet, dass er das beste Beispiel dafür ist, dass es doch funktioniert: „Leistungsbasketball hat mich auf mehreren Ebenen aus einer prekären Situation herausgebracht.“ Auf wirtschaftlicher Ebene schaut er genau darauf, dass beide Projekte getrennt bleiben. Für ein geplantes Sportzentrum haben Willoughby und Co. eine Stiftung gegründet, die aber „nichts mit der Profimannschaft zu tun haben wird, es fließt kein Geld in die Profimannschaft“. Die soll das gemeinnützige Projekt dennoch unterstützen: als „Leuchtturm“, wie Willoughby das Profiteam der Towers bezeichnet, der Unternehmen erreichen soll, die sich gemeinnützig engagieren wollen. Willoughby ist sich der Kurzlebigkeit des Profisports bewusst, zu früh musste er seine eigene Karriere beenden. „Wir haben den Weg der Stiftung für ,Sport ohne Grenzen e.V.‘ gewählt, weil wir nachhaltig etwas schaffen wollten. Das Projekt soll weiterleben, auch wenn wir selbst irgendwann nicht mehr dabei sind“,

skizziert er seine Vision von Nachhaltigkeit, die über einzelne Personen oder ein einzelnes Profiteam hinausgeht. „You can’t guarantee an Aufstieg“, hatte Mike Taylor vor einem Jahr gesagt. Und einen Klassenerhalt schon gar nicht. Im ersten BBL-Spiel ihrer Geschichte stürzten die Towers mit 55:111 in München ein, die Heimpremiere verloren sie gegen den MBC mit 21 Zählern Differenz. Danach entließ der Klub seinen Point Guard Kahlil Dukes – zum ersten Mal überhaupt, dass sich die Towers während einer Saison von einem

Spieler getrennt haben. Gegen Gießen gelang dann mit 79:75 der erste BBL-Sieg der Geschichte. Egal wo die Towers kurzfristig in der Saison 2019/20 landen, wo sie sich mittelfristig in der BBL etablieren werden und wo der Basketball in der Sportlandschaft Hamburgs stehen wird – die Wurzeln des Projekts können durchaus als Leuchtturm für den Sport herhalten. Denn eines zeigt die Idee hinter den Hamburg Towers allemal: You can guarantee Nachhaltigkeit. redaktion@fivemag.de

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PETE STROBL „DEUTSCHLAND? NEIN, DANKE!“ Braunschweigs neuer Headcoach Pete Strobl erzählt im Interview, wie ein unerwarteter Anruf von Thorsten Leibenath sein Leben veränderte, wie viele FIVE-Leser seine Familie aufweisen kann und wie er der beste Trainer aller Zeiten werden will. Dass der Gründer einer eigenen Basketballakademie in den USA trotz dieses Ziels grundsympathisch ist, spricht ebenso für ihn wie seine Pläne mit jungen deutschen Spielern und seine genießerische Lebenseinstellung. Interview: Peter Bieg 88

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ÜNF: Pete, kennst du FIVE überhaupt? Pete Strobl: Oh ja. Natürlich. Meine Frau und ich haben vier Kinder. Drei Jungs, die alle Basketball spielen, und unsere kleine Prinzessin. Die Jungs sind zwölf, zehn und sieben Jahre alt, die Prinzessin ist fünf. Sie lesen die Zeitschrift sehr, sehr gerne. Wir haben zwar kein Abo, kaufen dann aber jede Ausgabe im Markt, wenn wir sie sehen. Du heißt mit vollem Namen Peter Franz Joseph Strobl, bist Amerikaner und Österreicher. Erzähl uns von deinem familiären Hintergrund. Mein Vater kommt aus Österreich, ist in Salzburg geboren. Meine Mutter kommt aus Italien und meine Großmutter aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ich bin in Amerika geboren und aufgewachsen. Ich bin aber kein Ami, ich bin ein Mensch, ein bisschen von allem. Als Kind habe ich nur Englisch gesprochen, aber später, als ich in Europa gespielt habe, habe ich auch andere Sprachen gelernt. Mein Vater hat unsere Familie verlassen, als ich noch sehr jung war. Ich habe also als Kind auch einige nicht so schöne Dinge gesehen. Deshalb bin ich so weit weg wie möglich gegangen, etwa zur Niagara University in New York. Dort habe ich meine spätere Frau kennengelernt, sie ist eine ehemalige Basketballerin, Teil der Hall of Fame der Universität. Nach der Uni habe ich neun Jahre in Europa gespielt, und in Österreich haben wir unser erstes Kind geboren. Wir dachten dann, dass wir uns mit den Kindern vielleicht besser wieder nach Amerika zurückziehen. Dort haben wir neun Jahre verbracht, ich habe eine Basketballakademie, „The Scoring Factory“, gegründet: Wir trainieren viele Profis, aber auch Kinder. 537 Kids trainieren aktuell in unserer Akademie, 27 Coaches arbeiten für die Firma. Das sind sehr gute Leute, zum Glück. Ich muss fast gar nichts mehr machen. Es läuft, und ich bin sehr stolz darauf. Wir Strobls sind eine echte Basketball-Familie. Ich liebe den Sport sehr. Wir bereisen die Welt, genießen die Zeit und versuchen, jedes Spiel zu gewinnen und immer zu kämpfen. Das ist unsere Mentalität als Familie, aber auch für mich als Trainer und Mensch. Wieso bist du überhaupt in den Vereinigten Staaten aufgewachsen? In der Nachkriegszeit sind mein Vater und seine Familie nach Amerika gegangen. Ich hatte also keine Wahl und wurde in Long Beach, Kalifornien geboren. Aufgewachsen bin ich in Los Angeles, das war unsere Heimatstadt. In meiner Familie hat aber nie zuvor jemand Basketball gespielt, obwohl mein Vater auch groß ist. Schon bei meiner Recherche hatte ich den Eindruck, dass du besonders viel „Love for the Game“ hast. Wo begann diese Liebe?

Als Kind war es nicht immer so schön für mich. Aber Basketball war immer da, es war ein Geschenk. Ich wollte das nutzen. Ziemlich früh war ich an einem Punkt, an dem ich wusste, dass mir Basketball helfen könnte und ich mit Basketball auch etwas würde zurückgeben können. Basketball war ein Vehikel für etwas Gutes. Und das ist immer noch so. Ich bin dem Sport extrem dankbar. Durch Basketball habe ich ein gutes Leben, meine Frau gefunden, gesunde Kinder, coole Menschen auf der ganzen Welt kennengelernt. Ich kann – nicht perfekt – Deutsch, Französisch und Serbisch sprechen. Ich habe super Gemälde gesehen, sehr schöne Gebäude, tolle Städte. Ich liebe das einfach. Es gibt die Möglichkeit zu kämpfen, zu verzücken, miteinander Beziehungen zu knüpfen, Menschen zu begeistern und zusammenzubringen. Das gilt nicht nur für eine Mannschaft, wie jetzt etwa in

Braunschweig. Sondern für die ganze Stadt, in der ich lebe. Du hast in neun Jahren als Profi in wenig prominenten Ligen gespielt, in Österreich, in Deutschlands zweiter Liga, in Irland, Island und der Schweiz. Das hat die Recherche gar nicht so einfach gemacht. Wie gut warst du wirklich? Nach der Highschool bin ich an die Niagara University in New York gewechselt. Ich war ein bisschen größer als die meisten anderen, athletisch, ein guter Werfer. Aber ich habe gar nicht so viel über Basketball gewusst. Als Kind habe ich einfach gespielt, ohne viel nachzudenken. Später habe ich dann erst gemerkt, dass ich vielleicht die Chance habe, etwas zu erreichen. Ich habe in der Division I gespielt, aber wie gut ich war? Keine Ahnung. Ich wünschte mir sehr, als Kind schon mehr über Basketball gelernt zu haben. Deshalb habe ich die Scoring

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Factory gegründet. Auf der Straße habe ich die Details, die Kleinigkeiten und Feinheiten des Spiels, nicht gelernt. Das kam alles erst später. Ich war okay. Meine Frau war viel besser. Sie ist in der Hall of Fame der University, ich nicht (lacht). Ich habe Geld mit Basketball verdient, ein paar gute Spiele geliefert. Aber ich denke immer noch, ich könnte besser sein. Deswegen arbeite ich jeden Tag daran, meinen Spielern Feinheiten beizubringen. Da habe ich zum Beispiel mit David Krämer sehr viel dran gearbeitet und ihm sehr geholfen. Er ist ein Tier, arbeitet sehr gern. Diese Spieler liebe ich. Diese Art Basketballer habe ich absichtlich nach Braunschweig geholt, sie wollen kämpfen und lernen. So bin ich, so ist meine Mentalität. Wie gut ich also als Spieler war? Nicht gut genug. Aber irgendwann in Zukunft möchte ich der beste Trainer aller Zeiten sein und eine EuroleagueMannschaft leiten. Wie sieht das Geschäftsmodell der von dir gegründeten Scoring Factory aus? In Deutschland würde das gar nicht funktionieren, da die Universitäten hier fast gar nichts kosten. In Amerika muss man in Einzelfällen bis zu 100.000 Dollar pro Jahr für die Universität zahlen. Das ist ein ganz anderes Modell. Und dann gibt es Eltern, die schon früh gerne dafür zahlen, dass ihre Kinder die Feinheiten des Basketballs lernen. Dass sie besser werden und sich irgendwann ein Stipendium für eine solch teure Universität verdienen. Es gibt Leute, die zahlen für solche Privattrainings. Diese bieten wir jede Woche an. Außerdem natürlich Camps und eine eigene Liga. Das Geschäftsmodell ist also: Im ganzen Jahr, insbesondere natürlich im Sommer, gibt es jeden Tag Trainings und mehrmals die Woche Clinics. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten für Kinder ab sieben Jahren, aber auch für 18-Jährige. Wir wollen Kinder begeistern und verbessern. Wir arbeiten natürlich mit Anfängern, aber die meisten Kinder sind schon sehr gut. Dann brauchen sie aber mehr Förderung, als sie in ihren Schulen bekommen können. Da kommen dann wir als Experten ins Spiel. Warum ist die Akademie in Pittsburgh, und wie groß ist euer Einzugsgebiet? Meine Frau kommt aus Pittsburgh. Die meisten Amerikaner gehen irgendwann dahin, wo ihre Frau herkommt (lacht). Im Umkreis von Pittsburgh leben rund eine Million Menschen. Es ist nicht schwer, da immer wieder neue Kunden zu gewinnen. Eigene Hallen haben wir noch keine. Wir mieten aktuell zwölf verschiedene in Pittsburgh. Aber wir wachsen! Im vergangenen Jahr haben wir eine Filiale in New Jersey gegründet. Dort arbeiten wir mit Jason Thompson (ehemals u.a. Sacramento Kings) und Ryan Thompson (u.a. Ulm und Bonn) zusammen.

Wie viel Zeit investierst du als Gründer und Geschäftsführer während der Saison in die Arbeit mit deiner Firma? Fast gar keine. Ich rede ab und zu mit den Verantwortlichen. Aber meistens geht es dann doch um Braunschweig und darum, wie meine Mannschaft gespielt hat. Einfach, weil ich keine Zeit habe. Wenn ich im Sommer zu Hause bin, bin ich jeden Tag dort. Ich liebe dieses Projekt, ich liebe es, in der Halle zu stehen und dort zu arbeiten. Wer hat dich geprägt? Ich bin ein Mensch, der ein Buch aufschlägt und von der ersten bis zur letzten Seite liest. Ich bin sehr neugierig, gehe gerne in ein Museum. Ich gehe gerne spazieren und kann mich zwanzig Minuten lang auf ein Gebäude konzentrieren, weil ich die Architektur kenne. Mein Talent ist Neugierde, und ich liebe Weisheit. Ich

„Basketball war ein Vehikel für etwas Gutes.“ -----------

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habe von sehr vielen Trainern gelernt … und auch von Spielern. Das sind zu viele Leute, um sie alle zu nennen. Und das finde ich gut so! Ich möchte meinen eigenen Stil entwickeln, aus meinen Erfahrungen. Ich gehe ins Bett, und es ist nicht leicht für mich zu schlafen. Denn ich denke zu viel. Ich denke sehr gerne und oft. Ich bin nicht gut darin, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Wenn ich denke, dann denke ich. Wenn ich schreibe, dann schreibe ich. Wenn ich lese, dann könnte ein Vulkan neben mir hochgehen oder fünf Meter entfernt ein Unfall geschehen – und ich würde nichts merken. Denn ich konzentriere mich voll und ganz auf meine Arbeit. Auch aus der Art und Weise, wie ein Pferd rennt, kann ich etwas für meine Spieler lernen. Hast du jemals daran gezweifelt, Coach zu werden? Ich weiß nicht, ob ich nur ein Coach bin. Ich bin ein Leader, mir fällt das Kommunizieren sehr leicht. Ich kann sehr schnell und auf den Punkt erklären, was ich will. Und ich habe keine Angst, ob das 20.000 Menschen sind oder nur einer ist. Ich merke, ob mich jemand versteht oder nicht. Ich kann schneller, langsamer, lauter oder leiser sprechen. Ich rede gerne mit Leuten. Basketball ist ein großer Teil meines Lebens. Aber ich bin nicht nur ein Coach. Ich bin ein Mensch, der es liebt,

die kleinen Dinge zu genießen. Ich will Menschen leiten und begeistern, und ich liebe, was ich tue. Ich will aber nicht nur gewinnen, sondern Menschen helfen, ihr Potenzial zu erreichen. Jetzt heißt das Basketball. Aber irgendwann in Zukunft werde ich froh und stolz sein, dass andere Menschen gute Väter sind. Ich möchte ein Vorbild für die Leute sein. Wenn das geht. Denn ich hatte auch in der Vergangenheit gute Vorbilder für mich. Kannst du einzelne Vorbilder nennen? Jeder Headcoach in der BBL war in den letzten drei Jahren mein Vorbild. Ich habe von jedem gelernt, weil ich jedes Spiel geschaut habe. Wie sie spielen, ihren Spielstil. Doch genauso ist mein Vater ein Vorbild, und meine Mutter ist ein Vorbild. Meine Frau ist auch ein Vorbild. Steve Jobs, Abraham Lincoln, George Washington. Menschen, die in der Vergangenheit etwas erreicht haben. Menschen mit der Mentalität, einfach nie aufzugeben. Was hast du studiert? Wirtschaft. Ich habe auch einen Master of Business Administration gemacht. Ganz ehrlich, sie haben gesagt, ich sollte mich auf Business konzentrieren. Ich war einer der besten Studierenden im Jahrgang. Ich habe meinen Master gemacht, obwohl ich nebenher Basketball gespielt habe, was relativ selten ist. Aber mein Lieblingsfach war Englisch, weil ich gerne lese und schreibe. Außerdem Psychologie … … nach dem bisherigen Gespräch hätte mich auch Philosophie nicht verwundert. (lacht) Oh nein, das wäre sicher auch toll gewesen. Sie haben mich ein bisschen in Richtung Business geschubst, und ich habe es dann gemacht. Aber auch das hat nicht wehgetan, sondern mir dann später sehr geholfen. Wie bist du nach neun Jahren Leitung der Scoring Factory überhaupt Assistant Coach in Ulm geworden? Das ist eine komische Geschichte. Ich habe mich überhaupt nicht beworben! Thorsten Leibenath hat mich angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, nach Deutschland zu kommen. Ich war in Amerika, hatte mein Leben mit meinen vier Kindern. Ich habe mich auf die Scoring Factory konzentriert. Und irgendwann morgens in der Frühe hat mich Thorsten angerufen. Woher kanntest du Thorsten? Weil ich in Deutschland für den TV Lich gespielt habe, als er Assistant Coach der Gießen 46ers war. Zu diesem Zeitpunkt habe ich zwei-, dreimal die Woche mit Gießen trainiert, und er kannte mich als Spieler. Wir haben in der Folge vielleicht einmal pro Jahr telefoniert. Ansonsten habe ich nichts von Thorsten gehört. Es war also eine Überraschung, als er mich

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interview

Pete

angerufen hat. Jetzt in der Rückschau bin ich natürlich sehr froh. Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich nach Europa gehe, als Trainer. Meine ganze Familie mit nach Deutschland zu nehmen, an einen neuen Standort? Das war nicht leicht. Musstest du also länger überlegen? Ich habe zuerst „Nein, danke!“ gesagt. Wir hatten vier Kinder, eine eigene Firma. Wie sollte das weitergehen? So muss ein Vater denken. Das ist nicht nur eine Entscheidung für mich, sondern für meine gesamte Familie. Ich habe dann mit ein paar Freunden in der NBA gesprochen, und sie haben mich gefragt: „Pete, bist du bescheuert? Warum überlegst du überhaupt? Das ist eine super Sache. Du hast die Chance, bei einem Eurocup-Team als erster Assistant Coach zu arbeiten. Es gibt Leute auf dieser Welt, die arbeiten zehn, zwanzig Jahre für die Chance, eine NBBL-Mannschaft zu coachen.“ Ich dachte: „Vielleicht haben sie recht.“ In den drei Jahren in Ulm habe ich gemerkt, dass ich das alleine machen und es als Headcoach versuchen will. Ich habe die ganze Zeit studiert, gelernt und analysiert. Ich habe viel von Thorsten gelernt und bin sehr, sehr dankbar, dass er mich nach Deutschland gebracht hat. Wie wichtig ist es für deine Arbeit, mit einer Basketballerin zusammen zu sein? Ohne meine Frau könnte das alles so nicht laufen und funktionieren. Sie ist ein Wunder, sie ist ein Engel. Sie macht alles für unsere Kinder. Ich versuche natürlich der beste Vater aller Zeiten zu sein. Aber sie macht alles, jeden Tag. Die Logistik, im Alltag, mit dem ganzen Training, die Hausaufgaben … auf der Basketball-Seite versteht sie mein Leben. Sie versteht, warum ich froh bin, warum ich sauer bin. Sie versteht es einfach, denn sie war auch eine Kämpferin, und das war ihr Leben. Wir sind ein Basketball-Haus, eine Basketball-Familie. Wie nah ist Dennis Schröder an dem dran, was ihr in Braunschweig macht? Er ist ja finanziell am Klub beteiligt … Nicht so nah. Ich habe schon Kontakt mit ihm, aber die Alltagsgeschäfte in Braunschweig regeln wir. Und er regelt seinen Alltag in den USA, was ich gut finde. Er ist ein Superstar, einer der besten Spieler weltweit. Er ist ein Vorbild für meine Kinder. Wie schnell er ist, wie gut er scoren kann. Er ist ein Vorbild für jedes Kind hier in Braunschweig. Er hat es aus dieser Stadt auf das beste Niveau der Welt geschafft. Du hast einen Zweijahresvertrag mit der Option auf eine weitere Saison in Braunschweig unterschrieben. Was sind deine kurz- und langfristigen Ziele mit den Löwen?

Strobl

Kurzfristig will ich auf jeden Fall in dieser ersten Saison die Playoffs erreichen. Es gibt jetzt sicher Leute, die darüber lachen und sagen, dass es zu früh ist. Dass ich erst etwas zeigen und dann reden sollte. Doch das ist gar nicht mein Stil. Ich rede nicht laut, um laut zu sein. Aber ich sage, was ich für die Wahrheit halte. Wenn ich spiele, dann immer, um zu gewinnen. Wir werden alles dafür geben, die Playoffs zu erreichen. Nächstes Jahr – so hoffen wir – soll Braunschweig dann ein sehr starker deutscher BasketballStandort sein. Deutsche Spieler sollen nach Braunschweig kommen, um sich zu verbessern. In der Zukunft sind wir dann hoffentlich eine Mannschaft, die international spielt. Kinder können in die Halle kommen, um sehr schönen Basketball zu sehen. Wir wollen Vorbilder sein für die nächste Generation. Langfristig möchte ich Coach einer Euroleague-Mannschaft sein. Um das zu erreichen, muss ich Braunschweig auf die nächste Stufe bringen. Aber das kann ich nicht alleine erreichen. Ich muss das mit den Spielern tun, mit unserem Geschäftsführer Sebastian Schmid, unseren Jugendtrainern. Schon jetzt sind Spieler im Braunschweiger Kader, die für Basketball-Deutschland sehr interessant sind, weil sie großes Potenzial haben. Teilweise haben sie bereits bei der A-Nationalmannschaft angeklopft. Karim Jallow etwa möchte eines Tages in der NBA spielen. Wie kannst du ihm dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen? Ich kann ihm die Möglichkeit geben, jeden Tag zu lernen und sich zu verbessern. Durch Video, durch Training, durch Gespräche. Aber auch Spielminuten, Spielpraxis sind zentral. Ich finde es ganz, ganz schlecht, dass so viele gute deutsche Spieler so lange warten müssen. Ich finde es lustig und traurig zugleich, dass die Leute zu einem 26 Jahre alten Spieler noch „junger Deutscher“ sagen. Gleichzeitig kommen 22 Jahre alte Rookies aus Amerika, und sie sagen: „Er ist ein Mensch, er ist ein Mann.“ Bei uns gibt es keinen Unterschied zwischen Amerikanern, Serben, Italienern oder Deutschen. Ein Spieler ist ein Spieler. Bei mir bekommt jeder die Chance, zu kämpfen und zu arbeiten. Wenn sie alles geben, werden sie in Zukunft sehr, sehr gut sein. Ein anderer sehr spannender Spieler in deinem Kader ist Kostja Mushidi. Woran muss er arbeiten? Er ist sehr, sehr talentiert. Einen solchen Spieler siehst du nicht so oft. Er hat einen super Körper, einen super Wurf, versteht das Spiel. Er verbringt zehn Stunden pro Tag mit Basketball, schaut Videos, redet gern über Basketball, kennt die NBA, kennt die Euroleague. Er ist ein Basketball-Mensch. Er ist aber

auch immer noch ein bisschen ein Kind, er ist noch nicht ganz erwachsen. Ich meine das nicht als Beleidigung. Er hat Fehler gemacht in der Vergangenheit. Ich habe ihn vor ein paar Monaten als einen Menschen kennengelernt, der mir sehr gefällt. Ich arbeite sehr viel im Training mit ihm und bin dabei sehr streng. Er hört zu und macht, was ich sage. Wenn es so weitergeht, dann glaube ich, dass noch viele Menschen zukünftig auf ihn aufmerksam werden. Es gibt einen Spieler, der nach meiner Wahrnehmung noch total unter dem Radar fliegt: Lukas Wank. Was steckt in ihm, und wie schnell wird er den einen oder anderen mit seinem Können überraschen können? Irgendwann in Zukunft wird Lukas Wank vielleicht ein Spieler wie Nando de Colo sein. Sehr fokussiert, gelegentlich etwas zu kritisch mit sich selbst. Wir wissen als Erwachsene, dass das nicht geht. Basketball als Sportart ist da ein bisschen wie Musik. Du hast Guidelines, aber keine Regeln. Lukas versucht, alles perfekt zu machen. Und wenn es nicht läuft, ist er sehr schnell frustriert. Lukas ist noch sehr jung. Aber sein Wurf, seine Einstellung, seine beidhändigen Passfähigkeiten bei dieser Größe – er hat alles, was man braucht, um ein Euroleague-Spieler zu werden. Er trainiert sehr, sehr fleißig, ist immer an unserer Wurfmaschine, stellt gute Fragen, schaut sehr viel Video. Es wird noch ein paar Monate dauern, bis die deutsche Basketballszene weiß, wie gut er ist. Ich finde das gut so, und die Leute sollen ihn ruhig weiter unterschätzen. Denn das hilft uns (lacht). Du hast mehrfach vom Lesen und von Büchern gesprochen. Du hast dich aber auch selbst schon als Autor versucht. Was ist das für ein Buch, das du geschrieben hast? Es heißt „Backspin“, und es geht um meine Profikarriere, meine Zeit als Rookie in Frankreich. Das ist ein sehr stolzes Land, und es war ein echter Kulturschock für mich! Ich wollte der nächsten Generation etwas mitgeben, für ihren eigenen Weg. Die Fallstricke zeigen, wie das Leben dort ist, wie man sich behaupten kann. Das Buch ist ein Stück weit lustig, definitiv ehrlich und enthält ein paar Tipps wie ein Handbuch. Es ist für Interessierte, aber auch für Basketballspieler geschrieben. Was ist wichtig in Europa? Denn unsere Vorbereitung auf ein Leben in Europa ist nicht sonderlich gut. Wir denken ja alle, dass wir in der NBA spielen werden. Aber so ist es nicht … es gibt so viele USSpieler, die wissen nichts von Europa. Wir verstehen fast gar nichts. Was ist ein Kilometer? Wie fährt man ein Auto mit Schaltung? So viele Dinge. Ich wollte damit helfen. redaktion@fivemag.de

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Was machen eigentlich die NBA-Deutschen? Teil 1 Dirk Nowitzki ist raus aus der NBA. Dennis Schröder, Maxi Kleber, Daniel Theis, Moritz Wagner, Isaac Bonga und Isaiah Hartenstein sind noch da. Wie läuft es bei ihnen? Text: André Voigt

knapp 125 Millionen Dollar ein – nicht jedes interessierte Team dürfte diesen Preis zahlen wollen –, aber Paul hilft den Thunder nicht wirklich weiter. Sollte der neunfache All Star also getradet werden, könnte Schröder neben Jungstar Shai Gilgeous-Alexander in die Startformation rutschen. Wenn er nicht selbst ein Opfer des Umbaus von Manager Sam Presti wird.

Maximilian Kleber, Mavericks

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as Jahr eins nach Dirk brachte nicht das über Jahre beschworene Armageddon. Das Interesse an der NBA ist weiterhin groß, Deutsche starten in der besten Basketballliga der Welt, legen immer mal wieder zweistellig Punkte auf, tragen maßgeblich zum Erfolg ihrer Teams bei. Doch wie läuft es beim verbliebenen Sextett en détail? Welche Entwicklungen sind zu erwarten?

Dennis Schröder, Thunder Schröders Start in die Saison 2019/20 war durchwachsen. Starke und schwache Leistungen für die Oklahoma City Thunder wechselten sich zu Beginn ab.

An seiner Rolle hat sich trotz des Abgangs von Russell Westbrook nach Houston nichts geändert. Warum auch? Mit Chris Paul kam im Gegenzug nicht nur ein anderes Alphatier auf Point Guard, sondern auch der unumstößliche Starter auf der Eins. Allerdings könnte sich diese Situation künftig ändern. Paul ist mittlerweile 34 Jahre alt. Gleichzeitig befinden sich die Thunder nach den Trades von Westbrook und Paul George in den ersten Zügen eines Neuaufbaus. Deshalb erscheint es sehr fraglich, ob Paul die Saison in einem OKC-Trikot beenden wird. Natürlich: Sein Vertrag bringt ihm noch bis 2022

Maxi Kleber hingegen muss sich derartige Gedanken wohl nicht machen. Er verlängerte seinen Vertrag mit den Mavericks im Sommer, Coach Rick Carlisle plant fest mit ihm. An der Seite von Kristaps Porzingis lieferte der Würzburger offensiv sicher ausbaufähige Leistungen (vor allem der Dreier fiel nicht), am eigenen Korb jedoch brillierte der 27-Jährige. Seine Beweglichkeit ist in der Defensive Gold wert für Dallas. Kleber kann den besten Frontcourt-Akteur des Gegners decken, nach einem Pick-and-Roll vor einem Guard bleiben, Würfe blocken und außerdem rebounden. Allerdings dürfte seine Spielzeit beschnitten werden, sobald Dwight Powell zurückkehrt, den zu Saisonbeginn muskuläre Probleme ausgebremst hatten. Aber auch wenn das passieren sollte: Maximilian Kleber ist ein wichtiger Teil der überraschend stark gestarteten Dallas Mavericks.

Daniel Theis, Celtics Eigentlich boten die ersten Partien 2019/20 die perfekte Chance für Theis, um sich in der Rotation der Celtics zu etablieren. Nach dem Abgang von All Star

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Al Horford war die Starterrolle auf Center vakant – ein Zustand, den die Verletzung von Enes Kanter zu Saisonbeginn noch verschärfte. Theis startete auch früh, prompt bremste ihn jedoch eine Knöchelverletzung aus. Mit seinen 2,03 Meter bleibt Theis so oder so kein Big Man, der dauerhaft in der NBA auf der Fünf starten sollte. Dafür fehlen ihm in den allermeisten Matchups einfach die nötigen Zentimeter und Kilos. Allerdings ist er in Zeiten des Skillball eine exzellente Alternative gegen kleinere Aufstellungen des Gegners, da er auch den Dreier im eigenen Repertoire weiß. Deshalb wurde sein Vertrag im Sommer um zwei Jahre verlängert. Theis gibt Coach Brad Stevens einen Smallball-Center, aber eben keinen Starter auf der Fünf. Das ist aber auch okay. Der Salzgitteraner wird weiter Dreier nehmen, nach einem Block in die Zone abrollen, vor allem aber als Glue Guy den Ball bewegen und exzellente Teamdefense spielen.

Moritz Wagner, Wizards Moritz Wagners Rookie-Saison bei den L.A. Lakers mag noch nicht vergessen

sein – doch die Situation, in der sich der Berliner wiederfindet, ist eine komplett andere als im Vorjahr. Im Gegensatz zu 2018/19 absolvierte er das Training Camp mit seiner Mannschaft, erspielte sich das Vertrauen von Coach Scott Brooks und bekam von Beginn an eine klar umrissene Rolle in der Rotation. Der 22-Jährige soll für Punkte von der Bank sorgen. Und zwar nicht nur als Stretch-Big, der an der Dreierlinie auf freie Würfe lauert. Nein, Wagner nutzt auch seinen Drive, um immer wieder zu attackieren. Dabei unterliefen ihm zwar in den ersten Partien zu viele Ballverluste, aber der Youngster schien einfach etwas ungestüm an die neue Aufgabe heranzugehen. Kein Wunder nach seinem Rookie-Jahr 2018/19 in Los Angeles ohne klare Aufgabe.

Isaac Bonga, Wizards Isaac Bonga sorgte für die positivste Überraschung aus deutscher Sicht. Der 2,03 Meter lange Flügel startete für die Washington Wizards – eine Entwicklung, die noch im Trainingslager kaum möglich schien.

Doch der 20-Jährige erarbeitete sich den Posten mit engagierter Verteidigungsarbeit (unter anderem war er mit der Bewachung von Chris Paul vertraut), cleveren Pässen, Rebounds und Spielintelligenz. Ein Hauch Glue Guy umweht Bonga, der offensiv nichts erzwingt, sondern sich ganz in den Dienst der Mannschaft stellt. Als Bonus bringt er seine Erfahrung als Point Guard ein, die ihm dabei hilft, vom Flügel zu penetrieren, bevor er den Ball passgenau weiterspielt.

Isaiah Hartenstein, Rockets Isaiah Hartensteins NBA-Karriere scheint auch 2019/20 nicht in Fahrt zu kommen. Erneut steht auf dem Depth Chart nicht nur Starter Clint Capela vor ihm auf Center, sondern auch zwei Veteranen. Tyson Chandler und Nenê bringen Erfahrung und Defense. Der Quakenbrücker bietet Athletik, Einsatzwillen sowie einen sich entwickelnden Distanzwurf. All das reicht aber wohl nicht für Einsatzzeit, weil Coach Mike D’Antoni auch P.J. Tucker als Smallball-Center in der Hinterhand hat. Bleibt also nur wieder die G-League für den 21-Jährigen. Die dominierte er aber schon im Vorjahr mit 19,5 Punkten und 14,7 Rebounds im Schnitt. Es bleibt zu hoffen, dass er auch ohne viel Einsatzzeit „oben“ den Dreier verbessern kann und dann bereit ist, wenn sich einer der etatmäßigen Center verletzen sollte. dre@fivemag.de

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ivan beslic Die Made im Speck

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reunde, heute erzähle ich euch die Story von einem der spektakulärsten Spieler der NBA-Geschichte: Shawn Kemp. Shawn wuchs mit seiner Familie in der Kleinstadt Elkhart im USBundesstaat Indiana auf, wo er über seine ältere Schwester zum Basketball kam. Sie nahm ihn unter ihre Fittiche und zeigte ihrem Bro, wie man anständig Basketball spielt … ja, seine Schwester! #womenBALLtoo Sein Talent und die kranke Athletik brachten ihn zu Highschool-Zeiten auf die Wunschliste von über 100 Colleges. Es war eigentlich ein No-Brainer, für die Heimuni aus Indiana zu spielen, doch Kemp machte einen Judas-Move und entschied sich für den Erzrivalen Kentucky.

Aber bei den Wildcats gab es nicht viel zu lachen! Da er beim College-Aufnahmetest noch nicht einmal die Mindestpunktzahl erreichte, wurde er für sein Freshman-Jahr gesperrt. Nachdem ihm dann noch vorgeworfen wurde, zwei Goldketten eines Mitspielers stibitzt zu haben, waren seine Tage in Kentucky endgültig gezählt. Es folgten Wechsel zu weiteren Colleges, wo er wegen der Transfersperre aber auch nicht zocken durfte. Und so machte er das Beste aus seiner Situation und meldete sich 1989 einfach für die Draft an, ohne überhaupt ein College-Game bestritten zu haben. Die Seattle SuperSonics gingen volles Risiko und zogen den 19-jährigen Grünschnabel als 17. Pick. Mit seinen 2,08 Meter konnte er zwar körperlich mithalten, aber seine unreife Spielweise als jüngster Spieler der Liga brachte dem „Manchild“ nur 6,5 Punkte pro Partie ein. Doch Veränderung lag in der Luft, als im Folgejahr ein gewisser Gary Payton gedraftet wurde. Durch wichtige Rollenspieler wie Detlef Schrempf und Trainerlegende George Karl formten sich die Sonics mit der Zeit zu einer Macht im Westen. Was besonders herausstach, war die extrem spektakuläre KempPayton-Offensive. Alley-Oops wurden dunkend angenommen, und es gab Highlights am Fließband. Ein Duo wie Malone und Stockton, nur halt in cool. Shawn Kemp gehörte zum Spektakulärsten, was die NBA zu bieten hatte, seine Jams hatten das gewisse „Je ne sais quoi“. Er hatte die nötige Hangtime, den Style und die Power, um die Pille mit einer derartigen Wucht in die Reuse zu pfeffern, dass man dachte, der Kölner Dom wäre eine miese Imbissbude. Sein brutales Pflastern der Fluppe durch den Ring brachte ihm den Spitznamen „The Reignman“ ein, denn er beherrschte den Luftraum wie eine mies gelaunte Naturgewalt. Nach einigen Jahren mit mäßigen Playoff-Erfolgen erreichten die Sonics 1995/96 ihren Höhepunkt, als sie mit 64 Siegen als bestes West-Team in die Playoffs einzogen. Es ging durch bis zu den Finals, wo das legendäre 72-Siege-Bulls-Team nur darauf wartete, sich mit Champagner zu begießen. Während sich Payton in Jordans Hirn trashtalkte, legte „Primetime Kemp“ mit 23,3 Punkten, 10,0 Rebounds und 2,0 Blocks pro Spiel beeindruckend starke Zahlen auf. Seattle schaffte es, die Serie nach einem 0-3-Rückstand für sechs Spiele am Leben zu halten, doch gegen die „Unbeatabulls“ war am Ende keine Ananas zu holen. Eigentlich eine gute Grundlage, um im nächsten Jahr nochmal nach dem Titel zu

greifen, doch es gab Stress! Superstar Kemp war mit seiner Lohnabrechnung alles andere als zufrieden und drohte die Saison auszusitzen, falls es nicht mehr Knete geben würde. Die Verantwortlichen waren schlafloser in Seattle als Tom Hanks. Doch es nützte alles nichts. Ein Dreiertrade schickte Kemp nach Cleveland und Vin Baker aus Milwaukee zu den Sonics – 98 Millionen für sieben Jahre gab es für Kemp in Ohio, da machte die Arbeit doch wieder Spaß! Hochmotiviert knüpfte er an seine alten Leistungen an, wurde zum sechsten Mal All Star und führte die Cavs sogar in die Playoffs. Doch dann begann das Desaster … Der NBA-Lockout von 1998 bescherte den Spielern Sonderurlaub und viel Freizeit. Als die Saison dann doch noch im Januar 1999 gestartet werden konnte, staunte der CavsHeadcoach nicht schlecht, als ein wohlgenährter, 143 Kilo schwerer Kemp vor ihm stand. Der hatte es sich in der spielfreien Zeit wie die Made im Speck etwas zu gemütlich gemacht. Aber wer treibt im Urlaub schon gerne Sport? Diätpläne und ein eigener Chefkoch wurden organisiert, um das millionenschwere Leckermäulchen wieder in Form zu bringen, doch die Pfunde wollten nicht so richtig purzeln. Kemp war zwar immer noch für 20,5 Punkte und 9,2 Rebounds gut, aber seine stärksten Waffen, die Athletik und die Explosivität, waren futsch. Die Probleme häuften sich, und der Power Forward wurde im neuen Jahrtausend nach Portland geschickt, wo er negative Schlagzeilen wegen Alkohol- und Drogenkonsum machte. Noch in seiner ersten Saison bei den Blazers musste er wegen „NasennebenhöhlenReizungen“ in eine Kokain-Entzugsklinik. Der Lebemann war zu diesem Zeitpunkt spielerisch nur noch ein voluminöser Schatten seiner selbst. Drei Jahre später beendete er dann seine NBA-Karriere in Orlando. Im Jahr 2008 wollte er es nochmal wissen und versuchte sein Glück beim italienischen Klub Montegranaro … ohne Erfolg. Immerhin gab es dort gutes Essen und schöne Frauen. #ciaobella Apropos Frauen: Sein „Pullout Game“ nach Abpfiff war auch nicht von schlechten Eltern. Man munkelt, dass er mindestens sieben uneheliche Kinder von sechs Frauen haben soll … Kemp hatte zweifelsohne das nötige Talent, aber ohne die dazugehörige Disziplin war es nichts mit der Hall-of-Fame-Karriere. Vom umjubelten Star zum Gespött der Liga mit unrühmlichem Ende – doch was überwiegt, ist die Erinnerung an die gute Zeit! Kemp lebt heute wieder in Seattle, der Stadt seiner größten Heldentaten, und kämpft für ein Comeback der alten Franchise. But you can’t deny greatness! Shawn Kemp zählt neben MJ und Vince Carter zu meinen Top-3-In-Game-Dunkern ever. #WORD Freunde, gönnt eurer Basketballseele mal wieder was Gutes und zieht euch bitte die „Reignman“-Highlights im Netz rein! Und remember: Wie man sich fettet, so wiegt man!

Peace, Ivan

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